Morgan Leah war entsetzt. »Was soll das heißen, wir gehen wieder zurück?« wollte er von Walker Boh wissen. Er war nicht einfach entrüstet, er war zutiefst erschrocken. »Wer gibt dir das Recht, irgendeine Entscheidung zu treffen, Walker? Quickening hat die Führung in diesem Unternehmen, nicht du!«
»Morgan«, sagte das Mädchen. Sie versuchte, seine Hand zu nehmen, doch er wich hastig zurück.
»Nein. Ich will das klarstellen. Was geht hier vor? Ich gehe für einen Augenblick aus dem Zimmer, nur um zu sehen, ob Horner nicht … und als ich zurückkomme, finde ich euch nah genug, um …« Die Worte blieben ihm im Hals stecken, sein Gesicht lief rot an, als ihm das, was er sagen wollte, in vollem Umfang bewußt wurde.
»Morgan, hör mich an«, fuhr Quickening fort. »Wir müssen den schwarzen Elfenstein zurückerobern. Wir müssen.«
Der Hochländer ballte seine Hände hilflos zu Fäusten. Ihm war bewußt, wie albern er aussah, wie jung. Mit großer Anstrengung versuchte er, seine Selbstkontrolle zurückzugewinnen. »Wenn wir wieder dorthin zurückgehen, Quickening, werden wir getötet. Vorher wußten wir nicht, mit was wir es zu tun haben, jetzt wissen wir es. Uhl Belk ist zu viel für uns. Wir haben es alle gesehen – etwas, das nur noch ganz entfernt menschlich ist, steingepanzert und in der Lage, uns beiseite zu fegen, als wären wir gar nichts. Er ist Teil des Landes selbst! Wie sollen wir gegen so etwas ankommen? Er wird uns mit Haut und Haaren verschlingen, ehe wir auch nur in seine Nähe gekommen sind!«
Er zwang sich dazu, ruhiger zu atmen. »Und das nur, wenn er nicht erst einmal den Kratzer oder den Malmschlund ruft. Wir kommen schon gegen die nicht an, geschweige denn gegen ihn. Überleg doch mal, ja? Was ist, wenn er den Elfenstein gegen uns einsetzt? Was machen wir dann? Was machen wir? So oder so – du ohne jede Magie, die du benutzen kannst, ich mit meinem zerbrochenen Schwert, das den größten Teil seiner Magie verloren hat, und Walker mit … ich weiß nicht, was? Was, Walker? Was bist du?«
Der Dunkle Onkel war von dem Angriff nicht erschüttert, sein bleiches Gesicht zeigte keinen Ausdruck, und seine Augen richteten sich fest und ruhig auf den Hochländer. »Ich bin, was ich immer war, Morgan Leah.«
»Mit einem Arm weniger!« fauchte Morgan und bereute es sofort. »Nein, entschuldige, das wollte ich nicht sagen.«
Morgan wandte sich einen Moment verlegen ab, dann sah er wieder auf. »Schaut uns doch mal an«, flüsterte er. »Wir sind so gerade eben noch am Leben. Wir sind den ganzen Weg bis ans Ende der Welt gekommen, und das hat uns beinahe ganz geschafft. Carisman ist schon tot. Horner Dees vielleicht auch. Wir sind am Ende. Wir sehen aus wie Vogelscheuchen, haben uns seit Wochen nicht gewaschen, es sei denn, ihr wollt den Regen als Dusche bezeichnen. Unsere Kleider hängen in Fetzen. Wir flüchten und verstecken uns jetzt schon so lange, daß wir nicht mehr wissen, wie man kämpft. Wir hocken in dieser grauen, trostlosen Welt, wo alles, was wir zu sehen kriegen, Stein und Regen und Nebel ist. Ich hasse diesen Ort. Ich will wieder Gras und Bäume und Leben sehen. Ich will nicht hier sterben. Und ich will vor allem nicht grundlos sterben! Und genau das wird geschehen, wenn wir den Steinkönig wieder aufsuchen. Sagt doch, was haben wir für eine Chance?«
Zu seiner Überraschung erwiderte Walker Boh: »Eine bessere Chance, als du glaubst. Setz dich einen Moment hin und hör zu.«
Morgan zögerte einen Moment, Mißtrauen in den Augen. Dann ließ er sich langsam nieder. Sein Zorn und seine Verbitterung waren für den Augenblick erschöpft. Er ließ zu, daß Quickening sich neben ihn setzte und ihren Arm um ihn legte. Er ließ zu, daß die Wärme ihres Körpers in ihn drang.
