Neue Herren


Lächelnd scheidet der Despot,

Denn er weiß, nach seinem Tod

Wechselt Willkür nur die Hände,

Und die Knechtschaft hat kein Ende.

Heinrich Heine, König David


Der Speckfürst starb kaum einen Tag nachdem Meggie mit Fenoglio auf der Burg gewesen war. Er starb bei Morgengrauen, und drei Tage später ritten die Gepanzerten in Ombra ein. Meggie war mit Minerva auf dem Markt, als sie kamen. Violante hatte nach dem Tod ihres Schwiegervaters die Posten am Tor verdoppeln lassen, doch die Gepanzerten waren so zahlreich, dass die Wächter sie widerstandslos in die Stadt einziehen ließen. Der Pfeifer ritt an ihrer Spitze, die Silbernase wie einen Schnabel im Gesicht, so blank, als hätte der Pfeifer sie eigens für den Anlass poliert. Die engen Gassen hallten wider vom Schnauben der Pferde, und auf dem Marktplatz wurde es still, als die Reiter zwischen den Häusern auftauchten. Das Geschrei der Händler, die Stimmen der Frauen, die sich um die Stände drängten, alles verstummte, als der Pfeifer sein Pferd zügelte und das Gedränge missbilligend musterte.

»Macht Platz!«, rief er. Seine Stimme klang seltsam gepresst, doch wie sollte sie auch anders klingen bei einem Mann, der keine Nase hatte? »Platz für den Abgesandten des Natternkopfes. Wir sind hier, um eurem toten Fürsten die letzte Ehre zu erweisen und seinen Enkel als seinen Nachfolger hochleben zu lassen.«

Das Schweigen hielt an, doch dann erhob sich eine einzelne Stimme: »Donnerstag ist Markttag in Ombra, so war es immer, aber wenn die Hohen Herren absteigen, dann wird es schon gehen!«

Der Pfeifer suchte den Sprecher unter den Gesichtern, die zu ihm heraufstarrten, doch die Menge verbarg ihn. Und auf dem Marktplatz erhob sich zustimmendes Gemurmel.

»Ach, so ist das!«, rief der Pfeifer in das Stimmengewirr. »Ihr glaubt, dass wir quer durch den verfluchten Wald geritten sind, nur um hier von den Pferden zu steigen und uns durch eine Herde stinkender Bauern zu drängen. Kaum ist die Katze tot, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Aber ich habe Neuigkeiten für euch. Es ist wieder eine Katze in eurer jämmerlichen Stadt, und sie hat schärfere Krallen als die alte!«

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich im Sattel um, hob die schwarz behandschuhte Hand - und gab seinen Reitern ein Zeichen. Dann trieb er sein Pferd in die Menge.

Die Stille, die sich so bleiern über den Markt gelegt hatte, zerriss wie ein Tuch, und Geschrei erhob sich zwischen den Häusern. Immer mehr Reiter quollen zwischen den Häusern hervor, gepanzert wie eiserne Echsen, die Helme so tief im Gesicht, dass man nur Münder sah und Augen zwischen Nasenschutz und Helmrand. Sporen klirrten, Beinschienen, Brustpanzer, so blank gewienert, dass sich die entsetzten Gesichter darin spiegelten. Minerva stieß ihre Kinder aus dem Weg, Despina stolperte und Meggie wollte ihr helfen, doch sie fiel über ein paar Kohlköpfe und schlug hin. Ein fremder Mann riss sie hoch, bevor der Pfeifer sie niederritt. Meggie hörte sein Pferd über sich schnauben, spürte, wie seine glänzenden Sporen ihr die Schulter streiften. Hinter dem umgestürzten Stand eines Töpfers fand sie Schutz, auch wenn sie sich die Hände an den Scherben aufschnitt. Zitternd hockte sie da, zwischen zerschlagenem Geschirr, geborstenen Fässern und aufgeplatzten Säcken, sah hilflos zu, wie andere weniger Glück hatten und zwischen die Hufe gerieten. So manchem gaben die Reiter einen Stoß mit dem Knie oder dem Schaft ihrer Lanzen. Pferde scheuten, bäumten sich auf und zerschlugen Krüge und Köpfe.

Dann, ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, waren sie fort. Nur den Hufschlag ihrer Pferde hörte man noch, als sie die Gasse zur Burg hinaufpreschten. Und der Marktplatz blieb zurück, als wäre der Wind hindurchgefahren, ein böser Wind, der Krüge ebenso wie Menschenknochen zerbrach. Die Luft roch nach Angst, als Meggie zwischen den Fässern hervorkroch. Bauern sammelten ihr zertrampeltes Gemüse auf, Mütter wischten ihren Kindern die Tränen vom Gesicht und das Blut von den Knien, Frauen standen vor den Scherben des Geschirrs, das sie hatten verkaufen wollen - und wieder war es still auf dem Markt. So still. Die Stimmen, die die Reiter verfluchten, fluchten leise. Selbst das Weinen blieb leise, das Weinen und Stöhnen. Minerva kam besorgt auf Meggie zu, Despina und Ivo schluchzend an ihrer Seite.

»Ja. Ich schätze, wir haben einen neuen Herrn«, sagte sie bitter, während sie Meggie auf die Füße half. »Kannst du die Kinder nach Hause bringen? Ich werd hier bleiben und sehen, wo ich helfen kann. Bestimmt hat es so manchen gebrochenen Knochen gegeben, aber zum Glück sind immer ein paar Bader auf dem Markt.«

Meggie nickte nur. Sie wusste nicht, was sie fühlte. Angst? Zorn? Verzweiflung? Es schien kein Wort zu geben, das den Zustand ihres Herzens beschrieb. Wortlos nahm sie Despina und Ivo bei der Hand und machte sich mit ihnen auf den Heimweg. Ihre Knie schmerzten und sie humpelte, aber trotzdem hastete sie die Gassen so schnell entlang, dass die Kinder kaum Schritt halten konnten.

