Korporal Teegan hatte sein Expeditionslager am Rande der mysteriösen, dschungelartigen Überwucherung aufgeschlagen, die scheinbar über Nacht aus dem Boden gesprossen war. Nun war die Reihe am alten Pete, Wache zu halten. Obwohl er normalerweise, nun ja, eigentlich beinahe stündlich, einen Krug Bier zu schätzen wusste, war der weißbärtige Zwerg doch schlau genug, seine Aufgabe ernst zu nehmen. Seit Anbruch der Nacht hatte er keinen Tropfen mehr getrunken, und jetzt näherte sich bereits die Morgendämmerung.
Er streichelte seine Donnerbüchse – die er liebte, obwohl sie in letzter Zeit ein wenig unberechenbar geworden war (hämische Zungen hätten vermutlich behauptet, dass der alte Pete unberechenbar war, nicht sein Gewehr) – und seufzte. Bald wäre seine Schicht vorbei, und dann könnte er endlich diesen Kirschgrog anstechen, den er sich aufgespart hatte …
Irgendetwas raschelte im Unterholz. Der alte Zwerg stand auf, schneller als es ihm die meisten Leute wohl zugetraut hätten. Da draußen gab es alle möglichen Arten von Tieren, die ihn angreifen konnten. Raptoren, Ebenenschreiter oder diese großen, hässlichen Blumen- oder Moosdinger …
Eine Frau, in einen Überrock gekleidet, auf dem ein goldener Anker zu sehen war, stolperte aus den Büschen, starrte ihn einen Moment an und brach zusammen. Pete konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie auf dem Boden landete.
„Teegan!“, röhrte er. „Wir haben ein Problem!“
Ein paar Sekunden später bemühte sich eine der Wachen bereits, die Wunden der jungen Späherin zu verbinden. Aber es war offensichtlich, dass es das kleine Fräulein nicht schaffen würde, wie Pete traurig erkannte. Ihre Hände griffen wild um sich, und als sich Hannah Brückwasser über sie beugte, packte die Späherin ihren Arm.
„H-horde“, ächzte sie. „T-tauren. Haben das Tor geöffnet. Ziehen nach Westen. Ich glaube … zur Nordwacht …“
Ihre Augen klappten zu, und ihr Kopf mit dem schwarzen, vor Blut ganz matten Haar sank schlaff nach hinten gegen Petes breite Brust. Betreten tätschelte er ihre Schulter.
„Hast deine Nachricht überbracht, Kleines“, sagte er. „Gut gemacht. Jetzt ruh dich aus, ja.“
Teegan, der nach Petes Ruf herbeigeeilt war, warf ihm einen wütenden Blick zu. „Sie ist tot, du Idiot.“
Mit sanfter Stimme meinte Pete: „Ich weiß, Freund. Ich weiß ja.“
Zwei Minuten später rannte die Schnellste von ihnen, Hannah, los, so rasch ihre langen, starken Beine sie trugen, nach Osten zur Nordwacht, und sie betete zum Licht, sie möge doch noch rechtzeitig dort ankommen.
Admiral Tarlen Aubrey erwachte, wie gewöhnlich, noch bevor es hell wurde. Er stand ohne Umschweife auf, streifte seine Kleider über und rasierte sich. Als er dabei seine eigenen Augen im Spiegel sah, fielen ihm die dunklen Ringe darunter auf, und er zog die Brauen zusammen, während er behutsam den Bart stutzte, das einzige physische Zugeständnis an die Eitelkeit, das er sich gestattete. In den letzten Tagen schien sich der Donnerschreiclan – oder was noch davon übrig war – neu zu formiert zu haben. Es war zu mehreren Scharmützeln gekommen, und wie ihm mitgeteilt worden war, hatten einige der Orcs dabei Beleidigungen gebrüllt in der Art von „Die Allianz wird bekommen, was sie verdient hat“. Andere hatten trotzige Kommentare abgegeben, während sie starben, etwa, dass ihr Tod gerächt werden würde.
