Ashe sah Canrif zum ersten Mal; es war auch für ihn ein Anblick, der verwunderte und düster stimmte. Die Pässe in den Zahnfelsen wurden streng bewacht. Die Posten, die dort ihren Dienst versahen, waren zwar nur leicht bewaffnet und gepanzert, aber gewissenhaft ausgebildet und machten ihre Sache nicht weniger gut als die Soldaten von Sorbold und besser als die von Roland, deren Rüstzeug manche von ihnen trugen. Als Wachen waren nur die Lirin besser.
Als Ashe das letzte Mal in die Bolgländer gekommen war, hatte er als junger Rekrut im Heer von Bethania an einer Frühjahrssäuberung teilgenommen, aber das war noch in seinem anderen Leben gewesen, als er sich noch frei und offen in menschlicher Gesellschaft hatte bewegen können und auch Veranlassung dazu gehabt hatte.
Er hatte an diesem Waffengang teilgenommen und keinerlei Skrupel dabei empfunden, allerdings auch keine sadistische Lust, als es darum gegangen war, die menschenähnlichen Ungeheuer niederzumachen, die dort lebten.
Gewissensbisse stellten sich erst später ein, insbesondere jetzt, da er die Bolg als das erkannte, was sie wirklich waren: zwar primitiv und kriegerisch, aber doch von Menschenart und keine Tiere. Und diese beiden, Rhapsody und der Mann, den sie Achmed nannte, hatten es fertig gebracht, die Bolg zusammenzuführen und in kürzester Zeit zu einer starken Streitmacht aufzurichten. Das in Erfahrung gebracht zu haben war ihm sehr wichtig.
Er hatte auf der dunkelnden Heide gestanden und Rhapsody lange Zeit beobachtet, ohne sich ihr bemerkbar zu machen.
Zuerst war ihm nicht ganz klar gewesen, was sie da trieb, warum sie gegen den Wind lief und die Haare fliegen ließ. Dann aber fiel ihm auf, wie leidenschaftlich und wild ihr Tanz war, und ihm wurde bewusst, dass sie zu fliehen versuchte, aber kein Ziel hatte. Umso größer wurde sein Verlangen nach ihr.
Ashe versuchte, seine Gefühle im Zaum zu halten, als er ihr nun über felsige Steige in die von Fackellicht beleuchteten Höhlengänge folgte, die zur uralten Machtzentrale der Cymrer führten. Canrif – die legendäre Wiege der cymrischen Zivilisation, die ein hoch entwickeltes Rechtswesen ausgebildet und Bahnbrechende wissenschaftliche und technische Leistungen vollbracht hatte, die die Künste zur Blüte geführt, große Basiliken und Straßen gebaut und erstaunliche Entdeckungen gemacht hatte. Und all das war schließlich einem blindwütig geführten Krieg zum Opfer gefallen. Was für eine Schande! Ashe schaute sich um. Beim Durchschreiten dieser Gänge war ihm, als erlebte er die Geschichte noch einmal.
An den Ruinen der Festung hatte sich seit der Flucht der Cymrer offenbar kaum etwas verändert, und es stank in ihnen auch noch vierhundert Jahre später nach Pech und Rauch, nach bitterer Niederlage. Gwylliam war ein großer Ingenieur gewesen, ein Mann, der etliche der größten Bauwerke der bekannten Welt errichtet hatte, auch so ein Weltwunder wie Canrif. Er hatte aus diesem Felsmassiv eine fast uneinnehmbare Festung herausgeschlagen, für Wärme, Licht und Lüftung gesorgt und eine Wohnung geschaffen für all die so unterschiedlich gearteten Volksgruppen, die mit ihm und der letzten Flotte hierher gekommen und über dreihundert Jahre zusammengeblieben waren.
Zum Schluss führte Rhapsody ihn durch einen langen Flur zum einstigen Thronsaal, der Großen Halle von Canrif, das nun Ylorc genannt wurde. Dort traf er nun auch die beiden an, die er schon auf dem Markt von Bethe Corbair kennen gelernt hatte das Mädchen Jo und diesen unausstehlichen Mann namens Achmed.
