28

Wren flüchtete. Sie rannte von der Lichtung unter die Bäume, taub vor Kummer, halb blind vor Tränen, den Ruhkstab mit beiden Händen fest vor sich haltend wie einen Schild. Sie lief durch die Schatten und das Halblicht des frühen Morgens auf der Insel, beachtete weder das entfernte Rumpeln des Killeshan noch das Erzittern, mit dem Morrowindl antwortete. Sie war verloren für alles. Es gab nichts als die Notwendigkeit, der Zeit und dem Ort von Garths Tod zu entkommen, obwohl sie wußte, daß sie der Erinnerung daran niemals entkommen könnte. Sie zog mit unbesonnener Blindheit an Gestrüpp und Zweigen vorbei, rannte durch hohe Gräser und Dornensträucher und an Erdwällen vorbei, die mit Lavagestein überzogen waren, sie stolperte über totes Holz und verstreute Trümmer. Sie spürte nichts davon. Es war nicht ihr Körper, der flüchtete, es war ihr Geist.

Garth!

Sie rief ihn immer wieder und jagte ihren Erinnerungen an ihn hinterher, als könnte sie ihn wieder zum Leben erwecken, wenn sie nur eine davon eingefangen hätte. Sie sah ihn geisterhaft und trügerisch davoneilen. Bruchstücke von ihm erschienen und verblaßten wieder in der Luft vor ihr, verschwommene und ferne Bilder von vergangenen Zeiten. Sie sah sich selbst hinter ihm herjagen, wie sie es so oft getan hatten, wenn sie Jäger und Beute gespielt hatten, wenn sie die Lektionen des Überlebens erarbeitet hatten. Sie sah sich selbst an jenem letzten Tag im Tirfing, bevor Cogline erschienen war und sich alles für immer verändert hatte. Damals war sie die Ufer des Myrian entlanggegangen und hatte nach Zeichen gesucht. Sie sah, wie er sich aus den Bäumen herabgeschwungen hatte, groß, lautlos und schnell. Sie spürte wieder, wie er sie ergriff, spürte sich davongleiten, spürte ihr langes Messer sich erheben und herabsinken. Sie hörte sich lachen. Du bist tot, Garth.

Und jetzt war er es wirklich.

Irgendwie – sie wußte später nie, wie das geschah – stolperte sie über die anderen Überlebenden des kleinen Trupps, Triss, den letzten der Elfen, den letzten außer ihr, und Stresa und Faun. Sie taumelte in sie hinein, wandte sich ärgerlich ab, als seien sie ein Hindernis, und lief weiter. Sie folgten ihr natürlich, rannten, um sie einzuholen, riefen sie drängend und fragten, was nicht stimmte, was passiert sei, wo Garth bleibe.

Fort, sagte sie und schüttelte den Kopf. Er käme nicht mit.

Aber es sei in Ordnung. Es sei so das beste.

Er sei jetzt in Sicherheit.

Noch im Lauf hörte sie Triss erneut fragen: Was stimmt nicht?

Und Stresa antwortete: Hsssttt, kannst du es nicht sehen? Worte wurden verstohlen geflüstert, Beobachtungen untereinander ausgetauscht, aber sie erfaßte ihre Bedeutung nicht und machte sich gar nicht erst die Mühe. Faun sprang vom Weg auf ihren Arm und hängte sich besitzergreifend an sie, aber sie schüttelte den Baumschreier schroff ab. Sie wollte nicht angefaßt werden. Sie konnte es kaum ertragen, in ihrer eigenen Haut zu stecken.

Sie rannte unter den Bäumen weiter.

»Hoheit!« hörte sie Triss hinter sich rufen.

Später stolperte sie einen Lavahang hinauf, krallte und grub sich in den scharfen Fels und spürte, wie er in ihre Hände und Knie einschnitt. Ihr Atem drang schwer keuchend aus ihrer Kehle, und sie hustete und erstickte fast an Worten, die nicht kommen wollten. Der Ruhkstab fiel ihr aus den Händen, und sie ließ ihn zurück. Sie schloß alles aus und ließ hinter sich, wer und was sie war. Sie empfand nur noch Widerwillen bei dem Gedanken daran, wollte nur noch fliehen, entkommen und laufen, bis sie nirgends mehr hingehen könnte.

Als sie schließlich zusammenbrach und erschöpft flach auf dem Hang liegen blieb, war es Triss, der als erster bei ihr war, der sie in die Arme nahm, als sei sie ein Kind, der sie mit Worten und kleinen Berührungen beruhigte und ihr den Trost gab, den sie brauchte. Er half ihr auf die Füße, wandte sie um und brachte sie den Hang wieder hinunter zum Wald. Den Ruhkstab hielt er in einem Arm und mit dem anderen stützte er sie, und so führte er sie durch die Morgenstunden wie ein Schäfer ein verirrtes Lamm. Er forderte nichts von ihr, außer, daß sie einen Fuß vor den anderen setzte und mit ihm weiterging. Stresa übernahm die Führung, an seine wuchtige Gestalt konnte sie sich halten. Sie wußte, daß sie sich auf ihn konzentrieren sollte, auf dies sich ständig verändernde Objekt, auf das sie sich jetzt zubewegte. Erst einen Fuß, dann den anderen, immer wieder. Faun machte einen weiteren Versuch, ihr Bein hinauf und auf ihren Arm zu klettern, und dieses Mal hieß sie ihn willkommen, drückte den Baumschreier an sich und genoß die Wärme und Weichheit der kleinen Kreatur.

