11 Besuch aus der Vergangenheit

Der Klang von Hammerschlägen tönte wie klare Musik durch die Morgenluft des Frühlingstags. Flint grinste grimmig, während er den rotglühenden Stahlstab bearbeitete und das Metall hin und wieder in das halbe Faß Wasser tauchte. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn und tropfte von seinen rußgeschwärzten Brauen.

Er hatte am Vortag spät begonnen, seine Decke auf das Feldbett geworfen und einen Krug Bier heruntergekippt – für seine schwache Gesundheit, hatte er gemeint –, um dann die Esse zu schüren und unregelmäßige Eisenstücke zu mehreren kleinen Metallbarren zurechtzuhämmern. Er schlug die Barren zu Streifen und erhitzte diese im Holzkohlenfeuer auf eine hohe Temperatur, wodurch er Flußstahl erhielt. Dann legte er die Streifen aufeinander und machte daraus einen Stab, den er immer wieder in der Kohle erhitzte und dann im kalten Wasser löschte, um das Metall zu härten.

Jetzt war das Stück Stahl dünn und gleichmäßig genug, und er hob es mit Eisenzangen aus der Hitze der Esse und löschte es wieder. Wie der Atem eines Märchendrachens zischten Dampfwolken in die Luft, bis das Metall endlich abgekühlt war. Flint legte es auf seine Werkbank und musterte es kritisch. Es war immer noch roh und unfertig – eigentlich nichts weiter als ein platter Stahlstreifen –, aber schon bald genug würde es etwas ganz anderes sein: ein hinreißendes Schwert. Flints blaue Augen glänzten, denn unter der schwarzen Oberfläche des Stahlstücks konnte er schon die fertige Waffe sehen, wie sie glatt und schimmernd dalag.

Der Zwerg wischte sich Schweiß und Dreck von der Stirn und trank etwas Wasser aus der Blechkelle, die in der Ecke in einem Eimer steckte. Dann setzte er sich auf einen niedrigen Holzstuhl und schloß einen Moment die Augen. Erst vor zwei Tagen war er in Qualinost angekommen, und schon kam es ihm so vor, als wäre er den Winter über gar nicht fortgewesen. Wie lange war der Tag her, an dem er die Stadt zum ersten Mal betreten hatte? Ziemlich genau zwanzig Jahre, dachte er, während er die Augen aufschlug, um aus dem Fenster zu sehen.

Draußen blitzten die jungen Espenblätter smaragdgrün und silbern im Sonnenlicht.

Er fühlte sich in Qualinost wohl, und trotz der gelegentlichen unfreundlichen Blicke von Lord Xenoth, Litanas, Ulthen und Tyresian – Blicke, die wegen Flints Vertrautheit mit der Stimme der Sonne selten zu Kommentaren führten – kam es dem Zwerg fast so vor, als wenn er mehr in diese Elfenstadt gehörte als an jeden anderen Ort in Krynn. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was wohl seine Verwandten im Zwergendorf Hügelheim jetzt von ihm denken würden.

Ein leises Läuten klang durch die rauchige Luft, und Flint sah, wie sich die Tür zu seinem kleinen Geschäft öffnete. Hastig warf er ein Tuch über das Stahlstück auf der Werkbank. Er wollte die Überraschung nicht verderben.

»Flint! Lebst du noch?« fragte Tanis, der Halbelf, lächelnd. »Und ich dachte schon, ich müßte deine Beerdigung in die Wege leiten.«

Flint griff eilig nach seinem Taschentuch, schnaubte und setzte einen kränklichen Gesichtsausdruck auf. »Wie meine Mutter immer sagte: ›Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben‹«, meinte er.

Auf dem Gesicht des Halbelfen stand Unverständnis. Die Sprichwörter von Flints Mutter hatten häufig diese Wirkung. Dann zuckte er mit den Schultern und kam richtig herein. »Hast du Lust zu einem neuen Abenteuer, Flint? Ich dachte, wir könnten vielleicht noch mal nach dem Tylor suchen.«

Unverschämter Kerl, dachte Flint und grinste wieder.

