Flick Ohmsford stand regungslos am Fuß der Drachenzähne und starrte ins Leere. Die verblassenden Strahlen der Spätnachmittagssonne überzogen seine stämmige Gestalt mit einem schwachen Schimmer und warfen seinen Schatten auf das abkühlende Gestein des Riesenberges in seinem Rücken. Er lauschte einen Augenblick den Geräuschen ringsum, den gedämpften Stimmen von anderen aus der Gruppe nahebei, dem Gezwitscher der Vögel vorne im Wald. In seinem Inneren hörte er für einen Augenblick Sheas entschlossene Stimme, und er erinnerte sich an den großen Mut seines Bruders angesichts der tausendfachen Gefahren, die sie gemeinsam bestanden hatten. Nun war Shea fort, wahrscheinlich tot, fortgerissen von dem unbekannten Strom zu der Ebene auf der anderen Seite des Gebirges, das zu überwinden sie solche Anstrengungen auf sich genommen. Er rieb sich vorsichtig den Kopf, spürte die Beule und den dumpfen Schmerz vom Schlag des Steinbrockens, der ihn getroffen hatte, so daß er nicht fähig gewesen war, seinem Bruder zu helfen, gerade als dieser ihn am nötigsten gebraucht hätte. Sie waren bereit gewesen, sich dem Tod durch die Schädelträger zu stellen, bereit, durch die Schwerter der umherziehenden Gnome zu sterben, bereit sogar, sich den Schrecknissen der Halle der Könige auszuliefern.
Aber daß alles ein Ende finden sollte durch eine Laune der Natur an einem schmalen Felssims, als sie der Gefahr schon entronnen zu sein schienen, war unerträglich. Flick spürte solch ätzenden Schmerz in sich, daß er seine Bitterkeit am liebsten laut hinausgeschrien hätte. Aber selbst jetzt konnte er das nicht. Sein Inneres verkrampfte sich gegen die Wut, der er nicht Ausdruck geben konnte, und er spürte nur eine grenzenlose Leere.
Menion Leah schien einen markanten Gegensatz zu bilden, als er einige Meter von Flick entfernt in wilder Verzweiflung hin- und herstürmte, vorgebeugt, beinahe geduckt wie ein verwundetes Tier. In seinem Gehirn loderten Wut und Empörung, nutzloser Zorn, wie ein Tier im Käfig ihn empfindet, wenn auf Flucht keine Aussicht besteht und nur noch der innere Stolz und der Haß auf das Geschehene bleiben. Er wußte, daß er nichts hätte tun können, um Shea zu helfen, aber das half wenig, das Schuldgefühl zu betäuben, das er angesichts der Tatsache empfand, nicht zur Stelle gewesen zu sein, als der Sims abgebrochen und Shea in das tobende Wasser der Stromschnellen gestürzt war.
Vielleicht wäre es möglich gewesen, das Schreckliche zu verhindern, hätte er Shea nicht mit Allanon allein gelassen. Aber er wußte auch, daß Allanon keine Schuld trug; Allanon hatte alles getan, um Shea zu schützen. Menion eilte mit langen, zornigen Schritten hin und her und grub die Stiefelabsätze hart in den Boden.
Er weigerte sich, einzuräumen, daß ihre Suche zu Ende war, daß sie gezwungen sein würden, sich als geschlagen zu bekennen, wenn das Schwert von Shannara schon in Reichweite lag. Er blieb stehen und überdachte für Augenblicke des Ziel ihrer Suche. Für den Hochländer ergab das Ganze noch immer keinen Sinn. Selbst wenn sie das Schwert erlangten, was konnte ein Mann, kaum mehr als ein Jüngling, gegen die Macht eines Wesens von der Art des Dämonen-Lords auszurichten hoffen? Nun würden sie es nie erfahren, weil Shea allem Anschein nach tot war; selbst wenn nicht tot, für sie nicht mehr erreichbar. Nichts schien mehr sinnvoll zu sein, und Menion Leah begriff schlagartig, wieviel ihm die beiläufige, mühelose Freundschaft zwischen ihnen bedeutet hatte. Sie hatten nie darüber gesprochen, sie nie offen bestätigt, aber sie war trotz allem da gewesen und für ihn überaus wichtig.
Jetzt war es vorbei damit. Menion biß sich in hilflosem Zorn auf die Unterlippe und setzte sein ruheloses Hin- und Herwandern fort.
Die anderen hatten sich am Fuß der Drachenfalte versammelt, die wenige Meter hinter ihnen endete. Durin und Dayel sprachen halblaut miteinander, die zarten Elfenzüge umdüstert von Sorge, die Blicke gesenkt. In der Nähe, an einen großen Felsblock gelehnt, ruhte sich Höndel aus, der, von Natur aus schon schweigsam, nun unzugänglich war. Schulter und Bein waren verbunden, sein Gesicht von dem Kampf mit dem Drachen zerschrundet. Er dachte kurz an seine Heimat, an die wartende Familie, und wünschte sich für einen Augenblick, das Grün von Culhaven noch einmal sehen zu können, bevor es zu Ende ging.
Er wußte, daß sein Land ohne das Schwert von Shannara und ohne Shea, es zu führen, von den Armeen aus den Nordländern überrannt werden würde. Höndel war nicht allein mit solchen Gedanken. Balinor dachte Ähnliches, den Blick auf den einsamen Riesen gerichtet, der in einem kleinen Hain abseits von den anderen stand und sich nicht bewegte. Er wußte, daß sie nun vor einer Entscheidung standen, die eigentlich keine war. Sie mussten ihre Unternehmen entweder aufgeben, umkehren und versuchen, ihre Heimatländer zu erreichen und vielleicht Shea zu finden, oder nach Paranor weitergehen und das Schwert von Shannara ohne den mutigen jungen Mann an sich bringen. Eine schwierige Wahl, die keinen befriedigen konnte, wie sie auch ausfallen mochte. Er schüttelte traurig den Kopf, als er an den bitteren Streit zwischen sich und seinem Bruder dachte. Er mußte seine eigene Entscheidung fällen, wenn er nach Tyrsis zurückkehrte - und sie würde nicht erfreulich sein. Er hatte mit den anderen nicht darüber gesprochen, und im Augenblick waren seine persönlichen Probleme von nachgeordneter Bedeutung.
