Vom Himmelssaal aus schaute Tanis dem Sonnenaufgang zu. Die blassen Strahlen glänzten auf dem Sonnenturm wie Kupfer und blitzten feurig über die Kristall- und Marmorgebäude der Stadt. Als die Sonne sich vom Horizont löste, brach sie durch eine ferne, dunkle Wolkenbank, die tief am Himmel hing. Die Sonne setzte die Wolken in Brand. Die Wolken wirkten dunkler als am Vorabend. Tanis machte sich auf den Rückweg zum Palast und ging direkt zum Stall, wo Belthar, sein dreijähriger brauner Hengst, stand.
Vor dem grauen Granitstall hatte sich bereits der Adel von Qualinost versammelt. Tyresian, der schwarze Lederhosen und einen stählernen Brustpanzer trug, schrie Ulthen von seinem Hengst Primordan aus Befehle zu. Miral lehnte an einer Stallwand. Vom Gürtel der roten Tunika mit Kapuze, gegen die er seine gewöhnliche Robe getauscht hatte, baumelten Beutel mit Zaubermaterial. Die knielange Tunika war in der Mitte geteilt, damit der Magier bequem reiten konnte. Mehrere andere Adlige, deren Namen Tanis nicht einfielen, unterhielten sich in einem Grüppchen links von der Stalltür. Daneben sattelte Litanas dem Magier seinen Wallach. Porthios stand etwas abseits. Er sah zu, sagte aber wenig. Sein Bruder Gilthanas, in seiner schwarzen Wachuniform, ahmte seine Haltung nach, was Porthios offensichtlich nicht paßte. Tanis nickte seinen Cousins zu, als er den Pferdestall betrat, um Belthar zu holen. Als er den Hengst auf das Pflaster vor dem Hof führte, sah er Xenoth vom Palast kommen und Flint auf Windsbraut von Süden heranreiten. Tanis’ Schwert hing an seiner Seite. Auf der anderen Seite des Packtiers war die Streitaxt des Zwergs befestigt.
»Na, das ist doch ein denkwürdiges Paar – ein Zwerg auf einem Maultier und ein Elf, der wahrscheinlich so alt ist, daß er Kith-Kanan noch gekannt hat«, rief Ulthen Gilthanas zu, der seinen Bruder ansah und dann schnell ein Lächeln unterdrückte. Porthios wirkte verärgert. Tanis blieb beim Erben der Stimme stehen, hielt Belthar an den Zügeln und wartete, daß Flint ihm sein Schwert brachte.
Lord Xenoth erreichte den Stall als erster. Seine knöchellange Robe von der Farbe der Sturmwolken, die sich über ihren Köpfen zusammenbrauten, flatterte ihm um die Beine. Er fragte Tyresian, wo er sich ein Pferd leihen könnte; der Berater besaß anscheinend kein eigenes.
»Bei den Göttern, in diesem Aufzug muß Xenoth wohl im Damensitz reiten!« zischte Porthios Gilthanas und dem Halbelfen zu. »Selbst Laurana reitet rittlings. Los, hilf ihm, Tanis. Er kann die Stute Image reiten.«
Tanis gab Gilthanas die Zügel und ging hinüber, um Lord Xenoth zu helfen. Trotz des Durcheinanders der letzten Tage, und obwohl er wußte, daß die Freiwilligentruppe eine mörderische Bestie suchen würde, die bereits mehrere Elfen umgebracht hatte, war er glücklich, an der Jagd teilnehmen zu können. Der Halbelf merkte, wie aufgeregt er war. Weder Tyresian noch Porthios hatten ihn je eingeladen, an einer ihrer Hirschjagden teilzunehmen – die waren für den höchsten Elfenadel reserviert –, aber diesmal konnte Tyresian ihn nicht abweisen. Tanis schloß die Augen, während er sich vorstellte, wie die Zweige grün und verschwommen an ihm vorbeipeitschen würden, während er über die Waldwege galoppierte. Es würde herrlich sein.
Im düsteren Licht des Stalls blickte Xenoth in eine Box nach der anderen. Anscheinend suchte er ein passendes Reittier für sich – beziehungsweise passend für den Reiter, der er vor Jahrzehnten einmal gewesen war. Tanis ging zur Box von Image und rief ihren Namen. Der gescheckte Kopf der alten Stute tauchte in der oberen Hälfte der Doppeltür auf. Sie war ein freundliches Tier und wieherte leise zur Begrüßung; sie und Tanis waren alte Freunde, und jetzt stellte sie die Ohren auf und guckte, ob er Äpfel oder andere Köstlichkeiten in der Tasche hatte. Er zog eine Möhre aus der Tunika, brach sie halb durch und bot sie ihr auf der flachen Hand an. Er sah zu, wie ihre weichen Lippen die Nascherei suchten, wie sie sie krachend zermalmte und schnuppernd nach der zweiten Hälfte verlangte.
