12

Menion sprang auf, griff nach seinem Schwert und schwor, einen Weg freizukämpfen oder dabei zugrunde zu gehen.

Balinor versuchte, ihn zurückzuhalten oder wenigstens zu beschwichtigen, aber einige Minuten lang herrschte heller Aufruhr, als die anderen sich schreiend dem Schwur des Hochländers anschlössen. Höndel befragte den bestürzten Dayel genauer und gebot schließlich mit energischer Stimme Schweigen.

»Die Häuptlinge der Gnome sind da«, sagte er zu Balinor, dem es endlich gelungen war, Menion zum Zuhören zu bewegen.

»Sie haben alle Priester und Ältesten der umliegenden Dörfer geholt zu einer besonderen Zeremonie, die einmal in jedem Monat stattfindet. Sie kommen bei Sonnenuntergang und preisen ihre Götter dafür, sie vor dem Bösen des Wolfsktaag-Landes geschützt zu haben. Es wird die ganze Nacht dauern, und bis morgen früh wird unseren jungen Freunden nicht mehr zu helfen sein.«

»Wunderbare Wesen, diese Gnome!« stieß Menion hervor.

»Sie fürchten das Böse hier, tun sich aber mit dem Schädelreich zusammen. Ich weiß nicht, was ihr denkt, aber ich gebe nicht auf wegen ein paar schwachsinnigen Gnomen, die nutzlose Zaubersprüche singen.«

»Niemand gibt auf,Menion«, sagte Balinor hart. »Wir verlassen das Gebirge heute. Auf der Stelle!«

»Und wie wollt Ihr das machen?« fragte Höndel. »Mitten durch die Gnomen marschieren? Oder vielleicht fliegen wir hinaus?«

»Wartet!« sagte Menion plötzlich und beugte sich über den bewußtlosen Shea. Er suchte hastig in seiner Kleidung, bis er den Beutel mit den Elfensteinen gefunden hatte.

»Die Elfensteine helfen uns«, erklärte er und zeigte ihnen den Beutel.

»Hat er den Verstand verloren?« fragte Höndel ungläubig, als er den Hochländer einen Lederbeutel schwenken sah.

»Das wird nicht gehen, Menion«, sagte Balinor leise. »Der einzige, der die Macht hat, die Steine zu gebrauchen, ist Shea.

Außerdem hat mir Allanon einmal gesagt, daß sie nur gegen Dinge anwendbar sind, die keine Substanz haben, Gefahren, die den Sinn verwirren. Diese Gnome sind von Fleisch und Blut, nicht Wesen der Geisterwelt oder der Einbildung.«

»Ich weiß nicht, was Ihr meint, aber ich weiß, daß die Steine bei dem Wesen im Nebelsumpf gewirkt haben, und ich war dabei...« Menion verstummte und ließ den Beutel mit seinem kostbaren Inhalt sinken. »Was hat das alles für einen Zweck? Ihr habt sicher recht. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich sage.«

»Es muß einen Weg geben!« Durin trat vor. »Alles, was wir brauchen, ist ein Plan, der fünf Minuten die Aufmerksamkeit der Gnome von uns ablenkt, und wir könnten vorbeischlüpfen.«

Menion merkte auf, aber es fiel ihm nichts ein, was geeignet gewesen wäre, die Wachsamkeit von einigen tausend Gnomen abzulenken.

Balinor ging ein paar Minuten auf und ab und sinnierte vor sich hin, während die anderen wahllos Vorschläge zum besten gaben. Höndel schlug mit bitterem Humor vor, er werde zu den Gnomen gehen und sich gefangennehmen lassen. Die Gnome würden so hocherfreut sein, ihn, den Mann, den sie seit Jahren unschädlich zu machen suchten, in der Gewalt zu haben, daß sie an etwas anderes gar nicht mehr denken würden. Menion hielt von dem Witz wenig und forderte Höndel auf, bei der Sache zu bleiben.

»Genug geschwätzt!« schrie Menion schließlich ungeduldig.

»Was wir brauchen, ist ein Plan, der uns weiterhilft, bevor Shea und Flick rettungslos verloren sind. Was sollen wir tun?« »Wie breit ist der Paß?« fragte Balinor.

»Dort, wo die Gnome sich versammelt haben, an die zweihundert Meter«, erwiderte Dayel. Er überlegte und schnippte mit den Fingern. »Die rechte Seite des Passes ist völlig offen, aber auf der linken Seite gibt es kleine Bäume und Strauchwerk an der Felswand. Das würde uns etwas Deckung bieten.«

»Zu wenig«, wandte Höndel ein. »Der Jade-Paß ist breit genug für den Durchmarsch einer Armee, aber bei der dürftigen Deckung vorbeischlüpfen zu wollen wäre selbstmörderisch.

Ich kenne ihn von der anderen Seite. Jeder Gnom würde uns auf Anhieb entdecken.«

»Dann müssen sie eben in eine andere Richtung blicken«, knurrte Balinor, als die verschwommenen Umrisse eines Planes aufzutauchen begannen. Er kniete plötzlich nieder und kratzte mit einem kurzen Stock eine grobe Skizze des Paßzugangs in den Boden, bevor er Dayel und Höndel fragend ansah.

