Feder und Schwert


»Natürlich nicht«, sagte Hermine.

»Alles, was wir brauchen, steht hier auf diesem Papier.«

Joanne K. Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen


Mo arbeitete die ganze Nacht, während das Gewitter draußen tobte, als wollte Fenoglios Welt nichts davon wissen, dass die Unsterblichkeit in sie einzog. Meggie hatte versucht, wach zu bleiben, aber schließlich war sie doch wieder eingenickt, den Kopf auf dem Tisch, und er hatte sie ins Bett gebracht, wie er es unzählige Male schon getan hatte. Und sich erneut darüber gewundert, wie groß sie geworden war. Fast schon erwachsen. Fast.

Meggie wurde wach, als er die Schließen zuschnappen ließ. »Guten Morgen!«, sagte er, als sie den Kopf vom Kissen hob -und hoffte, dass es ein guter Morgen werden würde. Draußen rötete der Himmel sich wie ein Gesicht, in das das Blut zurückströmte. Die Schließen griffen gut. Mo hatte sie gefeilt, bis nichts an ihnen mehr bohrte oder stach. Sie drückten die leeren Seiten zusammen, als steckte schon jetzt der Tod dazwischen. Das Leder, das man ihm für den Einband gegeben hatte, schimmerte rötlich und umschloss die hölzernen Deckel wie eine gewachsene Haut. Der Bund war sanft gerundet, die Heftung fest, der Buchblock sorgsam gehobelt. Aber all das würde bei diesem Buch keine Rolle spielen. Niemand würde darin lesen. Niemand würde es neben sein Bett legen, um wieder und wieder in seinen Seiten zu blättern. Das Buch war unheimlich in all seiner Schönheit, selbst Mo empfand es so, obwohl es das Werk seiner Hände war. Es schien eine Stimme zu haben, die kaum wahrnehmbar flüsterte, Wörter, die sich auf seinen leeren Seiten nicht fanden. Aber es gab sie. Fenoglio hatte sie aufgeschrieben, an einem fernen Ort, an dem nun Frauen und Kinder um ihre toten Männer und Väter weinten. Ja, die Schließen waren wichtig.

Schwere Schritte hallten über den Korridor vor der Tür. Soldatenschritte. Näher und näher kamen sie. Draußen verblasste die Nacht. Der Natternkopf nahm ihn beim Wort. Sobald die Sonne aufgeht...

Meggie stieg hastig aus dem Bett, fuhr sich übers Haar und strich sich das zerdrückte Kleid glatt.

»Ist es fertig?«, flüsterte sie.

Er nickte und nahm das Buch vom Tisch. »Meinst du, es wird dem Natternkopf gefallen?«

Der Pfeifer stieß die Tür auf, vier Soldaten im Gefolge. Die Silbernase saß ihm im Gesicht, als wäre sie ihm aus dem Fleisch gewachsen.

»Nun, Eichelhäher? Bist du fertig?«

Mo betrachtete das Buch von allen Seiten. »Ja, ja, ich denke schon!«, sagte er, aber als der Pfeifer die Hand danach ausstreckte, verbarg er es hinter dem Rücken. »O nein«, sagte er. »Das behalte ich, bis dein Herr seinen Teil des Handels erfüllt hat.«

»Ach ja?« Der Pfeifer lächelte höhnisch. »Glaubst du nicht, dass ich Wege wüsste, es dir abzunehmen? Aber halte dich ruhig noch eine Weile daran fest. Die Angst wird dir die Knie früh genug weich machen.«

Es war ein langer Weg von dem Teil der Nachtburg, in dem die Geister längst vergessener Frauen lebten, zu den Sälen, in denen der Natternkopf lebte und herrschte. Den ganzen Weg ging der Pfeifer hinter Mo, mit seinem seltsam hochmütigen Gang, steif wie ein Storch, so dicht hinter ihm, dass er seinen Atem im Nacken spürte. Die meisten Korridore, durch die sie kamen, hatte Mo nie zuvor betreten, und doch schien es ihm, als hätte er sie alle schon durchwandert - damals, mit Fenoglios Buch, als er es wieder und wieder gelesen hatte, um Resa zurückzuholen. Es war ein seltsames Gefühl, nun wirklich hier entlangzugehen - hinter den Buchstaben - und erneut nach ihr zu suchen.