Walker Boh schlug die Beine übereinander und zog seinen dunklen Umhang fest um seine Schultern. »Es stimmt, daß wir aussehen wie Bettler von der Straße einer Südlandschaft, daß wir nichts haben, womit wir Uhl Belk drohen können, daß wir für ihn so unbedeutend sind wie die winzigsten Insekten, die auf dem Boden herumkriechen. Aber dieser Anschein mag eine Illusion sein, die wir ausnutzen können. Es mag uns die Chance geben, die wir brauchen, um ihn zu besiegen. Verächtlich macht er sich unseretwegen keine Sorgen. Es ist durchaus möglich, daß er uns schon wieder vergessen hat. Er hält sich für unverwundbar. Vielleicht können wir das gegen ihn benutzen.«
Seine dunklen Augen waren ernst und konzentriert. »Er ist nicht, was er zu sein glaubt, Hochländer. Er hat sich über das Geistwesen, als das er geboren wurde, hinausentwickelt. Ich glaube sogar, er hat sich über den König vom Silberfluß hinausentwickelt. Aber seine Entwicklung ist nicht eine natürliche. Seine Entwicklung wurde durch den Einsatz des schwarzen Elfensteins bewirkt. Es mag ironisch klingen, aber die Druiden schützten ihre Magie besser, als Uhl Belk klar ist. Er glaubt, er habe ihn mit Leichtigkeit gestohlen und könne ihn unbedenklich benutzen. Aber er irrt sich. Indem er die Magie des Elfensteins anruft, zerstört er sich selbst.«
Morgan Leah schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was meinst du damit?«
»Hör ihn an, Morgan«, bat Quickening. Erwartungsvoll beugte sie sich näher.
»Ich hatte bis heute nicht begriffen, wozu der schwarze Elfenstein gedacht war«, fuhr Walker Boh eifrig mit seinen Erklärungen fort. »Cogline gab mir die Druidengeschichte und trug mir auf, sie zu lesen. Ich erfuhr von der Existenz des schwarzen Elfensteins, und daß seine Aufgabe darin bestand, Paranor von dem Zauberbann zu befreien und in die Welt der Menschen zurückzubringen. Von Quickening erfuhr ich, daß die Magie des schwarzen Elfensteins konzipiert war, die Wirkungen anderer Magien aufzuheben – auf diese Weise konnte der Zauber, der Paranor verbannt hatte, zunichte gemacht werden. Was für eine Kraft, Hochländer! Wie konnte es eine solche Kraft geben? Ich fragte mich immer wieder, ob das überhaupt möglich war, und wenn, warum dann die Druiden – die in solchen Dingen so ungeheuer vorsichtig waren – keine besseren Vorkehrungen getroffen hatten, um seinen Mißbrauch zu verhindern. Schließlich war der schwarze Elfenstein die einzige Magie, die ihre Feste wiederherstellen und den Prozeß einleiten konnte, der sie wieder an die Macht brachte. Würden sie sich diese Magie so ohne weiteres wegnehmen lassen? Würden sie zulassen, daß jemand anderer sie benutzte, insbesondere eine so mächtige Kreatur wie Uhl Belk?
Ich wußte natürlich, daß sie das nicht tun würden. Aber wie konnten sie es verhindern? Heute fand ich die Antwort auf diese Frage. Ich sah den Steinkönig den Malmschlund herbeirufen; ich beobachtete, was sich zwischen Vater und Sohn abspielte. Habt ihr es gesehen? Als Uhl Belk die Macht des Steins anrief, entstand eine Verbindung zwischen den beiden, ein Zusammenschluß. Es schien beiden Leben zu geben. Es war deutlich suchterzeugend; sie ergötzten sich daran. Die Magie des schwarzen Elfensteins war stärker als ihre eigene in dem Moment, in dem sie freigesetzt wurde. Sie war so stark, daß sie dem, was sie ihnen antat, nicht widerstehen konnten; im Gegenteil, sie genossen es.«
Er machte eine Pause. Dann senkte er seine Stimme zu einem vorsichtigen Flüstern. Die Schatten in dem Zimmer umhüllten sie wie Verschwörer. »Ich bin überzeugt, daß es das ist, was geschehen muß, wenn die Magie angerufen wird. Ja, sie hebt jede andere Magie auf, gegen die sie gerichtet wird, so, wie die Druidengeschichte berichtet. So, wie Quickening von ihrem Vater erfahren hat. Sie fordert die andere Magie heraus und raubt ihr die Kraft. Aber es muß noch mehr sein. Sie kann die Magie nicht einfach verschwinden lassen. Sie kann sie nicht einfach in Luft auflösen. Irgend etwas muß mit dieser Magie geschehen. Die Naturgesetze verlangen es. Ich glaube, was sie tut, ist, daß sie die andere Magie absorbiert und auf den Benutzer des Steins überträgt. Wenn Uhl Belk den schwarzen Elfenstein auf den Malmschlund richtet, nimmt er seinem Kind die Magie und eignet sie sich an; er nimmt das Gift, das das Land und seine Bewohner versteinert, und verwandelt auch sich selbst. Deshalb hat er sich so entwickelt. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Jedesmal, wenn er einen Teil von des Malmschlunds Magie aufsaugt, kommt Uhl Belk für eine kurze Zeit dem Sohn, den er erschaffen hat, nah. Wenn er den schwarzen Elfenstein benutzt, um an der Magie des Malmschlunds teilzuhaben, entsteht ein Band zwischen ihnen, das sie anders nicht erleben könnten. Sie hassen und fürchten einander, aber sie brauchen einander auch. Sie nähren sich aneinander, ein Nehmen und Geben, das nur der schwarze Elfenstein ermöglichen kann. Es ist das einzige, das einer Vater-Sohn-Beziehung nahekommt. Es ist das einzige, was sie verbindet.«