Plötzlich fuhr der Druide herum und kam zu ihnen zurück, offenbar zu einem Entschluß gelangt. Das schwarze Gewand umwallte ihn, das scharfe, dunkle Gesicht wirkte selbst in diesem Augenblick der bitteren Niederlage entschlossen. Menion war im Gehen erstarrt, und sein Herz schlug heftig, als er auf die Konfrontation wartete, die bevorstand, denn der Hochländer hatte seine eigene Entscheidung getroffen und argwöhnte, daß sie anders ausgefallen sein mochte als die Allanons. Flick entdeckte den Auf lug von Furcht im Gesicht des Prinzen von Leah, sah dort aber auch einen unerschütterlichen Mut. Alle standen zögernd auf und traten zusammen, als die schwarze Gestalt herankam.
Ihre erschöpften, entmutigten Gemüter wurden plötzlich von einer wilden Entschlossenheit belebt, die Niederlage nicht hinzunehmen. Sie konnten nicht wissen, was Allanon beschlossen hatte, aber sie begriffen, daß sie zu weit gekommen waren und zu viel geopfert hatten, um jetzt aufgeben zu können.
Er stand vor ihnen, mit glühenden Augen, das umschattete Gesicht glich einer Granitwand von fundamentaler Kraft. Als er zu sprechen begann, tönten seine Worte eisig und scharf durch die Stille.
»Es mag sein, daß wir geschlagen sind, aber jetzt umzukehren, hieße, uns in unseren eigenen Augen zu entehren und nicht nur das, sondern auch jene zu enttäuschen, die sich auf uns verlassen.
Wenn wir von dem Bösen im Nordland besiegt werden sollen, von Wesen aus der Geisterwelt, müssen wir uns dem stellen. Wir können nicht zurückweichen und auf ein Wunder hoffen, das zwischen uns treten möge. Wenn der Tod kommt, soll er uns mit gezückten Waffen und dem Schwert von Shannara in unserer Hand finden!« Er stieß den letzten Satz mit solch eisiger Entschlossenheit hervor, daß sogar Balinor ein Prickeln der Erregung verspürte. Alle bewunderten stumm die unbezähmbare Kraft des Druiden und waren plötzlich stolz darauf, mit ihm zusammen zu sein, zu der kleinen Gruppe zu gehören, die er für dieses gefährliche und kostspielige Unternehmen ausgesucht hatte.
»Und was ist mit Shea?« sagte Menion plötzlich, ein wenig scharf vielleicht, als die durchdringenden Augen des Druiden sich auf ihn richteten. »Was ist aus Shea geworden, der überhaupt der Anlaß für diese Expedition gewesen ist?«
Allanon schüttelte langsam den Kopf.
»Ich weiß nicht mehr als Ihr. Er wurde vom Bergfluß fortgespült zur Ebene. Vielleicht ist er am Leben geblieben, vielleicht auch nicht, aber wir können jetzt nichts für ihn tun.«
»Was Ihr vorschlagt, ist, daß wir ihn vergessen und das Schwert an uns zu bringen versuchen — ein nutzloses Stück Metall ohne den rechtmäßigen Träger!« schrie Menion aufgebracht.
»Nun, ich gehe keinen Schritt weiter, bis ich weiß, was mit Shea geschehen ist, selbst wenn das heißt, die Suche aufzugeben und nach ihm zu forschen, bis ich ihn finde. Ich lasse meinen Freund nicht im Stich!«
»Seid vorsichtig, Hochländer«, warnte die ruhige, spöttische Stimme Allanons. »Macht keine Dummheiten. Mir die Schuld an Sheas Verlust zu geben, ist sinnlos, denn ich vor allem wünschte ihm nichts Böses. Was Ihr sagt, entbehrt jeder Vernunft.«
»Genug weise Worte, Druide!« stieß Menion hervor und richtete sich höher auf. »Wir sind Euch wochenlang gefolgt, durch Dutzende von Ländern und Gefahren, ohne ein einzigesmal an Euren Befehlen zu zweifeln. Aber das ist zu viel für mich. Ich bin ein Prinz von Leah, nicht irgendein Bettler, der gehorsam tut, was man ihm befiehlt, und an niemanden denkt, als an sich selbst!
Meine Freundschaft mit Shea bedeutete Euch nichts, aber für mich war sie wichtiger als hundert Schwerter von Shannara. Geht beiseite! Ich suche meinen eigenen Weg!«
»Narr, Ihr seid weniger ein Prinz als vielmehr ein Dummkopf, wenn Ihr sprecht!« zischte Allanon. Sein Gesicht war zu einer Maske des Zorns erstarrt, die großen Hände ballten sich zu Fäusten.
Die anderen erblaßten, als die beiden sich in ungezähmter Wut anschrien. Dann, als sie spürten, daß eine körperliche Auseinandersetzung drohte, traten sie dazwischen, redeten hastig auf sie ein, versuchten sie zu besänftigen, aus Angst, ein Riß in der Gemeinschaft könne jede Aussicht auf Erfolg zunichte machen.
