3. Kapitel

Jemand kam ins Zimmer und verpaßte mir eine weitere Injektion. Nach einiger Zeit verging der Schmerz und ich schlief ein.

Wahrscheinlich schlief ich sehr lange. Entweder erlebte ich wirre Träume oder Perioden vager Wachheit — oder beides. Es waren bestimmt Träume darunter — Hunde können sprechen, jedenfalls viele doch sie halten keine Vorträge über die Rechte lebendiger Artefakte, oder? Der Lärm eines Aufruhrs und das Trappeln hin und her rennender Leute könnten der Wirklichkeit entsprochen haben. Ich fühlte mich aber eher in einem Alptraum, denn als ich aus dem Bett zu steigen versuchte, mußte ich feststellen, daß ich nicht einmal den Kopf heben, geschweige denn mich in den Spaß stürzen konnte.

Es kam der Augenblick, da ich zu dem Schluß kam ich wäre wirklich wach, denn ich spürte keine hemmenden Handschellen mehr und auch kein Klebeband über den Augen. Trotzdem hüpfte ich nicht hoch oder öffnete gar die Augen. Ich wußte nämlich daß meine beste und möglicherweise einzige Fluchtchance in den ersten Sekunden kam, nachdem ich die Augen geöffnet hatte.

Ich spannte versuchsweise die Muskeln an, ohne mich zu bewegen. Es schien alles in Ordnung zu sein obwohl ich hier und dort und an etlichen anderen Stellen ziemlich zerschunden zu sein schien. Kleidung? Unwichtig — ich wußte weder, wo die Sachen sein mochten, noch hat man Zeit, sich anzuziehen wenn man um sein Leben läuft.Jetzt der Plan … In meinem Zimmer schien sich niemand aufzuhalten; gab es Leute in dieser Etage?

Lieg still und spitz die Ohren! Sollte ich zu der Überzeugung gelangen, daß ich in meinem Stockwerk allein war, wollte ich lautlos aus dem Bett kriechen dann mäusegleich die Treppe hinauf, durchs zweite Stockwerk auf den Boden, um mich dort zu verstekken. Dann auf die Dunkelheit warten. Auf einen Dachvorsprung hinaus, die Dachschräge und die rückwärtige Wand hinab und in den Wald. Wenn ich es bis zum Wald schaffte, der hinter dem Haus begann, würde man mich nicht wieder einfangen können … doch bis zu diesem Zeitpunkt war ich Freiwild.

Meine Chancen? Eins gegen acht. Vielleicht eins gegen sechs, wenn ich richtig in Fahrt geriet. Der schwächste Aspekt meines jämmerlichen Plans war die Wahrscheinlichkeit, daß man mich entdecken würde, ehe ich das Haus verlassen konnte — denn falls ich … nein, wenn ich entdeckt wurde, mußte ich meinen Gegner nicht nur umbringen, sondern dabei auch noch absolut lautlos vorgehen …

Denn die Alternative bestand darin abzuwarten bis man mich erledigte — und das war in dem Augenblick zu erwarten, da der „Major“ zu der Überzeugung gelangte, daß er nichts Neues mehr aus mir herausquetschen konnte. So tolpatschig diese Kerle auch waren, sie waren nicht so dumm — zumindest nicht der Major —, eine Zeugin am Leben zu lassen die sie gefoltert und vergewaltigt hatten.

Ich lauschte angestrengt.

Nichts rührte sich, auch keine Maus … Länger zu warten war sinnlos; jede weitere Sekunde brachte den Augenblick näher, da sich tatsächlich jemand rührenwürde. Ich öffnete die Augen.

„Ah, Sie sind wach. Gut!“

„Chef! Wo bin ich?“

„Was für ein Gemeinplatz! Freitag das können Sie doch besser. Versuchen Sie’s noch einmal von vorn.“

Ich sah mich um. Ein Schlafzimmer, vermutlich in einem Krankenhaus. Keine Fenster. Blendfreie Beleuchtung. Typische Grabesstille, die durch das leise Seufzen der Belüftung eher noch unterstrichen wurde.

Wieder musterte ich meinen Chef. Was für ein willkommener Anblick! Die alte, unmoderne Augenklappe, die er seit jeher trug — warum nahm er sich nicht die Zeit, das Auge regenerieren zu lassen? Seine Krücken lehnten in Reichweite an einem Tisch. Er trug den üblichen nachlässigen Seidenanzug, schlecht geschnitten, so daß das Ganze wie ein Pyjama aussah.

