»Immer schön die Augen geschlossen halten; wir sind gleich da.«
Rhapsody versuchte ruhig zu bleiben. Sie hatte sich von der so ganz und gar untypischen Aufregung in Achmeds Stimme anstecken lassen und brannte darauf, seine neueste Entdeckung zu sehen.
Nichtsdestotrotz musste sie ständig daran denken, dass die bolgischen Rekruten morgen eintreffen würden, und es galt, noch allerhand Vorkehrungen zu treffen.
»Das ist das letzte Mal, Achmed«, sagte sie und setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Ihr schwirrte der Kopf, denn die Flure in Gwylliams Festung riefen viele unangenehme Erinnerungen an die Wurzel in ihr wach. »Ich muss die Quartiere noch fertig einrichten.«
Achmed kicherte. »Na schön, wenn du die Große Halle nicht sehen willst, können wir ja zurück ...«
»Du hast die Große Halle gefunden?«, rief Rhapsody und sperrte die Augen auf.
»Und etwas, das noch interessanter sein könnte. Aber wenn du unbedingt umkehren möchtest...«
Sie ergriff seine Hand. »Zeig’s mir. Alles andere kann warten.«
»Wusste ich doch, dass sich deine Neugier durchsetzen würde. Folge mir.«
Rhapsody eilte in der Dunkelheit hinter ihm her. Die Tunnelgänge wurden immer breiter und höher und erreichten bald das Vierfache ihrer normalen Ausmaße. Schließlich öffnete sich der Stollen in einen großen Vorraum mit marmornen Wänden, an denen Reste von Blattgold klebten.
Achmed bog um die Ecke und blieb vor einem Portal stehen.
Von den ursprünglich zwei mächtigen, aus purem Gold geschmiedeten Türflügeln war nur noch einer übrig geblieben und wie von einem gewaltigen Sturm aufgerissen und verbogen worden.
»Die Große Halle«, sagte er und bat sie wie ein Portier mit weit ausholender Handbewegung einzutreten.
Rhapsody kletterte über einen Haufen aus Schutt, der den Eingang verstellte, und trat in einen runden Saal, der in seinen Ausmaßen so gigantisch war wie alles andere in Canrif. Das weiße Rund säumten Säulen aus bläulich schwarzem Marmor, die auf ein breites Podest zuliefen. Das hellblaue Deckengewölbe ließ, obwohl es an zahllosen Stellen gerissen war und bröckelte, noch immer erkennen, dass es des Himmelszelt darstellte.
Durch dicke Blöcke klaren Glases, die im Scheitelpunkt des Gewölbes eingelassen waren, drang Tageslicht. Rhapsody konnte ein kleines Stück des wirklichen Himmels und Schatten der Berge darin entdecken, was darauf schließen ließ, dass die Große Halle in den felsigen Gipfelaufbau eines der hohen Zahnfelsen hineingeschlagen worden war.
Den Boden, jetzt mit Gesteinsbrocken übersät, hatte einst ein aus farbigem Marmor angelegtes Mosaik geschmückt, in dem die Darstellungen von Erde, Sonne und Mond sowie einem großen Stern auszumachen waren. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das Symbol für Seren wiedererkannte, ihren Geburtsstern.
»Aria«, hauchte sie.
Und ungerufen tönte aus tiefster Erinnerung die Stimme der Mutter mit den Worten: Wenn da deinen Leitstern findest, wirst du nie verloren gehen.
Tränen stiegen ihr in die Augen, worauf sich eine warme, kräftige Hand auf ihre Schulter legte.
»Was hast du?«
Rhapsody beeilte sich, die Tränen wegzuzwinkern, ging weiter und sah sich um. Auf dem Podest auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei große Thronsessel, aus dem gleichen Marmor gehauen wie der Boden und bedeckt vom Schutt der bröckelnden Decke. Darunter waren noch uralte Sitzkissen zu erkennen und kunstvolle Steinmetzarbeiten, blau koloriert oder mit Blattgold ausgelegt.
In der Mitte des Seren-Symbols klaffte ein Loch, das früher mit einem Klappdeckel versehen war, jetzt aber offen stand. Darin steckte ein langer, zylindrischer Behälter mit einem Gitterrost als Boden, auf dem früher Feuer gebrannt hatten, und das sehr häufig, wie an den Spuren deutlich zu sehen war. Über dem Rost hingen mehrere runde Metallrahmen, die ursprünglich Spiegelglas enthalten hatten, worauf die am Boden verstreut liegenden Scherben schließen ließen.
