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„Das wird eine Schlacht an drei Fronten“, erklärte Jonathan. Er hatte sich über den Tisch gebeugt und deutete auf die Karte von Theramore, die darauf ausgebreitet war. Sie alle standen inzwischen, auch wenn die kleineren Zwerge den Hals strecken mussten, um etwas zu sehen. „Erst einmal werden sie natürlich den Hafen angreifen. Aber zumindest können wir abschätzen, wie viele Schiffe bereits dort draußen lauern.“

„Falls ich Garrosh wäre, so würde ich ein paar als Reserve zurückhalten und sie erst ein paar Stunden nach Beginn der Schlacht losschicken“, fügte Aubrey hinzu.

Jonathan nickte. „Wir sollten das in unserer Planung berücksichtigen. Wann wird die Sternenschwert ungefähr zurückkehren?“

Kurz nach der Ankunft der Siebten Flotte hatte Jaina darauf bestanden, dass eines ihrer Schiffe, die Sternenschwert, wieder lossegelte, um die Zivilisten aus der Stadt zu entfernen, die sich lieber andernorts in Sicherheit bringen wollten. Außerdem hatte sie alle Kinder an Bord geschickt, und einige Familien hatten sie begleitet. Doch viele andere waren geblieben. Schließlich war Theramore ihre Heimat; sie liebten diese Stadt ebenso, wie Jaina es tat, und sie wollten sie verteidigen. Eigentlich hätte das Schiff Ratschet ansteuern sollen, das offensichtlichste Ziel in der Region, um dann von dort aus weiter zum Schlingendorntal zu segeln. Doch obwohl die Orcs, die Ratschet kontrollierten, nicht mit Garrosh verbündet waren, war vor Kurzem eine beträchtliche Flotte der Horde dort durchgekommen. Darum hielten die Generäle die Stadt nicht mehr für sicher genug, um Flüchtlinge dorthin zu schicken. Also hatte die Sternenschwert Kurs auf Gadgetzan genommen.

„Die Draenei-Schamanen haben mir versichert, dass die Wind- und Wasserelementare ihnen helfen werden, die Reise so kurz wie möglich zu machen“, erklärte Jaina.

„Das mag ja so sein“, brummte Machthieb, „aber das Schiff is’ erst vor ein paar Stunden losgesegelt. Wir können frühestens morgen mit seiner Rückkehr rechnen.“

„Kinder gehören nicht in eine Schlacht“, sagte Tiras’alan leise. „Selbst wenn das bedeutet, dass uns ein Kriegsschiff fehlt, es war die richtige Entscheidung, sie von hier fortzubringen.“

„Die Jungen sind in der Tat zu wertvoll, um sie in Gefahr zu bringen“, stimmte Shandris ihm zu. „Außerdem … stehen Zivilisten doch nur immer im Weg herum.“

Es war eine harsche Aussage, aber auch eine zutreffende, wie Jaina und die anderen wussten. Eine Schlacht verlangte jenen, die darin kämpften, viel ab, da wollte man sich nicht auch noch Sorgen darum machen müssen, dass Kinder im Getümmel umherirrten. Sie aus der Gleichung zu nehmen, war nicht nur moralisch richtig gewesen, sondern schlichtweg auch die richtige, weil vernünftige Entscheidung.

„Die Straße nach Norden macht mir mehr Sorgen als die Straße gen Westen“, erklärte Jonathan, womit er die Aufmerksamkeit der anderen wieder auf das eigentliche Thema dieser Besprechung lenkte. „Wir haben keine Berichte darüber, dass sich Truppen in Brackenwall versammelt haben.“

„Noch nicht“, brummte Rhonin.

„Noch nicht“, nickte Jonathan. „Aber wir können wohl davon ausgehen, dass Garroshs Armee durch das Dorf marschieren wird und dass sich ihnen dort entweder weitere Krieger anschließen oder sie einen Teil ihrer Leute zurücklassen, als Reserve, die dann – falls nötig – zu einem späteren Zeitpunkt ins Schlachtgeschehen eingreifen soll. Außerdem ist Brackenwall ein guter Rückzugspunkt, wo die Horde sich neu formieren kann. Wir verfügen leider über keinen solchen Luxus.“

„Was ist mit den Belagerungswaffen, die zurzeit entlang der westlichen Straße platziert sind?“, fragte die Leidende. „Wir könnten sie näher an die Stadt heranziehen und sie vor beiden Toren platzieren.“

„Und die Grimmtotem?“, warf Kinndy ein.

