25

Es dauerte lange – länger, als es Jaina lieb war, aber sie wusste, dass sie gründlich sein musste. Antonidas hatte ihr das beigebracht: Man durfte beim Erlernen eines Zaubers nicht überhastet vorgehen, da man sonst riskierte, dass er fehlging. Im besten Fall bedeutete dies, dass gar nichts geschah, wenn man ihn einsetzte, und im schlimmsten Fall, dass man eine Katastrophe auslöste. „Es ist genauso gefährlich, als würde man mit einer Waffe, die man zum ersten Mal in der Hand hält, in die Schlacht ziehen“, hatte er mahnend erklärt.

Darum setzte sich Jaina auf einen der kleinen Hügel des Prügeleilands und las noch einmal alles durch, was ihr das gestohlene Buch über die Fokussierende Iris sagen konnte. Dabei überflog sie auch einen Abschnitt, in dem stand, dass die arkane Energie so viel Ähnlichkeit mit den gewöhnlichen Elementen hatte, dass man sie nach magischen Gesichtspunkten eigentlich auch zu diesen hinzurechnen konnte. Plötzlich musste sie daran denken, was ihr Kalec über die Magie beigebracht hatte – dass es eine logische, präzise Wissenschaft war. Während sie weiterlas, streckte sie abwesend die Hand aus und strich über die Oberfläche der Fokussierenden Iris, die sich selbst hier noch, in der Hitze der Sonne, kühl anfühlte.

Sie hatte bereits einige Experimente mit dem Artefakt durchgeführt, und bislang waren sie alle erfolgreich gewesen; allein schon, dass die Kugel nun auf eine so handliche Größe zusammengeschrumpft war, bezeugte dies. Doch nach ihrer Ankunft auf der Insel war es an der Zeit gewesen, sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen und mit anderen Tests zu beginnen. Zwei Tage lang hatte sie kaum geschlafen und nur gegessen, was sie sich herbeizauberte. Es war schwer, ihre Ungeduld zu unterdrücken, aber ihre kleinen Erfolge spornten sie an. Und nun spürte sie endlich, dass sie bereit war. Kurz darauf sah sie aus zusammengekniffenen Augen, wie die meisten der Schiffe von der Feste Nordwacht aufbrachen. Vermutlich segelten sie nach Orgrimmar, überlegte sie. Die Vorstellung erfüllte sie mit Vorfreude.

Ja, geht nur heim, dachte sie.

Anschließend wandte sie sich dem Ozean zu. Die salzige Brise zerzauste Jainas weißes Haar, während sie sich konzentrierte und die Hände auf die Fokussierende Iris legte. Falls sie die Wirkungsweise des Artefakts richtig verstanden hatte, war es im Grunde ein Leiter – und in den richtigen Händen auch ein Verstärker – arkaner Energie. Unter ihren Fingern spürte sie ein kaltes Prickeln, dann zog sich plötzlich ein dünner Riss über die Oberfläche der Kugel. Wie ein riesiges Auge begann sie sich zu öffnen.

Jaina keuchte, brach den Kontakt aber nicht ab. Solange sie den Fluss der Magie kontrollierte, würde ihr das Artefakt gehorchen. Es gab einen blendend grellen Blitz, und dann fuhr ein Lichtstrahl von der Fokussierenden Iris ins Meer.

Eine Hand noch immer auf der Kugel, hob Jaina den anderen Arm und beschrieb damit die inzwischen vertrauten Bewegungen eines ganz bestimmten Zaubers.

Bei ihrem ersten Versuch hatte dieser Spruch ein einziges Elementarwesen herbeibeschworen, doch nun sah sie plötzlich gleich zehn vor sich. Zehn schimmernde, versklavte Wasserwesen, die auf den Wellen standen, ihre Augen funkelten, die Extremitäten, die ihnen als Arme dienten, waren mit Ketten gebunden.

Jaina lachte. Anschließend erschuf sie noch mehr Elementare und dann noch mehr, bis zwischen ihren Körpern kaum noch das Meer zu sehen war. Normalerweise wäre sie nicht zu so vielen Beschwörungen in der Lage gewesen, und selbst falls doch, so hätte sie jetzt vor Erschöpfung am ganzen Leib gezittert. Doch die Fokussierende Iris erledigte nun die ganze Arbeit für sie, und Jaina fühlte sich noch immer genauso kräftig wie zu Beginn des Zaubers. Sie erkannte jetzt, warum die Horde das Artefakt gestohlen hatte, ebenso wie sie verstand, warum Kalec so besorgt gewesen war.

Einen kurzen Augenblick lang – als das Bild des blauen Drachen, wunderschön und anmutig in jeder Gestalt, vor ihrem inneren Auge auftauchte – schweiften ihre Gedanken ab. Sie erinnerte sich an seine Güte, sein Lachen, und auch daran, wie ihr Herz schneller geschlagen hatte, als er ihre Hand küsste.

