11. Kapitel

Wer zu jung ist, um den Aufruf gehört zu haben, hat zweifellos darüber gelesen oder in der Schule davon erfahren. Um aber zu zeigen, wie ich und mein seltsames Leben beeinflußt wurden, muß ich eine Zusammenfassung davon geben. Dieser sogenannte „Überlebensrat“ stellte sich als Geheimgesellschaft der „Gerechten“ vor, der das Ziel verfolgte, all die unzähligen Mißstände auf der Erde und allen anderen Welten zu korrigieren, auf denen die Menschheit lebte. Diesem Ziel widmeten sie ihr Leben.

Zuerst aber nahmen sie sich vor, das Leben ziemlich vieler anderer Leute in Anspruch zu nehmen. Sie verkündeten, sie hätten Listen der echten Unruhestifter angefertigt, auf der Erde wie auch im All — separate Listen für jeden Territorialstaat, außerdem eine große Liste von Führerpersönlichkeiten von Weltrang. Und diese Leute waren ihr Ziel.

Der Rat erklärte sich verantwortlich für die ersten Hinrichtungen und versprach, weitere Leute zu töten … und noch mehr … und noch mehr … — bis man auf seine Forderungen einginge.

Nachdem die weltbekannten Namen aufgezählt worden waren, begann die Stimme, die über unseren Sender kam, die Liste für Britisch-Kanada vorzulesen.

Der Gesichtsausdruck und das nachdenkliche Nicken meiner Gastgeber zeigten mir, daß sie in den meisten Fällen mit der Wahl einverstanden waren. Der Vertreter der Premierministerin stand auf der Liste, nicht aber die Premierministerin selbst, was mich überraschte und sie vermutlich noch mehr. Wie wäre Ih-nen zumute, wenn Sie Ihr ganzes Leben in der Politik verbracht und sich bis zur Spitze vorgekämpft hätten und dann irgendein Klugscheißer des Weges käme und Sie nicht einmal für wichtig genug hielte, auf die schwarze Liste gesetzt zu werden?

Die Stimme kündigte an, daß es in den nächsten zehn Tagen keine Hinrichtungen mehr geben würde.

Wenn die Forderungen bis dahin nicht erfüllt wären müßte von den verbleibenden Namen auf der Liste jeder zehnte durch Los für den Tod bestimmt werden. Zehn Tage später weitere zehn Prozent — und so weiter, bis die Überlebenden das Utopia erlangt hatten.

Die Stimme erklärte, daß der Rat keine Regierung sei und auch keine Regierung ersetzen wolle; er sei lediglich Wächter der Moral, das öffentliche Gewissen der Mächtigen. Die Machthaber, die die Entwicklung überlebten, würden an der Macht bleiben — doch sie konnten nur überleben, wenn sie Gerechtigkeit walten ließen. Man warnte sie davor, zurücktreten zu wollen.

„Hier spricht die Stimme des Überlebens. Der Himmel auf Erden steht bevor.“ Dann war die Übertragung zu Ende.

Ehe der Live-Kommentator auf dem Terminalschirm erschien, trat eine längere Pause ein. Janet unterbrach die Stille: „Ja, aber …“

„›Ja, aber …‹ — was meinst du?“ fragte Ian.

„Keine Frage — auf der Liste stehen die Namen der meisten Leute, die in diesem Land wirkliche Macht ausüben. Einmal angenommen, du stündest auf der Todesliste und wärst dann so verschreckt, daß du alles tun würdest, nur um nicht getötet zu werden. Waswürdest du tun? Was ist Gerechtigkeit?“

(„Was ist Wahrheit?“ fragte Pontius Pilatus und wusch die Hände. Ich wußte keine Antwort und hielt den Mund.)

„Meine Liebe, das ist doch ganz einfach“, antwortete Georges.

„Oh? Und wieso?“

„Man hat alles ganz klar geregelt. Jeder Besitzende oder Chef oder Tyrann muß im Grunde wissen, was zu tun ist; das ist seine Aufgabe. Wenn er das tut, was er tun sollte, ist doch alles in Ordnung. Wenn er versagt, wird seine Aufmerksamkeit auf dieses Abweichen gelenkt — durch Dr. Guillotine.“

„Georges, mach keine Witze!“

„Meine Liebe, ich habe niemals etwas ernster gemeint. Wenn das Pferd nicht über die Hürde will wird es erschossen. Bleibt man dabei konsequent findet sich über kurz oder lang ein Pferd, welches das Hindernis schafft. Es handelt sich dabei um jene Sorte plausibler Pseudologik, mit der die Leute an politische Dinge herangehen. So etwas zwingt einen zu der Überlegung, ob die Menschheit durch irgendein Regierungssystem gut verwaltet werden kann.“

„Regieren ist ein schmutziges Geschäft“, brummte Ian.

