Dreizehntes Kapitel



Kalter Wind blies durch das weitgeöffnete Fenster in die Bibliothek.

Charles Halloway stand schon seit einer ganzen Weile hier. Nun zuckte er zusammen.

Unten flogen zwei Schatten die Straße entlang, Schritt um Schritt begleiteten sie ihre größeren Schatten. Leise malten sie Fußspuren in die Nachtluft.

"Jim!" rief der alte Mann. "Will!"


Doch seine Stimme klang nicht sehr laut.


Die Jungen rannten weiter, nach Hause.


Charles Halloway blickte über das Land.


Er war allein durch die Gänge der Bibliothek gewandelt, und sein Besen hatte ihm Dinge zugeflüstert, die kein anderer hörte; da hatte er den Zug und das disharmonische Klingen der Zirkusorgel vernommen.

"Drei Uhr", murmelte er. "Drei Uhr morgens..."


Draußen auf der Wiese wartete das Zelt, wartete der Zirkus. Sie warteten auf jemanden, der die Brandung des Grasmeeres entlangkommen sollte. Die großen Zelte blähten sich wie Blasebälge. Dann atmeten sie ganz leise eine Luft aus, die nach urtümlichen gelben Ungeheuern roch.

Doch nur der Mond blickte in das dunkle Loch, die tiefen Höhlen. Draußen verharrten am Karussell die Tiere der Nacht mitten im Sprung, Dahinter lagen die Tiefen des Irrgartens mit vielfältigen Trugbildern, eines überlagerte das andere, still, erhaben, silbern vom Alter, weiß vom Schnee der Zeit. Jeder Schatten am Eingang konnte Farben der Angst erzittern lassen und tief vergrabene Monde enthüllen.

Wenn dort ein Mensch stünde – würde er sich dann millionenmal sehen können, eine endlose Kette bis hin zur Ewigkeit? Würden ihn eine Million Abbilder anstarren, eines hinter dem anderen, eines älter als das andere? Würde er dort in feinem Staub versinken, tief drin, nicht fünfzig, sechzig, siebzig Jahre alt, sondern neunzig, neunundneunzig Jahre?

Die Spiegel stellten keine Frage. Sie gaben keine Antwort.

Sie standen nur einfach da wie ein riesiges arktisches Eisfeld.

"Drei Uhr..."


Charles Halloway fror. Seine Haut fühlte sich plötzlich an wie die eines Reptils. Das Blut in seinem Magen verwandelte sich in Rost. Er schmeckte die feuchte Kühle der Nacht.

Aber er konnte sich nicht vom Fenster abwenden.


Weit draußen glitzerte etwas auf der Wiese.


Es war der Mond, der sich in einem großen Glas spiegelte. Vielleicht wollte das Licht etwas sagen, geheimnisvoll, verschlüsselt.

Ich gehe hin, dachte Charles Halloway. Ich gehe nicht hin.

Schön ist es, dachte er weiter. Nein, es gefällt mir nicht.

Einen Augenblick später schlug die Tür der Bibliothek zu. Auf dem Heimweg kam er an dem leeren Schaufenster vorbei. Drin standen verlassen zwei Sägeböcke. Dazwischen eine Wasserpfütze, in der ein paar Eisstückchen schwammen. Lange blonde Haare im Eis...

Charles Halloway sah es, wollte es aber nicht sehen. Er wandte sich ab und ging. Bald war die Straße wieder so leer wie das Fenster des Ladens.

Weit draußen auf der Wiese zuckten Schatten durch das Spiegelkabinett, als ob ungeborenes Leben dort der Errettung harrte.

So wartete der Irrgarten, kalt starrend, daß wenigstens ein Vogel käme und nach kurzem Blick aufkreischend davonflöge.

Doch kein Vogel kam.



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