Ich freute mich sehr, ihn zu sehen.

„Ich möchte immer noch wissen, wo ich bin. Und wie ich hierhergekommen bin. Und warum? Wir befinden uns irgendwo unter der Erde — aber wo?“

„Irgendwo unter der Erde, etliche Meter. ›Wo‹ wird man Ihnen sagen, wenn die Information für Sie nützlich ist, oder zumindest, wie Sie sich hier orientieren müssen. Das war der Nachteil unserer Farm — ein hübscher Ort, dessen Lage allerdings zu viele Leute kannten. Das ›Warum‹ liegt auf der Hand. Das ›Wie‹ hat Zeit. Bitte Ihren Bericht!“

„Chef, Sie sind der enervierendste Mann, der mir je begegnet ist.“

„Das beruht auf langjähriger Praxis. Berichten Sie!“

„Und Ihr Vater lernte Ihre Mutter bei einem Tanzfest kennen. Und nahm nicht mal den Hut ab.“

„Sie lernten sich bei einem Picknick der Baptisten-Sonntagsschule kennen und glaubten beide an den Butzemann. Jetzt Ihren Bericht.“

„Sie sollten sich mal die Ohren waschen. Reise nach L-5 ohne Zwischenfälle erledigt. Ich fand Mr. Mortenson und übergab ihm den Inhalt meines falschen Nabels. Der glatte Ablauf wurde durch einen höchst ungewöhnlichen Faktor gestört: In der Raumstadt grassierte eine Epidemie von Atemstörungen, Herkunft unbekannt, und ich zog mir diese Krankheit zu.

Mr. Mortenson war sehr nett; er behielt mich bei sich zu Hause, und seine Ehefrauen pflegten mich mit großer Geschicklichkeit und liebevoller Hingabe.

Chef, ich möchte, daß die beiden dafür eine Entschädigung erhalten.“

„Schon notiert. Fahren Sie fort!“

„Ich war die meiste Zeit nicht ganz bei mir. Deshalb war ich schließlich eine Woche über die Zeit.

Aber sobald mir wieder nach Reisen zumute war brach ich auf, denn Mr. Mortenson teilte mir mit, daß ich die für Sie bestimmte Sache bereits bei mir trüge.

Wie, Chef? Wieder im Nabelbeutel?“

„Ja und nein.“

„Das ist eine vertrackte Antwort!“

„Ihr künstliches Behältnis wurde benutzt.“

„Dachte ich mir’s doch. Obwohl es dort keine Nervenenden geben soll, spüre ich doch etwas — vielleicht eine Art Druck, wenn sich etwas darin befindet.“

Ich drückte mir in der Gegend des Nabels auf den Leib und spannte die Bauchmuskeln an. „He, das Ding ist ja leer! Sie haben’s herausgenommen?“

„Nein. Das haben unsere Gegner besorgt.“

„Dann habe ich versagt! O Gott, Chef, das ist ja fürchterlich!“

„Nein“, sagte er sanft. „Sie waren wie üblich erfolgreich. Trotz großer Gefahren und gewaltiger Hindernisse haben Sie die Mission perfekt durchgeführt.“

„Wirklich?“ (Ist Ihnen schon mal der VictoriaOrden angeheftet worden?) „Chef, hören Sie auf mit dem verschlüsselten Gerede! Machen Sie mir eine Zeichnung!“

„Aber ja.“

Aber vielleicht sollte ich vorher eine Zeichnung für Sie machen. Ich besitze einen Känguruhbeutel hinter meinem Nabel, eine künstlich geschaffene Einrichtung. Keine große Sache, doch es paßt ziemlich viel Mikrofilm in eine Öffnung von etwa einem Kubikzentimeter. Sehen kann man nichts, denn der dazugehörige Kreisverschluß läßt die Nabelgegend ganz natürlich erscheinen. Unvoreingenommene Stimmen behaupten, ich hätte einen hübschen Bauch und einen eher kleinen Nabel … was in wichtiger Hinsicht besser ist als ein hübsches Gesicht zu haben was bei mir nicht der Fall ist.

Der Kreisverschluß besteht aus synthetischem Silikon-Elastomer, das den Nabel jederzeit zusammenhält, selbst wenn ich bewußtlos bin. Anders geht es nicht, weil es dort keine Nervenenden gibt, die ein bewußtes Zusammenziehen und Entspannen möglich machen, etwa wie bei den analen und vaginalen Zonen und — bei manchen Leuten — auch in der Kehle.