So wanderten sie den ganzen Tag, Gefährten auf einer Reise, die Worte überflüssig machte. Bei den wenigen Malen, wo sie anhielten, um sich auszuruhen, nahm Wren das Wasser, das Triss ihr zu trinken gab, und die Früchte, die er ihr in die Hand legte, an, ohne zu fragen, woher sie kamen oder ob es sicher sei, sie zu essen. Das Tageslicht verdunkelte sich, als sich Wolken von Horizont zu Horizont zusammenballten, als der Vog sich darunter verdichtete. Der Killeshan wütete hinter ihnen. Feuer und Asche und Rauch wurden in langen Geysiren himmelwärts gespien, ohne daß sie noch auf Hindernisse gestoßen wären. Der Geruch von Schwefel lag schwer in der Luft, und die Insel schüttelte und wiegte sich. Als die Dunkelheit schließlich herabsank, war der Rand der Berge in einen blutroten Kranz gehüllt, der bei jedem Ausbruch erneut aufflammte und Feuerranken bis auf die fernen Hänge hinabsandte, von wo die Lava zum Meer floß. Geröll knirschte und wurde zerrieben, während es von dem geschmolzenen Felsgestein fortgetragen wurde, und Bäume loderten mit jäh prasselnder Verzweiflung auf. Der Wind erstarb vollständig, Dunst setzte sich über allem fest, und die Insel wurde zu einem Käfig, den Feuer umschloß und dessen Bewohner in erschreckter, ängstlicher Verwirrung gegeneinander prallten.

Stresa brachte sie in dieser Nacht inmitten eines Hains aus zähen, fast unbelaubten Eisenbäumen in einer Felsspalte unter, die von drei Seiten geschützt war. Sie kauerten sich in der Dunkelheit mit den Rücken an die Wand und beobachteten, wie der Feuersturm immer heftiger wurde. Sie waren noch immer einen Tag vom Strand entfernt, einen Tag von einem möglichen Treffen mit Tiger Ty entfernt, und der Untergang der Insel stand unmittelbar bevor. Wren fand soweit zu sich selbst zurück, daß sie die Gefahr erkannte, in der sie sich befanden. Während sie an einem Becher Wasser nippte, den Triss ihr gegeben hatte, und auf den Klang seiner Stimme lauschte, während er leise weitersprach, um ihr Sicherheit zu vermitteln, erinnerte sie sich an das, was sie zu tun hatte, und daran, daß nur Tiger Ty allein ihr dabei helfen konnte.

»Triss«, sagte sie schließlich überraschend und sah ihn zum ersten Mal wieder an und nannte seinen Namen. Daß sie ihn erkannte, ließ ihn erleichtert lächeln.

Kurz danach erschienen die Dämonen, die Schattenwesen von Morrowindl. Es waren die ersten, die dem Feuerfluß des Killeshan entkommen waren, die von den Hügeln hinab zum Strand geflüchtet, verloren und verwirrt waren und alles töten wollten, was ihnen in den Weg kam. Sie stolperten aus der feurigen Dämmerung, ein Trupp abgerissener mißgebildeter Horrorgestalten, und griffen ohne jedes Zögern an, ihrem Instinkt und ihrem eigenen, seltsamen Wahnsinn folgend. Stresa hörte sie kommen, denn seine scharfen Ohren nahmen das Geräusch ihrer Gegenwart wahr, und er warnte die anderen Sekunden vor dem Angriff. Triss begegnete dem Ansturm mit gezogenem Schwert, widerstand ihm und schlug sie beinahe zurück. Er war den Wesen fast ebenbürtig, auch mit nur einem intakten Arm. Aber die Dämonen waren jenseits von Angst und Vernunft, aus ihrem Hochland vertrieben von etwas, das sie nicht verstanden. Diese Menschen waren für sie keine große Bedrohung. Sie sammelten sich daher und griffen erneut an. Sie waren entschlossen, sich an allem zu rächen, was erreichbar war.

Aber jetzt trat ihnen Wren gegenüber, die von ihrem eigenen Wahnsinn getrieben wurde und ihnen jetzt kalt und berechnend die Magie der Elfensteine entgegensandte, um sie zu zerschneiden wie mit Rasierklingen. Zu spät erkannten sie die Gefahr. Die Magie fing sie ein, und sie verschwanden im Aufflammen von Feuer und plötzlichen Schreien. In Sekundenschnelle blieb nichts weiter von ihnen übrig als Rauch und Asche.