Er beugte sich nach vorn. »Aber es bringt Uhl Belk um. Es macht ihn vollständig zu Stein. Im Laufe der Zeit wird er in dem Stein verschwinden, der ihn umgibt. Er wird werden wie irgendeine Statue – leblos. Er tut sich das selbst an und merkt es nicht einmal. So wirkt der Elfenstein; darum war es ihm so leicht, ihn zu stehlen. Die Druiden scherte das nicht. Sie wußten, daß wer auch immer ihn benutzt, eines Tages die Konsequenzen tragen muß. Magie kann nicht ohne Folgen absorbiert werden. Uhl Belk ist süchtig auf diese Magie. Er ist auf dieses Gefühl der Transformation angewiesen, darauf, seinem steinernen Leib, dem Land, seinem Königreich und sich selbst immer mehr hinzuzufügen. Selbst wenn er es versuchte, er könnte nicht mehr aufhören.«
»Aber was soll uns das nutzen?« fragte Morgan ungeduldig. Er beugte sich neugierig vor, gefesselt von den Möglichkeiten, die Walkers Erläuterungen aufdeckten. »Selbst wenn du recht hast, was macht das für einen Unterschied? Du willst doch nicht vorschlagen, daß wir einfach abwarten, bis Uhl Belk sich umgebracht hat, oder?«
Walker schüttelte den Kopf. »Darauf können wir nicht warten. Der Prozeß kann Jahre in Anspruch nehmen. Aber Uhl Belk ist nicht so unverwundbar, wie er glaubt. Er hat sich weitgehend von dem schwarzen Elfenstein abhängig gemacht, eingepuppt in seine steinerne Festung; selbst weitgehend zu Stein geworden, interessiert er sich nicht so sehr für das, was um ihn vorgeht, als für die Nahrung, die es braucht, damit seine Mutation fortschreitet. Er ist weitgehend unbeweglich. Habt ihr ihn beobachtet, als er sich zu rühren versuchte? Er kann seine Position nicht schnell verändern, er ist mit dem Fels des Bodens verschweißt. Seine Magie ist alt und außer Gebrauch; der größte Teil seiner Tätigkeit hat damit zu tun, sich durch die Verwendung des Steins zu ernähren. Die Angst, den schwarzen Elfenstein zu verlieren, seiner Nahrungsquelle beraubt, und dem fragwürdigen Wohlwollen seines verrückten Sprößlings ausgeliefert zu sein, bestimmen all sein Denken. Er hat sich in seiner Besessenheit selbst verstümmelt. Das gibt uns eine Chance, ihn zu besiegen.«
Morgan betrachtete Walkers Gesicht eine lange Weile, überdachte die Angelegenheit trotz seines Widerwillens, daran zu glauben, daß irgendeine Erfolgschance bestand, und war sich bewußt, daß Quickenings Augen die ganze Zeit auf ihn gerichtet waren. Er hatte immer an Walker Bohs Fähigkeit geglaubt, Dinge vernünftig zu durchdenken, wenn andere dazu nicht in der Lage waren. Er war derjenige gewesen, der Par und Coll Ohmsford geraten hatte, ihren Onkel aufzusuchen, als sie wegen der von Allanon gesandten Träume Rat brauchten. Er hatte Angst vor dem, was der Dunkle Onkel vorschlug, doch er war nicht so dumm, es vollständig abzulehnen.
»Alls, was du sagst, mag ja zutreffen, Walker«, sagte er schließlich, »aber eines hast du dabei vergessen. Wir müssen ja irgendwie in den Kuppelbau gelangen, damit wir überhaupt erst eine Gelegenheit bekommen, Uhl Belk zu besiegen. Und er wird uns nicht ein zweites Mal einladen. Das hat er schon klar und deutlich gesagt. Und da wir mit unseren eigenen Mitteln nicht hineingelangen konnten, wie sollen wir ihm denn nahe genug kommen, um irgendwas zu unternehmen?«
Walker faltete nachdenklich die Hände. »Uhl Belk hat einen Fehler begangen, als er uns in die Kuppel kommen ließ. Ich war in der Lage, Dinge zu erspüren, die mir vorher verborgen gewesen waren, solange ich gezwungen war, draußen zu bleiben. Ich war in der Lage, die Natur seiner Festung zu erahnen. Er hat sich über jener Höhle niedergelassen, in der uns die Ratten bei unserer Durchsuchung der Tunnel unter der Stadt in die Enge getrieben hatten. Er hat den Gezeitenstrom zwischen sich und die unterirdische Behausung des Malmschlunds plaziert. Aber er hat sich dabei verrechnet. Der ständige Wechsel der Gezeiten haben Teile des Steins, auf dem er ruht, abgenutzt und erodiert.«
Der Dunkle Onkel kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Es gibt eine Öffnung, die den Zugang zu der Kuppel von unten her erlaubt.«
Ein anderes Augenpaar verengte sich zu Schlitzen, diese hier ungläubig, als Horner Dees die Implikationen von Pe Ells Worten in der dunklen Stille des Hauses abwog, wo die beiden Männer sich verkrochen hatten. »Umbringen willst du das Viech?« fragte er schließlich. Er konnte nicht umhin, die Worte des anderen zu wiederholen. »Warum denn das?«
»Weil es da draußen ist!« fauchte Pe Ell ungeduldig, als ob das eine Erklärung wäre.
