21. Kapitel

Ich erwachte nach einem kurzen Schlaf, den ich damit verbrachte, auf einer Auktionsplattform zu stehen und darauf zu warten, daß ich verkauft wurde. Mein Erwachen ging auf die Interessenten zurück, die immer wieder meine Zähne anschauen wollten, bis ich schließlich einen biß und der Auktionator mir die Peitsche zu schmecken gab, was mich hochschrecken ließ. Das Bellingham-Hilton bot einen sehr beruhigenden Anblick.

Dann machte ich den Anruf, den ich zuerst hätte erledigen sollen. Die anderen Anrufe aber waren ohnehin unumgänglich gewesen, dieser Anruf aber war zu teuer und wäre überflüssig gewesen, wenn das letzte Gespräch etwas erbracht hätte. Außerdem spreche ich nicht gern mit dem Mond; die Zeitverzögerung empfinde ich als sehr störend.

Ich rief die South Africa & Ceres AkzeptGesellschaft an, die Bank, die der Chef benutzt — vermutlich eine von mehreren. Dieses Institut aber kümmerte sich um mein Vermögen und bezahlte meine Rechnungen. Nach dem üblichen Hin und Her mit den synthetischen Stimmen, die mir noch absichtlicher alles zu verzögern schienen, weil diesmal die Entfernung eine gewisse Stockung auslöste, wurde ich schließlich zu einem Menschen durchgestellt einer attraktiven Frau, die nach meiner Auffassung als dekorative Empfangsdame eingestellt worden war — die Schwerkraft von einem Sechstel ist viel wirksamer als jeder Büstenhalter. Ich bat sie, mich mit einem der Verantwortlichen zu verbinden.„Sie sprechen mit einer Vizepräsidentin“, antwortete sie. „Es ist Ihnen gelungen, unseren Computer davon zu überzeugen, daß Sie von einem zuständigen Mitarbeiter bedient werden sollten. Das ist eine bemerkenswerte Leistung; unser Computer ist sehr stur. Was kann ich für Sie tun?“

Ich tischte ihr einen Teil meiner unglaublich klingenden Geschichte auf. „Ich brauchte also zwei Wochen, um ins Imperium einzudringen, und als mir das gelungen war, stellten sich alle Kontakt-Kodes als gesperrt heraus. Kann die Bank mir einen anderen Komm-Kode oder vielleicht eine neue Anschrift nennen?“

„Wir schauen nach. Wie heißt die Firma, für die Sie arbeiten?“

„Sie hat mehrere Namen. Einer ist System Enterprises.“

„Wie heißt Ihr Chef?“

„Er hat keinen Namen. Er ist nicht mehr jung, untersetzt, hat nur noch ein Auge und bewegt sich langsam auf zwei Krücken. Kommen wir damit weiter?“

„Das werden wir sehen. Sie haben mir eben gesagt wir bezahlten Ihre Master-Charge-Kreditkarte, die durch die Imperial-Bank von Saint Louis ausgegeben worden sei. Lesen Sie mir bitte langsam die Nummer der Karte vor.“

Ich kam der Aufforderung nach. „Wollen Sie sie auch photographieren?“

„Nein. Nennen Sie mir ein Datum.“

„Zehn-sechsundsechzig.“

„Vierzehn-zweiundneunzig“, antwortete sie.

„Viertausendundvier vor Christus“, stimmte ich zu.„Siebenzehn-sechsundsiebzig“, gab sie zurück.

„Zweitausendundzwölf“, konterte ich.

„Sie haben einen ziemlich verqueren Humor, Miß Baldwin. In Ordnung, vorläufig gehen wir davon aus daß Sie sind, was zu sein Sie vorgeben. Wenn Sie es aber nicht sind, möchte ich schon jetzt mit Ihnen wetten, daß Sie den nächsten Kontrollpunkt nicht überleben. Mr. Doppelkrücke hat etwas gegen ungebetene Eindringlinge. Notieren Sie sich folgenden Komm-Kode. Dann lesen Sie ihn mir noch einmal vor.“

Ich gehorchte.

Eine Stunde später fuhr ich in San José am Palast der Konföderation vorbei, um mich wieder einmal zum Gebäude der California Commerce Bank zu begeben, entschlossen, mich diesmal vor dem Palast nicht in irgendwelche Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen, egal, was für Attentatsversuche dort ablaufen mochten. Ich machte mir Gedanken über die Tatsache, daß ich mich genau dort befand wo ich schon einmal vor … äh … zwei Wochen gewesen war. Sollte ich von diesem Punkt aus wieder nach Vicksburg geschickt werden, mochte ich den Verstand verlieren.

