21 Ein Mordversuch

A.C. 308, Mittsommer

Eine gute Woche später arbeitete Flint gerade an Porthios’ Kentommen-Medaille, als Lord Tyresian – natürlich ohne anzuklopfen, wie Flint registrierte – in das Steinhaus des Zwergs marschierte. Nur Tanis durfte den Laden unangekündigt betreten. Selbst Windsbraut klopfte auf ihre Weise, denn ihr Hufschlag warnte den Zwerg normalerweise früh genug, um zur Tür zu springen.

Nach der sengenden Hitze vor einer Woche hatte sich das Wetter abgekühlt. Heute war so ein Tag, an dem die meisten Leute in Qualinost Quith-Pa, Käse und süßsauer eingelegtes Gemüse in einen Picknickkorb packten und sich zu einem der Aussichtspunkte an den Flüssen aufmachten. Aber der Zwerg verschwendete keinen Gedanken an Erholung. Er hatte einen wichtigen Termin; bis zum Kentommen war nur noch eine Woche Zeit.

Wegen des bevorstehenden Festtags waren natürlich viele Adlige von Qualinost darauf gekommen, daß sie noch Aufträge hatten, die unbedingt noch vor Porthios’ Kentommen fertig werden mußten. Flint nahm die Aufträge an, gab aber allen dieselbe Antwort: Er arbeitete an einem Auftrag für die Stimme der Sonne und würde sich, leider, vielleicht erst nach dem Fest um die Anliegen seiner Auftraggeber kümmern können. Sie waren natürlich nicht glücklich, daß Flint Feuerschmied zwar unbestritten der geschickteste Schmiedekünstler im Umkreis war, aber auch so unbeugsam wie ein Minotaurus sein konnte.

Die beiden Scheiben für die Medaille lagen vor ihm, und er schlug mit einem feinen Meißel und einem Hämmerchen sorgfältig Öffnungen in die goldene Vorderseite. Kritisch betrachtete er das Ergebnis. Durch den Meißel bekamen die Öffnungen einen etwas rauhen Rand, der ihm gut gefiel. Besonders gut paßte er zu den Bäumen. »Ist auch gar nicht schlecht, weil ich doch keine Zeit mehr habe, es noch mal nachzubearbeiten«, murmelte er.

In diesem Moment ging die Tür auf, die Glocke bimmelte, und der hochmütige Elfenlord mit den kurzen, blonden Haaren trat herein.

»Zwerg, ich brauche Eure Dienste«, verkündete Tyresian.

Flint ließ sich die Zeit, die Einzelteile der Medaille mit der Skizze abzudecken, blickte von seinem Stuhl am Tisch auf und warf dem Elfenlord ein Lächeln zu, das mehr einem Zähnefletschen glich. »Tretet ein, Lord Tyresian.« Er zeigte mit dem Meißel auf die Steinbank. »Nehmt Platz.«

Gemäß Elfenprotokoll hätte Flint aufstehen müssen, als der Elfenlord den Raum betrat, doch Flint und Solostaran scherten sich, wenn die Stimme den Zwerg allein besuchte, längst nicht mehr um diese Formalität. Tyresian jedoch lief rot an vor Ärger. Daß der Elfenlord sich nicht über die Mißachtung beklagte, war für den Zwerg ein Beweis, daß Tyresian seine Dienste wirklich dringend brauchte. Das zauberte ein erneutes Lächeln auf Flints Gesicht.

»Was für einen Dienst braucht Ihr denn?« fragte Flint ausdruckslos, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Wieder zeigte er auf die Bank mit dem Meißel. »Nehmt Platz.«

Tyresian war sichtlich unsicher, ob er sich da hinsetzten sollte, wo der Zwerg es ihm gesagt hatte – und damit der Aufforderung eines Rangtieferen folgte –, oder ob er lieber stehenblieb, was bedeuten mochte, daß er, und nicht Flint, der Rangniedere war. Darum wanderte er rastlos durch den Raum, ohne lange genug irgendwo stehenzubleiben, um sich hinzusetzen. Nachdem er dreist durch den Raum gelaufen war, den Schrank, Flints Feldbett, die geschnitzte Truhe und die Schmiede begutachtet hatte, zog Tyresian sein Kurzschwert und reichte es dem Zwerg mit dem Griff nach vorn.