„Ich bezweifle, dass sie uns Ärger machen werden“, sagte Jaina. „Wir kämpfen jetzt gegen die Horde, und selbst wenn sie Garrosh ihre Dienste angeboten hätten, Baine würde sich dagegen aussprechen. Vermutlich würde nicht einmal Garrosh selbst ihnen vertrauen. Nicht nach dem, war Magatha Cairne angetan hat.“

„Sie könnten aber versuchen, unsere Abgelenktheit in der Schlacht zu ihrem Vorteil zu nutzen“, gab Vereesa zu bedenken. „Was, wenn sie die Gelegenheit ergreifen und in die Stadt eindringen, sei es nun, um zu plündern oder einfach nur zu morden?“

„Das würde ihnen nur gelingen, falls wir versagen“, entgegnete die Leidende brüskiert. „Solange unsere Verteidigung hält, werden sie nichts dergleichen wagen.“

„Dann wäre das ja geklärt“, meinte Jonathan. „Wir ziehen die Kriegsmaschinen zur Stadt und …“

Die Tür zum Korridor wurde aufgestoßen. Kalecgos stand im Eingang, leicht schwankend, eine Hand an die Seite gepresst. Hinter ihm befanden sich zwei Wachen, die sich aber mehr Sorgen um den Zustand des Drachen zu machen schienen als um die Tatsache, dass er gerade unangekündigt in den Versammlungsraum geplatzt war.

Als Jaina sah, dass Blut zwischen den Fingern des Drachen hervorquoll, sprang sie auf und eilte zu ihm hinüber, noch während sich Kalec an die Anwesenden wandte.

„Die Horde ist wieder in Bewegung“, erklärte er. „Sie marschiert nach Süden und wird in wenigen Stunden hier sein.“ Jaina legte ihm den Arm um die Schulter und blickte besorgt zu ihm auf. Sie hatte das Gefühl, als wären die nächsten Worte, die er sprach, mehr für sie als für die anderen bestimmt. „Ich bin nicht schwer verletzt. Ich bin zurückgekommen, um Euch zu warnen. Um Euch zu helfen.“

„Ich wüsste nicht, was diese Sache den blauen Drachenschwarm angeht“, sagte Rhonin. Einige der anderen, die Kalecgos nicht sofort erkannt hatten, zogen leicht die Augenbrauen zusammen, als die Erkenntnis sie traf.

Jaina wandte sich zunächst an Kalec, dann an die Generäle und Magier. „Kalec – lass dich erst von den Wachen zu einem Heiler bringen, bevor du irgendetwas anderes unternimmst. Du kannst uns Bericht erstatten, sobald deine Wunde versorgt ist.“ Den anderen erklärte sie: „Wir mögen bis vor Kurzem im Krieg mit dem blauen Drachenschwarm gestanden haben, aber jeder in diesem Raum, auch die Mitglieder der Kirin Tor, wissen, dass Kalecgos niemals den Streit mit den jüngeren Rassen gesucht hat. Ohne seine Hilfe hätten wir Todesschwinge nicht besiegen können, und es ist eine Ehre und, ganz ehrlich, auch ein Glücksfall, dass er sich bereit erklärt hat, uns bei der Verteidigung von Theramore zu helfen.“

Rhonins Blick huschte kurz von Kalec zu Jaina, dann nickte er. „Wir können jede Hilfe brauchen“ war alles, was er sagte, aber das reichte schon. Die anderen Kirin Tor unterbrachen ihr leises Gemurmel, und sogar einige der Generäle nickten zustimmend.

