23

Par Ohmsford kauerte in den Schatten der Häuser. Der Umhang, der ihn schützte, war so dunkel wie die Nacht um ihn herum. Er lauschte auf die Klänge von Tyrsis, während sich die Stadt unter ihrer Decke von Sommerhitze ruhelos regte, und wartete auf den Morgen. Die Luft war ruhig und von schweren, süßen und schwülen Gerüchen der Stadt erfüllt. Par atmete sie widerwillig ein und spähte erschöpft aus seinem Versteck den Teichen aus Licht, die von den Straßenlaternen gebildet wurden. Er achtete auf Wesen, die nicht dorthin gehörten, die krochen und jagten, die unaufhörlich etwas suchten.

Die Förderation.

Die Schattenwesen.

Sie waren beide dort draußen, Jäger, die niemals zu schlafen schienen und sich weigerten, jemals aufzugeben. Fast eine Woche lang waren Damson und er jetzt vor ihnen davongelaufen, die ganze Zeit über, seit sie das unterirdische Versteck des Mole hinter sich gelassen und durch die Abwasserkanäle der Stadt ihren Weg zurück zu den Straßen genommen hatten. Eine Woche. Er wußte kaum, wie sie vergangen war, denn seine Erinnerung lag in Scherben und zeigte ihm nur ein Gewirr von Gebäuden und Räumen, von Kammern und Schleichwegen und ein Versteck nach dem anderen. Sie hatten nirgends mehr als ein paar Stunden rasten können, wurden immer irgendwie entdeckt, gerade wenn sie sich in Sicherheit geglaubt hatten, und gezwungen, weiterzulaufen und vor den dunklen Wesen zu fliehen, die sich ihrer bemächtigen wollten.

Wie konnte es sein, fragte sich Par mindestens zum tausendsten Male, daß sie immer so schnell gefunden wurden?

Zuerst hatte er es dem Glück seiner Feinde zugeschrieben. Aber Glück würde nicht so weit reichen, und die Regelmäßigkeit, mit der sie entdeckt wurden, hatte bald jegliche Möglichkeit ausgeschlossen, daß es nur Zufall war. Dann hatte er gedacht, daß es vielleicht seine Magie sei, die irgendwie von Rimmer Dall aufgespürt worden war – denn es waren die Sucher, die am häufigsten kamen. Manchmal erschienen sie in der Aufmachung der Föderation, aber häufiger noch als die Monster, die sie waren, dunkle Schatten mit Umhängen und Kapuzen, Alpträume auch im Wachsein. Aber er hatte seine Magie nicht mehr benutzt, seit sie den Abwasserkanälen entstiegen waren, und wenn er sie nicht benutzt hatte, wie konnten sie dann aufgespürt werden?

»Sie sind in die Bewegung eingedrungen«, hatte Damson vor wenigen Stunden erklärt, bevor sie ihn verlassen hatte, um erneut nach einem Versteck zu suchen, das ihre Verfolger nicht kannten. Ihr Mund war verkniffen gewesen, und sie hatte bleich ausgesehen. »Oder sie haben einen von uns gefangen und ihm alle unsere Geheimnisse entlockt. Es gibt keine andere Erklärung.«

Aber selbst sie hatte zugeben müssen, daß außer Padishar Creel niemand sonst all die Verstecke kannte, die sie benutzten. Niemand sonst konnte sie verraten haben.

Was umgekehrt auf die beunruhigende Möglichkeit hinwies, daß trotz all ihrer Hoffnung auf das Gegenteil der Niedergang des Jut der Föderation jenen Fang eingebracht hatte, auf den sie so erpicht gewesen war.

Par ließ seinen Kopf an den rauhen, harten Stein zurücksinken, um sich auszuruhen. Einen Augenblick lang schloß er verzweifelt die Augen. Coll war tot. Padishar und Morgan waren vermißt, genauso Wren und Walker Boh. Steff und Teel. Die Gesellschaft. Sogar der Mole – sie hatten nichts mehr von ihm gehört, seit sie seinen unterirdischen Räumen entflohen waren. Es gab kein Zeichen von ihm, nichts, das ihnen verraten hätte, was geschehen war. Es war zum Verrücktwerden. Alle jene, mit denen er vor Wochen aufgebrochen war, waren verschwunden – sein Bruder, sein Cousin, sein Onkel und seine Freunde. Manchmal erschien es ihm, als wenn jeder, mit dem er in Berührung kam, verdammt sei, von der Erde zu verschwinden, von irgendeiner unterirdischen Dunkelheit verschlungen zu werden, um niemals wieder an die Oberfläche zu kommen.