Des Weiteren war da ein riesiger Bolg, allem Anschein nach ein Mischling, den Rhapsody mit dem Namen Grunthor und als Hauptmann der Garde vorstellte, worauf der Riese die Hacken zusammenschlug und nickte, ansonsten aber schwieg. Jo zappelte aufgeregt herum, war aber offenbar schon zurechtgewiesen worden und hielt sich lächelnd zurück.
»Was führt dich hierher?«, fragte Achmed geradeheraus.
Ashe seufzte heimlich. Vielleicht hätte er lieber doch nicht kommen sollen. Rhapsody antwortete für ihn.
»Wir haben ihn eingeladen, Achmed. Erinnerst du dich nicht? Du warst doch dabei.« Sie wandte sich Ashe zu, schaute ihm in den Ausschnitt der Kapuze und war fast mit ihm auf Augenhöhe. »Es freut uns, dass du gekommen bist. Nicht wahr, Jo?« Sie lächelte, und Ashe spürte, wie seine Knie zu zittern anfingen.
»Ja«, sagte Jo.
»Wann reist du wieder ab?«, fragte Achmed.
»Achmed! Verzeih, Ashe. Er wollte eigentlich fragen, wie lange du bleiben kannst. Wir möchten uns darauf einstellen.« Rhapsody warf Achmed einen strafenden Blicke zu, um dann dem Gast sogleich wieder zuzulächeln. Ashe hatte Mühe, den Blick von ihr loszureißen, was aber nötig war, denn er musste auf der Hut bleiben.
»So lange ich willkommen bin«, antwortete er.
»Danke für den Besuch. Schön, dich zu sehen«, sagte Achmed.
»Achte gar nicht auf ihn. Er versucht, witzig zu sein, was ihm aber nie so recht gelingen will.«
Rhapsody errötete vor Verlegenheit und Wut.
»Ich kann ohnehin nicht lange bleiben«, sagte Ashe, fasziniert von Rhapsodys kaleidoskopisch wechselndem Mienenspiel. Mal war ihr Ausdruck warm und herzlich, mal wutentbrannt. Er hätte ihr stundenlang ins Gesicht schauen können, ohne dass ihm dabei langweilig geworden wäre.
»Wir haben die Unterkünfte für Botschafter herrichten lassen, weil wir jetzt, da mit Roland und Sorbold Friedensverträge unterzeichnet sind, deren Gesandtschaft bei uns erwarten. Dort wirst du ein angenehmes Quartier finden.«
»Wie bitte?« Ashe hatte von der Niederlage des Heers von Roland gehört; diese Nachricht war in aller Munde. Aber dass es schon vertragliche Vereinbarungen gab, war ihm neu. Die drei Achmed, Grunthor und Rhapsody – regierten doch erst seit wenigen Monaten. Es erschien ihm geradezu unmöglich, dass in so kurzer Zeit schon Gespräche aufgenommen, geschweige denn zum Abschluss gebracht worden waren. Das Zustandekommen des Friedensschlusses zwischen Roland und Sorbold hatte seinerzeit fast zweihundert Jahre in Anspruch genommen. Wieder sah sich Ashe vor einem Rätsel. Die drei schienen ungemein mächtig und einflussreich zu sein.
Sie waren zu dritt. Eine bedeutungsvolle Zahl, dachte Ashe, obwohl er den alten Prophezeiungen nicht glauben mochte. Wie auch immer, das Mädchen Jo schien zwar auf diesem Kontinent geboren zu sein, die drei anderen aber kamen offenbar woanders her. Trotzdem, angesichts einer solch einmaligen Fülle von Macht war selbst Ashe geneigt, an längst aufgegebene Hoffnungen wieder anzuknüpfen. Rhapsody lachte. »Warum so überrascht? Vor wenigen Wochen haben wir zuerst mit Roland und dann auch mit Sorbold einen Nichtangriffspakt und Handelsverträge geschlossen. Die Bolg stellen wieder eine Macht dar, mit der zu rechnen ist, und zwar im positiven Sinne. Sie sind keine marodierenden Banden mehr, sondern zuverlässige Wirtschaftspartner.«
Wie um ihre Worte zu verhöhnen, tönte aus dem Hintergrund plötzlich lautes Geschrei, das von den Felswänden widerhallte. Grunthor stürmte nach draußen in den Flur. Ihm folgten die anderen auf dem Fuß. Weit brauchten sie nicht zu laufen, denn schon kam ihnen ein Bote entgegen. Er war blutüberströmt.
