20 Die Enklave

Hamuul Runentotem war nicht allein. Naralex, den Shandris gut kannte, stand bei dem Tauren.

Seine Anwesenheit reichte aus, um den Verdacht der Generalin zu bestätigen, dass die beiden hinter ihrer Gefangennahme steckten. Sie befreite sich aus Hamuuls Griff und zog einen Dolch.

Doch Hamuul reagierte schnell und sicher auf ihren Angriff. Er stieß mit der Hand vor und fing den Dolch ab, nicht ohne sich dabei die Hand zu verletzen.

Der Tauren ignorierte das Blut und prallte mit ihr zusammen. Dabei flüsterte er: „Du musst aufhören, oder er bemerkt uns noch, Shandris Mondfeder!“

„Wer?“, wollte sie ruhig wissen.

„Ein Verräter in unserer Mitte! Ein Verräter, der ganz Darnassus bedroht!“

Er stoppte. Hamuul und Naralex blickten einander besorgt an.

„Er weiß es...“, murmelte der Nachtelf.

„Schnell! Stell dich zwischen uns!“, befahl Hamuul Shandris.

Instinktiv gehorchte Shandris, gleichzeitig verwandelten sich die beiden Druiden in Vögel.

Aus dem Boden brachen lange Ranken hervor, die das Trio einwickeln wollten. Shandris zerteilte zuerst nur zwei mit dem Dolch, dann noch mehrere andere.

Hamuul wollte hochfliegen, doch der Tauren wurde von zwei anderen Ranken eingefangen. Als sie seine Flügel fesselten, erwuchs daraus etwas, das wie Blütenknospen aussah.

Die Knospen öffneten sich... und offenbarten scharfe Dornen, wie spitze Zähne.

Der Tauren wäre gebissen worden, doch Naralex benutzte seinen Schnabel, um die Ranke durchzuhacken. Sie fiel hinab, aber aus den abgehackten Enden entstanden zwei neue Wurzeln.

Hamuul krächzte etwas zu Naralex. Der verwandelte Nachtelf flog augenblicklich zu Shandris. Als sie eine weitere Ranke zerteilte, packte er sie an der Schulter und hob sie hoch.

Während sie aufstiegen, fiel noch etwas anderes aus den Ästen über ihnen herab. Es waren schattenhafte Gestalten, die aus den Blättern selbst zu erwachsen schienen. Naralex, der seine Fracht in Sicherheit bringen wollte, flog genau in ihre Mitte.

Eine der Schattengestalten stieß mit ihrer feinstofflichen Hand auf Shandris zu. Die Nachtelfe kreischte, als ein eiskalter Schauder ihre tiefste Seele berührte. Die Kommandantin der Schildwache verlor den Dolch aus der Hand. Ihr Körper erbebte.

Wie sehr sie auch litt, Naralex’ Leiden waren weitaus größer. Die Schattenkreaturen umschwärmten ihn und zerrten wild und lustvoll an der Sturmkrähe.

Naralex taumelte. Er versuchte, seine Angreifer abzuschütteln. Doch als das fehlschlug, trudelte der Druide auf den Boden zu, nahe dem Pfad zur Enklave.

Er ließ Shandris in dem Moment los, als sie schon so niedrig waren, dass sie sich bei dem Sturz nicht verletzen konnte. Immer noch von dem schrecklichen Schauder erschüttert, fiel sie auf die Knie.

Ein Brüllen hallte in ihren Ohren wider. Hamuul hatte seine ursprüngliche Gestalt angenommen, und er hatte mehrere Ranken mit seiner großen Kraft losgerissen. Doch statt sie zur Seite fallen zu lassen, warf er sie in die Luft.

Ein smaragd-grünes Leuchten umgab sie. Jede Ranke sank schnell in sich zusammen.

Einen Augenblick später fielen die Samen, in die sie sich wieder verwandelt hatten, harmlos zu Boden.