Sogar Damson...

Nein. Seine Augen öffneten sich plötzlich, und Wut spiegelte sich im Schein der Lampen. Nicht Damson. Er würde sie nicht Verlieren. Es würde nicht wieder geschehen.

Aber wie lange konnten sie noch so weiter machen? Wie lange noch, bevor ihre Feinde sie schließlich überwältigten?

Er bemerkte eine plötzliche Bewegung an der Ecke der Mauer vor ihm, wo diese abbog und der Straße westwärts auf den Fels zu folgte. Damson tauchte auf. Sie hastete geduckt heran und kam atemlos und mit gerötetem Gesicht zu ihm in die Schatten.

»Zwei andere sichere Verstecke sind entdeckt worden«, sagte sie. »Bevor ich sie sah, konnte ich schon den Gestank der Wesen riechen, die auf uns warteten.« Ihr langes rotes Haar, das mit einem Stoffband über ihrer Stirn zurückgebunden war, war zerzaust und klebte feucht an ihrem Gesicht und ihrem Hals. Ihr Lächeln kam unerwartet. »Aber ich habe eines gefunden, das sie übersehen haben.«

Sie streckte die Hand aus und streichelte seine Wange. »Du siehst so müde aus, Par. Heute nacht wirst du gut schlafen. Dieser Ort – endlich ist er mir wieder eingefallen. Ein Keller unter einer alten Getreidemühle, die einmal etwas anderes war, was ich aber vergessen habe. Das Versteck ist seit mehr als einem Jahr nicht mehr benutzt worden – von niemandem. Einmal haben Padishar und ich...« Sie hielt inne, die Erinnerung war zu schmerzhaft und daher brach sie ab – zu quälend, sagten ihre Augen, zuviel kommt wieder hoch. »Das werden sie nicht kennen. Komm mit. Wir werden es noch einmal versuchen.«

Sie eilten in die Nacht davon, ein doppelter Schatten, der im Handumdrehen auftauchte und wieder verschwand. Par spürte das Gewicht des Schwertes von Shannara glatt und hart auf seinem Rücken, und das erinnerte ihn an die Farce, die seine Suche geworden war, und an die Verwirrung, die ihn quälte. War dies tatsächlich der uralte Zauber, den zu finden er ausgesandt worden war, oder war es ein Trick von Rimmer Dall, der ihn in den Untergang trieb? Wenn es das Schwert war, warum hatte er seine Macht dann nicht gebrauchen können, als er dem Ersten Sucher gegenübergestanden hatte? Wenn es aber nur eine Kopie war, was war dann aus dem richtigen Schwert geworden?

Aber diese Fragen brachten wie immer keine Antworten, und wie schon so oft schob er sie schnell beiseite. Daß sie überlebten, war alles, was im Moment zählte, die Vernichtung der schwarzen Wesen und, noch wichtiger, ein Entkommen aus der Stadt. Ihre Flucht hatte ihn an die Bewegung von Ratten in einem Labyrinth erinnert. Sie waren gefangen hinter Mauern, aus denen sie nicht entkommen konnten. Alle Versuche, aus Tyrsis herauszukommen, um das offene Land dahinter zu erreichen, waren vereitelt worden. Die Tore wurden sorgfältig beobachtet, alle Ausgänge waren bewacht, und Damson war in der Abgeschiedenheit des Mole nicht in der Lage gewesen, sich in den Tunneln unterhalb der Stadt zurechtzufinden. Sie allein boten einen Fluchtweg. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiterzulaufen und sich zu verbergen, von einem Versteck zum nächsten zu hasten und auf eine Gelegenheit zu warten, hervorzukommen, oder darauf, daß sich ihnen eine Möglichkeit zu ihrer Befreiung bot.