Will man etwas in den Beutel tun, nimmt man ein wenig K-Y-Gelee oder eine andere unschädliche Salbe und drückt mit dem Daumen hinein — bitte keine scharfen Kanten! Zum Entladen nehme ich die Finger beider Hände, öffne den künstlichen Ringmuskel soweit es geht, dann presse ich energisch mit denBauchmuskeln — und das Ding hüpft heraus.

Schmuggelgut im Körper zu verbergen ist eine alte Kunst. Die klassischen Methoden sind der Mund Nebenhöhlen, Magen, Darm, Rektum, Vagina, Blase die Augenhöhle (wenn ein Auge fehlt) und das Ohr.

Außerdem gibt es exotische und nicht sehr nützliche Methoden mit Tätowierungen, die zuweilen auch unter dem Haar liegen.

Diese klassischen Methoden sind natürlich sämtlichen öffentlichen oder privaten Zollbeamten und Spezialagenten bekannt — auf der Erde, auf Luna, in den Raumstädten, auf anderen Planeten und an den übrigen Orten, die die Menschheit erreicht hat. Man kann sie also getrost vergessen. Die einzige klassische Methode, die gegen einen Profi noch anwendbar ist ist der Gestohlene Brief. Aber das ist schon hohe Kunst, und selbst dann sollte man die Methode nur bei Ahnungslosen anwenden, die trotz Wahrheitsseren nichts verraten können.

Schauen Sie sich mal die nächsten tausend Bauchnabel an, die Ihnen über den Weg laufen! Nachdem mein Beutelchen nun entdeckt worden ist, wäre es durchaus denkbar, daß ein oder zwei Nabel chirurgisch eingepflanzte Verstecke dieser Art verbergen.

Diese Zahl wird in Kürze noch mehr zunehmen, dann aber wird man auf diese Operation verzichten, denn ein solcher Schmuggeltrick erübrigt sich, sobald er sich herumgesprochen hat. Bis dahin werden die Zolloffiziere mit frechen Fingern prokeln. Ich kann nur hoffen, daß zornige Betroffene recht häufig zurückschlagen — so ein Nabel ist doch eine empfindliche und kitzlige Stelle.

„Freitag, die Schwachstelle Ihres kleinen Täsch-chens hat immer darin bestanden, daß jedes geschickte Verhör …“

„Die Kerle waren sehr ungeschickt.“

„… oder jedes grobe Verhör und jedes Wahrheitsserum Sie dazu bringen konnte, seine Existenz zu offenbaren.“

„Muß passiert sein, als man mir den Plappersaft spritzte. Ich erinnere mich aber nicht daran, davon gesprochen zu haben.“

„Das mag schon sein. Vielleicht hat die Gegenseite aber auch auf anderen Wegen davon erfahren, da mehrere Leute Bescheid wissen — Sie, ich, drei Krankenschwestern, zwei Ärzte, ein Anästhesist, vielleicht noch mehr. Zu viele. Egal, wie unsere Gegner davon erfahren haben, sie haben sich genommen, was Sie darin trugen. Aber seien Sie nicht niedergeschlagen; was sie damit bekamen, war eine auf Mikrofilm verkleinerte Liste aller Restaurants, die in einem Telefonbuch des Jahres 1928 der ehemaligen Stadt New York verzeichnet waren. Zweifellos ist in diesem Augenblick irgendein Computer dabei, die Liste zu zerlegen in dem Bemühen, den darin enthaltenen Kode zu knacken — und das wird lange dauern, denn es gibt keinen solchen Kode. Falsche Ladung. Ohne Sinn und Verstand.“

„Und deswegen mußte ich den weiten Weg nach L5 zurücklegen, miese Sachen essen, auf dem Bohnenstengel krank werden und mich von brutalen Schweinehunden vögeln lassen!“

„Das letzte tut mir leid, Freitag. Aber glauben Sie wirklich, ich würde das Leben meiner besten Agentin auf einer sinnlosen Mission in Gefahr bringen?“

(Verstehen Sie jetzt, warum ich für den arrogantenKerl arbeite? Mit Schmeichelei kommt man durch die Welt.) „Tut mir leid, Sir.“