Er starrte den Fährtensucher herausfordernd an, ob er es wagen würde, etwas zu entgegnen. Als Dees nicht antwortete, beugte Pe Ell sich vor. »Wie lange sind wir jetzt in dieser Stadt, Alter – eine Woche, zwei? Ich weiß es nicht einmal mehr. Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor! Aber eines weiß ich. Seit wir angekommen sind, jagt uns dieses Vieh. Jede Nacht. Wo wir auch hingehen! Der Kratzer fegt die Straßen, beseitigt den Müll. Ich habe die Nase voll davon!«
Er war starr vor Wut und kämpfte gegen die Erinnerung an diesen eisernen Arm, der ihn umwickelt hatte, an; er hatte Mühe, seinen Ekel unter Kontrolle zu halten. Wenn er mordete, dann war das schnell und sauber. Kein langsames Quetschen, kein Ersticken und Erwürgen. Und niemals hatte ihn etwas angerührt. Nichts war ihm nah gekommen.
Bis jetzt.
Und daß er den Steinkönig nicht im Unterschlupf des Kratzers gefunden hatte, verbesserte seine Laune auch nicht. Er hatte fest damit gerechnet, Uhl Belk und den schwarzen Elfenstein dort zu finden. Statt dessen hatte er es geschafft, beinahe selbst getötet zu werden.
Sein messerscharfes Gesicht war hart und entschlossen. »Ich will mich nicht mehr jagen lassen. Ein Schleicher kann sterben wie irgendwer.« Er machte eine Pause. »Überleg mal. Wenn er tot ist, läßt sich der Steinkönig vielleicht blicken. Vielleicht kommt er raus, um nachzuschauen, was seinen Wachhund getötet hat. Und dann haben wir ihn!«
Horner Dees sah nicht überzeugt aus. »Du denkst um die Ecke rum.«
Pe Ell errötete. »Hast du wieder Angst, Alter?«
»Natürlich. Aber das tut nichts zur Sache. Du bist ein professioneller Killer, ein Berufsmörder. Du tötest nicht ohne Grund und niemals, wenn die Chancen nicht zu deinen Gunsten stehen. Und das kann ich hier nicht sehen.«
»Dann schaust du nicht genau genug hin!« Pe Ell war wütend. »Der Grund ist klar! Hast du nicht zugehört? Es muß nicht um Geld gehen, und es muß auch nicht ein Auftrag von irgendwem sein! Willst du Uhl Belk finden, oder nicht? Und was die Chancen angeht, da sorge ich schon dafür, daß sie zu meinen Gunsten stehen!«
Pe Ell stand auf und wandte sich einen Augenblick lang ab. Er sollte sich nicht darum scheren, was dieser Alte dachte; es sollte überhaupt keine Rolle spielen. Aber irgendwie tat es das, und er weigerte sich, Dees die Befriedigung zu gestatten, daß er sich vertan hatte. Es war ihm ein Greuel zuzugeben, daß Horner Dees ihm das Leben gerettet hatte, nicht einmal, daß er ihm geholfen hatte, zu entkommen. Der Alte war ihm ein Dorn im Auge, den er dringend loswerden mußte. Dees war wie ein Gespenst aus seiner Vergangenheit aufgetaucht, aus einer Zeit, die er längst vergessen und begraben geglaubt hatte. Kein Lebender sollte wissen, wer er war oder was er getan hatte, mit Ausnahme von Felsen-Dall. Niemand durfte in der Lage sein, über ihn zu reden.
Er merkte plötzlich, daß er Horner Dees ebenso dringend umbringen wollte wie den Kratzer.
Außer, daß der Kratzer momentan das dringendere Problem war.
Er drehte sich wieder dem alten Fährtensucher zu. »Ich habe genug Zeit mit dir vergeudet«, fauchte er. »Geh zu den anderen zurück. Ich brauche deine Hilfe nicht.«
Horner Dees zuckte mit den Schultern. »Habe ich auch nicht angeboten.«
Pe Ell wandte sich zum Gehen.
»Bloß aus Neugier«, rief Dees hinter ihm her und erhob sich ebenfalls, »wie willst du ihn denn umbringen?«
»Was geht dich das an?« rief Pe Ell über die Schulter.
»Einen Plan hast du doch nicht, oder?«
Pe Ell blieb in der Tür stehen. Ein überwältigender Drang, diesem lästigen Dees auf der Stelle ein Ende zu bereiten, überfiel ihn. Warum sollte er noch länger warten? Die anderen würden es nie erfahren. Seine Hand schob sich in den Schlitz seines Hosenbeins und schloß sich um den Griff des Stiehls.
