27. Kapitel

Ich verbrannte den Text sofort. Dann ging ich ins Bett. Mir war nicht nach einem Abendessen zumute.

Am nächsten Morgen suchte ich den Arbeitsmarkt auf, meldete mich bei Mr. Fawcett, den Agenten der HyperSpace-Linien und sagte ihm, ich wollte mich als Schiffspolizistin, unbewaffnet, bewerben.

Der hochmütige Kerl lachte mich aus. Ich suchte moralische Unterstützung bei seiner Assistentin, die jedoch den Blick abwandte. Ich beherrschte mich und sagte leise: „Würden Sie mir den Witz bitte erklären?“

Er beendete das heisere Gelächter und sagte: „Hören Sie mal, Sie Küken, ›Schiffspolizist‹ steht auf unserer Liste, und das bezeichnet einen Mann. In manch anderer Beziehung könnten Sie sich an Bord sicher nützlicher machen.“

„Auf Ihrem Schild steht, daß Sie keine Diskriminierung der Geschlechter zulassen werden, und das Kleingedruckte sagt aus, daß ›Kellner‹ gleich ›Kellnerin‹, ›Steward‹ gleich ›Stewardeß‹ ist, und so weiter.

Stimmt das?“

Fawcett hörte auf zu grinsen. „Durchaus. Aber da steht weiter: ›… muß körperlich in der Lage sein, den normalen Anforderungen der Position zu genügen.

Und was ein Polizist an Bord eines Schiffes manchmal zu tun hat, können Sie sich vorstellen. Ein unbewaffneter Polizist muß die Ordnung aufrechterhalten können, ohne sich einer Waffe zu bedienen. Er muß in der Lage sein, sich in eine Prügelei zu stürzen und die beiden schlimmsten Kampfhähne festzunehmen mit bloßen Fäusten.‹ Sie können das offensichtlichnicht. Und nun kommen Sie mir bloß nicht mit der Gewerkschaft!“

„Keine Sorge. Aber Sie haben meinen Lebenslauf und meine Berufsübersicht noch nicht gelesen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß das etwas ändert. Wie dem auch sei …“ Beiläufig studierte er das Blatt. „Hier steht, Sie wären Kampfkurier, was immer das ist.“

„Es bedeutet, wenn ich eine Aufgabe habe, bringt mich niemand davon ab. Und versucht es jemand zu sehr, wird er zu Hackfleisch verarbeitet. Ein Kurier arbeitet unbewaffnet. Manchmal habe ich allerdings ein Lasermesser oder eine Tränengaspatrone bei mir.

Ich verlasse mich aber auf meine Hände. Bitte beachten Sie meine Ausbildung.“

Er sah sich die entsprechenden Eintragungen an.

„Na schön, Sie haben also eine Kampfschule absolviert. Das heißt noch immer nicht, daß Sie mit einem Riesenkerl fertigwerden, der gut hundert Kilogramm schwerer ist als Sie und einen Kopf größer. Verschwenden Sie nicht meine Zeit, Mädchen! Sie könnten ja nicht mal mich verhaften!“

Ich sprang über seinen Tisch und führte ihn im Polizeigriff zur Tür, ließ ihn aber los, ehe im anderen Büro jemand auf die Szene aufmerksam wurde. Auch seine Assistentin bemerkte nichts — sie gab sich größte Mühe, nicht herzuschauen.

„Also“, sagte ich, „so mache ich das, ohne jemanden weh zu tun. Ich möchte aber gegen Ihren größten Polizisten antreten. Ich breche ihm den Arm. Es sei denn, Sie geben mir den Auftrag, ihm das Genick zu brechen.“

„Sie haben mich gepackt, als ich nicht hinschaute!“

„Natürlich. Genauso muß man mit einem randalierenden Betrunkenen umgehen. Aber jetzt sind Sie gewarnt, machen wir’s noch einmal? Fertig? Diesmal muß ich Ihnen vielleicht ein bißchen weh tun, aber nicht sehr. Ich brechen Ihnen nichts.“

„Bleiben Sie, wo Sie sind! Das ist doch lächerlich!