„Überprüfen Sie mal Ihre Blinddarmnarbe.“

„Wie bitte?“ Ich griff unter die Bettdecke und tastete daran herum, dann schob ich die Decke zur Seite und schaute mir das Ding an. „Zum Teufel!“

„Der Einschnitt war weniger als zwei Zentimeter lang und lag direkt auf der Narbe; Muskelgewebe war nicht betroffen. Das Objekt wurde vor etwa vierundzwanzig Stunden entnommen, indem man denselben Einschnitt noch einmal öffnete. Die beschleunigten Heilmethoden, die man bei Ihnen angewendet hat, lassen die Ärzte vermuten, daß man in zwei Tagen die neue Narbe in der alten nicht mehr finden kann. Es freut mich allerdings sehr, daß sich die Mortensons so gut um sie gekümmert haben, denn ich weiß, daß die künstlichen Beschwerden, die Ihnen verpaßt wurden, um die erste Operation zu maskieren, sicher nicht angenehm waren. Übrigens gibt es dort wirklich eine Katarrh-Epidemie — ein Glückszufall, der unseren Plan unterstützte.“

Der Chef hielt inne. Ich verzichtete stur darauf, ihn zu fragen, was ich denn befördert hatte — er hätte es mir auf keinen Fall gesagt. Gleich darauf fügte er hinzu: „Sie wollten mir eben von Ihrer Rückkehr berichten.“

„Die Fahrt nach unten verlief ohne Zwischenfälle.

Chef, wenn Sie mich das nächstemal ins All schicken möchte ich erste Klasse reisen, mit einem Antischwerkraft-Schiff. Nicht über das blöde Fakirseil.“

„Die technischen Analysen haben ergeben, daß ein Himmelshaken sicherer ist als jedes Schiff. Das Quitokabel ging durch Sabotage verloren, nicht wegeneines Materialfehlers.“

„Geizhals!“

„Ich will mich nicht für alle Ewigkeit festlegen. Von mir aus können Sie ab jetzt Antischwerkraft-Schiffe benutzen, wenn die Umstände und der Zeitplan so etwas zulassen. Diesmal gab es Gründe, den KeniaBohnenstengel zu nehmen.“

„Das mag sein, aber jemand verfolgte mich beim Verlassen der Bohnenstengel-Kapsel. Ich brachte den Kerl um, sobald wir allein waren.“

Ich schwieg einen Augenblick lang. Irgendwann wird es mir einmal gelingen, einen Ausdruck der Überraschung auf sein Gesicht zu zaubern. Ich beakkerte das Thema aus einer anderen Richtung:

„Chef, ich brauche einen Erneuerungskursus, der eine gründliche Re-Orientierung bringen muß.“

„Ach wirklich? In welcher Hinsicht?“

„Mein Tötungsreflex ist zu schnell. Ich treffe kein klares Urteil mehr. Der Kerl hatte im Grunde nichts getan, das seinen Tod erforderte. Er war mir zwar auf den Fersen, aber ich hätte ihn entweder abschütteln müssen, dort oder in Nairobi, oder ihn zumindest bewußtlos schlagen und auf Eis legen können, während ich mich absetzte.“

„Diesen möglichen Bedarf besprechen wir später.

Machen Sie erst einmal weiter.“

Ich erzählte ihm von dem Amtsauge und „Belsens“ vierfacher Persönlichkeit, die ich in alle vier Winde auseinandergeschickt hatte, anschließend beschrieb ich meinen Heimweg. Er hob die Hand. „Sie haben nichts über die Zerstörung des Hotels in Nairobi gesagt.“

„Wie bitte? Chef, das hatte doch gar nichts mit mirzu tun! Ich war schon auf halbem Wege nach Mombasa.“

„Meine liebe Freitag, Sie sind zu bescheiden. Eine Menge Leute und sehr viel Geld sind aufgewendet worden bei dem Versuch, Sie an der Vollendung Ihrer Mission zu hindern, einschließlich des letzten verzweifelten Versuchs auf unserer ehemaligen Farm.