»Du hast es immer noch nicht in deinen Dickschädel gekriegt, was, Junge?« murrte der Zwerg. »Ich hab zu tun. Ich kann nicht den ganzen Tag eitel durch die Straßen stolzieren wie andere Leute.«

Tanis sah lachend an sich hinunter. Er hatte dieselbe Kleidung an, die Laurana gestern auf dem Großen Markt so gut gefallen hatte: blaues Hemd, Fransenweste und Wollhose.

»Flint«, sagte Tanis, dessen nußbraune Augen tanzten, »nimm dir einen Tag frei.«

»Freinehmen?« schnaufte Flint und setzte eine Märtyrermiene auf. »Davon habe ich mein Leben lang noch nicht gehört.«

Da lachte Tanis laut los.

Flint blickte ihn finster an. »Ihr jungen Leute habt aber auch nicht den geringsten Respekt«, grollte er. Junge Leute… die Worte klangen in ihm nach, bis es ihm plötzlich auffiel, wie es seit seiner Rückkehr nach Solace schon mehrmals gegangen war. Tanis war nicht mehr zu vergleichen mit dem Jungen, der er gewesen war, als Flint damals in die Elfenstadt gekommen war. Schon nach jenem ersten Winter hatte Flint über die Veränderung gestaunt, um wieviel… doch, wieviel menschlicher der Junge gewirkt hatte. Insbesondere im Vergleich zu anderen Elfen, besonders den jüngeren, die sich nur wenig verändert hatten.

Flint selbst sah kaum anders aus als an dem Tag, wo er zum ersten Mal den Sonnenturm betreten hatte, abgesehen vielleicht von den paar grauen Flecken – nun, vielleicht mehr als nur ein paar –, im Bart und im dunklen Haar, das er immer noch mit einer Schnur im Nacken zusammenband. Ein paar Falten in seinem Gesicht waren etwas tiefer geworden, und den Gürtel konnte er nicht mehr so eng schnallen wie früher – diese Veränderung hätte Flint schlichtweg abgestritten –, dennoch, er war immer noch derselbe Zwerg mittleren Alters mit hellen strahlenden Augen und seinem vertrauten Grummeln.

Bei Tanis war das anders. Der war in den letzten Jahren groß geworden – nicht so groß wie die Stimme, aber immerhin so, daß Flint ziemlich in die Höhe gucken mußte, um mit ihm zu reden. Die Unterschiede zwischen dem Halbelfen und den reinen Elfen um ihn herum traten jetzt deutlicher hervor. Er war stärker als jeder andere, und seine Brust war breiter, obwohl er im Vergleich zu einem starken Menschen schmal gewirkt hätte. Auch sein Gesicht zeigte, wie er sich verändert hatte. Seinen Zügen mangelte es an der typischen Ebenmäßigkeit der Elfen; sie wirkten nicht wie aus poliertem Alabaster, sondern eher wie aus Stein gemeißelt. Sein Kiefer war eckig, der Nasenrücken stark und gerade und seine Wangenknochen kantig. Und natürlich waren seine Augen weniger mandelförmig als die der anderen Elfen.

Flint wußte, daß Tanis drüben in Solace als schöner, junger Mann angesehen werden würde, aber hier… nun, die meisten in der Stadt hatten sich inzwischen anscheinend an ihn gewöhnt, so daß er nicht mehr dauernd angestarrt wurde. Zumindest gab es nur noch selten einen gemurmelten Kommentar, der nie so laut geäußert wurde, daß Tanis oder Flint denjenigen wirklich stellen konnten. Dennoch war es eine schwere Zeit für Tanis gewesen. Menschen alterten so viel schneller als Elfen und Zwerge, daß Tanis sich – für sein Elfenvolk – wie über Nacht verändert hatte.

»Hast du nichts zu tun?« fragte Flint gereizt, wobei er darauf achtete, zwischen Tanis und dem verdeckten Schwert zu stehen.

»Zum Beispiel?« fragte Tanis. Er schien zu merken, daß mit dem Zwerg etwas los war.

»Zum Beispiel alles, was du sonst auch machst«, redete Flint barsch weiter. »Ich bin zu… zu krank, um dich heute zu unterhalten, Junge. Ich brauche meine Ruhe.« Er schielte aus dem Augenwinkel zu Tanis, um zu sehen, ob der Halbelf ihm das abkaufte.

