Wren Ohmsford und ihre Begleiter kauerten sich schweigend in die Dunkelheit der Tunnel unterhalb des Keel, während die Eule irgendwo vor ihnen leise hantierte. Er schlug einen Feuerstein gegen Fels, um mit einem Funken die pechumkleidete Fackel entzünden zu können, die auf seinem Knie lag. Die Magie, die den Tunnel erleuchtet hatte, als Wren in die Stadt kam, war verschwunden, sie war jetzt mit Arborlon und den Elfen im Loden eingeschlossen. Triss war der letzte gewesen, der in den Tunnel gekommen war, nachdem er Ellenroh von der Brücke heruntergetragen hatte. Er hatte die Tür fest hinter ihnen geschlossen und sie so von dem Wahnsinn, der draußen tobte, ausgeschlossen, gleichzeitig waren sie aber auch der Hitze des Gestanks von Killeshans Feuern ausgeliefert.
Ein Funke glomm in der Dunkelheit vor ihnen, und eine lohfarbene Flamme wurde flackernd lebendig und warf ringsum Schatten. Ihre Köpfe wandten sich der Stelle zu, von wo sich die Eule von den Knien erhob.
»Beeilt euch«, flüsterte er ihnen mit rauher und drängender Stimme zu. »Die dunklen Wesen werden nicht lange brauchen, bis sie diese Tür gefunden haben.«
Sie hasteten geduckt hinter ihm her, Eowen, Dal, Gavilan, Wren, Garth und Triss, der Ellenroh trug. Cort bildete den Schluß. Mit der Beharrlichkeit von Maulwürfen, die sich in die Erde hinabgraben, folgten ihnen in der Ferne das Heulen und die Schreie der Dämonen. Schweiß perlte auf Wrens Haut, denn die Hitze des Tunnels war intensiv und nahm ihr den Atem. Sie rieb sich die Augen, blinzelte die klebrige Feuchtigkeit fort und bemühte sich, Schritt zu halten. Ihre Gedanken schweiften ab, während sie sich vorwärts arbeitete. Sie sah wieder Ellenroh vor sich, wie sie in der Mitte des Brückenkopfes gestanden, die Magie des Loden angerufen und damit das Licht hervorgebracht hatte, das ganz Arborlon aufgenommen und in die schimmernden Tiefen des Steins getragen hatte. Wren hatte sehen können, wie die Stadt verschwunden war, davongetragen, als sei sie nie gewesen – Gebäude, Menschen, Tiere, Bäume, Gras, alles. Jetzt hatte sie die Verantwortung für Arborlon. Es war ihre Aufgabe, es zu beschützen, geborgen in einer Magie, die nur so stark war wie die neun Männer und Frauen, denen sie überantwortet worden war.
Wren schob sich an herabhängenden Wurzeln und Spinnweben vorbei, und die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe lastete auf ihr wie ein Gewicht. Sie fühlte sich sehr allein, und sie war nicht die stärkste, wie sie wußte. Doch irgendwie konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß die Verantwortung letztendlich allein bei ihr lag und daß sie zu der Aufgabe Allanons gehörte, derentwegen sie auf der Suche nach den Elfen hierhergekommen war.
Sie schüttelte das Gefühl ab und stolperte in ihrem eifrigen Bemühen, Schritt zu halten, gegen Gavilan.
Auf einmal erbebte die Erde.
Der kleine Trupp hielt inne. Alle senkten schutzsuchend ihre Köpfe, als ein Sandschauer von der Decke des Tunnels herabbröckelte. Der Boden erschauerte erneut, das Beben steigerte sich immer mehr und erschütterte die Erde, als habe ein Riese die Insel mit beiden Händen ergriffen und kämpfe darum, sie herauszuheben.
»Was geht da vor?« hörte Wren Gavilan fragen. Sie ließ sich auf die Knie nieder, um nicht umgeworfen zu werden, und spürte, wie Garth beruhigend seine Hand auf ihre Schulter legte.
»Lauft weiter!« rief die Eule. »Beeilt euch!«
Nun rannten sie, tief gebückt gegen eine Staubwolke, die durch die Luft wirbelte. Das Beben hielt an. Es war ein Rumpeln aus der Erde, ein Geräusch, das an- und abschwoll, ein Erschauern, das sie gegen die Wände des Tunnels warf und sie um ihr Gleichgewicht kämpfen ließ. Die Sekunden flogen vorbei und flohen scheinbar genauso schnell wie sie selbst vor dem Entsetzen, das ihnen folgte. Ein Tunnel brach hinter ihnen zusammen und überschüttete sie mit Erde. Sie konnten ein Bersten von Fels hören, ein Auseinanderbrechen des Lavagesteins, als gebe die Erdkruste nach. Es gab einen schweren Schlag, als ein Felsblock durch eine Spalte fiel und auf den Tunnelboden aufschlug.
»Eule, bring uns hier raus!« schrie Gavilan wild auf.