»Tatsache ist«, sagte Horner Dees, »daß du den Kratzer nicht töten kannst, selbst wenn du nah genug rankommst, um dein Messer zu benutzen.«
Pe Ells Hand ließ wieder los. »Was meinst du damit?«
»Ich meine, daß selbst, wenn du dem Vieh auflauerst, sagen wir mal, daß du dich von oben auf ihn stürzt oder dich von unten heranschleichst – nicht wahrscheinlich, aber nehmen wir’s mal an –, kannst du es noch immer nicht schnell genug erledigen.« Seine scharfen Augen glänzten. »Oh, du kannst ein oder zwei Tentakel abschneiden, vielleicht sogar ein Bein, oder ihm ein Auge ausstechen. Aber das bringt ihn nicht um. Wohin stichst du ihn, damit er stirbt, Pe Ell? Weißt du es? Ich nicht. Ehe du einen zweiten Stich landest, hat der Kratzer dich. Das Vieh verletzen? Ein Schleicher heilt sich selbst auf der Stelle wieder, findet ein paar Blechstücke und repariert, was kaputt ist.«
Pe Ell lächelte – böse, zynisch, kalt. »Ich werde einen Weg finden.«
Dees nickte. »Klar doch.« Er machte absichtlich eine Pause, verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. In der Dunkelheit wirkte seine Bärengestalt wie ein Stück der Wand, das sich löste. »Aber nicht ohne einen Plan.«
Pe Ell schaute angeekelt weg, schüttelte den Kopf und sah ihn wieder an. Er hatte schon zu viel Zeit damit verbracht, in dieser trostlosen Stadt herumzutrotten, dieser feuchten, steinernen Gruft. Er hatte schon zu lange gekämpft, um zu verhindern, daß sie ihn verschlang. Und das, gepaart mit Quickenings Magie, der er schon so lange ausgesetzt war, hatte seine Instinkte untergraben, ihn abgestumpft und die Klarheit seiner Gedanken getrübt. Er war an einen Punkt gelangt, wo das einzige, das zählte, sein Bedürfnis war, wieder dorthin zurückzukehren, von wo er gekommen war, in die Welt außerhalb von Eldwist und zu dem Leben, das er so vollständig unter Kontrolle gehabt hatte.
Aber nicht ohne den schwarzen Elfenstein. Er würde ihn nicht aufgeben.
Und nicht ohne Quickenings Leben. Das würde er auch nicht aufgeben.
In der Zwischenzeit versuchte Horner Dees, ihm irgendwas mitzuteilen. Es konnte nichts schaden, ihn anzuhören. Er machte sich ganz still in seinem Inneren – alles, bis hin zu seinem Denken. »Du hast selbst einen Plan, nicht wahr?« flüsterte er.
»Möglich.«
»Ich höre.«
»Vielleicht ist da was dran, was du gesagt hast. Den Kratzer umbringen. Vielleicht lockt das den Steinkönig aus seinem Versteck. Irgendwas muß versucht werden.« Das Zugeständnis kam nur widerwillig.
»Ich höre noch immer.«
»Es braucht uns alle beide. Gleiche Abmachung wie zuvor. Wir passen aufeinander auf, bis die Sache getan ist. Dann sorgt wieder jeder für sich selbst. Dein Wort drauf.«
»Das hast du.«
Horner Dees schlurfte herbei, bis er direkt vor Pe Ell stand, näher, als Pe Ell lieb war. Er schnaufte, als sei er meilenweit gerannt, grinste unter seinem zottigen Bart und ballte seine knorrigen Hände zu Fäusten.
»Ich meine«, sagte er leise, »wir müssen den Kratzer in ein tiefes Loch werfen.«
Morgan Leah musterte Walker Boh wortlos eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. Er war überrascht, wie ruhig seine Stimme klang. »Das kann nicht klappen. Du hast selbst gesagt, daß der Steinkönig nicht nur eine bewegliche Statue ist; er hat sich selbst zu einem Bestandteil des Landes gemacht. Er ist alles in Eldwist. Du hast gesehen, was er gemacht hat, als er uns schließlich in die Kuppel ließ, und dann danach, als er den Malmschlund herbeibefahl. Er spaltete einfach die Felswand. Seine eigene Haut, Walker. Meinst du, er merkt es nicht, wenn wir von unten her durch die gleiche Haut zu klettern versuchen? Meinst du nicht, daß er das fühlen kann? Was meinst du, was dann mit uns passiert? Schmatz!«
Er machte ein schnalzendes Geräusch mit seinen Handflächen. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen, und er merkte, daß er zitterte.