Tanis schüttelte den Kopf. Also hatte Flint mal wieder einen seiner launischen Tage.

»Na schön, Flint. Ich wollte eigentlich vorschlagen, daß wir uns in ein kleines Abenteuer stürzen«, Flints Augen wurden groß, und er nieste plötzlich gewaltig, »aber ich denke, das kann auf einen anderen Tag warten.« Der Halbelf kratzte sich abwesend am Kinn.

»Du solltest dich lieber mal wieder rasieren«, sagte Flint, »oder es wachsen lassen. Entweder – oder, wenn du nicht wie ein Bandit aussehen willst.«

Tanis fuhr sich überrascht mit der Hand über die Wange, wo er die Stoppeln eines wenige Tage alten Barts fühlte. Ein Geschenk seines Menschenvaters – oder ein Fluch, je nach Betrachtungsweise, fand Tanis. Seit etwa einem Jahr machte sich der Bart bemerkbar, doch Tanis hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt. Er mußte mal wieder zu dem Rasiermesser greifen, das Flint ihm gemacht hatte.

»Warum du keinen richtig schönen Bart willst, will mir nicht in den Kopf«, klagte Flint.

Tanis schüttelte abwesend den Kopf. Wachsen lassen? Das konnte er nicht über sich bringen. Flint sah die Geste und beließ es dabei.

»Na schön, Flint, ich überlasse dich deinem Schmollen«, sagte Tanis. »Eigentlich bin ich hier, um dir eine Nachricht zu bringen. Morgen nachmittag gibt es so eine Bekanntmachung am Hof, und die Stimme hat mich gebeten, dich einzuladen.«

»Bekanntmachung?« fragte Flint und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Weswegen?«

Tanis zuckte wieder mit den Achseln. »Keine Ahnung. Die Stimme hat sich einen Tag lang mit Lord Xenoth und Tyresian zurückgezogen. Ich schätze, du wirst es gleichzeitig mit mir herausfinden.« Mit einem Lächeln verließ der Halbelf den Laden. Die kleine Glocke bimmelte wieder. Flint wartete noch etwas, um ganz sicher zu sein, daß Tanis nicht zurückkam. Erst dann deckte er das Schwert ab und rieb sich die Hände. O ja! Das würde ein wunderbares Schwert werden!

Bald konnte man wieder den Rhythmus seines Hammers vernehmen.

Flints Laden sollte heute noch mehr Gäste sehen. Tanis’ Schritte waren auf der Gasse kaum verklungen, als die Glocke schon wieder ertönte. Wieder warf Flint das Tuch über das Schwert und stellte sich eilig vor die Waffe.

Aber es war nicht Tanis. Es war eine alte Frau, die selbst für eine Elfin alt war – doch Flint glaubte, auch einen Schuß Menschenblut wahrnehmen zu können. Sie war klein und drahtig und für eine Elfin auffällig gekleidet. Elfen liebten fließende Gewänder, doch die Alte trug ein lockeres grünes Oberteil aus einem Webstoff und einen angekräuselten Wollrock. Der Rock reichte fast bis zum Boden, wodurch sie noch kleiner wirkte, als sie war. Eigentlich war sie kaum größer als der Zwerg, was er bei einem erwachsenen Elfen noch nie erlebt hatte. Die Augen, die aus dem dreieckigen Gesicht blinzelten, waren rund und nußbraun – ein weiterer Hinweis auf menschliche Vorfahren. Flint hätte darauf gewettet, daß das Menschenblut Jahrhunderte vor der Umwälzung in ihre Familie eingeflossen war. Weil ihr Gesicht an den Augen so breit und am Kinn so schmal war, wirkte die alte Frau wie eine Katze. Im Gegensatz zu anderen Elfen hatte sie ihr silbernes Haar zu einem Zopf geflochten und hochgesteckt, wodurch man die Ohren sah, die ihr elfisches Erbe bewiesen. Ihre Finger waren so lang und schlank, daß sie nicht recht zum Rest ihres Körpers zu passen schienen. Wie Tanis trug sie Mokassins, die bei ihr mit dunkellila Perlen bestickt waren, welche zu ihrem Rock paßten. Darüber trug sie einen leichten, fliederfarben und blaßgrün gesprenkelten Umhang mit Kapuze.

