Derselbe Morgen, der Shea und seine neuen Begleiter vor der schrecklichen Wahrheit über den geflohenen Orl Fane und das Schwert von Shannara sah, fand auch Allanon und die restlichen Mitglieder der Gemeinschaft vor neuen Schwierigkeiten. Sie waren unter der sicheren Führung des schwarzen Wanderers aus der Druidenfestung entkommen, hinab durch das Tunnellabyrinth in das Innere des Berges, und von dort aus zurück in den Wald.
Sie waren bei ihrer Flucht auf keinen Widerstand gestoßen und nur vereinzelten Gnomen begegnet, die durch die Gänge huschten, Überreste der Palastwachen, die schon vorher geflohen waren.
Es war früher Abend, bis der kleine Trupp die unheimlichen Höhen hinter sich hatte und nach Norden durch die Wälder zog.
Allanon war überzeugt davon, daß die Gnomen das Schwert von Shannara schon einige Zeit vor dem Zusammentreffen mit dem Schädelträger im Feuerofen fortgeschafft hatten, vermochte aber nicht genau zu sagen, wann das der Fall gewesen sein konnte.
Eventine patrouillierte an der Nordgrenze von Paranor, und jeder Versuch, das Schwert wegzuschaffen, würde auf den Widerstand seiner Soldaten stoßen. Vielleicht hatte der Elfenkönig das Schwert sogar schon in seinen Besitz gebracht, vielleicht auch den vermißten Shea gefunden. Allanon machte sich schwere Sorgen um den kleinen Talbewohner, den er in der Festung vorzufinden gehofft hatte. Eine Täuschung war nicht möglich gewesen, als er mit seinem Geist den Jungen am Fuß der Drachenzähne gesucht hatte. Shea war in Begleitung anderer gewesen und mit ihnen Richtung Norden, nach Paranor, gezogen. Irgendetwas mußte sie aufgehalten haben. Immerhin, Shea war ein einfallsreicher Bursche, und die Macht der Elfensteine würde ihn vor dem Dämonen-Lord schützen. Der Druide konnte nur hoffen, daß sie einander wieder finden würden und Shea inzwischen nichts Schlimmes zustieß.
Allanon plagten jedoch andere Sorgen, die seine Aufmerksamkeit jetzt beanspruchten. Die Gnomen holten Verstärkungen in großer Zahl herbei, und sie brauchten nicht lange zu dem Schluß, daß Allanon und sein kleiner Trupp von Eindringlingen aus der Burg geflüchtet waren und sich irgendwo im gefährlichen Wald um Paranor aufhalten mußten. In Wahrheit wußten die Gnomen nicht, nach wem sie suchten; sie wußten nur, daß die Burg überfallen worden war und die Eindringlinge gefaßt oder getötet werden mußten. Die Boten des Dämonen-Lords waren noch nicht eingetroffen, und der Schädelkönig selbst ahnte noch nicht, daß ihm seine Beute einmal mehr entwischt war. Er ruhte zufrieden in den dunklen Nischen seines Reiches, überzeugt davon, daß der Störenfried Allanon im Feuerofen von Paranor umgekommen war, daß der Erbe von Shannara und seine Begleiter in der Falle saßen und das Schwert von Shannara sich auf dem sicheren Weg nach Norden befand, abgefangen diesmal von einem Schädelträger, den er einen Tag zuvor weggeschickt hatte, um dafür zu sorgen, daß das kostbare Schwert nicht von neuem zurückerobert wurde. Die neu eingetroffenen Gnomen begannen daher die Wälder um Paranor zu durchkämmen, um die unbekannten Eindringlinge zu finden, von denen sie glaubten, sie seien auf der Flucht nach Süden, Anlaß genug, den Großteil der Jäger in diese Richtung zu schicken.
Allanon und sein kleiner Haufe zogen aber weiter nach Norden.
Von Zeit zu Zeit wurden sie aufgehalten, wenn kleinere Suchtrupps der Gnomen auftauchten. Die Gruppe wäre niemals unentdeckt davongekommen, hätte sie den Weg nach Süden genommen, aber im Norden verdünnte sich das Suchpersonal so sehr, daß es den Flüchtenden gelang, sich vor den Jägern zu verbergen, um dann wieder weiterzumarschieren, sobald die Gnomen verschwunden waren. Es wurde hell, als sie den Waldrand erreichten und auf die riesigen Ebenen von Streleheim hinausblickten, die Verfolger vorübergehend hinter sich.
Allanon wandte sich ihnen zu, das Gesicht angespannt und grimmig; seine Augen leuchteten jedoch vor Entschlossenheit.
Er sah die Begleiter der Reihe nach an und begann endlich zu sprechen.
»Wir haben das Ende des Weges erreicht, meine Freunde. Die Reise nach Paranor ist vorbei, und es wird Zeit, daß wir uns trennen und jeder seiner eigenen Wege geht. Wir haben unsere Chance vertan, das Schwert in unseren Besitz zu bringen – zumindest für den Augenblick. Shea ist immer noch vermißt, und wir können nicht sagen, wie lange es dauern mag, ihn zu finden.
