20

Was folgte, war ein chaotisches Durcheinander. Ein gräßlicher, schriller Schrei tönte aus dem Gebüsch, und das ganze Dickicht schien zu erbeben. Panamon schob sich mühsam auf die Knie und schrie Shea zu, er möge ihm das Breitschwert geben, das der angstbetäubte Talbewohner mit der linken Hand noch immer fest umklammerte. Shea stand erstarrt, in der Rechten die Elfensteine, entsetzt den Angriff erwartend, der aus dem Dickicht hervorbrechen mußte. Panamon fiel erschöpft zurück. Aus dem hohen, dichten Strauchwerk ertönte wieder ein Kreischen, es klatschte und rauschte darin, dann wurde es still. Augenblicke später trat Keltset heraus, den schweren Streitkolben in der Hand. Mit der anderen schleppte er den sich windenden Körper eines Gnomen. Der verkrümmte, gelbe Leib wirkte neben dem Riesen kindlich. Der Gnom war ein Jäger mit Lederrock, Jagdstiefeln und Schwertgürtel. Das Schwert fehlte; Keltset mußte es dem Gegner abgenommen haben. Keltset ging auf Panamon zu, der sich inzwischen wieder aufgesetzt hatte, und hielt ihm den strampelnden Gefangenen hin.

»Laßt mich los, laßt mich los!« schrie der Gnom wütend. »Ihr habt kein Recht! Ich habe nichts getan - ich bin nicht einmal bewaffnet. Laßt mich los!«

Panamon Creel starrte das kleine Wesen belustigt an und schüttelte erleichtert den Kopf. Als der Gnom weiterbrüllte, brach der Räuber in Gelächter aus.

»Was für ein furchtbarer Gegner, Keltset! Hättest du ihn nicht gefangen, wären wir alle des Todes gewesen. Das muß ein entsetzlicher Kampf gewesen sein! Ha, ha, ha, ich kann es nicht glauben. Und wir hatten Angst vor einem geflügelten Ungeheuer.«

Shea spürte wenig Neigung, sich zu amüsieren, weil er sich zu gut an die gefährlichen Begegnungen seiner Gruppe mit den kleinen, gelben Wesen erinnerte. Sie waren gefährlich und verschlagen - Feinde, die er nicht als harmlos betrachtete. Panamon bemerkte seine ernste Miene und sah ihn an.

»Sei nicht zornig, Shea. Es ist mehr Gewohnheit als Dummheit, wenn ich über diese Kreaturen lache. Ich tue es, um bei Verstand zu bleiben. Aber genug davon. Was machen wir mit unserem kleinen Freund?«

Der Gnom starrte ihn angstvoll an und begann zu wimmern.

»Bitte, laßt mich los«, flehte er. »Ich gehe fort und sage keinem etwas von Euch. Ich werde tun, was Ihr verlangt, gute Freunde. Laßt mich nur gehen.«

Keltset hielt den Hilflosen noch immer am Kragen fest, und der Gnom geriet in Gefahr, durch den eisernen Griff zu ersticken.

Panamon bedeutete dem Troll, sein Opfer loszulassen, dann zwinkerte er Shea zu, bevor er herumfuhr und den Eisenhaken an seinem linken Arm auf die Kehle des Gelben richtete.

»Ich sehe keinen Grund, dich am Leben zu lassen, geschweige denn, dir die Freiheit zu schenken«, zischte er drohend. »Ich glaube, es wäre für alle Beteiligte das Beste, wenn ich dir die Kehle durchschneide.«

Shea glaubte nicht, daß Panamon es ernst meinte, aber der entsetzte Gnom schluckte krampfhaft und streckte flehend die Hände aus. Er begann zu schluchzen. Panamon regte sich nicht und starrte den Unglücklichen unverwandt an.

»Nein, nein, ich bitt' Euch, tötet mich nicht«, jammerte der verzweifelte Gnom, mit seinen grünen Augen von einem zum anderen blickend. »Bitte, bitte, laßt mich leben - ich kann Euch von Nutzen sein - ich kann Euch helfen. Ich kann Euch vom Schwert von Shannara berichten, ja, es für Euch holen.«

Shea zuckte unwillkürlich zusammen und legte eine Hand auf Panamons Schulter, um ihn zu beruhigen.

»Du kannst uns also etwas über das Schwert sagen, wie?« fuhr Panamon den Gnom an. »Heraus mit der Sprache!«

Der Gelbe atmete ein wenig auf, und sein Blick zuckte hoffnungsvoller hin und her. Shea sah aber noch etwas anderes, eine beinahe grenzenlose Verschlagenheit, die für Sekundenbruchteile hinter der weinerlichen Maske aufblitzte.

»Ich kann Euch zum Schwert führen, wenn Ihr wollt«, flüsterte er rauh. »Ich kann Euch dorthin bringen, wo es ist – wenn Ihr mich am Leben laßt.«

Panamon zog die Spitze des Eisenhakens von der Kehle des zusammengekauerten Gnoms zurück. Keltset hatte sich nicht bewegt und ließ nicht erkennen, ob ihn der ganze Vorgang interessierte.