Wortlos nahm Flint die Waffe entgegen und untersuchte sie. Es war ein Schwert für Zeremonien, das bei offiziellen Anlässen getragen wurde, denn es war dicht mit Smaragden und Mondsteinen besetzt und hatte Stahlintarsien. Der Wert der Waffe hätte eine Familie aus Qualinesti acht Monate lang ernähren können.

»Nicht sehr praktisch im Kampf«, bemerkte Flint.

»Es ist für offizielle Anlässe«, sagte Tyresian herablassend.

»Wie das Kentommen von Porthios Kanan«, schloß der Zwerg. Der Elfenlord nickte.

Flint untersuchte die Waffe weiter. Das Holz des Hefts war gespalten. Ein Teil der Stahlintarsien war locker, und ein Edelstein – dem Abdruck nach tippte er auf einen Smaragd – fehlte. Das war keine einfache Reparatur; ein geschickter Handwerker mußte den Griff neu anfertigen und solange alles andere liegenlassen.

»Das würde eine Woche dauern«, sagte Flint schließlich. »Ich habe keine Zeit.«

Der Elfenlord wurde wütend, und seine blauen Augen blitzten, doch er hielt seine Stimme ebenso im Zaum wie der Zwerg. »Das Kentommen ist erst in einer Woche, Meister Feuerschmied.«

»Ich habe andere Arbeit.«

Tyresian richtete sich auf. »Dann legt sie zur Seite. Erledigt diesen Auftrag.«

Flint gab dem Elfenlord das Kurzschwert zurück. »Vielleicht findet Ihr einen anderen Schmied dafür.«

»Aber…«

In dem Moment traten Eld Ailea und Tanis ein und unterbrachen Lord Tyresians Erwiderung. Die alte Hebamme war wie üblich in grelle Farben gekleidet – gelb und blau gestreifte Bluse, roter, angekrauster Rock und rote Schuhe, alles mit blaßgelben Margeriten bestickt. Tanis wirkte ganz in Braun neben ihr praktisch farblos. Zwischen sich trugen sie – wegen des erheblichen Größenunterschieds zwischen der Hebamme und dem Halbelfen leicht schief – einen riesigen, geflochtenen Korb, der bis oben hin voll Maiskolben war. In der freien Hand hielt Tanis einen kleinen Teller, der mit einer umgedrehten Schale abgedeckt war. Sie blieben auf der Schwelle stehen und blinzelten aus der hellen Mittagssonne in den dämmrigen Laden des Zwergs.

»Mittagessen, Flint!« flötete Ailea. »Frischgepflückter, süßer Mais!«

»Mit frischer Butter«, fügte Tanis hinzu und hielt den Teller hoch.

Da trat Lord Tyresian in das Lichtfenster an der Tür, und die beiden verstummten.

»Na, sieh mal an«, sagte der Elfenlord lakonisch, verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf die beiden herab. »Zwei Mörder beieinander. Vergleicht ihr vielleicht eure Erfolge? Der Wert, einen Pfeil in Lord Xenoths Brust zu schießen gegen, sagen wir mal, den Tod meiner Mutter im Kindbett? Oh, aber ich vergaß, Tanis, Ailea hat auch deine Mutter sterben lassen, nicht wahr?«

Eld Ailea erbleichte unter ihrer Sonnenbräune; sie legte die Hand vor den Mund und unterdrückte einen leisen Schrei. Tanis bewegte sich drohend auf Tyresian zu, wobei er den Korb losließ, so daß zwei Maiskolben herunterrollten und vor Flints Tür zwischen die Blumen fielen.

Dann stand Flint plötzlich zwischen ihnen, der Tanis mit dem Rücken aus der Sonne schob und Tyresian eine Hand auf die Brust legte. Die Stimme des Zwergs klang erschreckend ruhig.

»Raus, Elf«, sagte er zu Lord Tyresian und betonte jedes einzelne Wort, »sonst zeige ich Euch, wozu ein erfahrener Kämpfer fähig ist.«

»Du…!« plusterte sich Tyresian auf.