Unglücklicherweise zogen sich die Schattenkreaturen auch um Hamuul zusammen. Der Tauren griff in einen Beutel, und dann schleuderte er den Inhalt auf den nächstbesten Gegner.

Obwohl seine Angreifer nicht aus greifbarer Substanz zu bestehen schienen, landete das braune Pulver der Erzdruiden auf ihnen, als wären sie fest. Mit verheerender Wirkung. Die schattenhaften Gestalten wanden sich und zuckten. Sie begannen zu schrumpfen und änderten die Gestalt. Ihr Untergang wurde von einem monströsen Zischen begleitet.

Hamuuls Augen weiteten sich. Die Schatten waren wieder zu Blättern geworden. Das war nicht die Absicht seines Zaubers gewesen. Der Tauren konnte nur vermuten, dass die Blätter die wahre Natur der Angreifer darstellten.

„Nein...“, grummelte er. „Es kann nicht so weit gereicht haben...“

Doch die Ablenkung war für den Tauren fatal. Ein anderer Schatten stieß mit der Hand durch seinen Rücken. Als die schreckliche Kälte seine Seele umschloss, schlug ein weiterer Schatten durch Hamuuls Brust.

Der Tauren fiel auf die Knie. Sein Blick wurde glasig.

Shandris sah, wie er fiel, konnte aber nichts dagegen tun. Sie wollte ihre Gleve werfen...

Die Äste stießen herab und packten sie. Einige entrissen ihr die Waffe. Der Rest band sie fest.

Ein weiterer schwerer Ast schlug der Kommandantin der Schildwachen gegen den Hinterkopf, und sie fiel in Bewusstlosigkeit.

Naralex stieß ein stöhnendes Krächzen aus, als er auf den Boden prallte. Auf den ersten Blick schien er, als würde er physisch in Stücke gerissen. Doch jedes Stück, das der Schattenbaum abriss, verschwand.

Der Nachtelf nahm wieder seine normale Gestalt an. Keuchend fletschte er die Zähne und blieb reglos liegen.

Von ihm ausgehend explodierte magisches violettes Feuer. Die Schatten, die ihn angriffen, wurden davon weggebrannt.

Von den Bäumen herab stieg ein weiterer Druide. Er blickte erst den erstarrten Tauren an, dann die ohnmächtige Wächterin.

„Es tut mir leid“, sagte Fandral Hirschhaupt, und es klang ehrlich, auch wenn die beiden seine Worte nicht hören konnten, weil sie nicht vollständig bei Bewusstsein waren. „Das müsst Ihr mir glauben.“

Der oberste Erzdruide trat unter die Schatten, die ihm respektvoll aus dem Weg gingen. Fandral ging zu Naralex, der völlig reglos war.

Er bückte sich und berührte den Hals des Nachtelfen.

„Er lebt noch...“

Fandral stand auf und blickte die Gruppe enttäuscht an.

„Irgendetwas muss mit Euch geschehen.“ Er dachte nach, dann legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Valstann wird es wissen! Mein Sohn hat die Antwort...“

Er ging zurück zu seinem Heim, ohne einen weiteren Blick auf Shandris oder den Tauren zu werfen. Die Schattenkreaturen umringten die beiden, berührten sie aber nicht. Stattdessen hoben die Äste, die die Priester festhielten, sie in die dunkle, blättrige Baumkrone. Andere zerrten an Hamuul und trugen den schweren Tauren hinterher.

Als das geschehen war, lösten sich die Schattenkreaturen auf. Ihre Essenz stieg unter den Bäumen auf, wo sie ihre ruhende Gestalt wieder einnahmen... als Blätter von Teldrassil.


Der Nebel erstreckte sich bis auf die See hinaus. Malfurion konnte nicht glauben, wie dicht er war. Als Wind aufkam, schlug er fester mit den Flügeln. Ein Sturm braute sich zusammen, ein Sturm, der, wie der Erzdruide annahm, sich nur seinetwegen bildete.