Aber die größte Bedrohung für uns ist eine Invasion aus dem Norden. Wir müssen uns und die Völker der Länder südlich, östlich und westlich von uns davor schützen. Wir haben nichts von den Elfen-Armeen Eventines gesehen, obwohl sie eigentlich in diesem Gebiet auf Wacht sein müßten. Es hat den Anschein, daß sie zurückgezogen worden sind, und das konnte nur geschehen, wenn der Dämonen-Lord damit begonnen hat, seine Armeen nach Süden zu werfen.«
»Dann hat die Invasion schon begonnen?« fragte Balinor.
Allanon nickte düster, und die anderen wechselten erschrockene Blicke.
»Ohne das Schwert können wir den Dämonen-Lord nicht besiegen, also müssen wir versuchen, seine Armeen vorher aufzuhalten.
Dazu müssen wir die freien Nationen rasch einen. Es mag schon zu spät sein. Brona wird seine Armeen dazu gebrauchen, das ganze zentrale Südland zu erobern. Dazu braucht er nur die Grenzlegion von Callahorn zu vernichten. Balinor, die Legion muß die Städte von Callahorn halten, damit die Nationen Zeit haben, ihre Armeen zu vereinigen und gegen die Eindringlinge loszuschlagen. Durin und Dayel können Euch nach Tyrsis begleiten und von dort nach Westen zu ihrem eigenen Land ziehen.
Eventine muß seine Elfen-Armeen durch die Ebenen von Streleheim führen, um Tyrsis zu verstärken. Wenn wir dort unterliegen, wird es dem Dämonen-Lord gelungen sein, einen Keil zwischen die Armeen zu treiben, und dann besteht wenig Aussicht, sie zusammenzuführen. Schlimmer noch, das ganze Südland wird offen und ungeschützt daliegen. Die Menschen werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Armeen rechtzeitig aufzustellen.
Die Grenzlegion von Callahorn ist die einzige Chance, die sie haben.«
Balinor nickte zustimmend und wandte sich an Höndel.
»Welche Unterstützung können uns die Zwerge geben?«
»Die Stadt Varfleet ist der Schlüssel zum östlichen Sektor von Callahorn.« Höndel dachte gründlich nach. »Mein Volk muß jeden Angriff durch den Anar abwehren, aber wir können genug Leute entbehren, um auch Varfleet verteidigen zu helfen. Die Städte Kern und Tyrsis müßt Ihr jedoch allein halten.«
»Im Westen unterstützen Euch die Elfen-Armeen«, versprach Durin schnell.
»Augenblick!« rief Menion erstaunt. »Was ist mit Shea? Den habt ihr wohl vergessen, wie?«
»Ihr redet immer noch, bevor Ihr nachdenkt«, sagte Allanon dumpf. Menion wurde dunkelrot vor Zorn, hielt sich aber zurück.
»Ich gebe die Suche nach meinem Bruder nicht auf«, erklärte Flick ruhig.
»Das verlange ich auch gar nicht, Flick.« Allanon lächelte schwach. »Du und Menion und ich, wir setzen die Suche nach unserem jungen Freund und dem verschwundenen Schwert fort.
Wo der eine ist, wird auch das andere sein, vermute ich. Denk an die Worte, die Brimens Schatten zu mir gesprochen hat. Shea wird der erste sein, der die Hand auf das Schwert von Shannara legt. Vielleicht hat er es schon getan.«
»Dann setzen wir unsere Suche fort«, sagte Menion gereizt. Er mied den Blick des Druiden.
»Wir gehen gleich«, erklärte Allanon und fügte mit Betonung hinzu, »aber Ihr müßt darauf achten, Eure Zunge mehr im Zaum zu halten. Ein Prinz von Leah sollte mit Weisheit und Voraussicht sprechen, mit Geduld und Verständnis - nicht in närrischem Zorn.«
Menion nickte widerwillig. Die sieben verabschiedeten sich mit gemischten Gefühlen voneinander und trennten sich. Balinor, Höndel und die Elfenbrüder wandten sich nach Westen, vorbei an dem Wald, in dem Shea und seine Begleiter die Nacht verbracht hatten, in der Hoffnung, den undurchdringlichen Wald zu umgehen, durch das Hügelland nördlich der Drachenzähne zu gelangen und so Kern und Tyrsis binnen zwei Tagen zu erreichen. Allanon und seine zwei jugendlichen Begleiter gingen nach Osten und suchten nach einer Spur von Shea. Allanon war überzeugt davon, daß Shea schließlich doch nach Norden, auf Paranor zu, gekommen sein mußte und vielleicht in einem der Gnomenlager in diesem Gebiet Gefangener war. Ihn zu befreien würde nicht einfach sein, aber der Druide fürchtete vor allem, daß der Dämonen-Lord von seiner Gefangennahme erfahren und seine sofortige Hinrichtung befehlen würde. Dann verlor das Schwert von Shannara für sie jeden Wert, und es würde ihnen nichts anderes übrigbleiben, als sich auf die Stärke der geteilten Armeen in den drei belagerten Ländern zu verlassen. Kein erfreulicher Gedanke, und Allanon wandte seine Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Menion hatte einen kleinen Vorsprung, achtete auf den Weg und die Spuren aller, die hier vorbeigekommen waren. Ihn beschäftigte vor allem das Wetter. Wenn es regnete, würden sie die Fährte nie finden. Selbst wenn ihnen das Wetter günstig gesonnen blieb, würden die plötzlichen Stürme, die über die Streleheim-Ebene bliesen, nicht anders wirken als der Regen. Flick, der als letzter in der Reihe ging, brütete vor sich hin und hoffte gegen jede Erwartung, ein Zeichen von Shea zu finden.