Rhapsody kam vor Ashe hinter Achmed und Grunthor zu stehen und hörte, was der Bote zu berichten hatte.
»Was ist passiert?«, wollte Ashe wissen.
»Die Hügel-Augen greifen an. Idioten. Achmed hat versucht, sie zu einem Bündnis zu bewegen, doch sie weigern sich und fallen jetzt über andere Stämme her, die sich uns angeschlossen haben.«
»Hurra!«, brüllte Jo, die hinter Ashe aufgekreuzt war. »Endlich geht’s wieder mal rund; es war schon richtig langweilig hier. Ich hole dir schnell deinen Bogen, Rhaps.« Und schon rannte sie in Richtung Unterkünfte davon.
Ashe tippte Rhapsody auf die Schulter. Sie wirkte verärgert, aber nicht alarmiert. »Kann ich irgendwie helfen?«
»Du kannst dich gern nützlich machen. In Zeiten wie diesen ist uns jede Hilfe willkommen. Den Bolg fehlt es noch ein bisschen an Disziplin. Sie geraten leicht in Panik, sobald es zum Kampf kommt, vor allem wenn es gegen die Hügel-Augen geht. Das ist der wildeste, blutrünstigste Klan von allen.«
Ashe nickte. »Ich helfe gern. Du musst mir nur sagen, wie.«
»Danke.« Rhapsody lächelte. »Komm mit.«
Der Brennstoff für die Feuer, die die Höhenwege im Gebirge beleuchteten, bestand aus ranzigem Fett, was einen übel stinkenden Rauch aufsteigen ließ, der Rhapsody den Atem benahm und ihr in den Augen brannte.
Sie hatte gerade den letzten Wachposten der Hügel-Augen mit einem schnellen Hieb auf den Oberschenkel zu Fall gebracht, als sich ihr eine knochige Hand um den Arm schraubte.
»Sieh nur!«, hörte sie Achmeds raue Stimme, deren Klang nichts Gutes verhieß.
Sie fuhr mit dem Kopf herum und bekam ihren Gast zu Gesicht, der sich trotz des weiten, verhüllenden Umhangs als ein erstaunlich gewandter und schneller Kämpfer entpuppte.
Auf sich allein gestellt, stand er in einem Ring aus gefallenen Gegnern, die er selbst niedergestreckt hatte, und erwehrte sich ungestümer Attacken mit verblüffender Leichtigkeit. Es schien fast, als versuchte er seine Widersacher nach Möglichkeit zu verschonen.
In einer verwirrenden Abfolge von Bewegungen, die so schnell ausgeführt waren, dass sie mit ihren Blicken kaum folgen konnte, führte Ashe sein Schwert, das in der Dunkelheit blau aufblitzte. Alle, die gegen ihn antraten, gingen, einer nach dem anderen, zu Boden.
»Er ist gut«, murmelte Rhapsody und sah, wie er zur Seite sprang und einen Schlag parierte, der auf Jo gezielt war. »Fast so gut wie du, Achmed. Wenn der Vergleich überhaupt gestattet ist. Was meinst du, Grunthor?«
»Nich schlecht in Form, der Knabe«, pflichtete ihr der Sergeant bei. »Und wie findest du ihn, Achmed?«
Achmed kniff die Brauen zusammen und setzte eine finstere Miene auf.
»Er ist offenbar um einiges gefährlicher, als ich gedacht hatte.«
Es war kurz nach Mitternacht. Achmed saß allein im Dunkeln und dachte nach.
Die Ereignisse des Tages hatten ihn verstört. Der gescheiterte Angriff auf Canrif machte ihm am wenigsten zu schaffen; mit einem solchen letzten Aufbegehren gegen seine Herrschaft hatte er gerechnet. Weitaus irritierender fand er diesen mysteriösen Fremden, der über erstaunliche Fähigkeiten verfügte und Rhapsody wie ein Schatten folgte.