»Tut mir leid, die andere Hälfte ist für Belthar«, sagte er. Dann wurde er lauter. »Lord Xenoth. Hier ist Euer Pferd.«
Xenoth stand am anderen Ende des Stalls, an der Box von Allianz, einem riesigen Schlachtroß, das selbst Tyresian kaum beherrschte. Der Berater schüttelte den Kopf, wobei sein silbernes Haar im grauen Licht glänzte, und zeigte auf das gewaltige Tier. »Ich reite den hier«, sagte Xenoth. »Sattle ihn mir.«
Allianz warf den Kopf über die Trennwand, wobei seine Zähne nach der verschrumpelten Hand des Elfen schnappten. Xenoth sprang mit einem Aufschrei zurück. Tanis führte kopfschüttelnd Image heraus, und ein Stallbursche kam eilig herbei, um das Pferd zu satteln.
»Nehmt Image«, erwiderte Tanis. »Sie ist ein gutes, braves Pferd.«
Xenoths Gesicht lief rot an vor Zorn. »Willst du etwa sagen, ich könnte dieses Pferd nicht reiten?« Wieder zeigte er auf Allianz, der aufgebracht nach dem Leckerbissen schnappte, den der Berater vor seinem Kopf herumschwenkte.
Tanis seufzte und ging zu ihm. »Ich sage nur, daß nicht einmal Kith-Kanan persönlich mit diesem Pferd fertig werden würde.« Er hörte Schritte hinter sich und erriet, daß Xenoths schrille Stimme die Aufmerksamkeit der anderen Freiwilligen auf sich gezogen hatte.
Xenoths blaue Augen quollen etwas hervor, und seine Stimme zitterte. »Ich war früher einer der besten Reiter, Halbelf.«
»Das glaube ich Euch gern, Lord Xenoth.« Tanis versuchte, ruhig und leise zu sprechen. Was für ein durchgedrehtes Pferd gut war, mußte auch bei einem hysterischen Elfen helfen. »Aber jetzt habt Ihr nicht einmal ein eigenes Pferd. Es ist eine Weile her, seit Ihr zum letzten Mal geritten seid. Warum wollt Ihr nicht mit einem etwas… zugänglicheren… Tier beginnen?« Er hörte ein gedämpftes Prusten hinter sich. Seine Haare sträubten sich, als ihm klar wurde, daß sich ein größeres Publikum versammelt hatte. Um das Schauspiel schnell zu beenden, legte Tanis dem Berater die Hand auf den Arm.
»Laß mich los!« schrie Xenoth. »Ich lass’ mich doch nicht von einem… einem Halbelfenbastard mißhandeln!«
Einige der Elfen hinter Tanis holten erschrocken Luft, andere fingen an zu lachen. Tanis merkte, wie seine Brust sich verschnürte und sich seine Hände zu Fäusten ballten. Er ging einen Schritt auf den Berater zu, der furchtsam die Augen aufriß. Hinter Xenoth fletschte Allianz wieder die Zähne.
»Tanis. Lord Xenoth.« Die Worte ertönten in einem Bariton, der keine Widerrede zuließ. Tanis drehte sich um.
Es war Porthios. »Tanis, geh zu deinem Pferd. Xenoth, Ihr werdet Image reiten, oder Ihr werdet nicht an dieser Jagd teilnehmen.«
Porthios stand wie ein Rachegott da, und seine goldgrüne Jagdkleidung glitzerte wie die offizielle Robe der Stimme. Seine Augen funkelten vor Zorn. Die anderen Höflinge wichen etwas beschämt zurück. Porthios wartete, bis Xenoth von Allianz zu Image gegangen war, die inzwischen gesattelt war. Tanis drängelte sich zwischen Ulthen und Miral hindurch und lief zur Stalltür. Porthios’ Stimme jedoch hielt ihn auf.
»Tanis«, sagte der Erbe der Stimme. »Es tut mir leid.«
Der Halbelf wartete, ob Porthios noch etwas sagen wollte. Dann zuckte er mit den Schultern und ging nach draußen zu Belthar.
Eine halbe Stunde später waren die Freiwilligen soweit. Xenoth saß auf Image. Die Roben des Beraters bauschten sich um seine Oberschenkel auf und enthüllten lange, dünne Beine in engen, schwarzen Hosen. Xenoth, der tatsächlich den Eindruck eines ganz passablen Reiters machte, hielt sich ans Ende der Gruppe. Tyresian, Porthios und Gilthanas standen vorn.
Tanis’ Hengst tänzelte auf dem taunassen Kopfsteinpflaster herum und schnaubte. In der kalten Luft war sein Atem zu sehen. »Bist du sicher, daß du nicht lieber ein Pferd reiten willst, Flint?« fragte der Halbelf.
»Du weißt genau, daß ich das nicht kann«, sagte der Zwerg mürrisch. Er hatte nur drei Stunden Schlaf gehabt und sah blaß und müde aus. »Ich habe eine fürchterliche Ang… äh, Allergie gegen Pferde.«
Zum Beweis nieste der Zwerg lautstark, um dann trompetenartig in sein Taschentuch zu schnaufen. Tanis’ Pferd wieherte, anscheinend als Antwort.
»Ja, wer hat dich denn gefragt?« meinte Flint hitzköpfig und funkelte Belthar an. Der Hengst rollte mit dem Augen, bis man das Weiße darin sah, legte die Ohren an und schnappte nach Flint.