„Das stimmt. Aber Morde zu veranlassen ist noch schmutziger.“

Diese politische Diskussion wäre wohl jetzt noch im Gange, wenn das Terminal nicht wieder hell geworden wäre — mir fällt überhaupt auf, daß politische Diskussionen selten beendet, sondern stets nur durch äußere Einwirkungen unterbrochen werden. Eine live gesendete Ansagerin füllte den Schirm. „Das Band,das Sie eben gesehen haben“, verkündete sie, „wurde dem Sender durch Boten übermittelt. Das Amt der Premierministerin hat die Aufzeichnung bereits zurückgewiesen und allen Sendern, die es noch nicht gebracht haben, Anweisung gegeben, die Ausstrahlung zu unterlassen — mit Hinweis auf die Strafvorschriften, die im Verteidigungsfall gelten. Daß die Zensur, die mit dieser Anordnung ausgeübt wird gegen die Verfassung verstößt, liegt auf der Hand.

Die Stimme von Winnipeg wird Sie weiter über alle Entwicklungen auf dem laufenden halten. Wir bitten Sie, Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben, soweit nicht Ihre Unterstützung benötigt wird, lebenswichtige öffentliche Einrichtungen in Betrieb zu halten.“

Es folgten Wiederholungen von Nachrichtenmeldungen, und Janet dämpfte den Ton und schaltete den Schriftlauf auf den Schirm. „Ian“, sagte ich „wenn wir einmal annehmen, daß ich hierbleiben soll, bis sich die Lage im Imperium beruhigt …“

„Das ist keine Annahme, sondern eine Tatsache.“

„Jawohl, Sir. In dem Fall aber muß ich unbedingt meinen Chef anrufen. Darf ich dazu deinen Terminal benutzen? Natürlich mit meiner Kreditkarte.“

„Nicht mit deiner Karte. Ich tippe die Verbindung ein, und wir nehmen das auf die allgemeine Rechnung.“

Ich hatte das Gefühl, gegen eine Mauer anzurennen. „Ian, ich weiß die großzügige Gastfreundschaft zu schätzen, die du — ihr alle — mir entgegenbringt.

Aber wenn ihr darauf besteht, nun auch jene Kosten zu übernehmen, die ein Gast normalerweise selbst tragen muß, dann solltet ihr mich gleich als eureKonkubine registrieren und öffentlich bekanntgeben daß ihr für meine Schulden eintretet.“

„Klingt vernünftig. Welches Gehalt würdest du fordern?“

„Moment!“ rief Georges. „Ich zahle mehr. Er ist ein geiziger Schotte.“

„Du solltest dich von keinem der beiden betören lassen“, riet mir Janet. „Georges mag wohl mehr zahlen, aber er würde erwarten, daß du ihm dafür Modell stehst und gleich auch noch eine Eizelle überläßt. Ich aber habe mir immer schon eine Haremssklavin gewünscht. Mein Schatz, auch ohne Edelstein im Nabel wärst du das perfekte Odaliskenmädchen! Aber verstehst du dich auf Rückenmassage? Wie steht es mit deinem Gesang? Und jetzt die Kernfrage: Wie empfindest du gegenüber Frauen? Du kannst mir die Antwort ins Ohr flüstern.“

„Vielleicht sollte ich vor die Tür gehen, klingeln und noch einmal ganz von vorn beginnen“, sagte ich.

„Ich will ja nur einen Anruf machen. Ian, darf ich meine Kreditkarte benutzen, um meinen Chef zu verständigen? Master Charge, AAA-Kredit.“

„Wo ausgestellt?“

„Auf die Imperial-Bank von St. Louis.“

„Da muß ich doch annehmen, daß du eine Meldung, die während der Nacht durchkam, nicht mitbekommen hast. Oder liegt dir daran, deine Kreditkarte entwertet zu bekommen?“

„Entwertet?“

„Höre ich da ein Echo? Das Kreditnetz von BritKan ließ durchgeben, daß für die Dauer der Krise Kreditkarten aus dem Imperium und Québec keine Gültigkeit hätten. Steck sie nur in den Schlitz, dannerfährst du Neues über die Errungenschaften des Computerzeitalters. Hast du schon mal brennendes Plastik gerochen?“

„Oh!“

„Wie bitte? Hast du da eben ›Oh‹ gesagt?“

„In der Tat. Ian, da muß ich wohl klein beigeben.