Sie gingen eine Seitenstraße mit Lichtsprenkeln hinab, die durch Fensterläden vor den hochliegenden Fenstern einer Hofmauer drangen, und hörten Gelächter und das Klingen von Trinkgläsern aus einem Bierhaus. Feucht und stinkend lag Müll auf der Straße. Tyrsis trug in diesem Viertel sein billigstes Parfum, und der Geruch ihres Körpers war üppig und schamlos, wo die Armen und Obdachlosen von den Besitzern verjagt worden waren. Die einst so stolze Dame war jetzt verbraucht und angeschlagen, ein willfähriges Ding im Besitz der Föderation, eine Beute des Krieges, der vorbei gewesen war, bevor er begonnen hatte.

Damson hielt inne, beobachtete aufmerksam den leeren Raum einer beleuchteten Kreuzung, lauschte einen Augenblick auf Geräusche, die nicht dahin gehörten, und führte ihn dann schnell hinüber. Sie gingen eine andere Seitenstraße hinunter, die so still und muffig war wie eine ungeöffnete Kammer, dann durch einen Durchgang und in einen Weg, der wieder zu einer Straße führte. Par dachte erneut an das Schwert von Shannara und fragte sich, wie er wohl herausfinden konnte, ob es das richtige war, und welcher Prüfung er es unterziehen mußte, um die Wahrheit zu erfahren.

»Hier«, flüsterte Damson und drängte ihn abrupt durch ein Loch, das in eine uralte Bretterwand gebrochen war.

Sie standen in einem scheunenähnlichen, düsteren Raum. Die Dachbalken über ihnen waren in dem schwachen Licht der anderen Gebäude, das durch Risse in den zerborstenen, morschen Brettern der Wände sickerte, kaum sichtbar. Maschinen kauerten auf dem Boden wie sprungbereite Tiere, und Reihen von Verschlägen gähnten ihnen leer und schwarz entgegen. Damson führte ihn durch den Raum, wobei ihre Stiefel in der tiefen Stille auf dem Stein und dem Stroh raschelten. Nahe der Rückwand blieb sie dann stehen, griff hinab, packte einen Eisenring, der in den Boden eingelassen war, und zog eine Falltür auf. Ein Lichtschimmer beleuchtete Stufen, die in die Dunkelheit hinabführten.

»Du zuerst«, befahl sie und bedeutete ihm, er solle hinabsteigen. »Nur hinein, und dann bleib stehen.«

Er tat, wie ihm geheißen, lauschte auf den Klang ihrer Schritte, als sie ihm folgte, dann auf das Geräusch der Falltür hinter ihnen. Sie standen einen Moment horchend da, dann schob sie sich vorsichtig an ihm vorbei und tastete in der Dunkelheit lautlos umher. Ein Funke wurde geschlagen, eine Flamme erschien, und das Pech einer Fackel fing Feuer und begann zu brennen. Schwaches und verschwommenes Licht erfüllte den Raum, in dem sie standen, und machte einen niedrigen, mit alten eisenbeschlagenen Fässern und Lattenverschlägen gefüllten Keller sichtbar. Sie bedeutete ihm, er solle ihr folgen, und dann gingen sie durch das Durcheinander weiter. Der Keller zog sich weit dahin und endete dann an einem Durchgang. Damson bückte sich in die Dunkelheit, hielt die Fackel vor sich und ging dann hindurch. Der Durchgang führte sie hinab zu einem Raum, der früher wohl ein Schlafraum gewesen war. Ein altes Bett war an eine Wand gestellt, ein Tisch und Stühle an eine andere. Ein zweiter Durchgang führte auf der anderen Seite aus dem Raum hinaus in die Dunkelheit. Wo das Fackellicht endete, konnte Par gerade noch den Anfang einer uralten Treppe ausmachen.