Die ganze Nacht über folgten ihnen andere nach, kleine Gruppen, die im rasenden Ansturm aus der Dunkelheit hervorschossen und einem schnellen und sicheren Tod entgegengingen. Wren vernichtete sie ohne Gefühle und ohne Bedauern und setzte dann den Wald um sie herum in Brand, bis er genauso entflammte wie die Abhänge unter den Lavaflüssen. Als der Morgen herannahte, war die Erde um ihr Versteck fünfzig Fuß im Umkreis schwarz und verraucht, ein Leichenhaus mit jenseits allen Erkennens geschwärzten Körpern, ein Friedhof, auf dem nur sie überlebt hatten. Es gab keinen Schlaf, keine Ruhepause und nur wenig Aufschub zwischen den Angriffen. Die Morgendämmerung fand sie, wie sie hohläugig vor sich hin starrten, hagere, mitgenommene Gestalten vor dem aufsteigenden Licht. Triss war an einem halben Dutzend Stellen verwundet, seine Kleidung hing in Fetzen an ihm hinunter, und alle seine Waffen außer seinem Kurzschwert waren verloren oder zerbrochen worden. Wrens Gesicht war grau vor Asche, und ihre Hände zitterten nach diesen Anwendungen der Macht der Elfensteine. Stresas Stacheln fächerten sich in alle Richtungen auf, und es schien, als würde er sie niemals wieder anlegen können. Faun kauerte zusammengedrückt neben Wren.

Mit einem silbrigen Sonnenaufgang kroch aus dem Osten Licht durch den Dunst aus Feuer und Rauch. Erst jetzt erzählte Wren ihnen, was geschehen war, denn sie hatte schließlich das Bedürfnis, es zu erzählen, um sich von der einsamen Last, die sie trug, zu befreien, von dem bitteren Wissen, das allein das ihre war. Sie erzählte ruhig und leise, in der Stille, die auf den letzten Angriff gefolgt war. Sie weinte erneut und dachte, sie könnte vielleicht niemals wieder aufhören. Aber dieses Mal bewirkten die Tränen Reinigung, als würden sie schließlich einen Teil des Schmerzes fortspülen. Sie hörten ihr schweigend zu, der Hauptmann der Leibgarde, der Stachelkater und der Baumschreier, dicht um sie versammelt, so daß ihnen nichts entging, nicht einmal Faun, der ihre Worte vielleicht verstanden hatte oder auch nicht und sich an ihre Schulter schmiegte. Die Worte flössen leicht aus ihr heraus, der Damm aus Verzweiflung und Beschämung gab nach, und eine Art Frieden senkte sich über sie.

»Grrrrr, Wren, es war notwendig«, belehrte Stresa sie ernst, als sie geendet hatte.

»Du wußtest es, nicht wahr?« fragte sie als Antwort.

»Hsssttt. Ja. Ich erkannte, was das Gift anrichten würde. Aber ich konnte es dir nicht sagen, Wren von den Elfen, weil du mir nicht geglaubt hättest. Es mußte von ihm kommen.«

Und damit hatte der Stachelkater recht, obwohl es jetzt nicht mehr wirklich wichtig war. Sie sprachen noch ein wenig länger miteinander, während das Licht langsam durch die Dämmerung sickerte und die Welt um sie herum erhellte. Es war eine Welt aus schwarzen Trümmern, aus denen sich der Rauch noch immer in dünnen Spiralen himmelwärts ringelte und in der die Erde noch immer unter dem Zorn von Killeshan erzitterte.

»Er hat sein Leben für Euch gegeben, Hoheit«, begann Triss ernst. »Er stand über Euch, als der Wisteron Euch überwältigen wollte, und kämpfte um Eure Sicherheit. Niemand von uns hätte so gut reagieren können. Wir haben es versucht, aber nur Garth hatte die Kraft. Behaltet das von ihm in Eurer Erinnerung.«

Aber sie konnte noch immer spüren, wie sie auf den Griff des langen Messers gedrückt hatte, als es in sein Herz glitt, konnte noch immer spüren, wie seine Hände sich über ihre legten, fast als habe er ihr alle Verantwortung abnehmen wollen. Sie würde sie immer dort spüren, dachte sie. Sie würde immer sehen, was in seinen Augen gewesen war.

Sie brachen kurz danach wieder auf, überquerten das verkohlte Schlachtfeld der Nacht, das bald von der frischen, grünen Landschaft des Tages vor ihnen abgelöst wurde, zogen auf das letzte Stück Land zu, das sie vom Strand trennte. Die Erschütterungen unter ihren Füßen setzten sich noch immer stetig fort, und die Feuer der Lavaflüsse brannten sich näher heran und strömten von der Bergflanke über ihnen. Verschiedenartige Wesen flohen um sie herum in alle Richtungen, und sogar die Dämonen hielten auf ihrer Flucht nicht mehr inne, um anzugreifen. Alle rannten, um der brennenden Hitze zu entkommen, vom Zorn des Killeshan zu den Ufern der Blauen Spalte getrieben. Morrowindl verwandelte sich langsam in einen Feuerkessel und fraß sich selbst vom Zentrum nach außen hin auf. Risse brachen überall auf, breite Spalten, die sich in die Schwärze öffneten und zischten und Dampf und Hitze ausspien. Die Welt, die einst nach dem Gebrauch der Elfenmagie aufgeblüht war, verging zu Staub, und in wenigen Tagen würden nur noch die Felsen und die Asche der Toten übrig sein. Eine neue Welt entfaltete sich um die Freunde, während sie flohen, und wenn sie erst fertig gestaltet war, würde nichts mehr von der alten darin erkennbar sein.