Malfurion wusste nicht, was er tun sollte, zumindest nicht genau. Doch irgendetwas zog ihn zu der Insel, auf der sein Volk seine neue Heimat bezogen hatte. Er war sich fast sicher, dass dort mindestens einer der Schlüssel zur Verhinderung der Katastrophe lag, die gleich beide Welten betraf.

Der Hurrikan schlug zu.

Obwohl Malfurion darauf vorbereitet war, erschreckte ihn seine Intensität doch. Er wurde zurückgeschleudert. Blitze zuckten über den Himmel, einige schlugen gefährlich nahe ein. Der Erzdruide merkte, wie er von der immer noch im Nebel liegenden Insel förmlich weggedrückt wurde.

Einer der Blitze hätte ihn beinahe getroffen. Nur durch Glück konnte er ihm entgehen. Irgendeine Macht hatte diesen Sturm inszeniert, um Malfurion anzugreifen. Nur seine Instinkte bewahrten den Nachtelfen vor Schlimmerem.

Seine Furcht stieg mit der Stärke des Gewitters. Jeder weitere verstreichende Moment führte Azeroth und alle, die Malfurion liebte, insbesondere Tyrande, näher ans Verderben heran. Und so sehr er sich auch bemühte, konnte Malfurion sich derzeit kaum selbst retten. Erneut dachte der Erzdruide über das sinnlose Opfer des Aspekts nach. Ysera glaubte tatsächlich, dass er für beide Reiche wichtiger sei als sie...

Obwohl Malfurion anderer Meinung war, wurde ihm doch eine Sache bewusst. Schon wieder hatte er dem Albtraum genau in die Hände gespielt. Seine Unsicherheit hatte dessen eigene düstere Träume abermals genährt.

Das bedeutete nicht, dass der Sturm nicht echt war. Der Herr des Albtraums beherrschte mittlerweile auch solche fürchterlichen Kräfte. Aber seine Intensität wurde noch durch den Geist des Nachtelfen verstärkt.

Dann wurde der Sturm schwächer. Davon ermutigt konzentrierte Malfurion sich auf sein Ziel. Er schlug immer schneller mit den Flügeln.

Der Sturm hörte nicht einfach auf. Der Wind beruhigte sich nur. Malfurion flog durch den Nebel. Er wusste, dass er nur eine kleine Schlacht gewonnen hatte. Zu viel Selbstvertrauen konnte genauso gefährlich sein wie übertriebene Furcht.

Dann ragte plötzlich etwas vor ihm auf. Es war so groß, dass Malfurion selbst von hier oben aus die Spitze nicht erkennen konnte. Er wusste augenblicklich, um was es sich dabei handelte, obwohl er schon vor dessen Erschaffung gefangen gewesen war. Fandral hatte so oft betont, wie notwendig dieses Wesen war, damit ihr Volk seine Unsterblichkeit und seinen Ruhm zurückerlangte.

Der zweite Weltenbaum empfing ihn. Er war beeindruckend. Er war imposant.

Doch während Malfurion den Baum beobachtete, wurde ihm klar, dass er vom Albtraum stärker verderbt war als alles andere

Der Erzdruide ging in Querlage, dabei ließ er den riesigen Baum nicht aus den Augen. Nach außen hin wirkte alles normal. Aber seine Sinne verrieten ihm, dass er von dem Bösen befallen war, das sich aus dem anderen Reich heraus ausgebreitet hatte.

Warum haben die Druiden es nicht gemerkt?, fragte sich Malfurion. Was haben sie sich denn dabei gedacht? Wie konnte Fandral es so weit kommen lassen?

Als er sich der Insel näherte, spürte er eine große Aktivität. Zahlreiche Druiden waren dort unten versammelt, und sie alle wirkten gemeinsam einen Zauber. Seine Hoffnung stieg. Die anderen hatten endlich erkannt, dass der Weltenbaum befleckt war und bekämpften das Böse.