Shea hätte Panamon gern klargemacht, wie wichtig der Gnom sein mochte, wenn auch nur die geringste Aussicht bestand, das Schwert von Shannara zu finden, aber er wußte nicht, wieviel der Dieb von den alten Legenden kannte. Panamon lächelte schwach und starrte den zitternden Gefangenen an.

»Ist dieses Schwert wertvoll, Gnom?« fragte er unschuldig.

»Kann ich es für Gold verkaufen?«

»Für die richtigen Leute ist es von unschätzbarem Wert«, gab der Gnom zurück. »Manche würden alles bezahlen, alles tun, um es in ihre Hände zu bekommen. Im Nordland...« Er verstummte plötzlich. Panamon grinste und sah Shea an.

»Der Gnom behauptet, wir könnten Geld dafür bekommen«, sagte er spöttisch, »und der Gnom lügt natürlich nicht, wie?«

Der gelbe Kopf wurde heftig geschüttelt. »Nun, dann sollten wir dich vielleicht so lange am Leben lassen, bis du bewiesen hast, daß du für deine wertlose Haut etwas von Wert einzutauschen hast. Ich möchte nicht auf eine Gelegenheit verzichten, Geld zu verdienen, nur um mir das Vergnügen zu machen, einem Gnom die Kehle durchzuschneiden, wenn mir einer über den Weg läuft.

Was meinst du, Gnom?«

»Ihr versteht ganz richtig, Ihr kennt meinen Wert«, winselte der kleine Bursche und verbeugte sich devot. »Ich kann Euch helfen und Euch reich machen. Ihr könnt auf mich zählen.«

Panamon grinste breit und legte dem Winzling die Hand auf die Schulter, als habe er einen alten Freund vor sich.

»Sag uns, was du hier so ganz allein treibst, Gnom«, drängte Panamon. »Wie heißt du übrigens?«

»Orl Fane. Ich bin ein Krieger des Pelle-Stammes im oberen Anar«, erwiderte der Gnom eifrig. »Ich - ich war als Kurier aus Paranor unterwegs, als ich auf diesen Kampfplatz stieß. Sie waren alle tot, alle, und ich konnte keinem helfen. Dann hörte ich Euch und verbarg mich. Ich fürchtete, Ihr könntet... Elfen sein.«

Er sah Shea furchtsam an, dem die Elfenherkunft ins Gesicht geschrieben stand. Shea unternahm nichts, sondern wartete auf Panamons nächsten Schritt. Der hochgewachsene Straßenräuber sah den Gnomen beinahe freundlich an.

»Orl Fane - vom Stamm der Pelle«, wiederholte der Scharlachrote langsam. »Ein Stamm von berühmten Jägern, tapferen Männern.« Er schüttelte den Kopf, als bedauere er etwas ganz tief, und starrte den rätselnden Gnomen an. »Orl Fane, wenn wir einander von Nutzen sein sollen, müssen wir Vertrauen füreinander aufbringen. Lügen können den Zweck unserer neuen Genossenschaft nur behindern. Auf dem Schlachtfeld war eine Pelle-Standarte zu finden - die Flagge deines Stammes in der Gnomen-Nation. Du mußt beim Kampf dabei gewesen sein.«

Der Gnom sah ihn sprachlos an, eine Mischung aus Angst und Zweifel in den grünen Augen.

»Sieh dich an, Orl Fane«, sagte Panamon mit schiefem Lächeln.

»Bespritzt bist du mit Blut, und eine klaffende Wunde hast du an der Stirn. Warum verschweigst du uns die Wahrheit? Du bist dabei gewesen, nicht?« Der Gnom nickte mühsam, und Panamon lachte. »Natürlich warst du hier, Orl Fane. Und als die Elfen mit euch kämpften, bist du von einem Hieb getroffen worden und am Boden gelegen, bis wir kamen. So war es doch, nicht wahr?«

»Ja, so war es«, sagte der Gnom stockend.

»Nein, so war es nicht!«

Einen Augenblick lang herrschte tiefe Stille. Panamon lächelte immer noch, und Orl Fane wurde von widerstreitenden Gefühlen sichtbar hin- und hergerissen. Shea starrte die beiden verwundert an.

»Hör mir zu, du verlogene, kleine Ratte!« fauchte Panamon plötzlich. »Du hast von Anfang an gelogen! Ein Pelle würde seine Abzeichen tragen - du hast keine. Du bist nicht verwundet worden - die Wunde ist kaum mehr als ein Kratzer. Du bist ein Leichenfledderer - ein Deserteur, nicht wahr? Nicht wahr?«

Panamon packte den entsetzten Gnom am Rock und schüttelte ihn so heftig, daß Shea die Zähne des gelben Burschen klappern hörte.

»Ja, ja!« stieß der Gnom endlich hervor, und Panamon ließ ihn los, überantwortete ihn wieder dem Griff des wachsamen Keltset.