»Hier sollten wir heute nacht sicher sein, vielleicht auch länger«, erklärte sie ihm. Als sie sich jetzt umwandte, beleuchtete das Licht ihre Züge, so daß er das helle Leuchten ihrer grünen Augen, die Weichheit ihres Lächelns sehen konnte. »Das ist nicht viel, nicht wahr?«

»Wenn es sicher ist, ist es das Größte«, erwiderte er und lächelte zurück. »Wohin führt die Treppe?«

»Zurück zur Straße. Aber die Tür ist von außen verschlossen. Wir müßten sie aufbrechen, wenn wir auf diesem Wege fliehen wollen und nicht den Kellereingang benutzen können. Dennoch ist es auch zumindest ein gewisser Schutz vor dem Gefangenwerden. Denn niemand wird auf den Gedanken kommen, dort nachzusehen, wo ein altes und verrostetes Schloß noch an seinem Platz hängt.«

Er nickte und nahm ihr die Fackel aus der Hand. Einen Moment schaute er sich um, dann trug er sie zu einer alten Halterung und steckte sie an ihren Platz. »Da hängt sie«, erklärte er, nahm das Schwert von Shannara ab und lehnte es gegen das Bett. Seine Augen verweilten einen Augenblick auf dem Zeichen auf seinem Heft, der hochgehaltenen Hand mit einer brennenden Fackel. Dann wandte er sich ab. »Gibt es in dem Schrank etwas zu essen?«

Sie lachte. »Wohl kaum.« Impulsiv trat sie zu ihm, legte ihre Arme um ihn, hielt ihn einen Moment umfangen und küßte dann seine Wange. »Par Ohmsford.« Ihre Stimme war weich, als sie seinen Namen aussprach.

Er umarmte sie, streichelte ihr Haar und spürte ihre Wärme durch sich hindurchrinnen. »Ich weiß«, flüsterte er.

»Es wird alles gut werden für dich und mich.«

Er nickte schweigend, denn er war überzeugt, daß es so sein würde, daß es so sein mußte.

»Ich habe ein wenig frischen Käse und Brot in meinem Rucksack«, sagte sie und entzog sich ihm. »Und etwas Ale. Gut genug für Flüchtlinge wie uns.«

Sie aßen schweigend und lauschten auf die dumpfen Geräusche des Eisens, das in die Mauern des Gebäudes eingelassen war und jetzt abkühlte. Ihre Spannung nahm zu, als die Nacht tiefer wurde. Ein- oder zweimal hörten sie so entfernt, daß die Worte nicht zu unterscheiden waren, Stimmen von der Straße. Sie wurden durch die mit einem Vorhängeschloß gesicherte Tür und über die uralte Treppe hinabgetragen. Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, packten sie sorgfältig ein, was übriggeblieben war, löschten die Fackel und wickelten sich in ihre Decken. Dicht nebeneinander legten sie sich auf das schmale Bett und schliefen dort schnell ein.

Bei Tagesanbruch fielen schmale Lichtstreifen kühl und verschwommen durch Risse und Spalten, und die Geräusche der Stadt wurden laut und bestimmt, als die Menschen sich für die Geschäfte eines neuen Tages zu rüsten begannen. Par wachte das erste Mal seit einer Woche erfrischt auf und wünschte sich, er hätte Wasser, um sich zu waschen. Dennoch war er einfach dankbar dafür, daß er endlich einmal seine Müdigkeit abgeschüttelt hatte. Damson hatte strahlende Augen und sah wunderschön aus, zerzaust und gleichzeitig vollkommen, und Par hatte das Gefühl, als müsse das Schlimmste nun hinter ihnen liegen.

»Das Wichtigste ist, daß wir einen Weg aus der Stadt heraus finden«, erklärte Damson zwischen zwei Bissen ihres Frühstücks. Sie saß ihm gegenüber an dem kleinen Tisch, und ihre Miene drückte Entschlossenheit aus. »Wir können so nicht weitermachen.«

»Ich wünschte, wir könnten etwas über den Mole in Erfahrung bringen.«

Sie nickte, und ihre Augen mieden seinen Blick. »Ich habe mich darum bemüht, als ich draußen war.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Mole ist erfinderisch. Er lebt schon zu lange.«

Aber nicht, wenn die Schattenwesen ihn jagen, hätte Par fast gesagt, überlegte es sich dann aber anders. Damson dachte sicher ohnehin das gleiche. »Was mache ich heute?«

Sie schaute ihn an. »Dasselbe wie immer. Du bleibst, wo du bist. Sie wissen nur von dir. Sie wissen noch immer nichts von mir.«