»Skizzen davon habe ich in der Bibliothek gesehen«, sagte sie halblaut und blickte zu Achmed auf.
»Das scheint die von Gwylliam erfundene Fußbodenheizung der Großen Halle zu sein. Gleichzeitig ließ sich damit Licht unter die Decke projizieren. Wenn man Gwylliams Bemerkungen Glauben schenken darf, konnte mit dieser Einrichtung das wechselnde Farbenspiel und der Lauf der Sonne nachgestellt werden, vom Aufgang bis zu ihrem Untergang, wenn das Feuer verlosch. In den künstlichen Himmel waren sogar Kristalle eingelassen, die dann, wenn das letzte Licht auf sie fiel, wie Sterne funkelten. Und die ganze Anlage wurde von der Erdbewegung in Gang gehalten. Ich wünschte, ich könnte das alles hier noch einmal in Betrieb sehen.«
»Das wirst du noch«, versprach Achmed, der eine der Säulen neben den beiden Thronsesseln in Augenschein nahm. »War in den Plänen auch etwas von den Säulen hier erwähnt? Mir scheint, dass sie für die einzelnen Stunden des Tages stehen.«
Rhapsody nickte und klopfte sich den Staub von den Händen. »Das Kernstück der Anlage war das Himmelsobservatorium, das ganz in der Nähe sein müsste. Es gab da ein Fernrohr in einer der höchsten Spitzen der Gebirgskette. Das Observatorium war über eine Treppe zu erreichen, die irgendwo dahinten ihren Ausgang gehabt haben könnte.« Sie zeigte auf die Türen hinter den beiden Säulen.
»Wenn es diese Treppe denn tatsächlich gegeben hat, wird sie jetzt wahrscheinlich verschüttet sein«, sagte Achmed. »Auch sie müsste dann mit auf die Liste derjenigen Dinge, die es zu reparieren gilt.« Er rückte von den Säulen ab und ging auf die Thronsessel zu.
Rhapsody folgte. Als sie aber an dem im Boden eingelassenen Symbol der Sonne vorbeikam, fühlte sie plötzlich einen leichten Schwall warmer Luft im Gesicht. Verwundert blieb sie stehen.
»Achmed!«, wollte sie rufen, doch es kam nur ein schwaches Flüstern über ihre Lippen. Er hörte sie nicht.
Ihr wurde schwindlig. Vor ihren Augen schien alles in schwankende Bewegung zu geraten. Unter der Haut machte sich ein Prickeln bemerkbar. Sie erkannte die Anzeichen als das Gefühl von Lust, konnte sich aber nicht erklären, wieso es sich ausgerechnet jetzt bei ihr einstellte.
Sie spürte den Druck feuchter Wärme am Hals, wie von einem Kuss, genießerisch über die Haut wandernd, und ihr war, als legten sich Hände um ihre Taille, die sich langsam auf ihre Brüste zu bewegten.
»Achmed, bitte«, rief sie wieder. »Hilf!« Die eigene Stimme tönte wie von ferne.
Die Welt wurde dunkler, wärmer, und sie wähnte sich, von unsichtbaren Händen gestützt, zu Boden sinken. Schwere Luft liebkoste ihren Körper; sie spürte, wie ihr das Hemd aus dem Hosenbund gezogen wurde. Mit dem Kopf versuchte sie dagegenzusteuern, sich in die Gegenwart zurückzurufen, allein, es half nichts.
So sehr sie sich auch wehrte gegen das, was ihr wie ein Anschlag auf ihre Willensfreiheit vorkam, zwang sie eine stärkere Kraft, und diese war mit der Weisheit der Zeit verknüpft, die zum Gewebe ihrer Seele gehörte. Davon überwältigt, unterwarf sich der Verstand den Empfindungen einer anderen Person, deren Geschichte sie nun nachvollziehen sollte. Den eigenen Gefühlen zum Trotz wurde sie von Lust und Leidenschaft verzehrt. Auch von Kummer, ja, sogar Wut. Und plötzlich, so unvermittelt, wie sie sich eingestellt hatte, war die Vision auch wieder verschwunden.
Ihr Blick klärte sich. Sie sah auf in den dunklen Ausschnitt von Achmeds Kapuze.
»Alles in Ordnung?«, fragte er und streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen.