Doch dann war dieser Moment vorbei, und Jaina richtete ihre Aufmerksamkeit grimmig auf die Elementarwesen. In ihrer Welt gab es keinen Platz mehr für Güte oder Lachen. Nicht, solange auch nur ein einziger Orc noch atmete.

Ein paar Elementare hatten während ihrer kurzen Unachtsamkeit an Kontur verloren, doch es kostete sie kaum mehr als einen Gedanken und ein Fingerschnippen, um sie jeweils wieder in die Gestalt zurückzubringen. Nun war es Zeit, sie zu vereinen.

Jaina hatte keinen Zauber dafür, und soweit sie wusste, gab es auch keinen. Doch die Fokussierende Iris scherte sich nicht um derartige Lächerlichkeiten. Jaina musste sich nur auf ihre Absichten konzentrieren, und ihre Finger bewegten sich in Gesten, die ihr wie intuitiv in den Sinn kamen.

Einen Moment später gehorchte die Iris – und mit ihr die Menge der Elementarwesen.

Sie begannen miteinander zu verschmelzen, Tausende von ihnen, ohne dabei aber wirklich ihre Gestalt zu verlieren. Stattdessen wurden sie einfach zu Teilen eines einzigen, größeren Umrisses. Jaina lächelte, und ihr Herz raste, als sie das erfolgreiche Ergebnis ihres Zaubers betrachtete, dann ließ sie die Elementare noch enger zusammenwachsen. Wo gerade noch Tausende einzelner Wesen auf den Wellen getanzt hatten, ragte nun eine titanische Woge auf.

Eine Monsterwelle.

Noch höher wurde sie und noch breiter, als die Lady von Theramore ihre Hand nach oben ausstreckte. Die Augen und verzauberten Fesseln an den Armen der Elementarwesen waren in dem titanischen Wall aus Wasser noch immer deutlich zu erkennen, doch sie würden sich nicht teilen. Nicht, solange Jaina ihnen befahl: Bleibt zusammen!

Sie ließ sich Zeit. Es war ein weiter Weg vom Prügeleiland bis zum Ziel der Flutwelle, und falls ihr Plan Erfolg haben sollte, würde sie noch mehr Elementarwesen benötigen und sie alle unter völliger Kontrolle halten müssen. Einige Minuten später hatte sie schließlich das Gefühl, fast bereit zu sein. Die Welle musste nur noch vier oder fünf Meter höher werden, und dann …

„Jaina!“, rief eine Stimme, tief und voll und zu gleichen Teilen von Freude und Schmerz erfüllt.

Die Welle erbebte, als Jaina sich umdrehte, ihre Hand nach wie vor auf der Fokussierenden Iris.

„Thrall!“, entfuhr es ihr. Ganz bewusst benutzte sie seinen echten Namen nicht. „Was tust du hier?!“

Die Wiedersehensfreude schwand aus seinem Gesicht. „Ich bin ja so froh, dass du lebst, meine alte Freundin. Aber ich wurde hierhergerufen … um dich aufzuhalten.“

Alte Freundin nannte er sie. Und warum auch nicht? Das waren sie doch schließlich, oder? Alte Freunde, die zusammengearbeitet hatten, um Kriege zu verhindern, um die Leben von Unschuldigen zu retten, sowohl in der Allianz als auch innerhalb der Horde.

Doch nun konnten sie keine Freunde mehr sein.

Der Schicksalshammer blieb, wo er war, auf den Rücken des Orcs geschnallt, der auf sie zuging, die Hände beschwörend ausgestreckt. „Ich hatte eine Vision – von einer Monsterwelle, die über Orgrimmar hinwegfegt. Und diese Insel war ihr Ausgangspunkt. Die Elemente haben mich gebeten hierherzukommen, und nun bin ich da, um dieses Grauen zu verhindern. Doch nicht in meinen schönsten Träumen und schlimmsten Albträumen hätte ich erwartet, dich hier vorzufinden. Am Leben – aber als Auslöserin dieser schrecklichen Katastrophe. Bitte, Jaina, lass sie frei! Lass sie gehen!“

„Das kann ich nicht“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich muss es tun, Thrall.“

„Ich habe gehört, was in Theramore geschah“, erklärte er, wobei er sich nach wie vor langsam auf sie zuschob. „Ich trauere mit dir um all die Seelen, die auf so brutale Weise aus dem Leben gerissen wurden. Aber Orgrimmar zuzufügen, was die Horde Theramore zugefügt hat, das wird keinen von ihnen zurückbringen, Jaina. Alles, was du damit erreichen wirst, ist, noch mehr Unschuldige zu töten.“

„Du trauerst?“, schnappte sie. „Aber was in Theramore geschehen ist, ist deine Schuld, Thrall! Du hast Garrosh das Kommando über die Horde überlassen! Und ich habe dich noch angefleht, zurückzukommen und ihn vom Thron zu verscheuchen. Ich wusste, dass er früher oder später etwas Grausames tun würde, und er hat mich nicht enttäuscht. Im Gegensatz zu dir. Ja, es war Garrosh, der Theramore vernichtet hat – aber du hast ihm die Macht gegeben, es zu tun!“

Thrall erstarrte mitten in der Bewegung, schockiert von diesen Worten.