Sie stiegen hinab zu den Wiesen mit hohen Gräsern, zu den letzten Feldern mit altem Bewuchs, die an die Küste grenzten. Die Gräser hatten bereits begonnen, sich zu kräuseln und im Rauch abzusterben. Sie waren voller Dampf und Gase, die das Leben aus ihnen heraussengten Ausgetrocknetes, lebloses Gestrüpp brach unter ihren Stiefeln. Feuer brannten in heißen Flecken überall um sie herum, und zu ihrer Rechten, jenseits einer tiefen Schlucht, bahnte sich ein dünnes Band rotglühenden Feuers unaufhörlich seinen Weg über einen Teppich von Wildblumen auf einen Hain mit Akazien zu, die in hilfloser, erstarrter Vorahnung warteten. Wolken von schwarzem Ruß wälzten sich von den Höhen des In Ju herab, wo der Dschungel langsam bis zum Wasser zu brennen begann, während der Sumpf darunter beinahe kochte. Fels und Asche regneten in Schauern von irgendwo jenseits ihres Sichtfeldes herab wie Hagel aus den Wolken. Die Ausbrüche des Vulkans schleuderten sie stetig heraus. Der Wind drehte sich, und die Sicht nahm ab. Es war Mittag, und der Himmel war so rauh und grau und dunstig wie im herbstlichen Zwielicht.

Wrens Kopf fühlte sich leicht und leer an, als sei er ein Teil der Luft, die sie atmete. Ihre Knochen hingen lose in ihrem Körper, und das Feuer der Magie der Elfensteine flackerte und funkelte noch immer wie abkühlende Kohlestücke. Sie suchte das Land um sich herum ab und konnte sich offenbar auf nichts konzentrieren. Alles trieb dahin wie Wolken.

»Stresa, wie weit noch?« fragte sie.

»Ein Stück noch«, grollte der Stachelkater, ohne sich umzudrehen. »Phfffft. Lauf weiter, Wren von den Elfen.«

Das tat sie, und sie merkte, daß ihre Kräfte nachließen, und sie fragte sich abwesend, ob dies nach dem häufigen Gebrauch der Magie so war oder nur durch Erschöpfung. Sie spürte, daß Triss sich ihr näherte und einen Arm um ihre Schultern legte.

»Lehnt Euch an mich«, flüsterte er und nahm ihr Gewicht auf sich.

Die Wiesen zogen wie die Sonne auf ihrer Wanderung nach Westen vorbei, und sie erreichten den alten Pflanzengürtel. Er war bereits zum Süden hin entzündet, die oberen Zweige brannten, und Rauch türmte sich auf. Sie eilten schnell hindurch, glitten und rutschten dabei über Moos und Blätter, über totes Holz und loses Gestein. Die Bäume standen still und verlassen da oder ragten in tiefhängende Wolken und Dunst wie Säulen hinein. Knurren und Fauchen stieg aus dem Dunst, entfernt, aber dennoch ringsum spürbar.

Der Zug ging weiter. Einmal bewegte sich etwas Riesiges in den abgelegenen Schatten neben ihnen, und Stresa wälzte sich ihm mit aufgestellten Stacheln entgegen. Aber nichts zeigte sich, und sie gingen kurz darauf weiter. Das Geräusch von Wasser, das auf Felsen aufprallte, erklang vor ihnen, das Steigen und Fallen des Meeres. Wren bemerkte, daß sie lächelte. Den Ruhkstab hielt sie fest an ihre Brust gepreßt. Es gab noch immer eine Chance für sie, dachte sie erschöpft. Es bestand noch immer Hoffnung, daß sie entkommen konnten.

Als dann schließlich das Tageslicht hinter ihnen verblaßte und der Sonnenuntergang vor ihnen in Silber- und Rottönen erstrahlte, traten sie aus den Bäumen heraus und fanden sich auf einem hohen Felsen wieder, von dem aus sie über die weiten Wasser der Blauen Spalte sehen konnten. Rauch und Asche bewölkten die Luft vor ihnen, aber hinter ihrem Schirm flammte der Horizont von Farben.

Die Freunde taumelten vorwärts und blieben dann stehen. Der Fels fiel zu einer zerklüfteten Küstenlinie hin steil ab. Es gab keine Strande und keine Spur von Tiger Ty.

Wren lehnte sich schwer auf den Stab und suchte den Himmel ab. Er erstreckte sich weit und leer vor ihnen.

»Tiger Ty!« flüsterte sie verzweifelt.

