16. Kapitel

Fünf Minuten später standen wir wieder auf der Straße. Einige unangenehme Minuten lang hatte es so ausgesehen, als sollten wir gehängt oder erschossen werden, oder zumindest für alle Ewigkeit in den tiefsten Verliesen verschwinden, weil wir das Verbrechen begangen hatten, keine Kalifornier zu sein.

Schließlich setzte sich aber eine nüchterne Einschätzung der Lage durch, als nämlich Kriegsschreis führender rechtlicher Adler seinen Chef davon überzeugte, daß es besser sei, uns laufen als sich auf das Risiko eines Prozesses einzulassen, selbst wenn dieser hinter verschlossenen Türen stattfinden sollte — der Generalkonsul von Québec mochte sich wohl darauf einlassen, doch sein ganzes Personal schmieren zu müssen, mochte teuer werden.

Er drückte sich natürlich nicht genau in diesem Sinne aus, aber er wußte ja nicht, daß ich zuhörte, da ich bisher nicht einmal zu Georges von meinem gesteigerten Hörvermögen gesprochen hatte. Der Chefberater des Häuptlings machte eine geflüsterte Bemerkung über den Ärger, den man mit der kleinen mexikanischen Schlampe gehabt hatte, nachdem die Leute aus dem Süden von der Geschichte erfahren hatten. Eine solche Schweinerei dürfe es nicht noch einmal geben. Passen Sie auf, Boß; man hat Sie da am Sack!

So ließen wir den Palast endlich hinter uns und erreichten die kalifornische Zentrale der MasterCharge-Organisation — fünfundvierzig Minuten später als vorgesehen. Es kostete uns weitere zehn Mi-nuten, in einer Toilette der Commercial-Credit-Bank von Kalifornien unsere Verkleidungen wieder loszuwerden. Der Raum war auf demokratische Gleichberechtigung ausgelegt, doch nicht auf aggressive Weise. Man mußte keinen Eintritt bezahlen, die Kabinen hatten Türen, und die Frauen benutzten die eine Seite und die Männer die andere, die mit den senkrechten Badewannen-Gebilden, die Männer außer den Kabinen auch noch benutzen, und zu Begegnungen kam es nur in einem in der Mitte gelegenen Raum voller Waschbecken und Spiegel — und selbst hier blieben die Frauen mehr auf der einen Seite und die Männer auf der anderen. Solche gemeinsamen Toiletten machen mir nichts aus — schließlich bin ich in einer Krippe großgeworden —, aber mir fällt auf, daß sich Männer und Frauen, sobald sie Gelegenheit dazu haben, voneinander absetzen.

Ohne den Lippenstift sah Georges viel besser aus.

Er hatte sich außerdem das Haar gewaschen und es streng gekämmt. Das auffällige Tuch steckte ich in meinen Koffer. „War wohl ein dummer Einfall, uns verkleidet aus der Affäre ziehen zu wollen“, sagte er.

Ich blickte mich um. Niemand war in der Nähe außerdem machten die Toiletten und die Klimaanlage ziemlich viel Lärm. „Ich finde das nicht, Georges. Ich glaube, innerhalb von sechs Wochen könnte man einen richtigen Profi aus dir machen.“

„Was für einen Profi?“

„Na, vielleicht einen Pinkerton-Mann. Oder einen …“ Jemand betrat den Raum. „Wir sprechen später darüber. Immerhin sind zwei Lotterielose dabei herausgesprungen.“

„Richtig. Wann ist denn unsere Ziehung?“ Ich nahm mein Los zur Hand und studierte es.

