»Würdet ihr bitte eure Waffen niederlegen?« rief ihnen der Mann fröhlich zu. »Legt sie einfach vor euch auf den Boden. Keine Angst. Ihr könnt sie gleich wieder aufheben.« Er begann zu singen:
»Freiwillig gegeben ist nicht aufgegeben,
es wird euch wiedergegeben
in Liebe und Vertrauen eines anderen.«
Die fünf aus Rampling Steep starrten ihn an.
»Bitte«, sagte er. »Es macht die Sache leichter, wenn ihr es tut.« Dees schaute seine Gefährten an, zuckte mit den Achseln und tat, um was man ihn gebeten hatte. Walker und Quickening besaßen keine Waffen. Morgan zögerte. Pe Ell rührte sich überhaupt nicht.
»Es soll nur zeigen, daß ihr mit freundlicher Absicht gekommen seid«, fuhr der Mann aufmunternd fort. »Wenn ihr eure Waffen nicht niederlegt, erlauben mir meine Untertanen nicht, mich euch zu nähern. Ich müßte euch von hier aus zubrüllen.« Dann sang er wieder:
»Wo immer wir gehen, wo immer wir stehen,
müßt’ ich schreien statt zu reden.«
Morgan fügte sich nach einem strengen Blick von Dees. Es war schwer zu sagen, was Pe Ell getan hätte, wenn Quickening sich nicht zu ihm umgedreht und geflüstert hätte: »Tu, was er sagt.« Selbst dann zögerte Pe Ell noch, ehe er sein Breitschwert losschnallte. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel übrig. Morgan wäre jede Wette eingegangen, daß Pe Ell abgesehen von dem Breitschwert noch eine weitere Waffe bei sich hatte.
»So ist es besser«, verkündete der Fremdling. »Und jetzt tretet einen Schritt zurück. So!« Er winkte, und die Urdas erhoben sich rasch auf die Füße. Er war ein mittelgroßer Mann mit schnellen, energischen Bewegungen und einem glattrasierten hübschen Gesicht unter seinem langen, goldblonden Haar. Seine blauen Augen zwinkerten. Er gestikulierte zu den Urdas und dann auf die Waffen am Boden. Die merkwürdig aussehenden Geschöpfe murmelten zustimmend und nickten mit den Köpfen. Er sang wieder etwas, das die Urdas zu kennen schienen. Seine Stimme war voll und wohltönend, und sein hübsches Gesicht strahlte. Als er geendet hatte, teilte sich der Kreis und ließ ihn hindurchtreten. Er trat direkt vor Quickening, verbeugte sich tief vor ihr, nahm ihre Hand in die seine und küßte sie. »Meine Lady«, sagte er.
Dann sang er:
»Fünf Wanderer querten Feld und Fluß
und weite Wälder im Osten.
Sie querten Charnals Berge,
zum Nordland kamen sie.
Tralali, tralala, tralali.
Fünf Wanderer kamen von weither,
kamen ins Urdaland.
Sie trotzten den Gefahren der Stacheln
zu König Carisman.
Tralala, tralali, tralala.«
Er verbeugte sich wieder vor Quickening. »So werde ich genannt, Lady. Und du?«
Quickening stellte sich und ihre Gefährten vor. Es schien sie nicht zu beunruhigen, wenn er sie erführe. »Bist du tatsächlich ein König?« fragte sie.
Carisman strahlte. »O ja, Lady. Ich bin König der Urdas, Herr über alle, die du hier versammelt siehst, und noch viele, viele mehr. Um ehrlich zu sein, ich habe mir diesen Job nicht ausgesucht, er wurde mir sozusagen aufgezwungen. Aber kommt nun. Wir haben reichlich Zeit, diese Geschichte später zu erzählen. Nehmt eure Waffen – behutsam natürlich. Wir dürfen meine Untertanen nicht mißtrauisch machen, sie beschützen mich eifrig. Ich lade euch in meinen Palast ein, und wir werden reden und Wein trinken und exotische Früchte und Fische verspeisen. Kommt jetzt, kommt, es soll ein königliches Fest werden!«
Dees versuchte etwas zu sagen, doch Carisman war so schnell wie eine Feder, die vom Wind getragen wird, verschwunden; tanzend und irgendein neues Lied singend winkte er ihnen zu folgen. Der Fährtensucher, Morgan und Pe Ell nahmen ihre Waffen wieder an sich, und zusammen mit Quickening und Walker folgten sie ihm. Urdas umzingelten sie von allen Seiten, sie drängten sie nicht, doch sie blieben unbehaglich nah. Die seltsamen Kreaturen sprachen nicht, sondern machten sich nur Zeichen, und ihre Blicke huschten zwischen Carisman und den Reisenden fragend und wachsam hin und her. Morgan erwiderte den Blick jener, die ihm am nächsten waren, und versuchte ein Lächeln. Sie lächelten nicht zurück.
Sie stiegen von den Stacheln hinunter in das bewaldete Tal westlich des Riffs, wo die Schatten am tiefsten waren. Ein schmaler Pfad schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, Carisman ging singend vorneweg, und die Prozession folgte ihm gehorsam. Morgan war im Laufe seines Lebens schon einigen seltsamen Gestalten begegnet, aber Carisman erschien ihm noch seltsamer als die meisten. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, warum irgendwer, selbst die Urdas, einen Kerl wie ihn zu ihrem König machten.