»Das hoffst du.«

Sie seufzte. »Das hoffe ich. Aber wie dem auch sei, ich muß einen Weg für uns finden, an den Mauern vorbeizukommen und aus Tyrsis heraus, damit wir herausfinden können, was mit Padishar und den anderen geschehen ist.«

Er verschränkte seine Arme über der Brust und lehnte sich zurück. »Ich fühle mich so nutzlos, wenn ich hier herumsitze.« »Manchmal ist es aber das beste, Par.«

»Ich lasse dich nicht gern allein hinausgehen.«

Sie lächelte. »Und ich lasse dich nicht gern allein hier. Aber so müssen wir es im Moment halten. Wir müssen klug sein.«

Sie zog ihren Straßenumhang an, ihr Magiergewand, denn sie trat noch immer regelmäßig auf dem Marktplatz auf, um Tricks für die Kinder vorzuführen. So hielt sie den Anschein aufrecht, daß alles genauso sei wie immer. Ein heller Lichtpfeil drang in die Dämmerung der Gänge, durch die sie gekommen waren, und mit einem Winken verschwand sie darin und war fort.

Er verbrachte ruhelos den Rest des Vormittags und durchstreifte die engen Grenzen seines Versteckes. Einmal kletterte er die Treppe hinauf, die zur Straße führte, überprüfte das Schloß, das die schwere Holztür sicherte, und stellte fest, daß es sicher war. Er wanderte zurück durch die Tunnel, die vom Keller der Getreidemühle abzweigten, und fand heraus, daß jeder von ihnen an einem Vorratsplatz oder einem Behälter endete und alle lang, leer und verlassen waren. Als die Mittagszeit kam, stellte er sich ein Essen aus den Resten der gestrigen Mahlzeit zusammen, die in Damsons Rucksack versteckt waren, streckte sich dann auf dem Bett zu einem kurzen Schlummer aus und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.

Als er schließlich erwachte, war das Licht silbrig geworden, und der Tag ging schnell in die Dunkelheit über. Er lag einen Moment verschlafen blinzelnd da und erkannte dann, daß Damson noch nicht zurückgekehrt war. Sie war seit fast zehn Stunden fort. Voller Besorgnis erhob er sich schnell und überlegte, daß sie schon lange hätte zurück sein sollen. Es war möglich, daß sie schon einmal hereingekommen und wieder gegangen war, aber das war unwahrscheinlich. Sie hätte ihn sicherlich geweckt. Oder er wäre von selbst aufgewacht. Er runzelte düster die Stirn, wandte sich unbehaglich um, versuchte die Steifheit seiner Gliedes loszuwerden und fragte sich, was er tun sollte.

Da er trotz seiner Besorgnis hungrig war, entschloß er sich, etwas zu essen, und verschlang die letzten Reste von Käse und Brot. Es war noch ein wenig Ale in dem verschlossenen Schlauch, aber das schmeckte schal und warm.

Wo war Damson?

Par Ohmsford hatte die Risiken von Anfang an gekannt, all die Gefahren, denen Damson Rhee jedes Mal gegenübertrat, wenn sie ihn verließ und in die Stadt hinausging. Wenn der Mole gefangen wurde, würden sie ihn zum Sprechen bringen. Wenn die sicheren Verstecke gefährdet waren, dann war sie es vielleicht auch. Wenn Padishar gefangen worden war, würde nichts mehr geheim bleiben. Er kannte die Risiken, er hatte sich selbst gesagt, daß er sie akzeptieren würde. Aber jetzt, wo er zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus den Abwasserkanälen daran denken mußte, daß vielleicht das Schlimmste passiert war, stellte er fest, daß er überhaupt nicht darauf vorbereitet war. Er stellte fest, daß er Angst hatte.

Damson. Wenn ihr etwas zugestoßen war...

Ein schlurfendes Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit, und er riß sich aus seinen Grübeleien. Er stand auf, wirbelte dann herum und suchte nach der Quelle des Geräusches. Es war hinter ihm, oben auf der Treppe an der Tür, die von der Straße herunter führte. Jemand spielte an dem Schloß herum.