„Tatsächlich — heute schon! Heute nachmittag! Oder bin ich mit den Daten durcheinander?“

„Nein“, sagte Georges nach einem Blick auf mein Los. „Du hast recht, die Ziehung ist heute. Etwa in einer Stunde sollten wir uns in der Nähe eines Terminals aufhalten.“

„Sinnlos“, erwiderte ich. „Ich gewinne nie beim Kartenspiel, ich habe keine Chance beim Würfeln und Lotterien sind erst recht hoffnungslos. Wenn ich Cracker kaufe, fehlt in der Schachtel meistens die kleine Zugabe.“

„Trotzdem schauen wir uns das am Terminal an Kassandra!“

„Na schön. Wann ist denn deine Ziehung?“

Er nahm sein Los zur Hand, und wir betrachteten es. „He, das ist ja dieselbe Ziehung!“ rief ich. „Jetzt haben wir noch mehr Grund, uns die Sache anzusehen.“

Georges hatte den Blick nicht von seinem Los genommen. „Freitag, schau dir das mal an!“ Mit dem Daumen rieb er über das Papier. Die Buchstaben blieben scharf, nur die Seriennummer ließ sich verschmieren. „Da hört sich doch alles auf! Wie lange blieb unsere Freundin mit dem Kopf unter dem Tresen, ehe Sie dieses Los ›fand‹?“

„Keine Ahnung. Weniger als eine Minute.“

„Jedenfalls lange genug. Soviel ist klar.“

„Willst du es ihr zurückgeben?“

„Ich? Freitag, warum sollte ich? Solche Virtuosität verdient Applaus! Sie verschwendet ihre Talente allerdings mit läppischen Kleinigkeiten. Gehen wir nach oben! Wir wollen Master Charge hinter uns ha-ben, wenn die Ziehung beginnt.“

Vorübergehend verwandelte ich mich wieder in „Marjorie Baldwin“, und man gestattete es uns, in der Hauptstelle von Master Charge Kalifornien mit „unserem Mr. Chambers“ zu sprechen. Mr. Chambers war eine denkbar liebenswerte Person — gastfreundlich, gesellig, mitfühlend, freundlich und für uns offenbar genau der Richtige, da das Schildchen auf seinem Tisch ihn als Vizepräsident für Kundenkontakte auswies.

Nach mehreren Minuten wurde mir klar, daß sich seine Vollmacht auf das Neinsagen erstreckte und daß sein Haupttalent darin bestand, auf derart umständliche und liebenswerte Weise Nein zu sagen daß der Kunde gar nicht mitbekam, welche Abfuhr er erhielt.

„Zunächst müssen Sie bitte verstehen, Miß Baldwin, daß Master Charge Kalifornien und Master Charge Chicago-Imperium zwei völlig getrennte Firmen sind und daß Sie Ihren Kundenvertrag nicht mit uns geschlossen haben. Was uns wirklich leid tut. Es stimmt, aus gegenseitigem Entgegenkommen erkennen wir normalerweise die von der anderen Firma ausgestellten Kreditkarten an, und die andere Firma die unseren. Es tut uns wirklich leid, Ihnen sagen zu müssen, daß das Imperium im Augenblick — ich betone nochmals: ›im Augenblick‹ — die Verbindungen unterbrochen hat und daß es, so seltsam das auch ist heute nicht einmal einen offiziellen Wechselkurs zwischen Braunen und Kronen gibt — wie könnten wir also eine Kreditkarte aus dem Imperium anerkennen selbst wenn wir es wollten? Wir werden dazu bestimmt wieder in der Lage sein — aber später. Aller-dings möchten wir alles Menschenmögliche tun, um Ihren Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu gestalten. Was können wir in dieser Hinsicht für Sie tun?“

Ich fragte ihn, wann die Krise seiner Meinung nach denn vorüber sein würde.

Mr. Chambers musterte mich verständnislos. „›Krise‹? Was für eine Krise, Miß Baldwin? Vielleicht gibt es im Imperium eine Krise, weil es das Land für richtig gehalten hat, seine Grenzen zu schließen — aber doch gewiß nicht hier! Sehen Sie sich doch um! Haben Sie je ein Land gesehen, das von Frieden und Wohlstand so durchdrungen war?“

Ich gab ihm recht und stand auf, da eine weitere Auseinandersetzung sinnlos zu sein schien. „Vielen Dank, Mr. Chambers. Sie waren sehr nett.“

„Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Miß Baldwin. Service ist unsere Devise. Und vergessen Sie nicht: Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, was es auch sei, ich stehe zu Ihrer Verfügung.“

„Vielen Dank, ich werde daran denken. Äh … gibt es hier irgendwo im Haus ein öffentliches Terminal?