»Schluß jetzt, ihr zwei«, sagte Tanis und zog an den Zügeln. »Das reicht.«
Das Pferd schnaubte wieder, wie um zu sagen, daß es die Eigenarten von Zwergen keineswegs verstand. Tanis ging es mitunter ebenso.
Tanis warf einen Blick auf die anderen Höflinge und jungen Adligen, die im zunehmend helleren Licht ihre Pferde bestiegen, ihm jedoch nur wenige Beachtung zollten. Höchstwahrscheinlich sahen sie seinen Streit mit Xenoth als weiteren Beweis seines menschlichen Temperaments, obwohl Tanis beim besten Willen nicht behaupten konnte, daß Xenoth selbst elfische Kühle an den Tag gelegt hatte.
Dennoch spürte er, wie seine Aufregung wuchs. Egal was in den letzten Tagen geschehen war, endlich konnte er mal mit den anderen ausreiten…
Er betrachtete die versammelten Elfen. Tyresian saß stolz und gerade auf seinem Pferd. Seine Hände, die die Zügel hielten, steckten in schwarzen Handschuhen. Porthios saß neben dem Elfenlord im Sattel seines grauen Rosses, und Gilthanas wartete gleich hinter ihnen auf einer Rostschimmelstute, einem hübschen Tier mit schönen Beinen und einem fein geschnittenen Kopf.
Dann tönte der Klang einer Trompete melodisch durch die klare Luft, und Tanis saß auf und lenkte Belthar zu den anderen hin. Tyresian blickte kurz zu ihm hin, wirkte aber nicht interessiert und konzentrierte sich wieder auf seine Begleiter.
Tanis überprüfte die Pfeile in dem Köcher an seinem Knie. Nachdem er Flint heute nacht verlassen hatte, hatte er eine ganze Stunde damit zugebracht, die stählernen Pfeilspitzen, die der Zwerg extra für ihn gemacht hatte, an Schäften zu befestigen. Das harte Metall war womöglich genau das, was man gegen die Schuppenhaut eines Tylors brauchte. Dann steckte Tanis Flints Schwert in die Scheide an seiner Seite. Es war unbequem – ein Kurzschwert oder gar ein langer Dolch waren viel üblichere Jagdwaffen, um beispielsweise einen Hirsch zu töten, den man mit einem Pfeil niedergestreckt hatte. Aber sie waren hinter einer blutrünstigen Echse her, die mehrmals so groß war wie ein Elf. Wer konnte wissen, welche Waffe die Jäger am besten gebrauchen konnten?
Außerdem war Tanis einfach stolz auf das Schwert. Die Glocke, der Schutz für die Hand, glänzte kühl im Licht der Morgendämmerung und glich silbernen Rauchfäden, die plötzlich erstarrt waren. In der Mitte der Glocke…
»Flint!«
Der Zwerg blickte auf.
»Du hast ja das Amulett meiner Mutter an der Glocke des Schwertes befestigt«, sagte Tanis. Tyresian und Miral sahen zu dem Halbelfen hin.
Der Zwerg klang verdrießlich. »Nun, das habe ich Ailea schließlich versprochen, oder? Hat mich mitten in der Nacht zwei Stunden Arbeit gekostet. Löcher in den Griff und in den Anhänger bohren – muß schon sagen, das hat mir bald das Herz gebrochen – und dann ein Kettenglied durch beide ziehen.« Er schnaufte. »Erstaunlich, was ich alles für eine Maid in Bedrängnis tue.«
Tanis lächelte achselzuckend. Die Hebamme war schon geraume Zeit keine »Maid« mehr, aber er vermutete, daß der Zwerg sich ein bißchen in Eld Ailea verguckt hatte, obwohl sie mehrere hundert Jahre trennten.
Tyresians Stimme unterbrach das Gespräch. »Sind alle fertig?« fragte er ruhig. Tanis mußte es dem Elfenlord lassen; er war der geborene Anführer.
Der Halbelf legte die Hand auf sein Schwert. Außer dem Schwert und dem Köcher voll Pfeile, der griffbereit bei seinem rechten Knie hing, trug er seinen Kurzbogen auf dem Rücken und hatte eine Feldflasche mit Wein dabei, falls das Untier jemanden verletzte. Tanis überprüfte alles und nickte dann. Er war fertig.
Ein Elfenlord, der zu denen gehörte, deren Namen Tanis entfallen waren, lenkte sein Pferd vor die versammelte Gruppe, um einen Segen für die Jagd zu sprechen. Es war ein dünner Elf mit scharfen Zügen und harten, grauen Augen.
»Wir beten heute zu Kiri-Jolit, dem Kriegsgott des Guten«, sagte der grauäugige Elfenlord, während die Freiwilligen die Köpfe senkten. »Wir bitten ihn, uns beizustehen, wenn wir jetzt auf die Suche gehen und dieses schreckliche Tier stellen, das unser Land bestohlen und so viele unserer lieben Elfen getötet hat.«
Tanis hörte Flint neben sich schnauben. »Das Tier hätte auch beinahe einen ihrer ›lieben Zwerge‹ getötet, erst vor vier Tagen«, murrte er. Tanis brachte den Zwerg zum Schweigen.
