Der Schleierkauz



Und das soll ein jeglicher Arzt wissen, daß Gott ein groß arcanum in das Kraut gelegt hat, allein wegen der Geister und wirren Phantasien, die den Menschen in Verzweiflung bringen, und diese Hilfe geschieht nicht durch den Teufel, sondern von Natur aus.

Paracelsus, Medizinische Schriften


Das Meer. Meggie hatte es nicht mehr gesehen seit dem Tag, an dem sie von Capricorns Dorf zu Elinor gefahren waren, zusammen mit Feen und Kobolden, die nun Asche waren. »Hier lebt der Bader, von dem ich erzählt habe«, sagte Staubfinger, als die Bucht hinter den Bäumen auftauchte. Sie war so schön. Die Sonne ließ das Wasser schimmern wie grünes Glas, schäumendes Glas, das der Wind in immer neue Falten legte. Es war ein kräftiger Wind, er trieb Wolkenschleier über den blauen Himmel und roch nach Salz und fernen Inseln. Er hätte das Herz leicht gemacht, wäre da nicht in der Ferne der kahle Hügel gewesen, der sich über den bewaldeten Kuppen erhob, und auf ihm die Burg, grobschlächtig wie das Gesicht ihres Herrn, trotz der versilberten Dächer und Zinnen.

»Ja, das ist sie«, sagte Staubfinger, als er Meggies erschrockenen Blick bemerkte. »Die Nachtburg. Und den Hügel, auf dem sie steht, nennt man den Natternberg, wie sonst? Kahl wie der Kopf eines alten Mannes, damit niemand sich im Schutz der Bäume nähern kann. Aber keine Sorge, sie ist nicht ganz so nah, wie es erscheint.«

»Die Türme«, sagte Farid, »ist das wirklich alles echtes Silber?«

»O ja«, antwortete Staubfinger. »Aus dem Berg gegraben, aus diesem und aus anderen. Gebratene Vögel, junge Frauen, fruchtbares Land, und Silber - der Natternkopf hat auf vieles Appetit.«

Ein weiter sandiger Strand säumte die Bucht. Dort, wo er zu den Bäumen anstieg, erhoben sich eine lang gestreckte Mauer und ein Turm. Kein Mensch war am Strand zu entdecken, kein Boot lag auf dem blassen Sand, nur diese Gebäude - der flache Turm, lang gestreckte Ziegeldächer, kaum zu sehen hinter der Mauer. Ein Weg wand sich darauf zu, wie die Kriechspur einer Viper, aber Staubfinger führte sie im Schutz der Bäume zur Rückseite der Gebäude. Ungeduldig winkte er ihnen zu, bevor er im Schatten der Mauer verschwand. Das Holz der Pforte, vor der er auf sie wartete, war verwittert und die Glocke, die darüber hing, rostig vom Salzwind. Wilde Blumen wuchsen neben der Tür, verwelkte Blüten und braune Samenstände, an denen eine Fee naschte. Ihre Haut war heller als die ihrer Schwestern im Wald.

Alles schien so friedlich. Das Summen einer Wespe drang an Meggies Ohr und mischte sich in das Rauschen des Meeres, aber sie erinnerte sich zu gut daran, wie friedlich ihr die Mühle erschienen war. Staubfinger hatte es auch nicht vergessen. Lauschend stand er da, bevor er schließlich die Hand ausstreckte und an der Kette der rostigen Glocke zog. Sein Bein blutete wieder, Meggie sah, wie er die Hand darauf presste, aber auf dem Weg hierher hatte er sie trotzdem immer wieder zur Eile angetrieben. »Es gibt keinen besseren Bader«, hatte er nur gesagt, als Farid ihn gefragt hatte, wohin er sie führte, »und keinen, dem wir mehr trauen können. Außerdem ist es von dort nicht mehr weit zur Nachtburg, und da will Meggie doch wohl immer noch hin, oder?« Blätter hatte er ihnen zu essen gegeben, pelzig und bitter. »Runter damit!«, hatte er gesagt, als sie angeekelt die Gesichter verzogen hatten. »Dort, wo wir hingehen, könnt ihr nur bleiben, wenn ihr mindestens fünf davon im Magen habt.«

Die Holztür öffnete sich einen Spalt und eine Frau lugte hindurch. »Bei allen guten Geistern!«, hörte Meggie sie flüstern, dann öffnete die Pforte sich und eine Hand, schmal und runzlig, winkte sie herein.

