Epilog

Als Jaina und Kalecgos Dalaran erreichten und um eine Audienz beim Rat der Kirin Tor baten, waren sie darauf vorbereitet, dass man sie fortschicken oder auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten werde, doch stattdessen versicherte ihnen der Magier, der sie am Eingang begrüßte, dass der Rat sie empfangen wolle. Jetzt gleich. Ein paar Sekunden später fanden sich die beiden dann auch schon in der ewig erhabenen, sich stets verwandelnden Kammer der Luft wieder, und Kalec, der zum ersten Mal hier war, konnte nicht anders, als sich umzusehen und das Spektakel der Himmelsbilder zu bewundern.

„Der Rat heißt Kalecgos vom blauen Drachenschwarm und Lady Jaina Prachtmeer willkommen“, sagte Khadgar, seine Stimme war zwar altersschwer, aber doch voller Energie. „Die Welt hat sich verändert, seit wir Euch zum letzten Mal hier sahen, Lady. Warum seid Ihr und Euer Freund gerade an diesem Tage hier, um uns zu sprechen?“

„Aus vielerlei Gründen“, antwortete Jaina. „Zunächst einmal … schulde ich Euch allen eine Entschuldigung.“ Sie hielt das Buch hoch, das es ihr erlaubt hatte, die Fokussierende Iris in Anspruch zu nehmen. „Ich behielt dies ohne …“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will es nicht schönreden. Ich habe es gestohlen, und ich habe das Siegel gebrochen, um eine schreckliche Waffe gegen meinen Feind einzusetzen.“

„Aber Ihr habt diese Waffe doch nicht verwendet?“, fragte Khadgar. „Denn sofern meine Quellen nicht jegliches Pflichtgefühl vergessen haben – und das würde ihnen kaum ähnlich sehen –, dann steht Orgrimmar noch, auch wenn sich Garrosh Höllschrei schmollend in die Feste Grommash zurückgezogen hat.“

„Ich habe sie nicht gegen Orgrimmar eingesetzt, das stimmt“, nickte Jaina. „Kalecgos hier und Thrall haben mich wieder zur Vernunft gebracht. Aber ich habe ein Artefakt benutzt, um die Flotte der Allianz zu verteidigen. Jetzt gebe ich Euch dieses Buch zurück, ebenso wie ich Kalecgos zuvor die Fokussierende Iris zurückgegeben habe.“

„Und ich“, fügte Kalec überraschenderweise hinzu, „würde dieses Artefakt gerne den Kirin Tor zum Geschenk machen.“

Gemurmel erhob sich in dem Raum. Selbst Jaina war verblüfft. „Kalec – die Iris gilt doch seit Urzeiten als Schatz des blauen Drachenschwarms.“

„Doch jetzt ist der Schwarm in alle Winde verstreut“, erklärte Kalec, „und es gibt niemanden mehr, der auf diesen Schatz aufpassen kann. Zu meiner großen Schande ist es uns nicht gelungen, ihn zu beschützen, und ich halte mich nicht länger für einen würdigen Wächter dieses Artefakts. Bitte – werdet Ihr die Fokussierende Iris annehmen? Ich weiß, es gibt zahlreiche wertvolle Artefakte in Dalaran. Ich könnte mir keinen sichereren Ort für die Iris vorstellen.“

Modera trat vor und nahm sowohl das gestohlene Buch als auch die miniaturisierte Iris entgegen, wobei sie eine Verbeugung vor dem Drachen andeutete. „Die Sorge um das Wohl anderer ist Euch wichtiger als Euer Selbst, Kalecgos. Das soll nicht vergessen werden.“

Karlain richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und musterte Jaina mit vor der Brust verschränkten Armen. „Lady Jaina Prachtmeer“, sagte er. „Ihr seid doch nicht nur hierhergekommen, um das Buch zurückzugeben.“

„Nein“, bestätigte sie. „Ich bin … ich bitte ergebungsvoll darum, als Novizin in die Reihen der Kirin Tor aufgenommen zu werden.“

Nachdem sie Dalaran so viele Jahre ferngeblieben war, hätte dies die Ratsmitglieder eigentlich überraschen müssen, doch falls sie verwirrt waren, ließ sich zumindest keiner von ihnen etwas anmerken. Khadgar hob die Hand, woraufhin die anderen vier zu ihm traten. Kurz unterhielten sie sich leise flüsternd, und Jaina wandte sich höflich von ihnen ab, damit sie möglichst ungestört ihre Meinungen austauschen konnten. Kalec griff nach ihrer Hand.