»Ein Deserteur, der seine eigenen Leute im Stich gelassen hat.«

Panamon spuckte aus. »Das niedrigste Gewürm, das auf der Erde herumkriecht. Du hast das Schlachtfeld nach Gegenständen abgesucht, die Wert besitzen. Wo sind die Sachen, Orl Fane? Shea, schau im Gebüsch nach, wo er sich versteckt hat.«

Als Shea auf das Dickicht zuging, stieß der sich wehrende Gnom einen gellenden Schrei aus, und der Talbewohner fürchtete schon, Keltset habe ihm den Kragen umgedreht, aber Panamon lächelte nur und bedeutete Shea mit einer Handbewegung, die Suche fortzusetzen, nun überzeugt davon, daß der Gnom im Gebüsch etwas versteckt hatte. Shea zwängte sich in das Dickicht und suchte gründlich nach einem Versteck. Der Boden und das Zweigwerk waren durch den Kampf zwischen Keltset und Orl Fane zerwühlt und geknickt. Auf Anhieb fand Shea nichts. Er kroch ein paar Minuten lang erfolglos herum und wollte schon aufgeben, als sein Blick auf halbvergrabene Dinge unter Laub, Zweigen und Erde fiel. Er grub mit den Händen und seinem Jagdmesser einen großen Sack aus, in dem metallene Gegenstände klirrten. Er rief Panamon zu, daß er etwas entdeckt habe, worauf der Gnom wieder kläglich zu schreien begann. Shea zog den Sack heraus ans Licht, schleppte ihn hinaus und warf ihn vor den anderen auf den Boden. Orl Fane bekam bei seinem Anblick einen Tobsuchtsanfall, und Keltset brauchte beide Hände, um ihn festzuhalten.

»Der Inhalt muß für unseren kleinen Freund wichtig sein«, meinte Panamon grinsend und griff nach dem Sack.

Shea trat an seine Seite und blickte über die breite Schulter, als Panamon die Lederschnur öffnete und in den Sack hineingriff.

Er überlegte es sich plötzlich anders, zog die Hand wieder heraus, kippte den Sack und leerte den Inhalt auf den Boden. Die anderen starrten den Fund an.

»Wertloses Zeug«, knurrte Panamon. »Der Gnom ist auch noch zu dumm, Wertvolles zu erkennen.«

Shea betrachtete die Sammlung, ohne zu antworten. Nichts als Dolche, Messer und Schwerter, manche noch in ihren Lederscheiden.

Im verblassenden Sonnenlicht glitzerten ein paar billige Schmuckstücke und zwei oder drei Gnomenmünzen. Es schien wahrhaftig nur wertloses Zeug zu sein, dem aber Orl Fane offenbar einen beträchtlichen Wert beigemessen hatte. Er hatte alles verloren, als er zum Deserteur geworden war, und vorweisen konnte er dafür nur ein paar Waffen und billigen Schmuck.

Jetzt lief er überdies Gefahr, sein Leben einzubüßen, weil er Panamon Creel angelogen hatte.

»Kaum lohnend, dafür zu sterben, Gnom«, knurrte Panamon und nickte Keltset zu, der den Streitkolben hob, um dem Gefangenen den Garaus zu machen.

»Nein, nein, wartet, bitte!« schrie der Gnom in höchster Verzweiflung.

»Ich habe nicht gelogen, was das Schwert angeht – ich schwöre es! Ich kann es Euch beschaffen! Begreift Ihr nicht, was das Schwert von Shannara dem Schwarzen Lord wert ist?«

Shea streckte die Hand aus, um Keltsets massiven Arm festzuhalten.

Der Riesentroll schien zu begreifen. Er ließ den Streitkolben langsam sinken und sah Shea prüfend an. Panamon Creel öffnete aufgebracht den Mund, zögerte dann aber. Er wollte die Wahrheit über Sheas Hiersein erfahren, und das Geheimnis des Schwertes hatte offenkundig viel damit zu tun. Er starrte den Talbewohner kurz an, dann wandte er sich Keltset zu und zuckte die Achseln.

»Wir können dich auch später immer noch töten, Orl Fane, wenn du uns wieder zu täuschen versuchst. Keltset, schling ihm einen Strick um den Hals und nimm ihn mit. Shea, wenn ich mich ein wenig auf dich stützen kann, schaffe ich es wohl bis zum Wald. Keltset wird auf unseren verschlagenen, kleinen Deserteur gut aufpassen.«

Shea half dem Verwundeten auf die Beine und versuchte ihn zu stützen, als er ein paar Schritte machte. Keltset fesselte Orl Fane und legte einen Strick um seinen Hals, um ihn wie an einer Leine führen zu können. Der Gnom wehrte sich nicht, obwohl seine innere Unruhe unverkennbar war. Shea war der Ansicht, der Bursche habe auch jetzt die Unwahrheit gesagt und warte nur verzweifelt auf eine Gelegenheit, die Flucht zu ergreifen, bevor man ihm auf die Schliche kam und ihn umbrachte. Shea selbst hätte den Gnomen zwar nicht getötet und auch seine Zustimmung verweigert, daß er niedergemacht werde, aber Mitgefühl für das verschlagene Wesen empfand er kaum. Orl Fane war ein Feigling, ein Deserteur, ein Leichenfledderer - ein Mann ohne Volk und Land. Shea war jetzt davon überzeugt, daß das winselnde, unterwürfige Verhalten nur eine Tarnung für den heimtückischen, verzweifelten Charakter war. Orl Fane hätte ihnen bedenkenlos die Kehlen durchgeschnitten, wenn er der Meinung gewesen wäre, das ohne Gefahr für sich selbst tun zu können.