„Dann – gib mir die Schuld, Jaina! Die Vorfahren wissen, ich tue es selbst. Aber versuche nicht, die Toten von Theramore zu rächen, indem du meine Leute vernichtest!“

„Leute?“, echote Jaina. „Ich kann sie nicht einmal mehr so nennen. Das sind keine Leute. Es sind Monster. Und du bist eines von ihnen! Mein Vater hatte recht – aber erst musste eine ganze Stadt voller Unschuldiger zerstört werden, bevor ich es erkannte. Ich habe nicht gesehen, wie die Orcs … sind, weil du mich geblendet hattest. Du hast mir vorgegaukelt, es könnte einen Frieden geben und dass die Orcs mehr seien als nur blutrünstige Tiere. Aber du hast gelogen. Das ist Krieg, Thrall, und Krieg bedeutet immer Leid. Krieg ist hässlich. Aber ihr habt ihn begonnen! Deine Horde hat Theramore dem Erdboden gleichgemacht, und jetzt hat sie eine Blockade um alle Allianzstädte auf Kalimdor errichtet. Zahllose Unschuldige werden belagert und versklavt und angegriffen. Aber – noch während wir hier stehen, führt Varian einen Angriff, um diese Blockade zu durchbrechen, und sobald meine Aufgabe erledigt ist, werde ich ihm helfen. Dann werden wir ja sehen, wer wen versklavt! Zunächst aber werde ich die Stadt zerstören, die nach Orgrim Schicksalshammer benannt wurde, und mit ihr das ganze Land, dem dein Vater seinen Namen gegeben hat!“

„Jaina! Nein, bitte, nicht!“

Mit einem Lächeln und einer einfachen Handbewegung entsandte Jaina die Sturmwelle.

Die gequälten Schreie Hunderter versklavter Elementarwesen zerrissen die Luft, während die Mauer aus Wasser nach Norden stürzte.


„Nein!“, brüllte Thrall. Verzweifelt riss er die Arme vor, und im Stillen betete er: Geist der Luft, halte sie auf! Lass nicht zu, dass sie zum Instrument all dieser Morde werden.

Er griff in seine Tasche und berührte die kleinen Schnitzereien, die die Elemente repräsentierten. Ihre Essenzen manifestierten sich als glühende, pulsierende Abbilder dieser Figuren zu seinen Füßen, während die Luft seinem Ruf bereitwillig folgte und der brodelnden Flutwelle einen heftigen Wind entgegenschleuderte, um sie aufzuhalten.

Jaina knurrte und bewegte die Hände. Die Elementarwesen heulten vor Pein, als sie gezwungen wurden, gegen die Fesseln des Windes zu kämpfen, und Thrall grunzte, zitternd vor Anstrengung; Jaina war eine mächtige Magierin, aber eigentlich hätte sie nicht stark genug sein dürfen, um ihm zu trotzen – zumal ihr die Elemente, die sie einsetzte, nicht willentlich folgten. Thrall hatte die Fokussierende Iris noch nie zuvor gesehen, aber er wusste doch, wie sie aussah. Einst hatte sie die mächtigen Sognadeln gesteuert, die die arkane Energie von Azeroths Leylinien zum Nexus umgelenkt hatten; außerdem hatte sie dem fünfköpfigen chromatischen Drachen das Leben geschenkt. Nun stand sie unter der Kontrolle einer meisterhaften Magierin.

Voller Unbehagen wurde ihm klar, dass sein Gedankengang einen Fehler aufwies: Das Wunder lag nicht darin, dass Jaina inzwischen stärker war als er. Das Wunder war vielmehr, dass er ihr überhaupt etwas entgegensetzen konnte.

„Jaina“, stieß er hervor, die Zähne vor Anstrengung zusammengebissen, „dein Schmerz ist gerechtfertigt. Was geschehen ist, war eine Abscheulichkeit. Doch es ist nicht richtig, unschuldigen Kindern den Atem zu rauben, um Rache an Garrosh zu nehmen!“

Ihr weißes Haupt mit der einen goldenen Strähne ruckte zu ihm herum, und ihre unheimlichen Augen starrten ihn eisig an, dann spreizte sie plötzlich die Finger und streckte ihm die Hand entgegen. Etwas Lavendelweißes, Glühendes traf Thrall mit einer unglaublichen Wucht und schleuderte ihn nach hinten. Kurz wurde die Welt um ihn herum grau, und er fand sich auf dem Rücken liegend im Sand wieder, nach Atem ringend. Sein ganzer Körper bebte, doch er zwang sich, wieder aufzustehen und seine Energie zu konzentrieren, um die Sturmwelle zurückzuhalten.