Flick allein hatte sich nicht geregt, denn seine Gedanken weilten immer noch bei seinem Bruder, und es ekelte ihn vor der Hilflosigkeit, mit der er den Dingen gegenüberstand. Als Menion das Wort ergriffen hatte, war ihm klargeworden, daß Menion auch seine eigene Meinung ausdrückte und daß ebenfalls er nicht weiterziehen würde, ehe er nicht wußte, was mit Shea geschehen war. Aber Allanon schien immer so viel mehr als alle anderen zu wissen, daß seine Entscheidungen stets richtig waren. Die Worte des Druiden ganz zu mißachten, schien falsch zu sein. Flick rang für Augenblicke mit sich selbst und versuchte zu erkennen, was Shea in dieser Lage getan, was er den anderen empfohlen hätte.
Dann wußte er plötzlich die Antwort, fast, ohne es selbst zu begreifen.
»Allanon, es gibt einen Weg«, sagte er abrupt, so laut, daß er die Stimmen der anderen übertönte. Sie starrten ihn alle an, erstaunt von seiner Entschlossenheit. Allanon nickte, um zu zeigen, daß er zuhörte. »Ihr habt die Macht, mit den Toten zu reden.
Wir haben es im Tal erlebt. Könnt Ihr nicht sagen, ob Shea noch am Leben ist? Eure Macht ist groß genug, die Lebenden zu entdecken, wenn Ihr die Toten wecken könnt. Ihr könnt sagen, wo er ist, nicht wahr?«
Alle richteten die Blicke auf den Druiden. Allanon seufzte schwer und starrte auf den Boden.
»Ich könnte es tun«, erwiderte er zu aller Erleichterung und Verblüffung, »aber ich werde es nicht tun. Wenn ich meine Macht gebrauche, um festzustellen, wo Shea ist, ob er noch lebt oder nicht, werde ich dem Dämonen-Lord und den Schädelträgern unsere Anwesenheit verraten. Sie wären aufmerksam gemacht und würden in Paranor auf uns warten.«
»Falls wir nach Paranor gehen«, warf Menion grimmig ein, worauf Allanon wütend herumfuhr. Wieder sprangen alle dazwischen.
»Aufhören, aufhören!« schrie Flick zornig. »Das hilft keinem, am allerwenigsten Shea. Allanon, ich habe auf der ganzen Reise nie etwas verlangt. Ich hatte kein Recht dazu; ich war aus eigenem Entschluß dabei. Aber jetzt besitze ich das Recht, weil Shea mein Bruder ist, vielleicht nicht dem Blut oder der Rasse nach, aber gewiß durch gleich starke Bande. Wenn Ihr Eure Macht nicht gebrauchen wollt, herauszufinden, wo er ist und was mit ihm geschehen sein mag, gehe ich mit Menion und suche Shea.«
»Er hat recht, Allanon.« Balinor nickte langsam und legte seine schwere Hand auf die Schulter des kleinen Talbewohners. »Was immer auch mit uns geschehen mag, diese beiden haben ein Recht, zu wissen, ob Shea noch eine Chance hat. Ich weiß, was es bedeutet, wenn wir entdeckt werden, aber ich sage, wir müssen dieses Risiko eingehen.«
Durin und Dayel nickten heftig. Der Druide warf einen Blick auf Höndel, um auch seine Meinung zu erkunden, aber der schweigsame Zwerg regte sich nicht und starrte nur in die schwarzen Augen des anderen. Allanon sah alle der Reihe nach an und schien ihre wahren Gefühle zu ergründen, während er an das Risiko dachte, während er den Wert des Schwertes abwog gegen den Verlust von zwei weiteren Mitgliedern der Gruppe. Er starrte zerstreut in die untergehende Sonne, als die Dämmerung langsam herabsank und sich mit dem Rot und Purpur des vergehenden Tages vermischte. Es war eine lange, harte Reise gewesen, und sie hatten dafür nichts vorzuweisen- nur den Verlust des Mannes, um den das Ganze unternommen worden war. Er nickte sinnend vor sich hin, dann blickte er wieder auf die anderen und sah ihre Augen plötzlich aufleuchten, weil sie glaubten, er stimme Flicks Forderung zu. Der hochgewachsene Wanderer nickte entschieden mit dem Kopf, ohne auch nur die Spur eines Lächelns zu zeigen.
»Wie ihr wollt. Ich werde tun, was ihr verlangt. Tretet zurück und sprecht mich nicht an, bis ich es euch sage.«
Die anderen wichen zurück, während er regungslos an seinem Platz stehen blieb, den Kopf gesenkt, die langen Arme verschränkt, die großen Hände im schwarzen Umhang vergraben.
Nur die fernen Laute des Abends waren in der zunehmenden Düsternis vernehmbar. Dann erstarrte der Druide, und ein weißes Leuchten breitete sich um seinen angespannten Körper aus, eine blendende Aura, vor der die anderen die Augen zusammenkniffen und sie dann mit den Händen bedeckten. Für einen Moment war das Leuchten überall, die dunkle Gestalt Allanons entzog sich dem Blick, im nächsten Augenblick blitzte es hell auf und war verschwunden. Allanon stand da wie vorher, regungslos vor der Dunkelheit, dann sank er langsam zu Boden, eine Hand auf die Stirn gepreßt. Die anderen zögerten nur kurz, dann mißachteten sie seinen Befehl und stürzten vor, befürchtend, er könne verletzt sein. Allanon blickte mißbilligend auf, erbost darüber, daß sie sich nicht an seine Anweisung hielten, aber dann sah er in den vorgebeugten Gesichtern tiefe Sorge. Er riß ungläubig die Augen auf, in plötzlichem Begreifen. Er war tief gerührt, und eine fremdartige Wärme breitete sich in ihm aus, als ihm klar wurde, welche Loyalität ihm diese sechs Männer von verschiedenen Rassen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Lebensweisen immer noch entgegenbrachten. Zum ersten Mal, seitdem sie Shea verloren hatten, spürte Allanon so etwas wie Erleichterung. Er raffte sich mühsam auf, ein wenig auf Balinors starken Arm gestützt, noch immer geschwächt von dem Bemühen, Shea zu finden. Er stand einen Augenblick still da, dann lächelte er schwach.
