22. Kapitel

Pajaro Sands war früher ein Ferienhotel am Meer gewesen — ein entlegener Bau an der Monterey-Bucht vor einer nichtssagenden Stadt, die Watsonville heißt.

Watsonville gehört zu den großen Ölexport-Häfen der Welt und besitzt den Charme kaltgewordener Pfannkuchen ohne Sirup. Die nächste Zerstreuung gibt’s in den Kasinos und Freudenhäusern von Carmel, das fünfzig Kilometer entfernt ist. Aber ich bin kein Spieler und interessiere mich auch nicht für käuflichen Sex, nicht einmal für die exotischen Abarten, die in Kalifornien zu haben sind. Aus dem Hauptquartier des Chefs ließen sich nicht viele in Carmel blicken, da es für eine Kutschenfahrt zu weit war, es sei denn, man fuhr über das Wochenende denn es gab keine direkte Kapsel. Kalifornien ist zwar sehr großzügig bei der Zulassung von AAF, doch gab der Chef seine Fahrzeuge nur für geschäftliche Angelegenheiten frei.

Die großen Attraktionen des Pajaro Sands waren die natürlichen Gegebenheiten, die überhaupt erst zu seinem Bau geführt hatten, Brandung und Sand und Sonnenschein.

Ich genoß das Surfboardfahren, bis ich es beherrschte, dann langweilte es mich. Normalerweise sonnte ich mich jeden Tag ein wenig und schwamm im Meer und starrte zu den großen Tankern hinaus die an den Öl-Molen saugten, und stellte amüsiert fest, daß die Wachhabenden an Bord der Schiffe oft mit ihren Ferngläsern zurückstarrten.

Grund zur Langeweile hatte keiner von uns, da wirden vollen Terminalservice besaßen. Die Menschen sind heute an das Computernetz dermaßen gewöhnt daß man leicht vergißt, was für ein weites Fenster zur Welt diese Maschine sein kann — und da nehme ich mich nicht aus. Man stumpft ja sehr ab, wenn man ein Terminal nur auf bestimmte Weise benutzt — Rechnungen bezahlen, Telefonanrufe vornehmen Nachrichten anhören — und die vielschichtigen anderen Möglichkeiten vernachlässigt. Ist der Teilnehmer bereit, für den Service zu bezahlen, läßt sich mit einem Terminal beinahe alles verrichten, was außerhalb des Bettes möglich ist.

Live Musik? Ich konnte ein Konzert wählen, das heute abend in Berkeley stattfinden würde, doch ein vor zehn Jahren gegebenes Konzert, dessen Dirigent tot ist, stellt sich dem Zuhörer nicht minder „live“ nicht minder unmittelbar dar als die Programme, die heute aufgeführt wurden. Den Elektronen ist das gleichgültig. Sobald Daten ins Netz gehen, egal wie sie aussehen, steht die Zeit still. Man muß nur daran denken, daß die unzähligen Reichtümer der Vergangenheit zur Verfügung stehen, sobald man sie sich durch Knopfdruck ins Zimmer holt.

Der Chef schickte mich am Computerterminal zur Schule, was mir viel mehr Gelegenheiten eröffnete als früher ein Student in Oxford oder an der Sorbonne oder in Heidelberg genossen hätte.

Zuerst hatte ich gar nicht den Eindruck, in die Schule zu gehen. Am ersten Tag forderte man mich beim Frühstück auf, beim Ersten Bibliothekar vorzusprechen. Es handelte sich um einen väterlich wirkenden älteren Mann, Professor Perry, den ich schon während meiner Grundausbildung kennengelernthatte. Er wirkte gehetzt — was ich verstehen konnte da die Bibliothek des Chefs vermutlich der umfassendste und komplizierteste Teil des Umzugs über die Grenze ins Pajaro Sands gewesen war. Zweifellos mußte Professor Perry noch etliche Wochen schuften bis alles geregelt war — und in der Zwischenzeit erwartete der Chef nichts anderes als Vollkommenheit.

Die Arbeit wurde nicht gerade dadurch erleichtert daß der Chef seine Bibliothek zum großen Teil in Form von papierenen Büchern halten ließ, anstatt sich auf Kassetten oder Mikrofiches oder Speicherwerke zu verlassen.

Als ich mich bei ihm vorstellte, sah mich Perry niedergeschlagen an und deutete auf eine Konsole in der Ecke. „Miß Freitag, warum setzen Sie sich nicht dort nieder?“

„Was soll ich denn tun?“

„Wie? — Das ist schwer zu sagen. Zweifellos wird man es uns mitteilen. Äh … ich habe im Augenblick schrecklich viel zu tun und viel zu wenig Personal.

Warum machen Sie sich nicht einfach mit dem Gerät vertraut, indem Sie irgend etwas studieren? Sie können es sich aussuchen.“

Die Anlage hatte nichts Besonderes, außer daß sie über Zusatztasten verfügte, die den direkten Zugriff auf mehrere wichtige Bibliotheken ermöglichten — beispielsweise Harvard oder die Washingtoner Bibliothek der Atlantischen Union oder des Britischen Museums. Außerdem stand mir natürlich die Bibliothek des Chefs zur Verfügung, die sich neben mir erhob. Ich konnte sogar die eingebundenen Papierbücher über Bildschirm lesen, wenn ich wollte; die Seiten waren dann mit der Tastatur umzudrehen, unddas Buch selbst wurde nicht aus seiner Stickstoffhülle herausgenommen.