Jaina hatte ihn nicht angegriffen, damit er die Kontrolle über die Elemente verlor, das wusste er. Sie hatte ihn angegriffen, um ihn zu töten. Doch er konnte es nicht über sich bringen, dasselbe zu tun, zumindest noch nicht. Jaina war ihm eine treue Freundin gewesen, und vielleicht war sie es noch immer. Diese Gefühle behinderten ihn und verliehen Jaina einen Vorteil, wurde sie von derartigen Gefühlen doch augenscheinlich nicht zurückgehalten.

Einmal mehr bat der Orc die Winde um Hilfe. Eine Bö, stark wie ein Wirbelsturm, heulte Jaina entgegen, so heftig, dass sie nach hinten taumelte und rücklings in den Sand fiel. Dabei rutschte ihre Hand von der Fokussierenden Iris, und der jaulende Wind riss ihr die befehlenden Worte von den Lippen.

Thrall nutzte diese wertvollen Sekunden, um der hoch aufragenden Wand aus Wasser seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Geist des Wassers, kämpfe gegen diesen Zauber, der dich versklavt! Nimm meine Stärke; nutze sie …

Er hörte und spürte, wie sich die Hitze hinter ihm zusammenballte, und obwohl er es zutiefst bedauerte, musste er seine Sinne nun vom Geist des Wassers abwenden und sich auf den Geist des Feuers konzentrieren. Thrall wirbelte herum, die Hände erhoben, um sich vor dem gewaltigen Flammenball zu schützen, der auf ihn zuraste. Der Geist des Feuers war in seiner Pein in einen rasenden Zorn verfallen, und eine Sekunde lang fürchtete der Orc, dass seine Stimme nicht mehr rechtzeitig gehört werden würde. Um sich zu verteidigen schleuderte er drei der Kugeln aus Wasser, die um ihn herumkreisten, in die Höhe. Doch obwohl sie ihm neue Kraft schenkten, schloss er die Augen und wappnete sich gegen die versengende Hitze und den Schmerz, die gemeinsam in der Gestalt des Feuerballs auf ihn zukamen. Erst im letzten Moment brach die Flammenkugel auseinander, und ihre Teile wirbelten in alle Richtungen davon. Nur ein paar von ihnen trafen den Schamanen, aber das war schon genug, um seine Roben zu versengen und sein Fleisch mit quälenden Brandblasen zu überziehen.

„Ich werde nicht zulassen, dass du mich aufhältst!“, schrie Jaina. Sie hatte sich auf Hände und Knie hochgekämpft und kroch nun auf die Fokussierende Iris zu. Bevor Thrall reagieren oder die ächzenden, sich windenden Elementare befreien konnte, die die Flutwelle bildeten, legte die Magierin die Hand auf das Artefakt und verlieh ihrem Zauber dadurch neue Kraft. Anschließend krümmte sie die Finger ihrer freien Hand zu einem arkanen Befehl. Verblüfft sah Thrall zu, wie die beiden verbliebenen Kugeln aus Wasser aus dem schützenden Ring um seinen Körper fortgerissen wurden. Sie vergrößerten sich, und noch während sich magische Fesseln um sie legten, wuchsen ihnen Arme. Dann schwebten sie zu ihren Brüdern hinüber – damit dienten sie nun Jaina. Der Orc erkannte, dass das Artefakt ihren Zaubern nicht nur zusätzliche Energie verlieh – durch die Fokussierende Iris hatte sie auch Kontrolle über seine Zauber.

„Siehst du, Thrall? Begreifst du jetzt, womit du es hier zu tun hast?“

„Ich sehe es, Jaina!“, rief er zurück, dann verstärkte er seine Totems und konzentrierte sich erneut darauf, die Flutwelle zurückzuhalten. Wenn seine Worte doch nur bis zu ihr durchdringen würden … „Ich sehe, dass du gebrochen bist und trauerst. Ich sehe auch, dass du im Begriff stehst, ein weiteres Opfer von Garroshs Angriff auf Theramore zu werden. Aber ich kann dir helfen!“

„Mir helfen? Wohl eher Garrosh! Woher soll ich denn wissen, dass du nicht für ihn arbeitest? Vielleicht hast du von Anfang an mit ihm unter einer Decke gesteckt!“

Diese Anschuldigung schockierte Thrall so sehr, dass sich sein Zauber abschwächte. Der gewaltige Berg aus schäumenden Wasserelementaren brauste mehrere Meter nach vorn, und Thrall konnte ihn nur dadurch noch aufhalten, dass er ihm seine ganze Willensstärke entgegenschleuderte.

Plötzlich erschien eine riesige Säule aus Feuer, die sich wie ein Wirbelwind über den Strand auf ihn zubewegte und dabei den Sand in die Luft peitschte. Thrall wusste, dass er diesen Zauber nicht so leicht auflösen konnte wie eben noch den Flammenball, außerdem hatte sich nun beinahe all seine Energie auf die monströse Welle gerichtet, die er zurückhalten wollte.

Die Welle …

Wasser, lass mich über dich schreiten, und schließe mich in deine Arme!