Schließlich arbeiteten sie sich wieder ins Freie, krochen durch eine Öffnung in der Erde aus dem Tunnel und erkletterten sich ihren Weg in das schwache Morgenlicht. Hinter ihnen brach der Gang vollständig zusammen. Er stürzte ein, und durch den Luftstoß wurde Sand durch die Öffnung, durch die sie gerade eben entkommen waren, emporgeschleudert. Das Beben rollte noch immer über die Höhen von Morrowindl, kräuselte seine Oberfläche und ließ den Fels knirschen und auseinanderbrechen. Wren richtete sich wie die anderen mühsam auf. Sie stand im Schutze einer Gruppe absterbender Akazien, während sie dorthin zurückschaute, woher sie gekommen waren.
Der Keel wimmelte von Dämonen. Ihre schwarzen Körper waren überall zu sehen, und sie versuchten offenbar immer noch, die verhaßte Schranke zu erklimmen. Die Magie war fort, aber die Beben waren an ihre Stelle getreten und erwiesen sich als noch größeres Hindernis. Dämonen flogen von den Höhen und kreischten, während sie fielen. Sie wurden heruntergeschüttelt wie Blätter von einem Herbstbaum im Sturmwind. Der Keel bekam Risse und teilte sich, als der Berghang unter ihm bebte, Felsbrocken stürzten hinab, und er drohte ganz zusammenzubrechen, Feuer schossen aus der Erde dahinter, und der Krater an der Stelle, wo Arborlon durch die Magie herausgehoben worden war, wurde zu einem Kessel aus Hitze und Flammen. Dampf zischte und schoß in Geysiren hervor. Hoch auf Killeshans Hängen wurde die Erdschicht von geschmolzenem Felsgestein durchbrochen, das hervorzusprudeln begann.
»Killeshan erwacht«, sagte Eowen leise, und alle wandten sich um. »Das Verschwinden von Arborlon hat das Gleichgewicht der Dinge auf Morrowindl gestört. Es ist eine Lücke in die magischen Kräfte gerissen worden. Der Riß reicht bis ganz in den Kern der Insel hinein. Der Vulkan schläft nicht mehr, er bewegt sich. Die Feuer in ihm werden immer wilder brennen, und die Gase und die Hitze werden sich weiter aufbauen, bis sie nicht länger gehalten werden können.«
»Wie lange noch«, keuchte die Eule.
Eowen schüttelte den Kopf. »Auf den höher gelegenen Hängen sind es Stunden, weiter unten Tage.« Ihre Augen schimmerten. »Es ist der Anfang vom Ende.«
Einen Augenblick herrschte unsicheres Schweigen.
»Für die Dämonen vielleicht, aber nicht für uns.« Das war Ellenroh Elessedil. Sie war wieder wohlauf und hatte sich von der Anstrengung, die Magie des Loden anzurufen, erholt. Sie befreite sich aus Triss’ stützendem Griff, trat zwischen ihnen hindurch und bedeutete ihnen, ihr zu folgen, bis sie sich schließlich umwandte und alle ansah. Sie wirkte ruhig und sicher und angstfrei. »Wir dürfen jetzt nicht zögern«, ermahnte sie sie. »Wir werden schnell und leise hinunter zu den Ufern der Blauen Spalte gehen, die Insel verlassen und dorthin zurückkehren, wo wir hingehören. Bleibt zusammen, haltet die Augen offen. Eule, bring uns hier heraus.«
Aurin Striate wandte sich sofort um, und die anderen folgten ihm. Niemand stellte eine Frage – Ellenroh Elessedils Gegenwart war stark genug. Wren schaute einmal zurück und sah, wie ihre Großmutter Eowen einholte, die in eine Art Trance abgeglitten zu sein schien, ihre Arme um die Seherin legte und sie sanft führte. Hinter ihnen hüllte der Schein des Vulkanfeuers den Keel und die Dämonen in die Farbe von Blut. Es schien, als sei alles in Rot versunken.
Der kleine Trupp war nicht mehr als Schatten vor dem diesigen Licht, als sie sich von den Hängen des Killeshan durch das zerklüftete Durcheinander von Lavagestein, totem Holz und Gestrüpp bewegten. Alle Geräusche waren jetzt hinter ihnen, wo die Dämonen sich einem Feind näherten, dessen Verschwinden ihnen erst allmählich bewußt wurde. Vor ihnen erklang nur das stete Rauschen des Rowen, dessen graue Wasser auf das Meer zuwirbelten. Die Beben jagten hinter ihnen her, Schauder, die die Flächen mit Lavagestein kräuselten und die Bäume und Sträucher schüttelten. Aber ihre Wucht ließ nach, je weiter die Neun kamen. Vog hing in der Luft vor ihnen, dämpfte die Helligkeit des morgendlichen Dunstes und ließ die Umrisse des Landes verschwimmen. Wrens Atem beruhigte sich, und ihr Körper kühlte ab. Sie fühlte sich nicht mehr gefangen, wie es in dem Tunnel gewesen war, und die Intensität der Hitze hatte abgenommen. Sie begann sich zu entspannen, fühlte, wie sie mit dem Land verschmolz, und fing an, ihre Sinne auszustrecken wie unsichtbare Fühler, um aufzuspüren, was verborgen war.