»Ich habe in der Schlacht gegen Oger gekämpft. Ihr habt trotz Eures Hochmuts keinerlei Kampferfahrung. Es ist einfach, eine alte Frau und einen jungen Elfen zu beleidigen, der es noch nicht wagt, die Verhältnisse in Qualinost zu erschüttern, indem er Euch fordert. Hättet Ihr etwas dagegen, statt dessen mit mir vorliebzunehmen?«

Tyresian sah finster auf den Zwerg herunter, wobei er erstmals die abgenutzte Streitaxt zu bemerken schien, die wie aus dem Nichts in Flints rechter Hand aufgetaucht war. Der Griff war voller Kerben, doch die Runen der Macht auf der flachen Klinge glänzten im Sonnenlicht, und die Klinge schimmerte scharf genug, als könnte sie auch die härteste Rüstung durchschlagen.

Der Elfenlord entspannte sich etwas.

Flint sprach jedoch weiter. »Vergeßt niemals, Lord Tyresian, daß Ihr derjenige wart, der vorgeschlagen hat, daß die Jäger den Graben überqueren und Xenoth – und mich, wenn ich mich recht entsinne – auf der anderen Seite zurücklassen sollten.«

Tyresian wollte Einwände erheben, aber Flint hielt den Arm des Elfenlords nur um so fester. »Ihr wart derjenige, der drei Leute allein einem Monster ausgeliefert hat, das stark genug war, sie alle im Handumdrehen zu erledigen«, sagte er mit sehr leiser Stimme, die allein durch ihre Intensität bezwang. »Was mich betrifft, so seid Ihr weit mehr als jeder andere für den Tod des Beraters der Stimme verantwortlich.« Wie nebensächlich fügte er hinzu: »Gewiß schuldiger als der Halbelf, der nur sein Leben retten wollte – unser aller Leben.«

Als wenn der kleine Laden noch nicht voll genug gewesen wäre, wählte Miral genau diesen Augenblick, um vor dem Haus des Zwergs zu erscheinen. Doch die vier, die an dem Drama auf der Schwelle beteiligt waren, bemerkten den tief verhüllten Magier nicht gleich. Er stellte sich wartend an die Seite des gepflasterten Wegs.

»Jetzt geht, Lord Tyresian«, befahl Flint. »Und vergeßt nicht: Auch wenn ich nie jemandem meine eigene Theorie dargelegt habe, wer wirklich für Xenoths Tod verantwortlich ist, gibt es nichts, was mich davon abhalten würde, die Stimme aufzuklären. Ich habe schon immer vermutet, daß Ihr diesen Teil Eures ›Berichts‹ beschönigt habt, nachdem Tanis den Tylor getötet hatte.«

Mit Anstrengung schob Tyresian Tanis beiseite, rauschte an Miral vorbei und ließ die drei zurück, die dem blonden Elfenlord hinterher starrten. Schließlich nahmen die drei Freunde Miral wahr und baten ihn herein.

Weil er wußte, wie empfindlich Mirals Augen waren, schloß Flint die Tür hinter dem Zauberer und schickte sich an, die Läden vor dem Fenster auf der Vorderseite des Hauses zu schließen. Inzwischen zündete Eld Ailea das Feuer an und setzte einen Kessel Wasser auf, während Tanis den Mais enthülste. Obwohl keiner der drei jetzt noch besonders viel Appetit hatte, bereiteten sie das Essen zu, als hofften sie, daß sie dadurch ihre vorherige Fröhlichkeit wiedererlangen würden.

Miral nahm sich nicht viel Zeit, sein Anliegen zu erklären. Eine Seite eines Metallkästchens, in dem er Zaubermaterial aufbewahrte, hatte sich gelöst, wodurch er Pulver über den ganzen Gang vor seinen Räumen im Palast verstreut hatte. »Ich weiß, daß du viel zu tun hast, Meister Feuerschmied, aber ich hatte gehofft, du könntest es reparieren«, sagte Miral, der ihm das faustgroße Kästchen entgegenstreckte.

Flint nahm das Silberkästchen. Es schien eine einfache Reparatur zu sein. Wenn er einen Niet an der einen Ecke einsetzte, würde es wieder halten. Das Kästchen war so mit Drachen, Minotauren und Kettchen verziert, daß der winzige Niet nicht auffallen würde. Flint machte sich gleich an die Arbeit und schob die Medaille der Stimme beiseite, während Tanis und Ailea den süßen Mais zubereiteten.