Ich habe vorhin ein Lotterielos gekauft, die Ziehung müßte jeden Augenblick beginnen.“

Er setzte ein breites Grinsen auf. „Meine Liebe Miß Baldwin, ich freue mich sehr über Ihre Frage! In diesem Stockwerk haben wir einen großen Konferenzraum. Jeden Freitag kurz vor der Ziehung wird die Arbeit unterbrochen, und unser gesamtes Personal — zumindest alle, die Lose besitzen; Teilnahme ist nicht Pflicht — kommt zusammen und verfolgt die Ziehung.

J. B. — das ist unser Präsident und Generaldirektor — der alte J. B. hat entschieden, daß es besser sei, dieAnordnung so zu treffen, als daß sich die Losbesitzer zu der Zeit heimlich und unter fadenscheinigen Vorwänden davonschleichen. Besser für die Moral. Gewinnt einer unserer Mitarbeiter etwas — so etwas kommt vor —, bekommt sie oder er einen hübschen Kuchen mit Glasur, wie zum Geburtstag, ein persönliches Geschenk des alten J. B. Er kommt dann aus seinem Büro und ißt zusammen mit dem Gewinner ein Stückchen davon.“

„Scheint mir hier ja eine einzige glückliche Familie zu sein.“

„O ja, das kann man wohl sagen! In unserer Firma gibt es Computerverbrechen nicht — im Gegensatz zu anderen Finanzinstituten. Alle lieben den alten J. B.“

Er blickte auf seine Finger. „Gehen wir ins Konferenzzimmer!“

Mr. Chambers sorgte dafür, daß wir VIP-Sitze erhielten, besorgte uns persönlich Kaffee und beschloß dann, sich ebenfalls zu setzen und die Ziehung zu verfolgen.

Der Schirm des Terminals nahm den größten Teil der Stirnseite des Raums ein. Eine Stunde lang schauten wir zu, wie kleinere Preise ausgelost wurden — eine Zeit, in der der Leiter der Sendung mit seinen Assistenten krampfhaft lustige Witze austauschte, vorwiegend über die körperlichen Vorzüge des Mädchens, welches die Papierstücke aus der Lostrommel fischte. Eindeutig war sie eben wegen dieser Vorzüge für diese Aufgabe bestimmt worden — Vorzüge, die wirklich augenfüllend waren und die durch ihre Bereitschaft zur Geltung kamen, ein Kostüm zu tragen, das nicht nur wenig zu raten übrig ließ, sondern dem Publikum außerdem klarmachte, daß sienichts zu verbergen hatte. Sie brauchte nur einen Arm in die Trommel zu schieben und das Los herauszuholen und trug dann praktisch nichts anderes als die Binde über ihren Augen. Es schien mir eine leichte, angenehme Arbeit zu sein, vorausgesetzt, das Studio war gut geheizt.

Zur Hälfte der Zeit gab es weiter vorn lautes Begeisterungsgeschrei; eine Angestellte von Master Charge hatte tausend Braune gewonnen. Chambers setzte ein breites Grinsen auf. „So etwas passiert nicht oft, aber wenn es geschieht, dann sind alle tagelang aufgeheitert. Gehen wir? Nein, Sie haben ja noch ein Los, das gewinnen kann, ja? Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, daß der Blitz zweimal hier einschlägt.“

Mit lautem Fanfarenschall erreichten wir endlich den großen Preis der Woche — den „Riesigen, Erstklassigen, All-kalifornischen Superpreis!!!“ Vorher aber zog das Mädchen mit der Gänsehaut zwei Ehrenpreise — ein Jahresvorrat Ukiah Gold mit Haschpfeife, und ein Abendessen mit dem großen Sensie-Star Bobby „Brutal“ Pizarro.