An ihrem Rock hing ein Kleinkind, das mit einem fast anbetenden Ausdruck zu der runzligen Frau emporschaute. Der kleine Junge, der noch nicht lange lief, wie man aus seinem Klammern an ihrem Wollrock schließen konnte, lächelte Flint offen an.

»Flink!« sagte der Kleine und wagte es, mit einer Hand loszulassen, damit er auf Flint zeigen konnte. Dabei lächelte er die alte Frau an. »Flink!«

»Flink?« wiederholte der Zwerg, der sich bückte, um dem Kind richtig ins Gesicht sehen zu können. Flints Brauen waren fast bis zum Haaransatz hochgezogen. »Ich kann mich nicht erinnern, dich im Himmelssaal – ah, doch! Letzten Herbst. Da bist du noch nicht gelaufen. Du warst mit deinem großen Bruder da. Ich hab dir was geschenkt – was war das noch?«

Der Kleine schob eine Hand in die Tasche seines bequemen, entengrünen Overalls und brachte ein daumengroßes Stück Quarz zum Vorschein, ein zerfranstes Stück Quith-Pa und ein geschnitztes Rotkehlchen. Das Kind legte Flint seine drei Schätze in die Hand und lächelte wieder. Der Zwerg untersuchte die drei, nickte ernst und gab den Stein und das Brot zurück. Dann stand er mit dem Holzvogel in der Hand da und sah die Elfenfrau an.

»Habt Ihr das gemacht?« fragte sie mit einer vollen Stimme, die so klang wie die eines Jahrhunderte jüngeren Elfen. Sie streckte ihren schlanken Finger aus und berührte den Vogel.

Das Rotkehlchen war am Bauch dicker als am Kopf und war unten abgerundet, so daß das Spielzeug, wenn es runterfiel, auf die Seite rollte und sich dann wieder aufrichtete. Flint hatte das einfache Spielzeug aus zwei Holzstücken gemacht und am Boden, zwischen den beiden Teilen, ein schweres Stück Eisen eingearbeitet, damit der Vogel nicht umgeworfen werden konnte.

Flint stubste es noch ein paarmal an, weil ihn das Schaukeln wieder faszinierte, bis er merkte, daß die Frau mit den Haselnußaugen auf eine Antwort wartete und der kleine Junge sein Spielzeug zurückwollte. Der Zwerg gab dem Kleinen seinen Vogel zurück und nickte der Frau zu.

»Ihr seid Flint Feuerschmied«, stellte sie fest. Das war keine Frage.

Flint nickte wieder.

»Ich möchte Spielsachen bei Euch kaufen«, sagte sie ohne Umschweife.

»Nun«, sagte Flint gedehnt, »das könnte ein Problem sein.«

»Warum?« wollte sie wissen.

Der Zwerg sah an ihr vorbei zu dem Eichenschrank. »Erstens verkaufe ich kein Spielzeug. Ich verschenke es. Und zweitens verkaufe ich es nicht an Fremde.«

Ihre klaren Züge nahmen einen beleidigten Ausdruck an, und sie drehte sich so abrupt um, daß das Kind praktisch umgefegt wurde. »Nun, ich denke, das war’s dann, Meister Feuerschmied«, sagte sie und wollte die Tür öffnen.

Flint holte tief Luft, während die Hand der Frau sich schon auf die Türklinke legte. »Wenn Ihr Euch natürlich dazu durchringen könntet, Euch vorzustellen, wärt Ihr ja keine Fremde mehr«, sagte er ruhig, während er die Nägel seiner linken Hand begutachtete und mit einem Eisensplitter den Ruß herauspulte, der darunter saß.

Die Frau blieb mit dem Rücken zu Flint stehen und schien nachzudenken. Dann fuhr sie mit blitzenden Augen herum »Ailea«, erklärte sie schroff. »Eld Ailea für die, die mich gut kennen.« (»Eld« bedeutet in der Elfensprache »Tante«.)