Sie können zumindest als Hypothese davon ausgehen, daß die Bombenexplosion im Hilton keinen anderen Zweck hatte, als Sie zu töten.“

„Hmm. Chef, anscheinend wußten Sie vorher, daß die Sache so kitzlig werden könnte. Hätten Sie mich nicht warnen können?“

„Wären Sie wachsamer und entschlossener gewesen, wenn ich Ihnen den Verstand mit vagen Warnungen vor unbekannten Gefahren vollgestopft hätte? Frau, Sie machen Fehler!“

„Wie bitte? Onkel Jim holte mich von der Kapsel ab, während er meine Ankunftszeit eigentlich nicht hätte wissen dürfen; das hätte mich sofort in Alarmstimmung versetzen müssen. Es wäre meine Pflicht gewesen, sofort wieder im Tunnelbahnhof zu verschwinden und irgendeine Kapsel zu nehmen, sobald mein Blick auf ihn fiel.“

„Wonach es äußerst schwierig für uns gewesen wäre, das Rendezvous zu vollziehen, und damit wäre Ihre Mission so sicher danebengegangen, wie Sie Ihr Transportgut verloren hätten. Mein Kind, wenn die Sache glattgegangen wäre, hätte Jim Sie auf meinen Befehl abgeholt; sie unterschätzen mein Informantennetz ebenso wie die Mühen, die wir darauf verwenden, Sie zu bewachen. Aber ich habe Jim nicht zu Ihnen an die Kapsel geschickt, weil ich in dem Augen-blick auf der Flucht war. Humpelnderweise, muß ich sagen. Ich hatte es eilig. Ich versuchte zu fliehen.

Vermutlich nahm Jim die Nachricht über Ihre Ankunft persönlich entgegen — von unserem Mann oder von dem Helfer unserer Gegner, möglicherweise sogar von beiden.“

„Chef, hätte ich es gleich gewußt, hätte ich Jim an seine Pferde verfüttert. Ich mochte ihn. Wenn es soweit ist, möchte ich ihn persönlich ausschalten. Er gehört mir.“

„Freitag, in unserem Beruf ist es nicht wünschenswert, mit einem Groll durchs Leben zu gehen.“

„Ich werde nicht oft zornig, aber Onkel Jim ist etwas Besonderes. Eine zweite Sache möchte ich ebenfalls persönlich erledigen. Aber darüber streiten wir später. Sagen Sie, stimmt es, daß Onkel Jim mal papistischer Priester war?“

Der Chef sah beinahe überrascht aus. „Woher haben Sie denn den Unsinn?“

„Man hört so manches. Klatsch.“

„›Menschlich, allzu menschlich.‹ Klatsch ist eine Plage. Schaffen wir das ein für allemal aus der Welt.

Prufit war Trickbetrüger. Ich lernte ihn im Gefängnis kennen, wo er etwas für mich erledigte, etwas, das so wichtig war, daß ich ihm später in unserer Organisation einen Platz anbot. Mein Fehler. Ein unentschuldbarer Fehler, da ein Trickbetrüger nie aufhört, Trickbetrüger zu sein; er kann nicht über seinen eigenen Schatten springen. Aber ich war in seinem Falle entschlossen, meinem Glauben zu folgen, eine Charakterschwäche, die ich ausgemerzt zu haben hoffte. Ein Irrtum. Bitte fahren Sie fort.“

Ich schilderte dem Chef, wie man mich überwältigthatte. „Ich glaube, es waren fünf. Vielleicht auch nur vier.“

„Ich nehme sogar an, es waren sechs. Beschreibungen.“

„Die habe ich nicht, Chef. Dazu hatte ich zuviel zu tun. Nun ja, eine vielleicht. Ich konnte einen kurzen Blick auf ihn werfen, ehe ich ihn umbrachte. Etwa hundertfünfundsiebzig groß, Gewicht etwa fünfundsiebzig, sechsundsiebzig. Alter um die fünfunddreißig.

Blondes Haar, glattrasiert. Ein slawischer Typ. Aber er war der einzige, den mein Auge sich merken konnte.

In dem Augenblick, als ich ihm das Genick brach.“

„War der andere, den Sie umbrachten, blond oder brünett?“

„Belsen? Brünett.“

„Nein, auf der Farm. Na, egal. Sie töteten zwei Gegner und verwundeten drei Mann, ehe sich genügend Leute auf Sie geworfen hatten, um Sie allein mit dem Gewicht am Boden zu halten. Ich darf hinzufügen, daß darin ein Kompliment an Ihren Ausbilder liegt. Bei unserer Flucht hatten wir die gegnerische Streitmacht nicht soweit ausdünnen können, daß sie Sie nicht mehr hoppnehmen konnte — aber meiner Ansicht nach haben Sie entscheidend zu dem Sieg beigetragen, mit dem wir Sie befreiten: Sie hatten bereits etliche Agenten aus dem aktiven Einsatz genommen. Obwohl Sie zu der Zeit angekettet und bewußtlos waren, gewannen sie für uns den Kampf.