Dennoch entdeckte sie die Dämonen, die auf sie lauerten, vor ihrem Angriff nicht. Es waren mehr als ein Dutzend, ziemlich klein und knorrig, gekrümmt wie totes Holz, die Gestrüpp und Zweige zerrissen, als sie sich erhoben, um sich auf sie zu stürzen. Eowen ging zu Boden, und die Eule verschwand in einem Gewirr aus Gliedern. Die anderen rückten zusammen, schlugen auf ihre Angreifer mit allem, was gerade zur Hand war, ein und scharten sich beschützend um Eowen. Die Elfenjäger kämpften mit grimmiger Wildheit und vernichteten die Dämonen, als seien sie nur Schatten. Der Kampf war vorbei, fast bevor er begonnen hatte. Eines der schwarzen Wesen entkam, der Rest lag bewegungslos auf der Erde.
Die Eule tauchte hinter einer Bodenwelle auf, ein Ärmel zerrissen, das schmale Gesicht zerkratzt. Er winkte ihnen wortlos, wandte sich von dem Weg ab, dem sie gefolgt waren, und führte sie schnell von der Spitze eines Hügels hinab zu einer engen Wasserrinne, die sich in den Vog hinein schlängelte. Sie waren jetzt sehr wachsam, bereiteten sich auf weitere Angriffe vor und machten sich bewußt, daß die Dämonen überall sein würden, da sie sicher nicht alle zum Keel gegangen waren. Der Himmel über ihnen verwandelte sich zu einem eigenartigen Gelb, als die Sonne hochstieg und vergeblich darum kämpfte, den Vog zu durchdringen. Wren schlich mit langen Messern in beiden Händen voran, während ihre Augen die Schatten vorsichtig auf jedes Zeichen von Bewegung durchstreiften.
Sie näherten sich dem Rowen, als Aurin Striate sie plötzlich anhalten ließ. Er kauerte sich nieder, machte ihnen ein Zeichen, das gleiche zu tun, wandte sich dann um und bedeutete ihnen zu bleiben, wo sie waren, und verschwand voraus in den Dunst. Er war kaum fünf Minuten fort gewesen, als er schon wieder erschien. Er schüttelte warnend den Kopf und bedeutete ihnen, sich nach links zu wenden. Tief gebückt glitten sie an einer Reihe von Felsen entlang, einer Bodenwelle, die sie zum Rowen hin abschirmte. Mehr als eine Meile weit arbeiteten sie sich parallel zum Fluß vor und bewegten sich dann vorsichtig auf eine Erhebung hoch. Wren spähte hinaus auf die träge, graue Oberfläche des Flusses, die leer und weit vor ihr lag und sich in die Ferne erstreckte.
Nichts rührte sich.
Die Eule schloß sich ihnen wieder an. Sein ledriges Gesicht war faltig. »Die seichten Stellen sind von Wesen belagert, mit denen wir lieber nichts zu tun haben sollten. Wir werden ihn statt dessen hier überqueren. Er ist zu breit, als daß wir hinüberschwimmen könnten. Wir müssen übersetzen. Wir müssen ein Floß bauen, das groß genug ist, um uns hinüberzutragen – das wird schon gehen.«
Er nahm die Elfenjäger mit, Holz zu holen, und ließ Gavilan und Garth bei den Frauen. Ellenroh kam zu Wren herüber, umarmte sie kurz und lächelte sie aufmunternd an. Alles war gut, sagte sie, aber ihre Stirn zeigte Sorgenfalten. Sie ging leise wieder fort.
»Fühl die Erde mit deinen Händen, Wren«, flüsterte Eowen plötzlich und kauerte sich neben sie. Wren griff hinab und ließ das Erschauern in ihren Körper aufsteigen. »Die Magie fällt überall um uns herum auseinander – alles, was die Elfen zu errichten gedachten. Das Gefüge unserer Anmaßung und unserer Angst beginnt zu zerfallen.« Das rostfarbene Haar fiel wild über ihre grünen Augen, die in die Ferne schauten, und Eowen sah aus wie jemand, der aus einem Alptraum erwacht. »Sie wird es dir irgendwann erzählen müssen, Wren. Sie wird es dich wissen lassen müssen.«
Dann war auch sie fort und ging hinüber zur Königin. Wren war nicht ganz sicher, wovon sie gesprochen hatte, nahm aber an, daß sie Ellenroh gemeint hatte und jenes Geheimnis, das, wie sie wußte, noch immer unenthüllt war.
Der Vog wirbelte um sie herum, verdeckte den Rowen, schlängelte sich durch die Risse und Spalten im Land und veränderte die Umrisse von allem, woran er vorbeikam. Cort und Dal kehrten zurück. Sie zogen dicke tote Äste hinter sich her und verschwanden dann wieder. Die Eule glitt durch die Dämmerung auf den Fluß zu, hager und gebückt, als sei er auf der Jagd. Alle Bewegungen waren unwirklich, als seien sie eine verblassende Erinnerung, die Dinge vorspiegeln konnte, die nicht vorhanden waren.
Ein plötzlicher Erdstoß erschütterte den Boden unter ihren Füßen und brachte sie dazu, gegen ihren Willen nach Luft zu ringen und die Arme schnell auszustrecken, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen. Die Wasser des Rowen schienen aufgewühlt zu sein. Sie sammelten all ihre Kraft in einer Welle, die auf das Ufer aufprallte und dann davonrollte.