Flint senkte den Kopf. »Und ich bin Flint Feuerschmied.«

»Ich wei…«, setzte sie an, seufzte dann aber und wartete.

»Und«, fuhr er fort, als wenn sie nichts gesagt hätte, »obwohl ich keine Spielsachen an Fremde verkaufe, könnte ich doch einer Freundin welche schenken

Sie seufzte erneut, doch diesmal stahl sich ein schwaches Lächeln auf ihre dünnen Lippen. Sie glich einer Katze aus Abanasinia, der man eine lang ersehnte Belohnung vorsetzt. Aber ihre Worte verrieten Ärger. »Ich habe schon gehört, daß Ihr so seid, Meister Feuerschmied«, gab sie zur Antwort.

Flint ging hinüber und machte den Schrank auf, um die vielen Spielsachen zu zeigen, die er den Winter über in Solace geschnitzt hatte. Ein paar hatten die Flucht auf dem Rücken eines tylorscheuen Maultiers nicht überlebt, aber die meisten waren noch gut. Er betrachtete den Schrankinhalt, suchte eine Pfeife aus, die der Kleine nicht verschlucken konnte und gab sie dem Jungen in die Hand. Der blies so wild hinein, daß der Zwerg auf der Stelle wünschte, er hätte etwas anderes ausgewählt. Flints dicke Hände glitten weiter über das Spielzeug, nahmen eins hier, eins da heraus, bis über ein Dutzend in den Vordertaschen seiner losen Ledertunika steckten.

Minuten später saß das Kind glücklich am Ende von Flints Feldbett, baute auf seiner Kleidertruhe einen Haufen Holztiere auf und stieß zwischendurch lustvoll in die Pfeife. Flint wartete, daß das Wasser in dem Eisenkessel über der Esse kochte, und Eld Ailea füllte eine verlockende Mischung aus getrockneten Orangenschalen, Zimtstückchen und Tee in ein Teesieb. Sie hielt inne, um an dem Gemisch zu riechen. »Wunderbar«, sagte sie leise seufzend. »Das erinnert mich an den Tee, den wir in meiner Familie tranken, als ich klein war.«

»Wo seid Ihr aufgewachsen?« fragte Flint spontan. Der Gewürztee, den er jedes Jahr aus Solace mitbrachte, war eher eine Menschenspezialität als eine elfische.

»In Kargod«, sagte sie. »Mein Vater wurde aus Qualinost verbannt.«

»Weshalb?« fragte Flint, ohne nachzudenken. Die Elfen verbannten selten jemanden. Es mußte nach den Gesetzen der Qualinesti ein wirklich schweres Verbrechen gewesen sein.

»Er war der Kopf einer Bewegung, die Qualinesti für Ausländer öffnen wollte«, erläuterte sie. »Er wurde verbannt. Seine Familie kam natürlich mit. Schließlich ließen wir uns in Kargod nieder, wo die Familie entfernte Verwandte hatte.« Menschliche, dachte Flint. Da ist das Bindeglied. »Ich wurde von ein paar Klerikern zur Hebamme ausgebildet, und als ich alt genug war, kehrte ich hierher zurück.«

»Warum?« Das Wasser kochte, und Flint hob den Kessel vom Feuer. Mit einer dicken Wollsocke als Topflappen – fast sauber, fand er, da er sie erst einen Tag getragen hatte – hob er den Topf über den Tisch und goß Wasser über die Teeblätter in eine schwere Keramikkanne.

Ein trauriger Ausdruck glitt über Eld Aileas Gesicht, war jedoch so schnell verschwunden, daß Flint sich nicht sicher war, ob er tatsächlich dagewesen war. »Ich hatte keine Freunde außer Menschen, und als ich endlich erwachsen war, waren sie alle aus Altersgründen gestorben. Ich kannte ein paar kleine Zaubertricks – Tränke gegen Wehenschmerzen, Illusionen, um Kinder zu beschäftigen, und so –, aber ich konnte nichts dagegen tun, daß meine Jugendfreunde alterten und starben.«