Wir stellen keine Polizisten ein, nur weil sie irgendwelche orientalische Tricks beherrschen; wir stellen großgewachsene Männer ein, Männer, die von ihrer Größe her schon eine gewisse Autorität ausstrahlen.

Sie müssen dann gar nicht erst kämpfen.“

„Na schön“, sagte ich. „Dann stellen Sie mich eben als Bulle in Zivil ein. Stecken Sie mich in ein Abendkleid, nennen Sie mich Eintänzerin. Sollte jemand von meiner Größe im Rauschgiftwahn loslegen, Ihrem Riesenbullen eins in den Solar Plexus verpassen und ihn niederknüppeln, werfe ich die Maske als feine Dame ab und rette ihn.“

„Unsere Polizisten brauchen keinen Schutz.“

„Das mag sein. Ein wirklich großer Mann bewegt sich in der Regel langsam und ungeschickt. Er weiß kaum etwas über das Kämpfen, eben weil er selten kämpfen mußte. Er ist ganz brauchbar, wenn es darum geht, bei einem Kartenspiel Ordnung zu schaffen.

Oder einen Betrunkenen abzuführen. Aber nehmen wir einmal an, der Captain braucht wirklich Hilfe. Ein Aufstand. Eine Meuterei. Dann brauchen Sie jemanden, der zu kämpfen versteht. Mich.“

„Hinterlassen Sie Ihre Bewerbung. Rufen Sie nicht an; wir melden uns bei Ihnen.“

Ich ging nach Hause und überlegte, wo ich denn noch Arbeit suchen könnte — oder sollte ich nach Texas ge-hen? Ich hatte vor Mr. Fawcett denselben dummen unverzeihlichen Fehler gemacht, der auch schon Brian verstimmt hatte — der Chef hätte sich meiner geschämt. Anstatt seine Herausforderung anzunehmen hätte ich auf einem fairen Test bestehen sollen. Auf keinen Fall aber hätte ich Hand an den Mann legen dürfen, den ich um Arbeit anging. Dumm von dir Freitag, wirklich dumm!

Dabei bekümmerte mich nicht der Verlust einer Chance auf diesen Posten; viel mehr grämte mich daß ich nun überhaupt keine Möglichkeit mehr bei HyperSpace hatte. In Kürze war ich auf Arbeit angewiesen, um meiner heiligen Pflicht zu genügen, Freitag etwas zu essen zu verschaffen (und seien wir ehrlich; ich esse ziemlich viel), es mußte allerdings nicht dieser Job sein. Ich hatte mich dazu durchgerungen mit HyperSpace zu fliegen, weil ich auf einer einzigen Reise gut die Hälfte der kolonisierten Planeten im erforschten Weltall hätte kennenlernen können.

Zwar hatte ich beschlossen, dem Ratschlag des Chefs zu folgen und die Erde zu verlassen, doch gefiel mir der Gedanke nicht, einen Planeten allein nach den Werbebroschüren auszusuchen — ohne jede Möglichkeit eines Rücktritts.

Ich wollte mich zuerst gründlich umsehen.

Zum Beispiel: Eden bekommt bessere Publicity als jede andere Kolonie am Himmel. Und das sind die Vorteile: ein Klima, das auf dem größten Teil seiner Landmasse dem südkalifornischen Klima entspricht keine gefährlichen Raubtiere, keine giftigen Insekten die Oberflächenschwerkraft nur neun Prozent geringer als die der Erde, Sauerstoffanteil in der Luft elf Prozent höher, die metabolische Umwelt entsprichtungefähr dem Leben auf Terra, und der Boden ist so fruchtbar, daß zwei oder drei dicke Ernten im Jahr Routine sind. Überall eine herrliche Landschaft, wohin man auch schaut. Die Bevölkerung: heute knapp zehn Millionen.

Wo liegt aber der Haken? Ich stieß eines Abends in Luna City darauf, als ich mich von einem Schiffsoffizier ansprechen und zum Abendessen ausführen ließ.

Die Zuwanderungsfirma setzte für Eden gleich nach seiner Entdeckung einen hohen Preis an und verkaufte die Kolonie als perfekte Pensionsheimat. Und das stimmt auch. Nachdem die Pioniertruppen fertig waren, handelte es sich bei neun Zehntel der dort Eintreffenden um reiche Leute höheren Alters.