An jenem Morgen ging ich im Schnellauf durch den Index der Universitätsbibliothek Tulane (einer der besten in der Lone-Star-Republik), denn ich war auf der Suche nach Informationen über die Geschichte von Alt-Vicksburg. Plötzlich stolperte ich auf einen Querverweis zu Spektraltypen von Sternen und kam nicht mehr davon los. Ich weiß nicht mehr, warum der Verweis gegeben wurde, es gibt aber solche Vermerke aus den unmöglichsten Gründen.

Ich las noch immer über die Evolution der Sterne als Dr. Perry vorschlug, wir sollten gemeinsam zum Mittagessen gehen.

Wir taten das schließlich, doch ich machte mir vorher noch Notizen über den mathematischen Teil, den ich mir näher anschauen wollte. Astrophysik ist faszinierend — aber man muß sich auf die entsprechende Sprache verstehen.

An diesem Nachmittag kehrte ich zum Alten Vicksburg zurück und geriet über eine Fußnote an Showboat, ein Musical, das jene Ära behandelte — anschließend verbrachte ich den Rest des Tages mit interessanten Musicals vom Broadway, Produktionen aus den glücklichen Tagen, ehe die Nordamerikanische Föderation in Stücke fiel. Warum wird heute solche Musik nicht mehr gemacht? Die Leute damals müssen sich toll vergnügt haben! Ich jedenfalls hatte meinen Spaß — ich spielte Showboat, den Bettelstudenten und My Fair Lady und merkte mir ein Dutzend anderer Stücke, die ich später noch sehen wollte. (Das war Schulbesuch?)

Am nächsten Tag faßte ich den Entschluß, michdem ernsthaften Studium professioneller Themen zu widmen, bei denen ich Schwächen zeigte, denn ich war davon überzeugt, daß ich keine Zeit mehr haben würde für die Gebiete meiner Wahl, sobald meine Lehrer (wer immer sie waren) den Lehrplan festgesetzt hatten — frühere Trainingsperioden in der Mannschaft des Chefs hatten mich gelehrt, daß ich eigentlich einen 26-Stunden-Tag brauchte. Beim Frühstück aber fragte mich Anna: „Freitag, was kannst du mir über den Einfluß von Louis Onze auf die französische Lyrik sagen?“

Ich blinzelte sie an. „Gibt’s da einen Preis zu gewinnen? Louis Onze hört sich wie ein Käse an. Das einzige französische Gedicht, an das ich mich erinnern kann, ist Mademoiselle von Armentières. Wenn das in Frage kommt.“

„Professor Perry meinte, du wärst die Person, die man danach fragen müßte.“

„Er will dich nur ärgern.“ Als ich die Bibliothek erreichte, schaute Papa Perry hinter seiner Konsole auf.

„Guten Morgen“, sagte ich. „Anna sagte, Sie hätten sie aufgefordert, mich nach dem Einfluß des Elften Louis auf die französische Dichtkunst zu fragen.“

„Ja, ja, natürlich. Würden Sie mich jetzt bitte nicht stören? Diese Programmierarbeit ist sehr wichtig.“ Er senkte den Kopf und schloß mich damit wieder aus seiner Welt aus.

Frustriert und irritiert tippte ich Louis XI. ein. Zwei Stunden später holte ich zum erstenmal wieder Luft.

Über die Dichtkunst hatte ich nichts gelernt — soweit ich feststellen konnte, hatte der Spinnenkönig nicht einmal „ton con“ mit „C’est bon“ gereimt, ganz zu schweigen davon, daß er ein Mäzen der Künste ge-wesen wäre. Aber ich lernte viel über die Politik im fünfzehnten Jahrhundert. Gewalttätig. Dagegen sahen die kleinen Auseinandersetzungen, in die ich geraten war, wie Streitereien im Kindergarten aus.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir französische Lyrik seit 1450 auf den Schirm zu holen.

Stellenweise gut. Das Französische ist eine Sprache der Dichter, mehr noch als das Englische — da muß schon ein Edgar Allan Poe kommen, um den Dissonanzen der englischen Sprache immer wieder Schönheit abzuringen. Das Deutsche ist für die Lyrik nicht geeignet, sogar so wenig, daß Übersetzungen dem Ohr weicher klingen als die deutschen Originale. Das ist nicht die Schuld von Goethe oder Heine; es ist einfach der Mangel einer häßlichen Sprache. Spanisch ist so musikalisch, daß eine Waschmittelreklame in dieser Sprache dem Ohr lieblicher klingt als der beste Vers auf Englisch — die spanische Sprache ist so schön, daß ein Großteil der Dichtung sich am besten ausmacht, wenn der Zuhörer die Bedeutung nicht versteht.

Ich fand nicht heraus, welchen Einfluß Louis XI. auf die Lyrik nahm — wenn er sich überhaupt jemals darum gekümmert hatte.

Eines Morgens stellte ich fest, daß „meine“ Konsole besetzt war. Fragend musterte ich den Ersten Bibliothekar. Wieder schien er nicht zu wissen, was er zuerst tun sollte. „Ja, ja, es ist hier heute ziemlich eng.