Menion hatte sich wieder ein wenig beruhigt und trat hinzu.

»Nach der Zeichnung scheinen wir in Deckung und im Dunkeln bleiben zu können, bis wir hier sind«, erläuterte Balinor und zeigte auf einen Punkt in der Nähe der linken Felswand.

»Die Steigung ist sanft genug, daß wir über den Gnomen und innerhalb des Buschwerks bleiben können. Dann kommt freies Gelände in einer Länge von fünfundzwanzig oder dreißig Metern, bis der Wald an der steileren Felswand wieder anfängt. Das ist der Abschnitt, wo wir für jeden sichtbar sind, der aufpaßt. Wenn wir diesen Teil passieren, müssen die Gnome veranlaßt werden, sich in eine andere Richtung zu drehen.« Er machte eine Pause und starrte in die vier sorgenvollen Gesichter; er wünschte sich verzweifelt einen besseren Plan, aber es blieb keine Zeit, einen solchen auszuarbeiten, wenn sie die Chance wahren wollten, das Schwert von Shannara wiederzugewinnen. Was immer sonst auf dem Spiel stehen mochte, nichts war von solcher Bedeutung wie das Leben Sheas, des Erben der Macht des Schwertes, mit dem sich die einzige Hoffnung der Völker in den vier Ländern verband, einen Konflikt zu vermeiden, dem sie alle erliegen würden.

»Das erfordert den besten Bogenschützen im Südland«, fuhr Balinor leise fort. »Nur Menion Leah kommt dafür in Frage.« Menion hob erstaunt den Kopf, konnte seinen Stolz aber nicht ganz verbergen. »Es kann nur einen Schuß geben«, sagte der Prinz von Callahorn. »Wenn er nicht genau ins Ziel trifft, sind wir verloren.«

»Wie sieht Euer Plan aus?« fragte Dayel.

»Wenn wir das Ende der Deckung erreichen, wird Menion einen der Gnomen-Häuptlinge ins Visier nehmen und ihn mit einem einzigen Schuß töten. In der allgemeinen Verwirrung können wir vorbeihuschen.«

»Das wird nicht gehen, mein Freund«, brummte Höndel.

»In dem Augenblick, in dem sie ihren Anführer von einem Pfeil getroffen sehen, werden sie den Paß stürmen, und es kann sich nur um Minuten handeln, bis man uns findet.«

Balinor schüttelte den Kopf.

»Nein, denn sie werden hinter einem anderen her sein. In dem Moment, in dem der Häuptling fällt, wird einer von uns sich an der Rückseite des Passes zeigen. Die Gnome werden so aufgebracht und so begierig sein, ihn zu fassen, daß sie sich nicht die Zeit nehmen werden, nach anderen zu suchen, und im Durcheinander können wir entkommen.«

Die anderen schwiegen und sahen sich gegenseitig an.

»Klingt gut, nur nicht für den Mann, der zurückbleibt, um sich zu zeigen«, meinte Menion schließlich. »Wer bekommt den Selbstmordauftrag?«

»Es war mein Plan«, sagte Balinor, »also ist es auch meine Sache, zurückzubleiben und die Gnome in das Wolfsktaag-Gebirge zu locken, bis ich einen Haken schlagen und mich mit euch am Rand des Anar wieder treffen kann.«

»Ihr müßt toll sein, wenn Ihr glaubt, ich lasse zu, daß Ihr hierbleibt und den ganzen Ruhm einheimst«, sagte Menion.

»Wenn ich den Schuß abgebe, bleibe ich auch zum Applaus, und wenn ich verfehle...« Er verstummte und zuckte die Achseln, dann schlug er Durin auf die Schulter, während die anderen ihn ungläubig anstarrten. Balinor wollte etwas einwenden, aber Höndel trat vor und schüttelte den Kopf.

»Der Plan ist nicht schlecht, aber wir wissen alle, daß der Mann, der zurückbleibt, ein paar tausend Gnome auf den Fersen haben wird. Es muß also ein Mann sein, der die Gnome kennt, ihre Methoden, wie man sich gegen sie verteidigt und überlebt. In diesem Fall ist das ein Zwerg, der die Kampferfahrung eines Lebens besitzt. Also ich. Außerdem habe ich euch schon erzählt, wie wild die hinter mir her sind.

Sie werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mich nach einer solchen Tat zu hetzen.«

»Und ich habe gesagt, daß es meine Pflicht ist...«, begann Menion wieder.

»Höndel hat recht«, unterbrach ihn Balinor endgültig.

»Die Wahl ist getroffen, und wir halten uns daran. Höndel besitzt die besten Aussichten zu überleben.«

Er wandte sich dem stämmigen Zwerg zu und drückte ihm die Hand, dann wandte Höndel sich ab und trabte den Weg hinauf. Die anderen sahen ihm nach, aber nach wenigen Sekunden war er verschwunden. Das Dröhnen der Trommeln und der Gesang der Gnome tönten durch die Nacht.