»Wir bitten auch um die Gunst von Habbakuk, Gott der Tierwelt. Möge Deine Kenntnis der Wildnis und Dein Wissen um die Harmonie der Natur heute mit uns sein. Und wenn einer von uns nicht heimkehrt, so mögest Du, Habbakuk, seine Seele zu dir nehmen. So sei es.«
»So sei es«, wiederholten die anderen.
Dann wiederholte der Trompeter sein Zeichen, und die Jäger setzten ihre Reittiere in Gang und lenkten sie durch die Straßen von Qualinost zum Westrand der Stadt. Sie passierten den Wachturm an der Südwestecke der Stadt, wo zwei der Brücken, die Qualinost begrenzten, sich zur Erde neigten, und ritten dann an dem riesigen Bauwerk vorbei zum Fuß der langen Brücke, die den Abgrund mit dem Ithal-Inen, dem Fluß der Hoffnung, überspannte. Genau am Rand der Schlucht machten sie halt. Weit rechts und außer Sichtweite war, wie Tanis wußte, das Plateau, der Kentommenai-Kath, wo er und Flint erst vor kurzem gepicknickt hatten. Tanis sah, wie Flint einen Blick in den fünfhundert Fuß tiefen Abgrund rechts von sich warf und Windsbraut ans Ende der Truppe zurückzerrte. Das Gesicht des Zwergs glänzte vor Schweiß.
Tyresian nickte dem Hauptmann der Palastwache zu, der sein Pferd einen Schritt nach vorn lenkte und die versammelten Freiwilligen laut mit den wichtigsten Informationen versorgte. Das Echo seiner Stimme kam aus der Schlucht zurück, während die Pappeln rauschten. Der Morgenwind war kühl, aber Tanis war vor Aufregung trotzdem warm.
»Der Tylor wurde zuletzt weit im Süden auf der Westseite der Schlucht gesichtet«, sagte der Hauptmann der Wache. Er zeigte nach links, und ein Dutzend Augenpaare folgte seiner Bewegung, als ob sie erwarteten, daß das Monster jeden Moment durch die Büsche brechen würde.
Als der Hauptmann fortfuhr, wandten sich die Blicke der Jäger ihm wieder zu. »Ihr müßt verschiedene Dinge bedenken: Zum einen ändert das Fleisch der Tyloren seine Farbe, um sich der Gegend anzupassen, wo sie gerade sind. Das ist eine äußerst wirkungsvolle Tarnung.«
Tanis, der Belthar zu Flint zurück dirigierte, bemerkte, wie der Zwerg etwas ängstlich eine nahe Eiche beobachtete, fast als ob er glauben würde, der Tylor könnte sich als Baum tarnen.
»Diese Wesen sind intelligent«, rief der Hauptmann. »Sie sprechen Gemeinsprache. Seid daher vorsichtig mit dem, was Ihr sagt. Ruft den anderen beispielsweise keine Strategie zu. Das Wesen wird Euch verstehen.«
Gilthanas zügelte auf der anderen Seite von Flint seinen Apfelschimmel. Der jüngere Sohn der Stimme trug das schwarze Lederwams der Palastgarde. Der Morgenwind blies ihm das goldene Haar aus der Stirn. Er sah Laurana sehr ähnlich, fand Tanis, sicherlich mehr als Porthios. Gilthanas hatte sich in den letzten Jahren ebenfalls stark verändert, allerdings nicht so stark wie Tanis. Dennoch war Gilthanas schon eher ein Elfenlord als ein Kind, und obwohl er in seiner Uniform klein aussah, saß er aufrecht und mit stolzen Augen auf seiner Stute.
»Dazu kommt«, sagte der Hauptmann, was Tanis’ Aufmerksamkeit wieder nach vorne lenkte, »daß Tyloren zwar am liebsten durch Bisse oder peitschende Schwanzschläge töten, aber auch zaubern können. Wenn sie einen Kampf verlieren, gehen sie oft außer Reichweite und benutzen Zaubersprüche. Mir wurde mitgeteilt, daß wir heute den Zauberer Miral zum Schutz gegen die Magie des Tylors dabeihaben.«
»Na, großartig«, murmelte Gilthanas. »Miral. Wir sind verloren.«
Unwillkürlich sah Tanis über Flint hinweg und grinste Gilthanas an, der – offensichtlich überrascht – das Lächeln erwiderte. Tanis merkte, daß er Gilthanas kaum mehr kannte. Die beiden waren als Kinder so viel zusammen gewesen, aber sie waren erwachsen geworden und hatten nur noch wenig miteinander zu tun. Gilthanas hatte Tanis gemieden, um sich seinen Platz am Hof zu sichern und dort Freundschaft und Anerkennung zu finden. Und mit Porthios’ Hilfe hatte er beides erreicht.
»Tyloren«, gab der Hauptmann bekannt, »bewegen sich bei kaltem Wetter sehr langsam. Deshalb brechen wir heute so früh auf. Wir hoffen, das Tier in die Ecke treiben zu können, bevor es sich in der Sonne aufgewärmt hat. Und wie es aussieht, wenn man die Wolken betrachtet«, – mehrere Elfen murmelten Kommentare über die Gewitterwolken, die sich im Westen ballten –, »haben wir vielleicht das Wetter auf unserer Seite.«
Der Hauptmann salutierte vor Lord Tyresian, welcher die Geste erwiderte. Dann hob der Elfenlord einen Arm, und es kehrte Ruhe ein, während ihn die Jäger erwartungsvoll ansahen.