Darf ich meinen Chef auf deine Kosten anrufen?“

„Aber ja doch — wenn du dich mit Janet absprichst.

Sie ist für die Kosten des Haushalts verantwortlich.“

„Janet?“

„Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.

Flüstere sie mir ins Ohr!“

Und ich kam ihrer Aufforderung nach. Sie riß die Augen auf. „Stellen wir zuerst den Anruf durch.“ Ich nannte ihr den Kode, und sie tippte ihn am Terminal in ihrem Zimmer ein.

Die wandernden Schriftzeichen wurden unterbrochen und eine flackernde Schrift erschien:

AUS SICHERHEITSGRÜNDEN UNTERBROCHEN — KEINE LEITUNGEN INS CHICAGO-IMPERIUM.

Zehn Sekunden lang blitzten die Buchstaben und verschwanden wieder; ich gab einen herzhaften Fluch von mir und hörte Ians Stimme hinter mir: „Ungezogen, wie ungezogen! Brave Mädchen und Damen reden nicht so!“

„Ich bin keins von beiden. Und ich bin verärgert.“

„Das wußte ich gleich; ich hatte vorhin die Meldung mitbekommen. Aber ich wußte auch, daß du es selbst ausprobieren mußtest.“

„Ja, ich hätte darauf bestanden, es zu versuchen.

Ian, ich bin nicht nur frustriert, sondern sitze auch fest. Ich habe einen Riesenkredit bei der ImperialBank von Saint Louis und komme nicht heran. In derTasche habe ich etliche EnEs-Dollar und ein bißchen Kleingeld. Und fünfzig Imperiale Kronen. Und eine suspendierte Kreditkarte. Was war das vorhin mit einem Konkubinatsvertrag? Ich wäre billig zu haben; der Markt hat sich gegen mich verschworen.“

„Das hängt davon ab. Äußere Umstände ändern die Voraussetzungen, und so bin ich jetzt vielleicht nicht mehr bereit, mehr als Essen und Logis zu bieten. Was hast du Janet zugeflüstert? Das könnte noch einen gewissen Einfluß haben.“

Janet antwortete: „Sie hat mir zugeflüstert: ›Honi soi qui mal y pense‹“ — das stimmte gar nicht — „etwas, das ich dir empfehlen möchte, mein lieber Mann. Marjorie, du bist jetzt nicht schlechter dran als noch vor einer Stunde. Du kannst nicht nach Hause, bis die Dinge sich beruhigen — und wenn das geschieht, wird die Grenze offen sein, ebenso die Komm-Leitungen. Außerdem wird deine Kreditkarte wieder etwas wert sein — wenn nicht hier, dann doch unmittelbar hinter der Grenze, die knapp hundert Kilometer entfernt ist.

Du brauchst also nur die Hände zu falten und abzuwarten …“

„… ruhigen Gewissens und gelassenen Herzens. Ja tu das“, schaltete Ian sich ein. „Georges wird sich die Zeit damit vertreiben, dich zu malen. Denn er steckt in derselben Klemme. Ihr beide seid gefährliche Ausländer und werdet sofort interniert, solltet ihr einen Fuß vor die Haustür setzen.“

„Haben wir das auch verpaßt?“ fragte Jan.

„Ja. Obwohl das auch die Wiederholung einer früheren Ansage zu sein scheint. Georges und Marjorie müßten sich eigentlich auf der nächsten Polizeiwache melden. Ich würde dieses Vorgehen allerdings nichtempfehlen. Georges will sowieso den Dummkopf spielen und behaupten, er habe nicht gewußt, daß damit auch hier gemeldete Ausländer gemeint waren.