Triss ließ sie los, trat vor und suchte den Fels ab. »Dort unten«, signalisierte er kurz darauf und deutete nach Norden. »Dort ist ein Strand, auf den wir gelangen können.«

Aber Stresa schüttelte bereits seinen grauen Kopf. »Sssttt! Wir müßten durch die Wälder zurückgehen, zurück durch den Rauch und die Wesen, die er verbirgt. Keine kluge Idee bei der bevorstehenden Dunkelheit. Phfffft!«

Wren sah hilflos zu, wie die Sonne am Rande des Meeres herabsank und zu verschwinden begann. Innerhalb von Minuten würde es dunkel sein. Sie dachte daran, daß sie so weit gekommen waren, und flüsterte: »Nein.« Aber so leise, daß nur sie es hören konnte.

Sie legte den Stab ab und ließ die Elfensteine in ihre Hand gleiten. Sie hielt sie vor sich und ließ die weiße Magie von einem Ende zum anderen über den Himmel schießen. Es war ein Aufflackern der Helligkeit vor dem grauen Zwielicht. Das Licht schimmerte wie Feuer und verschwand. Sie standen da und schauten ihm nach und beobachteten, wie die Dunkelheit sich näherte. Sie beobachteten, wie die Sonne den Himmel mit Farben bemalte, während sie außer Sicht sank.

Hinter ihnen begannen sich die Jäger zu sammeln, die Dämonen, die von den Höhen herabgekommen waren, und die schwarzen Wesen, die sie verfolgt hatten oder von der Magie angezogen wurden. Ihre Schatten drängten sich an den Rand des Zwielichts, sie knurrten und fauchten und kamen ständig näher. Wren und ihre Begleiter waren auf dem Fels gefangen und drängten sich auf einer Klippe zusammen, die zum Meer hin steil abfiel. Wren spürte das Rasseln ihrer Knochen, ihres Atems, und ihre nachlassende Kraft. Sie hatte zuviel erwartet, als sie angenommen hatte, Tiger Ty würde nach all dieser Zeit für sie da sein Sie hatte zuviel erhofft. Und doch weigerte sie sich, die einzige Hoffnung aufzugeben, die ihnen geblieben war. Sie würde einmal mehr die Magie benutzen, wenn es notwendig war. Einmal mehr, maßvoll. Denn es war in jedem Fall nicht mehr genug übrig, um sie eine weitere Nacht am Leben zu erhalten. Es war nicht mehr genug Kraft in ihr, um sie zu benutzen, aber es war in niemandem von ihnen genug Kraft, als daß es wichtig wäre.

Triss trat den Schatten in den Bäumen entgegen. Er stand da, hager und hart, mit seinem gebrochenen Arm, der steif herabhing, den Schwertarm gebeugt und bereit. »Haltet euch hinter mir«, befahl er.

Die Sekunden vergingen schnell. Die Farben am westlichen Himmel verblaßten zu Grau. Zwielicht vertiefte sich zu einem blassen Ascheschatten.

»Dort!« warnte Stresa.

Etwas schwang sich aus der Dunkelheit heran, eine kompakte Gestalt stieß auf Triss herunter und warf ihn zu Boden. Eine weitere rauschte hinter ihr heran, und Stresa überschüttete sie mit Stacheln. Wren schwang die Elfensteine hoch, sandte die Magie vor und verbrannte die nächststehenden Wesen. Sie schrien und zogen sich hastig zurück. Triss lag bewußtlos auf der Erde.

Wren fiel erschöpft auf die Knie.

»Sssttt. Steh auf!« grollte Stresa verzweifelt.

Eine Handvoll mißgestalteter Figuren löste sich erneut aus der Dunkelheit und drängte auf sie zu.

»Steh auf!«

Auf einmal zerriß ein Schrei die nahe Stille, ein Laut wie der Aufschrei menschlichen Lebens, und ein riesiger Schatten strich über den Felsen. Klauen streiften die Umrisse der Bäume und zerstreuten die Angreifer in die Dunkelheit. Wren schaute ungläubig hinauf. Sprachlos. Hatte sie gesehen... ? Der Schatten kam zurück, schwarze Schwingen zuckten messergleich über den Himmel, und ein weiterer Schrei brach hervor.

»Spirit!« schrie Wren, als sie ihn erkannte.

Der Rock kam wieder zurück und sank auf den Rand des Felsens, wo er sich mit wildem Flügelschlag niederließ. Eine kleine, drahtige Gestalt sprang herab, wild brüllend und schreiend.

»Ho, hier entlang, schnell jetzt! Ihr Schreck wird nicht lange anhalten!«

Tiger Ty!

Und als Wren Triss auf die Füße zog und vorwärts taumelte, auf den kleinen Mann zu, fand sie Tiger Ty so vor, wie sie ihn all die Wochen in Erinnerung gehabt hatte, runzlig und unter seiner braunen Haut lächelnd, eine Vogelscheuche aus Knochen und Leder, mit offenen rauhen Händen und mit flinken, hellen Augen. Er sah sie an und ihre Begleiter und den Ruhkstab, den sie trug, und er lachte.