Am Mittag schimmerte die unfruchtbare Ebene unter der sengenden Hitze der weißglühenden Sonne, und die drei Wanderer hielten sich so nah am Waldrand wie möglich, um vom Schatten der hohen Bäume ein wenig zu erhaschen. Allein Allanon schien unbeeindruckt von der drückenden Hitze. Sein dunkles Gesicht war ruhig und entspannt im glühenden Sonnenlicht, ohne jeden Schweißtropfen. Flick fühlte sich dem Zusammenbruch nahe, und selbst dem zähen Menion Leah wurde übel. Seine scharfen Augen waren wie ausgetrocknet, und seine Sinne fingen an, ihm Streiche zu spielen. Er sah Dinge, die es nicht gab, hörte und roch Erscheinungen, die sein erschöpftes Gehirn auf die flimmernde Ebene zauberte.
Endlich konnten die beiden Südländer nicht mehr weiter, und ihr hochgewachsener Anführer machte Halt und führte sie in den kühlenden Schatten des Waldes. Stumm verzehrten sie eine kleine Mahlzeit aus Brot und Trockenfleisch. Flick fühlte sich seit der Trennung von den anderen sonderbar allein. Er war nie zu einem engen Verhältnis mit Allanon gelangt, und stets plagten ihn nagende Zweifel an den unheimlichen Kräften des Druiden.
Der Zauberer blieb eine riesenhafte, rätselhafte Gestalt, so geheimnisvoll und tödlich wie die Schädelträger, von denen sie so unbarmherzig verfolgt wurden. Im Grunde gehörte er eher zum Reich des Dämonen-Lords, jenem schwarzen, schrecklichen Winkel des Geistes, wo die Angst herrscht und der Vernunft kein Zutritt gewährt wird. Flick konnte den entsetzlichen Kampf zwischen Allanon und dem heimtückischen Schädelwesen nicht vergessen, der in den Flammen des Feuerofens zu einem grausigen Höhepunkt gekommen war. Aber Allanon war in der Lage gewesen, sich zu retten; er hatte überlebt, was keinem anderen Menschen gelungen wäre. Es war mehr als nur unheimlich – es war schreckenerregend. Balinor allein schien in der Lage gewesen zu sein, sich gegen den riesenhaften Anführer aufzulehnen, aber er war fort, und Flick kam sich deshalb einsam und verlassen vor.
Menion Leah fühlte sich nicht weniger unsicher. Er hatte im Grunde keine Angst vor dem mächtigen Druiden, spürte aber, daß der Riese nicht viel von ihm hielt und ihn vor allem deswegen mitgenommen hatte, weil Shea es so wünschte. Shea hatte an den Prinzen von Leah geglaubt, als selbst Flick von Zweifeln befallen worden war, was die Motive des Abenteurers anging. Aber Shea war nicht mehr da. Menion fühlte, daß er den Druiden nur noch einmal richtig zu reizen brauchte, um seinen eigenen Untergang heraufzubeschwören. Er saß still und sann vor sich hin.
Als die stumme Mahlzeit beendet war, winkte ihnen der Druide. Wieder marschierten sie am Wald entlang nach Osten, die Gesichter im gleißenden Sonnenschein, während ihre erschöpften Augen die nackte Ebene nach dem verschwundenen Shea absuchten. Diesmal waren sie erst eine Viertelstunde unterwegs, als sie auf etwas Ungewöhnliches stießen. Menion entdeckte die Spuren. Eine große Anzahl von Gnomen war vor Tagen diesen Weg entlanggekommen, gestiefelt und wohl auch bewaffnet. Sie folgten der Fährte etwa eine halbe Meile nach Norden. Hinter einer Anhöhe fanden sie die Überreste der Gnomen und Elfen, die im Kampf gefallen waren. Die verrottenden Leiber lagen, wo sie hingestürzt waren, unberührt und nicht begraben, keine hundert Meter von der Anhöhe entfernt. Die drei Männer stiegen langsam hinab zu dem Friedhof ausgebleichter Gebeine und faulenden Fleischs, und der entsetzliche Gestank drang ihnen in Wellen entgegen. Flick konnte nicht mehr weiter und sah den anderen nach, als sie unter die Toten traten.
Allanon ging in stiller Versunkenheit zwischen den Leichen umher, betrachtete am Boden liegende Waffen und Standarten und blickte nur kurz auf die Gefallenen. Menion entdeckte wenig später eine neue Spur und lief mechanisch auf dem Schlachtfeld herum, den Blick auf die staubige Erde gerichtet. Flick konnte von seinem Platz aus nicht genau erkennen, was sich abspielte, aber Menion blieb mehrmals stehen, suchte mit beschatteten Augen nach neuen Spuren und wandte sich endlich nach Süden zum Wald. Er kam langsam zu Flick zurück, den Kopf gesenkt.
Er blieb an einem dichten Gebüsch stehen und ließ sich auf ein Knie nieder, um eine Stelle näher zu betrachten. Flick eilte ihm nach. Er hatte ihn eben erreicht, als Allanon, der in der Mitte des Kampfplatzes stand, einen Überraschungsruf ausstieß. Die beiden anderen hoben die Köpfe und warteten stumm, während die schwarze Gestalt sich bückte, sich plötzlich umdrehte und zu ihnen zurückeilte. Das Gesicht Allanons war vor Erregung gerötet, als er sie erreichte, und sie sahen erleichtert, wie das vertraute spöttische Lächeln sich zu einem freudigen Grinsen ausbreitete.
