8 Ein Wiedersehen

In einem Gästezimmer des Palasts ruhte der Zwerg in einer riesigen Badewanne unter Seifenschaum, der nach Blüten duftete, und verdaute glücklich das reichhaltige Mahl, das die Stimme ihm geschickt hatte – wilder Truthahn in Aprikosensauce und echtes Bier aus Solace aus Flints eigenen Satteltaschen. Alle Flaschen bis auf eine waren zerbrochen, und der wilde Ritt hatte den letzten Rest Bier sicher nicht verbessert, aber es war trinkbar, zumindest nach Flints Maßstäben.


Unten im Stall des Palastes wurde Windsbraut ebenfalls mit bestem Futter verwöhnt, wie Flint wußte. Das Tier, das anscheinend immer noch von den warmen Gefühlen während des Teleports mit Flint überwältigt war, hatte sich anfangs geweigert, sich von dem Zwerg zu trennen. Während Flint Solostaran und dem Rest des Hofstaats seine Geschichte erzählte und Xenoths Bericht hörte, daß andere Elfen in den letzten paar Wochen einen einzelnen, zauberkundigen Tylor westlich der Schlucht bemerkt hatten, folgte das graue Maultier dem Zwerg durch den Sonnenturm, stubste ihn zutraulich mit der Schnauze an und legte ihm das Kinn auf die Schulter, wobei es eigensinnig nach jedem austrat, der ihm zu nahe kam. Schließlich war es einverstanden, sich von Flint zu trennen, nachdem er es persönlich in den Stall geführt hatte, ihm eine Möhre und einen halben Pfirsich gegeben und es dem Stallknecht überlassen hatte, der es striegeln und füttern sollte.

Flint hatte seine Geschichte nur unterbrochen, als die Stimme einen Trupp Palastwachen zur Jagd nach dem Tylor abkommandierte. Die Suche war um so schwieriger, als der Zwerg nicht genau wußte, wo er angegriffen worden war. Er wußte nur, daß es auf einem Pfad mehrere Meilen vor Qualinost gewesen war, und daß er aufgrund seiner überstürzten Flucht durch das Unterholz nicht sagen konnte, wo er die Eiche gefunden hatte.

Die Stimme, die Flint nach einem solchen lebensgefährlichen Angriff nicht allein wissen wollte, bestand darauf, daß Flint sich ein paar Stunden unter Mirals Pflege im Palast ausruhen sollte. Der Zauberer sollte dem Zwerg im Zweifelsfall beistehen. Flint meuterte und bestand darauf, daß er so fit sei wie jeder nur halb so alte Zwerg, doch Solostaran blieb unnachgiebig.

Jetzt lag Miral auf einer Bank neben der Badewanne, während Flint im Badewasser aufweichte, seinen graumelierten langen Bart unter Wasser hielt und zusah, wie kleine Bläschen daraus zur Oberfläche aufstiegen. Er fragte sich, ob er die Privaträume seines Ladens mit so einer erstaunlichen Erfindung ausstatten sollte. Normalerweise hassen Zwerge Wasser – allerdings kaltes, fließendes Wasser, in dem Fische und Frösche und schlimmere Wesen leben, und das tief genug ist, um einen unvorsichtigen Zwerg in Reorx’ Schmiede zu befördern –, doch das hier war etwas völlig anderes.

»Du bist auf einen Sla-Mori gestoßen«, erklärte Miral Flint.

»O nein, ich glaube nicht«, meinte Flint geistesabwesend. »Lord Xenoth hat gesagt, die Echse wäre ein Tylor. Oder sind Tyloren und Sla-Moris verwandt?« Er zog fragend die Augenbrauen hoch.

Der Zauberer wischte sich den Schweiß vom Gesicht und schlug seine rote Kapuze zurück. Sein blasses Gesicht wirkte hager, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Aber seine Stimme war geduldig. »Sla-Mori heißt in der alten Sprache ›geheimer Weg‹ oder ›geheimer Durchgang‹«, erklärte er. »Der Legende nach gibt es viele in Qualinesti, aber es ist fast unmöglich, sie zu finden. Die Eiche war anscheinend der Eingang zu einem.«

Jetzt war Flints Aufmerksamkeit geweckt. »Wo führen diese… diese Sla-Mori… denn hin?« fragte der Zwerg.