»Jetzt reicht’s mir langsam«, murmelte sie und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das Hemd war zwar lose, steckte aber immer noch im Hosenbund. »Auf diesen Ausschnitt der Geschichte kann ich wahrhaftig verzichten.«
»Was hast du gesehen?«
Rhapsodys Gesicht, das ohnehin schon glühte, errötete noch mehr. »Direkt gesehen habe ich nichts. Es war eher wie eine Berührung.«
»Dann hast du etwas gespürt. Was? Es könnte wichtig sein.« Achmed war gereizt.
»Sagen wir mal so: Ich glaube, dass Anwyn und Gwylliam hier, an diesem Ort, ihre ... Ehe vollzogen haben könnten.«
Achmed grinste. »Glückspilz.«
»Wie bitte?« Ihre Verlegenheit ging unmittelbar in Empörung über.
»Sei froh, dass Grunthor nicht hier ist. Dem wären bestimmt ein paar ungehobelte Kommentare dazu eingefallen.«
»Ich kann mich doch hoffentlich auf deine Diskretion verlassen.«
»Vielleicht. Wollen wir jetzt ins Schlafzimmer gehen?«
Rhapsody spürte, wie sich ihre Hände unwillkürlich zu Fäusten ballten, ahnte aber sogleich, dass sich Achmed nur wieder einmal ungeschickt ausgedrückt hatte. »Soll das heißen, du hast die königlichen Schlafgemächer ausfindig gemacht?«
»Ja.«
»Worauf warten wir dann noch? Anwyn und Gwylliam waren lange verheiratet, und wenn das hier ihre Liebeslaube gewesen ist, sollten wir uns möglichst schnell aus dem Staub machen.«
»Also, wenn du vor einer weiteren körperlosen Lusterfahrung gefeit sein möchtest, scheinst du hier im Schlafzimmer von Gwylliam und Anwyn bestens aufgehoben zu sein.«
Rhapsody stimmte dem Freund zu. Das Schlafgemach war im Grundriss ähnlich angelegt wie alles andere in Canrif, aber in zwei Teile unterteilt, die jeweils, obwohl prächtig geschmückt, keinerlei Wärme oder Intimität vermitteln konnten.
In einem der großen Räume war eine schmuckvolle Feuerstelle mit Kaminsims in den Fels gehauen worden. Die Belüftungsschächte und das Rundbogenfenster darüber öffneten sich zu derselben Bergwand, an die auch die Große Halle grenzte. Das ziegeldicke Fensterglas war mit der Zeit stumpf geworden, aber noch intakt und ließ erahnen, wie überwältigend schön der Ausblick auf die Steppe in der Tiefe früher einmal gewesen sein mochte.
Über der Feuerstelle war das steinerne Relief eines Familienwappens zu sehen. Darauf standen sich unter einem Stern ein sprungbereiter Löwe und ein Greif gegenüber; den Hintergrund bildete ein im Erdball wurzelnder Eichbaum. Rhapsody erkannte das Wappen sofort. Es war in der alten Welt auf die Rückseite einer jeden Münze geprägt gewesen.
»Das Wappen des serenschen Königshauses.«
Achmed nickte.
Rhapsody stieß einen Pfiff aus. »Mir wird immer klarer, warum die beiden nicht allzu gut miteinander ausgekommen sind.«
»Ach ja? Und warum?«
Sie zeigte auf das Emblem. »Nun, dass er das Symbol seiner Herrschaft über das alte Land hier an so prominenter Stelle in den ehelichen Gemächern zur Schau gestellt hat, zeigt doch, dass Gwylliam nur wenig Respekt vor Anwyns Herkunft hatte. Und offenbar nur wenig Interesse, sie bei Laune zu halten.«
»Sie hat ihr eigenes Wappen, und das hängt über der Feuerstelle im Raum nebenan. Es stellt einen Drachen am Rand der Welt dar.«
»Wie auch immer, wenn sie ein Bett miteinander teilten, war einer der beiden immer im Vorteil, und der andere hatte ständig den symbolischen Ausdruck dafür vor Augen. Darum werden sie, so vermute ich, meist getrennt geschlafen haben. Mir hätte es als Halb-Drache in missliebiger Menschengestalt bestimmt auch kein großes Vergnügen bereitet, mich vom schwitzenden Gemahl bespringen zu lassen und dabei auf das Wappen einer Familie starren zu müssen, der ich mich nie richtig zugehörig fühlen könnte.«
Achmed schmunzelte und wandte sich kopfschüttelnd und mit gesenktem Blick von der Feuerstelle ab.