Der Magier war wenig gesprächig, was Flint auf Müdigkeit durch Schlafmangel zurückführte. Alles im Palast war von Tagesanbruch bis spät in die Nacht mit Vorbereitungen für das Kentommen beschäftigt.

»Haben Hügelzwerge auch ein Kentommen?« fragte Tanis. Flint nickte.

»Bei uns sind das die Vollbarttage, aber sie sind überhaupt nicht mit diesem Fest zu vergleichen«, sagte der Zwerg. »Welche Pflichten hast du bei Porthios’ Feier, Miral?« Flint trieb einen dünnen Stift durch das weiche Metall.

Miral zwinkerte und sah von seinem Platz auf Flints Kleidertruhe auf. »Bei der eigentlichen Zeremonie keine. Aber ich soll alle Leute koordinieren, die etwas für das Kentommen vorbereiten und zur Unterhaltung an den drei Tagen beitragen.«

»Was gehört da dazu?« fragte Tanis vom Kessel her.

Miral sah hinüber und lächelte matt. Das Weiße in seinen Augen war blutunterlaufen, was in seltsamem Kontrast zu seiner fast farblosen Iris stand. »Fünf Dutzend Näherinnen säumen Fahnen«, (die tatsächlich bereits auf Fahnenstangen entlang der Hauptstraßen durch Qualinost aufgezogen wurden) »und drei Dutzend Schwertkämpfer üben einen Schaukampf ein, bei dem mir schon vom Zusehen angst und bange wird. Ich wundere mich nur, daß sie sich noch nicht gegenseitig aufgeschlitzt haben, und ich werde sprachlos sein, wenn Kith-Kanans Mosaik im Amphitheater nach der Vorführung ohne Blutflecken ist.«

Flint warf dem Magier einen mitleidigen Blick zu, als Miral weiter aufzählte. »Zehn Jongleure und zwanzig Harlekine haben sich im Palast breitgemacht«, beschwerte er sich. »Könnt ihr euch den Lärm vorstellen. Dazu vierzehn Akrobaten. Eine davon wollte ihren Hochseilakt vierhundert Fuß hoch im Sonnenturm zeigen!«

»Das gestattet Ihr natürlich«, sagte Ailea, als sie einen perfekt gekochten Kolben aus dem kochenden Wasser fischte.

»Natürlich nicht«, widersprach Miral, der dann stutzte. Die Hebamme hatte gescherzt. »Aber es reicht nie, einfach nein zu sagen. Jeder Elf hat zweihundert Gründe, warum sein Fall anders liegt, warum ich ihm erlauben sollte, etwas zu tun, was kein anderer darf.« Der Magier lehnte sich an der Wand an. »Ich habe in den letzten zwei Wochen nie länger als drei Stunden am Stück geschlafen.«

»Willst du mit uns essen und dann hier ein Schläfchen machen?« fragte Flint und wies mit dem Kästchen auf sein Feldbett. »Wir können leise sein, wenn es sein muß.«

Miral schüttelte den Kopf. »Ich muß mich mit einer Sängertruppe treffen. Sie wollen wissen, warum sie nicht direkt vor dem Kentommen obszöne Lieder in der Rundhalle des Turms singen dürfen – ›um die Zuschauer aufzuwärmen‹, wie sie es ausdrücken.« Er stand auf. »Ich kann das Kästchen später holen.«

»Ist schon fertig – geht aufs Haus«, sagte Flint und reichte dem Zauberer das Silberkästchen. Der Zwerg öffnete die Läden wieder und hielt dann Miral die Tür auf. Der zog seine Kapuze tief ins Gesicht, dankte Flint, nickte Tanis und Ailea zu und machte sich dann auf den Weg zum Turm, den man über den Kronen von Flints Obstbäumen sehen konnte.

»Schlaf dich aus!« rief ihm Flint nach. Der Magier winkte, ohne sich umzudrehen. Dann ging er weiter, während der Zwerg die Tür schloß.