Doch schon einen Augenblick später erkannte Malfurion, dass es genau umgekehrt war. Der Zauber war sehr mächtig. Aber anstatt den Baum zu heilen, nährte er die Verderbtheit noch. Das konnte nur ein Irrtum sein. Er konnte die Befleckung spüren und wunderte sich, dass die anderen nichts davon bemerkten.

Ohne zu zögern stieß Malfurion nach unten. Gleichzeitig versuchte er, zu den anderen Druiden zu gelangen und sie vor ihrem furchtbaren Zauber zu warnen.

Doch etwas blockierte seinen Versuch, die Zauberer zu kontaktieren. Malfurion war nicht überrascht, es bedeutete allerdings, dass er die Druiden schnellstens erreichen musste. Die Befleckung des Weltenbaums und Yseras Gefangennahme würden sonst dem Albtraum zum Sieg verhelfen.

Plötzlich berührte ihn die Seele eines anderen. Zuerst glaubte er, einer der Druiden unter ihm hätte den Kontakt aufgebaut. Doch dann stellte er fest, dass das Signal von oben kam. Dabei war das Gedankenmuster, trotz der schlechten Verbindung, so einzigartig, dass er ganz genau wusste, wer dahintersteckte.

Hamuul Runentotem? Die Antwort auf Malfurions Frage kam verstümmelt. Es war, als wäre der Tauren nicht ganz bei Bewusstsein. Malfurion spürte, dass eine Dringlichkeit von dem Tauren ausging, eine Dringlichkeit und eine Warnung.

Die Warnung war so intensiv, dass der Erzdruide augenblicklich wieder gen Himmel flog. Er stieg hoch und erblickte schließlich die Baumkrone.

Alles sah aus, wie es sollte. Doch Malfurion konnte spüren, dass die Befleckung sich auch hier wie im Stamm ausgebreitet hatte. Der Erzdruide erreichte vorsichtig, aber mit der gebotenen Eile die ersten Äste.

Er passierte die Zweige, ohne das geringste Anzeichen von Gefahr zu spüren. Tiefer drinnen erkannte er erste Spuren von Fauna in der Form von Vögeln und Eichhörnchen. Hatte er sich geirrt? War der Baum gar nicht verderbt?

Die Sturmkrähe stieg immer höher. In gewisser Hinsicht wusste Malfurion, was er finden würde. Schon lange vor seinem Verschwinden hatte es Diskussionen um die Gründung einer neuen Hauptstadt gegeben. Über den genauen Ort war damals noch nicht entschieden gewesen, doch Malfurion hatte keinen Zweifel, dass er Darnassus oben auf dem Weltenbaum finden würde.

Was bedeutete, dass Tausende Leben nicht einmal ahnten, dass ihre Heimat mittlerweile zu einem Hort der Finsternis geworden war.

Malfurion hatte schließlich keine andere Wahl mehr, als genau in die Krone zu fliegen. Es war der direkteste Weg zu dem Ort, an dem er den Tauren vermutete... und vielleicht das Geheimnis um die Fäule im Weltenbaum.

Obwohl er als Sturmkrähe nicht klein war, schoss Malfurion mit Leichtigkeit durch die große Krone. Traurig blickte er den Weltenbaum an. Das lag nicht nur an der Befleckung. Ihn überkam auch die Erinnerung an Nordrassil und was er einst gewesen war.

Wenn sie nur gewartet hätten! Nordrassil hätte wiederhergestellt werden können... mit etwas Zeit...

Das Laubwerk wurde immer dichter und zwang Malfurion schließlich, langsamer zu werden. Er konnte spüren, dass er sich seinem Zielort näherte...

Sein Weg war plötzlich voller Äste und Blätter. Malfurion umflog sie.

Doch das Laubwerk bewegte sich, versperrte erneut seinen Weg.