Dees war einen Schritt zurückgefallen, um neben ihm zu gehen, und er fragte den alten Fährtensucher danach. »Wie gesagt, ein Stammesvolk. Abergläubisch wie die meisten Gnome. Glauben an Geister und Gespenster und anderen Unsinn.«
»Und Carisman?« wollte Morgan wissen.
Dees schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, ich habe keine Ahnung. Die Urdas wollen gewöhnlich nichts mit Fremden zu tun haben. Dieser hier wirkt so albern wie ein unreifer Bengel, aber offensichtlich ist es ihm irgendwie gelungen, ihren Respekt zu gewinnen. Ich habe noch nie von ihm gehört. Ich glaube nicht, daß bislang irgendwer von ihm gehört hat.«
Morgan warf einen Blick über die Köpfe der Urdas auf den vorneweg stolzierenden Carisman. »Er wirkt reichlich harmlos.«
»Ist er wahrscheinlich auch«, knurrte Dees. »Aber wie auch immer, seinetwegen mußt du dir keine Sorgen machen.«
Sie zogen westwärts in Richtung der hohen Bergmauer. Das Tageslicht schwand jetzt schnell, die Dämmerung breitete sich aus, bis das ganze Waldland davon erfaßt war. Morgan und Dees tauschten Kommentare miteinander aus, doch die drei anderen behielten ihre Gedanken für sich. Pe Ell und Walker waren kaum erkennbare Schatten, Quickening ein heller Sonnenstrahl. Die Urdas waren überall um sie herum, verschwanden im dichten Gestrüpp, tauchten wieder auf, vor ihnen, hinter ihnen und zu beiden Seiten. Carisman hatte sie als Gäste bezeichnet, doch Morgan wurde das Gefühl nicht los, daß sie in Wahrheit Gefangene waren.
Nach geraumer Zeit endete der Pfad auf einer Lichtung, beim Dorf der Urdas. Ein Palisadenzaun schützte es vor Eindringlingen, und die Tore wurden jetzt geöffnet, um die Jäger und jene, die sie wie eine Herde mitbrachten, einzulassen. Drinnen wartete ein Meer von Frauen, Kindern und alten Leuten. Alle starrten mit knochigen Gesichtern und murmelten mit leisen Stimmen miteinander. Das Dorf bestand aus kleinen Hütten und seitlich offenen Unterständen um ein Gebäude aus verfugten Balken und einem Schindeldach herum. Bäume wuchsen innerhalb der Palisaden, überschatteten das Dorf und bildeten Säulenträger für Baumwege und Flaschenzüge. Es gab verstreute Brunnen und Räucherhütten zur Fleischkonservierung. Die Urdas besaßen, so schien es, zumindest gewisse Fertigkeiten.
Die fünf aus Rampling Steep wurden zu dem Hauptgebäude auf eine Plattform geführt, auf der ein roh gezimmerter, mit frischen Blumengirlanden geschmückter Stuhl bereitstand. Carisman ließ sich zeremoniell darauf nieder und lud seine Gäste ein, neben ihm auf Matten Platz zu nehmen. Morgan und die anderen taten wie geheißen und hielten wachsam die Urdas im Auge, die sich in großer Zahl auf dem Boden unter der Plattform lagerten. Als sich alle hingesetzt hatten, stand Carisman auf und sang wieder, diesmal in einer Sprache, die Morgan nicht verstand. Als er geendet hatte, erschienen mehrere Urdafrauen und reichten Platten mit Nahrung herum.
Carisman setzte sich. »Ich muß singen, um sie dazu zu kriegen, irgend etwas zu tun«, vertraute er ihnen an. »Manchmal ist das mühsam.«
»Was tust du denn eigentlich hier?« fragte Horner Dees ohne Umschweife. »Wo kommst du her?«
»Ach«, sagte Carisman mit einem Seufzer.
Er sang:
»Ein junger Reimschmied aus Rampling,
der fand, es sei an der Zeit.
Er wanderte nordwärts,
in Richtung der Stacheln zu den Urdas,
die ihn zum König machten!«
Er zog eine Grimasse. »Nicht besonders gelungen, fürchte ich. Ich versuch’s noch mal.« Er sang:
»Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
So viel zu entdecken, so viel zu verstehn,
Land zu bereisen, Leute zu sehn,
Wunder zu schauen und Leben zu proben.
So viel zu erfahren. So viel kann gescheh’n.
Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
Ein Reimschmied muß singen, um fliegen zu können.
Sucht singend die Wahrheit,
sucht Kern und Beweis,
den Sinn unsres Lebens, den Zweck unsres Seins.
Kommt her, meine Freunde, komm, Lady, komm nah.
Das Leben, es lebt im Fluß und im Himmel, in Wald
und Gebirge weit in der Fremde,
bei fröhlichen Wesen, die tanzen und springen,
und Freude beschert denen mein Singen.«
»Das war schon wesentlich besser, nicht wahr?« fragte er sie, und seine blauen Augen hüpften von einem Gesicht zum anderen und warteten eifrig auf Beifall.