Mirals kurzer Besuch half den dreien, die Lähmung zu überwinden, die sie nach Tyresians Abgang erfaßt hatte. Der Zwerg nahm sein Werkzeug vom Tisch, und anstatt Trübsal zu blasen, wurden Flint, Tanis und Eld Ailea fast wieder ausgelassen, als sie an den Maiskolben mit Butter knabberten. Zum Schluß reichten sie ein Küchentuch herum, um sich die Hände abzuwischen, und lehnten sich zufrieden zurück.

»Ah«, sagte Flint, »wie meine Mutter immer sagte: ›Der Weg zum Herzen eines Zwergs geht über seinen Teller.‹«

»Aha?« machte Tanis und stieß den Zwerg in die Seite. »Und was hat deine Mutter noch so alles gesagt?«

Flint lachte. »Sie hatte für jede Gelegenheit ein Sprichwort. ›Zu viele Köche verderben den Brei‹, sagte sie und befahl meinen dreizehn Geschwistern und mir, den Stall auszumisten. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich wußte, was dieses Sprichwort wirklich bedeutete. Für mich hat es sich immer wie ein Zwergengesetz angehört.«

Ailea lachte und wischte sich nacheinander ihre langen Finger an dem Tuch ab. »Was hat sie noch gesagt?«

Flint lehnte sich zurück. »Ich weiß noch, wie ich mich einmal beschwerte, weil mich eins von den Kindern in der Dorfschule piesackte. Sie hat mir den Kopf getätschelt und gesagt: ›Keine Sorge, Flinti. Ein fauler Apfel verdirbt nicht den ganzen Kessel Fisch.‹«

Flint sprach mit Fistelstimme, als er seine Mutter zitierte, und Tanis lächelte. Aber der Gesichtsausdruck des Halbelfen blieb nachdenklich. »Wie sieht sie aus?« fragte er. »Ist sie hübsch?« Eld Ailea warf einen weisen Blick auf den Halbelfen, dann auf den Zwerg, doch der schien nichts zu merken.

»Oh«, sagte Flint, »ich glaube, deine großen, schlanken Elfenfreunde würden sie nicht für hübsch halten, aber wir vierzehn Gören finden sie genau richtig. Klar, sie hat ein bißchen zugelegt…«

»Krieg du mal vierzehn Kinder, und dann schau, was mit deiner Figur passiert«, warf Ailea ein.

»… doch sie hat ein liebes Gesicht, und sie kocht einfach göttlich. Und zwar schöne, große Portionen.« Flint streichelte seinen vorstehenden Bauch. Dann wurde er rot, setzte sich gerade hin und versuchte, seinen Wanst einzuziehen. Ailea grinste breit.

»Wie ist denn dein Vater so?« fragte Tanis.

»Ach, Junge, mein Vater starb, als ich noch nicht erwachsen war. Schwaches Herz. Liegt bei den Feuerschmieds in der Familie, zumindest bei den Männern.«

»Deine arme Mutter«, sagte Ailea leise.

Flint nickte. »In den Jahren nach Papas Tod hat sie die Familie zusammengehalten. Meinen großen Bruder Aylmar hat sie in Papas Schmiede gestellt – und gelegentlich, bei leichteren Sachen, auch selbst dort gearbeitet.«

Ailea stand leise auf und legte die Eßteller in das siedendheiße Wasser, in dem sie den Mais gekocht hatten. Als Tanis die Augenbrauen hochzog, sagte sie lächelnd: »Wozu Wasser verschwenden? Da drin werden die Teller prima sauber.« Dann setzte sie sich wieder und winkte Flint zu, fortzufahren.

»Ich bin als zweiter zur Welt gekommen«, sagte der Zwerg träumerisch. »Nach Papas Tod übertrug Mama mir die Verantwortung für den Viehstall. Ich erinnere mich an einen Frühlingsmorgen in Hügelheim, wo ich aus dem Viehstall kam, um dem verdammten Käsegeruch zu entfliehen, und dann ließ ich meinen Blick über die Hügel und den Nadelwald um mich herum schweifen.« Er seufzte.