»Erstaunlich! Wirklich erstaunlich. Unser junger Freund ist einfallsreicher, als ich dachte. Ich habe ein kleines Aschenhäufchen gefunden - alles, was von einem der Schädelträger übriggeblieben ist. Nichts Sterbliches hat dieses Wesen vernichtet. Es war die Kraft der Elfensteine.«
»Dann ist Shea vor uns hier gewesen!« entfuhr es Flick.
»Kein anderer hat die Macht, die Steine zu gebrauchen.« Allanon nickte. »Es gibt Anzeichen eines schrecklichen Kampfes, Spuren, die zeigen, daß Shea nicht allein war. Ich weiß aber nicht, ob es Freunde oder Feinde gewesen sind oder ob das Wesen aus dem Norden während oder nach der Schlacht zwischen Gnomen und Elfen vernichtet worden ist. Was habt Ihr gefunden, Hochländer?«
»Eine Anzahl falscher Spuren, hinterlassen von einem sehr intelligenten Troll«, erwiderte Menion. »An den Fußspuren läßt sich nicht allzu viel erkennen, aber ich bin sicher, daß ein riesiger Berg-Troll hier gewesen ist. Er hat überall seine Spuren hinterlassen, aber sie führen nirgends hin. Es gibt Anzeichen dafür, daß in diesem Gebüsch eine Auseinandersetzung stattgefunden hat. Seht ihr die geknickten Zweige und die abgerissenen Blätter? Und wichtiger noch, hier sind Fußspuren eines kleineren Mannes. Sie könnten von Shea stammen.«
»Glaubst du, daß er von dem Troll überwältigt worden ist?« fragte Flick besorgt.
Menion lächelte über seine Besorgnis.
»Wenn er mit einem von diesen Schädelwesen fertig wurde, kann ihm ein gewöhnlicher Troll kaum Probleme bereitet haben.«
»Die Elfensteine sind kein Schutz gegen sterbliche Wesen«, betonte Allanon kalt. »Gibt es einen klaren Hinweis darauf, welche Richtung der Troll eingeschlagen hat?«
Menion schüttelte den Kopf.
»Um Gewißheit zu haben, müßten wir die Spur gleich finden. Sie ist hier mindestens einen Tag alt. der Troll wußte, was er tat. Wir könnten ewig suchen, ohne je genau zu wissen, wohin er gegangen ist.«
Flicks Herz krampfte sich zusammen. Wenn Shea von diesem geheimnisvollen Wesen verschleppt worden war, standen sie wieder vor einer Sackgasse.
»Ich habe noch etwas anderes gefunden«, erklärte Allanon nach einer Pause. »Eine zerbrochene Standarte aus dem Hause Elessedil - Eventines persönliches Banner. Er kann beim Kampf dabeigewesen sein. Vielleicht ist er gefangengenommen oder sogar getötet worden. Es besteht die Möglichkeit, daß die geschlagenen Gnome mit dem Schwert aus Paranor fliehen wollten und hier vom Elfenkönig und seinen Soldaten aufgehalten wurden. Wenn dem so wäre, könnten Eventine, Shea und das Schwert in der Hand der Feinde sein.«
»Eines steht für mich fest«, sagte Menion. »Die Fußabdrücke des Trolls und der Kampf im Gebüsch stammen von gestern, während die Schlacht zwischen Gnomen und Elfen vor einigen Tagen stattgefunden haben muß.«
»Ja... ja, Ihr habt recht«, bestätigte der Druide. »Mit unserem geringen Wissen können wir nicht erkennen, was sich hier alles abgespielt hat.«
»Was tun wir jetzt?« fragte Flick dumpf.
»Es führen Spuren westwärts über die Ebene von Streleheim«, sagte Allanon nachdenklich. »Sie sind undeutlich, könnten aber von Überlebenden des Kampfes stammen...« Er sah Menion fragend an.
»Unser geheimnisvoller Troll hat nicht diese Richtung eingeschlagen«, sagte Menion sorgenvoll. »Er hätte sich nicht die Mühe gemacht, falsche Fährten zu legen und dann eine leicht zu verfolgende zu hinterlassen. Mir gefällt das nicht.«
»Haben wir eine Wahl?« fragte Allanon. »Die einzige deutliche Spur von hier führt nach Westen. Wir müssen ihr folgen und das Beste hoffen.«
Flick hielt jeden Optimismus für ungerechtfertigt, wenn er sich die Tatsachen vor Augen hielt, und auch die Art der Bemerkungen schien nicht zu dem Druiden zu passen. Tatsächlich schien ihnen aber wenig anderes übrigzubleiben. Der kleine Talbewohner wandte sich Menion zu und bekundete durch ein Nicken seine Bereitschaft, dem Rat des Druiden zu folgen. Menion war von dem Vorschlag sichtlich wenig erbaut. Allanon winkte ihnen, und sie kehrten um und begannen den langen Marsch zurück über die Ebene von Streleheim in das Land westlich von Paranor. Flick warf einen letzten Blick auf den Schauplatz des Massakers und schüttelte den Kopf. Vielleicht würde das Ende für sie alle nicht anders aussehen.