»Ein Reimeschmied bist du also, hm?« brummte Horner Dess. »Und aus Rampling Steep?«
»Nun, auf dem Weg über Rampling Steep. Ich habe dort vor einigen Jahren ein oder zwei Tage haltgemacht.« Carisman schaute ein wenig einfältig drein. »Das Singen wirkt, also benutze ich es.« Seine Miene hellte sich auf. »Aber ein Reimeschmied, ja. Mein ganzes Leben. Ich bin zum Singen begabt, und ich bin klug genug, es zu nutzen. Ich bin begabt.«
»Aber warum bist du hier, Carisman?« drängte Quickening.
Carisman schmolz dahin. »Lady, der Zufall hat mich an diesen Ort und zu dieser Zeit und sogar zu der Begegnung mit dir gebracht. Ich habe den größten Teil der Vier Länder durchwandert und nach Liedern gesucht, die meiner Musik Flügel verleihen. Ich habe eine Rastlosigkeit in mir, die mich an keinem Ort lange verweilen läßt. Ich hätte oft genug Gelegenheit gehabt, es zu tun, und es gab sogar Damen, die mich gerne bei sich behalten hätten – auch wenn keine so schön war wie du. Aber ich zog immer weiter. Ich wanderte zunächst nach Westen, dann nach Osten und schließlich nach Norden. Ich gelangte nach Rampling Steep und fragte mich, was wohl dahinter liegen mochte. Schließlich machte ich mich auf den Weg über das Gebirge, um es herauszufinden.«
»Und hast überlebt?«
»Haarscharf. Ich habe ein Gespür für Dinge; ich nehme an, das liegt an meiner Musik. Ich war gut vorbereitet, denn ich war auch zuvor schon durch rauhes Land gereist. Ich fand den Weg, indem ich auf mein Herz lauschte. Ich hatte Glück, daß das Wetter mir hold war. Als ich schließlich herübergekommen war – erschöpft und nahe am Verhungern, das gebe ich zu –, fanden mich die Urdas. Weil ich nicht wußte, was ich sonst tun sollte, sang ich ihnen etwas vor. Sie waren von meiner Musik verzaubert und machten mich zu ihrem König.«
»Verzaubert von Limericks und holprigen Reimen?« Dees weigerte sich, seine Skepsis aufzugeben. »Eine gewagte Behauptung, Carisman.«
Carisman grinste jungenhaft. »Oh, ich behaupte nicht, besser zu sein als irgendwer sonst.«
Er sang wieder:
»So hoch auch der Thron, erhaben und hehr,
was draufsitzt, sieht aus wie irgendwer.«
Er schob die Angelegenheit beiseite. »Jetzt eßt erst einmal etwas. Ihr müßt sehr hungrig sein nach eurer Reise. Es gibt so viel zu essen und zu trinken, wie ihr wollt. Und erzählt mir, was euch hergeführt hat. Niemand aus dem Südland kommt so weit nach Norden – nicht einmal die Fallensteller. Ich bekomme niemanden zu Gesicht, außer Trollen und Gnomen. Was führt euch her?«
Quickening berichtete ihm, daß sie auf der Suche nach einem Talisman seien. Das war mehr, als Morgan verraten hätte, doch es schien Carisman wenig zu interessieren. Er fragte nicht einmal, was für ein Talisman es sei und wozu sie ihn brauchten. Er wollte nur wissen, ob Quickening ihm ein paar neue Lieder beibringen könne. Carisman war schnell und intelligent, doch sein Interesse war weltfremd und sehr begrenzt. Er war wie ein Kind, neugierig, leicht abzulenken und voller Staunen über die Welt. Er schien die Anerkennung wahrhaftig zu brauchen. Quickening war am entgegenkommendsten, also konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf sie und schloß die anderen im Gespräch eher stillschweigend mit ein. Morgan hörte mit halbem Ohr zu, während er aß, und bemerkte dann, daß Walker überhaupt nicht hinhörte, sondern die Urdas unterhalb der Plattform beobachtete. Morgan begann sie seinerseits zu beobachten. Nach einer Weile fiel ihm auf, daß sie sich deutlich in Gruppen zusammengesetzt hatten und daß die zuvorderst sitzende Gruppe aus jüngeren und älteren Männern bestand, denen alle anderen Ehrfurcht zollten. Häuptlinge, dachte Morgan sofort. Sie redeten eindringlich miteinander, warfen hin und wieder einen Blick zu den sechs auf der Plattform, ignorierten sie sonst jedoch. Irgend etwas wurde beschlossen, ohne Carisman.
Morgan wurde nervös.