»Verbindet den Brüdern den Mund, damit sie nicht schreien können.« befahl Balinor. Als Menion sich nicht rührte, sondern wie angewurzelt an seinem Platz stand und immer noch in die Richtung starrte, wo Höndel verschwunden war, wandte Balinor sich an ihn und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Sorgt dafür, daß Euer Schuß das Opfer möglich macht, das er für uns alle bringen will.«

Man band die noch immer unruhigen Leiber der beiden Brüder fester auf die Bahren und dämpfte die leisen Schreie durch Knebel. Die vier Männer machten sich auf den Weg, verließen den Schutz der Bäume und gingen auf den Jade-Paß zu. Vor ihnen loderten die Lagerfeuer der Gnome und erhellten die Nacht mit gelben und orangeroten Flammen. Die Trommeln dröhnten einen beharrlichen Rhythmus und wurden ohrenbetäubend laut, als die kleine Kolonne ihnen näherrückte.

Der Gesang schwoll an, bis man den Eindruck hatte, die ganze Gnomen-Nation habe sich versammelt. Das Ganze wirkte unheimlich und unwirklich, als hätten sie sich in dieser primitiven Welt verirrt, indem Sterbliche und Geister gleichzeitig durch Alpträume wanderten, Rituale vollführend, die keinem sinnvollen Zweck zu dienen schienen.

Die Wände der schroffen Felsen ragten auf beiden Seiten hoch in den Nachthimmel, distanzierte, aber riesige Eindringlinge in die Szene am hohen Zugang zum Jade-Paß. Das Gestein schimmerte in reichen Farben — Rot, Orange und Gelb verschmolzen mit einem dunklen Grün, das im Feuerschein tanzte und flackerte.

Schließlich standen die Männer im Paß selbst, gerade außerhalb der Sichtweite der singenden Gnomen. Auf beiden Seiten stiegen die Hänge steil an, wobei die Nordseite wenig oder keinen Schutz bot, während sich auf der südlichen kleine Bäume und Büsche dicht drängten. Balinor bedeutete den anderen, auf dieser Seite hinaufzusteigen. Er selbst übernahm die Führung, suchte den sichersten Weg und schlich vorsichtig zu den kleinen Bäumen hinauf, die weiter oben wuchsen.

Sie brauchten einige Zeit, um die Deckung der Bäume zu erreichen, und Balinor schaute sich immer wieder um. Menion konnte durch Lücken zwischen Bäumen und Sträuchern Blicke auf die unter ihnen lodernden Feuer werfen, deren helle Flammen von Hunderten kleiner, verkrümmter Gestalten fast verdeckt waren; diese bewegten sich rhythmisch im Licht und sangen monoton weiter. Menions Mund wurde trocken, als er sich vorstellte, was mit ihnen geschehen würde, wenn man sie entdeckte, und er dachte bedrückt an Höndel, um dessen Leben er fürchtete. Strauchwerk und Bäume wurden dünner, und die vier schlichen langsam weiter, immer wieder zögernd, während Balinor auf die Gnome hinunterstarrte.

Durin und Dayel gingen auf Katzenfüßen, lautlos und gewandt, mit der düsteren Umgebung schier verschmelzend.

Wieder starrte Menion auf die Gnome, die ihre Götter riefen und zu den Bergen beteten, während sich ihre Leiber zum Dröhnen der Trommeln wanden.

Dann erreichten die vier das Ende ihrer Deckung. Balinor deutete nach vorn zu dem offenen Gelände zwischen ihnen und den dichten Anar-Wäldern auf der anderen Seite. Die Strecke war lang, und zwischen den Männern und dem Passübergang befand sich nichts als niedriges Buschwerk und von der Sonne ausgetrocknetes Gras. Unmittelbar unter ihnen lagerten die Gnome, die jeden sehen mußten, der versuchen wollte, die hell erleuchteten Hänge der Südseite zu überqueren.

Dayel hatte recht gehabt; es wäre einem Selbstmord gleichgekommen, hier einen Durchbruch zu versuchen. Menion hob den Kopf und sah mit einem Blick, daß jeder Versuch, mit den beiden bewußtlosen Talbewohnern größere Höhe zu erreichen, durch eine Felswand zunichte gemacht wurde, die sich mehrere hundert Fuß in die Luft erhob und beinahe senkrecht aufragte. Er drehte den Kopf und starrte wieder auf die offene Stelle. Balinor winkte die anderen mit Gesten zu sich heran.

»Menion kann bis zum Rand vorgehen«, flüsterte er.

»Wenn er sein Ziel ausgemacht hat und der Gnom getroffen ist, wird Höndel die ganze Wut und Erregung der Versammelten auf sich ziehen, hoch auf der anderen Seite des Passes.

Er müßte schon an Ort und Stelle sein. Wenn die Gnome in seine Richtung stürzen, müssen wir uns beeilen. Schaut euch nicht um — lauft!«

Die anderen nickten, und alle Augen hingen an Menion, der den großen Bogen vom Rücken genommen hatte und die Spannung der Sehne prüfte. Er nahm einen langen, schwarzen Pfeil, vergewisserte sich, daß er gerade war, und zögerte kurz, während er noch einmal auf die vielen hundert Gnome hinunterblickte.