Sie liefen den Rest des Tages nach Westen, sprachen wenig, hingen ihren Gedanken nach und folgten mit dem Blick geistesabwesend der Spur, während die grelle Sonne am Horizont sich blutrot verfärbte und unterging. Als es zu dunkel wurde, um den Marsch fortzusetzen, führte Allanon sie in den Wald, wo sie für die Nacht ihr Lager aufschlugen. Sie hatten eine Stelle nahe dem nordwestlichen Sektor des gefürchteten Undurchdringlichen Waldes erreicht und liefen wieder Gefahr, von Gnomensuchtrupps oder umherstreifenden Wolfsrudeln aufgestöbert zu werden.
Der Druide betonte jedoch seine Ansicht, daß man die Suche nach ihnen zugunsten dringender Anliegen inzwischen würde aufgegeben haben. Aus Vorsichtsgründen sollten sie jedoch kein Feuer anzünden und während der Nacht eine Wache gegen die Wölfe aufstellen. Flick flehte im stillen darum, daß die Wolfsrudel sich nicht so nah an freies Gelände heranwagen würden.
Sie aßen ein paar Bissen und legten sich schlafen. Menion erbot sich, die erste Wache zu übernehmen. Flick schlief schnell ein. Es schien ihm, als habe er kaum die Augen zugemacht, als Menion ihn weckte. Gegen Mitternacht näherte sich Allanon lautlos und befahl Flick, sich wieder hinzulegen. Der Talbewohncr hatte nur ungefähr eine Stunde Wache gehalten, widersprach aber nicht.
Als Flick und Menion wieder wach wurden, war es Tag. In den schwachen rötlichen und gelben Strahlen der Morgensonne, die langsam in den schattigen Wald krochen, sahen sie den riesenhaften Druiden ruhig an einer hohen Ulme lehnen. Die große, schwarze Gestalt schien beinahe ein Teil des Waldes selbst zu sein. Der Druide saß regungslos, die tiefen Augen schwarz in den Höhlen unter der mächtigen Stirn. Sie wußten, daß Allanon sie die ganze Nacht ohne Schlaf bewacht hatte. Er konnte nicht ausgeruht sein, erhob sich aber trotzdem, ohne sich zu recken, das grimmige Gesicht wach und frisch. Sie frühstückten schnell und verließen den Wald. Augenblicke später blieben sie betroffen liehen. Ringsum war der Himmel klar und von lichtem Blau, während die Sonne in blendender Helligkeit über dem fernen Gebirge aufstieg. Aber im Norden stand eine gigantische emporragende Wand von Dunkelheit vor dem Himmel, als hätten sich alle dräuenden Gewitterwolken der Erde vereinigt und aufeinandergetürmt, um eine schwarze, düstere Mauer zu bilden.
Sie erhob sich in die Luft, bis sie sich in der gewölbten Atmosphäre des Erdhorizonts verlor, und erstreckte sich quer über das ganze rauhe Nordland, riesig, schwarz und grauenhaft - ihr Mittelpunkt das Reich des Dämonen-Lords. Sie schien die gnadenlose, unaufhaltsame Annäherung einer ewigen Nacht anzukündigen.
»Was haltet Ihr davon?« Menion brachte die Worte kaum über die Lippen.
Allanon schwieg für Augenblicke. Sein dunkles Gesicht war ein Spiegel der Schwärze im Norden. Seine Kiefermuskeln schienen sich anzuspannen, der kleine, schwarze Bart zuckte, und die Augen verengten sich.
»Das ist der Anfang vom Ende«, sagte der Druide schließlich.
»Brona kündigt den Beginn seines Eroberungszuges an. Diese schreckliche Dunkelheit wird seinen Armeen folgen, wenn sie nach Süden, Osten und Westen vorstoßen, bis die ganze Erde überflutet ist. Wenn die Sonne über allen Ländern ausgelöscht wird, ist auch die Freiheit tot.«
»Sind wir geschlagen?« fragte Flick nach einer Pause. »Sind wir wirklich geschlagen? Haben wir keine Hoffnung mehr, Allanon?«
Der Druide drehte sich um und blickte ruhig in die großen, angstvollen Augen.
»Noch sind wir nicht geschlagen, mein junger Freund. Noch nicht.«
Allanon führte sie einige Stunden lang nach Westen, stets in der Nähe des Waldes, und forderte die beiden Begleiter immer wieder auf, die Augen offenzuhalten. Die Schädelträger würden jetzt auch bei Tag fliegen, nun, da der Dämonen-Lord mit seinem Feldzug begonnen hatte, ohne Angst vor dem Sonnenlicht, nicht mehr bemüht, sich zu verbergen. Der Meister gedachte sich nicht länger im Nordland zu verstecken; er war auf dem Weg in die anderen Länder und schickte seine getreuen Geister voraus wie Raubvögel. Er würde ihnen die Macht verleihen, die es ihnen erlaubte, der Sonne zu widerstehen - die Macht, gefesselt in der riesigen schwarzen Wand über seinem Reich, die bald auch über den anderen Ländern dräuen sollte.