»Wren Elessedil«, begrüßte er sie. »Ihr seid so gut wie Euer Wort, Mädchen! Aus dem Tod zurückgekommen, um mich zu treffen, zurückgekommen, um mir ins Gesicht zu spucken, um mir zu beweisen, daß Ihr es trotz allem schaffen konntet! Schatten, Ihr müßt hart wie Eisen sein!«

Sie war zu glücklich, ihn zu sehen, als daß sie widersprochen hätte. Er drängte sie, schnell auf Spirit hinaufzusteigen – aber erst nachdem er Stresa einen scharfen Blick zugeworfen und dem Stachelkater eine gezielte Warnung hatte zukommen lassen, daß er seine Stacheln am besten bei sich behalten sollte. Während er etwas über Wrens Wahl ihrer Reisegefährten murmelte, schlang er der Stachelkatze einen Lederüberwurf um und hob ihn hoch, Obwohl Stresa ruhig und nachgiebig blieb, schossen seine Blicke doch ärgerlich umher. Wren band Faun auf ihren Rücken, bestieg Spirit, zog den halb bewußtlosen Triss hinauf und setzte ihn vor sich, wo sie ihn an seinem Platz festhalten konnte. Da sie die Hände voll hatte, stieß sie den Ruhkstab neben ihre Beine in Spirits Harnisch. Sie arbeiteten geschwind, Tiger Ty und sie, angetrieben durch das Knurren und Fauchen, das sich aus der Dunkelheit der Bäume erhob, getrieben von der Angst vor den Wesen, die sich dort verborgen hielten. Zweimal schossen schwarze Gestalten aus den Schatten, als wollten sie angreifen, aber jedes Mal schickte der ärgerliche Schrei von Spirit sie wieder davon.

Es schien, als würden sie ewig brauchen, aber schließlich waren sie bereit. Mit einem schnellen letzten Blick auf die Riemen des Harnischs sprang Tiger Ty auf den Rock.

»Hoch jetzt, alter Vogel«, schrie er drängend.

Mit einem letzten Schrei breitete Spirit seine großen Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Eine Handvoll Dämonen brach aus der Deckung hervor. Sie rasten in dem letzten verzweifelten Versuch heran, sie zu fangen, und warfen sich auf den Fels. Einige erwischten noch Federn des Rock und zogen den großen Vogel hinab. Aber Spirit schüttelte sich, wand sich und schlug wild mit seinen Klauen um sich, und die Angreifer fielen in die Dunkelheit zurück. Als der Rock über die Blaue Spalte dahinglitt und aufzusteigen begann, schaute Wren ein letztes Mal zurück. Morrowindl war ein glühender Schmelztiegel vor der Nacht, ganz Nebel und Dampf und Asche, und Killeshans Krater spie Ströme geschmolzenen Felsgesteins aus. Flüsse aus Feuer, die zum Meer strömten.

Sie schloß die Augen und schaute nicht mehr zurück.

Sie war sich niemals sicher, wie lange sie in dieser Nacht geflogen waren. Es konnten Stunden oder auch nur Minuten gewesen sein. Sie klammerte sich an Triss und die Haltegurte, während sie darum kämpfte, wach zu bleiben. Ihre Erschöpfung reichte bis zum Punkt der Gefühllosigkeit. Faun hatte seine Arme warm und pelzig um ihren Hals gelegt, und sie konnte den ängstlichen Atem des Baumschreiers an ihrem Hals spüren. Irgendwo hinter ihr ritt schweigend Stresa. Sie hörte Tiger Ty ein- oder zweimal etwas zu ihr zurückrufen, aber seine Worte gingen im Wind verloren, und sie machte sich nicht die Mühe, eine Antwort zu versuchen. Eine Vision von Morrowindl in diesen letzten Minuten schwamm geisterhaft an ihren Augen vorbei, ein harter unnachgiebiger Alptraum, der niemals dem Schlaf weichen würde.

Als sie landeten, wieviel Zeit auch immer bis dahin vergangen sein mochte, war es noch immer Nacht, aber der Himmel um sie herum war klar und strahlend. Spirit ließ sich auf einem schmalen Atoll nieder, das grün bewachsen war. Der süße Geruch von Blumen wehte in der Luft. Wren atmete die Düfte dankbar ein, als sie von Rocks breitem Rücken glitt und automatisch die Hände nach Triss und dann nach Stresa ausstreckte. Stell dir das vor, dachte sie benommen – ein Mond und Sterne, eine Nacht, die von ihrem Licht erhellt wird, kein Nebel oder Dunst, kein Feuer.

»Hier entlang, hier hinüber, Mädchen«, riet Tiger Ty ihr freundlich und nahm sie am Arm.

Er führte sie zu einem Flecken weichen Grases, wo sie sich hinlegte und sofort einschlief.

Die Sonne glühte rot vor dem Horizont, als sie wieder erwachte. Sie war eine scharlachrote Kugel, die aus den karmesinroten Wassern des Meeres in einen Himmel aufstieg, der schwarz war von Gewitterwolken. Der Sturm und sein Feuer schienen auf einen einzigen Flecken der Erde und des Himmels konzentriert zu sein. Sie erhob sich auf den Ellenbogen und spähte zu dem seltsamen Phänomen hoch, wobei sie sich fragte, wie das sein konnte.