Doch das war nichts allzu Außergewöhnliches. Nach Aubreys Erfahrung gab es fast keinen Orc, der nicht zuversichtlich und überheblich war, erst recht nicht beim Donnerschreiclan. Doch er wäre nicht zu seiner gegenwärtigen Position aufgestiegen, würde er solche möglichen Gefahren nicht ernst nehmen. Dass sich die Donnerschreiorcs nach ihrer Niederlage wieder gesammelt hatten, war merkwürdig, und er wollte herausfinden, was es damit auf sich hatte. Darum hatte er Spione ausgesandt, die überprüfen sollten, ob sich die Horde tatsächlich auf einen Krieg vorbereitete, vor allem aber, ob sie vorhatte, gegen die Nordwacht zu ziehen. Bislang hatte keiner von ihnen Bericht erstattet; es war noch zu früh.
Nachdem Aubrey gefrühstückt hatte – eine Banane und eine Tasse starken Tees –, war es Zeit für seinen gewohnheitsmäßigen Rundgang. Er nickte Signaloffizier Nathan Blaine zu, der trotz der frühen Stunde zackig salutierte, dann blickten die beiden Männer gemeinsam auf das Meer hinaus. Die Morgenröte zeigte ihre ganze Pracht und tauchte den Ozean und den Hafen in mehrere Schattierungen von Rosa, Scharlach- und Karmesinrot, während die Wolken, die darüber schwebten, hier und da mit einem schwachen, goldenen Rand versehen waren.
„Roter Himmel am Morgen, Seemänner, macht euch Sorgen“, brummte Aubrey nachdenklich, dann nippte er an seinem Tee.
„Roter Himmel am Abend, Matrosen, glücklich und labend“, beendete Blaine das Sprichwort. „Aber wir sind nicht auf See, Sir.“ Er warf dem Admiral ein schiefes, nichtsdestotrotz aber respektvolles Grinsen zu.
„Wohl wahr“, meinte Aubrey, „aber wir werden immer Seemänner sein. Halt die Augen offen, Nathan!“ Seine eigenen Augen wurden ein wenig schmaler. „Da ist etwas …“
Er schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf, dann wandte er sich um und stieg rasch zum Fuß des Turms hinunter, ohne den Satz zu beenden.
„Er ist ein wenig abergläubisch, nicht?“, sagte eine Zwergenwache zu Blaine.
„Vielleicht“, entgegnete Nathan, bevor er sich wieder zur Bucht herumdrehte. „Aber ich möchte wetten, du trittst auch noch immer mit dem rechten Fuß zuerst aufs Deck, wenn du auf ein Schiff steigst, oder?“
„Ähm“, machte der Zwerg, und seine Wangen röteten sich ein wenig. „Aye. Man muss das Pech ja schließlich nicht herausfordern, nicht wahr?“
Nathan grinste.
Es war ein Meer aus Grün und Braun, das sich in beständigem Tempo auf der Goldstraße durch das nördliche Brachland schob, Ratschet entgegen. Die meisten der Orcs waren zu Fuß, aber eine kleine Elite, darunter auch die Kor’kron, Malkorok und der Kriegshäuptling selbst, ritten auf Wölfen. Einige andere saßen auf dem Rücken von Kodos, von wo aus sie die Trommeln des Krieges schlugen, die die Erde mit ihrem Donnern zum Vibrieren brachten.
Die Nachricht, dass die Horde in den Krieg zog, war ihnen natürlich vorausgeeilt, und in jedem Dorf, das sie passierten, warteten mehr Leute, um sich dem Marsch auf die Nordwacht anzuschließen. Doch auch, wer nicht aktiv am Kampfgeschehen teilnehmen konnte – und derer gab es wenige; ein paar, die zu alt oder noch zu jung waren und die Mütter von Säuglingen –, eilte herbei, um Garrosh zuzujubeln. Niemand stellte infrage, dass er siegreich sein würde.
Der Kriegshäuptling, hoch aufgerichtet und stolz auf seinem schwarzen, muskulösen Wolf, dankte ihnen diesen Jubel, indem er Blutschrei in die Höhe reckte. Aber er stieg nur selten von seinem Reittier. Aufgrund seiner gemächlichen Geschwindigkeit war der Heerzug schon aus der Ferne zu sehen, und die neu hinzukommenden Krieger, Magier, Heiler und Schamanen konnten sich diesem Strom der Horde anschließen, ohne dass die Kolonne langsamer werden musste. Als sie das Wegekreuz hinter sich gelassen hatten, wo ihre Zahl weiter angestiegen war, lenkte Malkorok sein Reittier neben Garrosh. Er schlug sich zum Gruß gegen die Brust, und der Häuptling nickte bestätigend.
„Irgendwelche Neuigkeiten?“, fragte er.