Die Mahlzeit endete, und die leeren Teller wurden abgetragen. Dann begannen die Urdas anhaltend zu klatschen, und Carisman erhob sich mit einem Seufzer. Er begann wieder zu singen, doch diesmal war das Lied anders. Diesmal war es ausgefeilt und kompliziert, ein sorgfältig gewobenes Musikstück voller Nuancen und Subtilitäten, die die Melodie variierten. Carismans Stimme füllte die Luft, sie ergriff und trug alles davon, was den Sinnen im Wege stand, tauchte hinein in den Körper und umschlang und liebkoste das Herz. Morgan war verwundert. Er war noch nie so ergriffen worden – nicht einmal von der Musik des Wunschliedes. Par Ohmsford konnte in seinem Lied das Gefühl und den Sinn der Geschichte erwecken, doch Carisman berührte die Seele.
Als der Sänger geendet hatte, herrschte absolute Stille. Langsam setzte er sich wieder, für einen Augenblick nach innen gekehrt, noch immer gefangen in dem, was er gesungen hatte. Dann fingen die Urdas an, zum Applaus mit den Händen auf ihre Knie zu trommeln.
»Das war wundervoll, Carisman«, sagte Quickening.
»Vielen Dank, Lady«, erwiderte er, wieder verlegen. »Mein Talent ist größer als nur Limericks, nicht wahr.«
Das silberhaarige Mädchen schaute plötzlich Walker an. »Hat es dir gefallen, Walker Boh?«
Sein blasses Gesicht neigte sich nachdenklich. »Es macht mich wundern, warum jemand mit solchen Fähigkeiten sie mit so wenigen teilen will.« Seine dunklen Augen fixierten Carisman.
Der Reimeschmied wand sich unbehaglich. »Nun.« Die Worte schienen plötzlich nicht über seine Lippen kommen zu wollen.
»Insbesondere, weil du selbst gesagt hast, daß du von einer Rastlosigkeit bist, die dir nicht gestattet, an einem Ort zu bleiben. Und doch bleibst du hier unter den Urdas.«
Carisman schaute auf seine Hände.
»Sie lassen dich nicht gehen, nicht wahr?« sagte Walker ruhig.
Carisman sah aus, als wolle er im Erdboden versinken. »Ja«, gab er widerstrebend zu. »Ungeachtet der Tatsache, daß ich ihr König bin, bleibe ich ihr Gefangener. Ich darf König sein, solange ich meine Lieder singe. Die Urdas behalten mich hier, weil sie glauben, daß mein Gesang magisch sei.«
»Und das ist er«, murmelte Quickening so leise, daß nur Morgan, der neben ihr saß, es hören konnte.
»Und wie ist es mit uns?« fragte Dees scharf. Er richtete sich drohend auf. »Sind wir ebenfalls Gefangene? Hast du uns als Gäste oder als Gefangene hergebracht, König Carisman? Oder hast du in dieser Angelegenheit überhaupt etwas zu bestimmen?«
»Oh, nein!« rief der Sänger deutlich bestürzt. »Ich meine, ja, ich habe in der Angelegenheit etwas zu sagen. Und nein, ihr seid keine Gefangenen. Ich muß nur mit dem Rat sprechen, mit jenen Männern, die dort unten zusammensitzen.« Er zeigte auf die Gruppe, die Morgan und Walker beobachtet hatten. Dann zögerte er, als er Pe Ells finsteren Blick sah, und stand hastig auf. »Ich werde sofort mit ihnen sprechen. Ihr sollt nicht länger hierbleiben, als euer Wunsch ist, das verspreche ich. Lady, glaubt mir, bitte, Freunde.«
Er eilte von der Plattform, kniete sich neben die Mitglieder des Urdarates und sprach ernst auf sie ein. Die fünf, die darauf warteten zu erfahren, ob sie Gefangene oder Gäste seien, schauten einander an.
»Ich glaube kaum, daß er irgendwas tun kann, um uns zu helfen«, murmelte Horner Dees.
Pe Ell rückte näher. »Wenn ich ihm ein Messer an die Kehle halte, werden sie uns ganz schnell ziehen lassen.«
»Oder auf der Stelle umbringen«, fauchte Dees.
»Laßt es ihn versuchen«, sagte Walker Boh, der die Versammlung ganz ruhig betrachtete. Sein Gesicht verriet nichts.
»Ja«, stimmte Quickening ihm leise zu. »Geduld.«
Danach saßen sie schweigend da, bis Carisman sich von der Gruppe des Rats trennte und wieder auf die Plattform zurückkam. Sein Gesichtsausdruck sagte ihnen alles. »Ich … ich muß euch bitten, über Nacht zu bleiben«, sagte er und hatte Mühe, die Worte über die Lippen zu bringen, durch und durch unbehaglich. »Der Rat wünscht … hm … die Angelegenheit noch zu debattieren. Nur eine Formsache, müßt ihr verstehen. Ich bitte nur um etwas mehr Zeit …«
Er verstummte. Er hatte sich so weit wie möglich von Pe Ell entfernt aufgestellt. Morgan hielt den Atem an. Er glaubte nicht, daß die Entfernung zwischen den beiden dem Reimeschmied viel Sicherheit gewährte. Er ertappte sich dabei, wie er sich nahezu fasziniert fragte, was Pe Ell tun würde, was er angesichts einer so großen Übermacht überhaupt tun konnte.