Garth berührte sie an der Schulter. Die Insel schüttelt sich auseinander.
Sie nickte und dachte an Eowens Worte, daß die drohende Umwälzung das Ergebnis der zerbrechenden Magie sei. Sie hatte geglaubt, die Seherin habe sich ausschließlich auf Ellenrohs Gebrauch des Loden bezogen, aber jetzt schien es ihr, als ob die Seherin noch von etwas anderem gesprochen habe. Aus dem, was sie Wren gerade erzählt hatte, konnte man auch schließen, daß das Zerbrechen der Magie mehr umfaßte als nur das Fortnehmen von Arborlon und daß die Elfen zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit beabsichtigt hatten, mehr zu erreichen, daß sie dabei versagten und das, was jetzt geschah, ein direktes Ergebnis davon war.
Sie verbarg dies Wissen sorgfältig für eine Zeit, wo sie Gebrauch davon machen könnte.
Garth ging hinunter, um den Elfenjägern zu helfen, die begonnen hatten, die Stämme für das Floß zusammenzubinden. Gavilan sprach leise mit Ellenroh, in deren Augen sich ruheloser Unwille widerspiegelte. Wren beobachtete ihn einen Augenblick eindringlich und maß das, was sie jetzt sah, an dem, was sie zuvor gesehen hatte. Die überdeutliche Anspannung und die sorglose Gleichgültigkeit, das waren zwei Bilder in scharfem Kontrast. Sie fand Gavilan faszinierend, eine Mischung aus Möglichkeiten und Verlockungen. Sie mochte ihn und wollte ihn in ihrer Nähe haben. Aber es war noch etwas in ihm verborgen, etwas, was sie verwirrte, und das sie noch herausfinden mußte.
»Nur noch ein paar Minuten«, informierte die Eule sie, strich wie ein Schatten an ihr vorbei und verschmolz wieder mit dem Nebel.
Als sie aufstand, schoß plötzlich etwas Kleines und Schnelles aus der Erde heraus und warf sich auf sie. Sie taumelte zurück, schlug verzweifelt um sich und erkannte dann, daß das Wesen, das sich da an sie klammerte, Faun war. Sie mußte gegen ihren Willen lachen und umarmte den Baumschreier fest.
»Faun«, sagte sie zärtlich und drückte das seltsame kleine Wesen an sich. »Ich dachte, dir wäre etwas Furchtbares zugestoßen. Aber es geht dir gut, nicht wahr? Ja, mein Kleiner, es geht dir einfach gut.«
Sie wurde sich bewußt, daß Ellenroh und Gavilan verwirrt zu ihr herüberschauten, und sie sprang schnell wieder auf die Füße, winkte ihnen beruhigend zu und lächelte gegen ihren Willen.
»Grrrrr! Hast du dein Versprechen vergessen?«
Sie wandte sich abrupt um und sah Stresa, der mit aufgerichteten Stacheln aus der Dämmerung zu ihr heraufschaute.
Sie kniete sich schnell nieder. »Also geht es dir auch gut, Freund Stachelkater. Ich habe mir Sorgen um euch beide gemacht. Ich konnte nicht hinauskommen, um zu sehen, ob ihr in Sicherheit wart, aber ich habe es gehofft. Habt ihr euch wiedergefunden, nachdem ich fort war?«
»Ja, Wren von den Elfen«, antwortete der Stachelkater. Seine Worte klangen kühl und überlegt. »Pfffft. Der Schreier kam in der Dämmerung zurückgehetzt, das Fell ganz zerzaust und zerrissen. Er fand mich unten am Fluß, wo ich arbeitete. Also – jetzt dein Versprechen. Du erinnerst dich an dein Versprechen, nicht wahr?«
Wren nickte ernst. »Ich erinnere mich daran, Stresa. Wenn ich die Stadt verlassen würde, wollte ich euch mit ins Westland nehmen. Ich werde dieses Versprechen halten. Hast du befürchtet, ich würde es nicht tun?«
»Hssst, pffft!« Der Stachelkater glättete seine Stacheln. »Ich habe gehofft, daß du jemand bist, dessen Wort etwas bedeutet. Nicht wie...« Er brach ab.
»Großmutter«, rief Wren der Königin zu, und Ellenroh kam zu ihr herüber. Das lockige Haar wehte über ihr Gesicht wie ein Schleier. »Großmutter, dies sind meine Freunde, Stresa und Faun. Sie haben Garth und mir geholfen, den Weg zur Stadt zu finden.«
»Dann sind sie auch meine Freunde«, erklärte Ellenroh.
»Hoheit«, erwiderte Stresa steif und nicht allzu entzückt, wie es schien.
»Was ist das?« Gavilan trat zu ihnen, und Belustigung tanzte in seinen Augen. »Ein Stachel? Ich dachte, sie wären alle fort.«
»Es gibt noch ein paar von uns – ssstt –, was allerdings nicht Euch zu verdanken ist«, verkündete Stresa kalt.
»Du bist ein dreister Kerl, nicht wahr?« Gavilan konnte seine Mißbilligung nicht ganz verbergen.