Auch von dem Saal, dessen gewaltige Türen sich schließlich für sie öffneten, hatte Mo gelesen, und als er Meggies erschrockenen Blick sah, wusste er nur zu gut, an welchen anderen schlimmen Ort sie nun erinnert wurde. Capricorns rote Kirche war nicht halb so prächtig gewesen wie der Thronsaal des Natternkopfes, aber dank Fenoglios Beschreibung hatte Mo das Vorbild trotzdem gleich erkannt. Rot getünchte Wände, Säulen zu beiden Seiten, nur dass diese im Unterschied zu denen in Capricorns Kirche mit Schuppen aus Silber verkleidet waren. Sogar das Standbild hatte Capricorn dem Natternkopf abgeschaut, aber der Steinmetz, der den Silberfürsten verewigt hatte, verstand eindeutig mehr von seinem Handwerk.

Den Thron des Natternkopfes hatte Capricorn nicht nachzuahmen versucht. Er war geformt wie ein Nest silberner Vipern, von denen zwei sich mit starr aufgerissenen Mäulern emporreckten, damit die Hände des Natternkopfes auf ihren Köpfen ruhen konnten.

Der Herr der Nachtburg war prächtig gekleidet trotz der frühen Stunde, als wollte er seine Unsterblichkeit gebührend willkommen heißen. Er trug einen Mantel aus silbrig weißen Reiherfedern über Gewändern aus schwarzer Seide. Hinter ihm, wie eine Schar bunt gefiederter Vögel, wartete sein Hofstaat: Verwalter, Zofen, Diener und zwischen ihnen, aschgrau gekleidet, wie es ihrer Zunft entsprach, eine Schar von Badern.

Natürlich war auch Mortola anwesend. Sie stand im Hintergrund, fast unsichtbar in ihrem schwarzen Kleid. Hätte Mo nicht nach ihr Ausschau gehalten, er hätte sie übersehen. Von Basta war nichts zu entdecken, aber der Brandfuchs stand gleich neben dem Thronsessel, die Arme unter dem Fuchsmantel verschränkt. Feindselig starrte er ihnen entgegen, doch zu Mos Überraschung galten seine finsteren Blicke nicht ihm, sondern dem Pfeifer.

Es ist alles ein Spiel, Fenoglios Spiel, dachte Mo, während er an den silbernen Säulen entlangschritt. Wenn es sich nur nicht so echt angefühlt hätte. Wie still es war, trotz all der Menschen. Meggie sah ihn an, das Gesicht so blass unter dem hellen Haar. Er schenkte ihr das aufmunterndste Lächeln, das seine Lippen zustande brachten - und war nur froh, dass sie nicht hörte, wie schnell sein Herz schlug.

Neben dem Natternkopf saß seine Frau. Meggie hatte sie treffend beschrieben: eine Puppe aus elfenbeinfarbenem Porzellan. Hinter ihr stand die Amme mit dem so sehnlich erwarteten Sohn. Das Weinen des Kindes klang seltsam verloren in dem großen Saal.

Ein Spiel, dachte Mo noch einmal, als er vor den Thronstufen stehen blieb, nichts als ein Spiel. Wenn er nur mehr über die Regeln gewusst hätte. Es war noch jemand anwesend, den sie kannten. Taddeo, der Bibliothekar, stand mit demütig gesenktem Kopf gleich hinter dem Vipernthron und schenkte ihm ein besorgtes Lächeln.

Der Natternkopf sah noch übernächtigter aus als bei ihrer letzten Begegnung. Sein Gesicht war fleckig und voller Schatten, seine Lippen farblos, nur der Rubin in seinem Nasenwinkel leuchtete rot. Wer konnte sagen, seit wie vielen Nächten er nicht geschlafen hatte.

»Gut, du bist also tatsächlich fertig«, sagte er. »Natürlich, du hast es eilig, deine Frau wiederzusehen, nicht wahr? Mir wurde berichtet, dass sie jeden Tag nach dir fragt. Das ist vermutlich Liebe, nicht wahr?«

Ein Spiel, nur ein Spiel. Es fühlte sich nicht so an. Nichts hatte sich je wirklicher angefühlt als der Hass, den Mo empfand, als er in das grobe, hochmütige Gesicht blickte. Und wieder spürte er es klopfen in seiner Brust: sein neues Herz, so kalt.

Der Natternkopf gab dem Pfeifer ein Zeichen und der Sil-bernasige trat auffordernd auf ihn zu. Es fiel schwer, das Buch in die behandschuhten Hände zu geben. Schließlich gab es nichts sonst, was sie retten konnte. Der Pfeifer spürte sein Widerstreben, lächelte ihm höhnisch zu - und brachte das Buch seinem Herrn. Dann stellte er sich, mit einem kurzen Blick auf den Brandfuchs, gleich neben den Thronsessel, mit so hochmütiger Miene, als gäbe es keinen wichtigeren Mann im Saal.