Dann zog sie das letzte Glückslos; der Zeremonienmeister las die Ziffern vor, die gleich darauf strahlend über seinem Kopf eingeblendet wurden. „Mr.

Zee!“ brüllte er. „Hat der Besitzer die Nummer registriert?“

„Einen Augenblick — nein, nicht registriert!“

„Dann haben wir ein Aschenputtel! Wir haben einen unbekannten Gewinner! Irgendwo lebt in unserer großen, wunderbaren Konföderation ein Mensch, der in diesem Augenblick um zweihunderttausend Braune reicher geworden ist! Schaut uns dieses Glückskind zu? Wird sie — oder er — uns anrufen und hier imFernsehen erscheinen können, ehe die Sendung vorbei ist? Oder wird sie morgen früh aufwachen und dann erst erfahren, daß sie reich ist? Da oben steht die Nummer, Leute! Sie bleibt dort stehen, bis die Sendung vorbei ist, dann wird sie mit jeder Nachrichtensendung wiederholt, bis das Glückskind seinen Preis beansprucht hat. Und jetzt eine Durchsage …“

„Freitag“, flüsterte Georges, „zeig mal dein Los!“

„Nicht nötig“, flüsterte ich zurück. „Es ist die Nummer.“

Mr. Chambers stand auf. „Die Show ist vorbei.

Nett, daß ein Mitglied unserer kleinen Familie etwas gewinnen konnte. Es war mir wirklich eine Freude Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Miß Baldwin und Mr. Karo — und melden Sie sich ruhig wieder bei mir wenn wir Ihnen helfen können.“

„Mr. Chambers“, sagte ich, „kann Master Charge dies für mich einlösen? Ich möchte es nicht persönlich tun.“

Mr. Chambers ist ein netter Mann, der zuweilen aber ein wenig langsam reagiert. Dreimal mußte er die Ziffern auf meinem Lotterielos mit den Ziffern vergleichen, die noch auf dem Bildschirm schimmerten, ehe er seinen Augen zu trauen wagte. Dann mußte Georges ihn davon abhalten, wie wild loszurennen, um Photographen zu holen, das Hauptquartier der Nationalen Lotterie anzurufen, ein Holovisions-Team anzufordern — nur gut, daß Georges ihn zurückhielt, denn ich hätte in diesem Augenblick vielleicht etwas rücksichtslos reagiert. Großgewachsene Männer, die auf meine Einwände nicht achten machen mich ärgerlich.

„Mr. Chambers!“ sagte Georges. „Haben Sie nichtgehört, was sie gesagt hat? Sie möchte den Gewinn nicht persönlich abholen. Keine Publicity.“

„Was? Aber die Gewinner sind doch immer in den Nachrichten zu sehen! Das ist reine Routine! Es dauert bestimmt nicht lange, wenn Ihnen das Sorgen macht — erinnern Sie sich an das Mädchen, das vorhin gewonnen hat? Im Augenblick wird sie bestimmt mit J. B. und ihrem Kuchen photographiert. Wir wollen sofort in sein Büro gehen und …“

„Georges“, sagte ich, „American Express.“

Georges reagiert nicht langsam — und ich hätte nichts dagegen, ihn zu heiraten, sollte Janet ihn jemals von der Leine lassen. „Mr. Chambers“, sagte er hastig, „wie lautet die Anschrift des San-JoséHauptbüros von American Express?“

Chambers hörte augenblicklich mit dem Gewirbel auf. „Was haben Sie da gefragt?“

„Können Sie mir die Adresse von American Express nennen? Miß Baldwin wird ihr Gewinnlos dort zum Einzug vorlegen. Ich werde unseren Besuch telefonisch ankündigen, um sicher zu sein, daß man dort begreift, welchen Wert wir als Bankkunden auf Diskretion legen.“

„Aber das können Sie doch nicht tun. Sie hat hier gewonnen.“

„Oh, wir können und wir werden. Sie hat nicht hier gewonnen. Sie war zufällig in diesem Gebäude, als an einem anderen Ort die Ziehung stattfand. Bitte gehen Sie uns aus dem Weg! Wir gehen.“