»Offensichtlich zu wichtigen Orten«, sagte Miral wie beiläufig. »Schließlich bist du auf dem Podium des Sonnenturms gelandet.« Er machte eine Pause, weil er offenbar seine Gedanken ordnen mußte. Als er fortfuhr, krächzte seine normalerweise rauhe Stimme noch mehr als sonst. »Manche Elfen glauben sogar, daß in einem Sla-Mori irgendwo in Qualinesti der Graustein steckt. Aber der berühmteste Sla-Mori soll nach Pax Tarkas führen«, sagte er und erwähnte so die berühmte Festung in den Bergen südlich von Qualinesti. »Manche glauben, daß im Sla-Mori von Pax Tarkas der Körper von Kith-Kanan ruht.«

»Es gibt also mehr als einen Sla-Mori?« fragte Flint und ließ sich wieder in das wohlriechende Wasser zurückgleiten, bis sein Haar schwamm und sich wie ein Heiligenschein um sein Gesicht ausbreitete. Seufzend betrachtete er die rosafarbene Decke hoch über sich.

Miral wartete, bis der Zwerg wieder auftauchte. »Uralte Elfengeschichten berichten, daß die Gegend um Qualinost eine ganze Reihe Sla-Mori enthält, deren Eingänge gut verborgen und nur für Elfen – oder offensichtlich auch für Zwerge – zugänglich sind, die über die Macht verfügen, sie zu öffnen.« Der Zauberer unterbrach sich. »Was ist los?« fragte Miral.

Der Zwerg hatte sich aufgesetzt und suchte nervös den luxuriösen Raum mit den Augen ab.

»Ich suche den Eimer«, sagte Flint.

»Den Eimer?« fragte Miral. Auf einmal lachte der Magier. »Nein, wir leeren das Wasser nicht mit Eimern.« Er stand auf und ging zum Fußende der Badewanne.

»Also Magie? Du weißt, was ich von Magie halte«, sagte Flint unruhig. »Ist die Badewanne hier magisch?« So ein Ding schrie ja geradezu nach zauberkräftiger Hilfe, dachte er und war plötzlich traurig. Hügelzwerge mißtrauten jeder Magie.

Miral schüttelte nur den Kopf. »Ich hatte vergessen, daß du noch nicht hier warst, seit wir diese Neuerungen eingebaut haben. Sie wurden von Gnomen erfunden.«

»Gnomen?« fragte der Zwerg ungläubig nach. »Reorx!« Nichts, was Gnomen erfanden, funktionierte jemals richtig. Wahrscheinlich hatte er Glück, daß er noch am Leben war. Ohne auf das Kichern des Magiers zu achten, sprang Flint mit einem Satz aus der Badewanne und hüllte sich in ein dickes, gelbes Handtuch, das ein Diener auf eine Steinplatte gelegt hatte.

Kopfschüttelnd und lächelnd zog der Zauberer den Ärmel seiner schweren, wollenen Robe bis zum Ellbogen hoch. Er steckte den Arm ins Badewasser, tastete etwas herum und zog. Mit einem tiefen Glucksen begann sich der Wasserpegel zu senken. Miral hielt einen Korken hoch, an dem eine Kette befestigt war.

»Das Wasser läuft in den Boden ab«, erklärte Miral.

Flint sah ihn zweifelnd an. »Bei allem Respekt, das sieht aber wenig praktisch aus«, widersprach er. »Schlecht für die Fundamente. Wenig überraschend, da es von Gnomen stammt. Aber ich gebe zu, von Elfen hätte ich etwas mehr erwartet.«

Miral krempelte den Ärmel wieder herunter und reichte dem Zwerg ein frisches, weißes Hemd. »Wir haben die Erfindung etwas verändert. Die Gnome hatten den Ablauf – das Loch für diesen Korken – ursprünglich am oberen Rand«, sagte der Elf. »Das Ablaufen dauerte ewig. Man mußte warten, bis das Wasser verdunstet war.«

»Aber trotzdem…«, protestierte der Zwerg, während er in seine rostroten Hosen stieg.

»Das Wasser fließt in eine runde, röhrenartige Vorrichtung unter dem Fußboden.« Mirals Hände beschrieben das Ding in der Luft.

Flint kniete sich hin und spähte unter den Ablauf. »Wie macht ihr die Wanne voll?« wollte er wissen.