Die Regierungsform ist eine demokratische Republik, die jedoch kaum Ähnlichkeit hat mit der Kalifornischen Konföderation. Um das Wahlrecht zu erringen, muß eine Person siebzig terranische Jahre alt sein und Steuerzahler (mit anderen Worten: Landbesitzer). Anwohner im Alter zwischen zwanzig und dreißig sind zum öffentlichen Dienst verpflichtet, und wenn Sie glauben, daß das eine totale Verpflichtung zur Bedienung der älteren Leute bedeutet, liegen Sie völlig richtig, dazu gehören aber auch alle anderen unangenehmen Arbeiten, die erledigt werden müssen und viel Geld kosten würden, wenn sie nicht in Zwangsarbeit verrichtet worden wären.

Steht davon ein Wort in den Werbeprospekten? Da muß ich doch lachen!

Ich mußte solche wenig verbreiteten Tatsachen über jeden Kolonialplaneten herausbekommen, ehe ich mir für eine dieser Welten die einfache Fahrkarte kaufte. Meine beste Chance, dieses Ziel zu erreichen,hatte ich mir nun dadurch verdorben, indem ich Mr.

Fawcett „bewies“, daß eine waffenlose Frau einen Mann abführen kann, der größer ist als sie. Mit dieser Handlungsweise hatte ich mich auf seine Schwarze Liste befördert.

Ich hoffe, daß ich noch erwachsen werde, bevor bei mir die Cheyne-Stokes-Atmung einsetzt.

Sich über verschüttete Milch zu ärgern, fand der Chef genauso verächtlich wie Selbstmitleid. Nachdem ich mir den Weg zur Firma HyperSpace selbst verbaut hatte, wurde es Zeit, Las Vegas zu verlassen, ehe meine Barmittel völlig erschöpft waren. Wenn ich schon nicht selbst auf die große Reise gehen konnte gab es doch noch eine Möglichkeit, die ungeschminkte Wahrheit über die meisten Planetenkolonien zu erfahren — so wie ich hinter das Geheimnis Edens gekommen war: Ich mußte mit Besatzungsmitgliedern von Raumschiffen ausgehen.

Und das war am ehesten möglich, wenn ich mich an jenen Ort begab, wo solche Leute bestimmt anzutreffen waren: auf die Stationärstation oben am Bohnenstengel. Die meisten Frachter wagten sich nicht tiefer in die Schwerkraft der Erde hinein als bis L-4 oder L-5 — das heißt, bis zur Mondkreisbahn, ohne den Nachteil, auch noch in den Anziehungsbereich des Mondes zu kommen. Die Passagiere jedoch landeten gewöhnlich in der Stationärstation. Dazu gehörten sämtliche großen Linienschiffe von HyperSpace, Dirac, Newton, Forward und Maxwell, die dort anlegten und in dieser Station gewartet und neu ausgerüstet wurden. Der Shipstone-Konzern unterhielt dort einen Zweig (Shipstone Stationärstation), in er-ster Linie um Energie an Schiffe zu verkaufen, insbesondere an solche großen Schiffe.

Offiziere und Mannschaftsgrade, die auf Urlaub waren, kamen und gingen durch diese Station; wer keinen Urlaub hatte, schlief zwar an Bord der Schiffe verbrachte aber sicher in der Station seine Freizeit.

Der Bohnenstengel gefällt mir nicht, ebensowenig die 24-Stunden-Station. Abgesehen von der prächtigen und sich stets verändernden Aussicht auf die Erde bietet sie nichts außer hohen Preisen und engen Unterkünften. Die künstliche Schwerkraft ist unangenehmen Schwankungen unterworfen und scheint immer dann zu versagen, wenn man gerade mit einem Teller Suppe hantiert oder sonstwie in Probleme geraten kann.

Aber wenn man es nicht so genau nimmt, gibt es dort auch Arbeit. Vermutlich würde ich mich dort lange genug über Wasser halten können, um mir über jeden kolonisierten Planeten von einem oder mehreren kritischen Raumfahrern klare Aussagen zu verschaffen.