„Seien wir ehrlich“, schlug Rotmähne mit einem Lachen vor. „Eine große blaue Bestie am Himmel, zusätzlich zu uns allen am Boden, das könnte Garrosh vielleicht einschüchtern.“

Die Entscheidung war also getroffen. Jaina wandte sich zu Kalec herum. Seine Wunde war augenscheinlich ernster, als er sie glauben machen wollte, aber es gab viele gut ausgebildete Heiler, die in Erwartung der Schlacht nach Theramore gerufen worden waren. Bald schon würde er wieder so weit genesen sein, dass er bei der Verteidigung der Stadt mitwirken konnte.

„Das wird schon wieder, Jaina“, meinte er mit einem sanften Lächeln, dann fügte er etwas leiser hinzu: „Macht Euch keine Sorgen!“

Nun schenkte sie ihm ihrerseits ein Lächeln. „Ich müsste schon eine Närrin sein, um mir keine Sorgen zu machen, Kalec“, erklärte sie, gleichfalls im Flüsterton. „Aber ich habe auch in der Vergangenheit Schlachten überstanden. Schlachten, die … für mich persönlich viel schwerer zu ertragen waren als diese. Habt keine Angst! Ich werde Theramore verteidigen, und ich werde nicht davor zurückschrecken zu tun, was getan werden muss.“

Bewunderung ließ seine blauen Augen aufleuchten. „Vergebt mir“, sagte er. „Womöglich seid Ihr kampferprobter und abgebrühter, als ich es bin, Lady Jaina.“

Ihr Lächeln verlor ein wenig an Strahlkraft. „Ich musste schon schwierige Entscheidungen treffen“, sagte sie, „aber ich bete, dass ich niemals abgebrüht sein werde. Nun geht! Wir wollen unsere Informationen austauschen, sobald Ihr zurückgekehrt seid.“ Als die Wachen Kalec zu den Priestern eskortierten, wandte sich Jaina wieder den anderen zu. „Schickt sofort einen Boten nach Sturmwind! Varian muss erfahren, dass der Angriff unmittelbar bevorsteht.“


Das Gefühl der Dringlichkeit, das die Stadt erfüllt hatte, noch bevor die Generäle mit ihrer Flotte eingetroffen waren, schien nun noch allgegenwärtiger. Wie Jaina vorhergesagt hatte, war Kalecgos in kürzester Zeit geheilt, wenn er auch weiterhin einen erschöpften Eindruck machte. Und er berichtete ihnen rasch, was er gesehen hatte. Dank dieser Mitteilungen wussten sie nun, welche Route die Horde gewählt hatte, und die Triumphfeste im Nordosten von Theramore war sofort über den geplanten Angriff verständigt worden. Die Soldaten dort würden dem Feind erbitterten Widerstand leisten, und es blieb zu hoffen, dass die Horde ihre Ressourcen, Truppen und ihre Energie nicht an eine Garnison verschwenden würde, die nicht ihr eigentliches Ziel war. Die Generäle gaben sich zuversichtlich, dass die tapferen Männer und Frauen der Triumphfeste der Horde empfindlich schaden und ihren Vormarsch abbremsen könnten, ohne selbst vollständig aufgerieben zu werden – ein Risiko, das sich leider nicht vermeiden ließ.

Ihre Pläne wurden beinahe sofort in Befehle umgewandelt, die Ballisten und anderen Belagerungswaffen nach Osten transportiert, den Toren von Theramore entgegen, während gleichzeitig Reiter zur Späherwacht aufbrachen, die ein Stück nördlich der Stadt lag. Im Gepäck befanden sich Anweisungen, dass die Besatzung des Vorpostens sofort eine Warnung schicken sollte, wenn sie die Horde sichtete. Hauptmann Wymor und seine Soldaten erhielten außerdem den Befehl, die Horde, falls möglich, aufzuhalten – wenn es ihnen aber nicht gelang, sollten sie sich in Richtung Stadt zurückziehen, wo sie von weiteren Truppen unterstützt werden würden.

Die Stadttore sollten bis zum Ende der Schlacht geschlossen bleiben, es sei denn, die Horde riss sie nieder. Wymor verstand, was das bedeutete.