Natürlich ist denkbar, daß sie dich freilassen. Andererseits kann es geschehen, daß du den nächsten Winter in ziemlich zugigen Behelfsbaracken verbringen mußt. Die Krise sieht nicht so aus, als wäre sie schon nächste Woche zu Ende.“

Ich dachte nach. Mein eigener Fehler. Wenn ich auf Mission bin, reise ich nie mit nur einer Kreditkarte und stets mit ausreichend Bargeld. Ich war aber leichtfertigerweise davon ausgegangen, daß die Vorsichtsmaßregeln meiner beruflichen Arbeit auf eine Urlaubsreise nicht anzuwenden waren. Mit ausreichend klimpernder Barschaft kann man sich alle möglichen Tore öffnen. Doch ohne Geld …

Seit meiner Grundausbildung hatte ich nicht mehr versuchen müssen, ohne Mittel auszukommen. Vielleicht würde ich herausfinden müssen, ob diese Ausbildung etwas gefruchtet hatte. Zum Glück hatten wir warmes Wetter!

„Stellt den Ton lauter!“ brüllte Georges in diesem Augenblick. „Oder kommt rüber!“

Hastig gesellten wir uns zu ihm.

„… des Herrn! Mißachtet die eitlen Prahlereien der Sündigen! Wir allein sind verantwortlich für die apokalyptischen Vorzeichen, die ringsum zu sehen sind.

Satans Helfer haben versucht, die Heilige Arbeit von Gottes ausgewählten Werkzeugen zunichte zu machen und für ihre eigenen schändlichen Ziele zu mißbrauchen. Dafür werden sie jetzt bestraft. Unterdessen ergehen an die Herrscher über alle weltlichenAngelegenheiten die folgenden Heiligen Befehle:

Beendet sämtliche Übergriffe in das Himmlische Reich. Hätte der Herr gewollt, daß wir ins Weltall reisen, hätte er uns Flügel gegeben.

Laßt keine Hexe am Leben. Die sogenannten GenManipulationen spotten den Absichten des Herrn.

Zerstört die üblichen Höhlen, in denen solche Dinge geschehen. Tötet die wandelnden Toten, die in jenen schwarzen Abgründen heraufbeschworen worden sind. Hängt die Hexer, die solche bösen Künste ausüben.“

„Meine Güte“, sagte Georges, „ich glaube, damit bin ich gemeint!“ Ich sagte nichts dazu — ich wußte daß ich gemeint war.

„Männer, die sich zu Männern legen, Frauen, die zu Frauen gehen, alle, die sich mit Tieren paaren — sie sollen gesteinigt werden. Wie auch alle Frauen, die des Ehebruchs schuldig sind.

Papisten und Sarazenen, Ungläubige und Juden und all jene, die sich vor Götzenbildern beugen — die Engel des Herrn sagen euch: Bereut, denn die Stunde ist gekommen! Bereut, oder ihr spürt das schnelle Schwert der erwählten Werkzeuge des Herrn!

Pornographen und Dirnen und leichtfertige Frauen — bereut, oder der schreckliche Zorn des Herrn kommt über euch!

Sünder jeder Art, laßt diesen Kanal eingeschaltet damit euch Unterweisung zuteil wird, wie ihr das wahre Licht finden könnt.

Auf Anordnung des Großgenerals der Engel des Herrn.“

Das Band ging zu Ende, und es gab eine neue Pause. „Janet“, fragte Ian, „weißt du noch, wie wir dieEngel des Herrn zum erstenmal erlebten?“

„So schnell vergesse ich das nicht. Aber so etwas Lächerliches habe ich trotzdem nicht erwartet.“

„Es gibt wirklich ›Engel des Herrn‹?“ fragte ich.

„Das ist nicht bloß ein neuer Alptraum aus dem Fernsehen?“

„Hmm. Es fällt schwer, die ›Engel‹, die Ian und ich erlebt haben, mit dieser Sache in Verbindung zu bringen. Letzten März, vielleicht Anfang April, war ich zum Flughafen gefahren, um Ian abzuholen. In der großen Halle wimmelte es von Hare-KrishnaAnhängern mit gelben Roben und kahlrasierten Köpfen; sie hüpften auf und nieder und verlangten Geld.

Aus den Ankunftstüren strömten Horden von Scientologen, die bei uns eine Versammlung abhalten wollten — ich glaube, es war ein Kongreß für Nordamerika. Als die beiden Gruppen eben miteinander verschmolzen, tauchten die Engel des Herrn auf, mit selbstgemachten Schildern und Tambourinen und Knüppeln.

Marj, so eine bunte Prügelei habe ich selten erlebt!

Die drei Gruppen waren mühelos auseinanderzuhalten. Die Hare-Krishna-Anhänger sahen wie Clowns aus. Die Engel und die Hubbard-Fans trugen zwar keine langen Gewänder, doch man konnte sie ebenfalls leicht unterscheiden. Die Scientologen waren sauber und trugen ihr Haar kurz geschnitten; die Engel dagegen sahen aus wie ungemachte Betten. Außerdem waren sie vom ›Geruch der Frömmigkeit‹ umgeben — ich geriet einmal in diesen schwülen Dunst und machte mich schnellstens davon.