Durchaus möglich, daß ich mich an Fawcett vorbeimogelte und mich auf der Station bei HyperSpace bewarb. Angeblich nehmen die Schiffe noch im letzten Augenblick Leute auf, um diesen oder jenen freien Posten zu besetzen. Wenn sich eine solche Chance ergab, würde ich meine Torheit begraben — ich würde nicht auf meiner Bewerbung als Schiffspolizist bestehen. Kellnerin, Tellerwäscherin, Kabinenmädchen Badewärterin — wenn die Sache mich auf die große Reise brachte, würde ich zugreifen.

Nachdem ich auf diese Weise meine neue Heimat bestimmt hatte, plante ich, dasselbe Schiff zu benut-zen, diesmal aber als Passagier der Luxusklasse, mit einer Fahrkarte, die aus dem Nachlaß meines Adoptivvaters bezahlt wurde.

Ich kündigte meinen Mietvertrag für das Haus, in dem ich wohnte, dann erledigte ich einige weitere Dinge, ehe ich nach Afrika aufbrach. Afrika — kam ich über Ascension? Oder flogen die SBR schon wieder?

Afrika ließ mich an Goldie und Anna und Burt und den netten Dr. Krasny denken. Vielleicht war ich sogar eher in Afrika als sie. Aber das war nebensächlich, da sich dort (meines Wissens) nur ein Krieg anbahnte, in einem Gebiet, das ich wie die Pest meiden wollte.

Die Pest! Ich mußte sofort meinen Bericht für Gloria Tomosawa und Mr. und Mrs. Mortenson fertigstellen. Es war sehr unwahrscheinlich, daß sie oder jemand anders sich von meiner Behauptung überzeugen ließ, in zweieinhalb Jahren würde es eine neue Pest-Epidemie geben — ich hatte es ja selbst nicht geglaubt. Aber wenn ich die zuständigen Leute soweit aufscheuchen konnte, daß die Rattenbekämpfung intensiviert und die Gesundheitskontrollen an den Grenzen über das Maß eines sinnlosen Rituals hinaus durchgeführt wurden, mochte das — vielleicht vielleicht — die Raumkolonien und Luna retten.

Es war unwahrscheinlich — aber ich mußte es versuchen.

Als letztes nahm ich mir vor, noch einmal nach meinen vermißten Freunden zu forschen — dann wollte ich die Sache ruhen lassen, bis ich von der Stationärstation oder (hoffen kostet ja nichts!) von der großen Rundreise zurückkehrte. Sicher kann man von der Stationärstation auch in Sydney, Winnipeg odersonstwo anrufen — aber von dort aus kostet es wesentlich mehr. Ich hatte in den letzten Wochen erfahren müssen, daß es nicht dasselbe ist, etwas haben zu wollen und dafür auch bezahlen zu können.

Ich drückte den Komm-Kode der Tormeys in Winnipeg und rechnete schon damit, das Übliche zu hören: „Auf Bitte des Teilnehmers ist der von Ihnen gewählte Kode vorübergehend außer Betrieb.“

Statt dessen aber hörte ich: „Piraten-Pizza-Palast.“

„Entschuldigung, habe mich vertippt“, brummte ich und unterbrach die Verbindung. Dann wählte ich noch einmal sehr langsam — und hörte: „PiratenPizza-Palast!“

Diesmal sagte ich: „Tut mir leid, wenn ich Sie belästige. Ich bin im Freistaat Las Vegas und wollte einen Freund in Winnipeg sprechen — jetzt habe ich aber schon zweimal Sie in der Leitung. Weiß nicht, was ich da falsch mache.“

„Welche Nummer haben Sie denn getippt?“

Ich gab der freundlichen Stimme Antwort. „Das sind wir“, sagte sie. „Die besten Riesenpizzas in Britisch-Kanada. Aber wir haben erst vor zehn Tagen aufgemacht. Vielleicht hat Ihr Freund früher diesen Komm-Kode gehabt?“