»Qualinost ist schön, Junge, aber Hügelheim auch. Trotzdem war es nur ein winzig kleines Dorf, das ich schließlich verlassen habe. Ich wollte etwas von der Welt sehen.«

»Ich würde es gern eines Tages besuchen«, sagte Tanis und hakte dann nach: »Und deine Mutter…?«

Flint runzelte nachdenklich die Stirn. »Oh, ich stand da in der offenen Stalltür, genoß die Sonne und das Wetter und die Bäume und die grünen Berge, als Mama herauskam und schimpfte«, – er sprach wieder mit Fistelstimme – »›Flint Feuerschmied, schlag bloß nicht die Stalltür zu, sobald der erste Vogel seinen Wurm hat!‹« Er kicherte in sich hinein. »Ich dachte mir, daß sie mich wohl wieder an die Arbeit schicken wollte.«

Er stand auf, reckte sich und ging zu dem kochenden Wasser, um mit seiner Eisenzange die Teller herauszuholen. »Einmal«, sagte er und wendete sich wieder seinen Gästen zu, »als meine kleine Schwester Fidelia sich darüber beklagte, wie arm wir wären und wie viel die Kinder des Bürgermeisters hätten, sah meine Mutter uns alle an und sagte: ›Oh, das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Zauns.‹«

Eld Ailea und Tanis warteten auf die Pointe, aber Flint winkte mit der Zange und sagte: »Wir waren sprachlos. Wir konnten wirklich nichts sagen. Sie hatte einfach recht!«

Er machte eine Pause, wobei er immer noch die Zange festhielt. »Dann weiß ich noch, daß wir alle vierzehn anfingen zu lachen. Wir konnten nicht mehr aufhören. Ich weiß noch, wie Aylmar rücklings auf dem Steinboden lag, sich die Seiten hielt und kicherte, bis er keine Luft mehr bekam. Sogar mein Bruder Ruberik, der normalerweise so viel Humor hat wie ein Amboß, schnappte nach Luft, weil er so lachen mußte. Als wir zu uns kamen, merkten wir, daß Mama draußen in der Küche war, wo sie wütend vor sich hin brummelte und mit den Kesseln hantierte. Sie hat tagelang nicht mehr mit uns geredet. Und, was schlimmer war, sie hat nicht gekocht!«

»Was habt ihr gemacht?« fragte Ailea.

»Aylmar und ich haben uns in die Schmiede gestellt. Wir haben ein Schild für sie gemacht. Wir bogen dünne Eisenstäbe zu Worten und machten sie an einem Stück Scheunenholz fest. Dann haben wir es ihr über die Feuerstelle gehängt. Darauf stand…« Er fing plötzlich an zu glucksen. »Da stand…« Flint hustete und wischte sich die tränenden Augen.

»Da stand…?« bohrte Tanis nach.

»›Meiden bringt Leiden.‹«

Tanis grinste.

»Sie hat es geliebt«, sagte Flint. »Puh, sie hat es einfach geliebt.«


Die drei beschlossen, daß es trotz Flints drängendem Termin ein zu schöner Tag war, um im Haus zu bleiben. Darum packten sie die tragbaren Teile von Flints Werkzeug ein und wanderten zu den Bergen im Süden von Qualinost. Während die zwei Flüsse die Stadt von drei Seiten her schützten, lag im Süden ein bewaldeter Hang, der zu einem Grat aus malvenfarbenem Granit anstieg. Auf der gegenüberliegenden Seite fiel der Grat in einer schroffen Klippe tausend Fuß tief ab. Tanis überredete Flint zu dem Weg, der nicht allzu steil war, indem er ihm versicherte, daß man von oben einen fabelhaften Ausblick auf die Berge von Thorbardin hätte, die alte Heimat von Flints Volk.

»Ein bißchen Bewegung kann einem Zwerg nie schaden«, erwiderte Flint da und ging voraus. Deshalb war er der erste, der jenseits eines wogenden, grünen Bäumemeers die scharf gezackten Berge von Thorbardin erblickte, die fast wie dunkle Segelschiffe am Horizont aussahen.

Er fand ein bequemes Plätzchen am Fuß eines Baums, wo er mehrere Stunden damit verbrachte, die Intarsien in die Medaille einzusetzen, und beinahe damit fertig wurde. Tanis und Eld Ailea gingen inzwischen spazieren, unterhielten sich und sammelten Kräuter für die Duftöle und Tränke der Hebamme.