»Unser junger Freund lebt wirklich noch, wenngleich ich dieses Wunder nicht erklären kann. Ich habe seine Lebenskraft auf der anderen Seite des Gebirges gespürt, wahrscheinlich irgendwo in der Nähe des Flusses, der ihn zu den östlichen Ebenen geführt hat. Es waren andere bei ihm, aber ich konnte ohne gründliche Sondierung nicht erkennen, welche Absichten sie verfolgten.
Das hätte uns nun endgültig verraten und mich so geschwächt, daß ich praktisch nutzlos geworden wäre.«
»Aber er lebt, Ihr seid Euch dessen gewiß?« fragte Flick eifrig.
Allanon nickte. Die ganze Gruppe grinste sich an. Menion schlug Flick auf die Schulter und vollführte einen kleinen Freudentanz.
»Dann ist die Frage beantwortet«, sagte der Prinz von Leah strahlend. »Wir müssen zurück über die Drachenzähne, um ihn zu finden, hierauf ziehen wir nach Paranor, um das Schwert zu holen.« Sein Lächeln verschwand, sein Gesicht wurde lang, als Allanon entschieden den Kopf schüttelte. Die anderen starrten Allanon entgeistert an.
»Shea ist in den Händen einer Gnomen-Patrouille«, erklärte Allanon. »Er wird nach Norden gebracht, höchstwahrscheinlich nach Paranor. Wir könnten nicht zu ihm gelangen, ohne uns durch die bewachten Pässe der Drachenzähne erneut durchzuschlagen und ihm auf den von Gnomen durchstreiften Ebenen nachzuspüren. Wir wären Tage aufgehalten, wenn nicht länger, und man würde uns schnell auf die Spur kommen.«
»Es gibt keine Garantie, daß sie nicht schon über uns Bescheid wissen«, schrie Menion aufgebracht. »Das habt Ihr selbst gesagt.
Was nützt es Shea, wenn er in die Hände des Dämonen-Lords fällt? Was nützt uns das Schwert ohne seinen Träger?«
»Wir können ihn nicht im Stich lassen«, sagte Flick und trat wieder vor.
Die anderen sagten nichts, sondern warteten stumm auf Allanons Erklärung. Die Dunkelheit hatte das Bergland nun ganz eingehüllt, und die Männer konnten sich gegenseitig kaum noch erkennen; der Mond war hinter riesigen Gipfeln verborgen.
»Ihr habt die Prophezeiung vergessen«, mahnte Allanon geduldig.
»Der letzte Teil behauptete, einer von uns werde die andere Seite der Drachenzähne nicht sehen, aber als erster die Hand auf das Schwert von Shannara legen. Wir wissen, daß Shea damit gemeint war. Außerdem sagte die Prophezeiung, wir, die wir die andere Seite des Gebirges erblickten, würden das Schwert vor Augen haben, bevor zwei Nächte vergingen. Es hat ganz den Anschein, als sollte uns das Schicksal alle zusammenführen.«
»Das mag für Euch genügen, aber nicht für mich«, sagte Menion kalt, während Flick eifrig nickte. »Wie können wir auf etwas vertrauen, was uns ein Geist versprochen hat? Ihr verlangt von uns, daß wir Sheas Leben aufs Spiel setzen.«
Allanons Zorn schien wieder aufwallen zu wollen, dann bezähmte er aber sein aufbrausendes Temperament, sah die beiden ruhig an und schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Habt ihr nicht von Anfang an einer Legende geglaubt?« fragte er leise. »Habt ihr nicht selbst gesehen, welchen Platz die Geisterwelt in eurer Welt von Fleisch und Blut, Erde und Gestein gefunden hat? Haben wir nicht von Anfang an gegen Wesen, erstanden aus dieser anderen Existenz, gekämpft, Wesen, die Kräfte besitzen, wie sie Sterblichen gewiß nicht gegeben sind? Ihr habt die Macht der Elfensteine erlebt. Weshalb wendet ihr euch nun von all dem ab, zugunsten von Dingen, die euch euer begrenzter Menschenverstand eingibt - ein Denkprozeß, der sich auf Fakten und Reize dieser Welt stützt, eurer materiellen Welt, unfähig, sich in eine Existenz zu versetzen, wo selbst eure grundlegendsten Erkenntnisse keinen Sinn in sich bergen?«
Sie starrten ihn stumm an und sahen ein, daß er recht hatte, zögerten aber immer noch, ihren Plan zur Auffindung Sheas fallenzulassen. Die ganze Reise war gegründet gewesen auf halben Träumen und alten Legenden, und plötzlich auf das Praktische umschwenken zu wollen, war im Grunde eine unsinnige Idee.
Flick hatte es an dem Tag, als er erstmals voll Furcht aus dem Shady Vale geflüchtet, aufgegeben, praktisch zu denken.
»Ich würde mir keine Sorgen machen, meine jungen Freunde«, sagte Allanon beruhigend und legte auf die Schulter von jedem eine schmale Hand. »Shea hat die Elfensteine bei sich, und ihre Macht wird ihn schützen. Vielleicht führen sie ihn auch zum Schwert, da sie darauf eingestimmt sind. Mit etwas Glück finden wir ihn in Paranor, zusammen mit dem Schwert. Alle Straßen führen jetzt zur Festung der Druiden, und wir müssen dafür sorgen, daß wir zur Stelle sind, um Shea zu helfen, so gut wir können.«
Die anderen hatten ihre Waffen und kleinen Rucksäcke aufgenommen und standen bereit, schattenhafte Silhouetten im schwachen Sternenlicht, feingezeichnete Bleistiftumrisse vor der Schwärze des Gebirges. Flick blickte nach Norden zu dem dunklen Wald, der das Tiefland hinter den Drachenzähnen bedeckte.