Blaßgelbes Licht strahlte am östlichen Horizont, aber im Westen war der Himmel dunkel, als würde dort noch die Nacht regieren. Der Sturm hatte sich bereits seit Tagen über den Bergen in der Ferne zusammengebraut, Kraft gesammelt, die Wolken höher aufgetürmt und an Dunkelheit zugenommen. Über Nacht hatte er sich nach Osten in Bewegung gesetzt und bedrohte das Land wie eine gewaltige, finstere Wand. In den Wolken zuckten Blitze, und Tanis konnte schon das leise Grollen des Donners in der aufgeladenen Luft wahrnehmen.
Da kam der Trompetenstoß, und Lord Tyresian winkte die Jäger auf die Brücke. Mit einem Schrei der Begeisterung trieben die Elfen ihre Pferde zu dritt nebeneinander auf die Brücke, und Tanis fiel unwillkürlich mit ein. Der Schrei löste sich einfach aus seiner Kehle, und er war so alt wie die Welt selbst, so alt wie Leben und Tod.
»Reorx rette mich«, sagte Flint leise zu sich selbst, als Windsbraut, Belthar und Gilthanas’ Stute sich der Brücke näherten. »Wenigstens bin ich in der Mitte. Junge«, dabei drehte er sich plötzlich zu dem Halbelfen um, »du sagst mir aber, wenn ich gleich über den Rand kippe, ja?« Als Tanis nickte, senkte der Zwerg sein Gesicht. Gerade bevor seine Haare nach vorn fielen, um das Gesicht zu verbergen, sah Tanis noch, wie Flint die Augen zukniff.
»Was ist mit ihm?« fragte Gilthanas in scharfem Ton.
»Ist er krank?«
Tanis schüttelte den Kopf. »Ein kurzes Gebet. Ein religiöser Brauch bei den Zwergen.« Er sah ein Lächeln über Flints kantige Züge huschen. Nach einiger Zeit folgte dem Lächeln ein hörbarer Seufzer der Erleichterung, als die Hufe der Pferde nicht mehr auf Holz, sondern auf die festgetretenen Steine an der Westseite der Schlucht traten.
Im grünen Wald war die Luft vom frischen Duft der Pinien und Pilze erfüllt, ein fast heilsamer Geruch, der Tanis’ Kopf klärte und seine Stimmung hob. Der Halbelf hörte jedes Rascheln der kleinen Waldtiere im Unterholz, sah deutlich den Umriß jedes Blatts vor dem Himmel über sich. Die Elfen trieben ihre Reittiere auf verschlungenen Wildpfaden immer tiefer in den Wald, und Baum auf Baum blieb hinter ihnen zurück.
Der Morgen blieb kühl. Gelegentlich nieselte es, während die Sturmwolken von Westen heranzogen. Fährtensucher der Palastwache ritten vor der Freiwilligenschar her, jedoch ohne Erfolg. Die einzigen Tiere, die die Jäger erblickten, waren Eichhörnchen, Streifenhörnchen und ein Waldmurmeltier, das vom Winterschlaf noch ganz abgemagert war. Die Hörnchen schossen sofort davon. Das Murmeltier spähte auf einem kleinen Hügel über einen Baumstumpf und ließ die Jäger vorbeiziehen.
Der Pfad war gerade breit genug für zwei Reiter nebeneinander. Stellenweise reichte das dichte Unterholz fast bis auf den Pfad. »Das gefällt mir nicht«, sagte Tanis zu Flint, der ihm zustimmte. Immer wieder glitt die Hand des Halbelfen zu seinem Schwert und strich liebevoll über die verbundenen Buchstaben »E« und »K« auf der Glocke.
Die Unterhaltungen der Jäger waren längst abgebrochen. Die einzigen Geräusche waren das gelegentliche Zetern der Vögel, das Knirschen der Ledersättel und das Schniefen eines allergischen Zwergs. Einmal nieste Flint, woraufhin Xenoth sich im Sattel umdrehte und »Psst!« zischte.
»Kann ich etwa was dafür?« gab Flint so leise zurück, daß es nur Tanis hören konnte.
Schließlich hob Tyresian einen Arm in die Höhe, und alle machten halt. Einer der Fährtenleser stand neben dem Pferd des Elfenlords. Seine eine Hand lag auf dem glänzenden Hals von Tyresians Hengst, die andere zeigte nach vorne. Die Nachricht wurde von einem zum anderen nach hinten durchgegeben.
»Sie haben die erste Spur gefunden!« flüsterte Gilthanas Tanis und Flint zu. Der Zwerg packte die Zügel so fest, daß seine Knöchel weiß wurden.
»Was denn?« fragte Tanis.
Die Antwort wanderte durch die Reihe wie beim Kinderspiel »Weitersagen«: Nur wenige Stunden alte Spuren mit fünf Zehen im feuchten Boden, vier Zehen zeigten nach vorn, eine nach hinten. Das Tier war eindeutig auf Nahrungssuche.