Walkers Ausdruck änderte sich nicht. »Was du sagst, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Uhl Belk ist das Herz und die Seele des Landes, das er schuf, aber er ist auch, genau wie das Land, etwas Steinernes. Stein fühlt nichts, empfindet nichts. Uhl Belk hätte nicht einmal gemerkt, daß wir hier sind, wenn er sich auf seine äußeren Sinne verlassen mußte. Es war unsere Magie, die ihn aufmerksam gemacht hat. Es mag sein, daß genug Menschliches von ihm übrig ist, um Eindringlinge zu bemerken, aber er verläßt sich vor allem auf den Kratzer. Wenn wir es vermeiden können, Magie zu benutzen, dann können wir in die Kuppel gelangen, ohne daß er von unserer Anwesenheit weiß.«
Morgan setzte zum Widerspruch an, doch dann unterbrach er sich. Quickening umklammerte seinen Arm so fest, daß es ihn schmerzte. »Morgan«, flüsterte sie drängend. »Wir können es schaffen. Walker Boh hat recht. Das ist unsere Chance.«
»Unsere Chance?« Morgan schaute auf sie hinunter und mühte sich, sein Gleichgewicht zu bewahren, als ihre dunklen Augen ihn zu ertränken drohten, und er fand sie wieder unwiderstehlich schön. »Unsere Chance, was zu tun, Quickening?« Er zwang sich, seinen Blick von ihr zu wenden und schaute Walker an. »Angenommen, du hast recht mit alledem, und wir können tatsächlich in die Kuppel gelangen, ohne daß Belk es merkt. Was ändert das? Was sollen wir dann tun? Unsere angeschlagene Magie benutzen, alle drei – ein unbewaffnetes Mädchen, ein Einarmiger und ein Mann mit einem halben Schwert? Sind wir nicht genau da, wo wir waren, als wir dieses Gespräch angefangen haben?«
Er ignorierte Quickenings Hände, die an seinen Armen zogen. »Ich will dir nichts vormachen, Walker. Du weißt, was ich denke. Du weißt es von jedem. Ich habe große Angst. Ich gebe es zu. Wenn das Schwert von Leah wieder heil wäre, könnte ich eine Chance gegen so was wie Uhl Belk haben. Aber das ist nicht der Fall. Ich verfüge nicht über irgendeine angeborene Magie wie du oder Par. Ich habe nur mich selbst. Ich habe bislang überlebt, indem ich meine Grenzen akzeptiert habe. Nur so war es möglich, die Föderationsoffiziere zu bekämpfen, die meine Heimat besetzt haben; nur so war es möglich, etwas so viel Größeres und Stärkeres zu überleben. Man muß seine Kämpfe sorgfältig auswählen. Der Steinkönig ist ein Monster, das Monster befehligt, und ich sehe nicht, wie wir drei irgend etwas gegen ihn ausrichten können.«
Quickening schüttelte den Kopf. »Morgan …«
»Nein«, unterbrach er sie hastig, unfähig, sich selbst jetzt aufzuhalten. »Sag jetzt nichts. Hör mich bitte an. Ich habe alles getan, was du wolltest. Ich habe andere Verantwortungen aufgegeben, die ich hätte wahrnehmen müssen, um mit dir nach Norden auf die Suche nach Eldwist und Uhl Belk zu kommen. Ich bin mitgekommen, um den schwarzen Elfenstein zu finden. Ich will, daß du erfolgreich erledigst, was dein Vater dir aufgetragen hat. Aber ich habe keine Ahnung, wie das geschehen soll, Quickening. Weißt du es? Kannst du es mir sagen?«
Sie stellte sich vor ihn hin und hob ihr Gesicht zu ihm auf. »Ich kann dir sagen, daß es geschehen wird. Mein Vater hat mir gesagt, daß es so sein wird.«
»Ich weiß, mit Hilfe meiner Magie und der von Walker und Pe Ell. Also, was ist mit Pe Ell? Sollte er nicht mitkommen? Brauchen wir ihn nicht, wenn wir was erreichen wollen?«
Sie zögerte, ehe sie antwortete. »Nein. Pe Ells Magie wird erst später gebraucht.«
»Später. Und deine eigene?«
»Ich habe keine Magie, bis ihr den Elfenstein erobert habt.«
»Es bleibt also an Walker und mir hängen.«
»Ja.«
»Irgendwie.«
»Ja.«
Walker trat ungeduldig hinzu, sein bleiches Gesicht hart und entschlossen. »Das langt, Hochländer. Du tust so, als handle es sich um irgendeinen mystischen Prozeß, der göttliche Fügung oder die Weisheit der Toten verlangte. Es gibt nichts Mysteriöses an dem, was man uns zu tun bittet. Der Steinkönig ist im Besitz des schwarzen Elfensteins; er muß dazu gebracht werden, ihn herzugeben. Wir müssen uns durch den Boden nach oben in die Kuppel schleichen und ihn überraschen. Wir müssen einen Weg finden, ihn zu erschrecken, ihn zu verblüffen, etwas, das ihn veranlaßt, den Stein loszulassen, und ihn ihm dann wegschnappen. Wir müssen nicht mit ihm kämpfen, wir brauchen ihn nicht zu erschlagen. Es handelt sich nicht um einen Wettstreit der Kräfte; es ist ein Wettstreit des Willens. Und der Klugheit. Wir müssen klüger sein als er.«
Die Augen des Dunklen Onkels glühten. »Wir sind nicht den ganzen Weg hierhergekommen, Morgan Leah, um jetzt einfach umzukehren und wieder zu verschwinden. Wir wußten, daß man uns keine Antworten auf unsere Fragen geben würde, daß wir selbst herausfinden müssen, wie wir alles, was nötig ist, erledigen. Das haben wir getan. Wir müssen es nur noch einmal tun. Wenn wir es nicht tun, ist der Elfenstein für uns verloren. Und damit auch die Vier Länder. Damit haben die Schattenwesen gesiegt. Cogline und Ondit sind umsonst gestorben. Dein Freund Steff ist umsonst gestorben. Willst du das? Ist das deine Absicht? Ist es das, Morgan Leah?«
Morgan drängte sich an Quickening vorbei und packte Walkers Umhang. Walker packte ihn seinerseits. Einen Augenblick lang hielten sie sich einander wortlos fest, Morgans Gesicht wutverzerrt, Walker glatt und konzentriert.