In seiner Mitte, emporragend wie Obeliske, waren die Klippen von Paranor, und auf ihrem Scheitelpunkt stand die Druidenfestung mit dem Schwert von Shannara. Das Ende der Suche. Flick blickte kurze Zeit ruhig auf die einsame Zinne, dann wandte er sich Menion zu. Der Hochländer nickte widerstrebend.
»Wir gehen mit dir.« Flicks Stimme war ein gedämpftes Flüstern in der Stille.
Die wirbelnden Wasser des reißenden Stroms tobten gegen die einengenden Mauern ihres Gebirgskanals, wüteten und hämmerten ihren Weg gen Osten, rissen Treibholz und Strandgut mit, das ihnen zur Beute geworden war. Sie fegten in großen Stromschnellen aus dem Gebirge hinab, glatt geschliffene Steinblocke und plötzliche Biegungen umbrodelnd, in weiten Schleifen dem stillen Zug friedlicher Flüsse entgegen, die sich in den hügeligen Landschaften über den Rabb-Ebenen verzweigten. In einem dieser kleinen, ruhigen Nebenflüsse wurde der mit dem Ledergürtel noch immer an den gesplitterten Baumstamm gebundene Mann schließlich auf einer Sandbank angeschwemmt, bewußtlos, fast ertrunken. Seine Kleidungsstücke waren zerfetzt und zerrissen, die Lederstiefel weggerissen, das nasse Gesicht aschfahl und blutverschmiert von der Wucht der Stromschnellen.
Er wurde wach und begriff endlich, daß er Land erreicht hatte. Er löste sich mit kraftlosen Händen von dem Baumstamm, kroch auf Händen und Knien ans Ufer und in das hohe Gras eines niedrigen Hügels. Wie im Reflex tasteten die zerschundenen Hände nach dem Lederbeutel an seiner Hüfte; zu seiner Erleichterung war er noch da, mit den Lederschnüren fest angebunden.
Einen Augenblick später verfiel er in einen tiefen, willkommenen Schlaf, zu Tode erschöpft.
Er schlief fest in der Wärme und Stille des Tages bis zum späten Nachmittag, als das abkühlende Gras, vom zunehmenden Wind in sein Gesicht geweht, ihn weckte. Da war noch etwas anderes auch, etwas in seinem nun ausgeruhten Gemüt, das ihn plötzlich vor Gefahr warnte. Aber er konnte seinen erschlafften Körper kaum halb aufrichten, als eine Gruppe von zehn oder zwölf Gestalten auf dem Hügelkamm über ihm auftauchte; sie blieben verwundert stehen, als sie ihn sahen, und rannten dann den Hang hinab. Statt ihn vorsichtig nach Verletzungen zu untersuchen, warfen sie ihn erneut zu Boden, rissen ihm die Arme hinter den Rücken und fesselten sie mit Lederschnüren, die in die ungeschützte Haut schnitten. Auch seine Füße wurden gefesselt, und endlich drehte man ihn auf den Rücken, so daß er seine Gegner sehen konnte. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich augenblicklich. Die knorrigen gelben Gestalten, in Waldbewohnerkleidung, bewaffnet mit kurzen Schwertern, waren nach Menions Beschreibung des Zwischenfalls erst Tage zuvor im Jade-Paß leicht wiederzuerkennen. Er blickte angstvoll in die scharfen Gnomenaugen, die einigermaßen erstaunt seine halb menschlichen, halb elfenhaften Züge registrierten, seine zerfetzte Südländer-Kleidung. Der Anführer bückte sich und begann ihn gründlich zu durchsuchen. Shea wehrte sich, erntete aber nur Schläge, und rührte sich endlich nicht mehr, als der Gnom den kleinen Lederbeutel mit den kostbaren Elfensteinen an sich nahm.
Die Gnome versammelten sich neugierig, als die drei blauen, in der warmen Sonne hell leuchtenden Steine in die Hand des Anführers purzelten. Es gab eine kurze Diskussion, von der Shea kein Wort verstand. Man entschied endlich, den Gefangenen und die Steine nach Paranor zu bringen und Höhergestellte zu informieren.
Die Gnomen zerrten den Gefangenen hoch, durchschnitten die Fesseln an seinen Füßen und trieben ihn nach Norden, gelegentlich mit Stößen, wenn er vor Erschöpfung langsamer wurde. Bei Sonnenuntergang, als auf der anderen Seite der Drachenzähne der Druiden-Führer einer kleinen, entschlossenen Schar sich bemühte, den Aufenthalt des Vermißten ausfindig zu machen, waren sie noch immer unterwegs nach Norden.