Panamon gab ein Zeichen, daß sie sich auf den Weg machen konnten, aber nach wenigen Schritten erhob Orl Fane ein klägliches Geschrei. Der Gnom weigerte sich, mitzugehen, wenn man ihm nicht seinen Sack mit den Schätzen lasse. Er heulte und tobte so erbärmlich, daß Panamon nahe daran war, ihm den Schädel einzuschlagen.

»Was macht das schon, Panamon?« sagte Shea schließlich ungeduldig.

»Laßt ihm seinen Tand, wenn ihn das glücklich macht.

Wir können den Dreck später wegwerfen, wenn er sich beruhigt hat.«

Panamon schüttelte gereizt den Kopf, gab aber endlich nach.

»Nun gut, dieses eine Mal«, sagte er. Orl Fane wurde auf der Stelle still. »Wenn er aber noch einmal einen solchen Spektakel macht, schneide ich ihm die Zunge ab. Keltset, sorg dafür, dass er den Sack nicht in die Hände bekommt. Ich möchte nicht, dass er nach einer Waffe greift, sich befreit und uns umbringt! Die schartigen Klingen taugen zwar nicht viel, aber ich möchte nicht an Blutvergiftung sterben.«

Shea mußte wider Willen lachen. Die Waffen sahen wirklich armselig aus, wenngleich ihm das schmale, große Schwert mit der im Griff eingeritzten brennenden Fackel gefiel. Auch diese Waffe sah aber ziemlich mitgenommen aus, der billige goldene Anstrich blätterte ab, und der Griff wirkte abgeschabt. Wie manche andere steckte sie in einer alten Lederscheide, so daß man schwer sagen konnte, in welchem Zustand sich die Klinge befand. In den Händen des verschlagenen Gnoms mochte sie aber durchaus gefährlich sein. Keltset füllte den Sack und schwang ihn über die Schulter, dann setzten sie den Marsch zum Wald fort.

Es war eine nicht sehr weite Entfernung, aber bis sie den Waldrand erreichten, war Shea, der den verwundeten Räuber hatte stützen müssen, erschöpft. Auf Panamons Befehl hin blieben sie stehen; er schickte Keltset zurück, damit er ihre Spur verwische und eine Anzahl falscher Fährten lege. Shea erhob keinen Einwand. Er hoffte zwar, daß Allanon und die anderen nach ihm suchten, aber es bestand die große Gefahr, daß auch Gnomenjäger oder gar ein Schädelträger auf ihre Fährte stießen.

Nachdem der Troll Orl Fane an einen Baumstamm gebunden hatte, kehrte er auf das Schlachtfeld zurück, um ihre Spur zu verwischen.

Panamon sank an einer Ulme nieder, und Shea legte sich auf eine kleine, grasbewachsene Anhöhe, zerstreut in die Baumwipfel blickend, während er die Waldluft tief in sich einsog. Die Sonne sank immer tiefer, und die ersten Vorboten des Abends erschienen als purpurne und tiefblaue Streifen am Himmel. Sie hatten nur noch mit einer Stunde Tageslicht zu rechnen, und die Nacht würde sie vor ihren Feinden verbergen. Shea wünschte sich verzweifelt die Gesellschaft seiner Genossen, die starke, weise Führerschaft Allanons, den Mut der anderen - Balinor, Höndel, Durin, Dayel und des wilden Menion Leah. Vor allem sehnte er sich nach Flick mit seiner unwandelbaren Treue und seinem grenzenlosen Vertrauen. Panamon Creel war ein guter Verbündeter, aber eine engere Beziehung bestand zwischen Shea und ihm nicht. Und Keltset war ein Rätsel, selbst für Panamon.

»Panamon, Ihr habt vorhin gesagt, Ihr wolltet mich über Keltset aufklären«, sagte Shea leise. »Der Schädelträger hat ihn gekannt.«

Es blieb eine Weile still, und Shea hob den Kopf, um zu sehen, ob der andere ihn gehört hatte. Panamon starrte ihn prüfend an.

»Schädelträger? Du scheinst von dem Ganzen viel mehr zu wissen als ich. Was meinst du zu meinem Begleitriesen, Shea?«

»Ihr habt mir nicht die Wahrheit gesagt, als Ihr mich vor den Gnomen gerettet habt, nicht wahr?« meinte Shea. »Er war kein Außenseiter, der von seinen eigenen Leuten aus dem Dorf vertrieben worden ist. Er hat sie nicht getötet, weil sie ihn überfielen, nicht?«

Panamon lachte und kratzte sich mit seinem Eisenhaken am Schnurrbart.

»Vielleicht war es die Wahrheit. Vielleicht hat er diese Dinge erlebt. Ich weiß es nicht. Es kam mir stets so vor, als müßte dergleichen mit ihm geschehen sein, sonst hätte er sich mit einem wie mir kaum eingelassen. Er ist kein Dieb; ich weiß nicht, was er ist. Aber er ist mein Freund, das steht fest. Als ich das sagte, habe ich dich nicht angelogen.«

»Woher kommt er?« fragte Shea nach einer Pause.

»Ich bin vor etwa zwei Monaten nördlich von hier auf ihn gestoßen.