„Scheint, als wäre Baine uns gegenüber wirklich loyal, zumindest für den Augenblick“, teilte ihm Malkorok mit. „Er und die Trolle haben die Späher der Allianz am Großen Tor niedergemetzelt und marschieren nun nach Osten zur Nordwacht, genau so, wie sie es versprochen haben.“
Garrosh drehte den Kopf zu dem Schwarzfelsorc herum. „Deine Wachsamkeit ist bewundernswert, Malkorok“, sagte er. „Sicher erkennst du nun, dass ich Baine in der Hand habe. Er ist seinem Volk verpflichtet und würde nie seine Sicherheit aufs Spiel setzen. Ich habe keine derartigen Skrupel, wenn es um die Tauren geht, und das weiß er. Sein Beschützerinstinkt ihnen gegenüber ist gleichermaßen bewundernswert und verachtungswürdig. Und“, fügte er hinzu, „nützlich ist er auch.“
„Trotzdem … hat er offen das Wort gegen Euch erhoben“, grollte Malkorok.
„Ja“, erwiderte Garrosh. „Aber wenn er gebraucht wird, nimmt er seine Pflicht wahr. Genau wie Vol’jin, Lor’themar und Sylvanas.“
„Und Gallywix.“
Garrosh verzog das Gesicht. „Er ist nur auf Profite aus und geht dabei so feinsinnig wie ein wild gewordener Kodo vor. Solange er in der Horde seine Tasche füllen kann, ist er auch loyal.“
„Wären doch nur alle unsere Verbündeten so berechenbar.“
„Lass Baine fürs Erste gewähren“, sagte Garrosh.
„Aber ist das nicht die Aufgabe, die Ihr mir gestellt habt, großer Kriegshäuptling?“, erwiderte Malkorok. „Diejenigen aufzuspüren, die sich Eurer Führung widersetzen und sich dadurch zu Verrätern an der Sache der glorreichen Horde machen?“
„Aber wenn wir all unsere Verbündeten verdächtigen, werden sie ihr Vertrauen verlieren“, beharrte Garrosh. „Nein, Malkorok. Jetzt ist es an der Zeit, gegen die Allianz zu kämpfen, nicht gegeneinander. Oh, und was für ein Kampf das zu werden verspricht!“
„Und falls Baine oder Vol’jin oder andere ein Komplott gegen Euch schmieden?“
„Sollte es handfestere Beweise geben als im Zorn gesprochene Worte, dann hast du natürlich wie immer freie Hand – ein Privileg, das du bereits ausgenutzt hast, wie ich wohl weiß.“
Malkoroks Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das ebenso bösartig wie hässlich wirkte.
Die Schiffe – beladen mit Verlassenen, Blutelfen und Goblins – waren früher als geplant in Ratschet eingelaufen, und als er sie sah, konnte Garrosh seine Aufregung nur mit Mühe verbergen. Der Hafen der Stadt quoll geradezu über vor ihnen, und die brennende Vorfreude des Orcs auf das Blutbad, das nun ohne jeden Zweifel bevorstand, wurde nur durch den Gedanken getrübt, dass es einige Zeit dauern würde, all die Truppen und Vorräte, nach denen er verlangt hatte, an Land zu bringen. Doch auch dies gehörte zum Leben eines Kriegshäuptlings, und wenngleich er diese Aufgaben eher lästig fand, konnte er doch nichts daran ändern.
Trotz des hektischen Treibens am Hafen blieb auch die Ankunft der Orcs nicht unbemerkt, und schon bald erklangen Jubelschreie. Garrosh winkte und stieg von seinem Reittier, als sich drei Gestalten auf ihn zuschoben. Eine von ihnen erkannte er – es war der korpulente und aalglatte Handelsprinz Gallywix. Den anderen, einer Blutelfin und einem Verlassenen, war er jedoch noch nicht begegnet, und als er sie sah, runzelte er die Stirn.
„Kriegshäuptling Garrosh!“, rief Gallywix begeistert aus, und mit hell leuchtenden Schweinsäuglein streckte er die Arme zum Gruß aus. Bei den Vorfahren!, dachte Garrosh, begleitet von einem stechenden Gefühl der Abscheu, wollte dieser Goblin ihn etwa umarmen?
Er beschloss, ihm gar nicht erst die Gelegenheit dazu zu geben, und wandte sich der Blutelfin zu. Sie hatte goldenes Haar, blasse Haut und steckte in einer hellen, glänzenden Rüstung, die sie als Paladin ihres Volkes auszeichnete. „Wo ist Lor’themar?“, fragte Garrosh ohne Umschweife.