Der Erzdruide versuchte, die Hindernisse zu umfliegen, aber es war zu spät. Er kollidierte mit etwas.

Das Blattwerk wickelte ihn ein. Es versuchte, seine Flügel festzubinden, seinen Schnabel zu umwickeln und seinen Körper zu zermalmen, bis alle Knochen brachen.

Malfurion spürte die vertraute und schreckliche Präsenz des Albtraumlords. Sie war nicht in voller Stärke vorhanden. Stattdessen wirkte es, als habe die böse Macht einen Teil von sich hier zurückgelassen.

Schallendes Gelächter erfüllte Malfurions Geist. Die Blätter schienen Gesichter zu bekommen, schattenhafte Gesichter, die sich beinahe in schreckliche Gestalten verwandelten.

Malfurion nahm augenblicklich seine eigentliche Gestalt an und überraschte das Blattwerk damit. Die Blätter änderten sich ihrerseits und wurden immer mehr zu Schatten mit Hufen, die sich begierig auf den Nachtelfen stürzten.

Malfurion keuchte und versuchte, sich zu konzentrieren. Ein starker Wind von der Stärke eines Hurrikans kam auf. Die großen Äste wurden zurückgepeitscht, als wären sie Grashalme, und die Schattenkreaturen wurden weggeblasen wie die Blätter, aus denen sie entstanden waren.

Der Nachtelf kletterte aufwärts, dann verwandelte er sich wieder. Während der Sturm tobte, flog er mit all seiner Macht auf die Spitze zu. Weitere Blätter folgten ihm und versuchten ihn daran zu hindern, doch sie waren zu langsam.

Malfurion betrat Darnassus.

Zwei Dinge bemerkte er augenblicklich. Eins davon betraf die Stadt selbst. Stolz erstreckte sie sich über die beiden großen Äste. Seinen Brüdern und allen, die ihnen bei der Erschaffung der neuen Hauptstadt der Nachtelfen geholfen hatten, war wirklich ein Meisterwerk gelungen.

Die zweite Sache, die Malfurion auffiel, war, dass die Stadt offensichtlich überhaupt nicht auf die Gefahr reagierte, die Teldrassil und den Rest von Azeroth bedrohte. Er sah Bewegungen in einigen Gebäuden und hörte aus einer Richtung sogar Musik.

Wie können sie es nicht wissen? Wie können sie nur so Ignorant sein?

Die Antwort war einfach. Jemand wollte, dass es so war.

Dennoch war es merkwürdig, dass die Wächter von dieser Sache keinerlei Ahnung hatten. Malfurion kannte Shandris Mondfeder sehr gut, irgendwie war er sogar so etwas wie ihr Stiefvater. Sie hätte ihre Stadt nicht derart schutzlos zurückgelassen.

Doch er hatte keine Zeit herauszufinden, was die Wächter wussten oder nicht. Hamuuls verzweifelter Ruf war aus einer anderen Richtung gekommen.

Malfurion bewegte sich darauf zu und vermied jeden Kontakt mit seinem Volk. Zu ihrer eigenen Sicherheit wollte er nicht, dass irgendjemand wusste, wo er gerade war. Derzeit schien der Albtraumlord kein Verlangen zu verspüren, Darnassus anzugreifen. Es war eine prekäre Lage, und Malfurion gefielen die Alternativen nicht. Aber es führte kein Weg daran vorbei.

Ohne sie zu kennen, wusste er, dass er an der neuen Enklave des Cenarius angekommen war. Über diesen Ort der Meditation und der Versammlung hatten sie bei der Planung der Stadt lange diskutiert. Malfurion selbst hatte viele der Details vorgeschlagen, die er jetzt direkt vor sich sah. Doch sein Herz wurde krank, als er die Befleckung spürte, die auch hier stark war.

Malfurion landete und seine Gestalt wandelte sich dabei. Alles war ruhig, zu ruhig für einen Ort, wo sich Vögel und andere Tiere tummeln sollten, egal ob bei Tag oder Nacht.