Er fragte sich, ob Ashes Ankunft und der schlecht geplante Angriff der Hügel-Augen womöglich in irgendeinem Zusammenhang miteinander standen, und er dachte zurück an die seltsamen Vorkommnisse, die er auf seiner Wanderung vom Weißen Baum durch Navarne bis hin nach Ylorc allenthalben und immer wieder miterlebt hatte: jene mörderischen Feindseligkeiten, die urplötzlich und ohne jeden ersichtlichen Grund über friedliche Ortschaften hereinbrachen und alsbald wieder eingestellt wurden, als wären sie ein bedauerliches Versehen gewesen. Der Gedanke, dass diese Gefahr womöglich nun auch seinem Königreich drohte, bereitete ihm große Sorgen.
Nachdem der Angriff niedergeschlagen worden und noch bevor Grunthor mit seinen Truppen losgezogen war, um den Nachzüglern der aufständischen Hügel-Augen entgegenzumarschieren, hatte er sich kurz mit dem Freund beraten, dem Ashe genauso wenig geheuer war wie ihm. Ehe er den Fremden kämpfen gesehen hatte, hatte Achmed ihn für einen Nichtsnutz und Aufschneider gehalten, und in seiner Einschätzung anderer lag er sehr selten falsch.
Auch für Grunthor stand jenseits allen Zweifels fest, dass dieser Fremde ein überaus tüchtiger Schwertkämpfer war. Es wollte Achmed einfach nicht in den Kopf gehen, dass er mit seinem ersten Urteil so sehr daneben gelegen hatte.
Einen Gegner zu taxieren und aufgrund seiner Körperhaltung und seiner Bewegungen zu ermessen, wie er sich im Kampf schlagen würde – darin war er sonst absolut treffsicher. Aber Ashe hatte etwas an sich, das sich einer solchen Einschätzung widersetzte. Er war so nebulös, so undefinierbar, ja, ein leibhaftiges Rätsel, das Achmed umso mehr verunsicherte, als Rhapsody von der seltsamen Ausstrahlung dieses Mannes überhaupt nichts zu spüren schien.
Zur Verteidigung von Canrif hatte Ashe freiwillig zur Waffe gegriffen, sich den Angreifern in den Hallen des Kessels mutig entgegengeworfen und im Handumdrehen ein halbes Dutzend von ihnen niedergemacht. Anschließend war er Grunthor nach draußen ins Gebirge gefolgt.
Anfangs hatte er all diejenigen Angreifer abgefangen, die am Sergeanten vorbeigekommen waren, und mit bewundernswert ausgefeilter Schwerttechnik zur Strecke gebracht, so schnell, dass die Klinge kaum zu sehen gewesen war oder allenfalls als blau schimmernder Schatten im Halbdunkel. Und wenn er sie nicht brauchte, steckte er die Waffe schnell in die Scheide zurück, bevor Grunthor sie genauer in Augenschein nehmen konnte.
Trotz seiner überlegenen Leistungen war Ashe sehr bescheiden. Er ordnete sich wie selbstverständlich unter, führte die ihm gegebenen Befehle anstandslos aus und kämpfte an jeder Front; gutmütig bot er Jo Rückendeckung, so unauffällig, dass es sie in ihrer Eitelkeit als Kämpferin nicht kränkte. Und obwohl es auffiel, dass er besonders gern an Rhapsodys Seite kämpfte, murrte er nicht, wenn Grunthor ihn auf eine andere Position schickte. Insgesamt war er an der Niederschlagung des Aufstands in einem Maße beteiligt, das selbst Grunthor größten Respekt abverlangte.
Achmed saß allein in der spärlich beleuchteten Großen Halle des Kessels und überlegte, was nun zu tun war. Die Gefühle, die ihn bewegten, gefielen ihm ganz und gar nicht. Weil ihm Eifersucht vollkommen fremd war, konnte er sie als solche auch nicht erkennen.
Zum ersten Mal seit seiner Inthronisierung als Kriegsherr nahm er den ranzigen Gestank dieses Ortes zur Kenntnis, einen Gestank, der ihm in der Kehle brannte und ihn zum Würgen reizte. Schließlich gelangte er zu der Auffassung, dass es wohl besser wäre, die Anwesenheit des Fremden noch eine Weile zu ertragen und zu versuchen, ihn näher kennen zu lernen. Ashe zu vertreiben hatte keinen Sinn; er würde ohnehin über kurz oder lang zurückkehren. Umso wichtiger war es, seine Absichten und Motive zu ergründen. Achmed ahnte, dass er mit dem Befund, wie immer er auch ausfallen mochte, nicht zufrieden sein würde.