»Und schon sind wir da«, bemerkte Flint griesgrämig, während er sich nach allen Seiten umsah und seine Streitaxt wie einen Talisman festhielt. »Mittagessen.«
»Werden wir den Tylor nicht kommen hören?« fragte Tanis.
»Nicht unbedingt«, antwortete Flint. »Er liegt vielleicht auf der Lauer.«
Die Freiwilligen ritten jetzt mit ernsten Gesichtern einzeln hintereinander. So würde das Monster weniger Jäger erwischen, wenn es plötzlich aus dem Unterholz brach. Sie ritten zügig weiter, aber jeder Mann hielt eine Waffe bereit. Die meisten Elfen hatten Kurzschwerter.
Die Mittagszeit verstrich, ohne daß die Jäger es registrierten. Sie hatten keine Zeit, an Essen oder Rast zu denken. Eine ganze Zeitlang hatten sie die Spur verloren, aber nach einer Stunde Suchen fanden sie sie wieder. Jetzt war sie frischer als vorher. Die Jäger trabten einen engen, matschigen Pfad entlang, um die Fährte zu verfolgen. Tanis mußte sich alle paar Sekunden bücken, um den tiefhängenden Zweigen auszuweichen.
Plötzlich bäumten sich die Pferde an der Spitze auf, weil ihre Reiter fest an den Zügeln gerissen hatten.
»Was ist los?« zischte Flint hinter Tanis.
Der Halbelf stellte sich in seinen Steigbügeln auf. Der Pfad führte auf eine Lichtung. Xenoth gestikulierte mit den Armen, während der Ratgeber wild auf Porthios und Lord Tyresian einredete, die ungerührt geradeaus blickten, als wenn Xenoth überhaupt nicht da wäre.
Gilthanas drehte sich im Sattel um und beantwortete Flints Frage. »Da vorne ist ein Graben. Xenoth will ihn umgehen. Tyresian meint, wir könnten drüber hinwegspringen.«
»Springen?« erkundigte sich Flint sofort. »Mit einem Maultier?« Er war entsetzt.
Tanis lenkte Belthar um Gilthanas herum, trieb das Tier nach vorn, wobei er die ärgerlichen Blicke der anderen Jäger ignorierte, und grüßte Tyresian und Porthios. Die drei begutachteten den Graben: zwei Elfen tief und die Wände zu steil für Pferde oder Elfen. Reste einer Brücke lagen zersplittert auf dem Boden des Grabens.
»Das ist nicht sehr breit«, sagte Tyresian.
»Wir könnten drüberspringen«, stimmte Porthios zu.
»Die meisten Pferde würden den Sprung schaffen«, sagte Tanis, »aber was soll Flint machen?«
Tyresian sah sich nach hinten um, an den Jägern in Leder und Silber vorbei. Die Waffen der Elfen glänzten im Mittagslicht. Flint und Windsbraut am Ende der Schlange sahen wie die letzten aus einem ungewöhnlich großen Wurf Junge aus.
»Zurückbleiben«, erklärte Tyresian, dessen blaue Augen hart wurden. »Er wird schon einen Weg außen herum finden.« Porthios rutschte unruhig hin und her, wollte etwas sagen, schwieg dann aber.
»Einen Weg außen herum?« fauchte Tanis. »Dieser Graben erstreckt sich in beide Richtungen weiter, als wir sehen können!«
»Keiner hat den Zwerg gebeten mitzukommen«, erwiderte Tyresian. »Soll er umkehren.«
»Alleine? Wenn ein Tylor frei im Wald herumrennt?«
Die schönen Züge des Elfenlords wurden streng. »Du unterstehst bei dieser Operation meinem Kommando«, flüsterte Tyresian. »Außerdem bist du ein erstklassiger Schwertkämpfer und Bogenschütze, Halbelf.«
»Lord Tyresian«, sagte Porthios warnend, so daß der Befehlshaber sich zu dem Adligen umdrehte.
»Es sieht so aus, als säßen wir in der Sackgasse«, rief Tyresian. »Wir können diesen Graben überqueren und den Tylor aufspüren, der in diesem Teil von Qualinesti Elfen und Tiere umgebracht hat. Oder wir können in Schande umkehren.« Er nahm sich Zeit, die Elfen zu mustern und jedem einzelnen Teilnehmer ein paar Augenblicke direkt ins Gesicht zu blicken. »Wer will weitermachen?«
Die Gruppe schwieg eine Weile. Dann gab Gilthanas seiner Stute die Sporen, galoppierte an Tyresian und Porthios vorbei, ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen, und mit diesem Anlauf setzten Pferd und Reiter über den Graben, beschrieben einen Bogen in der Luft, und bei der Landung spritzten Erde und Steine auf. Gilthanas wendete und salutierte.