»Gut zu hören, dass die einschlägigen Erfahrungen aus deinem früheren Leben deine Einstellung zur körperlichen Liebe nicht versauert haben, Rhapsody.«
Der Feuerstelle gegenüber lehnte das Kopfteil eines Bettes an der Wand, gefertigt aus demselben bläulich schwarzen, silbrig geäderten Marmor, der auch in der Großen Halle so großzügig verarbeitet war. Das dazu passende Fußende lag umgekippt auf dem Boden. Wie ein Fleck breitete sich dazwischen das aus, was allem Anschein nach von der Bettwäsche übrig geblieben war.
»Ob das Mittelteil einfach so verrottet ist?«, fragte Rhapsody.
Achmed lachte. »Wenn du denn in deiner Einschätzung richtig liegst, wird das Bettgestell wohl kaum unter ihnen Feuer gefangen haben. Also wird es verrottet sein. Warum fragst du?«
Sie fing eine Melodie zu summen an und versuchte, der sonderbaren Empfindungen auf die Spur zu kommen, die sich ihr über das Bett vermittelte. Schließlich blickte sie zu ihm auf.
»Merkst du nichts?«
Er konzentrierte sich, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein. Was soll denn sein?«
Rhapsody richtete den Blick zurück auf den Boden. »Blut, wenn ich mich nicht irre.«
Ein dunkler Schatten legte sich auf Achmeds Gesicht. Seine Stimme aber klang wie immer. »Davon spüre ich nichts.«
»Soll ich einen Versuch wagen?«, fragte sie. Achmed nickte. »Dann musst du mir versprechen, einzugreifen und mir herauszuhelfen, falls ich überschnappen oder nicht mehr von allein aus der Trance herauskommen sollte.«
»Fragt sich, wie. Auf alle Fälle könnte ich dich nach draußen tragen.«
Rhapsody kniff die Brauen zusammen. »Dann wär’s mir lieber, du würdest mich über den Boden schleifen. Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, getragen zu werden.«
»Versprochen.«
Sie machte die Augen zu und konzentrierte sich auf den Erkennungston, der ihr unter anderem dabei geholfen hatte, den Ring im Cymrer-Museum zu begutachten. Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild eines jungen Mannes, der auf dem Bett lag – offenbar tot, denn der Hals schien gebrochen zu sein. Die Vision wurde klarer, und bald sah sie einen zweiten Mann mit grauem Bart und goldenem Gewand, der, die Hände vors Gesicht geschlagen, auf dem Bettrand neben der Leiche saß.
Kalter Schweiß brach ihr aus, als sie die der Szene innewohnenden Gefühle auf sich einwirken ließ. Verzweiflung, Schuld, Wut, Qual, all dies stürzte auf sie ein und legte sich um sie wie ein Mantel aus Schmerzen, unter dem sie kaum mehr zu atmen vermochte. Ihr Herz pochte hohl in der Brust.
»Wir müssen raus hier«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was hier passiert ist und ob wir’s je erfahren; jedenfalls ist es kein Wunder, dass der ganze Berg nach Verwüstung stinkt. Wilde, leidenschaftliche Liebe auf dem Boden der Großen Halle, Tod im Bett des Königs, der König selbst, bis auf die Knochen verwest, in der Bibliothek. Entsetzlich, was sich hier zugetragen hat. Und dafür tragen nicht etwa Firbolg die Verantwortung, sondern Cymrer.«
Achmed lachte. »Das hätte ich dir auch verraten können. Bevor wir gehen, solltest du dir noch eines ansehen.«
Anwyns Schlafgemach war ebenso groß und leer wie das von Gwylliam. Der einzig auffällige Unterschied bestand darin, dass das Kopfteil des Bettes aus purem Gold bestand und fest mit der Wand verankert war. Das Fußende fehlte; vielleicht war es Plünderern in die Hände gefallen, nachdem die Cymrer Canrif verlassen hatten.
Der Kaminsims war offenbar früher einmal, passend zum Bettgestell, mit Blattgold belegt gewesen, doch das war inzwischen fast vollständig abgeblättert. Rhapsody starrte auf das Wappen, auf den Drachen am Rand der Welt.
Plötzlich und ganz unerwartet stellte sich Heimweh ein. Was habe ich bloß hier verloren?, dachte sie und empfand einen tiefen Schmerz über den Verlust ihrer Familie. Hätte ich gewusst, dass ich an diesen Ort der endlosen Albträume gelangen würde, wäre ich vielleicht in Serendair und bei Michael geblieben.