Am späten Vormittag wandten sich die drei Wanderer auf der Ebene von Streleheim nach Süden, entlang des Westrandes der Wälder um Paranor. Die Spur, der sie gefolgt waren, vereinte sich hier mit anderen, die von Norden kamen und südlich nach Callahorn weiterzogen. Die Fährte war breit und ohne Tarnung; man hatte sich nicht bemüht, Zahl oder Richtung zu verbergen. Memon schätzte, daß wenigstens einige tausend Mann vor wenigen Tagen hier vorbeigezogen waren- Die Fußabdrücke stammten von Gnomen und Trollen - offenbar Teile der Horden, die der Uamonen-Lord ausgeschickt hatte- Für Allanon stand nun fest daß sich auf den Ebenen über Callahorn eine riesige Armee sammelte, um durch das Südland vorzustoßen und die freien Länder und ihre Armeen zu trennen. Die Fährte war durch die Vereinigung mit vielen Trupps so unübersichtlich geworden, daß man nicht mehr erkennen konnte, ob sich irgendwo eine kleine Gruppe abgespalten hatte. Shea und das Schwert hätte an irgendeiner Stelle in eine andere Richtung gebracht worden sein können, ohne daß ihre Freunde das zu erkennen vermochten.
Sie gingen den ganzen Tag nach Süden und machten nur selten kurz Rast, bemüht, die große Marschsäule einzuholen. Die Fährte der Invasionsarmee war so deutlich, daß Menion nur noch von Zeit zu Zeit gewohnheitsmäßig auf den staubigen Boden blickte. An die Stelle der nackten Streleheim-Ebene trat grünes Grasland. Flick kam es beinahe so vor, als seien sie wieder auf dem Heimweg, und als ob hinter dem nächsten Berg die vertraute Heimat auftauchen müßte. Sie waren von Callahorn noch einiges entfernt, aber unverkennbar ließen sie das trostlose Nordland hinter sich und gelangten in das Grün und die Wärme ihrer Heimat.
Der Tag verging schnell, und das Gespräch zwischen den Wanderern lebte wieder auf. Auf Flicks Drängen erzählte Allanon vom Rat der Druiden. Er berichtete in Einzelheiten von der Geschichte des Menschen seit den Großen Kriegen und erläuterte, wie ihre Rasse zu ihrer jetzigen Daseinsform gelangt war Menion sagte wenig, hörte zu und achtete auf die Umgebung.
Anfangs war die Sonne hell und warm, der Himmel klar gewesen. Am Nachmittag änderte sich das Wetter rasch, graue, tiefhängende Regenwolken zogen sich zusammen, die Luft wurde schwul und feucht. Es gab kaum Zweifel, daß ein Gewitter bevorstand.
Sie waren inzwischen in der Nähe der Südgrenze des Undurchdringlichen Waldes, und die schroffen Gipfel der Drachenzahne wurden am dunklen Horizont im Süden sichtbar.
Von der großen Armee, die ihnen vorauszog, war immer noch nichts zu sehen, und Menion begann sich zu fragen, wie weit nach Süden sie schon vorgestoßen sein mochte. Sie selbst hatten nicht mehr weit bis zur Grenze von Callahorn, das unmittelbar hinter den Drachenzähnen lag. Wenn die Armeen aus dem Norden Callahorn bereits erobert hatten, war das Ende wahrhaftig gekommen. Das graue Licht des Nachmittags verblaßte, und der Himmel färbte sich dunkel.
Es dämmerte, als sie das Dröhnen aus der Nacht aufsteigen hörten, widerhallend von den Riesengipfeln vor ihnen. Menion erkannte es sofort - er hatte das in den Wäldern des Anar schon gehört. Es war das Geräusch von Hunderten Gnomentrommeln, deren Rhythmus in der stillen, feuchten Luft vibrierte und die Nacht mit unheimlicher Spannung erfüllte. Die Erde erzitterte unter dem Getrommel, und alles Leben war vor Furcht und Vorahnung verstummt. Menion erkannte, daß es viel mehr Trommeln waren als zuletzt am Jade-Paß. Die drei Männer eilten weiter, eingehüllt in das hallende Dröhnen. Die grauen Wolken des Spätnachmittags bedeckten noch immer den nächtlichen Himmel, und die drei sahen sich von tintiger Dunkelheit umgeben. Menion und Flick fanden den Weg nicht mehr allein, aber der Druide führte sie mit unheimlicher Sicherheit in das rauhe Tiefland unterhalb von Paranor. Keiner sagte etwas, jeder war erfaßt von äußerster Anspannung. Sie wußten, daß das feindliche Lager vor ihnen lag.
Dann veränderte sich die Landschaft abrupt. An die Stelle der niedrigen Hügel und des Buschwerks traten steile Hänge, übersät mit Felsblöcken und gefährlichen Felssimsen. Allanon schritt unbeirrt weiter, seine hohe Gestalt unübersehbar selbst in der fast undurchdinglich gewordenen Dunkelheit, und die beiden anderen folgten ihm gehorsam. Menion vermutete, daß sie die kleineren Berge und Vorberge oberhalb der Drachenzähne erreicht hatten und daß Allanon diesen Weg gewählt hatte, um zufällige Begegnungen mit Soldaten der Nordland-Armee zu vermeiden.
Wo sich das feindliche Lager genau befand, war immer noch nicht auszumachen, aber dem Trommelklang nach mußte es sich unmittelbar in ihrer Nähe befinden. Sie tappten fast eine Stunde lang zwischen Felsblöcken und Büschen dahin, die Kleidung zerschrammt und aufgerissen, die Arme verkratzt und blutig, aber der stumme Druide verlangsamte seine Schritte nicht.