Sechzehn Kriegsschiffe machten derweil kehrt und verließen den Hafen. Bis Nummer siebzehn, die Sternenschwert, von ihrer Hilfsmission zurückkehrte, würde die Schlacht vermutlich schon entschieden sein. Wie die Flotte der Horde blieb auch die Siebte auf ihrer Seite der maritimen Grenze – wenn auch nur knapp – und wartete dort. Der Plan sah vor, die Schiffe der Horde zu vernichten, sobald die Schlacht begann, sodass zumindest die Bedrohung aus dieser Richtung schnellstmöglich ausgeschaltet würde. Die drei restlichen Schiffe der Flotte blieben im Hafen vor Anker, als letzte Verteidigungslinie gegen einen Angriff vom Meer aus. Aber jeder hoffte, dass sie nicht zum Einsatz kämen.

Es war Mittag, als der erste Reiter eintraf.

Er trug keine Rüstung, sondern gewöhnliche Kleidung, die mit Schlamm und Blut bespritzt war. Gewiss hatte er sich von seinem Körperpanzer getrennt, um das Pferd zu entlasten, auf dem er herbeigaloppiert war. Dennoch ächzte das Tier schwer, und Schaum stand vor seinem Maul, als es mit klappernden Hufen zum nördlichen Tor hinaufritt. Die Wachen, die dort postiert waren, mussten dem zitternden Boten helfen, als er sich kraftlos vom Rücken des Pferdes fallen ließ, das dem Zusammenbruch ebenfalls nahe zu sein schien. Sie fingen ihn auf, so behutsam es ihnen eben möglich war, und als sein Umhang dabei zur Seite rutschte, sahen sie, dass ein Großteil des Blutes auf seiner Kleidung von dem dunkelhaarigen, bärtigen Reiter selbst stammte. Er versuchte, ihnen etwas zu sagen.

„D-die Triumphfeste i-ist gefallen“, war jedoch alles, was er noch hervorbrachte.

Und so begann es.


Die Armee der Horde war inzwischen um mehrere Klingenwerfer, Ballisten und Katapulte reicher, welche in ihrem Aussehen mächtigen Adlern nachempfunden waren. Waffen der Allianz, die nun gegen ihre Erbauer eingesetzt werden sollten. Einige der Krieger hatten auch andere, grausigere Erinnerungsstücke als Trophäen aus der jüngsten Schlacht mitgenommen, vor allem die Trolle, denen es Spaß zu machen schien, sich mit Fingern und Ohren zu schmücken.

Ohne Zweifel hatte die Besatzung der so unpassend betitelten Triumphfeste geglaubt, sie könnte der Horde trotzen und ihren Marsch nach Süden – nach Theramore – aufhalten. Doch sie hatten ihre eigenen Fähigkeiten heillos über- und die ihres Feindes völlig unterschätzt.

Kriegsgesänge erfüllten die Luft, begleitet vom Donnern der Trommeln. Das Knirschen der gewaltigen Kriegsmaschinen – teils von der Horde, teils von der Allianz herrührend – fügten dieser Musik ihre ganz eigene Melodie hinzu.

Die Horde hatte die Soldaten der Feste Nordwacht überrascht und sie aus diesem Grund auch besiegt. Doch als sie sich nun ihrem nächsten Ziel näherten, machten sie keinen Hehl aus ihrer Gegenwart, sondern grölten auf dem Weg nach Süden vor sich hin, voller Zuversicht ob ihrer gewaltigen Zahl. Theramore hatte mehrere Tage Zeit gehabt, sich auf den Angriff vorzubereiten, aber seine Anwohner hatten auch mehrere schlaflose Nächte durchlitten, gequält von Albträumen über die Horde, wie sie ihre Tore niederriss.

Doch auch Furcht konnte eine Waffe sein.