Dieselbe Vorstellung mußte dann noch einmal vor J. B. ablaufen. Er war ein würdevoller alter Knabe mit einer Zigarre im Mundwinkel und klebrigem weißen Zuckerguß an der Oberlippe. Er war nicht dumm undreagierte sofort, doch er war es gewöhnt, daß seine Wünsche erfüllt wurden, und Georges mußte wieder ziemlich laut von American Express anfangen, ehe ihm klar wurde, daß ich keinerlei Publicity dulden würde (mein Chef wäre in Ohnmacht gefallen!) und daß wir uns, um dieses Ziel zu erreichen, notfalls auch mit windigen Geldwechslern einlassen würden um seiner Firma aus dem Weg zu gehen.

„Aber Miß Bulgrin ist Kundin von Master Charge.“

„Nein“, widersprach ich. „Ich hatte auch gedacht daß ich Kundin von Master Charge wäre, aber Mr.

Chambers weigerte sich, meine Zahlungen anzuerkennen. Ich werde mir also ein Konto bei American Express einrichten. Ohne Photographen.“

„Chambers.“ Ein unheilvoller Ton schwang in seiner Stimme. „Was ist das für eine Geschichte?“

Chambers erläuterte, daß meine Kreditkarte von der Imperial-Bank von Saint Louis ausgestellt worden sei.

„Ein erstklassiges Haus“, bemerkte J. B. „Chambers. Stellen Sie ihr eine neue Karte aus! Auf uns! Sofort! Und lösen Sie das Gewinnlos für sie ein!“ Er sah mich an und nahm die Zigarre aus dem Mund. „Keine Publicity. Die Angelegenheiten der Kunden von Master Charge sind stets vertraulich zu behandeln.

Zufrieden, Miß Walgreen?“

„Durchaus, Sir.“

„Chambers, dann los!“

„Ja, Sir. Welches Kreditlimit, Sir?“

„In welchem Ausmaß benötigen Sie Kredit, Miß Belgien? Vielleicht sollte ich Sie bitten, in Kronen zu antworten — wie sieht Ihr Limit bei meinen Kollegen in Saint Louis aus?“

„Ich bin dort Goldkundin, Sir. Mein Konto wird stets in Goldwerten berechnet und nicht in Kronen; dafür gibt es ein spezielles doppeltes Konto. Könnten wir dieselbe Basis finden? Sie müssen verstehen, ich bin es nicht gewöhnt, in Braunen zu denken. Ich reise soviel, daß es mir leichter fällt, in Goldgrammwerten zu rechnen.“ (Einem Bankier in Weichwährungsländern mit Gold zu kommen, ist beinahe unfair; sofort vernebelt sich sein Denken.)

„Sie wollen in Gold zahlen?“

„Wenn ich darf. Mit Grammziehungen, 999er Feingold, auf die South Africa & Ceres AkzeptGesellschaft, Büro Luna City. Wäre das annehmbar?

Ich zahle normalerweise vierteljährlich — ich reise sehr viel —, aber ich kann SA&CA anweisen, das Konto monatlich auszugleichen, wenn Ihnen vierteljährlich nicht behagt.“

„Vierteljährlich ist in Ordnung.“ (Natürlich war es das — um so höher fallen die Zinsen aus.)

„Jetzt zur Kreditlinie … Offen gesagt, Sir, konzentriere ich meine finanziellen Abwicklungen grundsätzlich nicht zu sehr auf eine Bank oder ein Land.

Begrenzen wir die Sache auf einfache dreißig Kilogramm?“

„Wenn Sie wollen, Miß Bedlam. Sollten Sie jemals einen Erhöhungswunsch haben, brauchen Sie es uns nur zu sagen.“ Er fügte hinzu: „Chambers, Sie machen das!“

Wir kehrten gleich darauf in das Büro zurück, in dem mir eröffnet worden war, daß ich keinen Kredit hätte. Mr. Chambers legte mir ein Antragsformular vor. „Ich helfe Ihnen gern beim Ausfüllen, Miß.“

Ich ging die Eintragungen durch. Name der Eltern.Name der Großeltern. Ort und Datum der Geburt.