In den frühen Morgenstunden, in der alles überdeckenden Stille der Dunkelheit, verborgen von den Schatten der dichten Wälder, die das beruhigende Licht von Mond und Sternen fernhielten, stand die Gruppe endlich vor den Klippen Paranors. Es war ein Moment, der für immer in ihrer Erinnerung eingeprägt sein sollte, als erwartungsvolle Augen hinaufsahen zu den steilen Felswänden, hinauf und vorbei an den hier zwergenhaft erscheinenden hohen Fichten und Eichen, die schlagartig aufhörten, als die Felsklippen begannen, noch weiter hinaufreichend zu dem Bauwerk von Menschenhand auf dem Scheitelpunkt - der Festung der Druiden. Die Festung war eine Art Burg, mit uralten Mauern aus Steinblöcken, aufsteigend zu spitzen Türmen und Spiralzinnen, die stolz in den Himmel hinaufragten. Unverwechselbar eine Festung, erbaut, um dem Ansturm selbst der mächtigsten Armee zu widerstehen. Das alte Heim und die Zuflucht der fast ausgerotteten Rasse von Menschen, genannt Druiden. Im Innersten dieser Bastion aus Stein und Eisen ruhte das Mahnmal an den Triumph des Menschen über die Kräfte der Geisterwelt, das Symbol für den Mut und die Hoffnung der Rassen in alter Zeit, vergessen im Lauf der Jahre, als Generationen dahingegangen und alte Legenden gestorben waren - das wunderhafte Schwert von Shannara.
Als die sieben Männer dastanden und die Druidenfestung betrachteten, gingen Flicks Gedanken zurück zu den Ereignissen, die stattgefunden hatten, seitdem sie bei Sonnenuntergang das Gebirge hinter sich gelassen hatten. Sie waren schnell durch das freie Grasland gezogen, das sie vom Wald um Paranor trennte, und hatten nach wenigen Stunden ohne Zwischenfall den dunklen Waldrand erreicht. Allanon unterrichtete sie dann darüber, was nun bevorstünde. Der Wald, sagte er, sei undurchdringlich, wenn man es nicht verstünde, die gefährlichen Hindernisse zu meiden, die der Dämonen-Lord geschaffen hatte, um jeden Versuch zu ersticken, die Druidenfestung zu erreichen. Wölfe streiften durch das ganze Waldgebiet, riesige, graue Bestien, die alles, was auf zwei oder vier Beinen lief, einholen und binnen Augenblicken zerreißen könnten. Nach den Wölfen, am Fuß der Klippen unter der Festung, befinde sich eine undurchdringliche Barriere von Dornengewächsen, überzogen mit einem Gift, für das es keine Heilung gebe. Aber der einfallsreiche Druide war vorbereitet.
Sie schritten eilig in den schwarzen Wald, ohne sich die Mühe zu machen, einen anderen als den direkten Weg zu suchen, geradewegs auf die Festung zu. Allanon forderte sie auf, ganz in seiner Nähe zu bleiben, wiewohl diese Warnung unnötig war.
Nur Menion schien es zu drängen, den anderen vorauszueilen, aber beim ersten Laut der räuberischen Wölfe kam auch er schnell zu den anderen zurück. Die großen, grauen Tiere griffen an, Minuten nachdem die Männer in den Wald eingedrungen waren. Ihre Augen in der Dunkelheit waren blutrot, die mächtigen Kiefer schnappten haßerfüllt. Aber bevor die Bestien die erschrockene Gruppe erreichen konnten, führte Allanon eine fremdartige kleine Pfeife an die Lippen und blies hinein. Ein Ton, so hoch, daß die Männer ihn nicht hören konnten, stoppte die fauchenden Wölfe augenblicklich; sie kehrten um, stießen klagende Laute aus und hetzten wimmernd davon, bis sie verschwunden waren.
Zweimal tauchten die Wölfe während der Wanderung noch auf, es war aber nicht zu erkennen, ob es dasselbe Rudel war oder ein anderes. Flick neigte zu der Ansicht, es müsse sich um andere Tiere handeln, nachdem er die Wirkung des Pfeiftons miterlebt hatte. Jedesmal stoben die Bestien furchtsam davon und ließen die Wanderer in Frieden. Man erreichte die Dornenbarriere ohne Schwierigkeiten. Die starrende Masse giftiger Stacheln vor ihnen erschien jedoch wahrhaft undurchdringlich, selbst für den vielseitigen Allanon. Wieder erinnerte er sie daran, daß dies das Heimatland der Druiden, nicht des Dämonen-Lords sei. Er führte sie nach rechts an der Barriere entlang bis zu einer Stelle, die ihm die richtige zu sein schien. Er schritt eine bestimmte Strecke von einer nahen Eiche ab, die Flick ganz wie jede andere Eiche vorkam, markierte am Boden vor dem dornigen Hindernis eine Stelle und bedeutete den anderen durch ein Nicken, daß hier der Zugang sei. Zu aller Verblüffung ging der schwarze Zauberer dann einfach auf die nadelspitzen Stacheln zu und verschwand in der Vegetation, nur um Augenblicke später unverletzt wieder aufzutauchen. Mit leiser Stimme erklärte er, daß die Barriere an dieser Stelle lediglich eine Täuschung und harmlos sei, ein geheimer Durchgang zur Festung. Es gebe noch andere, für menschliche Augen alle unsichtbar, wenn diese nicht wußten, worauf zu achten sei. Und so zog die Gruppe durch das Hindernis, entdeckte, daß die Stacheln wirklich harmlos waren, und stand endlich vor den Mauern Paranors.
Es erschien Flick noch immer unfaßbar, daß sie wirklich hierhergelangt waren. Die Reise war endlos erschienen, die Gefahren hatte man nicht wirklich überwunden, sondern nur umgangen, um letztlich immer wieder auf neue zu stoßen. Aber hier standen sie nun trotzdem. Alles, was noch übrigblieb, war, die Klippen zu erklimmen und das Schwert zu ergreifen, keine einfache Aufgabe, aber auch nicht schwerer als alle anderen, die sie angepackt und bewältigt hatten. Er blickte hinauf zu den Burgbastionen, betrachtete kurz die in Abständen angebrachten Fackeln und wußte, daß der Feind die Mauern und das Schwert in ihrem Inneren bewachte. Er fragte sich, wer und was der Feind war. Nicht die Gnome oder Trolle, sondern der eigentliche Feind - das Wesen, das in eine andere Welt gehörte, aber auf irgendeine unerklärliche Weise in die hiesige eingedrungen war, um die Menschen, die sie bewohnten, zu versklaven. Er fragte sich verschwommen, ob er je den Grund für all das erfahren würde, was ihnen zugestoßen war, den Grund dafür, daß sie nun hier standen, auf der Jagd nach dem legendären Schwert von Shannara, über das keiner außer dem Druiden etwas wußte. Er spürte, daß die ganze Geschichte irgendwo eine Moral hatte, aber im Augenblick entzog sie sich ihm. Er wollte nichts anderes, als die Sache hinter sich bringen und lebendig davonkommen.