Hm, Miß Freitag, warum benutzen Sie nicht das Terminal in Ihrem Zimmer? Es verfügt über dieselben Zusatzkontrollen, und wenn Sie bei mir rückfragen müssen, können Sie das noch schneller tun als von hier unten. Sie brauchen nur LOCAL 7 und IhrenKode zu tippen; ich gebe dem Computer Anweisung Ihnen Vorrang einzuräumen. Einverstanden?“

„In Ordnung“, sagte ich. Die kameradschaftliche Atmosphäre im Studierzimmer der Bibliothek gefiel mir, doch in meinem Zimmer konnte ich die Kleidung ablegen, ohne das Gefühl haben zu müssen daß Papa Perry sich aufregen würde. „Was soll ich denn heute studieren?“

„Meine Güte! Gibt es nicht irgendein Thema, für das Sie sich interessieren und das Sie noch vertiefen könnten? Ich würde Nummer eins ungern stören.“

Ich begab mich in mein Zimmer und machte weiter mit französischer Geschichte seit Louis Onze, und das führte mich zu den neuen Kolonien jenseits des Atlantiks, von da sprang ich über auf Wirtschaftstheorie und Adam Smith und schließlich auf die politischen Wissenschaften. Ich folgerte, daß Aristoteles seine guten Tage gehabt habe, daß Plato aber ein hochmütiger Täuscher war, und das führte dazu, daß ich schließlich dreimal aus dem Speisezimmer angerufen werden mußte, zuletzt mit der Androhung, daß meine weitere Verspätung eine kalte Ration zur Folge haben würde, gefolgt von einer live durchkommenden Drohung Goldies, mich an den Haaren zum Eßtisch zu zerren.

Ich eilte nach unten, barfuß und die Reißverschlüsse meines Overall zuziehend. Anna fragte mich, was ich denn so Dringendes täte, daß ich sogar das Essen vergäße. „Gar nicht typisch für Freitag“, fügte sie hinzu. Sie, Goldie und ich aßen gewöhnlich zusammen, mit oder ohne männliche Gesellschaft — die Mitarbeiter des HQ waren wie ein Club, eine Brüderschaft, eine laute Familie, und mit etwa zwei Dutzendhatte ich „Kußfreundschaft“ geschlossen.

„Ich tanke mein Gehirn auf“, sagte ich. „Vor euch seht ihr die Größte Kapazität der Welt.“

„Kapazität worin?“

„Na, in allem. Ihr braucht nur zu fragen. Die einfachen Sachen beantworte ich gleich, die schweren morgen.“

„Das mußt du uns beweisen!“ sagte Anna. „Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze sitzen?“

„Das ist doch leicht! Zuerst mißt du das Hinterteil der Engel aus. Dann die Nadelspitze. Dann ist B durch A zu teilen. Die numerische Antwort kann von den Studenten als Übung selbst erarbeitet werden.“

„Smarter Prahlhans! Welches Geräusch macht eine klatschende Hand?“

„Das ist noch leichter. Schalte ein Aufzeichnungsgerät ein, mit Hilfe eines nahegelegenen Terminals.

Dann klatsche mit einer Hand. Und spiel dir das Ergebnis vor.“

„Versuch du’s, Goldie! Sie ist mir zu raffiniert.“

„Wie viele Einwohner hat San José?“

„Ah, das ist schwer! Ich sage euch die Antwort morgen.“

Dieses Herumtasten ging gut einen Monat so weiter ehe mir allmählich bewußt wurde, daß hier tatsächlich jemand (natürlich der Chef) darauf aus war, mich zur „größten Kapazität“ der Welt zu machen.

Früher gab es wirklich einmal einen Mann, der „die Größte Kapazität der Welt“ genannt wurde. Ich stieß auf ihn, als ich einer der vielen dummen Fragen nachging die mir aus allen möglichen Richtungen gestellt wurden. Zum Beispiel: Stell dein Terminal auf„Research“! Dann gib nacheinander folgende Parameter ein: „Nordamerikanische Kultur“, „Englischsprachig“, „Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts“, „Komödianten“, „die größte Kapazität der Welt“. Die Antwort, die dabei herauskommt, ist „Professor Irwin Corey“. Seine Nummern sind von zeitlosem Humor.

Unterdessen wurde ich mit Wissen gestopft wie eine Wurst.

Trotzdem war es eine sehr glückliche Zeit. Oft lud mich einer meiner echten Freunde zu sich ins Bett ein.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals abgelehnt zu haben. Das Rendezvous wurde gewöhnlich während des nachmittäglichen Sonnenbades vereinbart, und die Vorfreude verschönte das sinnliche Vergnügen der Sonnenstrahlung um ein angenehmes Kribbeln.

Die Leute im HQ waren ausnahmslos von großer Nettigkeit — sogar so zivilisiert, daß man antworten konnte: „Tut mir leid, Terence hat zuerst gefragt.

Vielleicht morgen? Nein? Na, dann irgendwann bald“ — ohne damit jemandem auf die Zehen zu treten. Einer der Nachteile der S-Gruppe, der ich angehörte, bestand in dem Umstand, daß solche Arrangements unter den Männern ausgehandelt wurden einem Protokoll folgend, das mir niemand erklärte das aber nicht ohne Spannungen eingehalten wurde.