„Ich würde dir ja gern sagen, du solltest dir keine Sorgen machen, aber das würde wohl nicht viel nützen“, sagte er.

Sie lächelte kurz, dann meinte sie: „Ich bin … nicht sicher, was ich tun werde, falls sie mich ablehnen. Obwohl ich in letzter Sekunde innegehalten habe, bevor ich Orgrimmar zerstören konnte – und ich bin froh, dass ich das getan habe –, glaube ich doch noch immer, dass Garrosh vom Thron des Kriegshäuptlings enthoben werden muss. Das ist nicht gerade eine … neutrale Einstellung.“

„Du bist eine fähige, kluge und großherzige Frau, Jaina“, entgegnete Kalec mit sanfter Stimme. „Für jemanden wie dich gibt es immer einen Platz.“

„Lady Prachtmeer?“

Es war Khadgar, der gerufen hatte, und Jaina wandte sich mit rasendem Herzen wieder zu ihm um. „Wir müssen Eure Bitte, diesem ehrenvollen Orden als Novizin beizutreten, leider ablehnen.“

Sie spürte den schmerzhaften Stachel der Enttäuschung, und er saß tiefer, als sie erwartet hatte. „Ich verstehe“, sagte sie leise. „Meine Taten sind unverzeihlich.“

Khadgar fuhr fort. „Aber sie können wiedergutgemacht werden. Und Ihr könntet ja wohl kaum eine Novizin der Kirin Tor sein, wenn wir in Euch gerne die Anführerin des Ordens sehen würden, nicht wahr?“

„Was?“ Das Wort platzte in einem überraschten Keuchen aus ihr heraus, wie man es dem Mädchen nachgesehen hatte, das sie einst gewesen war, nicht aber der Frau, die nun hier in der Kammer der Luft stand. „Aber ich – ich war doch …“ Ihre Stimme versagte, und eine Weile starrte sie Khadgar einfach nur stumm an.

„Rhonin hat sein Leben gegeben, um Euch zu retten, Jaina. Er sagte Euch, dass Ihr die Zukunft der Kirin Tor wäret.“

Sie nickte. „Aber das ergab keinen Sinn für mich. Ich war ja nicht einmal ein Mitglied des Ordens.“

„Für uns ergab es ebenso wenig Sinn, als er immer und immer wieder darauf beharrte“, warf Modera ein. „Aber Vereesa hat in seinem Schreibtisch eine Schatulle gefunden, die mehrere Schriftrollen enthielt. Auf ihnen hat kein Geringerer als Korialstrasz selbst seine Prophezeiungen niedergeschrieben.“

Jaina und Kalec blickten einander an. „Und … wurde ich in einer dieser Prophezeiungen erwähnt?“

„Nicht namentlich“, sagte Khadgar. Er zog eine Schriftrolle aus seiner Tasche und hielt sie Jaina hin. „Bitte, lest es selbst vor!“

Jaina nahm die Schriftrolle mit zitternden Händen entgegen und begann mit unsicherer Stimme zu rezitieren:

Auf das Rot folgt das Silber,

Und die Lady, einst eine goldene Pracht;

Nun, gequält und verbittert,

Richtet ihre Gedanken auf die Schlacht.

Wie Saphir und Diamant leuchtet sie nun,

Die führen soll die Kirin Tor,

„Königin“ eines gefallenen Reiches

Führt an des Krieges Chor.

