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»Wenn du dich hier unter den Bolg wirklich so einsam fühlst, Rhapsody, sorge ich dafür, dass du eine Katze bekommst.«

Rhapsody glaubte nicht richtig gehört zu haben.

»Was soll das denn heißen?«

Achmed rückte auf dem Stuhl nach vorn. Das Licht des Kaminfeuers fiel auf sein Gesicht.

»Er ist jetzt schon eine Woche hier und scheint so bald nicht abreisen zu wollen. Er geht mit Jo durch Ylorc spazieren, ganz frei und wohin er will, obwohl ich ausdrücklich angeordnet habe, dass manche Bereiche Unbefugten versperrt sein sollten.«

In die aus Stroh geflochtene Zielscheibe auf der anderen Seite des Versammlungsraums schlug plötzlich ein Wurfmesser ein, so wuchtig, dass die Spelzen flogen.

»Entschuldige mal«, blaffte Jo. »Wer hat dich mit seinem Tod zum Alleinherrscher gemacht?«

Grunthor blickte von der Generalstabskarte auf, die er studierte. »Das war, wenn ich mich recht erinnere, Janthir Knochenspalter«, sagte er und widmete sich wieder der Karte.

»Für die Bolg vielleicht. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, einen Treueid geleistet zu haben.« Jo zog ihren Dolch aus der Scheide beziehungsweise dem, was von ihr übrig geblieben war. »Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Ashe macht doch überhaupt keine Probleme. Was kann er dafür, dass du niemandem über den Weg traust?«

»Wollen wir uns jetzt ernstlich darüber unterhalten?«, entgegnete er mit frostiger Stimme und wandte sich Rhapsody zu: »Ich will, dass er uns morgen verlässt.«

Rhapsody blickte irritiert auf und legte ihre Leier ab, auf der sie ein wenig hatte üben wollen. »Wie bitte?«

»Er soll verschwinden.«

Dem anfänglichen Schreck folgte Wut.

»Ach ja? Ist deine Meinung etwa das Einzige, worauf es ankommt? Ich dachte, wir versuchen hier, friedlich miteinander auszukommen.«

»Na schön, soll er nur bleiben. Grunthor, töte ihn bitte. Noch vor dem Abendessen.«

»Augenblick«, sagte Rhapsody und sah den Bolg die Karte aus der Hand legen. »Das ist gar nicht komisch.«

»Es war auch nicht als Witz gemeint. Rhapsody, dieser Mann ist gefährlich und für meinen Geschmack ein bisschen zu geheimnistuerisch. Ich will ihn nicht in meiner Nähe haben. Wenn du dich aber scheust, ihn vor die Tür zu setzen, weil dir das unhöflich vorkäme, sind wir, Grunthor und ich, gern bereit, ihn auf unsere Weise zu verabschieden.«

Rhapsodys Blicke pendelten zwischen Achmed und Jo hin und her. Achmed geriet zusehends in Rage, hatte aber noch längst nicht den Wutpegel erreicht, den Jo schon jetzt überzeugend zum Ausdruck brachte. Sie konnte sich kaum beherrschen, zitterte am ganzen Leib und hantierte nervös mit ihrem Dolch herum.

»Und jetzt regt euch bitte wieder ab«, sagte Rhapsody im gebieterischen Tonfall einer Benennerin.

»Vor allem du, Achmed. Ich finde, dass er geheimnistuerisch ist, wie du es ausdrückst, muss nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten. Schließlich bist du der größte Geheimniskrämer, der mir je begegnet ist. Dass uns Ashe sein Gesicht noch nicht gezeigt hat, hat wahrscheinlich einen gut nachvollziehbaren Grund. Vielleicht ist er von Narben entstellt.«

»Ich kann keine Schwingungen von ihm aufnehmen, Rhapsody. In seiner Nähe ergeht’s mir ähnlich wie an einem Meeresstrand. Und du weißt, wie sehr ich Wasser liebe.«

Nicht auf das, was er ist, kommt es an, sondern auf das, was er trägt.

Als sie die Stimme im Innern hörte, richtete sich Rhapsody unwillkürlich auf. Sie lauschte angestrengt, doch es kamen keine weiteren Worte.