Doch dann flüsterte Tiger Ty, der an ihrer Seite Wache hielt! »Schlaft weiter, Fräulein Wren. Es ist noch immer Nacht. Das dort draußen ist Morrowindl. Es steht ganz in Flammen und brennt von innen nach außen aus. Der Killeshan hat alles zerstört. Es wird bald nichts mehr übrig sein, vermute ich.«

Sie schlief weiter, und als sie erneut erwachte, war es Mittag, die Sonne stand hoch in einer wolkenlosen, blauen Weite über ihr, die Luft war warm und wohlriechend, und die Gesänge der Vögel waren ein strahlendes Trillern vor dem Rauschen des Meeres an den Felsen. Faun schnatterte irgendwo in der Nähe. Sie erhob sich, um nach ihm zu sehen, und fand den Baumschreier auf einem Felsen, wo er an einer Weinranke zog, so daß er ihre Blätter anknabbern konnte. Triss schlief noch, und Stresa war nirgends zu sehen. Spirit saß draußen am Rand der Klippe, und seine wilden Augen starrten hinaus auf das leere Wasser.

Tiger Ty erschien hinter dem Vogel und schlenderte herüber. Er gab ihr einen Beutel mit Obst und Brot und winkte sie von dem schlafenden Triss fort. Sie erhob sich, und sie gingen und setzten sich in den Schatten einer Palme.

»Seid Ihr jetzt ausgeruht?« fragte er, und sie nickte. »Eßt ein wenig davon. Ihr müßt fast verhungert sein. Ihr seht aus, als hättet Ihr seit Tagen nichts gegessen.«

Sie aß dankbar und nahm auch den Alekrug entgegen, den er ihr anbot, und trank, bis sie dachte, sie würde platzen. Faun wandte sich um und beobachtete sie mit hellen, neugierigen Augen.

»Ihr scheint ein paar neue Freunde aufgesammelt zu haben«, erklärte Tiger Ty, als sie fertig war. »Ich kenne den Elf und den Stachelkater dem Namen nach, aber wie heißt dieser?«

»Sein Name ist Faun. Er ist ein Baumschreier.« Wrens Blick begegnete dem seinen. »Danke, daß Ihr uns nicht im Stich gelassen habt, Tiger Ty. Ich habe mit Euch gerechnet.«

»Ha!« schnaubte er. »Als wenn ich die Chance verpassen würde, herauszufinden, wie alles ausgegangen ist. Aber ich gebe zu, ich hatte meine Zweifel, Mädchen. Ich dachte, Eure Torheit hätte Euch vielleicht das Leben gekostet. Sieht so aus, als wäre es fast so gewesen.«

Sie nickte. »Fast.«

»Nachdem der Vulkan ausgebrochen war, kam ich jeden Tag zurück, um nach Euch zu schauen. Ich sah ihn schon aus zwanzig Meilen Entfernung explodieren. Ich sagte mir, es müsse etwas damit zu tun haben, daß Ihr mir damit ein Zeichen geben wolltet! Und das habt Ihr auch getan, nicht wahr?« Er grinste, und sein Gesicht legte sich dabei in Falten wie altes Leder. »Wie dem auch sei, wir kreisten einmal am Tag über der Insel, Spirit und ich, und suchten nach Euch. Ich hatte gerade die Runde der letzten Nacht beendet, als ich Euer Licht sah. Sonst wäre ich vielleicht schon zurückgeflogen. Wie habt Ihr das überhaupt geschafft?« Er schürzte die Lippen und zuckte dann die Achseln. »Nein, wartet, sagt es mir nicht. Das war die Magie der Landelfen, wenn ich mich nicht irre. Es ist besser, wenn ich es nicht weiß.«

Er hielt inne. »Auf jeden Fall bin ich sehr froh, daß Ihr in Sicherheit seid.«

Sie lächelte zustimmend, und sie saßen einen Moment schweigend da, den Blick auf den Boden geheftet. Vögel, die sich vom Fischfang ernährten, schossen vorbei und tauchten in das offene Wasser wie weiße Pfeile, die Flügel zurückgelegt und die langen Hälse ausgestreckt. Faun kam von seinem Ausguck herunter, um an Wrens Arm heraufzuklettern und sich an ihrer Schulter zu verbergen.

»Ich vermute, Euer großer Freund hat es nicht geschafft«, sagte Tiger Ty schließlich.

Garth. Der Schmerz der Erinnerung trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Das hat er nicht.«

»Das tut mir leid. Ich glaube, Ihr werdet seinen Verlust noch lange Zeit empfinden, nicht wahr?« Die klugen Augen wandten sich ab. »Einige Arten von Schmerz heilen nicht so leicht.«

Sie sagte nichts. Sie dachte an ihre Großmutter und an Eowen, an die Eule und Gavilan Elessedil, an Cort und Dal, die alle in dem Kampf darum verloren gingen, Morrowindl zu verlassen, alle ein Teil des Schmerzes, den sie mit sich trug. Sie schaute hinaus über das Wasser in der Ferne und suchte den Horizont. Sie fand schließlich, was sie gesucht hatte, einen dunklen Fleck vor dem Horizont, wo Morrowindl langsam zu Asche und Felsgestein verbrannte.