Die dummen Fragen mehrten sich. Ich befaßte mich gerade in den Grundzügen mit Ming-Porzellan als in meinem Terminal eine Nachricht auftauchte wonach aus dem HQ jemand die Beziehung zwischen Männerbärten, Frauenröcken und dem Goldpreis durchleuchtet haben wollte. Längst wunderte ichmich nicht mehr über solche sinnlos erscheinenden Fragen; bei unserem Chef ist eben alles möglich. Dieser Auftrag aber kam mir besonders dümmlich vor.

Warum sollte überhaupt eine Beziehung zwischen diesen drei Dingen bestehen? Männerbärte interessierten mich nicht; sie kratzen und sind oft verschmutzt. Über Frauenröcke wußte ich sogar noch weniger. Ich habe in meinem Leben kaum Röcke getragen. Kostüme können zwar ganz hübsch sein, sind aber auf der Reise nicht sonderlich praktisch. Dreioder viermal hätte ich sogar wegen eines solchen Gewandes sterben können — und wenn man zu Hause ist, wozu mehr als die Haut zu Markte tragen? Jedenfalls gewande ich mich in meinen vier Wänden nicht mehr, als nach den hiesigen Sitten und Gebräuchen nötig ist.

Aber inzwischen hatte ich gelernt, daß ich Fragen nicht deswegen ignorieren durfte, weil sie mir unsinnig vorkamen. Diesmal ging ich die Lösung an, indem ich alle möglichen Daten auf den Schirm holte wobei ich zum Teil unmöglich anmutende Assoziationsketten eintippte. Dann forderte ich die Maschine auf, die aufgerufenen Daten nach Kategorien aufzulisten.

Und tatsächlich stellte ich Verbindungen fest!

Als immer mehr Informationen zusammenkamen wurde mir klar, daß ich sie alle nur in Form einer dreidimensionalen Zeichnung überschaubar machen konnte — und die sah so vielversprechend aus, daß ich den Computer anwies, das Gebilde als farbige Holographie darzustellen. Wunderschön! Ich wußte nicht warum diese drei Variablen zusammenpaßten, aber sie taten es. Den Rest des Tages verbrachte ich damit,die Meßwerte zu verändern, X gegen Y gegen X, in den verschiedensten Kombinationen — durch Vergrößern, Schrumpfen, Rotieren, durch gründliche Suche nach kleineren zyklischen Relationen unterhalb der offensichtlich großen Kurven — und bemerkte dabei einen flachen doppelten Sinusbuckel, der immer wieder auftauchte, wenn ich die Holographie drehte — und plötzlich beschloß ich aus keinem konkreten Grunde, die doppelte Sonnenflecken-Kurve abzuziehen.

Eureka! Präzise und nützlich wie eine Ming-Vase!

Vor dem Abendessen hatte ich die Gleichung, eine einzige Zeile, die sämtliche unsinnigen Daten enthielt, die ich im Verlauf von fünf Tagen aus dem Terminal geholt hatte. Ich wählte das Signal des Stabschefs und zeichnete diese einzeilige Gleichung bei ihm auf, wobei ich natürlich die Variablen für ihn definierte. Ich gab keinen weiteren Kommentar, ich versuchte die Gleichung nicht zu diskutieren; ich wollte den gesichtslosen Witzbold zwingen, mich nach meiner Meinung dazu zu fragen.

Ich bekam dieselbe Antwort — nämlich gar keine.

Nervös hampelte ich beinahe einen Tag lang herum und wartete, wobei ich mir gegenüber den Beweis antrat, daß ich eine Gruppenanalyse aus jedem denkbaren Jahr herausholen konnte und daß sich allein durch das Studium von Männergesichtern und Frauenbeinen ziemlich genau erraten ließ, wie der Goldpreis sich entwickelte (ob er fiel oder stieg), außerdem in welchem zeitlichen Bezug dieses Bild zum doppelten Sonnenfleckenzyklus stand und — dies kam sehr bald als große Überraschung heraus — ob die derzeitige politische Struktur im Zerfall begriffen waroder sich konsolidieren würde.

Mein Terminal summte. Kein Gesicht. Kein lobender Schlag auf die Schulter. Eine einfache schriftliche Nachricht: „Die Einsatzleitung erbittet baldigst Tiefenanalyse der Möglichkeit, ob Pestepidemien des sechsten, vierzehnten und siebzehnten Jahrhunderts auf politische Verschwörungen zurückgingen.“

Püü! Ich war als Gast ins Irrenhaus gekommen und jetzt mit den Insassen eingeschlossen.

Na schön! Die Frage war so kompliziert, daß man mich wahrscheinlich einige Zeit in Ruhe lassen würde, damit ich sie untersuchen konnte. Das paßte mir durchaus; ich war inzwischen sehr daran gewöhnt am Terminal eines großen Computers zu sitzen, der an ein weltumspannendes Netz von Forschungsinformationen angeschlossen war.

Ich begann damit, indem ich denkbar viele Themen in freier Assoziation aufführte: Pest, Epidemiologie Fliegen, Ratten, Daniel Defoe, Isaac Newton, Verschwörungen, Guy Fawkes, Freimaurer, Illuminati O. T. O, Rosenkreutzer, Kennedy, Oswald, John Wilkes Booth, Pearl Harbor, Green Bowlers, Spanische Grippe, Pestkontrolle und so weiter.