Er wirbelte herum und rannte vom Strand auf das Meer hinaus, als wäre es fester Boden. Seine Schritte trugen ihn geradewegs auf die riesige, alles überragende Woge zu, und er hoffte, dass er Jainas Zauber gegen sie einsetzten könnte, so, wie sie seine Magie gegen ihn verwandt hatte. Nun hatte er die bebende Wand der Elementare erreicht, und als er das Wasser bat, ihn zu halten, fiel er wie ein Stein in die Tiefen des Ozeans hinab. Über ihm donnerte die Feuersäule, die ihm Jaina hinterhergeschickt hatte, gegen die Sturmwelle.

Die Flammen erloschen schlagartig, und die Welle schwankte, deutlich geschwächt. Thrall tauchte tief hinab, fort von dem brodelnden Chaos an der Oberfläche, und näherte sich mit kräftigen Zügen wieder der Küste. Als er zwischen den Wellen auftauchte, sah er, dass Jaina nun hektisch versuchte, die Flutwelle wieder zu reparieren, indem sie weitere Elementare herbeirief und sie zwang, mit den anderen zu verschmelzen.

Der Orc bat den Geist des Lebens um einen letzten Gefallen und beschwor zwei Spektralwesen an seine Seite – Geisterwölfe, durchsichtig und nebelhaft, doch nicht minder gefährlich als ihre Verwandten aus Fleisch und Blut. Schon früher hatte er solche Manifestationen erschaffen, doch jetzt, da ihm der Geist des Lebens ganz bewusst seine Kraft lieh, waren die Wölfe stärker als je zuvor. Mit einem Geheul, das die Luft erzittern ließ, sprangen die geisterhaften Raubtiere Jaina an und lenkten sie von ihrer grimmigen Beschwörung ab.

„Du zögerst das Unausweichliche nur hinaus“, zischte die Magierin, während ihre Hände Muster in die Luft malten, und plötzlich explodierte rings um sie lavendelweiße arkane Energie. Während sie nun vor Schmerzen heulten, kehrten die Wölfe in die Existenzebene zurück, aus der Thrall sie herbeigerufen hatte. „Du kannst mich nicht besiegen. Nicht, solange ich die Fokussierende Iris besitze. Sie …“ Ohne Vorwarnung verwandelte sich ihr Zorn in Schmerz. „Du kannst das nicht verstehen. Du hast es nicht gesehen. Du weißt nicht, was sie Theramore angetan haben – und mir …“

Sie so leiden zu sehen war Thrall noch unerträglicher als ihr Zorn. Jaina war eine einzige offene Wunde, die denjenigen wehtun wollte, die ihr dieses Leid zugefügt hatten. Mehr noch, sie wollte all jenen wehtun, die ihr Hoffnung geschenkt hatten. Tiefes Mitgefühl breitete sich in ihm aus, doch an seiner Entschlossenheit konnte sie keinen Augenblick lang rütteln.

„Du hast recht“, sagte er, woraufhin sie überrascht zu ihm hinüberblickte. „Ich war nicht dort. Aber ich kann sehen, was aus dir geworden ist. Was Garrosh dir angetan hat. Kämpfe gegen Garrosh! Ich werde dich nicht aufhalten. Aber lass nicht zu, dass Unschuldige – es sind Kinder, Jaina, Kinder! – den Preis mit ihrem Blut bezahlen! Du würdest nicht nur sie töten; du würdest die ganze Zukunft töten!“

„Für die, die unter Qualen in Theramore gestorben sind, gibt es auch keine Zukunft mehr“, schnappte Jaina zurück. „Warum sollten die Orcs eine Zukunft bekommen, wenn mein Volk keine hat? Wenn Kinndy und Tervosh und all die anderen guten, rechtschaffenen Bewohner von Theramore tot sind?“ Die nächsten Worte schienen mehr ihr selbst zu gelten als Thrall. „Warum sollte irgendjemand dann noch eine Zukunft haben?“

In diesem Augenblick riss sich die Welle los.

Der Orc krümmte den Rücken und warf die Hände über den Kopf. Seine Muskeln schrien gequält, und seine brennenden Lungen rangen um Atem, als er all seine Stärke mobilisierte, um die Woge zurückzuhalten.

Der Kamm der Welle ragte schon gefährlich weit vor, aber dann verharrte sie, ebenso heftig bebend wie Thrall unter den Kräften, die auf sie einwirkten. Luft und Wasser rangen miteinander, in einem Kampf, den keines der Elemente wirklich wollte, und das Beben der Woge nahm noch zu. Thrall konnte keinen Gedanken, keine Handbewegung mehr an seine eigene Verteidigung verschwenden, spürte nur noch, wie sich das Wasser loszureißen versuchte, wie der Wind dagegen anblies und es zurückhielt.

Er selbst war nun auf Gedeih und Verderb einer Frau ausgeliefert, die nur ein paar Meter entfernt stand, die er einst „Freundin“ genannt hatte, die nun aber mit aller Macht versuchte, zur Verkörperung des Todes zu werden.