»Großmutter«, sagte Wren schnell und setzte dem Wortwechsel damit ein Ende, »ich habe Stresa versprochen, ich würde ihn mitnehmen, wenn wir die Insel verlassen. Ich muß dieses Versprechen halten. Und Faun muß auch mitkommen.« Sie drückte den pelzigen Baumschreier, der bisher nicht einmal von ihrer Schulter aufgeschaut hatte, sondern sich noch immer an sie preßte und wie eine zweite Haut an ihr klebte.
Ellenroh sah skeptisch drein, als bedeute es Schwierigkeiten, wenn sie die Wesen mit sich nahmen, Schwierigkeiten, die Wren nicht verstehen konnte. »Ich weiß nicht«, antwortete sie leise, Der Wind pfiff an ihr vorbei und sammelte in der Dämmerung Kraft. Sie schaute fort zu den Elfenjägern, die inzwischen damit beschäftigt waren, Rucksäcke und Proviant auf das Floß zu laden, und sagte dann: »Aber wenn du dein Versprechen gegeben hast...«
»Tante Ell!« rief Gavilan ärgerlich.
Die Königin fixierte ihn mit eisigem Blick. »Sei ruhig, Gavilan.«
»Aber du kennst die Regeln...«
»Sei ruhig!«
Der Ärger war in Gavilans Gesicht greifbar. Er vermied es, die Königin oder Wren anzusehen, sondern wandte seinen Blick statt dessen Stresa zu. »Das ist ein Fehler. Du solltest das am besten wissen, Stachel. Erinnerst du dich daran, wer dich geschaffen hat? Erinnerst du dich daran, warum?«
»Gavilan!« Die Königin war leichenblaß. Die Elfenjäger standen abrupt von ihrer Arbeit auf und schauten zu ihr herüber. Die Eule erschien erneut aus dem Nebel. Eowen stellte sich neben die Königin.
Gavilan blieb noch einen Moment lang stehen, fuhr dann herum und schritt zum Floß hinab. Einen Augenblick lang bewegte sich niemand sonst, sie waren wie Statuen im Nebel, Dann sagte Ellenroh, ohne sich an irgend jemand direkt zu wenden, mit kleiner und verlorener Stimme: »Es tut mir leid.«
Auch sie ging fort, und Eowen folgte ihr auf dem Fuße, mit so viel Betroffenheit auf ihren jugendlichen Zügen, daß Wren nicht zu folgen wagte.
Statt dessen sah sie Stresa an. Das Lachen des Stachelkaters klang verbittert. »Sie will nicht, daß wir die Insel verlassen. Pfffft. Keiner von ihnen will das.«
»Stresa, was geht hier vor?« fragte Wren, jetzt selbst ärgerlich und bestürzt über die Feindseligkeit, die Stresas Erscheinen hervorgerufen hatte.
»Grrrrr, Wren Ohmsford. Weißt du es nicht? Hssst. Du weißt es nicht, nicht wahr? Ellenroh Elessedil ist deine Großmutter, und du weißt es nicht. Wie seltsam!«
»Komm, Wren«, sagte die Eule und huschte einmal mehr an ihr vorbei, wobei er sie leicht an der Schulter berührte. »Wir sollten gehen. Beeilt euch jetzt.«
Die Elfenjäger schoben das Floß ans Ufer des Flusses, und die anderen eilten hinterher. »Sag es mir!« drängte sie Stresa.
»Eine Fahrt den – grrr – Rowen hinab ist nicht meine Vorstellung von einem guten Zeitvertreib«, sagte der Stachelkater und überhörte ihre Bitte. »Ich möchte genau in der Mitte sitzen, falls dir das genehm ist. Hsssttt. Das heißt, auch wenn es dir nicht genehm ist.«
Eine weitere Woge von Erschütterungen ließ die Insel erbeben, und in dem Dunst hinter ihnen brach aus dem Killeshan ein Schauer karmesinroten Feuers hervor. Asche und Rauch schössen empor, und ein Poltern ertönte aus den Tiefen der Erde.
Sie riefen jetzt alle nach Wren, und sie rannte zu ihnen, Stresa einen Schritt voraus, Faun um ihren Hals gewunden. Sie war wütend, weil niemand sich ihr anvertrauen wollte, weil in ihrer Gegenwart Informationen über etwas zurückgehalten wurden, über das sie bewußt im unklaren gelassen wurde. Sie haßte es, so behandelt zu werden. Es war offensichtlich, daß niemand ihr jemals etwas über die Elfen und Morrowindl erzählen würde, es sei denn, sie betrieb diese Angelegenheit mit Nachdruck.
Sie erreichte das Floß, als es gerade auf den Rowen hinausgeschoben wurde, begegnete Gavilans offen feindlichem Blick mit der gleichen Feindseligkeit und rückte bewußt näher an Garth heran. Die Elfenjäger standen bereits bis zu den Knien im Wasser und stabilisierten das Floß. Stresa sprang an Bord, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, und machte sich mitten zwischen den Rucksäcken und dem Proviant breit, genauso, wie er es angedroht hatte. Niemand machte Einwände, niemand sagte etwas. Eowen und die Königin wurden von Triss zu ihren Plätzen geführt, wobei die Königin den Ruhkstab fest in beiden Händen hielt. Wren und Garth folgten. Gemeinsam schoben alle das Floß vom Ufer frei, dann beugten sie sich vor, damit die Stämme das Gewicht ihrer Oberkörper tragen konnten, und ihre Hände griffen nach den Seilen, die zu genau diesem Zweck befestigt worden waren.