Flint fragte sich, ob unter diesen vor langer Zeit verstorbenen Freunden ein besonderer Mann, ein geliebter Mensch, gewesen war, dessen Tod die Trauer in den Augen der alten Elfin verursacht hatte. Während sie so am Tisch saß und gedankenverloren das Teesieb durch die Kanne zog, sah sie ins Leere und sagte beiläufig: »Meine Eltern waren tot. Es gab nicht viele andere Elfen in Kargod. Ich war einsam, deshalb kam ich hierher zurück.«

Ein Hauch von Zimt und Orange wehte von der dicken Kanne herüber. Das Kind drüben auf Flints Feldbett war auf dem Rücken eingeschlafen, eine kleine Holzkuh in der einen Faust, ein Schaf in der anderen. Eld Ailea fuhr – plötzlich fröhlicher – fort: »Ich passe hierher besser als dorthin.«

Sie sah auf und mußte das Mitgefühl in Flints Blick bemerkt haben, denn ärgerlich kniff sie die grünbraunen Augen zusammen. »Werdet bloß nicht mitleidig, Meister Flint Feuerschmied«, sagte sie. »Ich habe meinen Weg selbst gewählt.«

Er suchte nach passenden Worten.

»Kann ich Euch bestimmt kein Bier anbieten?« fragte Flint.

Eld Ailea warf ihm einen strengen Blick zu. »Ich bin im Dienst«, sagte sie nur.

Sie saßen noch ein Weilchen da und schlürften Tee, bis Flint einfiel, daß ja schon fast Mittagszeit war. Also holte er Quith-Pa heraus und schnitt ein paar Scheiben Käse ab, und Eld Ailea nahm Teller aus dem Schrank. Flint war auf einer seiner Reisen in Kargod gewesen, und die beiden unterhielten sich über die Stadt. Offenbar hatte Eld Ailea sie schon vor Flints Geburt verlassen. Dann zeigte ihr Flint, wie er den Stehaufvogel für den Kleinen gemacht hatte und schenkte ihr noch einen zweiten. Und Eld Ailea erzählte ihm von ein paar Kindern, die sie über die Jahrhunderte zur Welt gebracht hatte: »Ich habe die Stimme der Sonne und seine beiden Brüder entbunden«, erklärte sie stolz. Inzwischen hatte sie sich als Hebamme zur Ruhe gesetzt, kümmerte sich jedoch weiterhin um kleine Kinder. »Ich liebe Babys«, meinte sie und wurde zum ersten Mal etwas lebhafter. »Darum bin ich wegen der Spielsachen gekommen.«

Alles in allem war es eine nette Art, einen Frühlingstag zu verbringen.

Irgendwann waren Brot und Käse alle. Eld Ailea spülte die Teller und stellte sie weg, während Flint an Tanis’ Schwert weiterarbeitete. Vorher aber nahm er das schlafende Elfenkind von dem Feldbett, das zu nah an der Esse stand, und legte es Eld Ailea auf den Schoß. Der Klang der Hammerschläge, der das Kind erst aufweckte, ließ es schließlich um so fester schlafen. Die alte Frau saß ruhig da, summte dem Kind etwas vor, trank die letzte Tasse Tee und sah zu, wie das Schwert Gestalt annahm. Eine Stunde verging, bis Flint aufschaute und sah, daß Eld Ailea ebenfalls eingeschlafen war. Der freie Arm lag am Tisch, und die Wange hatte sie an den Kopf des kleinen Jungen geschmiegt. Der Zwerg lächelte und arbeitete weiter.

Wieder läutete die Blechglocke an der Eichentür des Ladens, und Flint blickte hinüber, um gegebenenfalls zur Tür zu rennen und Tanis wieder rauszuschieben. Das Schwert nahm allmählich Form an. Die Klinge lag glatt gehämmert da, der Griff war ein Traum aus rundem, schimmerndem Stahl. Flint atmete erleichtert auf, als eine verhüllte Gestalt den Laden betrat.

»Ich störe dich doch nicht etwa, Meister Feuerschmied«, erkundigte sich Miral und lächelte fragend. Seine normalerweise kratzende Stimme war jetzt nur ein rauhes Flüstern. Nach einem scharfen Blick nickte er Eld Ailea zu, die gerade erwachte. Auch das Kind regte sich und schlug die blauen Augen auf.