Im Bankgebäude war aber nicht die MasterCharge-Organisation mein Ziel, sondern eine Anwaltsfirma in einem anderen Stockwerk; ich hatte dort angerufen, nachdem mir ihr Komm-Kode vom Mond durchgegeben worden war. Eben hatte ich die Ecke des Gebäudes erreicht, als dicht neben mir eine Stimme sagte: „Miß Freitag.“

Hastig sah ich mich um. Eine Frau in der gelben Uniform einer Taxifahrerin …Ich schaute noch einmal hin. „Goldie!“

„Sie haben ein Taxi bestellt, Miß? Über den Platz und die Straße hinab. Wir dürfen hier nicht parken.“

Gemeinsam gingen wir über den Platz. Ich wollte begeistert losreden, aber Goldie brachte mich zum Schweigen. „Benimm dich bitte wie ein Taxigast! Der große Boß möchte, daß wir nicht auffallen.“

„Warum nennst du mich ›Miß‹?“

„Das ist besser so. Im Augenblick wird sehr auf Disziplin geachtet. Daß ich dich aufgreifen darf, geht auf eine Sondererlaubnis zurück, die nie ausgesprochen worden wäre, wenn ich nicht hätte klarmachen können, daß ich dich ohne Kennworte klar identifizieren kann.“

„Nun ja. Na schön. Aber sag bloß nicht ›Miß‹ zu mir, wenn es nicht unbedingt sein muß. Meine Güte liebste Goldie, ich freue mich so sehr über deinen Anblick, daß ich weinen könnte!“

„Ich auch. Zumal du erst diesen Montag tot gemeldet worden bist. Da habe ich wirklich geweint. Mehrere andere auch.“

„›Tot‹? Ich? Ich bin dem Tod nicht einmal nahe gewesen, nirgendwo. Ich erinnere mich an keine Gefahren. Ich bin lediglich herumgeirrt. Und jetzt hat man mich aufgespürt.“

„Das freut mich.“

Zehn Minuten später wurde ich in das Büro des Chefs geführt. „Freitag meldet sich zum Dienst, Sir“ sagte ich.

„Sie kommen spät.“

„Ich habe ’ne hübsche Rundtour gemacht, Sir. Mit dem Ausflugsdampfer auf dem Mississippi.“

„Das hatte ich schon vernommen. Sie scheinen die einzige Überlebende zu sein. Ich meinte aber eben daß Sie heute spät dran sind. Sie überquerten die Grenze nach Kalifornien um zwölf-null-fünf. Jetzt ist es siebzehn-zweiundzwanzig.“

„Verdammt, Chef, ich hatte Probleme!“

„Von Kurieren wird erwartet, daß sie sich solchen Problemen entziehen und auf jeden Fall schnell vorankommen.“

„Verdammt, Chef, ich war nicht im Dienst, ich war kein Kurier. Ich war noch immer im Urlaub; es steht Ihnen nicht zu, mich zu tadeln! Wären Sie nicht umgezogen, ohne mich zu verständigen, hätte es nicht den geringsten Ärger gegeben. Ich war vor zwei Wochen schon mal hier in San José, einen Steinwurf von hier entfernt.“

„Dreizehn Tage ist das jetzt her.“

„Chef, Sie stellen sich nur deswegen haarspalterisch an, weil sie nicht zugeben wollen, daß Sie Schuld haben, nicht ich.“

„Nun ja, ich nehme die Schuld auf mich, wenn man überhaupt davon sprechen kann — aber nur damit wir nicht weiter herumstreiten und Zeit verschwenden.

Ich hatte alles Nötige veranlaßt, Sie zu verständigen nicht nur die Routinenachricht, die den anderen Einsatzagenten zuging welche sich nicht gerade im Hauptquartier aufhielten. Tut mir leid, daß dieser besondere Aufwand nichts gefruchtet hat. Freitag, wie kann ich Sie davon überzeugen, daß Sie einzigartig sind und meine Organisation Sie nicht verlieren möchte? In Erwartung der Ereignisse, die später als ›Roter Donnerstag‹ bezeichnet wurden …“