»Wunderschön. In der Tat!« Der Natternkopf strich über den ledernen Einband. »Ob er nun ein Räuber ist oder nicht, vom Bücherbinden versteht er etwas. Findest du nicht auch, Brandfuchs?«

»Es gibt viele Berufe unter den Räubern«, antwortete der Brandfuchs nur. »Warum nicht auch einen verfluchten Buchbinder?«

»Wie wahr, wie wahr. Habt ihr gehört?« Der Natternkopf wandte sich auffordernd zu seinem bunt gekleideten Gefolge um.

»Mir scheint, mein Herold glaubt immer noch, ich hätte mich von einem kleinen Mädchen betrügen lassen. Ja, er denkt, ich sei ein leichtgläubiger Dummkopf im Vergleich zu Capricorn, seinem alten Herrn.«

Der Brandfuchs wollte protestieren, aber der Natternkopf gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. »Schon gut!«, sagte er, so laut, dass jeder es hören konnte. »Stell dir vor, ich habe trotz meiner ganz offensichtlichen Dummheit einen Weg gefunden, zu beweisen, wer von uns beiden sich irrt.« Mit einem Kopfnicken befahl er Taddeo an seine Seite. Eilfertig trat der Bibliothekar zu ihm und zog Feder und Tinte aus dem weiten Gewand.

»Es ist ganz einfach, Brandfuchs!« Man hörte dem Natternkopf an, dass er gern seiner eigenen Stimme lauschte. »Nicht ich, sondern du wirst deinen Namen zuerst in dieses Buch schreiben! Taddeo hier hat mir versichert, dass man die Buchstaben mit einem Schaber, den Balbulus einst eigens entwickelt hat, so spurlos wieder entfernen kann, dass danach niemand auch nur den Schatten deines Namens auf den Seiten entdecken wird. Also, du schreibst deinen Namen - ich weiß, dass du das kannst - dann geben wir dem Eichelhäher ein Schwert in die Hand, und er darf es dir in in den Leib stoßen! Ist das nicht eine fabelhafte Idee? Wird so nicht eindeutig bewiesen werden, ob dieses Buch tatsächlich den unsterblich macht, dessen Name darin steht?«

Ein Spiel. Mo sah, wie sich auf dem Gesicht des Brandfuchses die Angst ausbreitete wie ein Ausschlag.

»Nun komm schon!«, höhnte der Natternkopf, während er mit dem Zeigefinger gedankenverloren über die Schließen des Buches fuhr. »Was siehst du plötzlich so blass aus? Ist so ein Spiel nicht genau nach deinem Geschmack? Komm und schreib deinen Namen hinein. Aber nicht den, den du dir selbst gegeben hast, sondern den, unter dem du geboren wurdest.«

Der Brandfuchs blickte sich um, als suchte er nach einem Gesicht, das Hilfe verhieß, doch niemand trat vor, nicht einmal Mortola. Die Lippen aufeinander gepresst, so fest, dass sie fast weiß waren, so stand sie da, und hätte ihr Blick ebenso töten können, wie ihr Gift es oft tat, dann hätte dem Natternkopf das Buch wohl nicht mehr geholfen. So aber lächelte er ihr nur zu - und drückte seinem Herold die Feder in die Hand. Der Brandfuchs starrte den gespitzten Kiel an, als wüsste er nicht, was er damit anfangen sollte. Dann tauchte er ihn umständlich in die Tinte - und schrieb.

Was nun, Mortimer?, dachte Mo, während der Soldat neben ihm die Hand ans Schwert legte. Was wirst du tun? Was? Er spürte Meggies entsetzten Blick, spürte ihre Angst wie Kälte neben sich.

»Bestens!« Der Pfeifer zog dem Brandfuchs das Buch aus der Hand, kaum dass er fertig war. Der Natternkopf aber winkte einem der Diener, die mit Schüsseln voller Obst und Kuchen am Fuß der Silbersäulen warteten. Der Honig troff ihm von den Fingern, als er sich einen der Kuchen zwischen die Lippen schob. »Nun, worauf wartest du noch, Brandfuchs?«, sagte er mit vollem Mund. »Versuch dein Glück! Nun mach schon.«

Der Brandfuchs stand da und starrte den Pfeifer an, der das Buch mit seinen langen Armen umschloss, als hielte er ein Kind. Mit bösem Lächeln erwiderte die Silbernase seinen Blick. Der Brandfuchs kehrte ihm abrupt den Rücken zu - und stieg die Treppe hinunter, an deren Fuß Mo wartete.