Die Scientologen mußten, wie dir bekannt ist schon oft für ihre Rechte kämpfen; sie stürzten sichmit Disziplin ins Getümmel, wehrten sich und verschwanden schnell, wobei sie ihre Verwandten mitnahmen. Die Haarigen Krishner kämpften wie quiekende Hühner und ließen die Verwundeten liegen.

Die Engel des Herrn aber gebärdeten sich, als hätten sie den Verstand verloren — was meiner Meinung nach zutrifft. Sie walzten geradeaus in die Schlacht und schwangen ihre Knüppel und Fäuste. Sie hörten erst auf, bis sie bis zum letzten Mann am Boden lagen und nicht mehr hochkamen. Die Berittene Polizei mußte etwa so viele Beamte einsetzen, wie da Engel am Kampf beteiligt waren — wohingegen bei den üblichen Unruhen ein Berittener meist für einen ganzen Aufstand ausreicht.

Anscheinend wußten die Engel, daß die HubbardFans eintreffen würden, und wollten sie dort überfallen; die Hare-Krishna-Jünger tauchten zufällig am gleichen Ort auf — für sie ist der Flughafen ein Ort, um den Normalbürgern Spenden abzunehmen. Als die Engel aber feststellten, daß sie die Scientologen nicht in den Griff bekamen, gaben sie sich damit zufrieden die Krishna-Ausgeflippten zusammenzuschlagen!“

Ian nickte. „Ich hab’s von der anderen Seite der Barriere aus verfolgt. Die Engel kämpften wie die Berserker. Vielleicht waren sie im Rausch. Ich hätte aber nie geglaubt, daß ein solcher verdreckter Lumpenhaufen von Frömmlern für den ganzen Planeten zur Gefahr werden könnte — Himmel, ich glaube es immer noch nicht! Ich nehme an, sie wollen die Lage ausnutzen — wie jene Psychoten, die sich bei jedem spektakulären Verbrechen als Täter melden.“

„Gegen sie kämpfen möchte ich aber trotzdem nicht“, fügte Janet hinzu.„Stimmt genau! Lieber gäbe ich mich mit einem Rudel wildgewordener Hunde ab. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß diese Verrückten die Regierung stürzen können. Geschweige denn eine ganze Welt!“

Keiner von uns ahnte, daß sich noch andere als Urheber der Unruhen melden würden — doch zwei Stunden später meldeten die Stimulatoren ihre Ansprüche an.

„Ich bin der autorisierte Sprecher der Stimulatoren.

Wir leiteten die allerersten Hinrichtungen ein und suchten uns die Zielpersonen dafür gründlich aus.

Wir haben die Unruhen nicht angezettelt und sind auch nicht für die zwischenzeitlich begangenen Untaten verantwortlich. Für erforderlich hielten wir es einige Kommunikationswege zu blockieren, die aber wieder freigegeben werden, sobald die Verhältnisse es erlauben. Die Ereignisse zwingen uns, unseren im Grunde gutgemeinten und gewaltlosen Plan zu ändern. Opportunisten, die sich in den englischsprachigen Ländern ›Überlebensrat‹ und in anderen Ländern ›Erben von Leo Trotzki‹ nennen oder sich mit anderen Namen bezeichnen, haben versucht, unser Programm an sich zu reißen. Man erkennt sie an der Tatsache, daß sie kein eigenes Programm haben.

Schlimmer sind religiöse Fanatiker, die sich ›Engel des Herrn‹ nennen. Deren sogenanntes Programm ist eine sinnlose Aneinanderreihung anti-intellektueller Schlagworte und gemeiner Vorurteile. Sie können keinen Erfolg haben, doch ihre Doktrin des Hasses vermag mühelos Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar aufzubringen. Man muß ihnen Einhalt gebieten!

Erster Krisenerlaß: Alle Personen, die sich als ›En-gel des Herrn‹ bezeichnen, werden hiermit zum Tode verurteilt. Die Behörden werden dieses Urteil vollstrecken, sobald eine solche Person ausfindig gemacht wird. Die Bürger werden angewiesen, sogenannte ›Engel‹ der nächsten Behörde zu übergeben indem sie eine Bürgerverhaftung vornehmen, und werden hiermit ermächtigt, in dem Maße Gewalt anzuwenden, wie sie zum Vollzug einer solchen Verhaftung erforderlich ist.