Plötzlich schien ihm klarzuwerden, was man von ihm erwartete. Er sollte einen Mann töten, nicht im Kampf, nicht in einer Schlacht, sondern aus dem Hinterhalt, verstohlen, ohne daß der andere sich zu wehren vermochte.

Er wußte instinktiv, daß er das nicht tun konnte, daß er nicht der erfahrene Kämpfer war wie Balinor, daß er nicht die kalte Entschlossenheit von Höndel besaß. Er war wild und manchmal auch tapfer, bereit, im offenen Kampf gegen jeden anzutreten, aber er konnte nicht aus einem Versteck heraus töten.

Er wandte sich den anderen zu, und sie lasen es in seinen Augen.

»Ihr müßt es tun!« zischte Balinor mit funkelnden Augen.

Durin hatte das Gesicht halb abgewendet, aber Dayel starrte Menion mit großen Augen an.

»Ich kann einen Mann so nicht töten«, sagte Menion gepreßt.

»Nicht einmal, um euch das Leben zu retten...«

Er verstummte, und Balinor starrte ihn unverwandt an.

»Ich kann tun, was nötig ist«, fuhr Menion fort, nachdem er noch einmal zu den Gnomen hinuntergeblickt hatte. »Ich kann es tun, aber auf andere Weise.«

Ohne sich näher zu erklären, schlich er zwischen den letzten Bäumen weiter und kauerte am Rand nieder. Seine Blicke glitten über die Gestalten der Gnome und blieben endlich an einem Häuptling auf der anderen Seite des Passes hängen. Der Gnom stand vor seinen Leuten, das runzlige, gelbe Gesicht erhoben, die kleinen Hände ausgestreckt, mit einer langen Schale glühender Kohle. Er stand regungslos da, das Gesicht zum Wolfsktaag gewendet. Menion zog einen zweiten Pfeil aus dem Köcher und legte ihn vor sich hin, dann schob er sich auf einem Knie hinter dem kleinen Baum hervor, an dem er Deckung gesucht hatte, legte den Pfeil in den Bogen und zielte. Die anderen warteten grimmig, mit angehaltenem Atem. Für den Bruchteil einer Sekunde schien alles gänzlich zum Stillstand zu kommen, dann wurde die Bogensehne losgelassen, sie schwirrte, und der Pfeil flog unsichtbar seinem Ziel entgegen. Beinahe mit derselben Bewegung legte Menion den zweiten Pfeil an die Sehne, zielte, schoß ihn blitzschnell ab und ließ sich hinter den Baum zurückfallen.

Es ging so schnell, daß keiner alles zu verfolgen vermochte; jeder sah nur Bruchstücke von dem, was der Schütze getan hatte und was unten geschah. Der erste Pfeil traf die Schale in den ausgestreckten Händen des Gnomen-Häuptlings, und sie zersprang in zahllose Stücke. Glühendrote Kohlen flogen funkenstiebend in die Luft. Im nächsten Augenblick, während der entgeisterte Gnom und seine verwirrten Anhänger erstarrten, bohrte sich der zweite Pfeil schmerzhaft in dashalb abgewandte, verwundbare Hinterteil des Häuptlings, der gellend aufschrie. Selbst das unglückliche Opfer hatte keine Zeit, wohl auch keine Neigung, sich zu überlegen, woher der peinliche Angriff kam oder wer der Bösewicht sein mochte. Der Gnomen-Häuptling hüpfte einige Sekunden lang, vor Schmerz und Entsetzen schreiend, herum, während ihm seine Leute verwirrt zusahen, was sich jedoch schnell ändern sollte. Ihre Zeremonie war brutal gestört worden, und einen ihrer Häuptlinge hatte ein heimtückischer Schuß aus dem Hinterhalt getroffen. Sie fühlten sich gedemütigt und waren vor Wut außer sich.

Binnen Sekunden, nachdem die Pfeile ihre Ziele getroffen hatten, und bevor noch irgendjemand Gelegenheit fand, sich zu sammeln, tauchte oben auf dem Nordhang im Paß eine Fackel auf, die ein riesiges Feuer entzündete; es loderte in den Nachthimmel hinauf, als sei die Erde selbst geborsten, um auf die Schreie der rachsüchtigen Gnome zu antworten. Vor dem aufzuckenden Feuer stand die breite, regungslose Gestalt des Zwergen Höndel, die Arme herausfordernd erhoben, eine Hand um den mächtigen Streitkolben gelegt, allen trotzen wollend, die zu ihm herauf starrten. Sein Lachen hallte dröhnend von den Felswänden wider.

»Kommt, Gnome — ihr Würmer!« brüllte er höhnisch.

»Steht auf und kämpft — einer von euch wird geraume Zeit nicht sitzen können. Eure läppischen Götter können euch nicht vor der Macht eines Zwerges bewahren, geschweige denn die Geister des Wolfsktaag!«

Der Aufschrei, der sich den Gnomenkehlen entrang, war erschreckend. Wie ein Lavastrom wälzten sie sich zum Paß, um die höhnende Gestalt auf dem Hang über ihnen zu packen, entschlossen, ihm für die Schande und Demütigung, die er ihnen zugefügt, das Herz herauszureißen. Einen Häuptling zu verwunden, war schlimm genug, aber ihre Religion und ihren Mut im selben Atemzug zu beleidigen, war unverzeihlich.