Augenblicklich nahm die Strömung sie auf und begann sie fortzutragen. Diejenigen, die dem Ufer am nächsten waren, versuchten dabei, das Floß mit den Füßen von Sandbänken, Felsen und Baumwurzeln abzustoßen, die sie sonst vielleicht behindert hatten. Der Killeshan rumorte weiter, Feuer und Asche wurden ausgespien, und der Vulkan zeigte polternd sein Mißvergnügen. Der Himmel wurde von einer neuen Schicht aus Vog verdunkelt, und noch mehr Wolken bewegten sich vor dem Licht. Das Floß schwamm hinaus in die Mitte des Stromes, schaukelte mit der Bewegung des Wassers und nahm an Geschwindigkeit zu. Die Eule rief ihnen Anweisungen zu, und sie versuchten ohne Erfolg, das Floß auf das jenseitige Ufer zuzusteuern. Geysire brachen durch das Lavagestein der Küstenlinie hinter ihnen und ließen die Felsenhaut des hochgelegenen Landes bersten, wobei sie Dampf und Gas himmelwärts stießen. Der Rowen erzitterte unter der Macht der Erdstöße und begann sich aufzulehnen. Das Wasser wurde unruhig, und kleine Strudel bildeten sich überall. Schutt wirbelte vorbei und wurde auf den Wellenkämmen getragen. Das Floß wurde geschlagen und gestoßen, und während sie sich an ihm festklammerten, waren sie gezwungen, all ihre Kraft aufzuwenden, nur um oben zu bleiben.
»Zieht eure Beine ein!« rief die Eule warnend. »Haltet euch fest!«
Sie trieben flußabwärts. Das Ufer flog als verschwommener Eindruck von gezackten Bäumen, zerklüfteten Lavafeldern, Nebel und Dunst vorbei. Der Vulkan verschwand hinter ihnen. Durch eine Biegung des Flusses und die Ausläufer des Tales, in das sie kamen, wurde er ihrer Sicht entzogen. Wren spürte, daß alles mögliche in sie hineinstach und sie stieß, gegen sie schlug, wieder fortwirbelte und vorbeipeitschte, als würde es von einem unsichtbaren Seil hin- und herbewegt. Ihre Hände und Finger begannen durch das anstrengende Festhalten an den Seilen zu schmerzen, und ihr Körper war durch das eisige Bergwasser zur Gefühllosigkeit gefroren. Das Rauschen des Flusses übertönte das Brüllen des Vulkans, aber sie konnte ihn noch immer unter sich erbeben fühlen. Es war, als ob er aufwachte, im Fieber hochschreckte und in Krämpfen auseinanderbrach. Klippen tauchten vor ihnen auf, die sich wie unpassierbare Mauern erhoben. Doch gleich darauf befanden sie sich zwischen ihnen, denn der Fels hatte sich auf wundersame Weise geteilt, um den Rowen durch einen Engpaß hindurchstürzen zu lassen. Ein paar Minuten lang waren die Stromschnellen so stark, daß es schien, als würden sie auf den Felsen zerschellen. Doch dann kamen sie wieder frei, die Stromrinne verbreiterte sich erneut, und die Klippen wichen in die Ferne zurück. Sie wirbelten durch eine Ansammlung von breiten, unförmigen Felsen und landeten in einem See, der sich in den grünen Dunst eines Dschungels erstreckte.
Der Fluß wurde langsamer und beruhigte sich. Das Floß hörte auf umherzuwirbeln und begann gemächlich auf die Mitte des Sees zuzutreiben. Nebel hing dick über dessen schimmernder Oberfläche, schloß das Ufer auf beiden Seiten von der Sicht aus und verwandelte es in eine tiefe, grüne Oase der Stille. Von irgendwo in der Ferne erklang Killeshans ärgerliches Rumpeln.
In der Mitte des Floßes hob Stresa zögernd seinen Kopf und schaute sich um. Die scharfen Augen des Stachelkaters bewegten sich schnell und suchten Wren: »Sssfffft! Wir müssen von hier fort!« drängte er. »Dies ist kein guter – sssfff – Aufenthaltsort! Dort drüben ist Eden’s Murk!«
»Worüber beschwerst du dich, Stachel?« grolle Gavilan gereizt.
Ellenroh veränderte ihren Griff um den Ruhkstab, der auf dem Floß lag. »Eule, weißt du, wo wir sind?«
Aurin Striate schüttelte den Kopf. »Aber wenn der Stachelkater sagt, es sei hier unsicher...«
Das Wasser hinter ihm brach donnernd auf, und ein riesiger, krustenbedeckter Kopf erhob sich. Vor ihren Augen stieg er langsam, fast träge, in den Nebel, ausgependelt auf einem dicken, sich schlangelnden Körper mit Schuppen und Höckern, die sich im Zwielicht wellenartig bewegten und bogen. Ranken hingen aus seinem Maul wie Fühler, die sich drehten, um Nahrung zu finden. Seine Zähne wurden entblößt, als sich sein grünliches Maul öffnete, sie waren gebogen und standen in Zweierreihen. Das Wesen wand sich, bis es kaum fünfzig Fuß entfernt turmhoch über ihnen aufragte, und dann zischte es wie eine Schlange, die getreten wurde.