Adressen mit Hausnummern für die letzten fünfzehn Jahre. Derzeitiger Arbeitgeber. Letzter Arbeitgeber.

Grund für den Wechsel aus der letzten Stellung. Derzeitiges Einkommen. Bankkonten. Drei Referenzen von Personen, die einen mindestens zehn Jahre lang kennen. Haben Sie jemals Bankrott oder Vergleich angemeldet, oder waren Sie Direktor oder Geschäftsführer einer Firma oder Sozietät, die nach Paragraph 13 des Öffentlichen Gesetzes 97 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch der Kalifornischen Konföderation eine Umorganisation beantragen mußte? Sind Sie je angeklagt gewesen zu folgenden Straftatbeständen …

„Freitag. Das wär’s.“

„Wollte ich auch schon sagen.“ Ich stand auf.

„Leben Sie wohl, Mr. Chambers“, sagte Georges.

„Stimmt etwas nicht?“

„Aber gewiß doch. Ihr Chef hat Ihnen den Auftrag gegeben, Miß Baldwin eine Goldkreditkarte auf ein Limit von dreißig Kilogramm auszustellen, Feingold wohlgemerkt. Er hat Sie nicht angewiesen, Ihre Kundin einem unverschämten Quiz zu unterwerfen.“

„Aber dies ist nur eine Routinevoraussetzung …“

„Egal. Sie brauchen J. B. nur zu sagen, daß Sie die Sache ein zweitesmal in den Sand gesetzt haben.“

Unser Mr. Chambers lief hellgrün an. „Bitte setzen Sie sich!“

Zehn Minuten später gingen wir. Ich war im Besitz einer brandneuen goldfarbenen Kreditkarte, die überall gelten würde (so hoffte ich). Im Austausch dafür hatte ich meine Postfachnummer in Saint Louis die Anschrift eines nahen Verwandten (Janet) und meine Kontonummer in Luna City hinterlegt, außer-dem die schriftliche Anweisung, SA&CA vierteljährlich für meinen Sollsaldo eine Rechnung auszustellen.

Ferner verfügte ich über einen annehmbaren Stapel Braun- und Kronen-Noten und eine Empfangsquittung für mein Lotterielos.

Wir verließen das Gebäude, gingen um die Ecke zum Nationalplatz, suchten uns eine Bank und nahmen Platz. Es war eben achtzehn Uhr geworden und schon angenehm kühl, obwohl die Sonne noch hoch über den Santa Cruz-Bergen stand.

„Liebste Freitag, wie sehen deine Wünsche jetzt aus?“ fragte Georges.

„Ich möchte nichts anderes, als einen Augenblick lang hier sitzen und meine Gedanken sammeln. Dann sollte ich dir einen Drink spendieren. Ich habe in der Lotterie gewonnen. Das muß doch mit einem Drink gefeiert werden. Mindestens.“

„Mindestens“, sagte er. „Du hast zweihunderttausend Braune gewonnen und dafür … zwanzig Braune eingesetzt?“

„Einen Dollar“, sagte ich. „Den Rest durfte sie als Trinkgeld behalten.“

„Na, das kommt ungefähr hin. Du hast also etwa achttausend Dollar gewonnen.“

„Siebentausendvierhundertundsieben Dollar und ein paar Zerquetschte.“

„Kein Vermögen, aber eine ganz ansehnliche Summe.“

„Recht ansehnlich“, sagte ich, „für eine Frau, die noch beim Aufstehen voll und ganz auf die Güte ihrer Freunde angewiesen war. Es sei denn, ich hätte noch weitere Vorteile errungen durch mein ›ganz ordentliches‹ Abschneiden letzte Nacht.“

„Mein Bruder Ian würde dir für eine solche Bemerkung eins aufs Maul geben. Ich wollte hinzufügen daß siebentausendvierhundert zwar eine ansehnliche Summe sind, daß mich aber noch mehr die Tatsache beeindruckt, wie du ohne Vermögenswerte außer dem Los eine konservative Kreditkartenbank dazu gebracht hast, dir ein offenes Konto im Betrag von einer Million Dollar, gerechnet in Gold, einzuräumen.