Sein Gedankengang endete abrupt, als Allanon sie an den steilen Felswänden entlangwinkte. Auch hier schien der Druide etwas zu suchen. Einige Minuten danach blieb er vor einem glatten Teil der Wand stehen, berührte eine Stelle im Gestein, und eine verborgene Tür öffnete sich zu einem Geheimgang. Allanon trat kurz hinein und kam mit Fackeln zurück, die er verteilte. Sie traten alle in den Gang, und die Steintür schloß sich lautlos hinter ihnen. In der Beinahe-Dunkelheit sahen sie undeutlich Steinstufen, die nach oben führten, kaum erkennbar im trüben Licht einer einsamen Fackel. Sie stiegen vorsichtig dort hinauf, und jeder entzündete seine Fackel an der Flamme. Allanon legte den Finger an die Lippen und stieg als erster die feuchten Stufen hinauf. Sein schwarzer Umhang blähte sich ein wenig, und sein Schatten füllte den ganzen, steil nach oben führenden Tunnel aus. Die anderen folgten ihm wortlos. Der Angriff auf die Druidenfestung hatte begonnen.
Die Treppe führte in einer endlosen Spirale hinauf, eine Wende nach der anderen, bis sie nicht mehr wußten, wie weit sie schon gekommen sein mochten. Die Luft im Gang wurde langsam wärmer und ließ sich besser atmen, die Feuchtigkeit an Wänden und Stufen schwand immer mehr. Ihre schweren Lederjagdstiefel scharrten leise auf dem Gestein, und die Schritte hallten dumpf durch das Gewölbe. Hunderte von Stufen und viele Minuten später erreichten sie das Ende des Tunnels, vor sich eine massive Holztür mit Eisenbeschlägen, eingelassen in den Fels. Allanon bewies erneut, daß er den Weg kannte. Eine einzige Berührung, und die Tür ging lautlos auf, so daß die Männer in eine große Kammer treten konnten, aus der viele Gänge hinausführten, alle von lodernden Fackeln gut erleuchtet. Ein schneller Blick in die Runde zeigte, daß niemand in der Nähe war, und Allanon versammelte die Männer um sich.
»Wir befinden uns direkt unter der eigentlichen Burg«, flüsterte er, während die anderen sich herandrängten. »Wenn wir den Raum, in dem das Schwert von Shannara ruht, ungesehen zu erreichen vermögen, können wir vielleicht ohne Kampf entkommen.«
»Irgend etwas stimmt nicht«, warnte Balinor kurz. »Wo sind die Wachen?«
Allanon schüttelte den Kopf, aber die anderen sahen die Besorgnis in Balinors Augen. Hier stimmte wahrhaftig etwas nicht.
»Den Gang, den wir nehmen, führt zu den Heizungsschächten und einer Hintertreppe zur Haupthalle. Sagt nichts mehr, bis wir dort sind, haltet die Augen offen!« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging mit schnellen Schritten zu einem der offenen Tunnels, eilig gefolgt von den anderen. Das flackernde Licht der Fackeln in eisernen Haltern warf .ihre Schatten an die steinernen Wände. Balinor zog sein Breitschwert, und die anderen folgten seinem Beispiel. Sie schlichen wachsam durch die uralten Tunnels - der Druide, die beiden Prinzen, der Talbewohner, die Elfenbrüder und der Zwerg -, alle angespannt von höchster Wachsamkeit, erfaßt von der Erregung am Ende einer langen Jagd. Größere Abstände zwischen sich, an den Wänden des Ganges dahinschleichend, die Waffen in Bereitschaft, Augen und Ohren offen für jede Andeutung von Gefahr, huschten sie weiter, höher hinauf, tiefer in das Innere der Druidenfestung.
Dann trat die Stille langsam in den Hintergrund, und man hörte ein gedämpftes Geräusch wie schweres Atmen, während es merklich heißer wurde. Der Gang endete, und eine Steintür mit Eisenklinke tauchte auf, die Umrisse durch grelles Licht aus der Kammer dahinter scharf gezeichnet. Das geheimnisvolle Geräusch wurde lauter und wurde erklärbar. Es war das pulsierende Summen von Maschinen, die in gleichmäßigem Rhythmus stampften. Die Männer näherten sich auf Allanons stummen Wink vorsichtig der geschlossenen Tür.
Als der riesige Druide die schwere Tür öffnete, drang den Ahnungslosen ein Schwall heißer Luft entgegen, die sengend in die Lungen drang und in der Magengrube hängenzubleiben schien.
Nach Atem ringend, zögerten sie kurz und traten dann widerwillig in den Raum. Der Raum war im Grunde nicht viel mehr als eine Art kreisförmiger Lauf gang über einer tiefen Grube, die weit über dreißig Meter ins Gestein hinabführte. Am Grund loderte ein gigantisches Feuer, das von einer unbekannten Quelle gespeist wurde und dessen orange- und dunkelrote Flammen den Schacht hinauf züngelten. Oben am Innenrand verlief nur der kleine Laufgang, etwa einen Meter breit, mit einem niedrigen Eisengeländer. Von Decke und Wänden leiteten Heizungsschächte die Wärme in andere Teile des Gebäudes. Ein unsichtbares Pumpensystem steuerte die vom offenen Schmelzofen erzeugte Wärmemenge. Jetzt, in der Nacht, war das Pumpensystem stillgelegt und die Hitze auf dem Laufgang noch erträglich.