»Eimer.«

Später holte Flint Windsbraut ab. Das Maultier glänzte jetzt sauber und gestriegelt, und ein Elf in Livree mit Unfug im Kopf hatte ihm die Mähne geflochten und mit rosa Bändern geschmückt. Flint richtete für das Tier einen einfachen Unterstand neben seinem Laden und der Schmiede her und mußte dann noch zweimal zwischen Laden und Stall hin und her laufen, weil Windsbraut den Lederriemen, mit dem sie angebunden war, kurzerhand durchkaute und wenige Augenblicke nach Flint im Laden eintraf.

Schließlich sperrte er das Tier ein, indem er einen Holzklotz zwischen die Stalltür und einen kleinen Apfelbaum zwängte. Als er seine bierdurchtränkten Satteltaschen fast ausgepackt hatte, tauchte in der Tür eine Gestalt auf.

Die Silhouette der Gestalt war in der untergehenden Sonne nicht sofort zu erkennen, aber der Umriß des Behälters, den sie dabei hatte, war deutlich genug.

»Elfenblütenwein«, stellte Flint fest. »Das kann mir nur Tanis, der Halbelf, ungestraft bringen.«

Tanis lächelte breit und stellte die Flasche auf den Holztisch. »Ich dachte, du würdest das brauchen, um das Feuer in deiner Schmiede anzufachen«, sagte er. »Geht schneller als mit Zunder.«

Die beiden standen etwas voneinander entfernt. Tanis hatte seine Arme vor der muskulösen Brust verschränkt, und Flint hielt zwei Tuniken in Braun und Smaragdgrün in der Hand. Vom Standpunkt des Zwergs aus rochen sie wunderbar nach Bier, aber Flint nahm an, daß er sie wohl waschen mußte, wenn er bei Hof vorgelassen werden wollte.

Schließlich sprach der Zwerg mit schroffer Stimme.

»Ich nehme an, jetzt, wo du ein ausgewachsener Kerl bist, groß wie eine Espe und beinahe stark genug, um mich mit einer Hand hochzuheben, bist du dir zu schade, um deine Zeit mit einem mittelalterlichen Knurrhahn von Zwerg in der Schmiede zu vertun.«

Der Halbelf entgegnete: »Und ich nehme an, daß ich dir viel zu lästig bin, nachdem du durch halb Ansalon gezogen und einem wütenden Tylor entkommen bist.«

Es vergingen mehrere wortlose Minuten, während derer die beiden einander musterten. Dann nickten sie sich zu, als wären sie mit demjenigen zufrieden, den sie vor sich hatten. Tanis setzte sich auf die Granitbank, legte ein Bein hoch und stützte sich mit seinem muskulösen Arm auf das angewinkelte Knie. Sein menschliches Blut war deutlich an seinem kräftigen Körperbau zu erkennen, dachte Flint.

Der Zwerg machte sich daran, nach dem halben Jahr Winterruhe die Schmiede wieder einzurichten, und beglückwünschte sich selbst dafür, wie gründlich er den Platz aufgeräumt hatte, als er vor fünf Monaten am Ende des Herbstes fortgegangen war.

Die Esse, die einem erhöhten Kamin ähnelte, nahm den größten Teil der hinteren Mauer des winzigen Hauses ein. Ein gemauerter Kamin ging wie ein dicker Baumstamm durch die Rückwand. An der Rückseite war eine Öffnung, die groß genug war, um einen Kender aufzunehmen – auch wenn Flint lieber in den Abgrund gegangen wäre, als eine dieser unerschöpflich neugierigen Kreaturen in seine geliebte Schmiede zu lassen. Der vordere Rand der Esse war für Elfenproportionen gebaut worden und lag deshalb über der Gürtellinie des Zwergs, eine unpraktische Höhe, über die er sich oft aufregte.

»So«, sagte Flint, als er Zweige und trockene Ringe in die Vertiefung hinten in der Esse legte, »was habe ich denn in den letzten fünf Monaten verpaßt?« Er warf einen zweifelnden Blick auf die Weinflasche, um sie dann zu entkorken und einen freigiebigen Schuß auf den Zunder zu schütten. »Ich hoffe, davon fliegen wir nicht bis nach Xak Tsaroth«, murmelte er und klopfte seine Taschen nach Feuerstein und Stahl ab, bis ihm einfiel, daß er beides wahrscheinlich am Eingang zum Sla-Mori fallen gelassen hatte. »Hast du mal Feuerstein und Stahl, Junge?« fragte er.