„Chef! Hatten wir damit zu tun?“ Ich war entsetzt.„Wie kommen Sie nur auf eine solche obszöne Idee? Nein. Unsere Informations-Abteilung projizierte eine solche Entwicklung — teils aus Daten, die Sie uns von L-5 geliefert haben —, woraufhin wir Vorsichtsmaßnahmen einleiteten, rechtzeitig wie wir annahmen. Die ersten Angriffe aber fanden früher statt als es unsere pessimistischsten Projektionen vorgesehen hatten. Am Beginn des Roten Donnerstags waren wir noch immer mit unserem Gepäck beschäftigt; wir mußten uns einen Weg über die Grenze bahnen. Mit Bestechung, nicht mit Gewalt. Die Benachrichtigung über den Adressenwechsel und der Komm-Kodes waren schon hinausgegangen, aber erst als wir hier waren und unsere Komm-Zentrale funktionsbereit war, erfuhr ich, daß von Ihnen die Routinebestätigung noch nicht eingetroffen war.“

„Aus dem einfachen Grund, weil ich die Routinebenachrichtigung nicht bekommen hatte!“

„Bitte! Als ich erfuhr, daß Sie sich nicht gemeldet hatten, versuchte ich Sie zu Hause in Neuseeland anzurufen. Sie wissen vielleicht, daß es eine Unterbrechung der Satellitenverbindungen gab …“

„Ich habe davon gehört.“

„Genau. Ich bekam den Anruf etwa zweiunddreißig Stunden später durch. Ich sprach mit Mrs. Davidson, einer etwa vierzig Jahre alten Frau mit ziemlich spitzen Gesichtszügen. Die Seniorfrau Ihrer SGruppe?“

„Ja. Anita. Oberste Scharfrichterin und sonst auch alles.“

„Den Eindruck hatte ich auch. Außerdem gewann ich den Eindruck, daß Sie dort persona non grata waren.“

„Sicher war das mehr als nur ein Eindruck. Sprechen Sie weiter, Chef! Was hat der alte Drachen über mich vom Stapel gelassen?“

„Beinahe nichts. Sie hätten die Familie recht plötzlich verlassen. Nein, Sie hätten keine Nachsendeanschrift und auch keinen Komm-Kode angegeben.

Nein, sie würde keine Nachricht entgegennehmen und auch keine weiterleiten. Sie habe viel zu tun; Marjorie habe der Familie ein scheußliches Durcheinander hinterlassen. Leben Sie wohl.“

„Boß, sie hatte Ihre Anschrift im Imperium. Sie kannte außerdem die Anschrift der SA&CA in Luna City, weil ich von dort meine monatlichen Zahlungen an die Familie leistete.“

„Das reimte ich mir so etwa zusammen. Mein Vertreter in Neuseeland …“ — das erstemal, daß ich von ihm erfuhr! — „verschaffte mir die Büroanschrift des Senior-Mannes Ihrer S-Gruppe, eines gewissen Brian Davidson. Er war höflicher und in gewisser Weise auch hilfsbereiter. Von ihm erfuhren wir, mit welchem Shuttle Sie von Christchurch abgeflogen waren.

Das wiederum führte zur Passagierliste der SBR, mit der Sie von Auckland nach Winnipeg flogen. Dort verloren wir Sie für kurze Zeit, bis mein dortiger Agent feststellte, daß Sie den Hafen in der Begleitung des Captain der SBR verlassen hatten. Als wir mit ihm sprachen — Captain Tormey —, zeigte er sich hilfsbereit, aber Sie waren bereits abgereist. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir Captain Tormey diesen Gefallen zurückzahlen konnten. Interne Informationen versetzten uns in die Lage, ihm Bescheid zu geben, daß er und seine Frau in Kürze durch die örtliche Polizei verhaftet werden sollten.“

„Um Himmels willen! Weshalb denn?“

„Nach außen hin geht es um die Beschuldigung einen feindlichen Ausländer bei sich aufgenommen zu haben. Außerdem sollen die beiden während des amtlichen Notstands eine unregistrierte Bürgerin des Imperiums bei sich beherbergt haben. Im Grund interessiert sich das Revier Winnipeg der Ortspolizei aber nicht für Sie oder Dr. Perreault; das ist nur ein Vorwand, um die Tormeys festzusetzen. Man fahndet nach ihnen wegen einer weitaus schlimmeren Sache die aber noch nicht offiziell zur Anklage reif ist. Ein gewisser Lieutenant Melvin Dickey wird vermißt.

Das letzte war seine mündliche Äußerung im PolizeiHQ er wolle jetzt Tormeys Haus aufsuchen, um Dr.

Perreault abzuholen. Man vermutet ein Verbrechen.“

„Aber das ist doch kein Beweis gegen Jan und Ian!