Zuerst dachte er, es müsse Damson sein, die aus irgendeinem Grunde gezwungen war, durch die Hintertür zu kommen. Aber Damson hatte keinen Schlüssel. Und das Geräusch, das er hörte, war das eines Schlüssels, der im Schloß gedreht wurde. Das ungeschickte Herumtasten hörte nicht auf, sondern endete mit einem harten Stoß, als das Schloß nachgab.

Par griff hinunter nach dem Schwert von Shannara und hängte es sich schnell über seinen Rücken. Wer auch immer dort oben war, es war nicht Damson. Er riß den Rucksack hoch, um jegliche Spuren seines Hierseins zu verbergen. Aber seine Stiefelabdrücke waren überall, das Bett war zerwühlt, und kleine Krümel Nahrung beschmutzten den Tisch. Wer auch immer dort oben war, er hatte jetzt das Schloß aus seiner Falle gehoben und öffnete gerade die Tür.

Tageslicht flutete durch die Öffnung, ein schräger Pfeil fahlen Graus. Par zog sich hastig aus dem kleinen Raum in den Tunnel zurück. Die Fackel ließ er zurück. Er brauchte sie nicht mehr, um seinen Weg zu finden. Seine Erkundungsgänge vom Morgen hatten bei ihm einen deutlichen Eindruck zurückgelassen, wohin er gehen mußte. Stiefel tappten leise auf den hölzernen Stufen, doch sie waren zu schwer und rauh, um zu Damson zu gehören.

Er schlich lautlos und gebeugt den Tunnel hinunter. Wer auch immer hereingekommen war, würde wissen, daß er dagewesen war, aber er würde nicht erkennen können, wann das gewesen war. Sie würden auf seine Rückkehr warten, um ihn unvorbereitet zu überraschen. Oder Damson. Aber wenn er irgendwo in der Nähe des Eingangs in der alten Mühle auf Damson warten konnte, dann würde er sie warnen können, bevor sie hereinkam. Damson würde niemals durch den Hintereingang mit dem aufgesprungenen Schloß kommen. Seine Gedanken überschlugen sich und trieben ihn leise und schnell durch die Dunkelheit vorwärts. Alles, was er zu tun hatte, war, der Entdeckung zu entgehen, durch den Keller zurück zur Tür und hinaus auf die Straße zu gelangen.

Er konnte die Schritte des Eindringlings nicht mehr hören. Gut. Jener Unbekannte war stehengeblieben, um den Raum zu betrachten, fragte sich jetzt sicher, wer wohl dort gewesen war, wie viele dort gewesen waren und warum sie gekommen waren. Noch mehr Zeit für Par, jetzt zu fliehen, eine noch größere Chance für ihn, zu entkommen.

Aber als er den Keller erreichte, bewegte er sich zu schnell auf die Treppe nach oben zu, stieß an eine leere, hölzerne Kiste, stolperte und fiel. Das verrottete Holz krachte und zersplitterte unter ihm, und das Geräusch hallte laut durch die Stille.

Als er sich wild und atemlos wieder aufrappelte, konnte er die Schritte des Eindringlings auf sich zukommen hören.

Er stürzte auf die Treppe zu. Jetzt machte er sich nicht mehr die Mühe, seine Flucht geheimzuhalten. Die Schritte beschleunigten sich. Kein Schattenwesen, dachte er – das würde lautlos auftauchen. Also die Föderation. Aber nur einer? Warum nur einer?

Er erreichte die Treppe und stolperte hinauf. Über ihm wurde als schwache Silhouette die Falltür sichtbar. Er fragte sich plötzlich, ob dort oben vielleicht schon andere warteten, ob er in eine Falle getrieben wurde. Sollte er lieber bleiben, wo er war, und dem einen gegenübertreten, als zuzulassen, daß er den anderen zugetrieben wurde? Aber das waren alles nur Spekulationen, und abgesehen davon war keine Zeit mehr, sich zu entscheiden. Er hatte die Falltür bereits erreicht.

Er drückte von unten dagegen. Die Falltür bewegte sich nicht.