Ihre vollen Lippen pressten sich verärgert zusammen, doch als sie antwortete, erklang ihre Stimme ruhig und angenehm. „Er hat mich geschickt, die Blutelftruppen zu führen. Mein Name ist Kelantir Blutklinge. Ich habe mit Lady Liadrin trainiert und diene unter Waldläufergeneral Halduron Wolkenglanz.“
„Doch weder sie ist hier noch er“, brummte Malkorok, während er sich schützend näher an Garrosh heranschob. „Stattdessen haben wir hier diesen kleinen, drittklassigen Welpen.“
Kelantir wandte sich beherrscht zu dem Schwarzfelsorc um. „Ich habe zwei Schiffe voller Blutelfen, die alle bereit und willens sind, für die Horde zu kämpfen und zu sterben“, erklärte sie. „Es sei denn, ihr habt schon so viele Soldaten und Vorräte, dass unser bescheidener Beitrag nicht nötig ist.“
Garrosh hatte noch nie sonderlich viel für Blutelfen übrig gehabt, und diese Frau bereitete ihm eine Gänsehaut. „Du sollst heute noch Gelegenheit bekommen, den Wert deiner Leute im Kampf zu beweisen“, sagte er. „Gib nur acht, dass du diese Chance nicht vertust.“
„Meine Leute sind mit Krieg, Schlachten und Opfern durchaus vertraut, Kriegshäuptling Garrosh“, schnappte Kelantir. „Ihr werdet nicht von uns enttäuscht sein.“ Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte zum Hafen zurück, wobei ihre Kettenrüstung – ein Wunder, dass sie nicht unter dem Gewicht zusammenbricht, so winzig und dürr, wie sie ist, dachte sich Garrosh – bei jedem Schritt leise klimperte.
„Kriegshäuptling …“, warf einmal mehr Gallywix ein, doch Malkorok brachte den redseligen Goblin mit einem einzigen Blick zum Schweigen, sodass Garrosh seine Aufmerksamkeit dem Verlassenen zuwenden konnte. Der Klinge nach zu schließen, die an seiner knochigen Hüfte in der Scheide steckte, handelte es sich bei ihm um eine Art Krieger, und er hatte sich so tief verbeugt, dass es beinahe schon unterwürfig wirkte; ein krasser Gegensatz zu der Überheblichkeit, die die Blutelfin an den Tag gelegt hatte. Er hatte kein Haar – offenbar war es bereits verrottet –, und seine Haut war von der blassgrünen Farbe des Verfalls.
„Hauptmann Frandis Farley, mein Herr“, erklärte er mit schnarrender, tiefer Stimme. „Im Namen von Sylvanas Windläufer befehle ich über die Einheiten der Verlassenen. Wir sind hier, der Horde und Euch zu dienen.“ Sein Kiefer bewegte sich normal, solange er die Worte formte, danach aber klappte er herunter, als wäre sein Mund in ewiger Überraschung aufgerissen.
„Und wo ist deine dunkle Fürstin?“, wollte Garrosh wissen.
Farley hob die Hand, während seine Augen in einem gelben Schein glänzten. „Nun“, begann er in überraschtem Tonfall, „sie ist natürlich bei der Reserve, bereit, das Kommando über unsere Truppen zu übernehmen, wenn wir nach Eurem unausweichlichen Sieg an der Nordwacht gegen Theramore marschieren.“
Die Antwort war dreist, aber raffiniert, und Garrosh warf lachend den Kopf in den Nacken. „Vielleicht sollten wir dich vorschicken. Ich bin sicher, Lady Jaina würde kampflos die Waffen strecken, nachdem du mit ihr gesprochen hast.“
„Mein Kriegshäuptling schmeichelt mir. Außerdem würde das die Horde um einen wohlverdienten Sieg bringen, nicht wahr?“
„Falls du heute mit dem Schwert ebenso geschickt bist wie mit der Zunge, wird dein Kriegshäuptling mit dir zufrieden sein.“
„Ich werde mein Bestes geben.“ Eine eitrige Flüssigkeit hatte sich im Mundwinkel des schlaff herabhängenden Kiefers gesammelt und tropfte nun auf die hart gebackene Erde hinab. „Mit Eurer Erlaubnis werde ich mich nun wieder um das Verladen der Fracht kümmern, die meine Herrin geschickt hat.“
Nach diesem Gespräch fühlte sich Garrosh etwas aufgeheitert, aber er war noch immer wütend, dass sowohl Sylvanas als auch Lor’themar Untergebene geschickt hatten, anstatt selbst nach Ratschet zu kommen. Nun hatte er außerdem keine andere Wahl mehr, als sich Gallywix zuzuwenden. Der Goblin hatte die Maske der zuvorkommenden Hilfsbereitschaft fallen lassen und kaute säuerlich auf seiner Zigarre herum. Der Zylinder rutschte ihm bei jedem Biss tiefer in die niedrige Stirn.