Rhapsody öffnete das Schloss, stieß die schwere Tür auf und trat dann zur Seite, um Ashe in die für Gäste eingerichtete Kammer eintreten zu lassen.
Sie hatte, als er und Jo noch zu Abend gegessen hatten, ein Bad genommen, die Kleider gewechselt und eine kleine Wunde verarztet, die ihr im Gefecht durch einen Häuptling der Hügel-Augen beigebracht worden war – den Ashe daraufhin mit Gusto enthauptet hatte.
Die Wunde war zwar schmerzhaft, aber nicht gefährlich, wenn man sie denn vor einer Infektion schützte, was sie mit einer aus Vogelbeeren, Wegerich und Thymian gewonnenen Lösung zu erreichen versucht hatte. Als er jetzt an ihr vorbeiging, roch er, dass sie nach Seife und Vanille duftete, ein Duft, der ihn erschauern ließ.
Er sah sich in der Kammer um und machte kein Hehl aus seiner Verwunderung. Es war gründlich darin sauber gemacht geworden, die Wände waren frisch geweißelt. Im Kamin brannte ein kleines Feuer, und auf dem Boden lag ein Flickenteppich. Das Bett hatte eine mit Wolle gefüllte Matratze und war mit einer blauen Steppdecke zugedeckt. Auf dem Waschtisch standen Schüssel und Krug, unter dem Bett ein Nachttopf und in der Ecke ein stummer Diener. Mit solch einem Gästezimmer hatte er im Reich der Firbolg nicht gerechnet.
Das Feuer im Kamin knisterte und knackte, fast so, als hätte man grüne Pinienkerne in die Glut geworfen. Ashe strecke sich auf dem Bett aus, gespannt darauf, was Rhapsody nun tun würde. Er machte die Augen zu, genoss die friedliche Atmosphäre und spürte die von der Feuerstelle ausstrahlende Wärme auf den Augenlidern. Er öffnete die Augen wieder einen Spaltbreit und spähte unter der Kapuze hervor. Rhapsody stand immer noch da, der Tür zugewandt.
Als sie sich umdrehte, hatte sie dieses betörende Lächeln aufgesetzt, das ihm schon so manches Mal die Knie hatte weich werden lassen. Doch da lag ein weiterer Ausdruck in ihren Augen, den er noch nicht kannte, etwas Fremdes, Wundervolles, Warmherziges. Die Augen funkelten im Feuerschein, als sie ihren Blick auf ihn richtete.
Ohne ein Wort zu sagen, legte sie ihre Hände auf die Hüften, bewegte sie über die Taille nach oben, fuhr streichelnd über die Brüste und bis an den Halsausschnitt der Bluse, wo sie die Kordel löste und aufreizend zu entzurren begann.
Ashes Atem wurde flacher, als sie die Bluse öffnete und ihre Haut schimmernd darunter zum Vorschein kam. Seine Lippen brannten, wie immer, wenn er an die hübsche Kuhle unterhalb ihrer Kehle dachte.
Immer weiter teilte sich der Ausschnitt, und als der Stoff die Brüste kaum mehr verhüllen konnte, hob sie die Arme und griff lächelnd hinter ihren Kopf, worauf die Bluse in der Mitte noch weiter auseinander ging. Ashes Erregung nahm mit jedem beschleunigten Herzschlag zu. Das Feuer im Kamin war kalt im Vergleich zu seinem Blut.
Mit einem leichten Ruck zog sie die schwarze Samtschleife aus dem Haar und schüttelte die Locken aus, die goldenen Kaskaden gleich über ihre Schultern fielen. Ashe spürte, wie sein Entschluss, allein und im Verborgenen zu bleiben, von einem fast schmerzlichen Verlangen ausgehöhlt wurde, das sich brennend und ächzend in ihm ausbreitete. Mit stockendem Atem sah er zu, wie die Bluse von ihren Armen glitt und zu Boden fiel.
Sie stand vor der Tür, die rosig goldene Haut von flackerndem Flammenlicht beschienen. Wie die leibhaftige Göttin der Morgenröte erschien sie ihm.