Ulthen, Litanas, Miral, Porthios und die meisten anderen folgten rasch Gilthanas’ Beispiel und warteten dichtgedrängt auf der anderen Seite des Grabens. Bald waren nur noch Tyresian, Tanis, Flint und Xenoth übrig. Tyresian zügelte sein nervöses Pferd und lächelte die drei hochmütig an. »Nun?«
Xenoth plusterte sich auf. »Lord Tyresian, Ihr könnt doch nicht im Ernst daran denken, uns hier zurückzulassen…«
»Dann kommt nach«, meinte der Elf ungerührt. »Ihr wart derjenige, der auf Allianz reiten wollte, Xenoth. Sicher seid Ihr Reiter genug, um über diesen Graben zu springen.«
»Aber diese Mähre kann – «
»Versucht es!« Tyresian schlug Image mit der flachen Klinge auf den Rücken. Das Pferd sprang los, Xenoth verlor die Zügel und klammerte sich an die Mähne, bis die Stute direkt vor dem Abgrund scheute und den Berater ohne Federlesens abwarf. Mühsam erhob sich Xenoth vom steinigen Boden, während Tyresian auf Primordan vorbeifegte, elegant über den Graben setzte und dann die Reiter auf der anderen Seite auseinanderstieben ließ. Danach führte der Elfenlord die Jäger weiter – alle bis auf einen.
Porthios wartete noch am Graben. Schließlich legte er die Hände an den Mund und schrie hinüber: »Alles in Ordnung! Reitet zum Palast zurück!« und folgte den anderen Freiwilligen.
»Tanis«, riet Flint. »Reite mit ihnen. Lord Xenoth und ich werden umkehren, wie er gesagt hat.«
»Was?« quäkte der Berater, der wieder aufgestiegen war. »Und ich bleibe mit einem Zwerg als Beschützer zurück?«
Flint schnaubte. »Beschützer, wie?« warf ihm der Zwerg vor. »Ich würde eher meine Windsbraut beschützen als Euch.«
Er tätschelte dem grauen Maultier den Hals. »Tanis, Belthar kann leicht über den Spalt setzen. Mach schon.«
Tanis kniff die Augen zusammen. »Wir werden uns nicht trennen. Sogar Xenoth könnte von Nutzen sein, wenn wir den Tylor treffen.«
Der Zwerg sah Xenoth nicht an. »Da rechne mal nicht mit«, sagte Flint. »Außer du denkst daran, ihn als Köder zu benutzen.« Er musterte den hageren Berater. »Aber selbst dann…«
Xenoth wendete und trieb Image an, um den steinigen Pfad nach Qualinost zurückzutraben. Flint und Tanis sahen wortlos zu. Als Xenoth schließlich um eine Biegung ritt, schrie Flint: »Reitet nicht zu weit voraus! Der Tylor könnte Euch allein erwischen!«
Der Berater hielt an. Seine braungesprenkelte Stute warf den Kopf herum und tänzelte aufgeregt seitwärts weg. Tanis runzelte die Stirn. »Da stimmt etwas nicht«, sagte er. »Sieh dir das Pferd an. Image ist kein nervöses Tier.«
Eine unheimliche, verfrühte Dämmerung senkte sich über den Wald, der für ihre Augen fast undurchdringlich war. Kein Windhauch bewegte die Espenblätter. Die Eichhörnchen und Streifenhörnchen waren verschwunden. Noch Augenblicke zuvor waren sie durchs Unterholz gesprungen und spielerisch die Pfade am Graben entlanggehüpft.
»Flint…«
Der Zwerg hielt bereits seine Streitaxt in der Hand. »Ich weiß, Junge. Keine Vögel. Keine Tiere. Als ob…« Er suchte die Umgebung ab und winkte Xenoth zurück.
Tanis beendete den Satz für ihn. »Als ob alle Tiere sich verkrochen hätten.«
Ein tiefes Grollen durchzog die Luft. Flint und Tanis wechselten einen Blick. »Donner?« fragte Tanis.
»Ich hoffe es«, erwiderte Flint.
Der Sturm brach los, als Xenoth auf halbem Weg zurück war. Noch dreißig oder vierzig Schritt trennten sie von ihm.
Aber der Sturm kam in Gestalt eines Tylors.
»Reorx!« brüllte der Zwerg. Die Büsche links neben Xenoth zitterten, und dann schoß ein graugrünes Etwas mit einer Gewalt, die Blätter und Zweige durch die Luft wirbelte, aus dem Unterholz. Der Berater kreischte, und Image brach zusammen, denn das wilde Tier hatte ihr mit einem einzigen Zuschnappen seines klaffenden Mauls den Hals gebrochen. Der Berater war abgeworfen worden und hart auf dem Rücken gelandet. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rollte er sich langsam herum, während das Monster damit beschäftigt war, das tote Pferd zu zerreißen. Xenoths Gesicht nahm einen entsetzten Ausdruck an, als er sah, was der Tylor mit dem Tier anstellte. Er sprang auf und rannte in Panik davon, weg von Tanis und Flint, direkt ins Unterholz.
»Xenoth!« schrie Tanis. Er sprang von Belthars Rücken, und Flint rutschte von Windsbraut. Ihre Reittiere donnerten den Weg zurück, wobei das Maultier um Längen voraus war.
»Xenoth ist da hinten sicherer, Junge«, rief Flint, der Tanis hinter den vermoderten Stamm einer umgestürzten Eiche zog. Zwischen dem Baum und dem Rand des Abgrunds lagen kaum sechs Fuß.