Wie hast du das angestellt, meine Liebe? Du hast nicht mal mit dem Hintern gewackelt. Und auch nicht mit heiserer Stimme gesprochen.“

„Aber Georges, du warst es doch, der die Leute dazu gebracht hat, mir die Karte auszustellen!“

„Das glaube ich nicht. Gewiß, ich habe versucht dich in deiner kleinen Rolle zu unterstützen — aber du hast jeden Schachzug von dir aus eingeleitet.“

„Aber nicht die Reaktion auf den schrecklichen Fragebogen! Aus der Klemme hast du mich herausgeholt.“

„Oh. Dieser Dummkopf hatte kein Recht, dich weiter auszuquetschen. Sein Chef hatte ihn bereits angewiesen, dir die Karte auszustellen.“

„Du hast mich gerettet. Ich stand im Begriff, die Nerven zu verlieren. Georges — liebster Georges! — ich weiß, du hast mir gesagt, ich solle mir über meine Existenz keine unnötigen Gedanken machen — und ich gebe mir auch größte Mühe, ehrlich! Aber vor einem Formular zu sitzen, das alles über meine Eltern und Großeltern wissen will — das ist niederschmetternd!“

„Über Nacht legt man alte Angewohnheiten nicht ab. Wir werden weiter daran arbeiten. In der Frage wie groß das Kreditlimit sein soll, hast du die Nervendagegen nicht verloren.“

„Oh. Ich habe mal jemanden sagen hören …“ — es war mein Chef —, „daß es viel leichter sei, sich eine Million auszuleihen als nur lausige zehn Kronen.

Und als man mich fragte, nannte ich diese Summe. In Brit-Kan-Dollars ist es nicht ganz eine Million. Neunhundertvierundsechzigtausend, so ungefähr.“

„Ich will es gar nicht so genau wissen. Als wir die neunhunderttausend überschritten, wurde mir der Sauerstoff knapp. Du ›ordentliches‹ Weib du, weißt du, was ein Professor als Gehalt bekommt?“

„Kommt es darauf an? Soweit ich die Branche kenne, kann der erfolgreiche Entwurf eines Lebendigen Artefakts Millionen bringen. Womöglich sogar Millionen Gramm und nicht Dollars. Hast du erfolgreiche Entwürfe abgeliefert? Oder ist das eine aufdringliche Frage?“

„Wechseln wir das Thema! Wo schlafen wir heute?“

„Wir könnten es in vierzig Minuten bis San Diego schaffen. Oder in fünfunddreißig bis Las Vegas. Beide Orte haben Vor- und Nachteile, wenn man sie unter dem Aspekt sieht: wie komme ich ins Imperium? Wo ich jetzt genug Geld habe, Georges, werde ich mich melden, egal wie viele Fanatiker wichtige Persönlichkeiten ermorden. Aber ich verspreche dir auf Ehrenwort, Winnipeg zu besuchen, sobald ich ein paar Tage Urlaub habe.“

„Vielleicht ist es mir noch immer nicht möglich nach Winnipeg zurückzukehren.“

„Oder ich besuche dich in Montréal. Hör mal, mein Lieber! Wir tauschen alle Adressen, die wir haben; ich werde den Kontakt mit dir schon nicht verlieren. Duversicherst mir nicht nur, daß ich ein Mensch bin, du sagst mir sogar, daß ich ›ganz ordentlich‹ bin — du bist gut für meine Moral. Jetzt triff deine Entscheidung, denn ich mache beides mit: San Diego und Spanglisch reden, oder Vegas, wo’s die hübschen nackten Mädchen anzuschauen gibt!“

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