„Ruf die Luft zurück, Thrall!“, brüllte Jaina. Eine ihrer Hände ruhte noch immer auf der Fokussierenden Iris, die andere zog sie nun an den Körper, und dann begann die arkane Energie auch schon um sie herumzuwirbeln. Ihre Robe und ihr weißes Haar bauschten sich auf. „Oder ich werde dich hier und jetzt töten! Verlieren wirst du so oder so!“

„Dann töte mich!“, keuchte der Schamane. „Streck mich nieder! Kehre allem den Rücken, was dir einst Vertrauen und Mitgefühl schenkte! Denn solange ich noch Atem in mir habe, werde ich nicht zulassen, dass diese Welle Orgrimmar zerstört!“

Einen Moment lang schien es so, als ließe Jainas Entschlossenheit nach. Doch dann verhärtete sich ihr Gesicht.

„So sei es“, murmelte sie und sammelte die Energie in ihrer Hand.

Da fiel ein Schatten über sie beide, und ehe Thrall und Jaina sichs versahen, landete auch schon eine gewaltige reptilienhafte Gestalt im Sand und schob ihren massigen blauen Leib zwischen den Orc und die Menschenfrau. „Jaina! Nicht!“, rief sie.

Thrall konnte es nicht glauben. Kalecgos – hier! Wie hatte er sie nur gefunden? Doch noch im selben Moment fiel ihm die Antwort auf diese Frage auch schon ein. Der blaue Drache hatte nach der Fokussierenden Iris gesucht. Nun war diese Suche zu Ende: Der Drache hatte sowohl das Artefakt als auch seine grausame Meisterin gefunden. Erleichtert, dass er jetzt einen Verbündeten auf seiner Seite hatte, konzentrierte der Orc einmal mehr seine ganze Energie darauf, die schäumende, bebende Flutwelle zurückzuhalten.


Jaina taumelte, als Kalecgos vor ihr landete. „Geh zur Seite!“, fauchte sie, noch während sie versuchte, sich von ihrer Überraschung zu erholen. Dabei bemerkte sie kaum, dass sie ihn duzte. „Das ist nicht dein Kampf!“

Er verwandelte sich zwar in seine Halbelfenform, stand aber noch immer zwischen ihr und Thrall. „Oh doch, das ist es“, sagte er, und nun duzte auch er sie. „Die Fokussierende Iris gehört nicht dir, sondern dem blauen Drachenschwarm. Sie wurde uns gestohlen und für einen feigen und schrecklichen Angriff missbraucht. Ich kann und will nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschieht.“

„Was ich tue, ist nicht feige!“, schrie Jaina. „Es ist gerecht! Du bist nach Theramore zurückgekehrt, Kalec. Du hast gesehen, was dort geschah. Du kanntest sie nicht so gut wie ich, aber die Leidende und Tervosh und K-kinndy – sie waren auch deine Freunde! Nichts außer Staub war noch von ihnen übrig, Kalec. Staub!“

Bei diesem letzten Wort kippte ihre Stimme. Er machte keinerlei Anstalten sie anzugreifen, wohingegen sie noch immer in Kampfhaltung dastand, die Hand fest auf der Fokussierenden Iris.

„Auch ich habe die verloren, die ich liebe“, entgegnete er. „Ich verstehe also zumindest einen Teil deines Schmerzes.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und streckte beschwörend die Arme aus.

„Halt! Rühr dich nicht von der Stelle!“ Wieder knisterte arkane Energie um ihren Körper. „Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle!“

„Bist du da so sicher?“ Kalec war stehen geblieben, aber nicht zurückgewichen. „Dann sag mir, ob dir das vertraut vorkommt: Zunächst kann man es gar nicht begreifen, dann kommen die Schuldgefühle, aber auch die Zweifel und die Taubheit, weil man noch immer nicht in der Lage ist, es ganz und gar zu verarbeiten. Man kann sich nur Stück für Stück damit auseinandersetzen, so, als würde man den Vorhang vor dem Fenster der Seele Zentimeter um Zentimeter zurückziehen. Und jedes Mal, wenn einem aufs Neue klar wird, dass man diese geliebte Person niemals wiedersehen wird, erfasst einen dieser merkwürdige Schock – wieder und wieder und wieder. Und dann kommt der Zorn. Der Hass. Der Wunsch, denjenigen wehzutun, die dir wehgetan haben. Die zu töten, die jenes geliebte Wesen getötet haben. Aber weißt du was, Jaina? So löst es sich nicht! Was ändert sich, falls du das tust und Orgrimmar unter dieser Welle begraben wird? Wird Kinndy in Theramore auf dich warten, wenn du zurückkehrst? Wird Tervosh wieder in seinem Kräutergarten stehen und Unkraut jäten? Wird die Leidende wieder ihr Schwert schärfen und dabei finster vor sich hin blicken, wie sie es so gerne tat? Jaina, keiner von ihnen wird zurückkommen.“

Ihr Herz zog sich vor Qualen zusammen. Sie wollte nicht auf seine Worte hören, denn alles, was er sagte, war so schrecklich wahr. Sie durfte sich nicht eingestehen, dass er recht hatte, denn dann musste das Feuer des Zorns in ihr erlöschen.