Ich schloß mich dieser Ansicht an, dankte der freundlichen Stimme, trennte die Verbindung — und begann zu überlegen. Dann wählte ich ANZAC Winnipeg, während ich mir doch sehr wünschte, daß dieses Minimum-Service-Terminal Bilder auch von außerhalb Las Vegas besorgte. Wenn man den Pinkerton spielen will, ist es entschieden von Vorteil, Gesichter im Auge zu haben. Als sich ANZACs Computer gemeldet hatte, verlangte ich den diensthaben-den Einsatzoffizier zu sprechen, denn mit der Zeit hatte ich es gelernt, wie man mit der Maschine umgehen mußte. Der Frau, die sich meldete, antwortete ich: „Ich heiße Freitag Jones und habe in Neuseeland Captain Tormey und Frau kennengelernt. Ich versuchte die beiden zu Hause anzurufen und konnte sie nicht erreichen. Können Sie mir helfen?“

„Ich fürchte nein.“

„Ach, wirklich? Haben Sie keine Ahnung, wie ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen kann?“

„Tut mir leid. Captain Tormey hat unsere Firma verlassen. Er hat sich sogar seine Ansprüche auf Altersgeld auszahlen lassen. Soviel ich weiß, hat er auch sein Haus verkauft. Er scheint also fortgezogen zu sein. Die einzige Anschrift, die wir hier vorliegen haben, ist die seines Schwagers an der Universität von Sydney. Solche Adressen dürfen wir aber nicht weitergeben.“

„Ich glaube, Sie meinen Professor Federico Farnese in der Biologischen Fakultät der Universität.“

„Stimmt. Sie wissen also Bescheid.“

„Ja, Freddie und Betty sind alte Freunde von mir; ich kenne sie aus der Zeit, als sie noch in Auckland lebten. Also, da warte ich ab, bis ich wieder zu Hause bin und rufe dann Freddie an. Auf diese Weise bekomme ich Ians Anschrift. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Keine Ursache. Wenn Sie Captain Tormey sprechen, sagen Sie ihm doch bitte, daß JuniorPilotoffizier Pamela Heresford ihn grüßen läßt.“

„Das richte ich gern aus.“

„Wenn Sie bald wieder nach Hause wollen, habe ich eine gute Nachricht für Sie. Der Semi-Fahrplannach Auckland wird wieder aufgenommen. Seit zehn Tagen fliegen wir wieder den Frachtdienst und sind inzwischen überzeugt, daß keine Möglichkeit mehr besteht, die Schiffe zu sabotieren. Außerdem bieten wir einen Diskont von vierzig Prozent auf alle Flugpreise; wir möchten natürlich unsere alten Kunden zurückgewinnen.“

Ich dankte ihr noch einmal, bemerkte aber, daß ich ja in Vegas sei und daher wohl von Vandenburgh aus starten würde, dann schaltete ich ab, ehe ich mir noch weitere Lügen ausdenken mußte.

Ich ließ meine Gedanken wandern. Die SBR flogen wieder — sollte ich zuerst nach Sydney fliegen? Es gab — jedenfalls vor der Krise — einen wöchentlichen Flug von Kairo nach Melbourne und zurück. Wenn diese Verbindung nicht mehr existierte, konnte man Tunnelbahn und Schwimmfahrzeug nehmen — über Singapur, Rangun, Delhi Teheran, Kairo und dann hinab nach Nairobi — aber das war eine teure, lange und ungewisse Reise, die mich bei jedem Umsteigen Schmiergeld kosten würde, das mich trotzdem nicht von der Gefahr befreite, durch örtliche Unruhen aufgehalten zu werden. Vielleicht landete ich in Kenia und hatte nicht mehr genug Geld für den Bohnenstengel.

Ein letzter Schritt der Verzweiflung …

Ich rief in Auckland an und hörte ohne Überraschung, wie mir der Computer mitteilte, daß Ians Komm-Kode nicht mehr gültig sei. Ich schaute nach welche Zeit wir in Sydney hatten, dann rief ich die Universität an, aber nicht auf dem üblichen Wege über die Verwaltung, sondern in Direktwahl zur biologischen Fakultät, einen Komm-Kode, den ichmir vor einem Monat verschafft hatte.

Den Akzent erkannte ich sofort wieder. „Irene, hier ist Marjorie Baldwin. Ich bin noch immer auf der Suche nach meinen verlorenen Schafen.“

„Ach du je! Meine Liebe, ich habe es versucht ich habe wirklich versucht, Ihre Nachricht auszurichten.