»Jetzt!« Nur das eine Wort stieß sie hervor, als sie in Fenoglios Kammer hinkte. »Lass mich jetzt lesen. Jetzt sofort.« Ihre Stimme bebte, und sie musste sich an die kahle Wand lehnen, weil ihre schmerzenden Knie zitterten. Alles an ihr und in ihr zitterte.

»Was ist passiert?« Fenoglio saß an seinem Pult. Das Pergament, das vor ihm lag, war dicht beschrieben. Neben ihm stand Rosenquarz, mit einer tropfenden Feder in der Hand, und blickte Meggie entgeistert an.

»Wir müssen es jetzt tun!«, rief sie. »Jetzt! Sie sind mitten hineingeritten, in die Menschen hinein!«

»Ah, die Gepanzerten sind schon da. Nun, ich hatte dir gesagt, dass wir uns beeilen müssen. Wer war der Anführer? Der Brandfuchs?«

»Nein, es war der Pfeifer.« Meggie ging auf das Bett zu und setzte sich. Plötzlich war nur noch die Angst da - als kniete sie wieder zwischen den zerschlagenen Ständen, als wäre ihrem Zorn die Luft ausgegangen. »Es sind so viele!«, flüsterte sie. »Es ist zu spät! Was soll Cosimo gegen die ausrichten?«

»Nun, das lass meine Sorge sein!« Fenoglio nahm dem Glasmann die Feder aus der Hand und begann erneut zu schreiben. »Auch der Speckfürst hat viele Soldaten, und sie werden Cosimo folgen, wenn er erst mal wieder da ist. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn du ihn hergelesen hättest, als sein Vater noch lebte. Der Speckfürst hat es etwas zu eilig gehabt mit dem Sterben, aber das ist nun nicht mehr zu ändern! Anderes schon.« Mit gekrauster Stirn las er, was er geschrieben hatte, strich noch ein Wort aus, fügte ein anderes hinzu - und winkte dem Glasmann. »Sand, Rosenquarz, nun mach schon!«

Meggie zog das Kleid hoch und betrachtete ihre zerschlagenen Knie. Das eine schwoll schon an. »Aber bist du sicher, dass es mit Cosimo wirklich besser wird?«, fragte sie leise. »Das, was die Hässliche über ihn erzählt hat, klang nicht danach.«

»Aber natürlich, alles wird besser werden! Was ist das für eine Frage? Cosimo ist einer von den Guten: Er war immer einer von den Guten, egal, was Violante erzählt. Außerdem wirst du ja eine neue Version von ihm herbeilesen. Eine verbesserte Version sozusagen.«

»Aber. warum muss überhaupt ein neuer Fürst her?« Meggie fuhr sich mit dem Ärmel über die verweinten Augen. Sie hatte immer noch das Klirren der Rüstungen im Ohr, das Schnauben und Wiehern und die Schreie - die Schreie der Menschen, die keine Panzer trugen.

»Was kann es Besseres geben als einen Fürsten, der tut, was wir wollen?« Fenoglio nahm ein weiteres Blatt Pergament. »Nur ein paar Zeilen noch«, murmelte er. »Es fehlt nicht mehr viel. Oh, verflucht, ich hasse es, auf Pergament zu schreiben. Ich hoffe, du hast neues Papier bestellt, Rosenquarz?«

»Allerdings, schon vor langer Zeit«, entgegnete der Glasmann pikiert. »Aber es hat lange schon keine Lieferung mehr gegeben, schließlich liegt die Papiermühle auf der anderen Seite des Waldes.«

»Ja, ja, leider.« Fenoglio rümpfte die Nase. »Sehr unpraktisch. Fürwahr!«

»Fenoglio, hör mir endlich zu! Warum lesen wir statt Co-simo nicht diesen Räuber her?« Meggie zog sich das Kleid wieder über die Knie. »Du weißt schon, den Räuber aus deinen Liedern! Den Eichelhäher.«

Fenoglio lachte auf. »Den Eichelhäher? Du meine Güte! Da möchte ich dein Gesicht sehen, aber - Spaß beiseite. Nein! Nein, nein! Ein Räuber eignet sich doch nicht zum Regieren, Meggie! Robin Hood ist auch nicht König geworden! Sie sind gut, um Unruhe zu stiften, zu mehr nicht. Nicht mal den Schwarzen Prinzen könnte ich auf den Thron des Speckfürsten setzen. Diese Welt wird von Fürsten regiert, nicht von Räubern, Gauklern oder Bauern. So hab ich es nun mal eingerichtet. Wir brauchen einen Fürsten, glaub mir.«

Rosenquarz spitzte eine neue Feder, tunkte sie in die Tinte - und Fenoglio begann erneut zu schreiben. »Ja!«, hörte Meggie ihn flüstern. »Ja, das wird ganz wunderbar klingen, wenn du es liest. Der Natternkopf wird sich wundern. Glaubt, er könnte sich in meiner Welt ausbreiten, wie es ihm gerade gefällt, aber da hat er sich geirrt. Er wird die Rolle spielen, die ich ihm zuweise, und keine andere!«

Meggie erhob sich vom Bett und hinkte ans Fenster. Es hatte wieder zu regnen begonnen, der Himmel weinte ebenso lautlos wie die Menschen auf dem Markt. Und oben auf der Burg hissten sie schon das Banner des Natternkopfes.

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