»Vielleicht liegt’s an irgendeinem Teil, das er anhat«, gab sie zu bedenken. »Was meinst du, Grunthor? Du hast noch gar nichts dazu gesagt.«

Der Riese faltete die Hände über dem Bauch zusammen.

»Ich stimme mit Seiner Majestät überein und finde, dass wir uns sehr genau vor ihm in Acht nehmen sollten.«

»Wenn’s mehr nicht ist«, beeilte sich Jo zu sagen. »Ich würde mich bereit erklären, ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen und auf Schritt und Tritt zu begleiten, außer in sein Schlafzimmer. Wie findet ihr das?«

»Von mir aus gern«, antwortete Rhapsody. »Er wird ohnehin bald abreisen. Ich bitte euch nur um eines«, sagte sie, an Achmed und Grunthor gewandt. »Erinnert euch daran, dass er uns tatkräftig dabei geholfen hat, den Aufstand niederzuschlagen. Er hat uns von sich heraus geholfen, ohne darum gebeten worden zu sein und ohne eine Gegenleistung zu erwarten.«

Achmed stand auf. »Vielleicht hat er den Aufstand ja veranlasst«, sagte er und ging zur Tür. »Dass es dazu gekommen ist, war ihm womöglich Belohnung genug.«

Krachend fiel die schwere Tür hinter ihm ins Schloss.

Der kühle Dunst aus seinem Umhang legte sich auf Ashes Gesicht und milderte die Hitze seiner Träume.

Unruhig wälzte er sich im Bett von einer Seite auf die andere, eingeengt von den Kleidern, die er dennoch nie ablegte, auch nicht bei Nacht. Denn die Nebelschlieren, die sie ausdünsteten, linderten seinen Schmerz und schützten ihn vor seinen Verfolgern.

Er hatte zwanzig Jahre lang nicht geträumt, seit jener Nacht nicht mehr, da für ihn die Welt in Trümmer gegangen war.

In früherer Zeit waren ihm seine Träume wie ein Segen vorgekommen, boten sie ihm doch die einzige Chance, mit seiner Liebsten zusammen zu sein, deren Tod ihm alle Hoffnung auf eine glückliche Zukunft genommen hatte. Umso kostbarer war ihm die Erinnerung an sie, und er hatte sich immer danach gesehnt, von ihr zu träumen, was schon damals selten genug der Fall gewesen war.

Es ist in Wahrheit sehr klein – ungefähr so groß wie meine Hand –, jedenfalls da, wo es jetzt liegt: in einer Flasche auf dem Kaminsims.

Damit hatte er sich abgefunden: dass er sich mit seinen Erinnerungen an sie und ihrem lächelnden Traumbild begnügen musste.

Doch dann, eines Nachts, ging ihm auch dieser Trost verloren. Seitdem gehörte sein Leben nicht mehr ihm selbst; er war nur noch eine Figur in einem bösen Spiel, und er wurde die Schmerzen, die er an Körper und Seele litt, nicht mehr los. Sie waren eine ständige Folter, der zu widerstehen alle Willenskraft kostete, die er aufzubieten vermochte. Die Träume von ihr blieben seitdem aus. Sie waren zu rein und schön, um angesichts dessen, was er zu sehen gezwungen wurde, weiterbestehen zu können.

Aber jetzt war einiges anders geworden. Seit er sie auf dem Marktplatz in Bethe Corbair gesehen hatte, träumte er von Rhapsody. Das Schuldgefühl, Emily und ihr Andenken verraten zu haben, hielt nicht lange vor und fiel von ihm ab wie seine quälenden Schmerzen, wenn er ihre Stimme hörte. Ashe richtete sich auf und brachte Ordnung in die zerwühlten Dunstschleier. Dann schloss er die Augen, atmete tief durch und versuchte, sie aus den Gedanken zu vertreiben, damit erhalten blieb, was ihm einzig heilig war. Denn sogar in seinen Erinnerungen hielt er dieser einen Frau die Treue, die er, und sei es nur für einen kurzen Augenblick, wieder sehen wollte, wofür er sich über die Grenzen der Zeit hinaus gewagt hatte.

Es konnte keine andere für ihn geben; dessen war er sich sicher. Wie in einem Schrein bewahrte er Emily in seinem Herzen.

Und doch war darin nun diese Frau. Er konnte sie nicht daraus vertreiben.

Bis ich dich wieder sehe, werde ich die ganze Zeit an dich denken.

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