Rasch löste Mo Meggies Hand von seinem Arm und schob sie zur Seite, obwohl sie sich sträubte. Die Gepanzerten, die sie umstanden, wichen zurück, als räumten sie eine Bühne bis auf einen, der auf einen Wink des Natternkopfes dem Brandfuchs in den Weg trat, ihm das Schwert aus der Scheide zog und den silbernen Knauf Mo hinhielt.

War dies immer noch Fenoglios Spiel?

Es war ihm gleich. Noch als er den Saal betreten hatte, hätte er einen Arm für ein Schwert gegeben, aber dieses wollte er nicht. Ebenso wenig wie die Rolle, die ihm irgendwer zuweisen wollte, sei es Fenoglio, sei es der Natternkopf.

»Nun nimm schon, Eichelhäher.« Der Soldat, der ihm das Schwert hinhielt, wurde ungeduldig, und Mo musste an die Nacht denken, in der er Bastas Schwert aufgehoben und ihn und Capricorn aus seinem Haus gejagt hatte. Er erinnerte sich noch genau daran, wie schwer die Waffe in der Hand gewogen, wie das Licht sich in der blanken Klinge gefangen hatte.

»Nein, danke«, sagte er und machte einen Schritt zurück. »Aber Schwerter gehören nicht zu meinem Handwerkszeug. Das habe ich doch wohl mit dem Buch da bewiesen, oder?«

Der Natternkopf wischte sich den Honig von den Fingern und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Aber Eichelhäher!«, sagte er mit leicht erstaunter Stimme. »Du hast es doch gehört. Wir verlangen keine sonderliche Kunstfertigkeit. Du sollst es ihm nur durch den Leib stoßen. Das ist doch nicht weiter schwer! «

Der Brandfuchs starrte Mo an. Seine Augen blickten trübe vor Hass. Sieh ihn dir an, du Dummkopf!, dachte Mo. Er würde dir das Schwert auf der Stelle durch den Leib stoßen, also warum tust du es nicht? Meggie verstand, warum er es nicht tat. Er sah es in ihren Augen. Vielleicht würde der Eichelhäher nach dem Schwert greifen, aber bestimmt nicht ihr Vater.

»Vergiss es, Natter!«, sagte er laut. »Wenn du eine Rech-nung mit deinem Bluthund offen hast, begleiche sie selbst. Wir haben eine andere Abmachung.«

Der Natternkopf betrachtete ihn so interessiert, als hätte sich ein exotisches Tier in seinen Saal verirrt. Dann lachte er. »Die Antwort gefällt mir!«, rief er. »Ja, wirklich. Und weißt du was? Sie beweist mir endgültig, dass ich doch den Richtigen gefangen habe. Du bist der Eichelhäher, du bist es ohne Zweifel, er soll ein schlauer Fuchs sein. Aber trotzdem werde ich zu meinem Handel stehen.«

Und mit diesen Worten nickte er dem Gepanzerten zu, der Mo immer noch das Schwert hinhielt. Ohne Zögern wandte er sich um und stieß dem Herold seines Herrn die lange Klinge durch den Leib, so schnell, dass der Brandfuchs nicht einmal dazu kam, zurückzuweichen.

Meggie schrie auf. Mo zog sie an sich und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Der Brandfuchs aber stand da und starrte fassungslos auf das Schwert, das ihm aus dem Körper ragte, als wäre es ein Teil von ihm.

Mit selbstzufriedenem Lächeln blickte der Natternkopf in die Runde, labte sich an dem stummen Entsetzen, das ihn umgab. Der Brandfuchs aber griff nach dem Schwert, das ihm aus dem Leib ragte, und zog die Klinge mit verzerrtem Gesicht wieder heraus, ganz langsam, ohne zu wanken.

Und in dem großen Saal wurde es so still, als hätten alle Anwesenden aufgehört zu atmen.

Der Natternkopf aber klatschte in die Hände. »Nun seht ihn euch an!«, rief er. »Ist irgendwer hier im Saal der Meinung, dass er diesen Schwertstoß hätte überleben können? Doch er ist nur etwas blass, nichts weiter. Stimmt’s, Brandfuchs?«

Sein Herold antwortete nicht, er stand nur da und starrte auf das blutige Schwert in seinen Händen.

Der Natternkopf aber fuhr mit aufgeräumter Stimme fort: »Ja, ich denke, damit ist es bewiesen! Das Mädchen hat nicht gelogen, und der Natternkopf ist wohl doch kein leichtgläubiger Narr, der auf Kindermärchen hereinfällt, nicht wahr?« Wie ein Raubtier die Pfoten - so sorgsam setzte er die Worte.