Nach Ablauf der Stunde blieb er stehen, drehte sich nach ihnen um und legte warnend den Finger an die Lippen. Vorsichtig führte er sie dann in ein Gewirr riesiger Felsbrocken. Die drei kletterten minutenlang aufwärts, ohne ein Geräusch zu machen, plötzlich sahen sie vor sich Lichter - trübe, flackernde Lichter, die von brennenden Lagerfeuern stammten. Sie krochen auf Händen und Knien zum Rand der Felsblöcke. An einem schräg hängenden Felsen hoben sie langsam die Köpfe und starrten atemlos hinunter.
Was sie sahen, war unheimlich und erschreckend. So weit das Auge reichte, meilenweit in alle Richtungen, loderten die Feuer der Nordland-Armee in die Nacht, wie Tausende gelber, gleißender Punkte in der Schwärze der Ebenen, und in ihrem hellen Licht eilten die undeutlichen Gestalten drahtiger, knorriger Gnomen und massiger, schwerer Trolle umher. Es waren Tausende, alle bewaffnet, alle bereit, auf das Königreich Callahorn hinabzustoßen. Flick und Menion konnten sich nicht vorstellen, daß selbst die legendäre Grenzlegion Aussicht haben mochte, einer solch gewaltigen Streitmacht standzuhalten. Es war, als sei die gesamte Gnomen- und Troll-Bevölkerung dort unten auf der Ebene versammelt. Allanon hatte jede Begegnung mit Spähern und Wachen vermieden, indem er am Westrand der Drachenzähne entlanggegangen war, und nun hockten die drei Männer in einem Krähennest von Felsblöcken hoch über dem feindlichen Lager. Aus dieser Höhe konnten die entsetzten Südländer die Gesamtheit der riesigen Streitmacht überblicken, die sich gesammelt hatte, um in die schlecht verteidigte Heimat der Südländer einzudringen. Die Trommeln der Gnome klangen immer lauter, während die Männer hinunterstarrten und ihre Augen ungläubig von einem Ende des Lagers zum anderen schweiften. Zum ersten Mal begriffen sie ganz, womit sie es zu tun hatten. Zuvor waren es nur Allanons Worte gewesen, die versucht hatten, die Invasion zu beschreiben; nun konnten sie den Feind sehen und selbst ein Urteil fällen. Jetzt spürten sie das dringende Bedürfnis nach dem geheimnisvollen Schwert von Shannara, nach der einzigen Macht, die das böse Wesen, welches diese Armee gegen sie aufgestellt hatte, vernichten konnte. Aber nun war es schon zu spät.
Minutenlang blieben sie stumm, dann berührte Menion Allanon an der Schulter und wollte etwas sagen, aber der Druide preßte seine Hand schnell auf den Mund des erstaunten Hochländers und deutete den Hang hinunter. Menion und Flick reckten die Köpfe ein wenig vor und sahen erschrocken, daß unter ihrem Versteck Gnomenwachen auf- und abgingen. Sie hatten beide nicht geglaubt, daß der Feind sich die Mühe machen würde, so weit vom eigentlichen Lager entfernt Wachen aufzustellen, aber offenbar ließ man sich auf kein Risiko ein. Allanon bedeutete den beiden durch eine Handbewegung, sich zurückzuziehen, und sie gehorchten schnell und folgten ihm hinab über die hohen Steinquadern. Unten angekommen, sicher vor allen neugierigen Augen, setzten sie sich zur Beratung zusammen. »Wir müssen ganz leise sein«, warnte Allanon flüsternd. »Eure Stimmen wären von den Felsen hinabgedrungen zur Ebene. Die Gnomenwachen hätten uns gehört!«
Menion und Flick nickten.
»Die Lage ist ernster, als ich dachte«, fuhr Allanon mit rauher Stimme fort. »Die gesamte Nordland-Armee scheint sich an dieser einen Stelle zusammenzudrängen, um den Schlag gegen Callahorn zu führen. Brona beabsichtigt, dem Südland sofort jeden Widerstandsgedanken auszutreiben. Er fährt zwischen die besser ausgerüsteten Armeen im Osten und Westen hinein, damit er sie sich einzeln vornehmen kann. Der Böse hält bereits das ganze Gebiet nördlich von Callahorn. Balinor und die anderen müssen gewarnt werden.« Er verstummte und sah Menion Leah an.
»Ich kann jetzt nicht fort«, stieß Menion hervor. »Ich muß euch helfen, Shea zu finden.«
»Wir haben keine Zeit, über die Dringlichkeit der einzelnen Probleme zu streiten«, sagte Allanon beinahe drohend und zielte mit dem Finger auf das Gesicht des Hochländers. »Wenn Balinor nicht gewarnt wird, fällt Callahorn, und das ganze Südland folgt ihm, einschließlich Leah. Es wird Zeit, daß Ihr an Euer eigenes Volk denkt. Shea ist nur ein einzelner Mensch, und im Augenblick könnt Ihr nichts für ihn tun. Aber Ihr könnt etwas tun für die vielen tausend Südländer, die im Begriff stehen, vom Dämonen-Lord versklavt zu werden, wenn Callahorn überrannt wird!« Allanons Stimme klang so kalt, daß es Flick schauderte.
Er spürte, daß sich Menion neben ihm innerlich aufbäumte, aber der Prinz von Leah blieb bei dieser scharfen Rüge stumm. Druide und Prinz starrten einander minutenlang in der Dunkelheit an, dann senkte Menion plötzlich den Kopf und nickte kurz. Flick seufzte erleichtert.