Er kam aus dem Charnal-Gebirge, mißhandelt, verwundet, kaum noch lebendig. Ich weiß nicht, was mit ihm geschehen war. Er hat es mir nie verraten, und ich habe nicht danach gefragt.

Es war sein Recht, seine Vergangenheit für sich zu behalten, wie das meine auch. Ich pflegte ihn ein paar Wochen lang. Ich verstand ein wenig von der Zeichensprache, so daß wir uns verständigen konnten. Seinen Namen erriet ich aus den Zeichen. Wir lernten ein wenig voneinander. Als er gesund war, forderte ich ihn auf, mich zu begleiten, und er war einverstanden. Wir hatten schöne Zeiten miteinander, weiß du. Nur schade, daß er kein richtiger Dieb ist.«

Shea schüttelte den Kopf und lachte in sich hinein. Unverbesserlich, dieser Panamon Creel, dachte er. Er verstand nichts von einer anderen Lebensweise und wollte auch nichts davon wissen.

Aber die Freundschaft bedeutete auch ihm etwas. Selbst Shea begann sich zu dem sonderbaren Mann ein wenig hingezogen zu fühlen, was ihn wunderte, weil sie im Charakter und in den Ansichten völlig verschieden waren. Aber jeder ahnte, was den anderen bewegte, und dazu kam der gemeinsame Kampf gegen einen schier übermächtigen Feind. Vielleicht brauchte man für eine Freundschaft nicht mehr.

»Wie kann der Schädelträger ihn gekannt haben?« fragte Shea.

Panamon zuckte die AchSeln, um zu zeigen, daß er es nicht wußte und es ihn auch nicht kümmere. Shea fühlte aber, daß das letztere nicht zutraf, daß Panamon zu gerne die Wahrheit hinter Keltsets Auftauchen vor zwei Monaten gewußt hätte. Keltsets unbekannte Vergangenheit hatte damit zu tun, daß das Geisterwesen den Riesentroll erkannt harte. In den grausamen Augen des Schädelträgers war beinahe so etwas wie Furcht zu lesen gewesen, und Shea konnte sich kaum vorstellen, daß ein sterbliches Wesen dem Ungeheuer Angst einzujagen vermochte.

Bis Keltset zurückkam, ging die Sonne unter, und die letzten Strahlen erhellten den dunklen Wald kaum noch. Der Troll hatte alle ihre Spuren sorgfältig verwischt und irreführende Fährten gelegt. Panamon fühlte sich wohl genug, um aus eigener Kraft vorwärts zukommen, aber er bat Keltset trotzdem, ihm behilflich zu sein, bis sie einen geeigneten Lagerplatz würden gefunden haben, da es schon ziemlich dunkel geworden war. Shea erhielt den Auftrag, den anscheinend in sein Schicksal ergebenen Orl Fane am Strick zu führen, eine Aufgabe, die ihm nicht gefiel, auch wenn er sie widerspruchslos übernahm. Wieder wollte Panamon den alten Sack mit seinem Inhalt zurücklassen, aber Orl Fane begann sofort aufzuheulen, so daß der Scharlachrote befahl, ihn zu knebeln. Der Gnom vermochte danach nur noch dumpf zu stöhnen.

Als sie in den Wald hineingingen, warf der verzweifelte Gefangene sich jedoch zu Boden und weigerte sich, aufzustehen, selbst als der aufgebrachte Panamon ihn mit Fußtritten traktierte.

Keltset hätte den Gnomen tragen und Panamon gleichzeitig stützen können, aber diese Mühe wollte man sich nicht machen. Der Räuber verfluchte den Gnomen erbost, wies Keltset schließlich aber an, den Sack auf die Schulter zu nehmen, und sie schritten in den finsteren Wald hinein.

Als es zu dunkel wurde, um noch sehen zu können, wohin der Weg eigentlich ging, ließ Panamon auf einer kleinen Lichtung zwischen Rieseneichen anhalten, wo ineinander verschlungene Äste eine Art geflochtenes Schutzdach bildeten. Orl Fane wurde an eine der Eichen gebunden, während die anderen drei sich daranmachten, ein Feuer anzuzünden und eine Mahlzeit zuzubereiten.

Als das Essen fertig war, wurde Orl Fane lange genug losgebunden, um zu essen. Panamon wußte zwar nicht genau, wo sie sich befanden, fühlte sich aber doch sicher genug, ein Feuer zu erlauben, überzeugt davon, daß ihnen nachts niemand folgen werde. Er hätte sich vielleicht weniger sicher gefühlt, wären ihm die Gefahren in den undurchdringlichen Wäldern um Paranor bekannt gewesen. Der Teil des Waldes, in dem sie lagerten, wurde allerdings von den Gehilfen des Dämonen-Lords selten durchstreift, und es sprach wenig dafür, daß zufällig jemand vorbeikommen und über sie stolpern würde. Sie aßen schweigend, eine hungrige und erschöpfte Gruppe nach des langen Tages Reise. Selbst das Gewinsel Orl Fanes verstummte vorübergehend, als der kleine Kerl das Essen in sich hineinschlang, das verschlagene gelbe Gesicht zum Feuer geneigt, während die grünen Augen hin- und herzuckten. Shea achtete nicht auf ihn, sondern überlegte sich, was er Panamon Creel über sich selbst, seine Kameraden und vor allem über das Schwert von Shannara erzählen sollte. Er war noch zu keinem Entschluß gelangt, als sie die Mahlzeit beendeten. Der Gefangene wurde wieder an den nächsten Baum gebunden und durfte ohne Knebel atmen, nachdem er hoch und heilig versprochen hatte, nicht wieder zu jammern und zu schreien. Panamon legte sich bequemer ans Feuer und sah Shea an.