Die Frau, die hastig wieder hinter ihnen zusperrte, war ebenso runzlig und dünn wie ihre Hand, und sie starrte Staubfinger an, als wäre er geradewegs vom Himmel gefallen. »Gestern! Gestern noch hat er es gesagt!«, stieß sie hervor. »>Du wirst sehen, Bella, er ist zurück, wer sonst soll die Mühle angesteckt haben? Wer sonst spricht mit dem Feuer?< Die ganze Nacht hat er kein Auge zugetan. Er hat sich Sorgen gemacht, aber es geht dir gut, oder? Was ist mit deinem Bein?«

Staubfinger legte den Finger an den Mund, doch Meggie sah, dass er lächelte. »Dem könnte es besser gehen«, sagte er leise. »Und du redest immer noch genauso schnell wie früher, Bella, aber könntest du uns jetzt zum Schleierkauz bringen?«

»Ja. Ja, natürlich!« Bella klang etwas gekränkt. »Vermutlich hast du den abscheulichen Marder dadrin?«, fragte sie mit einem misstrauischen Blick auf Staubfingers Rucksack. »Wehe, du lässt ihn heraus.«

»Natürlich nicht«, versicherte Staubfinger und warf Farid einen Blick zu, der ihm ganz offensichtlich riet, nichts von dem zweiten Marder zu sagen, der in seinem Rucksack schlief.

Die alte Frau winkte sie ohne ein weiteres Wort hinter sich her, einen dunklen, schmucklosen Säulengang hinunter. Sie ging mit kleinen hastigen Schritten, als wäre sie ein Eichhörnchen in einem langen, grob gewebten Kleid. »Es ist gut, dass du hintenherum gekommen bist«, sagte sie mit gesenkter Stimme, während sie ihre Gäste an einer Reihe verschlossener Türen vorbeiführte. »Ich fürchte, der Natternkopf hat selbst hier inzwischen seine Ohren, aber zum Glück bezahlt er seine Spitzel nicht so gut, dass sie in dem Flügel arbeiten wollen, in dem wir die Ansteckenden behandeln. Du hast den beiden doch hoffentlich genug von den Blättern gegeben?«

»Sicher!« Staubfinger nickte, aber Meggie sah, dass er sich unbehaglich umsah und unauffällig noch eins von den Blättern in den Mund schob, die er auch ihnen gegeben hatte. Nicht erst, als sie an den gebrechlichen Gestalten vorbeikamen, die auf dem Hof, um den der Säulengang herumführte, in der Sonne saßen, begriff Meggie, wohin Staubfinger sie gebracht hatte. Es war ein Siechenhaus. Farid presste sich erschrocken die Hand vor den Mund, als ihnen ein alter Mann entgegenkam, der so bleich war, als hätte der Tod ihn längst geholt, und sein zahnloses Lächeln erwiderte er nur mit einem entsetzten Nicken.

»Nun schau nicht so, als würdest du gleich tot umfallen!«, raunte Staubfinger ihm zu, obwohl auch er dreinblickte, als würde er sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut fühlen. »Deine Finger werden hier bestens versorgt und außerdem sind wir hier verhältnismäßig sicher, was man nicht von vielen Orten auf dieser Seite des Waldes sagen kann.«

»Ja, denn wenn der Natternkopf etwas fürchtet«, fügte Bella mit wissender Stimme hinzu, »dann sind es der Tod und all die Krankheiten, die zu ihm führen. Trotzdem solltet ihr euch so wenig wie möglich sehen lassen, weder bei den Kranken noch den Pflegern.

Wenn ich eins in meinem Leben gelernt habe, dann, dass man niemandem trauen kann. Den Schleierkauz natürlich ausgenommen!«

»Und was ist mit mir, Bella?«, fragte Staubfinger.

»Dir am allerwenigsten!«, antwortete sie nur - und blieb vor einer schlichten Holztür stehen. »Es ist wirklich schade, dass dein Gesicht so unverkennbar ist«, raunte sie Staubfinger zu. »Sonst hättest du den Kranken eine Vorstellung geben können. Nichts heilt besser als ein bisschen Freude.« Dann klopfte sie an die Tür und trat mit einem Nicken zur Seite.