Er hatte keine andere Wahl, als die Bäume zu meiden, die die Enklave begrenzten. Der Erzdruide wusste, dass sie wahrscheinlich so verderbt wie die Zweige waren, gegen die er zuvor gekämpft hatte.

Ein Verdacht, der schon seit Langem in ihm schwelte, regte sich. Der Angriff hatte ihn in seiner Meinung nur bestätigt. Obwohl Malfurion es immer noch nicht wahrhaben wollte...

Der Gedankengang wurde von einem kurzen Kontakt Hamuuls unterbrochen. Er drängte zur Eile. Malfurion versuchte, den Druiden zu erreichen, doch er hatte keinen Erfolg.

Aber er wusste, von wo aus Hamuul ihn kontaktiert hatte. Malfurion eilte zu dem Gebäude, das sich in der Mitte der Enklave befand.

Dort hatte auch der Mann sein Heim gewählt, der die Druiden nach Malfurions Verschwinden geführt hatte.

Malfurion näherte sich dem Gebäude – und blieb plötzlich vor Schreck erstarrt stehen.

Zwei Gestalten waren in den Ranken verflochten, die das Heim bedeckten. Ihre Glieder waren weit auseinandergestreckt. Malfurion erkannte Hamuul Runentotem. Daneben erblickte er Shandris Mondfeder. Sie beide schienen ohnmächtig zu sein... oder Schlimmeres...

Malfurion erkannte, dass er hierher gelockt worden war.

„Seht an, der verloren geglaubte Shan’do ist zurückgekehrt, um uns mit seinem unverdienten Ruhm zu ehren“, erklang die Stimme von Fandral Hirschhaupt, die von überall her gleichzeitig zu kommen schien. „Stets der Einzige, der die Welt retten kann. Das behauptet er zumindest selbst. Ich spürte schon vor langer Zeit, dass Ihr kommen würdet, und ich habe Euch einen entsprechenden Empfang bereitet...“

Malfurion blickte sich nicht um, um nach Fandral zu suchen. Denn das wollte der Erzdruide ja. Stattdessen sprach er einfach mit dem Gebäude. „Was ist hier geschehen, Fandral? Warum tut Ihr das?“

„Ist das nicht offensichtlich?“, antwortete die Stimme. „Diese beiden sind eine Gefahr für unser Volk! Für ganz Azeroth!“

„Hamuul und Shandris?“ Malfurion versuchte, Fandrals wahren Aufenthaltsort herauszubekommen. Der Druide war offensichtlich vom Albtraumlord ausgetrickst worden und sah die Dinge deshalb falsch. Wenn Malfurion Fandral diese Tatsache klarmachen konnte, dann schaffte er es vielleicht auch, seinen Druidenbruder den Fängen des Zaubers zu entreißen. „Shandris ist eine tapfere Verteidigerin unseres Volkes, und Hamuul ist ein ehrliches, würdiges Mitglied unserer Bruderschaft...“

„Lügen, Lügen, Lügen!“ Die Worte hallten durch Malfurions Kopf. „Sie wollen alles zerstören! Sie wollen uns vernichten. Er hat es mir gesagt!“

„Wer, Fandral? Wer?“

Ein Bereich der Ranken, der nicht benutzt wurde, um Malfurions Freunde zu fesseln, zog sich zusammen, formte sich zu einer Gestalt, die etwa so groß wie Malfurion war.

Die Ranken verschwanden plötzlich.