»Es ist Zeit, daß du mir erzählst, was du über diese Geschichte mit dem Schwert weißt, Shea«, sagte er. »Keine Lügen, keine Halbwahrheiten, und nichts weglassen. Ich habe dir meine Hilfe versprochen, aber wir müssen einander vertrauen - und ich meine ein anderes Vertrauen, als ich es dem armseligen Deserteur dort angeboten habe. Ich bin offen und ehrlich zu dir gewesen. Sei du es auch zu mir.«

Und so erzählte Shea ihm alles. Zu Beginn hatte er das eigentlich gar nicht vor. Er wußte nicht so recht, wie viel er erzählen sollte, aber das eine führte zum anderen, und bis er sich umsah, hatte er nichts mehr für sich behalten. Er berichtete vom Auftauchen Allanons und dem Erscheinen des Schädelträgers, der die Brüder zur Flucht aus Shady Vale veranlaßt hatte. Er schilderte die Ereignisse um die Reise nach Leah und das Treffen mit Menion, gefolgt von der schrecklichen Flucht durch die Schwarzen Eichen nach Culhaven, wo sie mit den anderen zusammengetroffen waren. Er skizzierte den Marsch zu den Drachenzähnen, von dem viele Einzelheiten selbst für ihn nur verschwommen in der Erinnerung lagen. Er schloß mit dem Bericht, wie er von der Drachenfalte in den Fluß gestürzt und auf die Rabb-Ebene hinausgespült worden war, wo ihn die Gnomen gefangen genommen hatten. Panamon hörte ohne Unterbrechung zu, die Augen vor Verwunderung riesengroß. Keltset saß in unerschütterlicher Ruhe dabei, und das grobe, aber intelligente Gesicht war dem kleinen Talbewohner während der ganzen Erzählung zugewandt.

Orl Fane bewegte sich immer wieder unruhig, stöhnte und lallte Unverständliches vor sich hin, während er zuhörte, und seine Augen rollten wild hin und her, als fürchte er, jeden Augenblick müsse der Dämonen-Lord selbst auftauchen.

»Das ist die unwahrscheinlichste Geschichte, die ich je gehört habe«, sagte Panamon schließlich. »So unfaßbar, daß sogar ich sie kaum glauben kann. Aber ich nehm' sie dir ab, Shea. Ich glaube dir, weil ich gegen das Monstrum mit den schwarzen Schwingen gekämpft und deine seltsame Macht über die Elfensteine gesehen habe, wie du die Dinger nennst. Aber diese Geschichte mit dem Schwert, und daß du der vermißte Sohn von Shannara seist – ich weiß nicht. Glaubst du denn selbst daran?«

»Zu Anfang nicht«, gab Shea zu, »aber jetzt weiß ich nicht, was ich denken soll. Es ist so viel geschehen, daß ich nicht mehr entscheiden kann, wem oder was ich glauben soll. Auf jeden Fall muß ich wieder zu Allanon und den anderen. Vielleicht haben sie das Schwert inzwischen schon an sich gebracht. Vielleicht kennen sie die Antwort auf das ganze Rätsel mit meinem Erbe und der Macht des Schwertes.«

Orl Fane krümmte sich plötzlich vor Lachen zusammen.

»Nein, nein, sie haben das Schwert nicht«, kreischte er wie ein Wahnsinniger. »Nein, nein, nur ich kann Euch das Schwert zeigen. Ich kann Euch hinführen. Nur ich. Ihr könnt suchen und suchen und suchen, ha, ha, ha - nur zu. Aber ich weiß, wo es ist.

Ich weiß, wer es hat. Nur ich.«

»Ich glaube, er verliert den Verstand«, murmelte Panamon Creel und befahl Keltset, den Gnomen wieder zu knebeln.

»Morgen früh werden wir herausfinden, was er weiß. Wenn er Kenntnisse über das Schwert von Shannara hat, was ich ernsthaft bezweifle, wird er sie uns verraten oder es bedauern!«

»Glaubt Ihr, er weiß, wer es hat?« fragte Shea. »Das Schwert könnte so viel bedeuten, nicht nur für uns, sondern für alle Völker der vier Länder. Wir müssen versuchen, herauszubekommen, was er wirklich weiß.«

»Mit deinem Einsatz für die Völker treibst du mir die Tränen in die Augen«, spottete Panamon. »Sie können sich meinetwegen alle aufhängen. Für mich haben sie nichts getan - außer allein, unbewaffnet und mit dicken Börsen unterwegs zu sein, und das auch sehr selten.« Er sah Shea in das enttäuschte Gesicht und zuckte lässig die Achseln. »Aber das Schwert macht mich neugierig, also wäre ich vielleicht bereit, dir zu helfen. Schließlich stehe ich in deiner Schuld, und ich vergesse so etwas nicht.«

Keltset hatte den Gnomen inzwischen geknebelt und kehrte an das kleine Feuer zurück. Orl Fane gluckste in sich hinein und lallte ab und zu etwas vor sich hin. Shea warf unsicher einen Blick auf den kleinen Gefangenen und sah, wie der gelbe, verkrümmte Körper sich wand, als sei er von einem Dämonen besessen, während die dunklen, grünen Augen hin- und herrollten. Panamon achtete geraume Zeit nicht auf das Stöhnen, aber endlich verlor er die Geduld, sprang auf und riß seinen Dolch heraus, um dem Gnomen die Zunge abzutrennen.