Drei Tage später war meine Liste der möglicherweise damit zusammenhängenden Themen zehnmal so lang.

Eine Woche später war mir klar, daß ein Leben bei weitem nicht ausreichte, um alle meine Listen gründlich zu studieren. Aber ich hatte den Auftrag, mich mit dem Thema zu befassen, also begann ich damit — doch ich interpretierte „baldigst“ auf meine Weise das heißt, ich wollte gern mindestens fünfzig Stunden in der Woche konzentriert arbeiten, aber wann undwie es mir gefiel und ohne mich bedrängen zu lassen — es sei denn, jemand meldete sich und erklärte mir warum ich schneller oder anders arbeiten sollte.

So ging es wochenlang weiter.

Mitten in der Nacht weckte mich mein Terminal; ein Überschaltungsalarm, denn ich hatte das Gerät beim Zubettgehen wie üblich stillgelegt (ich war allein, ich weiß nicht mehr, warum). Ich antwortete schläfrig: „Schon gut, schon gut! Melden Sie sich!

Aber es muß schon wirklich wichtig sein.“

Kein Bild. Die Stimme des Chefs fragte: „Freitag wann wird es zur nächsten großen Pestepidemie kommen?“

„In drei Jahren“, antwortete ich. „Im April. Ausgangspunkt Bombay, sich sofort über die ganze Welt ausbreitend. Mit dem ersten Transport auch auf die Außenwelten verschleppt.“

„Danke. Gute Nacht.“

Ich ließ den Kopf auf das Kissen sinken und schlief sofort weiter.

Wie üblich erwachte ich um siebenhundert, lag noch einige Sekunden lang still und dachte nach während mir immer kälter wurde — dann kam ich zu dem Schluß, daß ich letzte Nacht wirklich von meinem Chef gehört und ihm wirklich die unmögliche Antwort gegeben hatte.

Nun back mal kleine Brötchen, Freitag, ersteige die Treppe der Reue! Ich tippte LOCAL 7. „Hier Freitag Chef. Es geht um die Antwort, die ich Ihnen letzte Nacht gegeben habe. Ich muß vorübergehend den Verstand verloren haben.“

„Unsinn. Kommen Sie um zehn-fünfzehn zu mir!“

Ich war in Versuchung, die nächsten drei Stundenim Lotussitz zu verbringen und Perlen durch die Finger laufen zu lassen. Tief in mir sitzt aber die Überzeugung, daß man nicht einmal am Ende der Welt ohne gutes Frühstück teilnehmen sollte — und diese Entscheidung stellte sich als richtig heraus, da es heute früh frische Feigen mit Schlagsahne gab, Cornedbeef-Mus mit gestürzten Eiern, dazu englische Brötchen mit Knott’s-Berry-Farm-Orangenmarmelade. Frische Milch natürlich auch. Und kolumbianischen Hochlandkaffee. Das Frühstück besserte meine Laune dermaßen, daß ich eine Stunde damit verbrachte, eine mathematische Beziehung zwischen dem bisherigen Auftreten der Pest und dem Datum herzustellen, das mir in den verschlafenen Geist gekommen war. Ich fand so eine Beziehung nicht, begann aber einen ersten Eindruck von der Form der Kurve zu gewinnen, als das Terminal mir das 3Minuten-Signal gab, das ich vorsichtshalber eingegeben hatte.

Ich hatte mir nicht die Haare kurzgeschnitten und auch nicht den Nacken abrasiert, doch sonst war ich fertig. Auf die Sekunde genau betrat ich das Büro.

„Freitag zur Stelle, Sir.“

„Setzen Sie sich! Warum Bombay? Ich hätte angenommen, daß Kalkutta als Herd eher in Frage kommt.“

„Das mag mit den langfristigen Wettervorhersagen und dem Monsunregen zu tun haben. Fliegen mögen kein heißes, trockenes Wetter. Der Körper eines Flohs besteht zu achtzig Prozent aus Wasser, und er stirbt wenn der Anteil unter sechzig sinkt. Heißes, trockenes Wetter wird die Epidemie also unterbinden oder verhindern. Aber das Ganze ist doch Unsinn, Chef!Sie haben mich mitten in der Nacht mit einer dummen Frage geweckt, auf die ich eine dumme Antwort gegeben habe, ohne richtig wach zu werden. Wahrscheinlich geht das alles auf einen Traum zurück. Ich habe Alpträume über den Schwarzen Tod hinter mir und schon einmal hat die Pest in Bombay begonnen.

Achtzehn-sechsundneunzig und folgende.“

„Aber noch nicht so schlimm wie die HongkongPhase dieser Seuche drei Jahre später. Freitag, die analytische Abteilung meint, die nächste Epidemie des Schwarzen Todes träte erst ein Jahr nach Ihrer Voraussage ein. Und dann nicht in Bombay. Sondern in Djakarta und Ho-Tschi-Minh-Stadt.“

„Das ist Unsinn!“ Ich biß mir auf die Zunge. „Entschuldigung, Sir, ich glaube, das war schon wieder der Alptraum. Chef, kann ich nicht etwas Angenehmeres studieren als Flöhe und Ratten und die Pest?