Nichts als Stille antwortete ihm. Und auch der Brandfuchs, das Gesicht weiß vom Schmerz, schwieg weiter, während er mit einem Zipfel seines Mantels das eigene Blut von der Schwertklinge wischte.

»Sehr gut!«, stellte der Natternkopf fest. »Dann wäre das wohl aus der Welt - und ich habe nun einen unsterblichen Herold! Zeit, dass ich dasselbe von mir behaupten kann. Pfeifer!«, sagte er und drehte sich zu dem Silbernasigen um. »Leer mir den Saal! Schaff alle hinaus. Diener, Frauen, Bader, Verwalter, alle. Nur zehn Gepanzerte bleiben, du, der Brandfuchs, der Bibliothekar und die zwei Gefangenen. Du gehst auch!«, fuhr er Mortola an, als sie protestieren wollte. »Bleib bei meiner Frau und sorg endlich dafür, dass das Kind nicht mehr weint.«

»Mo, was hat er vor?«, flüsterte Meggie, während um sie her die Gepanzerten die Menschen aus dem Saal trieben. Aber er konnte nur den Kopf schütteln. Er wusste die Antwort nicht. Er spürte nur, dass das Spiel noch lange nicht zu Ende war.

»Was ist mit uns?«, rief er dem Natternkopf zu. »Meine Tochter und ich haben unseren Teil der Abmachung erfüllt, also hol die Gefangenen aus dem Kerker und lass uns gehen.«

Doch der Natternkopf hob nur beschwichtigend die Hände. »Ja, sicher, sicher, Eichelhäher!«, gab er mit gönnerhafter Stimme zurück. »Da du dein Versprechen gehalten hast, halte ich das meine.

Natternehrenwort. Ich habe bereits ein paar Männer hinunter in die Kerker geschickt, aber es ist ein langer Weg von dort bis zum Tor, also leiste uns noch etwas Gesellschaft. Glaub mir, für deine Unterhaltung wird gesorgt sein.«

Ein Spiel. Mo sah sich um und beobachtete, wie die riesigen Türen sich hinter den letzten Dienern schlossen. Der Saal erschien leer nur noch größer.

»Wie fühlst du dich, Brandfuchs?« Der Natternkopf musterte seinen Herold mit kühlem Blick. »Wie fühlt es sich an, unsterblich zu sein? Fabelhaft? Beruhigend?«

Der Brandfuchs schwieg. Er hielt immer noch das Schwert in der Hand, das ihn durchbohrt hatte. »Ich hätte gern mein eigenes Schwert zurück«, sagte er heiser, ohne seinen Herrn aus den Augen zu lassen. »Dieses taugt nichts.«

»Ach was. Unsinn. Ich werde dir ein neues Schwert schmieden lassen, ein besseres, als Dank für den Dienst, den du mir heute erwiesen hast!«, entgegnete der Natternkopf. »Aber vorher bleibt noch eine Kleinigkeit zu erledigen, damit wir deinen Namen ohne Schaden wieder aus meinem Buch entfernen können.«

»Entfernen?« Der Blick des Brandfuchses wanderte zum Pfeifer, der das Buch immer noch in den Armen hielt.

»Entfernen, ja. Du erinnerst dich, dieses Buch sollte ursprünglich mich und nicht dich unsterblich machen. Aber damit das geschehen kann, muss der Schreiber noch drei Wörter hineinschreiben.«

»Wozu?« Der Brandfuchs wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Drei Wörter. Armer Teufel. Hörte er, wie die Falle zuschnappte? Meggie griff nach Mos Hand.

»Um Platz zu machen, könnte man sagen, Platz für mich«, erwiderte der Natternkopf. »Und weißt du was?«, führ er fort, als der Brandfuchs ihn verständnislos ansah. »Als Lohn dafür, dass du mir so selbstlos bewiesen hast, wie zuverlässig dieses Buch vor dem Tod beschützt, darfst du, sobald der Schreiber diese drei Wörter geschrieben hat, den Eichelhäher töten. Falls man ihn töten kann. Ist das ein Angebot?«

»Was? Was redest du da?« Meggies Stimme klang schrill vor Angst, aber Mo presste ihr schnell die Hand auf den Mund. »Meggie, bitte!«, raunte er ihr zu. »Hast du vergessen, was du über Fenoglios Worte gesagt hast? Es wird mir nichts geschehen.«

Aber sie wollte nicht hören. Sie schluchzte und hielt sich fest an ihm, bis zwei Gepanzerte sie grob zurückzerrten.