Tanis wühlte in seiner Tasche, zog die gewünschten Gegenstände hervor und warf sie nacheinander Flint zu. Mit einem verschluckten »Danke«, schlug der Zwerg beides aneinander. Der Zunder flammte explosionsartig auf, so daß sich der Zwerg hastig zurückzog. Als das helle Feuer zu einem Glühen heruntergebrannt war, legte er vorsichtig ein paar Stücke Kohle an die Glut und wartete, daß sie Feuer fingen. Er sah zu Tanis hinüber, um zu hören, was es Neues gab.

»Lord Xenoth ist immer noch der erste Berater, obwohl Litanas auf Porthios’ Bitte hin als Assistent für Xenoth eingesetzt ist«, erklärte Tanis, der zusah, wie Flint eine Schaufel von den nahen Kohlen ins Feuer warf. »Der Stimme tat es leid, Lord Xenoths Gefühle zu verletzen – schließlich hat Xenoth die Stimme der Sonne schon beraten, seit Solostarans Vater das Amt antrat, und die Stimme will Xenoth bestimmt nicht den Eindruck vermitteln, er könne seine Pflichten nicht mehr allein wahrnehmen. Auch wenn das trotzdem so zu sein scheint.« Die letzten Worte klangen deutlich verbittert.

»Schnapp dir mal die Blasebälge, ja, Junge, und hilf mir«, sagte Flint. Tanis eilte zu dem Gerät und blies Luft ins Feuer. In der Zwischenzeit häufte Flint von allen Seiten Kohlen auf die Glut. »Xenoth hat das also übel genommen?« erkundigte sich Flint.

»Er war nicht glücklich.« Die knappe Antwort sprach Bände darüber, wie wortreich sich der Berater über die Veränderung beklagt hatte.

Flint schüttelte den Kopf und dachte mitfühlend an Litanas, obwohl Porthios’ braunäugiger Freund weder den Zwerg noch den Halbelfen je besonders freundlich behandelt hatte. Flint vermutete schon lange, daß Porthios’ Freunde Tanis das Leben mit Absicht schwermachten, auch wenn Porthios selbst sich da ganz heraushielt. Aber der Zwerg fragte Tanis selten danach, und der Halbelf gab freiwillig höchstens sehr vage Informationen über dieses Thema preis.

Vor Flints Aufbruch im letzten Herbst hatten Litanas und Ulthen um die Hand der reichen Lady Selena geworben. Die Elfendame genoß die Aufmerksamkeiten natürlich, aber die Situation nagte an der Freundschaft zwischen Litanas und Ulthen.

Während Tanis die Blasebälge bediente, nährte Flint das Feuer mit immer neuen Kohlen und fragte sich, wie die jüngsten Ereignisse das Werben der beiden Elfen um Lady Selena beeinflussen mochten. Litanas hatte Reichtum, eine gute Herkunft und die Stellung bei Lord Xenoth zu bieten. Aber Xenoth konnte die Stellung seines Assistenten bei Hof leicht untergraben, wenn er das für nötig hielt.

Ulthen hingegen stammte zwar aus einer alten Adelsfamilie von Qualinost, aber er und seine Verwandten waren ständig pleite. Vor Jahren hatte seine angespannte Finanzlage den Elfen gezwungen, als Waffenmeister bei Porthios’ jüngerem Bruder Gilthanas in Dienst zu gehen.

Auf jeden Fall würde Flint sich bestimmt nicht mit dem reizbaren, alten Ratgeber anlegen wollen, auch wenn es so aussah, als würde der Zwerg das ohnehin ständig tun. Lord Xenoth, dessen Alter ihm eine gewisse Kritik an manchen Entscheidungen der Stimme erlaubte, verurteilte lautstark die Aufnahme jeglicher Außenseiter bei Hof.

Aber als Flint seinen Lieblingshammer mit dem Holzgriff aus der Werkzeugbank holte, fiel ihm etwas anderes ein.