Einige der Gnome erkannten den Zwerg augenblicklich und schrien den anderen seinen Namen zu, verlangten den sofortigen Tod für ihn. Als die Gnome blindlings zum Paß stürzten und die Zeremonie vergaßen und die Feuer unbewacht ließen, sprangen die vier Männer auf der anderen Seite hoch, packten Traglasten und Bahren fester und hetzten geduckt über den freien, ungeschützten Hang, im zuckenden Feuerschein deutlich von unten sichtbar. Ihre Schatten huschten als Riesenphantome über ihnen an der Felswand mit. Niemand von ihnen achtete darauf, was die erbosten Gnome trieben; jeder rannte wie ein Wilder, den Blick nur auf den schützenden Wald gerichtet, der vor ihnen lag.

Wie durch ein Wunder gelangten sie hinüber. Im Wald blieben sie keuchend stehen und lauschten auf die Geräusche im Paß. Das Gelände davor war verlassen, bis auf eine kleine Gruppe von Gnomen, die sich um den verwundeten Häuptling bemühten. Menion lachte leise in sich hinein. Sein Lächeln verschwand aber, als er auf das an der Nordseite lodernde Feuer blickte. Die aufgebrachten Gnome kletterten von allen Seiten hinauf. Es war ein Gewimmel von kleinen, gelben Leibern, und die ersten hatten das Feuer fast schon erreicht.

Von Höndel war nichts zu sehen, aber allem Anschein nach mußte er irgendwo am Nordhang in einer Falle stecken.

Die vier Männer schauten nicht lange hinüber, dann gab ihnen Balinor ein Zeichen, ihre Last wieder aufzunehmen. Der Jade-Paß blieb zurück.

Es war dunkel im dichten Wald, als die Männer den Feuerschein hinter sich verschwinden sahen. Balinor schickte den Prinzen von Leah an die Spitze und trug ihm auf, an den Südhängen abwärts zu steigen, bis er einen Weg finden würde, der sie nach Westen führte. Sie brauchten nicht lange, um einen solchen Pfad zu erreichen, und die kleine Mannschaft gelangte in den Zentral-Anar. Die Wipfel der Bäume ringsum verdeckten die Sterne, die hohen Bäume standen wie schwarze Mauern am Weg. Shea und Flick warfen sich auf den Bahren wieder hin und her und stöhnten vernehmbar, trotz der dicken Knebel. Die Träger begannen die Hoffnung für ihre jungen Schützlinge aufzugeben. Das Gift breitete sich unaufhaltsam in deren Körpern aus, und wenn es in größerer Menge deren Herzen erreichte, würde das Ende schnell eintreten.

Die vier Männer wußten nicht, wieviel Zeit den Brüdern noch blieb, und vermochten nicht abzuschätzen, wie weit sie von medizinischer Hilfe entfernt waren. Der einzige, der das Zentral-Anar kannte, befand sich hinter ihnen und lief um sein Leben.

Plötzlich, so schnell, daß die vier keine Zeit fanden, den Pfad zu verlassen, um in Deckung zu gehen, tauchte aus der Wand von Bäumen ein Trupp Gnome auf. Einen Augenblick lang erstarrten alle und gafften einander perplex an. Beide Seiten brauchten aber nur Sekunden, um zu erkennen, mit wem sie es zu tun hatten. Die vier Männer stellten die Bahren ab und sprangen vor, um sich auf dem Weg nebeneinander aufzustellen. Die Gnome, im ganzen zehn oder zwölf, drängten sich kurz zusammen, dann verschwand einer von ihnen im Wald.

»Er holt Hilfe«, flüsterte Balinor den anderen zu. »Wenn wir nicht schnell an ihnen vorbeikommen, rückt Verstärkung an, und wir sind erledigt.«

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als die anderen Gnome einen gellenden Kampfruf ausstießen und gegen die vier anstürmten, mit kurzen, glänzenden Schwertern. Die lautlosen Pfeile von Menion und den Elfen-Brüdern warfen drei Gnome zu Boden, bevor der Rest sich gleich wilden Wölfen auf sie stürzte. Dayel wurde niedergerissen und verschwand unter den Leibern. Balinor hielt stand, als sein riesiges Schwert zwei Gnome nacheinander tötete. Die nächsten Minuten hörte man nur Aufschreie und Keuchen, als der Kampf auf dem schmalen Weg hin- und her wogte. Die Gnome versuchten, unter den langen Armen der Männer wegzutauchen, während die vier Verteidiger bemüht waren, ihre Stellung zwischen den wilden Angreifern und den bewußtlosen Brüdern zu halten. Am Ende lagen alle Gnome tot auf dem blutgetränkten Pfad, ihre Leiber bildeten kleine, traurige Haufen im schwachen Licht der Sterne. Dayel hatte eine ernsthafte Wunde am Brustkorb erlitten, die verbunden werden mußte, und Menion und Durin hatten eine Reihe kleiner Blessuren davongetragen. Balinor war unverletzt; ihn hatte der Kettenpanzer geschützt.