Professor Freddie ist aber gar nicht in die Fakultät zurückgekehrt. Er hat die Universität verlassen. Er ist fort.“

„Fort? Wohin denn?“

„Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Leute wissen wollen, wo er ist! Eigentlich darf ich Ihnen nicht einmal soviel sagen. Jemand hat seinen Schreibtisch ausgeräumt — in seiner Wohnung war kein persönlicher Gegenstand mehr zu finden … Er ist fort! Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, denn niemand weiß mehr.“

Nach diesen bestürzenden Auskünften saß ich stocksteif da und überlegte, dann wählte ich die Nummer der Werwolf-Wächter in Winnipeg. Ich ließ mich mit dem höchsten Mann verbinden, den ich erreichen konnte, einem Mitarbeiter, der sich als Stellvertretender Kommandant bezeichnete. Ihm berichtete ich wahrheitsgemäß, wer ich sei (Marjorie Baldwin), wo ich mich befand (Las Vegas) und was ich wollte, nämlich einen Hinweis auf meine Freunde.

„Ihre Firma hat das Haus der beiden bewacht, ehe sie es verkauften. Können Sie mir mitteilen, wer es gekauft hat oder wer der eingeschaltete Makler war — oder beides?“

In den nächsten Sekunden wünschte ich mir ein Bild dringender denn je. Der Mann antwortete: „Hören Sie mal, Schwester, ich rieche den Bullen sogar durchs Terminal. Berichten Sie Ihrem Vorgesetzten,daß er schon das letztemal nichts aus uns herausgeholt hat und es diesmal auch nicht schafft!“

Ich bezwang mein Temperament und antwortete gelassen: „Ich bin nicht von der Polizei, wenn ich mir auch denken kann, warum Sie dieser Ansicht sind.

Ich bin wirklich in Las Vegas, was Sie ganz einfach feststellen können, indem Sie mich auf meine Kosten zurückrufen.“

„Kein Interesse.“

„Na schön. Captain Tormey besaß zwei schwarze Morgans. Können Sie mir sagen, wer sie gekauft hat?“

„Bull, verziehen Sie sich!“

Ian hatte ein gutes Urteilsvermögen bewiesen: Die Werwölfe stellten wirklich das Interesse ihrer Kunden über alles.

Hätte ich viel Zeit und Geld gehabt, wäre ich vielleicht mit weiteren eigenen Ermittlungen in Winnipeg und/oder Sydney weitergekommen. Aber solche Wünsche … Vergiß es, Freitag! Du bist jetzt völlig allein! Du hast sie verloren!

Möchtest du wirklich so dringend mit Goldie zusammen sein, um dich in einen ostafrikanischen Krieg verwickeln zu lassen?

Goldie dagegen wollte nicht so dringend mit dir zusammenbleiben, um den Krieg sausen zu lassen — liegt darin nicht eine Erkenntnis?

Ja, hier zeigt sich wieder einmal etwas, das mir bewußt ist — das ich mir aber nur ungern eingestehe: Ich brauche andere Menschen stets mehr, als sie mich brauchen. Deine alte tiefwurzelnde Unsicherheit Freitag, und du weißt auch, woher die kommt und was der Chef davon hielt.Na schön, wir fahren morgen nach Nairobi. Heute verfassen wir noch den Bericht über den Schwarzen Tod für Gloria und die Mortensons. Dann leg dich eine lange Nacht aufs Ohr und reise ab. Hmm, zehneinhalb Stunden Zeitunterschied; du solltest früh aufbrechen. Dann mach dir keine Sorgen mehr über Janet & Co., bis du vom Bohnenstengel zurückkehrst und weißt, wo du dich als Kolonist einschreiben willst. Dann kannst du es dir leisten, dein letztes Gramm Gold auf den Versuch zu setzen, sie doch noch zu finden — denn sobald du Gloria Tomosawa mitteilst, für welchen Planeten du dich entschieden hast, wird sie das Kommando übernehmen.

Ich schlief wirklich lange in dieser Nacht.

Am nächsten Vormittag packte ich mein altes Köfferchen — in dem sich gar nicht viel befand — und fuhrwerkte noch in der Küche herum, Dinge fortwerfend und andere für meinen Hauswirt aussortierend als das Terminal summte.

Es war das nette Mädchen von der HyperSpaceGesellschaft, die den sechsjährigen Jungen hatte.