Der Raum dahinter war dunkel, denn das einzige Fenster verschwand hinter Stapeln von Büchern. Es war ein Raum, wie Mo ihn geliebt hätte. Er mochte es, wenn Bücher so aussahen, als hätte sie jemand gerade erst aus der Hand gelegt. Ganz im Gegensatz zu Elinor fand er nichts dabei, wenn sie aufgeschlagen dalagen, wartend auf den nächsten Leser. Dem Schleierkauz schien es ebenso zu gehen. Er war kaum zu entdecken zwischen all den Stapeln - ein kleiner Mann mit kurzsichtigen Augen und breiten Händen. Wie ein Maulwurf kam er Meggie vor, nur dass sein Haar grau war.

»Hab ich es nicht gesagt?« Er stieß zwei Bücher von ihren Stapeln, als er auf Staubfinger zuhastete. »Er ist zurück, aber sie wollte es nicht glauben. Offenbar lassen die Weißen Frauen neuerdings immer mehr Tote ins Leben zurück!«

Die beiden Männer umarmten sich, dann trat der Schleierkauz einen Schritt zurück und nahm Staubfinger gründlich in Augenschein. Der Bader war schon ein alter Mann, älter als Fenoglio, aber seine Augen blickten so jung drein wie die von Farid. »Du siehst aus, als ginge es dir gut«, stellte er befriedigt fest. »Bis auf dein Bein. Was ist damit? Hast du dir das an der Mühle eingefangen? Gestern haben sie eine meiner Heilfrauen auf die Burg geholt, damit sie da oben zwei Männer versorgt, die das Feuer gebissen hat. Sie brachte eine seltsame Geschichte mit, über einen Hinterhalt und einen gehörnten Marder, der Feuer spuckt.«

Auf der Burg? Meggie machte unwillkürlich einen Schritt auf den Bader zu. »Hat sie auch die Gefangenen gesehen?«, fiel sie ihm ins Wort. »Sie müssen sie gerade erst dorthin gebracht haben, Spielleute, Männer und Frauen. Mein Vater und meine Mutter sind dabei.«

Der Schleierkauz blickte sie voll Mitgefühl an. »Bist du das Mädchen, von dem die Männer des Prinzen erzählt haben? Dein Vater - «

»- ist der Mann, den sie für den Eichelhäher halten«, vollendete Staubfinger den Satz. »Weißt du, wie es ihm und den anderen Gefangenen geht?«

Bevor der Schleierkauz antworten konnte, schob ein Mädchen den Kopf durch die Tür. Erschrocken starrte sie die Fremden an. An Meggie blieb ihr Blick so lange hängen, dass der Schleierkauz sich schließlich räusperte.

»Was gibt es, Carla?«, fragte er.

Das Mädchen biss sich nervös auf die blassen Lippen. »Ich soll fragen, ob wir noch Augentrost haben«, sagte sie mit eingeschüchterter Stimme.

»Sicher. Geh zu Bella, sie gibt dir welchen, doch jetzt lass uns allein.«

Das Mädchen verschwand mit einem hastigen Nicken, aber sie ließ die Tür offen stehen. Mit einem Seufzer verschloss der Schleierkauz sie und schob zusätzlich den Riegel vor. »Wo waren wir? Ach ja, die Gefangenen. Der Bader, der für die Kerker zuständig ist, kümmert sich um sie. Er ist ein furchtbarer Stümper, aber wer würde es auch sonst dort oben aushalten? Statt zu heilen begutachtet er Auspeitschungen und Prügelstrafen. Zu deinem Vater lassen sie ihn zum Glück nicht, und der Bader, der den Natternkopf versorgt, macht sich seine Finger nicht an einem Gefangenen schmutzig, also geht jeden Tag meine beste Heilerin auf die Burg, um nach ihm zu sehen.«

»Wie geht es meinem Vater?« Meggie versuchte, nicht wie ein kleines Mädchen zu klingen, das nur mühsam die Tränen zurückhielt, aber es gelang ihr nur halbwegs.

»Er hat eine schlimme Wunde, aber ich denke, das weißt du?«

Meggie nickte. Da waren sie wieder, die Tränen, liefen und liefen, als wollten sie ihr alles aus dem Herzen waschen, den Kummer, die Sehnsucht, die Angst. Farid schlang seinen Arm um ihre Schultern, aber er erinnerte sie damit nur noch mehr an Mo - an all die Jahre, die er sie beschützt und gehalten hatte. Und jetzt, wo es ihm schlecht ging, war sie nicht bei ihm.