»Hör auf, dich selbst zu bemitleiden«, sagte Achmed, der ahnte, was ihr durch den Kopf ging. Er stand in der Tür.
Vor Verwunderung klappte Rhapsody die Kinnlade herunter. »Was? Woher weißt du, was ich denke?«
»Ich seh’s dir an. Vielleicht war das auch eine der Folgen deiner Feuertaufe: dass man dir deine Gedanken ansehen kann. Aber wenn ich mich recht erinnere, konnte man das auch schon vorher. Komm her und sieh dir das hier mal an.«
Rhapsody trat näher und spähte durch den Türausschnitt. Ihr Blick fiel in einen Raum, dessen Boden mit kleinen quadratischen blauen Fliesen ausgelegt war. Vor der Stirnwand stand ein großes sechseckiges Behältnis, das das Auffangbecken eines Springbrunnens hätte sein können und wie die Bodenfliesen aus blauem Marmor bestand. An der Wand dahinter stiegen verrostete Rohre auf, die gekröpft in den Raum ragten und sich über dem Becken öffneten.
Ein Stück abseits, aber an derselben Wand stand ein seltsam anmutender Thron, ebenfalls aus Marmor gearbeitet und an dieselben sonderbaren Rohre angeschlossen. Das Sitzkissen war offenbar vor langer Zeit weggenommen worden oder verloren gegangen, weshalb nun in der Sitzfläche eine tiefe Mulde zu sehen war, in deren Mitte ein Loch klaffte, so groß wie die Öffnung eines Fuchsbaus.
Die Rückenlehne des Throns war hoch und gerade und bestand aus demselben glänzenden Material wie das Belüftungssystem. Von oben hing eine metallene Kette herab.
»Seltsam«, murmelte Rhapsody. »Wozu soll das gut gewesen sein, ausgerechnet neben den Schlafgemächern?«
»Für was hältst du’s?«, fragte Achmed und verkniff sich ein Lachen.
»Ich weiß nicht. Sieht aus wie eine Art Springbrunnen mit Thron. Allerdings scheint der Thron nicht gerade bequem gewesen zu sein.«
Er lachte. »Tu mir einen letzten Gefallen und wende deinen Erkennungston doch auch einmal auf den Thron an, damit wir erfahren, wozu er tatsächlich gut gewesen ist.«
»Na schön.« Rhapsody schloss die Augen, suchte den richtigen Ton und ließ das Bild im Geiste Gestalt annehmen. Kurz darauf wurde sie so rot wie die Abendsonne.
»Nicht zu fassen«, platzte es aus ihr heraus. »Eine Latrine! Dass es die auch innerhalb einer Wohnung geben kann, ist mir völlig neu. Wie beschämend. Und ich dachte, es wäre ein Thron.«
»Du musst dich nicht schämen. Nach dem, was wir über das Herrscherpaar erfahren haben, scheint mir eine Latrine als Thron durchaus angemessen zu sein«, entgegnete Achmed. »Und der Springbrunnen soll dann wohl in Wahrheit eine Badewanne gewesen sein, oder?«
Rhapsody zuckte mit den Achseln. »Ich kenne Wannen nur aus öffentlichen Badeanstalten. Da sind sie aus Metall und werden über ein offenes Feuer gerückt. Eine so große Wanne, dazu mit sechs Ecken, ist mir noch nie zu Augen gekommen.«
»Tja, Gwylliam war offenbar ein Mann, der seine Vorlieben nie zu kurz kommen ließ, ob es sich dabei nun um dumme Sprüche handelte oder um sechseckige Konstruktionen. Ist dir noch nicht aufgefallen, wie häufig er davon Gebrauch gemacht hat? Je mehr ich über ihn und seine Konsorten erfahre, desto tiefer sinkt meine Achtung vor ihnen.«
Rhapsody zog an der Kette, worauf trockene Rostflocken herabrieselten. »Ist da Wasser rausgekommen?«
»Ja, und das wird es auch wieder, wenn wir die Wasserversorgung zum Laufen gebracht haben. Aber das muss noch warten. Die Zisternen sind voll, wir haben genug zu trinken. Alles andere kommt später an die Reihe. Zuerst gilt es, Phase eins und zwei abzuschließen, und im Frühjahr kümmern wir uns um die Soldaten aus Roland.«
Rhapsody musterte Achmed mit kritischem Blick. Seine Miene verriet dieselbe stille Erregung wie während des Vortrags seiner Zukunftspläne. Er war sich seiner Sache offenbar ganz sicher. Wie sehr sie ihn darum beneidete!