»Hast du schon mal vom Graustein gehört?«

Tanis sah erstaunt von den Blasebälgen auf. »Dem Graustein von Gargath? Natürlich. Jedes Elfenkind muß die Geschichte auswendig lernen.«

»Miral hat ihn heute mir gegenüber erwähnt.« Flints Stimme war abgelenkt, da seine Aufmerksamkeit hauptsächlich der Esse galt. »Erzähl mir die Geschichte mal so, wie die Elfen sie kennen.«

Tanis warf seinem Freund einen neugierigen Blick zu und begann dann mit der Geschichte, die ihm Miral vor Jahren eingetrichtert hatte – wobei er die Blasebälge weiter bediente.

»Bevor der neutrale Gott Reorx die Welt schmiedete, kämpften die Götter um die Seelen der verschiedenen Rassen, die zu jener Zeit noch zwischen den Sternen tanzten.« Er legte seine Hände wieder an die Griffe der Blasebälge.

Flint nickte, als wenn sich das mit der Geschichte deckte, die bei den Zwergen erzählt wurde. Aus einem Stapel auf einem Tisch neben der Esse zog er einen handlangen, kleinfingerdicken Eisenstab und erhitzte ihn in den Kohlen.

Der Halbelf fuhr mit seiner Erzählung fort. »Die Götter des Guten wollten, daß die Rassen Macht über die materielle Welt haben sollten. Die Götter des Bösen wollten die Rassen versklaven. Und die Götter der Neutralität wollten, daß die Rassen materielle Macht über die Welt und die Freiheit haben sollten, zwischen Gut und Böse zu wählen – und darauf einigte man sich schließlich.«

»Reorx strafe dich, Junge, pump weiter!« befahl der Zwerg. Tanis erhöhte das Tempo und sah zu, wie der Zwerg das Metallstück mit Eisenzangen aus den Kohlen holte und es mit dem Hammer zu einem Rechteck schlug.

»Es entstanden drei Rassen: Elfen, Oger und Menschen – den Elfen zufolge in dieser Reihenfolge«, sagte Tanis mit einem vielsagenden Blick zur Decke. Sein schulterlanges Haar flog hin und her, während er die Blasebälge bediente. »Und dann hat Reorx mit ein paar freiwilligen, menschlichen Helfern die Welt geschmiedet. Aber viertausend Jahre vor der Umwälzung erzürnten die Menschen Reorx, weil sie sich etwas auf die Fähigkeiten einbildeten, die Reorx sie gelehrt hatte, und sie zu ihren eigenen Zwecken nutzten. Der Gott nahm die Fähigkeit zurück, ließ ihnen aber den Wunsch zu basteln, und so entstand die Rasse der Gnomen.«

Der Halbelf holte tief Luft, fast so viel wie der Blasebalg über die Kohlen pustete. »Dann schmiedete Reorx einen Stein, der die Neutralität auf Krynn verankern sollte. Er sollte die Essenz von Lunitari, dem roten, neutralen Mond, enthalten und ausstrahlen. Reorx versteckte den Graustein auf Lunitari.«

Tanis unterbrach die Erzählung und fragte: »Paßt das zu dem, was du kennst?« Flint nickte, doch er konzentrierte sich darauf, das Rechteck an den Rand des Ambosses zu drücken und mit dem Hammer an einem Ende des Metallstückes einen dünnen Dorn zu formen. Dann hämmerte er kräftig auf den Metalldorn ein, um ihn abzurunden. Schließlich drehte er ihn um und schlug ihn zu einem Ring am Ende des Rechteckes. Und wie immer arbeitete Flint im Rhythmus: vier Schläge aufs Metall, einer auf dem Amboß, vier aufs Metall, einer auf den Amboß.

Tanis unterbrach ihn. »Warum machst du das?«

»Was?«

»Den Hammer auf den Amboß schlagen«, sagte der Halbelf, der seine Tätigkeit am Blasebalg unterbrochen hatte, um genauer zuzuschauen. »Es sieht aus wie Absicht – nicht, als wenn du danebenschlägst.«

»Pump weiter! Bei Reorx im Himmel, Junge, muß ich denn einen Gossenzwerg statt deiner anheuern?« beschwerte sich Flint. »Natürlich schlage ich absichtlich auf den Amboß. Das Metall des Hammers nimmt die Hitze auf, wenn ich zum Beispiel diesen Türriegel für Windsbrauts Stalltür bearbeite. Wenn ich den Hammer zwischendurch auf den Amboß schlage, kühlt er ab. Klar?« Er machte es vor. »Und jetzt erzähl weiter.«

Tanis grinste seinen Freund an. »Die Gnomen bauten eine mechanische Leiter, die bis zum roten Mond reichte, und holten sich den Graustein, den manche das Graue Juwel nennen.«

Flint schmiedete das andere Ende des Metalls rasch zu einem Dorn und bog ihn senkrecht dazu.