Die vier nahmen sich nur die Zeit, Dayels Wunde zu versorgen, bevor sie sich wieder die Bahren aufluden und auf dem verlassenen Weg weiterliefen. Sie hatten Anlaß genug, sich noch mehr zu beeilen. Die Gnome würden bald auf ihrer Fährte sein, sobald sie ihre gefallenen Kameraden fanden.

Menion versuchte am Stand der Sterne die Stunde zu schätzen und sich auszurechnen, wie lange sie seit Sonnenuntergang unterwegs waren, konnte aber nur vermuten, daß es früher Morgen sein mußte. Er spürte, wie die Erschöpfung sich in seinen schmerzenden Armen und gepeinigten Schultern ausbreitete, während er schnell hinter Balinor herging, der die Führung übernommen hatte. Sie waren alle dem Zusammenbruch nahe, überfordert von dem langen Marsch und von ihren Begegnungen zuerst mit dem Ungeheuer im Wolfsktaag und dann mit den Gnomen. Auf den Füßen hielten sie sich im Grunde nur noch, weil sie wußten, was den Brüdern gewiß war, wenn der Marsch nicht fortgesetzt wurde. Trotzdem brach dreißig Minuten nach dem kurzen Kampf mit der Gnomen-Nachhut Dayel infolge Blutverlusts und Erschöpfung mitten auf dem Weg zusammen. Die anderen brauchten mehrere Minuten, um ihn wieder zu sich zu bringen und auf die Beine zu stellen. Und danach ging es nur noch langsam vorwärts.

Balinor mußte bald Halt gebieten, um ihnen eine unaufschiebbare Rast zu gewähren. Sie lagen erschöpft am Weg und lauschten bedrückt dem zunehmenden Lärm ringsum. Seit ihrer Begegnung auf dem Pfad hatte das Schreien, vermischt mit Trommelschlägen, wieder eingesetzt. Anscheinend waren die Gnome nun schon über ihre Anwesenheit informiert und hatten eine große Anzahl von Jagdkommandos eingesetzt.

Es klang, als sei der ganze Anar belebt von wütenden Gnomen, die durch die Wälder hetzten, um den Feind zu finden, der am Paß entwischt war und zehn oder elf ihrer Leute getötet hatte. Menion sah müde auf die jungen Talbewohner, deren Gesichter kalkweiß und schweißüberströmt waren. Er konnte sie leise stöhnen hören, sah, wie ihre Glieder sich verkrampften, während das Gift unbarmherzig durch ihre Adern strömte. Er sah sie an und hatte plötzlich das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben, als sie ihn am nötigsten brauchten; nun würden sie den Preis für sein Versagen bezahlen müssen.

Er wurde zornig, wenn er an die unsinnige Idee der Reise nach Paranor dachte, um das Überbleibsel aus einer anderen Zeit holen zu wollen, auf die vage Aussicht hin, sich oder irgend jemand anderen vor einem Wesen wie dem Dämonen-Lord zu retten. Aber er wußte auch, während er das dachte, daß es falsch war, nun etwas in Zweifel zu ziehen, was sie von Anfang an für nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit gehalten hatten. Er blickte erschöpft auf Flick und fragte sich, warum sie nicht bessere Freunde hatten sein können.

Durins warnendes Zischen trieb sie alle von dem offenen Weg in den Wald hinein, wo sie sich zu Boden warfen, um atemlos zuwarten. Einen Augenblick später hörten sie laute Schritte auf dem Weg, und aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, marschierte ein Trupp von Gnomen auf ihr Versteck zu. Balinor sah sofort, daß es zu viele waren für einen Kampf, und legte die Hand auf Menions Schulter, der sich erheben wollte. Die Gnome marschierten den Pfad entlang, die gelben Gesichter schimmerten im Sternenlicht, während ihre weit auseinanderstehenden Augen besorgt in den dunklen Wald blickten. Die Gnome erreichten die Stelle, wo wenige Meter entfernt die Verfolgten im Wald lagen. Die Gnome merkten nichts und rückten weiter vor. Als sie verschwunden waren und man nichts mehr hörte, wandte Menion sich Balinor zu.

»Es ist aus, wenn wir Allanon nicht finden. Unter diesen Umständen werden wir Shea und Flick keine Meile weit mehr tragen können.«

Balinor nickte stumm. Er kannte ihre Lage. Er wußte aber ebenso gut, daß sie nicht aufgeben durften. Sie konnten die Brüder auch nicht im Wald liegenlassen und hoffen, sie später wieder zu finden. Er bedeutete also den anderen erbarmungslos, aufzustehen. Wortlos packten sie die Tragbahren und marschierten stumpf weiter, wissend, daß die Gnome nun nicht nur hinter, sondern auch vor ihnen waren. Menion fragte sich erneut, was dem mutigen Höndel zugestoßen sein mochte. Es schien unmöglich zu sein, daß selbst der einfallsreiche Zwerg mit all seiner Erfahrung den zornigen Gnomen für längere Zeit hatte entkommen können. Jedenfalls konnte aber auch der Zwerg nicht in schlechterer Verfassung sein als sie. Wenn die Gnome sie wiederfanden, bevor sie in Sicherheit waren, gab es kaum Hoffnung.