»Drei Wörter!« Der Brandfuchs trat auf ihn zu. Hatte er ihm nicht gerade noch Leid getan? Mortimer, du bist ein Dummkopf, dachte Mo. »Drei Wörter, zähl gut mit, Eichelhäher«, der Brandfuchs hob das Schwert, »beim vierten stoß ich zu, und das wird wehtun, ich versprech es dir, auch wenn es dich vielleicht nicht tötet. Ich weiß, wovon ich rede.«

Die Schwertklinge schien wie aus Eis im Licht der Kerzen und lang genug, um drei Männer damit aufzuspießen. An einigen Stellen klebte das Blut des Brandfuchses immer noch wie Rost auf dem blanken Metall.

»Wohlan, Taddeo«, sagte der Natternkopf. »Du erinnerst dich an die Wörter, die ich dir genannt habe? Schreib sie, eins nach dem anderen, aber sprich sie nicht aus. Zähl sie einfach.«

Der Pfeifer schlug das Buch auf und hielt es dem alten Mann hin. Mit bebenden Fingern tauchte Taddeo die Feder in das Tintenglas. »Eins«, sagte er und die Feder kratzte über das Papier.

»Zwei.«

Der Brandfuchs setzte Mo mit einem Lächeln die Schwertspitze auf die Brust.

Taddeo hob den Kopf, tauchte die Feder erneut in die Tinte

- und sah den Natternkopf unsicher an.

»Hast du das Zählen verlernt, alter Mann?«, fragte der.

Taddeo schüttelte nur den Kopf und senkte die Feder erneut aufs Papier. »Drei!«, hauchte er.

Mo hörte Meggie seinen Namen rufen und starrte auf die Schwertspitze. Wörter, nichts als Wörter schützten ihn vor der blanken scharfen Schneide.

Aber in Fenoglios Welt war das genug.

Die Augen des Brandfuchses weiteten sich, erstaunt und entsetzt zugleich. Mo sah, wie er versuchte, mit seinem letzten Atemzug doch noch zuzustoßen, ihn mitzunehmen dorthin, wo Feder und Tinte ihn hinschickten, aber das Schwert fiel ihm aus den Händen. Dann sackte er zusammen und fiel Mo vor die Füße.

Der Pfeifer blickte schweigend auf den Toten hinab, während Taddeo die Feder sinken ließ und von dem Buch, in das er eben noch geschrieben hatte, zurückwich, als könnte es auch ihn im nächsten Augenblick töten, mit leiser Stimme, mit einem einzigen Wort.

»Schafft ihn fort!«, befahl der Natternkopf. »Bevor die Weißen Frauen ihn sich noch aus meiner Burg holen. Nun macht schon!«

Drei Gepanzerte trugen den Brandfuchs hinaus. Die Fuchsschwänze an seinem Mantel schleiften über die Fliesen, als sie ihn fortschleppten, und Mo stand da und starrte auf das Schwert zu seinen Füßen. Er spürte, wie Meggie die Arme um ihn schlang. Ihr Herz schlug so heftig wie das eines verängstigten Vogels.

»Ja, wer will schon einen unsterblichen Herold?«, rief der Natternkopf dem toten Brandfuchs nach. »Wärst du etwas klüger gewesen, so hättest du das begriffen.« Der Rubin, der seinen Nasenflügel schmückte, glich mehr denn je einem Tropfen Blut.

»Soll ich seinen Namen nun tilgen, Euer Gnaden?« Tadde-os Stimme klang so zaghaft, dass sie kaum zu hören war.

»Natürlich. Seinen Namen und die drei Wörter, versteht sich. Aber erledige das gründlich. Ich will, dass die Seiten wieder weiß sind wie frisch gefallener Schnee.«

Der Bibliothekar machte sich gehorsam an die Arbeit. Das Schaben klang seltsam laut in dem leeren Saal. Als Taddeo fertig war, strich er noch einmal mit der flachen Hand über das erneut weiße Papier. Dann zog der Pfeifer ihm das Buch aus den Händen und hielt es dem Natternkopf hin.