»Er hat viel Blut verloren und ist noch schwach, aber es geht ihm recht gut, viel besser jedenfalls, als wir den Natternkopf glauben lassen.« Man hörte es dem Schleierkauz an, dass er oft mit Menschen reden musste, die Angst um jemanden hatten, den sie liebten. »Meine Heilerin hat ihm geraten, es niemand merken zu lassen, damit wir Zeit gewinnen. Also musst du dir im Moment wirklich keine Sorgen machen.«

Meggies Herz wurde leicht, so leicht. Es wird alles gut!, sagte etwas in ihr, zum ersten Mal, seit Staubfinger ihr Resas Zettel gegeben hatte. Alles wird gut. Verlegen wischte sie sich die Tränen vom Gesicht.

»Die Waffe, mit der dein Vater verwundet wurde - meine Heilerin sagt, es muss ein furchtbares Ding sein«, fuhr der Schleierkauz fort. »Hoffentlich ist es nicht irgendeine teuflische Erfindung, an der die Schmiede des Natternkopfes heimlich arbeiten!«

»Nein, diese Waffe stammte von einem ganz anderen Ort.« Von dort kommt nichts Gutes, sagte Staubfingers Gesicht, doch Meggie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was eine Flinte in dieser Welt anrichten konnte. Ihre Gedanken waren bei Mo.

»Mein Vater«, sagte sie zum Schleierkauz, »würde dieses Zimmer sehr mögen. Er liebt Bücher, und die Euren sind wirklich wunderschön. Vermutlich würde er Euch allerdings sagen, dass einige neu gebunden werden müssen und dass das da nicht mehr lange lebt, wenn Ihr nicht bald etwas gegen die Käfer unternehmt, die an ihm fressen.«

Der Schleierkauz nahm das Buch in die Hand, auf das sie gezeigt hatte, und strich über die Seiten, auf dieselbe Weise, auf die Mo es auch immer tat. »Der Eichelhäher liebt Bücher?«, fragte er. »Ungewöhnlich für einen Räuber.«

»Er ist kein Räuber«, sagte Meggie. »Er ist ein Arzt wie Ihr, nur dass er keine Menschen heilt, sondern Bücher.«

»Tatsächlich? Dann ist es also wahr, dass der Natternkopf den Falschen gefangen hat? Vermutlich stimmt dann auch nicht, was man sich noch über deinen Vater erzählt - dass er Capricorn getötet hat?«

»O doch, das ist wahr.« Staubfinger blickte aus dem Fenster, als läge Capricorns Festplatz davor. »Und alles, was er dazu brauchte, war seine Stimme. Du solltest dir irgendwann mal von ihm oder seiner Tochter vorlesen lassen. Glaub mir, danach wirst du deine Bücher mit ganz anderen Augen betrachten. Vermutlich wirst du sie mit Schlössern versehen.«

»Tatsächlich?« Der Schleierkauz musterte Meggie so interessiert, als würde er gern mehr über Capricorns Tod erfahren, doch es klopfte erneut. Diesmal war es eine Männerstimme, die durch die verriegelte Tür drang. »Meister, kommt Ihr? Wir haben alles vorbereitet, aber es ist besser, wenn Ihr schneidet.«

Meggie sah, wie Farid blass wurde.

»Ich komme gleich!«, sagte der Schleierkauz. »Geh schon vor.«

»Ich hoffe, dass ich deinen Vater eines Tages in diesem Raum begrüßen kann«, sagte er zu Meggie, während er zur Tür ging. »Denn du hast Recht: Meine Bücher könnten wahrlich einen Arzt gebrauchen. Hat der Schwarze Prinz irgendeinen Plan, was die Gefangenen betrifft?« Fragend sah er Staubfinger an.

»Nein. Nein, ich glaube nicht. Hast du irgendetwas über die anderen Gefangenen gehört? Meggies Mutter ist unter ihnen.« Es gab Meggie einen Stich, dass nicht sie, sondern Staubfinger nach Resa fragte.