»Ich habe auch Angst, Hochländer«, sagte Walker Boh leise. »Meine Ängste gehen weit über das hinaus, was hier von uns erwartet wird. Ich bin von Allanons Schatten beauftragt worden, den schwarzen Elfenstein zu benutzen, um Paranor und die Druiden zurückzubringen. Wenn die Anwendung des Elfensteins auf den Malmschlund Uhl Belk zu Stein verwandelt, was wird dann seine Anwendung auf das verschwundene Paranor an mir ausrichten?«
Eine lange, leere Stille entstand, in der die Frage drohend in der Finsternis des Zimmers hing. Dann flüsterte Walker: »Es spielt keine Rolle, verstehst du? Ich muß es herausfinden.«
Morgan ließ Walkers Umhang aus seinen Fingern gleiten und trat langsam einen Schritt zurück. »Warum machen wir das?« flüsterte er zur Antwort. »Warum?«
Walker Boh lächelte beinahe. »Du weißt, warum, Morgan Leah. Weil kein anderer da ist.«
Morgan lachte gegen seinen Willen. »Tapfere Soldaten? Oder unverbesserliche Idioten?«
»Wahrscheinlich beides. Und vielleicht sind wir einfach halsstarrig.«
»Das scheint mir auch.« Morgan seufzte traurig, verdrängte die erdrückende Düsternis und kämpfte gegen das Gefühl von Ausweglosigkeit an. »Ich meine aber, es müßten mehr Antworten da sein, als wir haben.«
Walker nickte. »Durchaus. Aber statt dessen gibt es nur Gründe, und mit denen werden wir uns begnügen müssen.«
Morgan jagten die Erinnerungen durchs Bewußtsein, an seine vermißten und toten Freunde, an seinen Kampf, am Leben zu bleiben, und an die Myriaden von Ereignissen, die ihn aus seiner Heimat im Hochland bis an dieses äußerste Ende der Welt gebracht hatten. So viel war geschehen, und das meiste außerhalb seiner Kontrolle. Er fühlte sich klein und hilflos angesichts dieser Ereignisse, ein winziges Fetzchen Müll, das im Meer schwamm, getragen von den Gezeiten und ihren Launen. Er war krank und erschöpft; er brauchte eine Lösung. Vielleicht war nur der Tod eine angemessene Lösung.
»Laß mich mit ihm reden«, hörte er Quickening sagen.
Allein knieten sie einander gegenüber in der Mitte des Zimmers, umgeben von Schatten, ihre Gesichter so nah, daß Morgan sein Spiegelbild in ihren Augen sehen konnte. Walker war verschwunden. Quickening streckte die Hände nach ihm aus und ließ ihre Finger auf seinem Gesicht ruhen, strich über die Linien seiner Züge.
»Ich liebe dich, Morgan Leah«, wisperte sie. »Ich will, daß du das weißt. Es klingt seltsam, mich so etwas sagen zu hören. Ich hätte nie geglaubt, daß ich dazu in der Lage wäre. Ich habe meine eigenen Ängste, anders als deine oder Walker Bohs. Ich habe Angst, zu lebendig zu sein.«
Sie beugte sich vor und küßte ihn. »Verstehst du, was ich meine, wenn ich das sage? Ein Elementarwesen erhält sein Leben nicht aus der Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, sondern aus den Notwendigkeiten der Magie. Ich wurde erschaffen, um einem Ziel zu dienen, dem Ziel meines Vaters, und ich wurde ermahnt, mich vor Dingen in acht zu nehmen, die mich ablenken könnten. Doch was könnte mich mehr ablenken, Morgan Leah, als meine Liebe zu dir? Ich kann diese Liebe nicht erklären. Ich verstehe sie nicht. Sie kommt aus jenem Teil von mir, der Mensch ist, und bricht allen meinen Bemühungen, sie abzuleugnen, zum Trotz hervor. Was soll ich tun? Ich sage mir, daß ich sie außer acht lassen muß. Sie ist … gefährlich. Aber ich kann sie nicht aufgeben; denn sie zu fühlen, gibt mir Leben. Sie macht mich zu mehr als einem Ding aus Erde und Wasser, mehr als einem bißchen zu Leben erwecktem Lehm. Sie macht mich wirklich.«
Er küßte sie auch, innig und entschlossen, erschreckt über das, was sie ihm sagte, über den Klang ihrer Worte und die Implikationen, die darin steckten. Er wollte mehr nicht hören.