Ich kann schon nicht mehr richtig schlafen.“

„Das will ich Ihnen gestatten. Ihr Studium der Pest ist beendet …“

„Hurra!“

„… bis auf die noch offenbleibenden Restfragen denen Sie gern nach eigenem Ermessen weiter nachgehen können. Die Sache wird jetzt der Einsatzabteilung übertragen. Unser Handeln wird allerdings auf Ihre Voraussage abgestellt, nicht auf die unserer mathematischen Analytiker.“

„Ich muß es wiederholen. Meine Vorhersage ist Unsinn.“

„Freitag, Ihre größte Schwäche ist die fehlende Einsicht in Ihre wahren Fähigkeiten. Stünden wir nicht ziemlich dumm da, wenn wir uns auf die professionellen Analytiker verließen, und die Seuche kämedann doch ein Jahr früher, nämlich zu der von Ihnen genannten Zeit? Das wäre eine Katastrophe. Es kann nicht schaden, Vorsichtsmaßnahmen ein Jahr zu früh zu ergreifen.“

„Wollen wir die Seuche denn unterbinden?“ (Die Menschen haben in der Geschichte immer wieder gegen Ratten und Flöhe angekämpft. Bis jetzt liegen die Ratten und Flöhe um einiges vorn.)

„Himmel nein! Sekundär ist dafür entscheidend daß ein solcher Kontrakt für die Organisation viel zu groß wäre. In erster Linie muß ich aber sagen, daß ich keine Aufträge annehme, die ich nicht erfüllen kann; dies wäre ein solcher. Drittens wäre der Versuch, jene Vorgänge zu unterbinden, durch die übervölkerten Städte sich Erleichterung verschaffen, keine freundliche Geste. Die Pest bringt zwar einen unangenehmen aber auch schnellen Tod. Auch Hunger ist eine schlimme Sache — wirkt aber sehr langsam.“

Der Chef verzog das Gesicht und fuhr fort: „Unsere Organisation wird sich auf das Problem beschränken die Pasteurella pestis am Verlassen dieses Planeten zu hindern. Wie erreichen wir das? Bitte sofort antworten.“

(Lächerlich! Jede Gesundheitsbehörde auf der Erde würde angesichts einer solchen Frage eine Studiengruppe bilden, umfassende Forschungsmittel beantragen und eine ausreichende Zeit für eine ordentliche wissenschaftliche Untersuchung vorsehen — drei bis fünf Jahre.) Ich antwortete sofort: „Sie explodieren lassen.“

„Die Raumkolonien? Das scheint mir eine zu drastische Lösung zu sein.“

„Nein, die Flöhe! Während der globalen Kriege deszwanzigsten Jahrhunderts entdeckte jemand, daß man Flöhe und Läuse abtöten konnte, indem man sie in große Höhen brachte. Sie explodieren. Etwa in fünf Kilometern Höhe, wenn ich mich recht erinnere, aber das kann man nachschlagen oder durch einen Versuch bestätigen lassen. Mir kam der Gedanke, weil nach meiner Kenntnis die Bohnenstengelstation von Mount Kenia oberhalb dieser kritischen Höhe liegt — und beinahe der gesamte Raumverkehr wird doch heute über den Bohnenstengel abgewickelt. Dann wäre da die einfache Methode mit Hitze und Trockenheit — das funktioniert auch, aber nicht so schnell. Der Schlüssel zum Erfolg ist aber die Notwendigkeit, daß es absolut keine Ausnahme geben darf. Ein einziger Fall von diplomatischer Immunität oder ein VIP, dem man die Kontrolle erließe — und schon wäre alles vorbei. Ein kleiner Schoßhund, ein Kaninchen. Eine Sendung Labormäuse. Wenn die Seuche über die Lungen wirkt, wäre L-5 in einer Woche eine Geisterstadt.

Oder Luna City.“

„Wenn ich nicht andere Aufgaben für Sie hätte würde ich Ihnen hier die Verantwortung übertragen.

Wie steht es mit Ratten?“

„Den Posten möchte ich nicht; ich bin das Thema leid. Chef, eine Ratte zu töten ist kein Problem. Man braucht sie nur in einen Sack zu stopfen, den Sack mit dem Knüppel zu bearbeiten und das Tier dann zu erschießen. Und anschließend zu ertränken. Zuletzt wird der Sack mit der toten Ratte begraben. Unterdessen hat das Weibchen einen weiteren Wurf großgezogen, und Sie sehen sich einem Dutzend junger Ratten gegenüber. Chef, der Kampf gegen die Ratten ist bisher bestenfalls unentschieden ausgegangen.Gewinnen können wir ihn nicht. Wenn wir nur einen Augenblick lang Atem holen, sind uns die Ratten schon wieder voraus.“ Mürrisch fügte ich hinzu: „Ich glaube, sie sind die Ersatzmannschaft.“ Meine Pestforschung deprimierte mich.

