Arme Meggie



»Hallo«, ertönte eine sanfte, musikalische Stimme, und Leonardo blickte auf.

Vor ihm stand das schönste junge Mädchen, das er je gesehen hatte, ein Mädchen, das ihn vielleicht erschreckt hätte, wäre da nicht der traurige Ausdruck in ihren blauen Augen gewesen; mit Traurigkeit kannte er sich aus.

Eva Ibbotson, Das Geheimnis der siebten Hexe


Meggie sprach kein Wort. Sosehr Farid auch versuchte, sie aufzuheitern, sie saß nur da, zwischen den Bäumen, die Arme um die Beine geschlungen, und schwieg. Ja, sie hatten viele befreit, aber ihre Eltern waren nicht darunter.

Nicht einer von denen, die hatten fliehen können, war dabei verletzt worden. Nur eins der Kinder hatte sich den Fuß vertreten, aber es war so klein, dass die Erwachsenen es tragen konnten. Der Wald hatte sie alle so rasch verschluckt, dass die Männer des Natternkopfes schon nach wenigen Schritten nur noch Schatten jagten. Ein hohler Baum, in den Staubfinger die Kinder schob, ein Dickicht von Teufelszwirn und wilden Nesseln, unter das die Frauen krochen, während der Bär des Schwarzen Prinzen die Soldaten fern hielt. Die Männer waren in die Bäume geklettert, bis hoch hinauf zwischen die Blätter. Staubfinger und der Prinz versteckten sich als Letzte, nachdem sie die Soldaten in die Irre gelockt hatten, mal hierhin, mal dorthin.

Der Prinz riet den Befreiten nach Ombra zurückzukehren und sich vorerst den Spielleuten anzuschließen, die dort noch lagerten.

Er selbst hatte andere Pläne. Bevor er ging, sprach er noch mit Meggie, und danach blickte sie nicht mehr ganz so hoffnungslos drein.

»Er hat gesagt, er wird nicht zulassen, dass man meinen Vater hängt«, erzählte sie Farid. »Er sagt, er weiß, dass Mo nicht der Eichelhäher ist und dass er und seine Männer dem Natternkopf schon klar machen werden, dass er den Falschen gefangen hat.«

Sie blickte so hoffnungsvoll drein, als sie das sagte, dass Farid nur nickte und »Na, wunderbar!« murmelte - obwohl er bloß das eine dachte: dass der Natternkopf Zauberzunge trotzdem hinrichten würde.

»Was ist mit dem Spitzel, von dem der Pfeifer gesprochen hat?«, fragte er Staubfinger, als sie sich erneut auf den Weg machten. »Wird der Prinz ihn suchen?«

»Da wird er nicht lange suchen müssen«, antwortete Staubfinger nur. »Er muss bloß darauf warten, dass irgendein Spielmann plötzlich die Taschen voller Silber hat.«

Silber. Farid musste es zugeben: Er war neugierig auf die silbernen Türme der Nachtburg. Selbst die Zinnen waren angeblich versilbert. Aber sie würden einen anderen Weg dorthin wählen als der Brandfuchs. »Wir wissen, wo sie hinwollen«, erklärte Staubfinger ihnen. »Und es gibt sicherere Wege zur Nachtburg als die Straße.«

»Was ist mit der Mäuse-Mühle?«, fragte Meggie. »Der Mühle, von der du im Wald gesprochen hast? Gehen wir dort nicht zuerst hin?«

»Nicht unbedingt. Warum?«

Meggie schwieg. Offenbar wusste sie nur zu gut, dass die Antwort Staubfinger nicht gefallen würde. »Ich habe Wolkentänzer einen Brief für Fenoglio mitgegeben«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihn gebeten, etwas zu schreiben, etwas, das meine Eltern rettet, und dass er es zu der Mühle schicken soll.«

»Einen Brief?« Staubfingers Stimme klang so scharf, dass Farid unwillkürlich den Arm um Meggies Schultern legte. »Na, wunderbar! Was, wenn den die falschen Augen lesen?«

Farid zog den Kopf ein, aber Meggie nicht. Nein. Sie erwiderte Staubfingers Blick. »Niemand außer Fenoglio kann ihnen jetzt noch helfen«, sagte sie. »Und das weißt du. Du weißt es ganz genau.«



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