„Du, Handelsprinz, scheinst der Einzige zu sein, der nach Ratschet gekommen ist, um seine Krieger selbst in die Schlacht zu führen. Das werde ich nicht vergessen.“
Sofort war die Maske wieder aufgesetzt. „Nun, streng genommen führe ich sie nicht in die Schlacht. Ich habe sie auf der Reise hierher überwacht und sorge dafür, dass sie richtig ausgerüstet sind. Außerdem kümmere ich mich darum, dass die Vorräte, die Ihr verlangt habt, von Bord gebracht werden, falls Ihr versteht …“
Garrosh klopfte Gallywix auf die Schulter, ohne ihm zuzuhören, und ging dann zum Hafen hinunter, wo er sich ein genaueres Bild von den Schiffen und ihrer Ladung machen wollte.
Auf den ersten Blick erschien diese wie eine seltsame Wahl, denn außer den warmen Leibern, die in der bevorstehenden Schlacht angestrengt kämpfen würden, beherbergten die Schiffe keine Schwerter, Bögen oder Rüstungen, sondern sorgfältig gestapelte und mit Seilen ordentlich festgezurrte Holzplanken und Karren mit Felsbrocken.
Doch Garrosh nickte zufrieden. Er seufzte und drängte seine Ungeduld zurück, dann bedeutete er einigen der größeren, kräftigeren Orcs, den schlanken Blutelfen und den Verlassenen, die nur aus Haut und Knochen bestanden – in einigen Fällen sogar wortwörtlich –, beim Entladen dieser Fracht zu helfen.
Bald, vielleicht schon in ein paar Stunden, würde die Feste Nordwacht fallen.
Schließlich war es das Schicksal der Horde, diesen Krieg zu gewinnen.
Als Hannah Brückwässer von einem der Soldaten der Nordwacht aufgehalten wurde, der an der westlichen Straße patrouillierte, waren ihre Kleider von ihrem eigenen Schweiß durchnässt, und ihre Beine zitterten vor Erschöpfung. Ihre Nachricht wurde sofort an Admiral Aubrey weitergeleitet, und er fluchte mit einem einzelnen harschen Wort, bevor er sich wieder fasste. An den Soldaten gerichtet, der ihm die Botschaft überbracht hatte, sagte er: „Gib allen Bescheid. Sie sollen sich auf eine Schlacht vorbereiten. Die Tauren und die Trolle nähern sich aus dem Westen. Verstärkt die Verteidigungsanlagen auf dieser Seite und …“
„Sir!“, keuchte Blaine. Er stand neben Aubrey, die Augen auf den Signalgeber gerichtet, der unten am Hafen wie wild mit seinen Flaggen wedelte. „Schiffe der Horde segeln von Ratschet aus hierher – sechs Stück! Voll bewaffnete Kriegsschiffe!“
„Sechs!“
„Aye, Sir.“ Blaine streckte den Hals, um weitere Mitteilungen abzuwarten, dann sagte er: „Sie scheinen die Zeichen von … Goblins, den Verlassenen und Blutelfen zu tragen!“
Aubrey antwortete nicht. Erst Trolle und Tauren, und nun die Verlassenen, die Sin’dorei und die Goblins. Fehlten nur noch …
„Orcs“, schnappte er. „Sag Dockmeister Lewis, er soll ein paar Späher nach Ratschet schicken. Sie werden sich am Donnerschreiclan vorbeischleichen müssen, aber daran sollten sie inzwischen ja gewöhnt sein.“ Sofort, als er das Wort „Tauren“ gehört hatte, hätte ihm klar sein müssen, dass sie nicht allein kommen würden. Die Tauren hätten niemals einen Angriff forciert, nicht, nachdem der verstorbene General Hawthorne dafür gesorgt hatte, dass die Zivilisten von Camp Taurajo unbehelligt abziehen durften. Das war nicht ihr Stil.