»Nein, über die anderen weiß ich nichts«, antwortete der Schleierkauz. »Aber nun müsst ihr mich entschuldigen. Bella hat euch sicherlich schon gesagt, dass ihr euch besser nur in diesem Teil des Hauses aufhaltet. Der Natternkopf gibt immer mehr von seinem Silber für Spitzel aus. Kein Ort ist vor ihnen sicher, nicht einmal dieser.«

»Ich weiß.« Staubfinger griff nach einem der Bücher, die auf dem Tisch des Baders lagen. Es war ein Kräuterbuch. Meggie konnte sich vorstellen, wie Elinor es gemustert hätte -voller Begierde, es zu besitzen, und Mo wäre mit dem Finger über die gemalten Blätter gefahren, als könnte er auf die Art den Pinsel fühlen, der sie so fein auf das Papier gebannt hatte. Woran aber dachte Staubfinger? An die Kräuter auf Roxanes Feldern? »Glaub mir, ich wäre nicht hergekommen, wenn das bei der Mühle nicht passiert wäre«, sagte er. »Dies ist kein Ort, an den man die Gefahr bringen will, und wir werden noch

heute wieder verschwinden.«

Aber davon wollte der Schleierkauz nichts hören. »Ach was, ihr bleibt, bis dein Bein und die Finger des Jungen verheilt sind«, sagte er. »Du weißt genau, dass ich sehr froh bin, dass du gekommen bist. Und ich freue mich, dass der Junge bei dir ist. Er hat noch nie einen Schüler gehabt, weißt du?«, sagte er zu Farid. »Ich habe ihm immer gesagt, dass man seine Kunst weitergeben muss, aber er wollte nichts davon hören. Ich gebe meine an viele weiter, und deshalb muss ich euch jetzt auch verlassen. Ich muss einem Schüler zeigen, wie man einen Fuß abschneidet, ohne den Mann, der daran hängt, zu töten.«

Farid starrte ihn mit entgeistertem Gesicht an. »Abschneiden?«, flüsterte er. »Wieso abschneiden?« Aber der Schleierkauz hatte die Tür schon hinter sich zugezogen.

»Hab ich dir das nicht erzählt?«, sagte Staubfinger, während er sich über den verletzten Schenkel strich. »Der Schleierkauz ist ein erstklassiger Knochensäger. Aber ich denke, unsere Finger und Füße können wir behalten.«

Nachdem Bella Farids Brandblasen und Staubfingers Bein versorgt hatte, brachte sie alle drei in einer abgelegenen Kammer unter, gleich bei der Pforte, durch die sie gekommen waren. Meggie gefiel die Aussicht, wieder unter einem Dach zu schlafen, aber Farid behagte der Gedanke gar nicht. Mit unglücklichem Gesicht hockte er auf dem mit Lavendel bestreuten Boden und kaute hektisch eins der bitteren Blätter. »Können wir heute Nacht nicht am Strand schlafen? Der Sand ist bestimmt schön weich«, fragte er Staubfinger, als der sich auf einem der Strohsäcke ausstreckte. »Oder im Wald?«

»Ja, meinetwegen«, antwortete Staubfinger. »Aber jetzt lass mich schlafen. Und hör auf, dreinzublicken, als hätte ich dich zu Menschenfressern gebracht, sonst zeig ich dir morgen Nacht doch nicht, was ich dir versprochen habe.«

»Morgen?« Farid spuckte das Blatt in die Hand. »Wieso erst morgen?«

»Weil es zu windig ist«, sagte Staubfinger und kehrte ihm den Rücken zu, »und weil das verdammte Bein schmerzt. Brauchst du noch mehr Begründungen?«

Farid schüttelte zerknirscht den Kopf, schob sich das Blatt wieder in den Mund und starrte zur Tür, als würde im nächsten Moment der Tod höchstpersönlich hereinspazieren.

Meggie aber saß da, in der kahlen Kammer, und wiederholte sich immer wieder, was der Schleierkauz über Mo gesagt hatte: Es geht ihm recht gut, viel besser jedenfalls, als wir den Natternkopf glauben lassen... Also musst du dir im Moment wirklich keine Sorgen machen.

Als es draußen dämmerte, hinkte Staubfinger nach draußen. Er lehnte sich an eine Säule und sah zu dem Hügel hinüber, auf dem die Nachtburg stand. Reglos blickte er auf die silbernen Türme - und Meggie fragte sich bestimmt zum hundertsten Mal, ob er ihr nur ihrer Mutter wegen half. Vielleicht wusste Staubfinger die Antwort selbst nicht.

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