Doch seid gewarnt – die Gezeiten des Krieges

Tragen nicht jeden an die Gestade des Sieges

Tatsächlich, es passte. Auf Rhonin folgte Lady Jaina Prachtmeer, deren goldenes Haar sich in Silber verwandelt hatte. Ihre Augen hatten die Farbe von Saphiren, und eine Zeit lang hatten sie wie Diamanten geleuchtet. Sie war gequält gewesen und verbittert, ihr Reich war gefallen, und auf gewisse Weise hatte sie eine kriegerische Ansicht vertreten. Ungläubig blickte sie zu den Mitgliedern des Rates auf.

„Aber – mich nur auf der Grundlage dieser Prophezeiung auszuwählen …“

„Oh, das ist nicht alles“, meldete sich nun überraschenderweise Aethas Sonnenhäscher zu Wort. „Ihr seid immer stark gewesen, Mylady. Sowohl in Euren Fähigkeiten als auch in Eurem Willen. Selbst als Ihr in Versuchung geführt wurdet, und letzten Endes sogar, als ihr unter den Nachwirkungen der Manabombe littet, habt ihr einen gerechten Weg gewählt, anstatt dem dunklen Pfad der Rache zu folgen. Ihr müsst zugeben, es ist unwahrscheinlich, dass Euch jemals wieder etwas so auf die Probe stellen könnte wie der Untergang von Theramore. Und ich glaube, es gibt selbst in diesem Kreis niemanden, der unter den gegebenen Umständen besser gehandelt hätte. Um die Wahrheit zu sagen … wir hätten uns womöglich nicht halb so gut geschlagen.“

„Ihr versteht nicht“, entgegnete sie. „Ich brauchte Hilfe, um nicht zu … etwas Schrecklichem zu werden. Ohne Kalecgos hätte ich es nie geschafft.“

„Nun“, meinte Khadgar, während sein Blick zu dem blauen Drachen hinüberwanderte, „dann sollten wir wohl dafür sorgen, dass er nie fern von Eurer Seite ist. Ihr habt uns bereits viel über Euch verraten, indem Ihr uns die Fokussierende Iris anvertraut habt, Kalecgos. Würdet Ihr vielleicht selbst gern ein Mitglied der Kirin Tor werden? Es klingt, als hätte Eure Gegenwart einen guten Einfluss auf die Erzmagierin Prachtmeer. Vorausgesetzt natürlich, sie nimmt unser Angebot an.“

Und schon hatten die Kirin Tor einen zweiten Drachen in ihren Reihen – und eine noch immer völlig verwunderte Jaina Prachtmeer als neues Oberhaupt.


Kaum dass sie die offizielle Einweisung hinter sich gebracht hatte, war die neue Erzmagierin und Führerin der Kirin Tor nach Theramore zurückgekehrt. Varian hatte Wort gehalten und ein Schiff von der Nordwacht geschickt, dessen Besatzung sich um die Leichen der Gefallenen und sogar um den violetten Staub gekümmert hatte. Vor den Toren der Stadt befand sich nun ein Massengrab, schockierend und deprimierend in seiner Größe. Für Jaina war es schwer gewesen, sich diesem Anblick zu stellen, aber nicht so schwer, wie sie befürchtet hatte; immerhin hatte sie bereits von ihren Freunden Abschied genommen, gemeinsam mit Kalecgos.

Nun nahm sie an einer Zeremonie teil, von der sie sich mit ganzem Herzen wünschte, dass sie nicht stattfinden müsste. Es war ein wunderschöner Sonnenuntergang in Dalaran; der Himmel füllte sich noch einmal mit Farbe, bevor er der Dunkelheit Platz machen musste. Und in gewisser Weise spiegelte das auch die gramvolle Natur des Rituals wider.

Heute nahmen sie Abschied von Rhonin.