Wieder nahmen Durins scharfe Ohren das Geräusch von Schritten, die nahten, wahr, und alle sprangen hinter die schützenden Bäume. Sie hatten den Weg kaum verlassen und sich ins Dickicht verzogen, als zwischen den Bäumen vor ihnen Gestalten auftauchten. Selbst im trüben Licht der Sterne machten Durins scharfe Augen den Anführer der kleinen Gruppe sofort als einen Riesen von Mann, gekleidet in einen wallenden schwarzen Mantel, aus. Einen Augenblick später sahen ihn auch die anderen. Es war Allanon. Aber Durins Warngeste unterdrückte die Ausrufe der Erleichterung auf Balinors und Menions Lippen im letzten Augenblick. Sie starrten mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit und sahen, daß die kleinen Gestalten in weißen Umhängen, die den Historiker begleiteten, unzweifelhaft Gnome waren.

»Er hat uns verraten!« zischte Menion und griff instinktiv nach seinem langen Jagdmesser.

»Nein, wartet!« flüsterte Balinor scharf und bedeutete den anderen, still liegen zu bleiben, als die Gruppe sich ihrem Versteck näherte.

Allanons hochgewachsene Gestalt kam heran, und die tiefliegenden Augen waren starr nach vorn gerichtet. Seine dunkle Stirn zeigte scharfe Furchen. Menion wußte instinktiv, daß man sie entdecken würde, und spannte die Muskeln zum Sprung auf den Weg an, wo sein erster Hieb den Verräter niederstrecken mußte. Daß er keine zweite Chance bekommen würde, war ihm klar. Die weißgekleideten Gnome folgten ihrem Anführer scheinbar ohne besonderes Interesse.

Plötzlich blieb Allanon stehen und schaute sich erstaunt um, als nehme er ihre Gegenwart wahr. Menion wollte aufspringen, aber eine schwere Hand drückte ihn nieder.

»Balinor!« rief der schwarze Wanderer mit ruhiger Stimme, trat aber nicht vor, während er sich erwartungsvoll umsah.

»Laß mich los!« faucht Menion.

»Sie haben keine Waffen.« Balinors Stimme erstickte seinen Zorn und veranlaßte ihn, die weißgekleideten Gnome um den Historiker näher zu mustern. Sie waren in der Tat waffenlos.

Balinor stand auf und trat in die Lichtung hinaus, sein großes Schwert fest umklammernd. Menion folgte ihm und sah auch die schlanke Gestalt Durins zwischen den Bäumen, einen Pfeil am Bogen. Allanon trat mit einem Seufzer der Erleichterung heran und griff nach Balinors Hand, erstarrte aber, als er das Mißtrauen in den Augen des anderen und die Bitterkeit in der Miene Menions sah. Er wirkte einen Augenblick verwirrt, dann schaute er sich plötzlich nach den kleinen Gestalten um.

»Nein, keine Sorge!« sagte er hastig. »Das sind Freunde. Sie haben keine Waffen und hassen euch nicht. Es sind Heilkundige, Ärzte.«

Einen Augenblick lang regte sich niemand, dann steckte Balinor das Schwert ein und ergriff Allanons ausgestreckte Hand. Menion folgte seinem Beispiel, ohne den Argwohn gegenüber den Gnomen ganz aufzugeben.

»Nun erzählt, was geschehen ist«, sagte Allanon, der das Kommando über den kleinen Trupp wieder übernommen hatte. »Wo sind die anderen?«

Balinor schilderte hastig, was ihnen im Wolfsktaag widerfahren war. Als Allanon von den Verletzungen der Brüder erfuhr, wandte er sich sofort an die Gnome und erklärte dem mißtrauischen Menion, daß sie seine Freunde behandeln würden. Balinor setzte seinen Bericht fort, während die weißgekleideten Gnome zu den Brüdern eilten und ihnen eine Flüssigkeit aus kleinen Fläschchen einflößten. Menion schaute besorgt zu und fragte sich, weshalb diese Gnome sich von den anderen unterschieden. Als Balinor zu Ende kam, schüttelte Allanon mißmutig den Kopf.

»Das war mein Fehler, meine falsche Beurteilung«, murmelte er zornig. »Ich bin in meinen Plänen zu weit vorausgeeilt und habe nicht sorgsam genug auf unmittelbare Gefahren geachtet. Wenn die beiden sterben, war das ganze Unternehmen umsonst.« Er sprach wieder mit den hin- und herhuschenden Gnomen, und einer von ihnen eilte auf dem Weg in Richtung Jade-Paß davon.

»Ich habe einen zurückgeschickt, damit er feststellt, was mit Höndel geschehen ist. Wenn ihm etwas zugestoßen sein sollte, liegt die Schuld allein bei mir«, erklärte Allanon.

Er befahl den Gnomen-Ärzten, die Vergifteten zu tragen, und die ganze Gruppe machte sich nach Westen auf den Weg.

Auch um Dayels Wunde hatte man sich gekümmert, so dass er ohne Hilfe gehen konnte. Unterwegs erklärte Allanon, weshalb sie hier nicht mehr auf böse Gnomen-Trupps stoßen würden.