Bitte berichten Sie weiter!“

„Das wär’s so etwa, Chef. Als nächstes kam eine Gruppenvergewaltigung, gefolgt von Verhören, zuerst direkt, dann mit Hilfe von Wahrheitsseren schließlich mit Folterung.“

„Die Vergewaltigung tut mit leid, Freitag. Dafür gelten natürlich die üblichen Zusatzzahlungen. Sie werden feststellen, daß wir diesmal nicht kleinlich sind, weil ich die Umstände als ungewöhnlich erniedrigend eingestuft habe.“

„Ach, so schlimm war es auch wieder nicht. Ich bin schließlich keine errötende Jungfrau mehr. Ich kann mich an Feiern unter Freunden erinnern, die beinahe genauso turbulent endeten. Mit Ausnahme eines Mannes. Ich kenne sein Gesicht nicht, werde ihn aber identifizieren können. Ihn möchte ich haben! Und zwar so dringend wie Onkel Jim. Vielleicht liegt mir an ihm sogar noch ein wenig mehr, weil ich ihn ein wenig zappeln lassen will, ehe ich ihn sterben lasse.“

„Ich kann nur wiederholen, was ich eben schon sagte. Bei uns ist persönlicher Groll ein Fehler. Solche Empfindungen senken die Überlebenschancen.“

„Für diesen Kerl riskiere ich das gern. Boß, ich werfe ihm nicht vor, daß er mich vergewaltigt hat, um des Vergewaltigens willen; die Männer hatten Befehl über mich herzufallen, der einfältigen Theorie folgend, daß mich das für das nachfolgende Verhör gefügig machen würde. Aber der Kerl sollte öfter baden und sich seine Zähne richten lassen, die er dann auch putzen müßte. Und man muß ihm beibringen, daß es nicht höflich ist, eine Frau zu schlagen, mit der er gerade Verkehr hat. Sein Gesicht kenne ich nicht, dafür aber seine Stimme und seinen Körpergeruch und seine Statur und seinen Spitznamen — Rocks oder Rocky.“

„Jeremy Rockford.“

„Ach? Sie kennen ihn? Wo ist er?“

„Ich kannte ihn früher mal und konnte ihn mirkürzlich gründlich ansehen, um meiner Sache ganz sicher zu sein. Er ruhe in Frieden.“

„Ach wirklich? Na, Pfui Teufel! Ich hoffe, er hat keinen angenehmen Tod gehabt.“

„O nein. Freitag, ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt, was ich weiß …“

„Das tun Sie doch nie!“

„… weil ich zuerst Ihren Bericht hören wollte. Der gegnerische Angriff auf die Farm hatte Erfolg, weil Jim Prufit unmittelbar vor der Attacke die ShipstoneEnergie abstellte. Folglich hatten die wenigen, die auf der Farm bewaffnet waren, nur ihre Handfeuerwaffen zur Verfügung während der größte Teil auf die bloßen Hände angewiesen war. Ich befahl die Evakuierung, und die meisten konnten durch einen Tunnel entkommen, der beim Wiederaufbau des Hauses geplant und gut getarnt worden war. Voller Bedauern und auch Stolz muß ich Ihnen mitteilen, daß drei unserer besten Leute, die drei, die im Augenblick des Überfalls bewaffnet waren, den Entschluß faßten, bis zum letzten Mann auf der Brücke des sinkenden Schiffes auszuharren. Ich weiß, daß sie tot sind, denn ich hielt den Tunnel offen, bis mir die Geräusche verrieten, daß die Verfolger in den Gang eingedrungen waren. Dann sprengte ich die Röhre.

Es dauerte einige Stunden, genügend Leute zusammenzurufen und den Gegenangriff vorzutragen besondere Mühe machte es, genügend AAFs[1] zu beschaffen. Wir hätten wohl zu Fuß angreifen können doch brauchten wir mindestens ein AAF als Ambulanz für Sie.“

„Woher wußten Sie, daß ich noch lebte?“

„Na, ich erfuhr das auf dem gleichen Wege, auf dem ich erkannte, daß der Fluchttunnel von Gegnern betreten worden war und nicht von unserer Nachhut: über Mikrofone. Freitag, was Ihnen angetan und von Ihnen getan wurde, alles, was Sie gesagt haben und was zu Ihnen gesagt wurde, ist abgehört und aufgezeichnet worden. Ich konnte nicht persönlich mithören — ich bereitete den Gegenangriff vor —, aber die wesentlichen Teile wurden mir vorgespielt, so wie es unsere Zeit erlaubte. Ich möchte hinzufügen, daß ich stolz auf Sie bin.