„Gut, daß ich Sie erwische“, sagte sie. „Mein Chef hat einen Job für Sie.“

(„Timeo Danaos et dona ferentes.“) Ich wartete.

Fawcetts dummes Gesicht füllte den Schirm. „Sie behaupten Kurier zu sein.“

„Ich bin der beste aller Kuriere.“

„In diesem Falle sollten Sie das auch sein. Es handelt sich um einen Auftrag der Sie von der Erde fortführt. Einverstanden?“

„Aber ja doch!“

„Dann schreiben Sie mit. Franklin Mosby, Finders Inc., Suite 600, Shipstone-Gebäude, Beverly Hills.Und jetzt beeilen Sie sich! Er möchte Sie noch vor zwölf Uhr sprechen.“

Ich notierte die Anschrift nicht. „Mr. Fawcett, das kostet Sie einen Kilobuck, außerdem die Rückfahrkarte mit der Tunnelbahn. Im voraus.“

„Was? Lächerlich!“

„Mr. Fawcett, ich könnte mir denken, daß Sie einen Groll auf mich haben. Vielleicht würden Sie es ganz lustig finden, mich auf eine sinnlose Tour zu schikken, mit der ich einen ganzen Tag und den Preis für die Fahrt nach Los Angeles und zurück verschwende.“

„Sie sind wirklich komisch. Hören Sie! Sie können Ihr Fahrgeld hier im Büro abholen — nach dem Gespräch. Sie müssen aber gleich los! Was den Kilobuck angeht — muß ich Ihnen noch sagen, was Sie damit machen können?“

„Sparen Sie sich die Mühe! Für einen Job als Schiffspolizistin würde ich nur den entsprechenden Lohn erwarten. Aber als Kurier — ich bin die beste und wenn dieser Mann wirklich die beste einstellen will, dann wird er die Gesprächsgebühr bezahlen ohne mit der Wimper zu zucken.“ Ich fügte hinzu:

„Sie wollen ja gar keine richtigen Geschäfte machen Mr. Fawcett. Leben Sie wohl!“ Ich unterbrach die Verbindung.

Sieben Minuten später rief er zurück. Er redete, als hätte er Zahnschmerzen. „Das Fahrgeld und der Kilobuck werden am Bahnhof sein. Dieser Kilobuck wird aber gegen Ihr Honorar angerechnet, und Sie zahlen ihn zurück, wenn Sie den Job nicht bekommen. Egal wie die Sache ausgeht, ich bekomme meine Provision.“

„Das Geld wird unter keinen Umständen zurückgezahlt, und Sie bekommen keine Provision von mir weil ich Sie nicht zu meinem Agenten ernannt habe.

Vielleicht können Sie bei Mosby etwas kassieren, aber wenn das so ist, dann geht das nicht zu Lasten meines Honorars oder meines Gesprächsgeldes. Und ich gehe nicht zum Bahnhof und warte dort auf das Geld wie ein kleiner Junge, der eine Schnitzeljagd veranstaltet. Wenn Sie die Sache über die Bühne bekommen wollen, schicken Sie mir das Geld hierher!“

„Sie sind unmöglich!“ Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm, doch er kappte die Verbindung nicht. Gleich darauf erschien seine Assistentin. „Hören Sie!“ sagte sie. „Diese Sache ist wirklich eilig.

Treffen wir uns in der Station unter dem New Cortez? Ich fahre dorthin, so schnell ich kann, und bringe das Fahrgeld und die Gesprächsgebühr mit.“

„Aber ja doch, meine Liebe! Gern!“

Ich rief meinen Hauswirt an, sagte ihm, ich legte den Schlüssel in den Kühlschrank, und er solle die restlichen Lebensmittel abholen.

Fawcett wußte nicht, daß ich mich unter keinen Umständen davon hätte abhalten lassen, die Verabredung einzuhalten. Name und Anschrift waren mit der identisch, die der Chef mich hatte auswendig lernen lassen, ehe er starb. Ich hatte in dieser Sache bisher nichts unternommen, weil er mir nicht gesagt hatte, warum ich mir die Anschrift hatte merken sollen. Jetzt würde ich mehr darüber erfahren.

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