„Nun, dann sollen sie zumindest Gesellschaft bekommen“, schnappte sie.

„In diesem Fall solltest du bereit sein, dich ihnen bald ebenfalls anzuschließen“, fuhr Kalec unbeirrt fort, „denn ich weiß, du könntest nicht mehr mit dir selbst leben, wenn du es tatsächlich tust. Jaina – all die Dinge, die ich beschrieben habe, habe ich durchlitten. Ich habe sie so tief, so intensiv gefühlt, dass ich nicht wusste, wie mein Herz es überhaupt noch ertragen konnte weiterzuschlagen. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Und … ich weiß auch, dass diese Wunde geheilt werden kann. Es dauert lange, und es geschieht nur Stück für Stück, aber sie kann verheilen. Es sei denn, du gibst nach und tust etwas, von dem du dich nie wieder erholen wirst. Und glaub mir – falls du diese Welle nach Orgrimmar schickst, wirst du innerlich so tot sein wie diejenigen, um die du angeblich trauerst.“

„Ich trauere sehr wohl um sie!“, kreischte Jaina. „Mehr, als du dir vorstellen kannst. Ich vermag kaum noch zu atmen vor Trauer um sie, Kalec. Ich kann nicht mehr schlafen. Und wann immer ich an sie denke, sehe ich ihre Gesichter – und dann ihre Leichen. Die Horde muss zahlen!“

„Aber nicht durch deine Hand, Jaina, und auch nicht so.“ Es war nicht Kalec, der diese Worte aussprach, sondern Thrall, und ihre Augen huschten zu ihm hinüber. „Es gibt Gerechtigkeit, und es gibt Rache. Falls du den Unterschied zwischen beidem nicht erkennst, ist alles, was du tust, nur ein Verrat an denen, die dich geliebt haben.“

„Garrosh …“

„Garrosh ist ein Dieb und Feigling und Schlächter“, sagte Thrall mit ruhiger Stimme. „Und du tust jetzt genau das Gleiche, was er getan hat – bis hin zum Einsatz desselben Artefakts, das Theramore vernichtete. Ist es das, was du willst? Wirklich? Soll das das Erbe sein, das du deinem eigenen Volk hinterlässt?“

Jaina stolperte nach hinten, als hätte ein Faustschlag sie getroffen. Aber nein, er war ein Orc; er war genauso wie die anderen. Ihr Vater hatte recht gehabt. Er wollte sie nur verwirren. Heftig schüttelte sie den Kopf.

„Ich weiß, dass richtig ist, was ich tue!“, rief sie.

„Das dachte Arthas gewiss auch, als er jeden in Stratholme niedergemetzelt hat“, sagte Kalec. Jaina starrte ihn an, ungläubig und angewidert, doch er fuhr fort, als bemerkte er ihren Blick überhaupt nicht. „Aber zumindest war sein Herz nicht mit Hass gegen jene erfüllt, die er tötete. Thrall hat recht. Soll das wirklich dein Erbe sein, Jaina Prachtmeer? Willst du als der nächste Garrosh, der nächste Arthas in die Geschichte eingehen?“

Jainas Beine gaben nach, sie sackte in den Sand. Aber ihre Hand ruhte noch immer auf der Fokussierenden Iris. Ihre Gedanken, erfüllt von nebulöser Ungewissheit und Verzweiflung, überschlugen sich.

Arthas …

Ich kann nicht mit ansehen, wie du das tust.

Diese Worte hatte sie an ihn gerichtet, nachdem sie ihn angefleht hatte, er möge seine Entscheidung noch einmal überdenken, und anschließend war sie mit Uther davongeritten, weinend ob der Person, in die sich Arthas verwandelt hatte. Langsam, als wöge ihr Kopf eine ganze Tonne, drehte sie sich herum und blickte ihre Hand an, die sich gegen die Fokussierende Iris presste. Dass ein so simpler Gegenstand so viel Macht haben, so viel Leid anrichten konnte, dachte sie. Das Artefakt war benutzt worden, um die fünfköpfige Monstrosität Chromatus zum Leben zu erwecken, hatte sämtliche arkane Energie in Azeroth zum Nexus umgeleitet, und zuletzt hatte es eine Manabombe gespeist, mit der unschuldige junge Mädchen zu Staub verbrannt worden waren.

Um damit Orgrimmar auszulöschen …

Sie erinnerte sich daran, wie Arthas Antonidas verspottet hatte, bevor Archimonde Dalaran zerstörte, und dann sah sie wieder das Gesicht ihres alten Mentors vor sich, gebildet aus violettem Rauch: Dieses Buch ist nicht für unvorsichtige Hände oder neugierige Augen bestimmt. Wissen darf nicht verloren gehen, aber es darf auch nicht leichtfertig eingesetzt werden. Also halte deine Hand zurück – oder fahre fort, so du denn den Weg kennst!