Seine Kinder waren da, eines auf jeder Seite seiner Ehefrau, eineiige Zwillinge mit dem feuerroten Haar ihres Vaters und den Augen und dem schlanken Wuchs ihrer Mutter. Jaina hatte erfahren, dass sie erst vor Kurzem Geburtstag gehabt hatten, und sie war froh, dass Rhonin zumindest lange genug gelebt hatte, um diesen Tag noch gemeinsam mit ihnen zu feiern. Giramar war um ein paar Sekunden älter als sein Bruder, und er schien auch ein wenig gefasster zu sein als Galadin, dessen Unterlippe während der Zeremonie bebte. Nichtsdestotrotz standen beiden Jungen nicht vergossene Tränen in den Augen. Sie trugen verzierte Roben, wie sie für ein solches Ritual angemessen waren. Doch im Gegensatz zu ihrem Aussehen gab es in ihrer Kleidung Unterschiede; Giramars Robe war indigoblau, mit silbernen Borten, während Galadin einen dunkelgrünen Stoff mit goldener Verzierung gewählt hatte.

Ihre Mutter trug nicht die Rüstung, in der Jaina sie so oft gesehen hatte, sondern ein Kleid. Einige der Anwesenden schienen irritiert, dass es weder schwarz noch sonderlich zurückhaltend war. Doch Vereesa Windläufer war eine stolze und wunderschöne Frau, und ihre Ehe mit dem ebenso temperamentvollen wie gutmütigen Erzmagier war von Leidenschaft und Hingabe erfüllt gewesen. Darum hatte sie sich für dieses fließende rote Kleid entschieden, das man eher bei einem Ballabend als auf einer Beerdigung erwartet hätte; sie wollte das wundervolle Leben mit Rhonin feiern, nicht dessen Ende betrauern. Vereesas Augen waren trocken; sie hatte all ihre Tränen schon zuvor vergossen. Jaina empfand tiefstes Mitgefühl mit ihr, aber auch die größte Bewunderung. Rhonins Söhne hatten nun keinen Vater mehr, aber dafür eine Mutter, die sie gut erziehen würde.

Es war erstaunlich, wie viele Trauergäste sich vor der Violetten Zitadelle eingefunden hatten. Jaina schätzte, dass beinahe jedes Mitglied der Kirin Tor, das nicht dringend andernorts gebraucht wurde, in die schwebende Stadt gekommen war. Und warum auch nicht? Rhonin hatte es verdient, dass man ihm den letzten Respekt zollte.

„Es ist noch gar nicht so lange her“, begann Jaina ihre Ansprache, „da haben die Kirin Tor eine mutige Entscheidung getroffen, indem sie Rhonin zu ihrem Anführer wählten. Er war unorthodox und unverblümt, stürmisch und stur. Er hatte einen wundervollen Sinn für Humor und endlose Liebe für seine Freunde und seine Familie.“ Sie lächelte den Zwillingen zu, die zwar leise schnieften, aber mit bebenden Mundwinkeln die Geste erwiderten. Anschließend wandte sich Jaina den anderen Mitgliedern im Rat der Sechs zu und fuhr fort: „Er hat Dalaran eine neue Richtung gegeben und die Kirin Tor durch einen Krieg mit dem Aspekt geführt, der eigentlich dazu auserwählt war, die Magie in dieser Welt zu überwachen und zu kontrollieren. Er starb so, wie er lebte – während er anderen half und sie beschützte.“

Nun drohte ihre eigene Stimme zu zittern, und sie machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. „Mit seinem letzten Atemzug hat er mich durch ein Portal gestoßen – und damit mein Leben gerettet, obwohl er dadurch sein eigenes verlor. Er glaubte daran, dass ich die Zukunft der Kirin Tor sei, und weil Ihr derselben Meinung wart, stehe ich nun hier. Ich kann ihm nur nachfolgen; niemals werde ich ihn ersetzen können.“