Orl Fane beruhigte sich sofort, und sie vergaßen ihn für einige Zeit.

»Warum glaubte das Nordlandwesen wohl, wir hätten das Schwert von Shannara versteckt?« sagte Panamon nach einer Pause. »Es war seltsam, daß er sich davon nicht abbringen lassen wollte. Er spüre, daß wir es hätten, sagte es. Wie erklärst du dir das?«

Shea dachte eine Weile nach und hob dann hilflos die Schultern.

»Es müssen die Elfensteine gewesen sein.«

»Du könntest recht haben.« Panamon rieb sich mit der gesunden Hand das Kinn. »Ich verstehe, offen gesagt, überhaupt nichts. Keltset, was hältst du davon?«

Der Riesentroll betrachtete sie einen Augenblick ernsthaft, dann machte er mit den Händen Zeichen. Panamon verfolgte sie aufmerksam und sah Shea dann enttäuscht an.

»Er meint, das Schwert sei sehr wichtig, und der Dämonen-Lord sei für uns alle eine große Gefahr.« Der Dieb lachte dumpf.

»Eine große Hilfe, das muß ich schon sagen.«

»Das Schwert ist wirklich sehr wichtig!« sagte Shea. Er verstummte, und sie saßen gedankenverloren da.

Es war später Abend, und die Nacht lagerte schwarz um den schwachen Feuerschein. Der Wald war eine Mauer, die sie in der kleinen Lichtung einschloß, mit den scharfen Lauten der Insektenwelt umgab und ab und zu den Schrei eines fernen Wesens zu ihnen dringen ließ. Der Himmel zeigte sich zwischen den Ästen der Eichen in schwarzblauen Flecken mit ein paar funkelnden Sternen. Panamon sprach noch eine Weile, während das Feuer erlosch. Dann stand er auf, zertrat die Glut und wünschte seinen Begleitern eine gute Nacht. Keltset war in eine Decke gewickelt und schlief, bevor Shea sich auch nur einen geeigneten Schlafplatz ausgesucht hatte. Der Talbewohner fühlte sich von dem langen Tagesmarsch und dem Kampf mit dem Schädelträger völlig erschöpft. Er breitete seine Decke aus, legte sich auf den Rücken, zog die Jagdstiefel aus und starrte leer in die Schwärze, vor der sich ganz undeutlich das Gewirr der Äste abzeichnete, darüber die Schatten des Himmels.

Shea dachte an alles, was ihm widerfahren war, und durchlebte noch einmal seine schier endlose Reise von Shady Vale hierher.

So vieles war noch immer rätselhaft. Er war so weit gelangt, hatte so vieles ertragen und wußte immer noch nicht, worum es eigentlich ging. Das Geheimnis des Schwertes von Shannara, der Dämonen-Lord, sein eigenes Erbe - alles so unergründlich wie zuvor.

Er drehte sich auf die Seite und blickte in der Dunkelheit zur schlafenden Gestalt Panamon Creels hinüber. Auf der anderen Seite der Lichtung konnte er die schweren Atemzüge Keltsets hören, die sich mit den Lauten des Waldes vermischten. Orl Fane saß mit dem Rücken an der Eiche, an die er gefesselt worden war, und seine Augen leuchteten wie die einer Katze, unverwandt auf Shea gerichtet. Der Talbewohner konnte sich zunächst von dem Blick nicht lösen, zwang sich dann aber auf die andere Seite, schloß die Augen und schlief im Nu ein. Als letztes erinnerte er sich, den kleinen Lederbeutel mit den Elfensteinen an seiner Brust unter dem Rock fest umklammert zu haben, während er sich fragte, ob ihre Macht ihn auch in den folgenden Tagen schützen werde.

Shea erwachte plötzlich im grauen Licht eines frühen Waldmorgens, geweckt von gräßlichen Flüchen, die der wutentbrannte Panamon Creel ausstieß. Der Dieb stapfte in höchstem Zorn in der Lichtung herum, schreiend und fluchend. Shea wußte zunächst nicht, was geschehen war, und es dauerte eine Weile, bis er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte. Er stützte sich auf einen Ellenbogen und starrte ins Zwielicht. Es kam ihm vor, als habe er nur wenige Minuten geschlafen. Seine Muskeln waren steif und schmerzten ihn, in seinem Gehirn schien ein Nebel zu hängen. Panamon stürmte noch immer in der Lichtung herum, während Keltset an einer der mächtigen Eichen kniete. Dann begriff Shea, daß Orl verschwunden war. Er sprang auf und stürzte hinüber. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich; die Fesseln, mit denen der Gnom am Baumstamm festgebunden worden war, lagen zerschnitten am Boden. Der Gnom war entkommen, und Shea hatte damit seine einzige Gelegenheit eingebüßt, das Schwert zu finden.

