Epilog

A.C. 308, Spätsommer

»Aber woher hatte er die Kraft?« fragte Tanis wieder.

Flint schüttelte den Kopf. Es gab natürlich Gerüchte, Legenden von einer enormen Quelle chaotischer Macht, die tief in den Höhlen unter Qualinost verborgen sein sollte, doch der Zwerg war nicht dazu aufgelegt, Legenden zu rezitieren.

Er bestellte Bier für sie beide. Der Wirt vom Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« brachte ihnen die schäumenden Krüge an den Tisch, und Flint seufzte. »Ach, Junge, danach habe ich mich gesehnt. Ein richtiger Tisch in der Ecke von einem gemütlichen Wirtshaus. Richtiges Bier, das so wirkt wie ein Tritt von Windsbraut.«

Aber Tanis blieb beim Thema. Sie hatten es in den letzten drei Wochen bis zum Erbrechen durchgekaut, verstanden hatten sie aber immer noch nicht richtig, was geschehen war.

»Miral – Arelas – hat so viele Leute umgebracht, bloß weil man ihn als Kind aus Qualinost weggeschickt hat? Flint, das ist kein Grund.« Der Halbelf spielte mit seinem Krug und betrachtete den nassen Kreis auf dem Holztisch.

Der Zwerg nickte. »Ich weiß, Junge. Hinter dem Ganzen steckt eine Macht, eine, über die wir nichts wissen. Aber es gibt Geschichten, die es erklären könnten.«

»Der Graustein? Das ist doch ein Mythos, Flint«, sagte der Halbelf mit ausdrucksloser Stimme. Er war nicht so leicht zu überzeugen.

Flint schüttelte den Kopf und erhob seinen Krug. Dann schnalzte er mit der Zunge. Fünf Tage in Solace, und immer noch war ein Krug gutes Bier wirklich etwas Feines.

»Flint.«

»Was jetzt?« knurrte der Zwerg.

Tanis drängelte. »Das Amulett hat mir das Leben gerettet. Warum hat es meine Mutter nicht gerettet? Es hat doch ihr gehört.«

Auch das hatten sie in den letzten Wochen oft genug unterwegs besprochen, während Flint auf Windsbraut dahinschaukelte und Tanis weich auf Belthar thronte. »Ich glaube nicht, daß es schon verzaubert war, als Elansa es noch hatte, Tanis. Ich glaube, da hatte Ailea ihre Hand im Spiel.«

Bei der Erwähnung von Ailea wurden die Freunde bedrückt.

»Aber ich dachte, sie könnte nur ein paar Illusionen, Zaubertricks für Kinder«, widersprach Tanis. »Und ein paar Sprüche, die bei Geburten nützlich sind. Nichts Großartiges.«

»Wir dachten auch, Miral wäre nur ein kleiner Zauberer.«

Tanis nickte und schwieg eine Weile. Dann kam ihm ein neuer Gedanke. »Der Zauberer hat sie alle getötet – Kethrenan, Elansa, Xenoth, Ailea. Auch Tyresian, der Laurana vor dem Marmorblock gerettet hat. Und wozu? Damit Arelas alle Erben zwischen sich und dem Amt der Stimme ausschalten konnte. Hat er denn geglaubt, er könnte aus den Trümmern des Turms spazieren und verkünden, er sei in Wirklichkeit Arelas und deshalb mußten sie ihn zur Stimme machen?«

Flint sah Tanis finster an. »Ich nehme an, er hätte einen Weg gefunden.« Oder vielleicht der Graustein, setzte er für sich selbst hinzu.

»Aber…«

Flint schob dem Halbelfen das Bier hin. »Gib’s auf, Junge. Manche Dinge mußt du einfach hinnehmen. Arelas erschien es machbar.« Als Tanis den Mund aufmachte, hielt Flint eine Hand hoch. »Schluß jetzt damit.«

Sie saßen eine Zeitlang schweigend da. Dann erhob Flint wieder seinen Krug. »Einen Toast«, sagte er.

Einen Toast abzulehnen war eine Beleidigung. Tanis legte seine Hand um den Griff seines Krugs. »Einen Toast«, wiederholte er.

»Auf Ailea.« Sie sahen sich an und stießen die Krüge aneinander. »Und auf neue Freunde«, fügte Flint hinzu.

Tanis lächelte.

»Auf die Freunde«, stimmte der Halbelf zu.

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