Sie blickte über das Meer aus purpurnen Roben hinweg, und ihr Herz schmerzte noch ein wenig mehr, als sie in der Menge auch das Ehepaar Funkenleuchter entdeckte. „Der Wind der Veränderung weht dieser Tage stärker; Azeroth steht am Rande eines Krieges. Wir Kirin Tor können ruhig im Auge des Tornados stehen, falls wir das wollen. Wir können die Stimme der Vernunft sein, wenn die ganze Welt dem Wahnsinn anheimfällt. Wir können uns unserer eigenen Fähigkeiten und unseres Wissens entsinnen, doch auch der Fähigkeiten und des Wissens der anderen. Ich bin zurück in Dalaran, aber der Weg hierher war ein verschlungener und rätselhafter. Lange war ich fort, und nun bin ich froh, wieder hier zu sein und alles, was ich gelernt habe, sowohl durch Schmerz als auch durch Liebe, in diese Aufgabe mit einfließen zu lassen. Und auch wenn ich mein Verhalten in jüngster Vergangenheit bedaure, bedaure ich doch nicht, wie ich mich dadurch verändert habe. Ich werde Euch anführen, so gut ich es nur kann. Es ist Zeit, die schwebende Stadt zurück auf die Erde zu bringen. Ich werde das aber nicht allein tun, sondern stets Euren Rat einholen. Rhonin soll mir als Beispiel dienen. In seinen Fußstapfen will ich ehrenhaft herrschen. All das verspreche ich – aber ich werde auch weiterhin die Auffassung vertreten, die viele unter Euch bereits kennen: dass diese Welt nicht sicher sein kann, solange Garrosh Höllschrei Kriegshäuptling der Horde ist. Wie meine Pflichten und Überzeugungen sich versöhnen lassen, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bin sicher, dass es eine Möglichkeit geben wird.“ Sie dachte an die Prophezeiung und musste schmunzeln. „Ein sehr weises Wesen schien jedenfalls davon überzeugt zu sein.“

Jaina streckte die Arme nach oben. „Nicht einmal Eure Asche können wir verstreuen, mein Freund. Aber Euer Geist lebt weiter. Im Herzen Eurer tapferen Frau und Eurer wundervollen Kinder und in der Weisheit der Kirin Tor.“

Nun begann sie ihre Finger in einer webenden Bewegung zu krümmen. Kalecgos und die anderen Mitglieder im Rat der Sechs, die neben ihr standen, taten es ihr gleich, ebenso wie alle anwesenden Magier. Jaina musste an eine ganz besondere Unterhaltung mit Kalec denken, die inzwischen schon so schrecklich lange zurückzuliegen schien, und noch einmal umspielte ein Lächeln ihre Lippen, als ein blasser lavendelfarbener Ball arkaner Energie in ihrer Hand entstand.

„Es gibt einen Rhythmus, einen Kreislauf – ein Muster.“ Sie schob ihre Finger in den Ball arkaner Magie, und er brach auseinander, aber nur, um sich wieder neu zusammenzusetzen – zu einer Kugel aus Zeichen, Symbolen und Zahlen. „Alles verändert sich, ob nun durch äußere Einflüsse oder von innen heraus. So ist die Magie. Und auch wir sind Magie.“

Sie streckte die Handfläche nach oben, und zwar so, dass die kleine Kugel in die Höhe schwebte. Andere Magiebälle folgten ihr, erst Dutzende, dann Hunderte, als auch die Bewohner von Dalaran, die auf dem Platz vor der Zitadelle keinen Platz mehr gefunden hatten, ihren Teil zu der Zeremonie beitrugen und sich dieser Abschiedsgeste anschlossen. Die Lichter trieben dem Himmel entgegen und hoben sich wie Glühwürmchen aus lavendelfarbener Magie vor dem dunkler werdenden Zwielicht ab. Trotz allem – trotz des tragischen Schicksals von Theramore und der Katastrophe, die sie um ein Haar ausgelöst hätte, ja, selbst trotz des Verlustes von Rhonin – spürte Jaina, wie ihr Herz mit diesen Kugeln in die Höhe flog.

Alles verändert sich, dachte sie. Ich, Thrall, Garrosh, Varian … Azeroth.

Eine warme Hand schloss sich um die ihre, und sie lächelte Kalecgos zu. Welche Veränderungen sie auch erwarten mochten, sie war dazu bereit.