Diesmal sollte er es nicht herausfinden. Quickening lächelte beruhigend und sagte: »Wir werden warten.«
Sie wurden in eine der größeren Hütten gebracht, und man gab ihnen Matten und Decken zum Schlafen. Die Tür wurde hinter ihnen zugemacht, aber nicht verschlossen. Morgan glaubte nicht, daß das irgendeinen Unterschied machte. Die Hütte stand in der Mitte des Dorfes, und das Dorf war von Palisaden umzäunt und voller Urdas. Er hatte Dees während des Abendessens über die seltsamen Geschöpfe ausgefragt. Dees hatte ihm berichtet, daß sie ein Jägerstamm waren. Ihre Waffen waren dazu angelegt, auch das flinkste Wild zu erlegen. Zweibeinige Flüchtlinge würden kein großes Problem darstellen.
Pe Ell stand an einer der Lehmwände der Hütte und schaute durch einen Spalt. »Sie werden uns nicht gehen lassen«, sagte er. Niemand sprach. »Egal, was dieser Spielzeugkönig sagt, sie werden versuchen, uns festzuhalten. Wir sollten lieber in dieser Nacht noch verschwinden.«
Dees ließ sich schwer gegen eine Wand sinken. »Du sagst das so, als ob Flucht im Bereich der Möglichkeiten wäre.«
Pe Ell wandte sich um. »Ich kann fliehen, wann immer es mir beliebt. Mich hält kein Gefängnis.«
Er sagte das mit solcher Selbstverständlichkeit, daß ihn alle außer Quickening überrascht anstarrten. Quickening schaute in die Ferne. »In diesen Liedern ist Magie«, sagte sie.
Morgan erinnerte sich, daß sie so etwas schon vorher gesagt hatte. »Echte Magie?« fragte er.
»Ähnlich genug, um den Namen zu verdienen. Ich verstehe ihren Ursprung nicht; ich weiß nicht einmal, was sie ausrichten kann. Aber eine Form von Magie ist es trotzdem. Er ist mehr als ein gewöhnlicher Sänger.«
»Ja«, stimmte Per Ell zu. »Er ist ein Idiot.«
»Das könnten wir auch von dir sagen, wenn du darauf bestehst, daß wir ohne ihn hier wegkommen«, schnaubte Homer Dees.
Pe Ell wirbelte zu ihm herum. In seinem Gesicht stand so heftiger Zorn, daß Dees schneller auf die Füße kam, als Morgan ihm zugetraut hätte. Walker Boh, eine dunkle Gestalt auf der anderen Seite des Raumes, drehte sich langsam um. Pe Ell schien seine Möglichkeiten zu kalkulieren, dann stolzierte er auf Quickening zu, die neben Morgan stand und ihn anschaute. Der Hochländer konnte nichts tun. Pe Ell tat ihn mit einem kaum erkennbaren Blick ab und wandte sich an das Mädchen.
»Wozu brauchen wir die anderen?« zischte er zornig. »Ich bin mitgekommen, weil du mich darum gebeten hast. Ich hätte es auch genausogut lassen können.«
»Das weiß ich«, sagte sie.
»Du weißt, was ich bin.« Sein hageres Habichtgesicht beugte sich näher, sein Körper war angespannt. »Du weißt, daß ich über die Magie verfüge, die du brauchst. Ich habe alle Magie, die du brauchst. Vergiß die anderen. Laß uns alleine gehen.«
Um ihn herum schien es, als habe sich das Zimmer in Stein verwandelt, die anderen waren wie zu Statuen erstarrt, die nur beobachten, aber nicht handeln können. Morgan Leahs Hand rückte ein paar Millimeter in Richtung seines Schwertes und hielt dann inne. Er wäre niemals schnell genug, das wußte er. Pe Ell würde ihn töten, noch ehe er sein Schwert gezogen hätte.
Quickening wirkte völlig furchtlos. »Es ist noch nicht Zeit für dich und mich, Pe Ell«, flüsterte sie mit beruhigender, ungerührter Stimme. Ihre Augen suchten seinen Blick. »Du mußt warten, bis es soweit ist.«
Morgan verstand nicht, was sie damit meinte, und er war einigermaßen sicher, daß es Pe Ell ebenso erging. Sein hageres Gesicht verzerrte sich, seine harten Augen zuckten. Er schien eine Entscheidung zu treffen.
»Mein Vater allein hat die Gabe, in die Zukunft zu schauen«, sagte Quickening leise. »Er hat vorhergesehen, daß ich euer aller Hilfe brauchen werde, wenn wir Uhl Belk finden. So soll es sein – auch wenn du dir wünschst, daß es anders sei, Pe Ell. Trotzdem.«
Pe Ell schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Mädchen. Du irrst dich. Es wird sein, wie ich es will. So wie immer.« Er musterte sie eine Weile und zuckte dann mit den Achseln. »Wie auch immer, was macht es schon? Noch einen Tag, eine Woche, es kommt alles auf dasselbe heraus. Nimm die anderen mit, wenn du willst. Für den Moment jedenfalls.«
Er wandte sich ab und zog sich in eine dunkle Ecke zurück.
Die anderen schauten schweigend zu.