Fandral Hirschhaupt starrte auf seinen Shan’do. „Das würdet Ihr gern wissen, oder? Ich weiß, dass auch Ihr ein Verräter seid!“ Auf seinem Gesicht zeigte sich ehrliche Trauer – gemischt mit Wahnsinn. „Aber Ihr seid zu gefährlich! Die Frau und das Tier – sie sind fehlgeleitet. Doch nun schlafen und träumen sie. Sie werden erfrischt aufwachen, so wie alle anderen auch!“

Malfurion trat auf Fandral zu. „Niemand wird aufwachen! Der Albtraum erstreckt sich schon über den Smaragdgrünen Traum hinaus! Ganz Azeroth, außer Darnassus, wird vom Bösen heimgesucht, und dieses Böse erfüllt auch den Weltenbaum!“

„Ihr lehnt meinen Teldrassil immer noch ab!“, zischte der Erzdruide grimmig. „Aber ich habe so viel damit erreicht! Er hat mir geholfen, nicht nur unser Volk, sondern ganz Azeroth neu zu formen!“

Fandral starrte nach unten. „Ich weiß, dass Teldrassils Herz besser ist als Eures oder das jedes anderen! Ich habe ihm mein Herz gegeben, und für dieses Opfer hat er mir ihn zurückgegeben...“

Erst jetzt bemerkte Malfurion einen Schatten, der über der linken Schulter des Nachtelfen schwebte. Es war eine der verderbten Gestalten, die ihn auf dem Weg hierher angegriffen hatten.

Doch obwohl Fandral den Schatten anblickte, schien er nicht beunruhigt von dessen offensichtlich düsteren Präsenz zu sein. Stattdessen lächelte Fandral ihn mit väterlicher Zuneigung an.

„Teldrassil hat mir meinen Sohn zurückgegeben, Malfurion. Meinen Sohn! Ist Valstann nicht so stolz und schön wie immer?“

Er wird von dem Wahn verzehrt, erkannte Malfurion traurig. Er ist jenseits aller Rettung...

Und das bedeutete, dass Malfurion nur eine Möglichkeit hatte. Er konzentrierte sich...

Fandral runzelte die Stirn. Er blickte seinen ehemaligen Shan’do ebenso traurig an wie der ihn. „Ich hatte mir etwas anderes erhofft. Das war Eure letzte Chance, mein Lehrer...“

Der Schatten, der vorgab, Valstann zu sein, lachte düster, obwohl nur Malfurion es zu hören schien.

Es gab ein schreckliches Beben. Malfurion wurde zu Boden geworfen. Doch Fandral schien davon unberührt zu sein.

Der Boden erzitterte, und die Bäume beugten sich, als versuchten sie, sich selbst zu entwurzeln. Eine dunkle Furcht ergriff Malfurion, als er spürte, wie die Befleckung in Teldrassil immer schlimmer wurde.

„Ich habe ihm geraten noch zu warten!“, rief Fandral. „Doch es scheint, dass Valstann die Wahrheit gesagt hat! Ihr, Darnassus... alles... muss gereinigt werden! Valstann und ich werden unserem Volk den Weg weisen, und alle werden es gut haben! Teldrassil wird das Instrument des neuen, glorreichen Azeroths werden!“

Er plapperte noch weiter, blind für die schreckliebe Wahrheit um ihn herum. Malfurion versuchte, das Gleichgewicht zu wahren. Aber der Boden brannte wie Feuer. Ihm wurde schwarz vor Augen. Fürchterliche Blätter, so schwarz wie die Nacht und mit wilden Dornen gespickt, sprossen überall hervor.

Die Bäume wankten immer wilder, einige von ihnen rissen sich los. Sie trugen eine Fäule in sich, die vorher nicht offenbar gewesen war. Aus ihren Kronen fielen Hunderte der kleinen dornigen Blätter.

Die Blätter begannen, sich in die Schattenkreaturen zu verwandeln.

Zum ersten Mal hörte Malfurion Rufe und Schreie, die von außerhalb der Enklave kamen. Darnassus erging es schließlich wie dem restlichen Azeroth. Der Schrecken des Albtraums war erwacht, in einer neuen und auf seine Art noch furchtbareren Gestalt.

Die Heimat der Nachtelfen – Teldrassil – war ihr Feind geworden.

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