»Ich gehe nach Callahorn und warne Balinor«, murmelte Menion mit unterdrücktem Zorn, »aber ich komme wieder und suche euch.«
»Tut, was Ihr beliebt, wenn Ihr die anderen gefunden habt«, entgegnete Allanon eisig. »Aber jeder Versuch, sich durch die feindlichen Linien durchzuschlagen, wäre bestenfalls Torheit.
Flick und ich werden versuchen, zu erfahren, was mit Shea und dem Schwert geschehen ist. Wir lassen ihn nicht im Stich, Hochländer, das verspreche ich Euch.«
Menion sah ihn scharf an, beinahe mißtrauisch, aber die Augen des Druiden beantworteten seinen Blick offen und frei. Er log nicht.
»Haltet Euch an die kleineren Berge, bis Ihr an den Vorposten des Feindes vorbei seid«, riet ihm der schwarze Wanderer leise.
»Wenn Ihr den Mermidon-Fluß über Kern erreicht, geht dort hinüber und betretet die Stadt, bevor es hell wird. Ich vermute, daß die Nordland-Armee zuerst Kern angreifen wird. Es besteht wenig Aussicht, die Stadt gegen eine Streitmacht von dieser Größe erfolgreich zu verteidigen. Man sollte die Bewohner evakuieren und nach Tyrsis bringen, bevor die Invasoren ihnen den Weg abschneiden können. Tyrsis ist auf einer Hochebene an einem Bergrücken erbaut. Wenn es richtig verteidigt wird, kann es mindestens mehrere Tage lang jeden Angriff abschlagen. Das sollte Durin und Dayel Zeit geben, ihre Heimat zu erreichen und mit der Elfen-Armee zurückzukommen. Aus dem Osten sollte Höndel Unterstützung bringen können. Vielleicht kann Callahorn lange genug gehalten werden, so daß die Armeen der drei Länder mobilisiert und vereinigt gegen den Dämonen-Lord loszuschlagen vermögen. Das ist die einzige Chance, die wir ohne das Schwert von Shannara haben.«
Menion nickte, drehte sich herum und hielt Flick die Hand hin. Flick lächelte schwach und drückte sie fest.
»Viel Glück, Menion Leah.«
Allanon trat vor und legte die Hand auf die Schulter des Prinzen.
»Vergeßt nicht, Prinz, wir verlassen uns auf Euch. Dem Volk von Callahorn muß die Gefahr, in der es schwebt, vor Augen geführt werden. Wenn es zögert, ist es verloren, und mit ihm das ganze Südland. Tut Eure Pflicht!«
Menion drehte sich abrupt um und glitt wie ein Schatten davon.
Der riesenhafte Druide und der kleine Talbewohner sahen ihm stumm nach. Als er verschwunden war, starrten sie Minuten stumm vor sich hin. Schließlich wandte Allanon sich Flick zu.
»Uns bleibt die Aufgabe, herauszufinden, was mit Shea und dem Schwert geschehen ist.« Er setzte sich schwerfällig auf einen Felsblock, und Flick trat näher heran. »Ich mache mir auch Sorgen um Eventine. Die zerbrochene Standarte auf dem Schlachtfeld war sein persönliches Banner. Er könnte gefangen genommen worden sein, und wenn das der Fall ist, zögert die Elfen-Armee vielleicht, bis er wieder befreit ist. Seine Leute lieben ihn zu sehr, als daß sie sein Leben aufs Spiel setzen würden, und sei es um der Rettung des Südlandes willen.«
»Ihr meint, den Elfen ist gleichgültig, was mit den Menschen des Südlandes geschieht?« stieß Flick fassungslos hervor. »Wissen sie nicht, was ihnen bevorsteht, wenn das Südland dem Dämonen-Lord zum Opfer fällt?«
»Es ist nicht ganz so einfach, wie es aussehen mag«, erklärte Allanon seufzend. »Jene, die Eventine folgen, erkennen die Gefahr, aber es gibt andere, die der Meinung sind, die Elfen sollten sich aus den Angelegenheiten fremder Länder heraushalten, solange man nicht selbst angegriffen oder bedroht wird. Ohne Eventines Anwesenheit wird die Entscheidung nicht so klar sein, und die Diskussion darüber, was richtig und angemessen sei, mag das Eingreifender Elfen-Armee hinauszögern, bis es zu spät ist.«
Flick nickte langsam und dachte an die Zeit in Culhaven, als Höndel verbittert Ähnliches von den Bewohnern der Südland-Städte berichtet hatte. Es erschien unfaßbar, daß man im Angesicht solcher Gefahren derart unentschlossen und wirrköpfig sein konnte. Aber Shea und er selbst hatten nicht anders reagiert, als sie das erstemal von Sheas Geburtsrecht und der Bedrohung durch die Schädelträger erfahren hatten. Erst als eines der Wesen erschienen war, auf der Suche nach ihnen...
»Ich muß wissen, was in dem Lager vorgeht.« Allanons Stimme unterbrach Flicks Gedankengang. Der Druide sah den kleinen Talbewohner nachdenklich an. »Mein junger Freund Flick...« Er lächelte schwach in der Dunkelheit. »Was hältst du davon, für eine Weile einen Gnomen zu mimen?«