Mo sah, dass die plumpen Finger zitterten, als sie die Feder in die Tinte tauchten. Und bevor er zu schreiben begann, sah der Natternkopf noch einmal auf. »Du warst sicherlich nicht so dumm, noch irgendeinen zusätzlichen Zauber in dieses Buch zu binden, nicht wahr, Eichelhäher?«, fragte er lauernd. »Es gibt Arten, einen Mann zu Tode zu bringen - und nicht nur einen Mann, sondern auch seine Frau und seine Tochter -, die das Sterben zu einer sehr langen und sehr qualvollen Sache machen. Es kann Tage währen, viele Tage und Nächte.«

»Ein Zauber? Nein«, erwiderte Mo, während er immer noch auf das Schwert zu seinen Füßen starrte. »Aufs Zaubern verstehe ich mich nicht. Ich sage es noch einmal, das Buchbinden ist mein Handwerk, nichts sonst. Und alles, was ich darüber weiß, ist in dieses Buch geflossen. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Nun gut.« Der Natternkopf tauchte noch einmal die Feder ein - und hielt erneut inne. »Weiß!«, murmelte er, während er die leeren Seiten anstarrte. »Seht nur, wie weiß sie sind. Weiß wie die Frauen, die den Tod bringen, weiß wie die Knochen, die der Kalte Mann zurücklässt, wenn er sich an Fleisch und Blut satt gegessen hat.«

Dann schrieb er. Schrieb seinen Namen in das leere Buch. Und klappte es zu. »Erledigt!«, rief er triumphierend. »Erledigt, Taddeo! Schließ ihn ein, den Seelenschlürfer, den Feind, den man nicht töten kann. Nun kann er mich auch nicht mehr töten. Nun sind wir gleich. Zwei Kalte Männer, die zusammen diese Welt regieren. In alle Ewigkeit!«

Der Bibliothekar gehorchte, aber während er die Schließen einrasten ließ, sah er Mo an. Wer bist du?, schienen seine Augen zu fragen. Welche Rolle spielst du in diesem Spiel? Aber selbst wenn Mo gewollt hätte, er hätte ihm die Antwort nicht sagen können.

Der Natternkopf jedoch schien zu glauben, dass er sie kannte. »Weißt du, dass du mir gefällst, Eichelhäher?«, fragte er, während sein Echsenblick ihn nicht losließ. »Ja, wirklich, du würdest bestimmt einen guten Herold abgeben, aber die Rollen sind anders verteilt, nicht wahr?«

»Ja, das sind sie«, sagte Mo. Aber du weißt nicht, von wem. Ich schon, setzte er in Gedanken hinzu.

Der Natternkopf nickte den Gepanzerten zu. »Lasst ihn gehen!«, befahl er. »Ihn, das Mädchen und wen immer sonst er mitnehmen will.«

Die Soldaten traten auseinander, wenn auch widerstrebend.

»Komm, Mo!«, flüsterte Meggie und drückte seine Hand.

Wie blass sie war. Blass vor Angst und so wehrlos. Mo blickte an den Gepanzerten vorbei, dachte an den ummauerten Hof, der draußen auf sie wartete, die Silbervipern, die herabstarrten, die Pechklappen über dem Tor. Er dachte an die Armbrüste der Wachen auf den Zinnen, an die Lanzen der Torwächter - und an den Soldaten, der Resa in den Schmutz gestoßen hatte. Ohne ein Wort bückte er sich. und hob das Schwert auf, das dem Brandfuchs aus der Hand gefallen war.

»Mo!« Meggie ließ seine Hand los und sah ihn entsetzt an. »Was tust du?«

Aber er zog sie nur wortlos an seine Seite, während die Gepanzerten wie ein Mann ihre Waffen zogen. Das Schwert des Brandfuchses wog schwer, schwerer als das, mit dem er Capricorn aus seinem Haus getrieben hatte.

»Sieh einer an!«, sagte der Natternkopf. »Du scheinst dich nicht auf mein Wort verlassen zu wollen, Eichelhäher!«

»Oh, ich verlasse mich darauf!«, sagte Mo, ohne das Schwert sinken zu lassen. »Aber jeder hier hat eine Waffe außer mir, also denk ich mir, ich behalte dieses herrenlose Schwert. Du behältst das Buch, und wenn wir beide Glück haben, sehen wir uns nach diesem Morgen niemals wieder.«

Selbst das Lachen des Natternkopfes klang, als sei es aus Silber, aus dunkel angelaufenem Silber. »Aber wieso denn?«, rief er. »Ich finde, es macht Spaß, mit dir zu spielen, Eichelhäher. Du bist ein guter Gegner. Weshalb ich auch weiterhin zu meinem Wort stehe. Lasst ihn gehen!«, rief er den Gepanzerten noch einmal zu. »Sagt es auch den Wächtern beim Tor. Der Natternkopf lässt den Eichelhäher ziehen, weil er ihn nie mehr fürchten muss, denn der Natternkopf - ist unsterblich!«

