Feuer und Wasser



Und was ist Wortwissen denn anderes als ein Schatten des wortlosen Wissens?

Khalil Gibran, Der Prophet


Hinter den Mauern des Siechenhauses war es still, als Staubfinger Farid zwischen den Bäumen hervorwinkte. Kein Weinen, kein Fluchen über die, die von der Nachtburg gekommen waren. Die meisten Frauen waren zurückgekehrt zu den Kranken und Sterbenden. Nur Roxane stand noch am Strand und blickte dorthin, wo die Soldaten verschwunden waren.

Mit müden Schritten ging Staubfinger auf sie zu.

»Ich lauf ihnen nach!«, stammelte Farid neben ihm, die braunen Fäuste geballt. »Man kann sie schließlich nicht verfehlen, die verfluchte Burg!«

»Was redest du da, verdammt noch mal?«, fuhr Staubfinger ihn an. »Glaubst du, du kannst einfach durch das Tor spazieren? Das ist die Nachtburg. Dort schmücken sie die Zinnen mit abgeschlagenen Köpfen.«

Farid zog den Kopf ein und starrte hinauf zu den Silbertürmen. Sie bohrten sich in den Himmel, als wollten sie die Sterne aufspießen. »Aber - aber Meggie.«, stammelte er.

»Ja, ja, schon gut, wir werden ihr folgen«, sagte Staubfinger mit gereizter Stimme. »Auch wenn mein Bein sich jetzt schon auf den steilen Weg freut. Aber wir stolpern nicht einfach los. Vorher wirst du noch etwas lernen.«

Wie erleichtert der Junge ihn ansah - als freute er sich schon darauf, der Natter ins Nest zu kriechen. Staubfinger schüttelte nur den Kopf über so viel Unverstand.

»Lernen? Was?«

»Das, was ich dir ohnehin zeigen wollte.« Staubfinger ging aufs Wasser zu. Wenn dieses Bein bloß endlich heilen würde.

Roxane kam ihm nach. »Was redest du da?« Zorn und Angst mischten sich auf ihrem Gesicht, als sie sich zwischen ihn und den Jungen schob. »Du kannst nicht auf die Burg! Es ist alles verloren. Euer fabelhafter Brief hat nichts zum Guten gewendet, gar nichts!«

»Das werden wir sehen«, erwiderte Staubfinger darauf nur. »Es kommt alles darauf an, ob und wie viel Meggie gelesen hat.«

Er versuchte sie zur Seite zu schieben, aber Roxane stieß seine Hände zurück. »Lass uns dem Prinzen Bescheid geben!« Wie verzweifelt sie klang. »Hast du all die Brandstifter vergessen, die dort oben auf der Burg sind? Du wirst tot sein, bevor die Sonne aufgeht! Was ist mit Basta? Was ist mit dem Brandfuchs und dem Pfeifer? Irgendwer wird dein Gesicht erkennen!«

»Wer sagt denn, dass ich mein Gesicht zeigen will?«, erwiderte Staubfinger.

Roxane wich vor ihm zurück. Sie warf Farid einen so feindseligen Blick zu, dass der Junge das Gesicht abwandte. »Das ist unser Geheimnis, nur mir hast du es bisher gezeigt. Und du hast selbst gesagt, dass niemand außer dir es kann!«

»Der Junge wird es auch können!«

Der Sand knirschte unter seinen Schritten, als er auf die Wellen zuging, und er blieb erst stehen, als die Brandung an seinen Stiefeln leckte.

»Wovon redet sie?«, fragte Farid. »Was wirst du mir zeigen? Ist es sehr schwer?«

Staubfinger sah sich um. Roxane ging mit langsamen Schritten zum Siechenhaus zurück. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand sie hinter dem einfachen Tor.