»Und was ist mit den Elfen?« fragte Tiger Ty. »Ihr habt sie vermutlich gefunden, wenn man von der Tatsache ausgeht, daß einer von ihnen mit Euch gekommen ist.«

Sie schaute wieder zu ihm zurück, von der Frage überrascht, denn sie hatte einen Moment lang vergessen, daß er nicht bei ihr gewesen war. »Ja, ich habe sie gefunden.«

»Und Arborlon?«

»Auch Arborlon, Tiger Ty.«

Er sah sie einen Augenblick lang an und schüttelte dann den Kopf. »Sie wollten nicht zuhören, nicht wahr? Sie wollten nicht gehen.« Er verkündete dies als Tatsache und mit unverhüllter Bitterkeit in der Stimme. »Jetzt sind sie alle fort und verloren. Sie alle. Törichtes Volk.«

Töricht, in der Tat, dachte sie. Aber nicht verloren. Noch nicht. Sie versuchte, Tiger Ty vom Loden zu erzählen, versuchte, die richtigen Worte zu finden, aber sie konnte es nicht. Es war zu hart, gerade jetzt davon zu sprechen. Sie war noch zu nahe an dem Alptraum, den sie zurückgelassen hatte, und quälte sich noch immer durch die rauhen Empfindungen, die auch der kleinste Gedanke daran hervorrief. Wann immer sie die Erinnerungen wieder hervorholte, fühlte sie sich, als würde ihr die Haut vom Körper gezogen. Sie fühlte sich, als würde ein Feuer sie versengen und bis auf die Knochen brennen. Die Elfen, Opfer ihres eigenen mißgeleiteten Glaubens an die Macht der Magie – wieviel dieses Glaubens war ihr hinterlassen worden? Sie erschauerte bei dem Gedanken. Wahrheiten mußten erwogen und ermessen, Motive überprüft und Leben geradegerückt werden. Nicht das mindeste davon war ihre Aufgabe.

»Tiger Ty«, sagte sie leise. »Die Elfen sind hier, mit mir. Ich trage sie...« Sie zögerte, als er sie erwartungsvoll ansah. »Ich trage sie in meinem Herzen.« Vor Verwirrung zogen seine Brauen sich zusammen. Er senkte den Blick und suchte ihre leeren Hände. »Das Problem ist, zu entscheiden, ob sie hierher gehören.«

Er schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Nicht für mich.«

Sie lächelte. »Nur für mich. Habt eine Weile Geduld mit mir. Keine Fragen mehr. Aber wenn wir unser Ziel erreicht haben, werden wir zusammen herausfinden, ob die Lektionen von Morrowindl die Elfen etwas gelehrt haben.«

Dann erwachte Triss, räkelte sich träge aus dem Schlaf, und sie standen auf, um sich um ihn zu kümmern. Währenddessen ergriffen Wrens Gedanken die Flucht. Sie bemerkte, daß sie wie ein geübter Jongleur die Erfordernisse der Gegenwart gegen die Bedürfnisse der Vergangenheit, die Leben der Elfen gegen die Gefahren ihrer Magie, den Glauben, den sie verloren hatte, gegen die gefundenen Wahrheiten abwog. Diese Überlegungen wog sie schweigend ab. In vollständiger Konzentration bewegte sie sich zwischen ihren Begleitern, als sei sie bei ihnen, obwohl sie in Wirklichkeit wieder auf Morrowindl war, das Entsetzen seiner von der Magie in Gang gesetzten Veränderung beobachtete, die dunklen Geheimnisse der Elfenvergangenheit entdeckte, die einzelnen Teile der furchtbaren, erschreckenden Tage ihres Kampfes darum wieder hervorrief und die Aufgaben, die sie hatte erfüllen müssen. Die Zeit gefror, und während sie unbeweglich vor ihr stand wie eine Statue der frostigen, stillen Selbstprüfung, konnte sie das letzte der zerfetzten Kleidungsstücke, die ihr altes Leben gewesen waren, ablegen, jene Unschuld des Seins, die Cogline und Allanon und ihrer Reise in ihre Vergangenheit vorausgegangen war, und schließlich auch die Hülle anziehen, wer und was sie schon immer hätte werden sollen, wie sie jetzt erkannte.

Auf Wiedersehen. Wren, die du warst.

Faun rührte sich an ihrer Schulter und bat um Aufmerksamkeit. Sie gab das wenige, was sie noch zu geben hatte.

Eine Stunde später schwangen sich der Stachelkater, der Baumschreier, der Hauptmann der Leibgarde, der Flugreiter und das Mädchen, das zur Königin der Elfen geworden war, auf Spirits Rücken ostwärts den Vier Ländern zu.

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