»Wir nähern uns dem Land der Stors, jener Gnomen, die mit mir gekommen sind«, sagte er. »Sie sind Heilkundige, abgesondert von den anderen Gnomen-Nationen und allen anderen Rassen, bestrebt, jenen zu helfen, die Zuflucht oder medizinischen Beistand nötig haben. Sie regieren sich selbst, leben abseits der kleinen Streitigkeiten anderer Nationen — etwas, das den Menschen nie gelungen ist.

In diesem Teil der Welt werden sie von allen geachtet und geschätzt. Ihr Land, das wir bald erreichen, wird Storlock genannt.

Es ist geheiligter Boden, den kein Kriegertrupp der Gnomen zu verletzen wagen würde, wenn man ihn nicht auffordert, ihn zu betreten, und ihr könnt sicher sein, daß eine solche Einladung nicht erfolgen wird.«

Er erklärte weiter, daß er seit vielen Jahren freundschaftliche Beziehungen zu diesem harmlosen Stamm unterhalte, seine Geheimnisse mit ihm teile und oft monatelang bei ihm lebe. Man könne sich darauf verlassen, daß die Stors die beiden jungen Brüder gesundpflegen würden. Sie seien die klügsten Heilkundigen auf der Welt, und es sei kein Zufall, dass sie den Historiker begleiteten, als er durch den Anar zurückkehrte, um die anderen am Jade-Paß zu treffen. Von einem angstvollen Gnomen-Kurier, den er auf dem Weg an der Grenze zu Storlock getroffen habe, über die Ereignisse unterrichtet, habe er die Stors gebeten, ihm bei der Suche nach seinen Freunden behilflich zu sein, zumal da er befürchtet habe, sie könnten verletzt sein.

»Ich dachte nicht, daß das Wesen, dessen Gegenwart ich im Tal von Wolfsktaag entdeckte, die Intelligenz besitzen könnte, meine Markierungszeichen zu entfernen«, gab er zornig zu. »Ich hätte aber vorsichtiger sein und andere Hinweise hinterlassen sollen, um dafür zu sorgen, daß ihr diesen Ort umgeht. Schlimmer noch, ich bin am frühen Nachmittag durch den Jade-Paß gekommen, ohne zu erkennen, daß die Gnome sich am Abend dort zum Ritual der Berggeister versammeln würden. Ich habe Fehler über Fehler gemacht.«

»Wir tragen alle Schuld«, erwiderte Balinor. Menion, der auf der anderen Seite ging, preßte die Lippen zusammen.

»Wären wir aufmerksamer gewesen, hätte das alles nicht geschehen können. Aber jetzt kommt es darauf an, Shea und Flick zu heilen und zu versuchen, etwas für Höndel zu tun, bevor die Gnomen ihn finden.«

Sie schritten eine Weile schweigend dahin, zu erschöpft, um klar denken zu können, nur darauf konzentriert, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis sie die versprochene Sicherheit im Stör-Dorf erreichen würden. Der Pfad schien sich endlos zwischen den Bäumen des Anar-Waldes dahinzuwinden, und nach einiger Zeit verloren die vier Männer jedes Gefühl für Raum und Zeit, so erschöpft waren sie. Die Nacht verging langsam, und endlich tauchten am östlichen Horizont die ersten hellen Streifen auf, aber sie hatten ihr Ziel noch immer nicht erreicht. Eine Stunde später sahen sie endlich das Licht von Nachtfeuern im Stör-Dorf, deren Widerschein auf den Bäumen tanzte. Bald standen sie im Ort, umgeben von geisterhaften Stors, alle in Weiß, die mit traurigen Augen die Männer anstarrten und sie in eines der niedrigen Gebäude führten.

Dort sanken die Erschöpften wortlos auf weiche Betten, zu müde, um sich noch zu waschen oder auch nur auszuziehen.

Binnen Sekunden schliefen alle bis auf Menion Leah, der sich noch gegen den Schlaf zu wehren vermochte, um im Raum nach Allanon zu suchen. Als er ihn nicht fand, stand er mühsam auf und wankte zur Tür, die, wie er sich dunkel erinnerte, in einen zweiten Raum führte- Er lehnte sich dagegen und preßte das Ohr an den Spalt neben dem Türstock, um das Gespräch zwischen dem Historiker und den Stors zu belauschen.

Halb im Schlaf hörte er Satzfetzen, die sich mit Shea und Flick befaßten. Die Gnome waren der Meinung, daß die Brüder sich bald erholen würden. Dann ging plötzlich eine andere Tür, mehrere Leute kamen herein und berichteten Allanon Schreckliches.

»Was habt ihr entdeckt?« fragte er sie. »Ist es so schlimm, wie wir befürchtet haben?«

»Sie haben im Gebirge jemanden gefangen«, antwortete einer bedrückt. »Wir konnten nicht ermitteln, wer es war. Auf alle Fälle haben sie ihn in Stücke gerissen.«

Höndel! Betäubt richtete sich der Hochländer auf und taumelte zu seinem Bett zurück; er konnte nicht glauben, richtig gehört zu haben. Eine völlige Leere entstand in seinem Inneren, und hilfloser Zorn trieb ihm Tränen in die Augen, bis er endlich einschlief.

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