»Was ist es?« Farid zupfte ihn ungeduldig am Ärmel. »Nun sag schon.«

Staubfinger wandte sich zu ihm um. »Wasser und Feuer«, sagte er, »verstehen sich nicht sonderlich. Man könnte sagen, sie passen nicht zueinander. Aber wenn sie sich lieben, dann mit Leidenschaft.«

Die Worte, die er dann flüstern musste, hatte er lange nicht gebraucht. Aber das Feuer verstand. Eine Flamme leckte zwischen den feuchten Kieseln, die das Meer auf den Sand geschwemmt hatte. Staubfinger bückte sich und lockte sie in seine hohle Hand wie einen jungen Vogel, raunte ihr zu, was er von ihr wollte, versprach ihr ein nächtliches Spiel, wie sie es nie gespielt hatte, und als sie knisternd antwortete, aufloderte, so heiß, dass sie ihm die Haut verbrannte, warf er sie in die schäumende Gischt, die Finger ausgestreckt, als hielte er das Feuer immer noch an unsichtbaren Bändern. Das Wasser schnappte nach der Glut wie ein Fisch nach einer Fliege, aber die Flamme brannte nur noch heller, während Staubfinger am Ufer die Arme ausbreitete.

Zischend und lodernd tat das Feuer es ihm nach, fuhr nach links und rechts die Welle entlang, weiter und weiter, bis die Gischt, gesäumt von Flammen, auf das Ufer zurollte und Staubfinger ein Feuerband vor die Füße schwemmte wie ein Liebespfand. Mit beiden Händen griff er in die glühende Gischt, und als er sich wieder aufrichtete, flatterte zwischen seinen Fingern eine Fee. Sie war blau wie ihre Schwestern aus dem Wald, doch ein feuriger Schimmer umgab sie, und ihre Augen waren rot wie die Flammen, die sie geboren hatten. Staubfinger umschloss sie wie einen seltenen Falter mit seinen Händen, wartete auf das Prickeln der Haut, die Hitze, die an den Armen hinauflief, als flösse einem plötzlich Feuer statt Blut durch die Adern. Erst als es ihn bis unter die Achseln verbrannte, ließ er das winzige Ding wieder fliegen, schimpfend und unflätig fluchend, wie sie es immer taten, wenn man sie herbeilockte, indem man das Meer mit dem Feuer spielen ließ.

»Was ist das?«, fragte Farid erschrocken, als er Staubfin-gers geschwärzte Hände und Arme sah.

Staubfinger zog ein Tuch aus dem Gürtel und verrieb den Ruß sorgfältig auf der Haut. »Das«, sagte er, »ist etwas, das uns in die Burg bringen wird. Aber der Ruß wirkt nur, wenn du ihn dir selbst von den Feen besorgt hast. Also mach dich an die Arbeit.«

Farid blickte ihn ungläubig an. »Ich kann das nicht!«, stammelte er. »Ich weiß nicht, wie du es gemacht hast.«

»Unsinn!« Staubfinger trat vom Wasser zurück und hockte sich in den feuchten Sand. »Natürlich kannst du es! Denk einfach an Meggie!«

Farid blickte unschlüssig hinauf zu der Burg, während die Wellen an seinen nackten Zehen leckten, als wollten sie ihn zum Spielen auffordern.

»Sieht man das Feuer dort oben nicht?«

»Die Burg ist weiter entfernt, als es scheint. Glaub mir, deine Füße werden das bezeugen, wenn wir hinaufsteigen. Und falls die Wachen doch etwas sehen, werden sie denken, es blitzt oder Feuerelfen tanzen über dem Wasser. Aber seit wann denkst du so viel nach, bevor du zu spielen beginnst? Ich weiß nur eins - wenn du noch länger überlegst, fällt mir bestimmt wieder ein, was für ein Wahnsinn es ist, dort hinaufzugehen.«

Das überzeugte Farid.

Dreimal erlosch ihm die Flamme, als er sie in die Gischt warf. Aber beim vierten Mal säumte sie ihm die Wellen, wie er es verlangte - vielleicht nicht ganz so lodernd, wie sie es für Staubfinger getan hatte, aber das Meer brannte auch für Farid. Und das Feuer spielte ein zweites Mal in dieser Nacht mit dem Wasser.

»Gut gemacht«, sagte Staubfinger, als der Junge stolz den Ruß auf seinen Armen betrachtete. »Verteil ihn gut, auf deiner Brust, auf deinen Beinen, im Gesicht.«

»Warum?« Mit großen Augen sah Farid ihn an.

»Weil er uns unsichtbar machen wird«, antwortete Staubfinger, während er selbst sich den Ruß ins Gesicht rieb. »Bis die Sonne aufgeht.«




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