Der Tylor schob seinen schuppigen Körper ganz auf die Lichtung, erhob seinen spitzen, gepanzerten Kopf und brüllte herausfordernd. Dann stellte sich das Tier auf dem steinigen Boden auf, öffnete sein Maul und begann, magische Worte zu singen. Das Wichtigste dieser Worte war der Name »Xenoth«.
»Bei den Göttern!« Der Halbelf rutschte näher zu Flint. »Was macht er da?«
Anstatt die Frage zu beantworten, murmelte Flint: »Es ist ein intelligentes Wesen.«
»Können wir… Können wir mit ihm verhandeln?«
Flint griff nach seinem Arm. »Würde ich jetzt im Moment nicht empfehlen, Junge.«
Das Untier brüllte wieder und sang weiter. »Xenothi tibi, Xenothi duodonem, Xenothi viviarandi, toth«, rief es immer wieder.
»Flint, wir müssen die anderen rufen«, sagte der Halbelf.
»Ich glaube, das hat das Monster schon für uns getan«, antwortete der Zwerg, und er zeigte auf die andere Seite des Grabens. Tyresian, Miral und Litanas standen eng beieinander am Rand und wußten sich offenbar nicht zu helfen. Wenn sie über den Graben setzten, würden Pferd und Reiter nur zehn Fuß von dem Monster entfernt landen, also in Reichweite seines tödlichen Peitschenschwanzes. Schon jetzt hatte das nervöse Zucken der Bestie aus den Büschen hinter ihr halbkreisförmig Kleinholz gemacht.
Die drei Fuß langen Hörner auf dem Kopf des Tiers sahen gefährlich aus. Die gelben Augen waren halb geschlossen, als es weitersang: »Xenothi morandibi, Xenothi darme a te vide, toth.« Die Klauen seiner Vorderbeine scharrten auf dem steinigen Boden; Kies flog ins Unterholz.
»Reorx!« rief der Zwerg wieder aus.
Mit entsetzten, glasigen, grauen Augen trat Xenoth aus dem Unterholz auf die Lichtung. Er näherte sich dem Monster, denn er konnte seinem Ruf anscheinend nicht widerstehen. Das Singen wurde stärker. Einer der Adligen auf der anderen Seite des Grabens schrie vor Grauen auf. Tanis erhob sich. »Xenoth!«
Tyresian rief von drüben her: »Halbelf! Bleib, wo du bist!« Aber Tanis sprang über den Stamm und legte im Rennen einen Pfeil auf. Flint folgte ihm mit geschwungener Streitaxt.
Von der Schwanzspitze bis zu seiner schnabelartigen Schnauze war das Tier fast sechzig Fuß lang und war praktisch komplett mit harten Hornschuppen gerüstet. Tanis kniete sich hin, nahm den Bogen und zielte auf den Kopf des Tylors. Sein Pfeil ging in dem Moment los, als der dreißig Fuß lange Schwanz weit links von Tanis durch die Luft zuckte. Das rasiermesserscharfe Ende zerteilte eine junge Espe, um dann den Berater zu treffen. Xenoths Schrei erstarb in einem Gurgeln.
Die Worte »Beweg dich nicht, Tanis!« kamen von der anderen Seite des Grabens. Der Halbelf blieb, wo er war, schoß aber einen zweiten Pfeil auf den Tylor ab.
Plötzlich donnerten Hufe über die matschigen Steine neben Tanis. Miral in seiner roten Tunika jagte auf den Tylor zu und sang beim Reiten. Ein Blitz schoß aus seinen Fingern auf das Tier zu, noch während der Tylor einen neuen Spruch anstimmte.
Die folgende Explosion erschütterte die Lichtung und schickte Tanis und Flint zu Boden. Benommen sahen sie zu, wie der Rest der Jäger über den Graben setzte.
Die Schreie des Tylors gellten durch die Lichtung, während seine Klauen tiefe Kerben in die steinharte Erde rissen. Er versuchte, sich vor dem Pfeilregen, der sich jetzt von der Phalanx des Elfenadels über ihn ergoß, ins Unterholz zu retten. Tanis und Flint konnten nur dasitzen und zusehen.
Schließlich war der Tylor tot. Seine eine Seite war völlig verbrannt, überall in seiner Haut steckten Pfeile, und einer stak aus seinem Auge hervor. Er lag auf der Seite. Nur zehn Fuß von dem Untier entfernt lag Miral auf dem Bauch und richtete den Oberkörper auf. Sein Gesicht war schwarz vor Asche, und eine Hand blutete.
Xenoth lag mit dem Gesicht nach unten tot auf dem schlammigen Felsboden der Lichtung. Blut durchtränkte seine silberne Robe und sickerte in die Erde. Der peitschende Schwanz des Tylors hatte ihm die Brust zermalmt. Litanas, Xenoths Assistent, kniete sich neben ihm hin und rief etwas Unverständliches.
Dann sah es plötzlich so aus, als ob alle Elfen Tanis anstarrten. Selbst Flint schaute ihn mit ungläubigem Blick an. »Was ist denn?« fragte der Halbelf.
Litanas trat beiseite, damit Tanis es sehen konnte.
In Xenoths Herz steckte der Pfeil des Halbelfen.