Klink, klink, klink, zschhhh …

Der Zwerg stand mit nacktem Oberkörper in der großen Schmiede von Eisenschmiede, und das Feuer schimmerte auf seiner schweißbedeckten Brust, während er arbeitete. Die Esse der Schmiede brannte immer, doch noch nie war sie zu einem solchen Zweck genutzt worden wie heute. Unter der Erde gab es keinen Tag und keine Nacht, und darum gab es auch keine Pausen bei der Arbeit, erst recht nicht jetzt, da der Krieg in der Luft lag und die Allianz vorbereitet werden musste. Der Zwerg legte die fertiggestellte Waffe beiseite, dann presste er die Hände auf seinen Rücken und streckte sich. Als seine Wirbel dabei knackten und knirschten, zuckte er zusammen, aber er gönnte sich nur einen kurzen Moment, um einen Schluck aus dem Wasserbeutel zu nehmen und sich über den roten Bart zu wischen, bevor er sich wieder an die Arbeit machte.

Derweil wurden in Sturmwind neue Schiffe gebaut, und die Arbeiter in den Werften verfeinerten dabei beständig ihre Methoden, um die Schiffe schneller und noch schneller fertigzustellen. Das Licht wusste, die Flotte brauchte sie. Garrosh mochte sie unterschätzt haben, aber sie durften sich nicht darauf verlassen, dass er ihnen ein zweites Mal diesen Gefallen täte. Die Horde war mit ihrer Flotte noch immer unversehrt, auch wenn sie sich zurückgezogen hatte. Von der Allianz konnte man das leider nicht behaupten. Varian stand in der Nähe des Hafens und beobachtete noch eine ganze Weile die Arbeiten, dann wandte er sich um und ging zur Burg.

Er musste einen Krieg vorbereiten.


Garrosh marschierte in der Feste Grommash auf und ab. Seine Befehle waren bereits überall in der Stadt angeschlagen:

AN SÄMTLICHE KÖRPERLICH GESUNDEN MITGLIEDER DER HORDE!

KRIEGSHÄUPTLING GARROSH HÖLLSCHREI RUFT ALLE BÜRGER ZU DEN WAFFEN!

ERWACHSENE, MÄNNER UND FRAUEN! MAN WIRD EUCH AUSBILDEN, UM IN EINEM KRIEG GEGEN DIE ALLIANZ ZU KÄMPFEN, EINEM KRIEG, AUS DEM DIE HORDE ALS SIEGER HERVORGEHEN WIRD!

KINDER UND ANDERE, DIE KEINE WAFFEN TRAGEN KÖNNEN – IHR WERDET DABEI HELFEN, WAFFEN HERZUSTELLEN, UND EUCH UM DIE BEDÜRFNISSE DER KRIEGER KÜMMERN!

JEDER, DER SICH SEINER PFLICHT ENTZIEHT, MACHT SICH DES HOCHVERRATS SCHULDIG UND WIRD VON DEN KOR’KRON UNTER ARREST GESTELLT.

ES WERDEN KEINE AUSNAHMEN GEMACHT.

FÜR DIE HORDE!

Die ohnehin schon rege Tätigkeit, die Orgrimmar während der letzten Monate erfüllt hatte, war nun noch um das Tausendfache hektischer geworden. Feuer brannten zu jeder Tages- und Nachtzeit, und die Kor’kron zogen beständig neue Wehrpflichtige ein.

Garrosh Höllschrei befand sich unterdessen allein in der Feste Grommash. Er blieb stehen und starrte auf die Karte der Östlichen Königreiche hinab, die auf einem der Tische ausgebreitet lag, beleuchtet vom Schein der Kerzen. Dabei drehte er gedankenverloren einen Dolch zwischen seinen Fingern und tippte mit dem Daumen gegen die Klingenspitze. Seine Augen hingen an einem Namen, einem Wort:

STURMWIND

Anschließend hob er den Dolch hoch über den Kopf und rammte ihn fast bis zum Heft in die Mitte des Ms.

„Ich werde zusehen, wie deine Stadt um dich niederbrennt, Varian Wrynn“, brummte er, während ein Grinsen seine Hauer umspielte. „Schließlich … kann es nur einen Sieger in diesem Krieg geben.“

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