„Erklären Sie mir das!“

„Wenn der Homo Sapiens es nicht schafft — er ist ja eifrig bemüht, sich selbst umzubringen — dann stehen die Ratten bereit, das Raumschiff Erde zu übernehmen.“

„Quatsch! Absoluter Unsinn! Freitag, Sie bewerten den Sterbewillen der Menschen zu hoch. Seit Generationen stehen uns bereits die Mittel zur Verfügung rassischen Selbstmord zu begehen, Waffen, die in vielen Händen geruht haben. Es ist aber nicht dazu gekommen. Zweitens müßten sich die Ratten, wenn sie uns ersetzen wollten, wesentlich größere Schädel wachsen lassen, dazu die tragfähigen Körper, sie müßten es lernen, auf zwei Beinen zu gehen, und die Vorderpfoten zu vielseitigen Greiforganen umwandeln — und brauchten mehr Gehirnmasse, um das alles zu steuern. Um den Menschen zu ersetzen, muß eine andere Rasse zu Menschen werden. Pah. Das können wir also vergessen. Ehe wir das Thema Pest beenden — welche Schlußfolgerungen haben Sie hinsichtlich der Verschwörungstheorie gezogen?“

„Die Vorstellung ist unhaltbar. Vorgegeben waren das sechste, das vierzehnte und das siebzehnte Jahrhundert — und das bedeutet Segelschiffe oder Karawanen und keine Ahnung von Bakteriologie. Nun stellen wir uns mal den unheimlichen Dr. Fu Manchu in seinem Unterschlupf vor, wie er eine Million Ratten züchtet, und diese Ratten haben Flöhe — kein Pro-blem. Ratten und Flöhe sind mit dem Bazillus verseucht — das ist sogar ohne theoretische Kenntnisse möglich. Aber wie geht er gegen die Stadt vor, die er treffen will? Mit dem Schiff? Nach wenigen Tagen wären sämtliche Ratten tot, ebenso die Besatzung.

Über Land ist das noch schwieriger. Wollte man in diesen Jahrhunderten eine Verschwörung anzetteln ginge das nicht ohne die moderne Wissenschaft und eine ziemlich große Zeitmaschine. Chef, wer hat sich diese dumme Frage ausgedacht?“

„Ich.“

„Ich dachte mir gleich, daß da Ihr Köpfchen hintersteckt. Aber warum?“

„Damit habe ich Sie dazu gebracht, das Thema auf einer viel breiteren Basis anzugehen, als Sie es sonst getan hätten. Habe ich nicht recht?“

„Hmm …“ Ich hatte mich bei meinem Studium viel mehr auf die zeitbezogene politische Historie konzentriert als auf die eigentliche Krankheit. „Vermutlich haben Sie recht.“

„Geben Sie es schon zu!“

„Nun ja. Chef, so etwas wie eine umfassend dokumentierte Verschwörung gibt es grundsätzlich nicht.

Manchmal sind sogar überreichlich Dokumente vorhanden, widersprechen sich aber. Hat so eine Verschwörung vor längerer Zeit stattgefunden, vor einer Generation oder früher, kann man die Wahrheit auf keinen Fall mehr genau ermitteln. Haben Sie schon mal von einem Mann namens John F. Kennedy gehört?“

„Ja. Ein Staatsoberhaupt Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, Oberhaupt der Föderation, die damals zwischen Kanada — Britisch-Kanada und Québec — und dem Königreich Mexiko lag. Er wurde ermordet.“

„Richtig. Vor Hunderten von Zeugen wurde er umgebracht, und es gibt zahlreiche Dokumente über alle Aspekte, vor, während und nach der Tat. Der ganze Beweisberg aber erbrachte nur eins: Niemand weiß, wer ihn erschoß, wie viele auf ihn schossen, wie oft er getroffen wurde, wer dahintersteckte, warum die Tat begangen wurde und wer in die Verschwörung verwickelt war, wenn es sich wirklich um eine Verschwörung handelte. Man kann nicht einmal sagen, ob das Mordkomplott aus dem Ausland kam oder im eigenen Land geschmiedet wurde. Chef wenn man schon eine Tat nicht aufklären kann, die vor so kurzer Zeit geschah und die so gründlich untersucht wurde, welche Chance haben wir da, die Einzelheiten über die Verschwörung gegen Gaius Julius Cäsar herauszufinden? Oder etwas über Guy Fawkes und die Pulververschwörung? Mit Sicherheit kann man eigentlich nur festhalten, daß die Leute, die nach solchen Ereignissen die Oberhand behalten, die offiziellen Versionen festlegen, die in den Geschichtsbüchern stehen — eine Geschichte, die nicht ehrlicher ist als eine Autobiographie.“

„Freitag, Autobiographien sind in der Regel ehrlich.“

„Hah! Chef, was haben Sie in letzter Zeit geraucht?“

„Nun mal langsam. Autobiographien sind in der Regel ehrlich, selten und wahrheitsgemäß.“

„Da fehlt mir ein Stück.“

„Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen.

Freitag, ich habe heute keine Zeit mehr für Sie; Sie re-den zuviel und wechseln das Thema. Halten Sie mal einen Augenblick den Mund, während ich einiges ablade! Sie sind inzwischen dauerhaft vom Stab versetzt. Sie werden älter; zweifellos sind Ihre Reflexe schon ein wenig langsamer geworden. Ich möchte Sie nicht noch einmal bei einem Einsatz aufs Spiel setzen …“

„Ich beschwere mich nicht!“

„Mund halten! Andererseits sollen Sie hinter dem Schreibtisch nicht in die Breite gehen. Bringen Sie weniger Zeit an der Konsole zu, machen Sie mehr Leibesübungen. Es wird der Tag kommen, da Ihre gesteigerten Fähigkeiten wieder zum Überleben benötigt werden. Und dabei mag es nicht nur um Ihr Überleben gehen, sondern auch um das von anderen.