Die Nacht fiel ein, und das Urdadorf wurde still. Die Einwohner gingen schlafen. Die fünf aus Rampling Steep legten sich in ihrem Unterschlupf nieder, getrennt voneinander durch ihre privaten Grübeleien. Horner Dees schlief. Walker Boh lag als undeutliches Bündel reglos da. Morgan Leah saß in der Nähe von Quickening, keiner der beiden sagte etwas, die Augen gegen das fahle Mondlicht, das hereindrang, geschlossen.
Pe Ell beobachtete sie alle und wütete im stillen gegen die Umstände und seine eigene Dummheit.
Was war bloß in ihn gefahren, fragte er sich mürrisch. So aus der Haut zu fahren und damit die Ausführung dessen, was zu erfüllen er mitgekommen war, aufs Spiel zu setzen. Er hielt sich immer unter Kontrolle. Immer! Nur diesmal nicht. Nicht, wenn er sich von Enttäuschung und Ungeduld dazu hinreißen ließ, das Mädchen mit allen ihren kostbaren Schützlingen zu bedrohen wie ein ungezogener Schuljunge.
Er hatte sich wieder beruhigt und war in der Lage, zu analysieren, was er getan hatte, seine Gefühle zu sichten und seine Fehler zu erkennen. Von beiden gab es viele. Und das Mädchen war dafür verantwortlich, das ihn jedesmal wieder auf den Boden zurückbrachte, das war ihm klar. Sie war der Fluch seines Lebens, ein Ärgernis und ein Reiz, die in entgegengesetzter Richtung an ihm zerrten, ein Geschöpf aus Schönheit, Leben und Magie, das er nie würde verstehen können, bis der Moment gekommen wäre, in dem er sie tötete. Sein Verlangen, es endlich zu tun, wuchs mit jedem Tag, und es fiel ihm immer schwerer, sich in Schranken zu halten. Doch dazu war er gezwungen, wenn er in den Besitz des schwarzen Elfensteins gelangen wollte. Die Schwierigkeit lag darin, Mittel und Wege zu finden, seinem Verlangen bis dahin zu widerstehen. Sie entzündete ihn, entflammte ihn und ließ ihn innerlich verknäuelt wie aus dünnem Draht zurück. Alles, was ihm selbstverständlich und unkompliziert vorkam, erschien ihr als das glatte Gegenteil. Sie bestand darauf, daß diese Dummköpfe mitkamen – der Einarmige, der Hochländer und der alte Fährtensucher. Nichtsnutze! Überflüssiger Ballast! Wie lange würde er sie noch ertragen müssen?
Er fühlte, wie der Ärger wieder in ihm aufzuschwellen begann. Geduld. Ihr Wort, nicht seines – aber er tat besser daran, es an sich auszuprobieren.
Er lauschte auf die Geräusche der Urdas draußen, mehr als ein Dutzend Wächter, die im Dunkel um die Hütte herum lauerten. Er konnte sie nicht sehen, doch er spürte ihre Gegenwart. Sein Instinkt sagte ihm, daß sie dort waren. Bislang noch kein Zeichen von dem Sänger – aber das spielte keine Rolle. Die Urdas würden sie nicht gehen lassen.
So viele Ablenkungen von dem, was einzig wichtig war! Seine scharfen Augen richteten sich eine Weile auf Dees. Dieser Alte. Er war der Schlimmste in dem Haufen, der, der am schwierigsten zu durchschauen war. Er hatte so etwas an sich …
Er fing sich wieder. Geduld. Abwarten. Die Ereignisse würde zweifellos fortfahren, ihn zu provozieren, die Geduld zu verlieren, aber er mußte durchhalten. Er mußte die Kontrolle bewahren.
Nur war das hier so schwer. Dies war nicht sein Land, es war nicht sein Volk, und die Vertrautheit mit Land und Leuten, mit Verhalten und Sitten, auf die er immer mit Selbstverständlichkeit hatte bauen können, fehlte hier. Er bewegte sich auf einer Klippe, die er nie zuvor gesehen hatte, und das Gelände war heimtückisch.
Vielleicht würde es sich diesmal als unmöglich erweisen, die Kontrolle zu bewahren.
Er schüttelte mißmutig den Kopf. Dieser Gedanke blieb und ließ sich nicht vertreiben.
Mitternacht war verstrichen, als Carisman wieder erschien.
Quickening weckte Morgan, indem sie ihn mit der Hand an der Wange berührte. Er sprang auf und sah, daß die anderen schon aufgestanden waren. Die Tür ging auf, und der Sänger schlüpfte herein.
»Ah, ihr seid wach. Gut.« Er ging sofort zu Quickening hinüber, zögerte zu sprechen, war in ihrer Gegenwart verunsichert wie ein Junge, der etwas beichten muß, das er lieber für sich behalten hätte.
»Was hat der Rat beschlossen, Carisman«, spornte Quickening ihn freundlich an, faßte seinen Arm und zog ihn herum, so das er sie anschauen mußte.