Die wilden Tiere des Brachlandes machten einen großen Bogen um den Heereszug, und die Zhevras und Gazellen, die sich doch zu nahe heranwagten, wurden erlegt und den hungrigen Truppen vorgesetzt. Die Armee hatte sich inzwischen in einer dünneren, längeren Linie angeordnet, um auf der schmalen Straße durch die Düstermarschen besser voranzukommen. Und die heißen Strahlen der Sonne wurden inzwischen durch hohe, moosbedeckte Bäume gefiltert. Nachdem sie die Ruinen des Gasthauses Zur süßen Ruh passiert hatten, machten sie an einer Kreuzung halt, von der aus Straßen zur Insel Theramore, zum Morastwinkel und nach Brackenwall führten. Hier teilte Garrosh die Armee auf. Er selbst wollte die eine Hälfte nach Brackenwall führen, wo sich ihnen neue Rekruten anschließen würden – mehr Orcs und vermutlich sogar ein paar Oger –, bevor er von Norden aus den Angriff auf Theramore startete. Malkorok würde indes das Kommando über die restlichen Truppen übernehmen und auf der Straße nach Osten weiterziehen.

Die beiden Heeresteile würden dann bei Theramore wieder zusammentreffen, um die Stadt zwischen sich zu zermalmen und einen Sieg zu feiern.

Malkorok und seine Soldaten marschierten tief ins Herz der Düstermarschen und in den Morast, wo sie die Banner der Allianz niederrissen und lachend in den Schlamm warfen. Früher war dieser Weg von Kriegsmaschinen und den Soldaten Theramores blockiert gewesen, doch nun schien er völlig frei zu sein, genauso, wie sie es vermutet hatten.

Von den Grimmtotem gab es ebenfalls keine Spur, doch auch damit hatten sie gerechnet. Die Nachricht vom Nahen der Armee musste sich herumgesprochen haben, und die feigen Tauren, die von der Allianz und der Horde gleichermaßen verachtet wurden, hatten sich in ihre Verstecke verkrochen.

„Ohne Zweifel weiß der Feind, dass wir kommen“, sagte Malkorok. „Ich werde ein paar Läufer ausschicken, und wir werden ab jetzt mit großer Vorsicht …“

Wütendes Gebrüll unterbrach ihn. Nicht weniger als zehn wilde Bestien stürmten plötzlich aus den Marschen, wo sie, getarnt von den zahlreichen kleinen Hügeln und den tief hängenden Ästen der Bäume, auf der Lauer gelegen hatten. Zwei Hexenmeister, ein Magier und ein Schamane gingen zu Boden, bevor sie auch nur die ersten Worte eines schützenden Zaubers ausstoßen konnten. Und die Krieger hinter ihnen fanden sich im Nahkampf mit den Bestien wieder. Klauen zerfetzten Fleisch, gewaltige Kiefer schlossen sich um Kehlen, und als die Horde überhaupt erst realisierte, dass sie von gestaltgewandelten Allianzdruiden angegriffen wurde, hatten einige andere im Schutz der Unsichtbarkeit bereits über ein Dutzend Soldaten niedergestreckt, die nun mit Messern im Rücken auf dem Boden lagen. Weitere Tiere stürmten aus dem Schutz des Sumpfes hervor, Kreaturen der Arktis und der Wüste, die sich eigentlich niemals in dieses schwüle Klima verirrt hätten, die nun aber dennoch hier waren, um sich auf die Krieger der Horde zu stürzen.

Der Kampf hatte kaum mehr als ein paar Sekunden gedauert, und schon jetzt lagen mehr als zwei Dutzend Soldaten tot oder sterbend im Dreck.

„Hinterhalt! Angriff!“, schrie Malkorok, dann ließ er diesen Worten Taten folgen und stürmte auf einen gewaltigen Bären zu, dessen braunes Fell ein aufgemaltes Muster zierte. Das Tier zerfleischte gerade einen untoten Hexenmeister, während dieser noch versuchte, dem Druiden seine Lebenskraft zu entziehen und damit seine eigenen magischen Fähigkeiten aufzuladen. Malkoroks Zwillingsäxte wirbelten durch die Luft und schnitten dann in einem solchen Winkel durch das dichte, schützende Fell am Hals des Bären, dass sich die Klingen in der Mitte trafen und der Schädel des Druiden beinahe vollständig von den Schultern getrennt wurde.