Sie befreite sich. »Du mußt mich anhören, Morgan. Ich hatte vor, mich an meines Vaters Weg zu halten und nicht abzuweichen. Sein Rat schien vernünftig. Aber ich stelle jetzt fest, daß ich mich nicht daran halten kann. Ich muß dich lieben. Es spielt keine Rolle, was von jedem von uns erwartet wird; wir sind nicht lebendig, wenn wir nicht auf unsere Gefühle reagieren. Darum werde ich dich so lieben, wie ich es vermag; ich fürchte mich nicht mehr vor dem, was daraus folgen kann.«
»Quickening …«
»Aber«, fügte sie hastig hinzu. »Der Weg liegt dennoch klar vor uns, und wir müssen ihm folgen, du und ich. Wir haben gesehen, wohin er führt, und wir müssen ihn bis zum Ende gehen. Der Steinkönig muß überwunden werden. Der schwarze Elfenstein muß zurückgeholt werden. Du und ich und Walker Boh, wir müssen dafür sorgen, daß dies geschieht. Wir müssen, Morgan. Wir müssen.«
Er nickte, während sie sprach, hilflos angesichts ihrer Beharrlichkeit. Seine Liebe zu ihr war so stark, daß er alles getan hätte, was sie erbat, auch gegen die schwerwiegendsten Vorbehalte. Tränen traten ihm in die Augen, aber er unterdrückte sie, vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter und umarmte sie innig. Mit den Fingern fuhr er durch ihr Silberhaar und strich ihr über den Nacken. Er fühlte, wie ihre schlanken Arme ihn umfingen und wie sie am ganzen Leib zitterte.
»Ich weiß«, sagte er leise.
Dann mußte er an Steff denken, der von der Hand des Mädchens starb, das er geliebt hatte, weil er sie für etwas gehalten hatte, das sie nicht war. Würde es ihm wohl auch so ergehen? Und er dachte auch an das Versprechen, das er seinem Freund einst gegeben hatte, ein Versprechen, das sie alle gegeben hatten, Par und Coll und er, daß, falls einer von ihnen eine Magie fände, die helfen würde, die Zwerge zu befreien, dann würden sie alles tun, um sie zu gewinnen und dafür zu sorgen, daß sie benutzt würde. Der schwarze Elfenstein besaß sicherlich eine solche Magie.
Er fühlte, wie Ruhe ihn erfaßte und den Zorn und die Befürchtungen, die Zweifel und die Ungewißheiten vertrieb. Der Weg lag tatsächlich klar vor ihm, und er hatte nie eine andere Wahl gehabt, als ihm zu folgen.
»Wir werden es schaffen«, flüsterte er und fühlte, wie ihre Tränen seine Wange netzten.
Walker stand in der Dunkelheit des Nebenzimmers, schaute zu, wie die Liebenden sich umarmten und fühlte, wie ihr Zusammensein nach ihm faßte wie nach der winzigen Hand eines verirrten Kindes. Er wandte sich ab. Eine solche Liebe gab es für ihn nicht. Er empfand Kummer für einen Augenblick und wischte ihn hastig beiseite. Seine Zukunft war ein winziger Lichtblick von Gewißheit in der Finsternis der Gegenwart. Manchmal enthüllte sein Vorauswissen eine schneidend scharfe Ecke.
Geräuschlos bewegte er sich durch das Gebäude, bis er ein offenes Fenster hoch über der Straße erreichte, und schaute hinaus in das Getümmel von Nebel und Dunkelheit. Eldwist war eine Welt aus steinernen Labyrinthen, Mauern und Schluchten, die ihn durch einen erbarmungslosen, nassen Vorhang anstarrten. Es war hart und gewiß und sinnlos, und es erinnerte ihn an die Richtung, die sein Leben genommen hatte.
Doch jetzt schien sein Leben endlich mehr als nur das zu werden. Ein Rätsel jedoch blieb. Der Hochländer hatte es angerührt, war daran vorbeigestrichen, als er zu begreifen versuchte, wie es möglich war, daß sie gegenüber einem Wesen von der Macht des Uhl Belk bestehen könnten. Das Rätsel hatte sie vom Beginn dieser Reise an begleitet, ständig präsent und nicht gewillt, sich lüften zu lassen. Dieses Rätsel war Quickening selbst. Die Tochter des Königs vom Silberfluß, erschaffen aus den Elementen des Gartens, magisch zum Leben erweckt – sie war ein Rätsel aus Worten einer anderen Sprache. Sie war ausgesandt, sie nach Eldwist zu führen. Aber hätte eine Aufforderung den Zweck nicht ebenso erfüllt? Statt dessen hatte der König vom Silberfluß ein lebendes, atmendes Wunder, ein Wesen von unglaublicher Schönheit geschickt. Warum? Sie war aus einem Grund hier, und es war ein Grund, der jenseits dessen lag, was sie enthüllte.
Walker Boh fühlte eine dunkle Stelle in seinem Inneren bei den Möglichkeiten erschaudern.
Was war es, das Quickening wirklich zu tun ausgesandt worden war?