Wir konnten feststellen, welche Mikrofone welche Stimmen auffingen, und schlossen daraus, wo Sie gefangengehalten wurden, daß Sie mit Handschellen gefesselt waren, wie viele Mann im Hause waren, wo sie sich aufhielten, wann sie sich zur Ruhe legten und wer wach blieb. Über eine Verbindung zum Kommando-AAF wußte ich bis zum Augenblick des Angriffs über die Situation im Haus bestens Bescheid.

Wir legten los — ich meine, unsere Leute legten los.

Auf diesen beiden Krücken stehe ich nicht gerade in vorderster Front eines Angriffs; ich trage den Stab des Anführers. Unsere Leute griffen das Haus an, drangen ein, die dazu vorgesehenen vier Leute kümmerten sich um Sie — einer davon war lediglich mit einem Metallschneider bewaffnet —, und nach drei Minuten und elf Sekunden waren alle wieder im Freien. Dann steckten wir alles in Brand.“

„Chef! Das hübsche Farmhaus!“

„Wenn ein Schiff sinkt, müssen einem die Tischdecken des Speisesaals gleichgültig sein. Wir können die Farm sowieso nicht mehr benutzen. Der Brand imHaus vernichtete zahlreiche belastende Unterlagen und mehr oder weniger geheime Ausrüstungsgegenstände. Der zwingendste Grund für unser Vorgehen aber war die Gelegenheit, all jene, die hinter das Geheimnis der Anlage gedrungen waren, auszuschalten.

Ehe wir die Brandmittel einsetzten, war unser Riegel an Ort und Stelle, und wer den Flammen entkommen wollte, wurde erschossen.

Und bei dieser Gelegenheit bekam ich Ihren Bekannten Jeremy Rockford zu Gesicht. Als er aus der Osttür kam, bekam er einen Schuß ins linke Bein. Er kehrte stolpernd ins Hausinnere zurück, überlegte es sich anders und versuchte wieder zu fliehen. Dabei stürzte er und saß fest. Nach den Geräuschen zu urteilen, die er von sich gab, ist er bestimmt keines leichten Todes gestorben.“

„Brr. Als ich vorhin sagte, daß ich ihn zappeln lassen wollte, ehe ich ihn umbrächte, meinte ich allerdings kein so schlimmes Schicksal, wie bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden.“

„Wäre er nicht wie ein kopfloses Pferd in die brennende Scheune zurückgekehrt, hätte er sterben können wie die anderen — durch einen schnellen Laserstrahl. Ohne Anruf, denn wir haben keine Gefangenen gemacht.“

„Nicht einmal zum Verhör?“

„Das wäre nicht die richtige Doktrin gewesen möchte ich meinen. Meine liebe Freitag, Sie scheinen sich der emotionalen Stimmung nicht bewußt zu sein.

Ihre Kollegen hatten die Bänder abgehört, zumindest die von der Vergewaltigung und dem dritten Verhör samt Folterung. Unsere Jungs hätten selbst dann keine Gefangenen gemacht, wenn ich es angeordnethätte. Ich verzichtete aber darauf. Ich kann Ihnen sagen, daß Sie bei Ihren Kollegen einen guten Ruf genießen. Auch bei den vielen, denen Sie noch nicht begegnet sind und die Sie wohl auch nie kennenlernen werden.“

Der Chef griff nach seinen Krücken und stand mühsam auf. „Ich bin schon sieben Minuten länger hier, als mir von Ihren Ärzten gestattet wurde. Wir reden morgen weiter. Jetzt müssen Sie sich ausruhen.

Eine Schwester wird Ihnen etwas zum Schlafen geben. Schlafen Sie gut und erholen Sie sich bald wieder!“

Anschließend hatte ich einige Minuten für mich die ich in höchst freudiger Stimmung verbrachte. „… guter Ruf …“ Wenn man nie richtig dazugehört hat und eigentlich auch nicht dazugehören kann, gewinnen solche Worte eine große Bedeutung. Sie beflügelten mich sogar so sehr, daß es mir nichts mehr ausmachte, kein Mensch zu sein.

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