Er hätte wissen sollen, dass die eigentliche Bedrohung aus dem Norden kam. Aus Orgrimmar.
Was die Kriegsschiffe mit den anderen Rassen der Horde betraf … „Sag den Kanonieren Whessan und Smythe, sie haben Feuererlaubnis, sobald diese Schiffe in Reichweite kommen. Wir werden nicht zulassen, dass ihre Truppen hier landen.“
„Aye, Sir.“
Aubreys Gedanken rasten. Welche Strategie verfolgten die Orcs? Die Tauren und Trolle würden sich auf dem Land nähern, ja, und die anderen Rassen auf dem Seeweg – ja. Doch es war ausgeschlossen, dass Hunderte von Orcs in einem geballten Sturm aus dem Norden gezielt gegen die Feste Nordwacht losschlugen. Die Donnerschreiorcs waren ihm ein lästiges Übel, gewiss, aber sie hatten noch bei keinem ihrer Angriffe genügend Krieger mobilisieren können. Ihre Stützpunkte waren kaum mehr als kleine, vorstechende Inseln zwischen der Feste und Ratschet. Wie könnte eine Armee von …
Er spürte das Geräusch, bevor er es hörte. Es war kein Kanonenfeuer; beim Licht, dieses Geräusch hatten sie während der letzten Monate nur zu oft gehört. Dies hier war anders … ein tiefes Beben in der Erde. Eine Sekunde lang glaubten Aubrey und mit ihm die meisten der anderen, deren Nerven nach dem Kataklysmus noch immer blank lagen, dass es ein weiteres Erdbeben wäre. Doch es kam zu gleichmäßig, zu … rhythmisch …
Trommeln. Kriegstrommeln.
Er griff nach dem Fernrohr, das von seiner Hüfte hing, hastete zur Mauer des Turms hinüber und blickte nach Norden. Bislang hatten sie immer nur versprengte Donnerschreiorcs gesehen, die am Fuße der Festung herumschlichen und manchmal auch die Soldaten der Nordwacht in leichtsinnigen Überfällen attackierten, für gewöhnlich mit einem für die Angreifer tödlichen Ausgang. Jetzt war nichts von ihnen zu sehen.
„Warte noch mit den Befehlen für die Späher!“, rief er Blaine zu. „Der Donnerschreiclan ist wieder da, weil er sich den anderen Orcs angeschlossen hat. Sie werden …“
Die Worte erstarben ihm in der Kehle. Jetzt konnte er sie sehen, auf der Kuppe des Hügels: eine gewaltige Welle von Orcs, deren Kleidung von den einfachen Stoffroben der Schamanen und Hexenmeister über willkürlich zusammengewürfelte Lederstücke bis hin zu beeindruckenden Kettenpanzern reichte. Sie zogen Karren mit Holzbrettern und Felsbrocken hinter sich her. Die Donnerschreiorcs schlossen sich ihnen an – offenbar hatte man sie bereits erwartet. Dann begannen die hünenhaften grünen Schläger Steinblöcke von den Karren zu heben und sie mit lautem Brüllen und noch lauterem Platschen ins seichte Wasser zu schleudern. Die ohrenbetäubenden Trommeln pochten derweil unermüdlich weiter und weiter. Inzwischen war der Feind nahe genug, dass Aubrey und die anderen auch die orcischen Kriegsgesänge hören konnten, die sie grölten. Hinter dieser Horde kamen jetzt auch Katapulte, Rammböcke und gewaltige Kriegsmaschinen in Sicht. Doch wie konnten sie nur hoffen, die Feste …
Da begannen die Orcs, die Holzplanken über die Felsbrocken zu legen, und nun erkannte Aubrey die teuflische Gerissenheit, die in ihrer Taktik lag.
„Schließt die Tore!“, brüllte er. Oder was noch von ihnen übrig ist …, dachte er. „Bereitet euch auf einen Angriff von drei Fronten vor – vom Hafen, aus dem Norden und aus dem Westen!“
Mit dem Donnerschreiclan waren sie fertig geworden, ebenso mit den vereinzelten Überfällen der Tauren, die von Zeit zu Zeit auf den Feldern des Bluts stattfanden.
Doch dies hier …
„Möge das Licht uns beistehen“, wisperte er.