Sie hatte so sehr nach Vergeltung gestrebt, dass sie die Worte als Einladung betrachtet hatte – doch es war keine Einladung gewesen, andernfalls hätte sie das magische Siegel nicht aufbrechen müssen.

Fahre fort – so du denn den Weg kennst!

Hatte sie den Weg gekannt? Nein, sie war verloren, irrte blind umher. Wenn überhaupt, war Antonidas’ flüchtige Erscheinung eine Warnung gewesen, kein Ausdruck der Zustimmung. Sie wusste, wie er reagieren würde, könnte er sehen, was sie gerade tun wollte, und dieses Wissen war wie ein Messer in ihrem Leib.

Die Hand auf der Fokussierenden Iris ballte sich zur Faust.

Langsam stand Jaina auf. Ihr tränenüberströmtes Gesicht wandte sich erst Kalec zu, dann Thrall.

„Nach dem, was er getan hat, kann Garrosh nur noch mein Feind sein – und ebenso die Horde, solange er ihr Kriegshäuptling ist. Ich habe Hunderte von Elementarwesen unter meinem Befehl, und ich werde sie auch einsetzen.“

Sowohl der blaue Drache als auch der Orc spannten ihre Körper an.

Jaina schluckte hart, und die nächsten Worte mussten sich erst einen Weg an dem Kloß in ihrem Hals vorbeibahnen. „Ich werde sie benutzen, um der Allianz zu helfen. Um meine Leute zu schützen. Ich werde nicht eine ganze Stadt vernichten, denn ich bin nicht Garrosh. Und ich werde auch keine unbewaffneten Zivilisten ermorden, denn ich bin nicht Arthas. Ich bin mein eigener Herr.“

Nach diesen Worten brach die Flutwelle auseinander. Sie war nicht länger eine hoch aufragende Mauer aus Wasser, sondern bestand wieder aus Hunderten einzelner Wasserelementare, deren Körper in der Strömung auf und abhüpften, während sie auf Jainas Befehle warteten.

„Du hast jedes Recht, Krieg gegen die Horde zu führen, Jaina“, erklärte Thrall. „Aber das Blut, das von nun an an deinen Händen kleben wird, wird das von Soldaten sein, nicht das von Kindern. Bald schon wird dein Herz froh sein, dass du diese Entscheidung getroffen hast.“

„Du kennst mein Herz nicht mehr, Thrall“, entgegnete sie. „Ich bin keine Schlächterin, aber ich werde auch nicht länger um jeden Preis nach Frieden streben. Die Horde, die du nicht länger anführst, ist eine Gefahr, und wir müssen ihr die Stirn bieten, wo immer sie sich zeigt. Wir müssen sie besiegen. Vielleicht kann es danach Frieden geben – aber auf keinen Fall vorher.“

Trotz dem, was sie über ihr Herz gesagt hatte, spürte sie einen schmerzhaften Stich, als sie seinen reuevollen Gesichtsausdruck bemerkte. Die Personen, die in Theramore und der Feste Nordwacht das Leben verloren hatten, waren nicht die einzigen Opfer dieses Feldzuges. Auch ihre Freundschaft, die so viele Jahre überdauert hatte, auf die sie so stolz gewesen waren und die sie so behutsam gepflegt hatten, hatte den Angriff der Horde nicht überlebt. Es würde viele, viele Jahre dauern, bis sie Thrall wieder einen „Freund“ nennen konnte – falls überhaupt. Und das musste auch ihm klar sein.

„Der kommende Krieg wird Azeroth ebenso erschüttern wie der Kataklysmus, allerdings auf andere Weise“, meinte der Orc. „Und ich habe geschworen, diese Welt zu heilen. Darum will ich nun zum Mahlstrom zurückkehren. Lady Jaina, ich wünschte, wir könnten uns unter anderen Umständen voneinander verabschieden.“

„Ich ebenfalls“, sagte Jaina. Und meinte es ernst. „Aber dieser Wunsch ändert rein gar nichts.“

Thrall verbeugte sich tief, dann beschwor er einen Geisterwolf und stieg auf seinen Rücken. Kurz darauf verließen der Schamane und seine mystische Kreatur das Prügeleiland, und das Wasser des Ozeans trug ihr Gewicht, als wäre es fester Boden. Jaina und Kalec blickten ihnen schweigend nach, dann aber wandte sich die Herrscherin von Theramore zu dem Drachen um.

„Und was wirst du tun, Kalec vom blauen Drachenschwarm?“, fragte sie leise.

„Ich werde Lady Jaina hintragen, wohin auch immer sie möchte“, erklärte er.

„Ich muss dorthin, wo die Flotte der Allianz gerade gegen die Horde kämpft“, sagte sie. „Aber zuerst … möchte ich Orgrimmar sehen.“

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