Pfeile verblassenden Tageslichts bahnten sich ihren Weg durch Ritzen in den schweren Holzbrettern, tanzten über sein schweißüberströmtes Gesicht und nahmen ihm kurzzeitig die Sicht. Er senkte den Kopf und drückte ein zweites Mal nach oben. Die Tür saß fest an ihrem Platz. Er blinzelte an dem Licht vorbei und versuchte herauszufinden, was geschehen war.

Etwas Großes und Unförmiges war da oben auf der Falltür.

Verzweifelt warf er sich gegen das Hindernis, aber es bewegte sich nicht von der Stelle. Er stieg die Stufen wieder hinab und warf einen schnellen Blick über seine Schulter. Sein Herz schlug so laut in seinen Ohren, daß er kaum die gedämpfte Stimme hören konnte, die seinen Namen rief.

»Par? Par Ohmsford?«

Es war ein Mann, jemand, den er offenbar kennen mußte, aber er war nicht sicher. Die Stimme klang bekannt und fremd zugleich. Der Sprecher befand sich noch immer irgendwo in der Dunkelheit der Tunnel. Der Getreidemühlenkeller erstreckte sich niedrig und eng zu der dunklen Öffnung hin, Staubteilchen tanzten in der dämmrigen Luft wie ein Nebel und verwandelten alles in Schatten. Par schaute erneut zu der Falltür hinauf und dann zurück zum Keller.

Er war gefangen.

Er preßte seine Lippen fest zusammen. Schweiß rann von der Anstrengung und der Angst seinen Körper hinab, und seine Haut zog sich zusammen.

Wer war dort hinten?

Wer war es, der seinen Namen kannte?

Er dachte wieder an Damson und fragte sich, wo sie war, was aus ihr geworden und ob sie in Sicherheit war. Wenn sie gefangengenommen worden war, dann war er der einzige, mit dem sie noch rechnen konnte. Er konnte sich nicht fangen lassen, denn dann wäre niemand mehr da, der ihr helfen konnte. Oder ihm. Damson. Er sah ihr flammend rotes Haar vor sich, den besonderen Zug um ihren Mund, wenn sie ihn anlächelte, und das Strahlen ihrer grünen Augen. Er konnte ihre Stimme und ihr Lachen hören. Er konnte spüren, wie sie ihn berührte. Er erinnerte sich daran, wie sie darum gekämpft hatte, sein Leben zu retten und ihn dem Wahnsinn zu entreißen, der sich nach Colls Tod seiner bemächtigen wollte.

Die Gefühle, die ihn in diesem Augenblick überwältigten, waren so intensiv, daß er sie fast hinausgeschrien hätte.

Zorn und Entschlossenheit traten an die Stelle seiner Angst. Er griff hinter sich und begann das Schwert von Shannara herauszuziehen, ließ es dann aber wieder in seine Scheide zurückgleiten. Das Schwert war für andere Dinge gedacht. Er würde seine Magie gebrauchen, obwohl sie ihn jetzt ängstigte wie ein alter Freund, der plötzlich fremd und unvertraut geworden ist. Die Magie war unzuverlässig, phantastisch und gefährlich.

Und völlig nutzlos, wie er plötzlich erkannte, wenn sein Gegner ein Mensch war.

Seine Gedanken zerstreuten sich und ließen ihn ohne Hoffnung zurück. Er griff ein zweites Mal hinter sich und zog das Schwert heraus. Es war immerhin seine einzige Waffe.

Ein Schatten erschien am Eingang des Tunnels, und Atem wurde in der plötzlichen Stille leise hörbar. Dort erschien eine verhüllte Gestalt dunkel und ohne bestimmte Züge im schwächer werdenden Licht. Anscheinend war es ein Mann, größer als Par und auch breiter.

Der Mann trat aus der Dunkelheit heraus und richtete sich auf. Er ging weiter und blieb dann plötzlich stehen, sah Par auf der Kellertreppe, mit der Waffe in der Hand. Das lange Messer in seiner eigenen Hand schimmerte dumpf. Einen Moment lang standen sie einander gegenüber, ohne sich zu bewegen, und versuchten, den anderen zu erkennen.

Dann hob der Eindringling langsam die Hände und streifte die Kapuze seines staubigen, schwarzen Umhangs zurück.

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