»Wie ist das möglich gewesen?« rief Shea zornig. »Ich dachte, ihr hättet ihn angebunden, fern von allem, womit er seine Fesseln durchtrennen konnte.«

Panamon sah ihn an wie einen Schwachsinnigen.

»Sehe ich aus wie ein Narr? Natürlich habe ich ihn fern von allen Waffen angebunden. Ich habe ihn sogar an den verdammten Baum gebunden und noch dazu knebeln lassen. Wo warst du? Der kleine Teufel hat die Stricke und den Knebel nicht durchgeschnitten. Er hat sie durchgekaut!«

Shea starrte ihn verblüfft an.

»Das ist mein voller Ernst, kann ich dir versichern«, fuhr Panamon wütend fort. »Die Stricke sind durchgenagt. Die kleine Ratte war raffinierter, als ich dachte.«

»Oder verzweifelter«, sagte Shea nachdenklich. »Ich möchte wissen, warum er nicht versucht hat, uns zu töten. Er hatte Grund genug, uns zu hassen.«

»Sehr unfreundlich von dir, so etwas anzudeuten«, erklärte der andere mit höhnischer Ungläubigkeit. »Ich will dir sagen, warum nicht. Er hatte Angst, daß es ihm nicht gelingen könnte. Der Kerl war ein Deserteur - ein Feigling von der niedrigsten Sorte. Er hatte nicht den Mut, etwas anderes zu tun als die Flucht zu ergreifen.

Was ist, Keltset?«

Der riesenhafte Berg-Troll war lautlos herangekommen, gestikulierte und wies nach Norden. Panamon schüttelte angewidert den Kopf.

»Die rückgratlose Kreatur muß schon vor Stunden entwischt sein. Schlimmer noch, der Narr ist nach Norden geflohen, und es wäre nicht ratsam für uns, ihn in dieser Richtung zu verfolgen.

Seine eigenen Leute werden ihn vermutlich entdecken und niedermachen.

Einem Deserteur gewähren sie keine Schonung. Bah, laßt ihn gehen! Wir können froh sein, daß wir ihn los sind, Shea.

Wahrscheinlich hat er gelogen, was das Schwert von Shannara angeht.«

Shea nickte zweifelnd, nicht ganz überzeugt davon, daß der Gnom in allem gelogen haben sollte. Wenn er nun auf dem Weg zum Schwert war? Wenn er nun wußte, wo es sich befand?

»Vergessen wir das Ganze, Shea«, sagte Panamon resigniert.

»Der Gnom hatte eine Todesangst vor uns; er dachte nur an Flucht. Die Geschichte vom Schwert war nur ein Versuch, uns zu hindern, daß wir ihn töteten, bevor er Gelegenheit fand, das Weite zu suchen. Schau dir das an! Er hatte es so eilig, daß er sogar seinen kostbaren Sack vergessen hat.«

Shea entdeckte erst jetzt den Sack, der halb offen auf der anderen Seite der Lichtung lag. Seltsam, daß Orl Fane seine Schätze zurückgelassen haben sollte, nach all dem Geschrei und Gewinsel.

Der nutzlose Sack war ihm so wichtig gewesen, und nun lag er vergessen im Gras. Shea ging darauf zu und starrte ihn argwöhnisch an. Er leerte den Inhalt auf den Waldboden; die Schwerter und Dolche und Schmuckstücke klirrten, als sie auf einen Haufen fielen. Shea starrte sie an und nahm wahr, daß Keltset neben ihm auftauchte. Sie starrten beide den Besitz des Gnomen an, als berge er ein großes Geheimnis. Panamon beobachtete sie kurze Zeit, dann murrte er angewidert etwas vor sich hin und kam heran.

»Machen wir uns auf den Weg«, sagte er. »Wir müssen deine Freunde finden, Shea, und vielleicht finden wir mit ihrer Hilfe auch das geheimnisvolle Schwert. Was starrst du den Kram so an? Du hast das wertlose Zeug doch schon gesehen. Es hat sich nicht verändert.«

Da sah Shea es.

»Doch«, sagte er. »Es ist fort. Er hat es mitgenommen.«

»Was ist fort?« sagte Panamon gereizt und gab dem Haufen einen Tritt. »Wovon redest du?«

»Das alte Schwert in der Lederscheide. Das mit der Fackel und dem Arm.«

Panamon sah sich die Schwerter auf dem Haufen hastig an und zog die Brauen zusammen. Keltset richtete sich plötzlich auf und sah Shea mit seinen tiefliegenden Augen an. Auch er hatte begriffen.

»Er hat also ein Schwert genommen«, knurrte Panamon. »Das heißt nicht, daß er...« Er verstummte, und sein Unterkiefer klappte herunter, seine Augen verdrehten sich ungläubig. »O nein! Das kann nicht sein - das darf nicht sein. Du meinst, er hat -?« Er erstickte an seinen eigenen Worten. Shea schüttelte in stiller Verzweiflung den Kopf.

»Das Schwert von Shannara!«

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