Wenn die Blasebälge voll in Betrieb waren, hätte der Aufenthalt in der Kammer für jeden. Menschen den sicheren Tod bedeutet.
Menion, Flick und die Elfenbrüder blieben am Geländer stehen, um das System genauer zu betrachten. Höndel hielt sich im Hintergrund; ihm war unbehaglich in dem Felsbauwerk, und er vermißte die freien Wälder, mit denen er vertraut war. Allanon trat zu Belinor und sprach kurz mit ihm, blickte auf mehrere geschlossene Türen, die zu den Kammern führten, und deutete auf die offene Wendeltreppe, die zu den oberen Hallen der Burg führte. Schließlich schienen die beiden Männer sich zu einigen, sie nickten einander zu und winkten den anderen, nachzukommen.
Höndel war nur allzu froh darüber. Menion und die Elfenbrüder traten vom Geländer zurück, um sich ihm anzuschließen.
Nur Flick zögerte noch, auf seltsame Weise von dem Lodern in der Grube fasziniert. Als er den Kopf hob, um zur anderen Seite der Kammer hinüberzublicken, sah er die dunklen Umrisse eines Schädelträgers aus dem Nichts auftauchen.
Flick erstarrte. Das Wesen verharrte halb geduckt auf der anderen Seite, sein Leib war eine schwarze Masse selbst im Licht des Grubenfeuers, während die capeartigen Schwingen sich hinter ihm ein wenig wölbten. Die Beine waren krumm, und die Füße endeten in gefährlich aussehenden Krallen, die fähig schienen, das Gestein selbst zu zerfetzen. Tief eingezogen zwischen mächtigen Schultern, hatten Kopf und Gesicht entfernte Ähnlichkeit mit zerschrundeter Kohle. Die heimtückischen Augen richteten sich auf den sprachlosen Talbewohner, und ihre Tiefen lockten ihn näher an das rötliche Glühen, das in ihnen funkelte, eine offene Einladung zum Tod. Mit langsamen, schleppenden Schritten ging es um die Kammer herum, und sein Atem rasselte, als es dem angewurzelten Flick immer näherkam. Er wollte aufschreien, davonstürzen, alles, nur nicht bleiben, wo er war, aber die unheimlichen Augen hielten ihn fest. Er wußte, daß sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
Aber den anderen war seine Regungslosigkeit aufgefallen; sie folgten seinem entsetzten Blick und entdeckten den schwarzen Schädelträger, der lautlos um den Rand der Grube herumschlich.
Allanon sprang blitzschnell vor Flick und riß ihn herum, um den Bann der furchtbaren Augen des Wesens zu brechen. Betäubt stolperte Flick nach rückwärts in die Arme Menions, der ihm ebenfalls zu Hilfe geeilt war. Die anderen standen hinter dem Druiden, die Waffen gezückt. Das Wesen kam einige Meter vor Allanon zum Stehen, immer noch geduckt, das gräßliche Gesicht mit einem erhobenen Flügel und seiner Krallenhand vor dem Feuerschein schützend. Der Atem ging in langsamen, rasselnden Stößen, während die grausamen Augen auf der hochgewachsenen Gestalt zwischen ihm und dem kleinen Talbewohner hafteten.
»Druide, du bist ein Narr, dich gegen mich zu stellen.« Die Stimme tönte irgendwo aus der Tiefe des formlosen Gesichts.
»Ihr seid alle dem Untergang geweiht. Ihr seid das gewesen, seitdem ihr euch entschlossen habt, nach dem Schwert zu suchen.
Der Meister wußte, daß ihr kommt, Druide! Er hat es gewußt!«
»Such das Weite, solange du noch kannst, Verhaßter!« befahl Allanon, so drohend, wie die anderen Männer ihn noch nie hatten sprechen hören. »Du erschreckst hier keinen. Wir holen uns das Schwert, und du wirst uns nicht im Weg stehen. Tritt beiseite, Lakai, und laß deinen Herrn vortreten!« Die Worte zischten durch die Luft und trafen den Schädelträger wie Messer. Das Wesen fauchte vor Wut, und die Atemzüge keuchten schneller, als es einen Schritt vortrat, sich tiefer duckte und haßerfüllt in die Augen Allanons blickte.
»Ich werde dich vernichten, Allanon! Dann ist niemand mehr übrig, der gegen den Meister auftreten kann! Du bist von Anfang an unsere Marionette gewesen, obwohl du nichts davon geahnt hast. Jetzt haben wir dich in Reichweite, zusammen mit deinen wichtigsten Verbündeten. Und sieh, wen du uns gebracht hast, Druide - den letzten Erben von Shannara!«
Zu jedermanns Schrecken wies die Klauenhand auf den verblüfften Flick. Das Wesen schien nicht zu ahnen, daß Flick nicht der Erbe war oder daß Shea ihnen bei den Drachenzähnen entrissen worden war. Einen Augenblick lang schwiegen alle. Das Feuer brüllte unten in der Grube, und die Flammen fegten plötzlich hoch, so daß glutheiße Luft über die Gesichter der Sterblichen fuhr. Die Krallen des schwarzen Geisterwesens schienen nach ihnen zu greifen.
»Nun, ihr Narren«, krächzte die haßerfüllte Stimme, »werdet ihr den Tod erleiden, den eure Gattung verdient!«