Der Sänger schüttelte den Kopf, »Lady, das Beste und das Schlimmste, muß ich leider sagen.« Er schaute die anderen an. »Ihr seid allesamt frei fortzugehen, wann immer ihr wollt.« Dann wandte er sich wieder zu Quickening. »Außer dir.«
Morgan fiel augenblicklich wieder ein, in welcher Weise die Urdas Quickening angeschaut hatten, und erinnerte sich, wie fasziniert sie von ihr gewesen waren. »Wieso?« fragte er hitzig. »Warum wird sie nicht auch freigelassen?«
Carisman schluckte. »Meine Untertanen finden sie wunderschön. Sie glauben, sie könne magisch sein, so wie ich. Sie … sie wollen, daß sie mich heiratet.«
»Na hör mal! Was ist denn das für eine wilde Geschichte?« fauchte Horner Dees, und sein borstiges Gesicht verzerrte sich ungläubig.
Morgan packte Carisman am Kittelkragen. »Ich habe genau gesehen, wie du sie anschaust, Sänger! Das war deine Idee!«
»Nein, wirklich nicht! Ich schwöre es!« rief er verzweifelt mit entsetztem Gesicht. »So etwas würde ich nie tun. Die Urdas …«
»Den Urdas ist es völlig egal …«
»Laß ihn los, Morgan«, unterbrach Quickening mit leiser, ungerührter Stimme. »Er sagt die Wahrheit. Er kann nichts dafür.«
Pe Ell schnellte hervor wie die Schneide eines Messers. »Spielt keine Rolle, wer dafür verantwortlich ist.« Er fixierte Carisman. »Sie kommt mit uns.«
Carisman wurde bleich, und er schaute verängstigt von einem zum anderen. »Sie werden sie nicht gehen lassen«, flüsterte er und senkte den Blick. »Und wenn sie sie nicht lassen, dann wird sie da enden, wo ich bin.«
Er begann zu singen:
»Es war einmal vor langer Zeit ein wunderschönes Mädchen.
Sie wanderte durch Wald und Feld,
zu Hause in der ganzen Welt.
Ein mächt’ger Herr verliebte sich und wollte sie zum
Weibe.
Sie wollt’ ihn nicht, er nahm sie heim,
in seinen Turm sperrt’ er sie ein.
Sie grämte sich und trauerte
um das verlor’ne Leben.
Für ihre Freiheit wollte sie
ihr Hab und Gut hergeben.
Ein Kobold hörte ihren Eid und öffnete den Zwinger.
Mitnichten ließ er sie dann frei,
ihr Flehen war ihm einerlei,
er nannte sie sein eigen.
Und die Moral von der Geschicht’:
Willst’ alles geben, was du hast,
dann bleibt dir vielleicht gar nichts.«
Horner Dees warf voller Entrüstung die Hände in die Luft. »Was soll das denn heißen, Carisman?« schnaubte er.
»Daß deine Wünsche dich zerstören können. Daß du, wenn du alles willst, alles verlieren kannst.« Es war Walker Boh, der geantwortet hatte. »Carisman hatte geglaubt, daß er, wenn er König würde, Freiheit fände. Statt dessen fand er Fesseln.«
»Ja«, seufzte der Sänger, und seine feinen Gesichtszüge waren voller Kummer. »Ich gehöre hier genausowenig her wie Quickening. Wenn ihr sie mitnehmt, wenn ihr geht, müßt ihr mich auch mitnehmen!«
»Nein!« rief Pe Ell sofort.
»Lady«, bettelte der Sänger. »Bitte. Ich bin jetzt schon seit fast fünf Jahren hier – nicht nur ein paar Jährchen, wie ich behauptet habe. Ich sitze so fest wie das Mädchen in meinem Lied. Wenn ihr mich nicht mitnehmt, werde ich bis zu meinem Lebensende hier gefangen bleiben.«
Quickening schüttelte den Kopf. »Es ist gefährlich, wo wir hingehen. Weit gefährlicher als hier. Du würdest ein großes Risiko eingehen.«
Carismans Stimme zitterte. »Das ist egal! Ich will frei sein!«
»Nein!« wiederholte Pe Ell und bewegte sich wie eine Katze. »Denk nach, Mädchen! Noch so einen Dummkopf, der uns im Weg ist? Warum nicht gleich eine ganze Armee davon? Idioten!«
Morgan Leah war es jetzt leid, dauernd als Idiot bezeichnet zu werden, und wollte es gerade äußern, doch Walker Boh packte ihn fest am Arm und schüttelte den Kopf. Morgan runzelte zornig die Stirn, doch er gab nach.
»Was weißt du über das Land im Norden, Carisman?« fragte Horner Dees plötzlich. »Warst du schon mal dort?«
Carisman schüttelte den Kopf. »Nein. Es spielt keine Rolle, was dort ist. Es ist jedenfalls weg von hier.« Seine Augen blitzen listig. »Außerdem müßt ihr mich mitnehmen. Ihr könnt nicht weg, wenn ich euch nicht zeige, wie.«
Das wirkte. Alle drehten sich zu ihm um. »Was meinst du damit?« fragte Dees mißtrauisch.
»Ich meine, daß ihr ohne meine Hilfe ein dutzendmal und mehr ums Leben kommt«, erwiderte der Sänger.
Er begann zu singen:
»Stock und Stein bricht euch die Bein’,
wenn’s nicht die Speere sind,
Fallen lauern ungesehn.