Lächelnd öffnete sie das Kleid und ließ es über die Hüften und schlanken Schenkel gleiten. Dann kam sie näher und setzte sich zu ihm aufs Bett. Aus Angst, die Selbstbeherrschung zu verlieren, rührte er sich nicht.
Das war anscheinend, was sie wollte. Sie griff nach seiner Hand, so selbstverständlich, wie es nur eine Frau zu tun vermochte, die das Herz eines jeden Mannes, den sie begehrte, für sich gewinnen und festhalten konnte. Dass er es nun war, den sie sich erwählt hatte, ließ seine Handflächen nass werden vor Schweiß.
Mit unendlicher Gelassenheit legte sie seine zitternde Hand auf ihre langen, glatten Schenkel und führte sie über die Hüfte weiter nach oben. Als sie auf der Brust über dem Herzen zu liegen kam, schloss sie die Augen.
Sanft fuhr er mit der Fingerkuppe über die zarte Spitze und spürte sie fester werden. Auch Rhapsody atmete jetzt flacher, und während er sie streichelte, ergriff sie seine andere Hand und legte sie auf ihren Schenkel.
Sie öffnete die Beine ein wenig, führte seine Hand über die seidene Haut auf der Innenseite des Schenkels und holte tief Luft, als er den Mut aufbrachte, ihre Scham zu berühren, zuerst zaghaft, dann forschend. Er schaute ihr in die tiefgrünen Augen, die lustvoll auf ihn gerichtet waren. »Ich möchte mich bedanken für deine Hilfe heute.« Ashe blinzelte mit den Augen. Rhapsody stand nach wie vor bei der Tür, angezogen und mit gerafftem Haar. Das Trugbild löste sich auf. Er richtete sich auf und dankte im Stillen seinem Dunstgewand, das seine Erregung diskret verdeckte.
»Es war mir ein Vergnügen«, antwortete er. »Und dabei ist mir aufgefallen, dass du erstaunlich gut zu kämpfen verstehst.« Rhapsody verzog das Gesicht. »Was du nicht sagst.« »Doch, wirklich.« Ashe schwang die Beine über die Bettkante und richtete sich auf. »Wie du dieses Schwert führst... alle Achtung.«
»Es war ein schreckliches Gemetzel«, sagte sie und trat vor den Waschtisch, wo sie ein frisches Handtuch aus einem der Fächer im Untergestell nahm und es über den Rand der Waschschüssel legte.
»So etwas ist mir zuwider.«
Ashe gluckste. »Du bist eine interessante Frau, Rhapsody.«
»Danke für das Kompliment. Es klingt allerdings leicht ironisch aus dem Munde eines Mannes, der nicht einmal im Bett seine Kapuze vom Kopf zieht. Wie auch immer, ich werde mich jetzt zurückziehen, es sei denn, du hast noch einen Wunsch.«
Ashe dachte an seine Phantasie von vorhin. Natürlich hatte er noch einen Wunsch, aber darum zu bitten wäre allzu dreist gewesen, zumindest zu diesem frühen Zeitpunkt. »Du könntest mir vielleicht ein Lied vorsingen. Jo sagt, du bist Sängerin.«
Rhapsody schmunzelte. »Ließe sich das auf morgen verschieben? Ich bin ziemlich erschöpft.«
Ashe biss sich auf die Zunge. Er hatte ganz vergessen, dass sie verletzt war. »Natürlich. Heißt das, dass ich eine weitere Nacht hier geduldet bin?«
»So lange, wie du möchtest. Wie gesagt, wir sind dir sehr dankbar für deine Hilfe im Kampf gegen die Aufständischen. Aber auch ohne diesen Einsatz wärst du uns willkommen gewesen.«
»Sehr freundlich. Nun, ich denke, dass ich fürs Erste gut versorgt bin.«
Rhapsody nickte. »Also dann, gute Nacht«, sagte sie und ging zur Tür. »Angenehme Ruhe.«
»Die wünsche ich dir auch.« Es sah sie hinter der Tür verschwinden.
Seine Qualen kehrten zurück, so heftig, dass er nach Luft schnappte und sich mit den Händen in der Bettdecke verkrallte. Um sich wieder zu beruhigen, zwang er sich zu einer ruhigen, gleichmäßigen Atmung. Auf dem Rücken ausgestreckt, gab er seiner Müdigkeit schließlich nach und schlief ein.