Die Schmerzensschreie und das Röhren von Zorn und Blutdurst wurden nun um andere Geräusche ergänzt: das Singen von Pfeilen, die von den Sehnen der Bögen zischten, sowie das Donnern von Gewehrfeuer. Die Jäger – die die Spinnen und Skorpiden, die Wölfe und Krokolisken und Raptoren kontrollierten – griffen jetzt auch direkt ins Kampfgeschehen ein. Malkorok stieß einen gezischten Fluch aus und sprang über die Leichen eines Goblins und einer Hyäne hinweg, die in tödlicher Umarmung vereint auf dem Boden lagen, die Klinge des Goblins im Auge des Tieres versenkt, ihre Kiefer in seiner grünen Kehle verbissen. Die Augen des Schwarzfelsorcs waren auf eine dicht gedrängte Gruppe von Hordekriegern gerichtet, die gegen einen einzigen Feind kämpften. Und als er näher kam, seinen Kriegsschrei auf den Lippen, teilte sich die Menge einen Moment lang, sodass Malkorok den Allianzkämpen sehen konnte. Es war eine Nachtelfin, die sich so schnell bewegte, dass ihre Bewegungen verschwammen, in der Hand hielt sie ein beinahe schon blendend grell leuchtendes Schwert. Ein langer blauer Zopf peitschte hinter ihr durch die Luft, sodass er beinahe wie eine azurblaue Schlange wirkte. Zwei schlanke Leiber lagen zu ihren Füßen, und ein dritter Blutelf war neben ihnen zusammengesunken, die Hände auf seine Seite gepresst, bereit, sich ihnen im Tode anzuschließen.

Einen Augenblick lang hielt die Allianzkriegerin inne. Ihr Blick begegnete dem Malkoroks, dann fiel ihr seine graue Haut auf, und sie grinste. Mit einem wilden Schrei sprang er auf sie zu.


Es hatte zahlreiche Warnzeichen gegeben, man konnte also wohl kaum von einem Überraschungsangriff sprechen. So nickte Hauptmann Wymor lediglich, als die Läuferin zurückkehrte und ihm atemlos berichtete, wie groß die Streitmacht war, die sich auf dem Weg zum Nordtor von Theramore auf die Späherwacht zubewegte.

„Auf eure Stellungen“, befahl er, um dann hinzuzufügen: „Ich bin stolz, mit euch zu kämpfen. An diesen Tag wird man sich noch lange erinnern.“ Die Wachen, von denen ihm einige noch so schrecklich jung erschienen, salutierten. Die meisten von ihnen hatten bislang nur in kurzen Scharmützeln mit ein paar Mitgliedern der Horde gekämpft, oder die Grimmtotems und die wilden Tiere aus den Sümpfen zurückgeschlagen, aber kaum einer brachte die Erfahrung aus einer richtigen Schlacht mit. Das sollte sich nun ändern. In den Ohren das Pochen der fernen Trommeln, bereiteten sie sich auf den Kampf vor.

General Marcus Jonathan war persönlich zur Späherwacht geeilt, um eine Strategie mit ihnen auszuarbeiten. Wie die Bezeichnung „Späherwacht“ schon sagte, war der Stützpunkt mehr eine Aussichtsstation als eine Bastion zur Verteidigung von Theramore. Doch genau dazu musste sie werden, falls Garroshs Truppen beschlossen, von Norden aus gegen die Stadt zu marschieren.

„Und das werden sie“, hatte Jonathan erklärt. „Sie werden uns von Norden, Westen und vom Hafen aus angreifen. Waffentechnisch seid Ihr ihnen unterlegen, also müsst Ihr schlauer sein als sie.“

Man gab der Läuferin einen Schluck Wasser und schenkte ihr einen Augenblick, um wieder zu Atem zu kommen, dann stieg sie auf ihr Pferd und galoppierte in Richtung Theramore davon. Die restlichen Wachen unter Wymors Kommando hielten ihre Stellungen und warteten.