»Eine Schlange!« schrie Eowen leise auf.
Die Elfenjäger waren bereits in Bewegung, wechselten hastig ihre Positionen, so daß sie zwischen dem Monster und ihren Schützlingen aufgereiht waren. Mit gezogenen Waffen begannen sie, das Floß auf das gegenüberliegende Ufer zuzubewegen. Es war ein nutzloses Unterfangen. Die Schlange schwamm ihnen lautlos nach und mußte sich kaum anstrengen, um sie einzuholen, wobei sie ihren Kopf mit weit geöffnetem Maul drohend eintauchte. Wren half neben Garth das Floß voranzubringen, aber das Flußufer schien noch weit entfernt. In der Mitte des Floßes standen Stresas Stacheln in alle Richtungen ab, und sein Kopf war verschwunden.
Die Schlange traf sie mit ihrem Schwanz, als sie noch hundertfünfzig Meter vom Ufer entfernt waren, schwang ihn von unten zu ihnen hinauf, hob das Floß und die neun, die sich daran festklammerten, vollständig aus dem Wasser und wirbelte sie durch die Luft. Sie flogen eine kurze Strecke und landeten wieder mit einem Aufprall, der ihnen den Atem aus dem Körper preßte. Ihre Griffe lockerten sich, und Menschen und Gepäck stürzten hinab. Eowen schlug hart auf, ging unter und wurde von Garth wieder an die Oberfläche gezogen. Durch die Wucht des Aufpralls hatte das Floß begonnen, auseinanderzufallen, die Stricke lösten sich, und die Stämme teilten sich. Die Eule schrie ihnen zu, sie sollten um sich treten, und das taten sie, wild und voller Panik, denn sie konnten nichts anderes tun.
Die Schlange griff erneut an und glitt mit einem Schnauben aus dem Rowen, das alles ringsum mit Wasser besprühte. Ihr Schrei brach als tiefes, ansteigendes Husten hervor, ihr Körper bog sich und richtete sich riesig und monströs vor ihnen auf. Wren und Garth wurden von dem Floß gerissen, als die Bestie zuschlug, und rissen Ellenroh und Faun mit sich. Wren sah Gavilan tauchen und beobachtete, wie die anderen zerstreut wurden. Dann schlug die Schlange erneut zu, und alles verschwand in einer Explosion aus Wasser. Das Floß fiel auseinander und wurde zu Feuerholz zerschlagen. Wren ging unter, wobei sich Faun verzweifelt an sie klammerte. Sie kam wieder an die Oberfläche und rang nach Luft. Köpfe bewegten sich im Wasser auf und ab, und die Wellen, die durch den Angriff erzeugt worden waren, gingen über sie hinweg. Der Kopf der Schlange ragte erneut in den Dunst, aber dieses Mal bekamen Triss und Cort ihn unter Kontrolle, indem sie mit ihren Schwertern wild zustießen und schlugen. Schuppen flogen, und dunkles Blut floß, und das Monster schrie zornig auf. In dem Versuch, seine Angreifer abzuschütteln, schlug es wild um sich, und dann tauchte es. Als es unterging, versenkte Triss sein Schwert in dem schuppigen Kopf und riß sich dann los. Cort griff noch immer an, sein jugendliches Gesicht war voller grimmiger Entschlossenheit.
Der Körper der Schlange zuckte und ließ alles auseinanderstieben, sogar verstreute Stämme des zerschmetterten Flosses wirbelten umher.
Einer davon flog auf Wren zu und streifte sie seitlich am Kopf. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie die Schlange abtauchte, wie Garth Eowen auf das Ufer zu zog, wie Ellenroh und die Eule sich an anderen verstreuten Teilen des Flosses festklammerten, und dann wurde alles schwarz um sie.
Sie trieb dahin, empfindungslos, losgelöst, bis in die Seele erstarrt. Sie hätte sagen können, daß sie sank, aber sie schien nicht in der Lage zu sein, etwas dagegen zu tun. Sie hielt den Atem an, als sich das Wasser um sie schloß, atmete dann wieder aus, als sie ihn nicht länger halten konnte, und spürte, wie das Wasser in sie hereinströmte. Sie schrie lautlos auf, ihrer Stimme nicht mächtig. Sie konnte das Gewicht der Elfensteine um ihren Hals spüren. Sie konnte spüren, wie sie zu brennen begannen.
Dann wurde sie von etwas ergriffen, das zu ziehen begann, etwas, das sich zuerst an ihrer Tunika festklammerte und dann an ihrem Körper hinabglitt. Zuerst eine Hand, dann ein Arm – es waren die Griffe eines anderen Menschen. Langsam begann sie wieder aufzusteigen.