Unterdessen sollten Sie sich in Gedanken mit dem Tag beschäftigen, an dem Sie Ihr Leben allein in die Hand nehmen müssen. Sie sollten diesen Planeten verlassen; für Sie gibt es hier nichts zu holen. Die Balkanisierung Nordamerikas beendete die letzte Chance, den Verfall der Renaissance-Zivilisation aufzuhalten. Sie sollten sich also mit dem Gedanken an die Möglichkeiten auf anderen Planeten vertraut machen — nicht nur im Sonnensystem, sondern auch anderswo —, Planeten, die von extrem primitiv bis ausreichend entwickelt reichen. Rechnen Sie sich bei jedem die Kosten und Vorteile einer Auswanderung aus.

Dazu werden Sie Geld brauchen; sollen meine Agenten das Geld kassieren, um das Sie in Neuseeland betrogen wurden?“

„Woher wissen Sie, daß ich betrogen wurde?“

„Ich bitte Sie! Wir sind doch keine Kinder.“

„Äh, darf ich mir das überlegen?“

„Ja. Was Ihre Auswanderung betrifft — ich möchte empfehlen, daß Sie sich nicht den Planeten Olympia aussuchen. Abgesehen davon habe ich keinen besonderen Rat für Sie, außer die Erde zu verlassen. Als ich noch jünger war, glaubte ich die Welt verändern zu können. Dies nehme ich nicht mehr an, doch aus emotionalen Gründen muß ich den Stellungskampf fortsetzen. Sie aber sind jung und haben infolge Ihrer besonderen Herkunft keine so starken gefühlsmäßigen Bindungen an diesen Planeten und diesen Teil der Menschheit. Ich konnte dieses Thema nicht anschneiden, solange Sie Ihre sentimentalen Bindungen in Neuseeland nicht überwunden hatten …“

„Ich habe sie nicht überwunden; ich wurde hochkantig hinausbefördert!“

„Nun ja. Während Sie zu einem Entschluß zu kommen versuchen, sollten Sie sich Benjamin Franklins Parabel von der Pfeife anschauen, und dann sagen Sie mir bitte — nein, stellen Sie sich die Frage selbst —, ob Sie nicht für Ihre Pfeife zuviel bezahlt haben. Nun aber genug davon. Zwei Aufträge für Sie: Erstens untersuchen Sie bitte den ShipstoneFirmenkomplex, einschließlich der auswärtigen Verbindungen. Zweitens sollen Sie mir bei unserer nächsten Zusammenkunft genau erklären, wie man eine kranke Kultur erkennt. Das ist alles.“

Der Chef wandte sich seiner Konsole zu, und ich stand auf. Aber ich war nicht gewillt, mich so einfach fortschicken zu lassen, da mir noch einige wichtige Fragen auf der Zunge brannten. „Chef. Habe ich überhaupt keine Pflichten? Nur diese zufälligen Studien, die kein konkretes Ziel haben?“

„Die Sie aber weiterbringen. Ja, Sie haben Pflichten.Erstens sollen Sie studieren. Zweitens sollen Sie sich mitten in der Nacht wecken lassen — oder irgendwo im Flur anhalten lassen — und auf dumme Fragen antworten.“

„Mehr nicht?“

„Was wollen Sie noch? Engel und Trompeten?“

„Nun ja … vielleicht einen Titel. Früher war ich Kurier. Was bin ich jetzt, Hofnarr?“

„Freitag, Sie scheinen dem Bürokratismus zu erliegen. ›Titel‹ — ich bitte Sie! Aber schön. Sie sind Intuitiv-Analytikerin im Stab, allein mir unterstellt. Mit dem Titel verbindet sich aber eine Einschränkung:

Mit keinem Mitglied der analytischen Abteilung des Stabes dürfen Sie über ernsthaftere Dinge reden als über ein Kartenspiel. Schlafen Sie mit den Jungs wenn es Ihnen Spaß macht — in zwei Fällen weiß ich das schon —, aber beschränken Sie die Konversation auf unwichtige Dinge.“

„Chef, ich wünschte, Sie würden nicht soviel Zeit unter meinem Bett verbringen.“

„Nur soviel, wie nötig ist, um die Organisation zu schützen. Freitag Sie wissen, daß das Fehlen von Augen und Ohren nur bedeuten kann, daß sie irgendwo versteckt sind. Sie können davon ausgehen, daß ich zum Schutz der Organisation auch schamlos vorgehen kann.“

„Sie sind wahrhaft schamlos. Chef, beantworten Sie mir noch eine Frage. Wer steht hinter dem Roten Donnerstag? Die dritte Terrorwelle hat sich irgendwie im Sand verlaufen; wird es eine vierte geben?

Was soll das alles?“

„Studieren Sie das Problem doch selbst. Wenn ich Ihnen die Antwort sagte, würden Sie die Wahrheitnicht richtig wissen, man hätte sie Ihnen nur aufgetischt. Studieren Sie die Frage gründlich, und eines Nachts — wenn Sie gerade mal allein schlafen — werde ich Sie danach fragen. Sie werden mir eine Antwort geben und es dann wissen.“

„Um Himmels willen! Wissen Sie denn immer wenn ich allein schlafe?“

„Immer.“ Er fügte hinzu: „Sie können jetzt gehen“ und wandte sich ab.

Загрузка...