Duldung, Unterstützung oder Schutzgewährung wird in bezug auf die beschriebene Gruppe hiermit zum Kapitalverbrechen erklärt.

Zweiter Krisenerlaß: Gleichfalls gilt als Kapitalverbrechen, wenn sich jemand zu Unrecht die Handlung eines Stimulators zuschreibt oder die Verantwortung dafür übernimmt oder Aktionen, die auf Anordnung der Stimulatoren ausgeführt werden, für seine eigene politische Sache in Anspruch nimmt. Sämtliche zuständigen Behörden werden angewiesen, entsprechend zu verfahren. Dieser Erlaß betrifft die Gruppe und die Individuen, die sich ›Überlebensrat‹ nennen ist aber nicht darauf beschränkt.

Das Reformprogramm: Die folgenden Reformmaßnahmen sind ab sofort in Kraft. Die führenden Personen in Politik, Finanzen und Industrie sind einzeln und insgesamt verantwortlich dafür, daß jede Reform auch ausgeführt wird. Bei Zuwiderhandlung droht ihnen die Todesstrafe.

Sofortige Reformen: Alle Gehälter, Preise und Mieten sind eingefroren. Alle Hypotheken auf Häusern, die von den Besitzern bewohnt werden, gelten als aufgehoben. Zinsen werden auf sechs Prozent festgesetzt.In jedem Lande ist die Gesundheitsindustrie hiermit verstaatlicht, soweit das nicht schon zutraf. Ärzte erhalten dasselbe Gehalt wie Oberschullehrer, Krankenschwestern werden so bezahlt wie Realschullehrer; das übrige therapeutische und betreuende Personal wird entsprechend bezahlt. Krankenhauskosten werden hiermit aufgehoben. Alle Bürger und Anwohner werden zu jeder Zeit den höchsten medizinischen Schutz genießen.

Alle Firmen und Dienstleistungsbetriebe werden weiterarbeiten. Nach der Umgestaltung können Besitzveränderungen zugelassen und verlangt werden wo solche Veränderungen das öffentliche Wohl mehren.

Die nächsten abschreckenden Hinrichtungen werden in zehn Tagen stattfinden — plus/minus zwei Tage. Die Liste der Beamten und Anführer, die vom sogenannten ›Überlebensrat‹ unter Todesdrohung gestellt sind, wird weder bestätigt noch widerrufen. Jeder von Ihnen soll sein eigenes Herz, sein Gewissen befragen, ob Sie für Ihre Mitmenschen wirklich das Äußerste tun. Wenn die Antwort Ja lautet, haben Sie nichts zu befürchten. Wenn Sie mit Nein antworten müssen, kann es durchaus sein, daß Sie zur nächsten Gruppe gehören, die als Lektion für all jene dienen soll, die unseren schönen Planeten in eine Hölle der Ungerechtigkeit und der Privilegien verwandelt haben.

Ein besonderer Erlaß: Die Herstellung von Pseudomenschen wird sofort eingestellt. Alle sogenannten Künstlichen Personen und/oder Lebendigen Artefakte halten sich bereit, sich nach Aufforderung bei der nächsten Reformbehörde einzufinden. Bis dahinwerden Pläne ausgearbeitet, die es diesen Pseudomenschen erlauben, ihr Leben zu Ende zu bringen ohne anderen Menschen zu schaden und unter Umständen, die keinen unfairen Wettbewerb mehr ermöglichen — bis dahin werden diese Kreaturen ihre Arbeit fortsetzen, sich zu allen anderen Zeiten aber in ihren Unterkünften aufhalten.

Bis auf die folgende Ausnahme ist es den Behörden verboten, diese Geschöpfe zu töten …“

Die Ansage wurde unterbrochen. Gleich darauf erschien auf dem Bildschirm ein verschwitztes Männergesicht, das einen nervösen Ausdruck offenbarte.

„Ich bin Sergeant Malloy und spreche hier für Sheriff Henderson. Weitere subversive Ansagen dieser Art werden verboten. Das normale Programm geht in Kürze weiter. Aber lassen Sie Ihr Gerät eingeschaltet falls noch weitere Katastrophenmeldungen durchgegeben werden müssen.“ Er seufzte. „Nachbarn, es ist eine schlimme Zeit. Habt Geduld!“

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