»Eigentlich nicht«, sagte Flint, »ich dachte nur, du wärst jemand anders…« Er trat vom Schmiedefeuer weg und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von Stirn und Bart.

»Tanthalas?« fragte Miral, dessen Lächeln breiter wurde. Die alte Frau setzte sich auf und flüsterte dem Kind etwas zu. Der Kleine rutschte von ihrem Schoß und lief los, um die geschnitzten Tiere einzusammeln, die er auf dem Feldbett verstreut hatte. »Ehrlich gesagt«, fuhr der Zauberer fort, »bin ich auf der Suche nach Tanis. Es schien mir ziemlich sicher, daß er hier sein müßte, wenn er nicht auf dem Hof mit dem Bogen übte. Aber wenn du Grund hast, ihn zu meiden…«

»Ich will ihm bloß nicht die Überraschung verderben.«

Der Ausdruck auf Mirals Gesicht stellte die unausgesprochene Frage.

Flint rieb sich grinsend die Hände. »Es ist ein Geschenk«, sagte er, wobei er auf das halbfertige Schwert zeigte, das neben der Esse abkühlte.

Miral kam näher und betrachtete die Waffe. Das orange Licht der Kohlen glänzte auf seinem fahlen Haar und wurde von dem schwarzen Lederrand seiner langärmligen, blutroten Robe reflektiert. Er streckte die Hand aus – er trug Handschuhe – und berührte das warme Metall vorsichtig, beinahe ehrfürchtig.

»Und es wird ein wunderbares Geschenk sein«, sagte er, während er sich wieder zu Flint umdrehte. Seine Gedanken schienen weit entfernt zu sein. »Es ist so schön.«

»Pah, es ist überhaupt noch nicht fertig«, sagte Flint schroff, obwohl sich seine Brust vor Stolz schwellte. Er nahm ein altes Stück Stoff und warf es über die Waffe. Eld Ailea stand in der Tür, sie wollte gehen. »Ich habe auch Pfeilspitzen für ihn gemacht, im letzten Winter in Solace«, fügte Flint hinzu. »Ich dachte, ich könnte Tanis mal ein richtig großes Geschenk machen.«

»Hmm?« machte Miral. Plötzlich schüttelte er den Kopf, als kehre er aus einer ganz anderen Welt zurück. »Tut mir leid, Meister Feuerschmied. Ich fürchte, ich habe heute nacht nicht viel geschlafen. Die Stimme plant für morgen nachmittag eine wichtige Bekanntmachung – auch wenn anscheinend nur er und Lord Xenoth wissen, worum es geht –, und die Vorbereitungen halten alle auf Trab. Selbst ein kleiner Zauberer hat seine Pflichten. Und auch Tanis, falls ich ihn noch finde.«

Er würde den Halbelfen wohl auf dem Großen Markt suchen, meinte Miral und verabschiedete sich von Flint und Eld Ailea, wobei er dem Kind noch den Kopf tätschelte. Der Kleine schlug mit seinem Holzpferd nach dem Magier, der schnell auswich und zur Tür hinausrannte.

»Kleiner Zauberer«, flüsterte Eld Ailea mit gerunzelter Stirn. Sie hing ihren Gedanken nach. Der Zauberer war schon außer Hörweite, doch Eld Ailea stand immer noch auf der Schwelle. Zweimal schien sie etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber. Das Kind war inzwischen damit beschäftigt, der Kletterrose die unteren Blätter abzureißen und sie im Eingang zu verstreuen. »Ich muß Euch etwas gestehen, Meister Feuerschmied«, vertraute sie dem Zwerg schließlich an, »Ich bin auch gekommen, weil ich Tanthalas zu finden hoffte. Ich… ich werde von einigen Leuten nicht mehr gern im Palast gesehen. Darum hoffte ich, ich würde ihn hier antreffen.«

»Oh?« fragte Flint, der immer noch dem davonschreitenden Zauberer mit seiner roten Robe nachblickte. »Warum?«

»Ich kannte seine Mutter.«

Mehr wollte sie nicht sagen, und dann war sie gleich verschwunden.

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