Nur ich kann euch bewahren.
Diddelduh, diddeldah, diddeldeih.«
Pe Ell war ihm an die Kehle gesprungen, ehe irgendwer Zeit hatte, ihn daran zu hindern. »Du sagst uns alles, was du weißt, bevor ich dich umbringe!« drohte er wütend.
Aber Carisman hielt stand, sogar in der Lage, in der er sich befand, mit den harten Augen direkt vor den seinen. »Niemals«, keuchte er. »Es sei denn … ihr seid bereit … mich mitzunehmen.«
Sein Gesicht verlor jegliche Farbe, als Pe Ells Hände fester zupackten. Morgan und Horner Dees sahen sich unentschlossen an und schauten dann zu Quickening, gegen ihren Willen abwartend. Es war Walker Boh, der eingriff. Er trat hinter Pe Ell und berührte ihn in einer Weise, die sie nicht sehen konnten. Der hagere Mann sprang zurück. Sein Gesicht war starr vor Verblüffung. Walker nutzte den Augenblick, sein Arm packte Carisman und zog ihn beiseite.
Pe Ell schnellte herum, kalte Wut in den Augen. Morgan war sicher, daß er Walker angreifen würde, und das konnte nicht gutgehen. Doch Pe Ell überraschte ihn. Statt loszuschlagen, starrte er Walker nur an und wandte sich dann ab. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske.
»Carisman«, sagte Quickening und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich. »Kennst du einen Weg, der uns hier herausführt?«
Carisman nickte. Er mußte schlucken, ehe er antworten konnte. »Ja, Lady.«
»Wirst du ihn uns zeigen?«
»Wenn ihr bereit seid, mich mitzunehmen, ja.« Er feilschte jetzt, aber er wirkte zuversichtlich.
»Würde es dir reichen, wenn wir dir helfen würden, das Dorf zu verlassen?«
»Nein, Lady. Ich würde mich verirren, und sie würden mich wieder zurückholen. Ich muß mit euch gehen, wo immer ihr hinwollt – weit weg von hier. Vielleicht«, fügte er fröhlich hinzu, »kann ich euch sogar nützlich sein.«
Wenn die Schweine fliegen lernen, dachte Morgan gnadenlos.
Quickening schien unentschlossen, was gar nicht ihre Art war. Sie schaute Horner Dees fragend an.
»Er hat recht, was die Urdas angeht, die ihn zurückholen würden«, stimmte der alte Fährtensucher zu. »Und uns ebenfalls, wenn wir nicht schnell genug sind. Oder schlau genug.«
Morgan bemerkte, wie Pe Ell und Walker aus entgegengesetzten Ecken der Hütte einander anfunkelten – grausame, finstere Geister aus zwei entgegengesetzten Welten, die sich schweigend und drohend anstarrten. Wer von den beiden würde eine Konfrontation überleben? Und wie konnte ihre Gruppe überleben, solange die beiden so quer miteinander standen?
Und dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. »Deine Magie, Quickening!« platzte er impulsiv heraus. »Deine Magie kann uns helfen, zu entkommen. Du kannst alles, was auf der Erde wächst, kontrollieren. Das reicht, um die Urdas zu bezwingen. Mit oder ohne Carisman bleibt uns deine Magie!«
Doch Quickening schüttelte den Kopf, und für einen Augenblick schien es, als würde sie sich gleich auflösen. »Nein, Morgan. Wir haben das Charnalgebirge überquert und das Land von Uhl Belk erreicht. Ich darf meine Magie nicht mehr einsetzen, bis wir den Talisman gefunden haben. Der Steinkönig darf nicht entdecken, wer ich bin. Wenn ich meine Magie benutze, erfährt er es.«
Es wurde still in der Hütte. »Wer ist der Steinkönig?« fragte Carisman, und alle Blicke richteten sich auf ihn.
»Ich meine, wir nehmen ihn mit«, sagte Horner Dees unverblümt und zur Sache wie immer. Seine massige Gestalt schob sich herum. »Falls er uns tatsächlich hier rausführen kann, heißt das.«
»Nehmen wir ihn mit«, willigte Morgan ein. Dann grinste er. »Mir gefällt die Vorstellung, einen König in unseren Reihen zu haben – auch wenn er nichts als Lieder zu erfinden weiß.«
Quickening schaute die schweigenden Gegner hinter ihrem Rücken an. Pe Ell zuckte desinteressiert mit den Achseln. Walker Boh sagte gar nichts.
»Wir nehmen dich mit, Carisman«, sagte Quickening, »auch wenn ich nicht daran zu denken wage, was diese Entscheidung dich kosten kann.«
Carisman schüttelte eifrig den Kopf. »Kein Preis ist zu hoch, Lady, ich schwöre es.« Der Sänger strahlte.
Quickening ging zur Tür. »Die Nacht neigt sich ihrem Ende zu. Laßt uns eilen.«
Carisman hob die Hand. »Nicht dort entlang, Lady.« Quickening wandte sich um. »Gibt es einen anderen Weg?«
»Allerdings.« Er grinste schelmisch. »Ich stehe zufällig darauf.«