»Aber der Stein entkam und trieb davon.« Tanis’ Stimme rezitierte nicht mehr, sondern nahm einen begeisterten Klang an. »Der Stein stürzte ganz Krynn in Verwirrung. Wo er vorbeikam, erschuf er neue Tiere und Pflanzen, und die alten änderten ihre Form.«

Flint erhitzte das Werkstück noch einmal, das jetzt als Türriegel mit einer Schlaufe an einem Ende und einem Bolzen am anderen zu erkennen war.

»Schließlich«, erzählte Tanis, »teilten sich die Gnomen für die Suche nach dem Stein in zwei Armeen auf. Sie fanden ihn in dem hohen Turm eines Barbarenprinzen namens Gargath.«

Der Zwerg hielt den plattgehämmerten Stab an jedem Ende mit einer Zange fest und legte seine beträchtliche Kraft in die Aufgabe, den Riegel einmal komplett zu drehen. Die vier Kanten des Stabes drehten sich schmückend in der Mitte des Riegels. Flint warf ihn in das Faß mit kaltem Wasser und hielt ihn dann Tanis hin.

Der Halbelf zog die Augenbrauen hoch, pumpte jedoch weiter und fuhr fort. »Der Prinz weigerte sich, den Stein herauszugeben, und die beiden Gruppen erklärten ihm den Krieg. Als sie die Festung endlich erstürmt hatten, strahlte das Licht des Steins über die ganze Gegend. Und als die Gnomen wieder etwas sehen konnten, hatten sich die beiden Parteien verändert.«

Flint betrachtete stolz seinen Riegel. »Den könnte ich in Solace teuer verkaufen«, sagte er zu dem Halbelfen.

»Die neugierigen Gnomen«, sagte Tanis, »wurden Kender. Diejenigen, die auf Reichtümer aus waren, wurden… äh… wurden…« Tanis brach ab und wurde rot.

»Wurden…?« fragte Flint nach, der immer noch den Riegel hochhielt.

»… Zwerge«, schloß Tanis etwas schamrot.

»Aha«, meinte der Zwerg. »Du kannst jetzt aufhören zu pumpen.«

Tanis nagte an seiner Unterlippe und musterte den Zwerg. »Ist das dieselbe Geschichte, die du kennst?« fragte er.

Flint nickte lächelnd. »Dieselbe alte Geschichte«, sagte er.

In dieser Nacht warf sich Miral unruhig auf seiner Schlafstatt herum und versank immer wieder in demselben Traum, der ihn fast jede Nacht quälte, seit die Berichte von dem Tylor aus dem Land eintrafen.

Er war sehr klein, nur ein Kind, das in einer gigantischen Höhle in einem Spalt kauerte. Er wußte, daß er tief unter der Erde war, obwohl Licht von irgendwoher für Beleuchtung sorgte.

Die Dämmerung in der Höhle war gerade hell genug, um den kleinen Miral das schnabelartige, offene Maul des Tylors sehen zu lassen, der nach ihm zu schnüffeln schien.

»Komm raus«, dröhnte das Wesen. »Ich tu dir nichts.«

Miral erschauerte und zog sich noch tiefer in die Öffnung zurück. Er wußte, daß er träumte, aber er wußte auch, daß er das, was in diesem Alptraum jetzt folgte, nicht aufhalten konnte.

Das drachenartige Untier steckte sein klauenbewehrtes Vorderbein in die Spalte. Das Kind, Miral, zog sich so weit wie möglich zurück und schrie zu seiner Schande nach der Mutter. Es rutschte zur Seite und drückte sich noch tiefer an die gekrümmten Wände der Spalte.

Wieder einmal, wie immer in diesem Traum, fühlte er kalte Luft an seinem rechten Arm – wo doch nichts als tote, unbewegte Luft sein sollte. Miral wußte, daß der schlimmste Teil des Alptraums noch kam, der Teil, bei dem er wach wurde und merkte, daß er nicht mehr schlief.

Als Miral sich noch tiefer in die Ecke zurückzog, packte eine Hand seinen rechten Arm.

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