Einige Stunden später – die Dämmerung kroch bereits über die Stadt – ging Flint allein durch den Espenhain und die Obstbäume zu seinem Laden. Tanis begleitete die Hebamme nach Hause. Flints Haus war natürlich dunkel. Wegen der Sommerhitze und weil bei diesem Teil der Arbeit an der Medaille das Material kalt sein mußte, brannte schon seit Tagen kein Feuer mehr in der Esse.

Die Blüten der Winden an der Tür hatten sich angesichts der Dämmerung schon fest geschlossen, doch einer der jungen Rosenbüsche, die Flint neben die Veranda gepflanzt hatte, begann gerade zu blühen. Flint pflückte eine der blaßgelben Blüten und atmete ihren Duft ein. Dann seufzte er. Es war nicht gut, wenn man die kleinen Freuden des Lebens vergaß. Abgesehen von dem Zwischenfall mit Lord Tyresian war es ein schöner Tag gewesen.

Vielleicht war heute abend ein Krug Bier angebracht – für Flint die schönste der kleinen Freuden des Lebens. Mit diesem Gedanken im Kopf öffnete er die Haustür und wollte eintreten, wobei er die Rose in seinen Fingern drehte.

»Autsch!« sagte Flint auf einmal und ließ die Rose fallen. Er hatte sich an einem Dorn gepiekst und steckte den Finger in den Mund, um an dem Stich zu saugen. »So viel also zu den kleinen Freuden«, schmollte er, den verwundeten Finger noch im Mund. Dann bückte er sich, um die Rose aufzuheben, diesmal aber auf die Dornen zu achten.

Als er sich gerade wieder aufrichten und hineingehen wollte, fiel ihm etwas auf. Es war ein dünner, schwarzer Faden, der etwa einen Schritt weit von der Tür entfernt im Raum lag. Da Flint normalerweise auf einen sauberen – wenn auch nicht aufgeräumten – Laden Wert legte, griff er nach dem Faden, um ihn aufzuheben.

Der Faden schien irgendwo festzuhängen.

»Zum Kuckuck!« schimpfte er und zog fester.

Plötzlich klickte etwas leise, und aus purem Überlebensinstinkt warf sich Flint mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Noch im Fallen sah er etwas Helles durch den Raum zischen. Es raste über seinen Kopf hinweg und blieb deutlich hörbar in der Holztür stecken.

Flint schluckte. Er zwang sich, herumzurollen und – immer noch liegend – die Tür hinter sich zu untersuchen. Tief im Eichenholz, genau auf Brusthöhe eines stehenden Zwergs, steckte ein Dolch mit Ledergriff.

»Reorx!« flüsterte Flint. Vorsichtig erhob er sich auf die Beine, wobei er auf jedes plötzliche Geräusch achtete, das vielleicht einen zweiten Angriff ankündigte. Seine Knie zitterten, obwohl er ihnen befohlen hatte, das zu lassen. Er griff nach dem Dolch und zog ihn aus der Tür. Seine Spitze glänzte bösartig im schwächer werdenden Tageslicht. Wenn er in den Laden gekommen und mit dem Stiefel auf den Faden getreten wäre, wäre der Dolch nicht in die Tür, sondern in Flints Herz gedrungen.

Warum sollte ihn jemand umbringen wollen?

Flint drehte sich um und wollte über den Faden in seinen Laden gehen, doch genau in dem Moment gab es ein leises Schnappen, das den Zwerg an einen einrastenden Mechanismus erinnerte.

Bevor er auch nur aufschreien konnte, sauste ein weiterer Dolch durch die Luft direkt auf den Zwerg zu.

»Flint, du alter Türknopf«, sagte er heiser und taumelte rückwärts gegen die Tür, wobei er das Messer umklammerte, das sein blaßblaues Hemd an der Schulter durchbohrt hatte. Blut sickerte ihm durch die Finger und befleckte den Stoff. »Das hättest du dir doch denken können…«

Er sackte gegen die Tür und rutschte stöhnend auf den Boden. »Du alter Türknopf…«, flüsterte er noch einmal. Dann fielen ihm die Augen zu. Als die Nacht ihren Mantel über die Stadt breitete, lag Flint reglos da.

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