Es dauerte nicht lange, dann hob der einsame Wachtposten oben auf der Spitze des Turmes den rechten Arm und ließ ihn scharf nach unten sausen. Der Gnom, der neben Wymor stand, ein Geselle namens Adolphus Sprengspieler, hielt ein kleines Gerät in den Händen, und auf das Signal hin, das vom Turm kam, drückte er grinsend einen Knopf darauf. Abrupt wurde das Geräusch der Trommeln von einem kolossalen Donnergrollen verschluckt. Einen Moment später stieg schwarzer Rauch zum Himmel empor. Die Soldaten jubelten, und als sie verstummten, waren keine Trommeln mehr zu hören.

Die Bomben, die so sorgfältig auf der Straße platziert worden waren, mochten zahlreiche Feinde getötet haben, doch die Bedrohung blieb bestehen.

„Zieht eure Waffen!“, sagte Wymor. In der unheimlichen Stille klang das Schaben, mit dem die Schwerter aus ihren Hüllen glitten, erstaunlich laut. Angespannt standen die Soldaten da, bereit für den Kampf. Die Minuten zogen sich dahin, aber das Einzige, was sie hören konnten, war das unermüdliche Zirpen der Insekten, das Gekrächze der Meeresvögel, das Rauschen, mit dem sich die Wellen am nahen Strand brachen, und das Klirren ihrer eigenen Rüstungen, als sie vor Unbehagen das Gewicht verlagerten.

Da erschallten plötzlich die Kriegsschreie der Horde, und den Soldaten gefror das Blut in den Adern, während sich ihnen die Armhaare aufstellten. Gleichzeitig wurden auch die Trommeln wieder hörbar, doch nun waren sie viel näher, und ihr Rhythmus erschien viel schneller, drängender. Einen Moment später tauchten aus den Schatten des düsteren Sumpfes Dutzende, vielleicht Hunderte von Gestalten auf. Allesamt laut brüllend stürmten sie auf die Späherwacht zu, in den Händen Waffen, die aussahen, als würden sie mehr wiegen als ein Mensch mitsamt Körperpanzer.

„Lauf, Adolphus!“, rief Wymor dem Gnom zu, der vor Grauen wie erstarrt dastand. Sprengspieler zuckte zusammen und starrte einen Augenblick lang panisch zu dem Hauptmann hinauf, aber dann rannte er los, so schnell seine kurzen Beinchen ihn nur trugen, Theramore entgegen, den Zünder noch immer mit beiden Händen umklammernd. Indes zog Wymor sein Schwert und ging in Kampfstellung.

Der Sturmangriff der Orcs, Trolle, Tauren, Verlassenen, Blutelfen und Goblins wurde von einem Orc in glänzender Rüstung angeführt. Er hielt direkt auf Wymor zu, und als er dabei eine gewaltige Axt über dem Kopf schwang, schien die Waffe vor Blutdurst laut zu jaulen. Die Schulterpanzerung dieses Orcs bestand aus riesigen Hauern, und zwischen ihnen und den großen Handschuhen war braune, tätowierte Haut zu erkennen.

Wymors goldener Bart teilte sich in einem Grinsen.

Garrosh Höllschrei.

Die Klinge von Wymors Schwert prallte klirrend gegen den Schaft von Blutschrei, und als ihn Garrosh, der um ein Vielfaches stärker war als der Mensch, nach hinten stieß, taumelte der Hauptmann. Doch er konnte seine Klinge gerade noch rechtzeitig hochreißen, um einen abwärts geführten Hieb der Axt zu parieren, dann duckte er sich nach vorn, unter den massigen Körper des Kriegshäuptlings. Sein Schwert zog er dabei hinter sich her, und Garrosh grunzte überrascht, als die Klinge eine blutige Linie über die Innenseite seines Armes zog.

„Der erste Tropfen meines Blutes, der in dieser Schlacht vergossen wurde“, sagte der Orc anerkennend. „Gut gekämpft, Mensch. Du wirst in Ehre sterben.“

Wymor wich mehrere Schritte zurück und schwang sein Schwert. „Du nicht“, rief er, um Garrosh zu reizen. Der Orc brüllte keuchend und stürmte vor.

Genauso, wie Wymor gehofft hatte.

„Jetzt, Sprengspieler!“, schrie der Hauptmann, hörte noch einen lauten Donner und spürte, wie er in die Luft geschleudert wurde. Dann wurde alles schwarz.

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