Sie kam an die Oberfläche, spuckend und würgend und nach Luft ringend, und hustete das Wasser aus ihren Lungen heraus. Ihr Retter war hinter ihr und zog sie in Sicherheit. Sie legte sich geschwächt zurück und wehrte sich nicht, noch immer wie betäubt von dem Schlag und der Erkenntnis, daß sie fast ertrunken wäre. Sie blinzelte das Wasser aus ihren Augen fort und schaute über den Rowen zurück. Er breitete sich als unruhiges, silbriges Schimmern aus, jetzt leer bis auf die Trümmer, und die Schlange war verschwunden. Sie konnte Stimmen rufen hören – die von Eowen, die der Eule und eine oder zwei andere. Sie hörte, daß ihr eigener Name gerufen wurde. Faun klammerte sich nicht mehr an ihr fest. Was war mit Faun geschehen?
Dann kam auf beiden Seiten das Ufer in Sicht, ihr Retter hörte auf zu schwimmen und stand auf, wobei er sie mit hochzog und sie umdrehte. Es war Gavilan.
»Geht es dir gut, Wren?« fragte er atemlos und erschöpft von der Anstrengung, sie zu schleppen. »Schau mich an.«
Das tat sie, und der Ärger, den sie ihm gegenüber zuvor empfunden hatte, verblaßte, als sie sein Gesicht sah. Sorge und eine Spur Angst spiegelten sich dort wider.
Sie ergriff seine Hand. »Es ist in Ordnung. Alles ist gut.«
Sie atmete die willkommene Luft tief ein. »Danke, Gavilan.«
Er sah überraschend verlegen aus. »Ich habe zwar gesagt, ich sei hier, um dir zu helfen, wenn du Hilfe brauchst, aber ich hatte nicht erwartet, daß du so bald auf mein Angebot zurückkommen würdest.«
Er half ihr, zu der Stelle zu gelangen, wo Ellenroh darauf wartete, sie in ihre Arme zu nehmen. Sie drückte Wren besorgt und flüsterte etwas kaum Hörbares, Worte, die man nicht hören mußte, um sie zu verstehen. Garth war auch da und die Eule, durchnäßt und in bemitleidenswertem Zustand, aber unverletzt. Sie sah, daß der größte Teil ihres Proviantes am Ufer aufgehäuft lag, durchweicht, aber gerettet. Eowen saß zerzaust und erschöpft unter einem Baum und wurde von Dal umsorgt.
»Faun!« rief sie und hörte sofort ein Schnattern. Sie schaute über den Rowen und sah mehrere Dutzend Meter weit entfernt den Baumschreier, wie er sich an ein Stück Holz klammerte. Sie eilte zurück ins Wasser, bis sie fast bis zum Hals darinnen stand, und erst dann gab ihr pelziger Begleiter seine Fahrt auf, schwamm schnell auf sie zu und kletterte auf ihre Schulter, während sie ihn ans Ufer zog. »Nun, nun, Kleiner, du bist jetzt auch in Sicherheit, nicht wahr?«
Kurz darauf stolperte Triss auf den Strand. Eine Seite seines sonnengebräunten Gesichts war bis auf den Knochen zerkratzt, und seine Kleidung war zerfetzt und blutig. Er blieb nur lange genug sitzen, daß die Eule ihn untersuchen konnte, erhob sich dann wieder und ging mit den anderen zurück zum Fluß hinab. Eng beieinander stehend schauten sie über das leere Wasser.
Von Cort oder Stresa war keine Spur zu entdecken.
»Ich habe den Stachel nicht mehr gesehen, seit die Schlange zum letzten Mal auf das Floß eingeschlagen hat«, sagte Gavilan leise, fast entschuldigend. »Es tut mir leid, Wren. Wirklich.«
Sie nickte schweigend. Sie fühlte sich unfähig zu sprechen, denn der Schmerz war zu groß, und stand steif und wie betäubt da, während sie weiter vergeblich nach dem Stachelkater Ausschau hielt.
Zweimal habe ich ihn jetzt verlassen, dachte sie.
Triss bückte sich, um die Riemen an dem Schwert zu befestigen, das er dem Stapel mit den geretteten Sachen entnommen hatte. »Cort ist mit der Schlange untergegangen. Ich glaube nicht, daß er sich noch hat befreien können.«
Wren hörte ihn kaum, denn ihre Gedanken waren finster und brütend. Ich hätte nach ihm sehen sollen, als das Floß sank. Ich hätte versuchen müssen, ihm zu helfen.
Aber sie wußte, obwohl sie anders dachte, daß sie nichts hätte tun können.
»Wir müssen weitergehen«, sagte die Eule leise. »Hier können wir nicht bleiben.«
Als wollte er diese Worte bekräftigen, polterte der Killeshan in der Ferne, und der Dunst wirbelte als Antwort träge umher. Sie zögerten noch einen Moment und warteten schweigend und unbeweglich am Ufer, während das Wasser aus ihrer Kleidung tropfte. Dann wandten sie sich langsam einer nach dem anderen ab. Sie hoben ihre Rucksäcke und die anderen Dinge auf und gingen in Richtung der Bäume davon, wobei sie überprüften, ob ihre Waffen griffbereit waren.
Hinter ihnen streckte sich der Rowen wie ein silbergraues Leichentuch aus.