Die Worte hallten Mo in den Ohren, als er nach Meggies Hand griff. Taddeo hielt immer noch das Buch, er hielt es, als könnte es ihn beißen. Mo glaubte das Papier noch zwischen den Fingern zu spüren, das Holz der Deckel, das Leder, die heftenden Fäden. Dann bemerkte er Meggies Blick. Sie starrte auf das Schwert in seiner Hand, als machte es ihn zu einem Fremden. »Komm«, sagte er und zog sie mit sich. »Lass uns zu deiner Mutter gehen!«

»Ja, geh, Eichelhäher, nimm deine Tochter, deine Frau und all die anderen!«, rief der Natternkopf ihnen nach. »Geh, bevor Mortola mich daran erinnert, wie dumm es ist, dich laufen zu lassen!«

Nur zwei Gepanzerte folgten ihnen auf dem langen Weg durch die Burg. Der Hof war noch fast menschenleer an diesem frühen Morgen. Der Himmel über der Nachtburg war grau und feiner Regen fiel, wie ein Schleier vor dem aufziehenden Tag. Die wenigen Knechte, die schon an der Arbeit waren, wichen erschrocken zurück, als sie das Schwert in Mos Hand sahen, und die Gepanzerten winkten sie wortlos aus dem Weg.

Die anderen Gefangenen warteten schon vor dem Tor, eine verlorene Schar, bewacht von einem Dutzend Soldaten. Mo konnte Resa zuerst nicht entdecken, aber plötzlich löste sich eine Gestalt von den anderen und lief auf ihn und Meggie zu. Keiner hielt sie auf. Vielleicht hatten die Soldaten schon gehört, wie es dem Brandfuchs ergangen war. Mo spürte, wie sie ihn anstarrten, voll Abscheu und Angst - den Mann, der den Tod zwischen weiße Seiten band und ein Räuber war dazu! Bewies das Schwert in seiner Hand das nicht für alle Zeit? Es war ihm egal, was sie dachten. Sollten sie ruhig Angst vor ihm haben. Er hatte mehr Angst gehabt, als für ein Leben gut war -all die Tage und Nächte, in denen er geglaubt hatte, er hätte alles verloren, seine Frau, seine Tochter, und dass ihm nichts bleiben würde als ein einsamer Tod in dieser Welt aus Worten.

Resa umarmte abwechselnd ihn und Meggie, sie erdrückte sie fast, und als sie ihn endlich wieder losließ, war sein Gesicht nass von ihren Tränen. »Komm, lass uns aus diesem Tor gehen, Resa!«, raunte er ihr zu. »Bevor der Herr dieser Burg es sich anders überlegt! Wir haben alle viel zu erzählen, aber lasst uns gehen!«

Die anderen Gefangenen schlossen sich ihnen schweigend an. Ungläubig beobachteten sie, wie das Tor sich vor ihnen öffnete, wie die eisenbeschlagenen Flügel aufschwangen und sie in die Freiheit entließen. Einige stolperten vor Hast über die eigenen Füße, als sie hinausdrängten. Doch immer noch kam ihnen keiner nach.

Die Wachen standen bloß da, Schwerter und Lanzen in der Hand, und starrten ihnen nach, wie sie unsicher davonschritten, die Beine steif von den Wochen im Kerker. Nur ein Gepanzerter kam mit aus dem Tor, wies ihnen wortlos die Straße, die sie nehmen sollten.

Was, wenn sie uns von den Zinnen nachschießen?, dachte Mo, als er sah, dass kein Baum und kein Strauch ihnen Schutz gewähren konnte, während sie der Straße den kahlen Abhang hinab folgten. Wie eine Fliege an der Wand kam er sich vor, so leicht totzuschlagen.

Aber nichts geschah. Sie gingen durch den grauen Morgen, durch den strömenden Regen, hinter sich die Burg bedrohlich wie ein Untier. und nichts geschah.

»Er hält sein Versprechen!« Immer öfter hörte Mo jemanden die Worte flüstern. »Der Natternkopf hält, was er versprochen hat.« Resa fragte ihn besorgt nach seiner Wunde, und er antwortete ihr, mit leiser Stimme, dass es ihm gut ginge, während er darauf wartete, hinter ihnen Schritte zu hören, Soldatenschritte. aber es blieb still. Es schien, als seien sie schon endlos lange den kahlen Hang hinabgelaufen, als plötzlich Bäume vor ihnen auftauchten. Der Schatten, den die Zweige auf die Straße warfen, war so dunkel, als hätte sich die Nacht selbst darunter geflüchtet.



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