Das sind die Tormeys.“

„Richtig. Deshalb will die Provinzpolizei die beiden ja auch wegen der unwichtigeren Beschuldigung festnehmen. Das ist noch nicht alles. Lieutenant Dikkeys AAF stürzte in der Nähe von Fargo im Imperium ab. Niemand saß darin. Die Polizei legt großen Wert darauf, das Wrack auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Möglicherweise sind die Beamten in diesem Augenblick schon dabei da den Nachrichten zufolge die gemeinsame Grenze zwischen dem ChicagoImperium und Britisch-Kanada vor etwa einer Stunde wieder geöffnet wurde.“

„Oh, mein Gott!“

„Beherrschen Sie sich! An den Kontrollen des AAF befanden sich tatsächlich Fingerabdrücke, die nicht Lieutenant Dickey gehörten. Sie entsprachen Captain Tormeys Abdrücken, wie sie im Archiv von ANZACSkyways enthalten waren. Bitte beachten Sie, daß ich in der Vergangenheitsform gesprochen habe; die Abdrücke waren dort, sie sind dort aber nicht mehr auszumachen. Freitag, obwohl ich es für geraten hielt unser Aktionszentrum aus dem Imperium zu nehmen, bin ich dort nach den vielen Jahren meiner Tätigkeit nicht ohne Kontakte. Und nicht ohne Agenten.

Es gibt viele Leute, die mir einen Gefallen schuldig sind. Jetzt befinden sich keine Abdrücke in dem Wrack, die auf Captain Tormey hindeuten, sondern Abdrücke vieler anderer lebender und toter Verursacher.“

„Chef, dürfte ich Ihnen die Füße küssen?“

„Halten Sie sich zurück. Ich habe dies nicht getan um die Britisch-Kanadische Polizei zu ärgern. Mein Einsatzagent in Winnipeg verfügt nicht nur über unsere normale Ausbildung sondern ist darüber hinaus klinisch geschulter Psychologe. Seiner fachlichen Meinung nach sind sowohl Captain Tormey als auch seine Frau in der Lage, in Notwehr zu töten, doch müßte schon eine schlimme Notlage eingetreten sein um sie dazu zu bringen, einen Polizisten zu beseitigen. Dr. Perreault scheint mir nach seiner Einschätzung noch weniger geneigt, gewaltsame Lösungen anzustreben.“

„Ich habe ihn umgebracht.“

„Das hatte ich schon vermutet. Andere Erklärungen paßten nicht zu den vorhandenen Daten. Möchten Sie darüber sprechen? Geht es mich irgend etwas an?“

„Hmm, ich glaube nicht. Außer daß Sie die Sache an sich zogen, als Sie die belastenden Fingerabdrücke verschwinden ließen. Ich brachte den Mann um, weiler Janet, Janet Tormey, mit der Waffe bedrohte. Natürlich hätte ich ihn lediglich entwaffnen können; ich hätte Zeit gehabt, den Schlag abzuschwächen. Aber ich wollte ihn töten und tat es.“

„Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie sich jemals damit begnügten, einen Polizisten zu verwunden. Ein verwundeter Polizist ist gefährlicher als ein angeschossener Löwe. Ich hatte die Vorgänge in etwa so rekonstruiert, außer daß ich annahm, Sie wollten Dr.

Perreault schützen — da Sie ihn für einen annehmbaren Ersatz-Mann zu halten schienen.“

„Das ist er durchaus. Durchgedreht bin ich aber beim Anblick des verrückten Idioten, der Janets Leben in Gefahr brachte. Chef, bis zu dem Augenblick wußte ich nicht, daß ich Janet liebte. Ich hatte keine Ahnung, daß ich überhaupt so intensiv für eine Frau empfinden konnte. Sie wissen mehr über meinen Entwurf, das haben Sie jedenfalls angedeutet. Ist mein Drüsensystem durcheinander?“

„Ich weiß so einiges über Ihren Entwurf, werde aber auf keinen Fall mit Ihnen darüber sprechen; das sind Informationen, die Sie nicht zu besitzen brauchen. Ihr Hormonsystem ist nicht mehr durcheinander als bei jedem gesunden Menschen — insbesondere haben Sie kein überflüssiges Y-Chromosom. Alle normalen Menschen sind da mehr aus dem Gleichgewicht mit ihren Drüsen. Die Rasse ist in zwei Hälften gespalten: in die, die es wissen, und in die, die keine Ahnung haben. Hören Sie mit dem dummen Gerede auf; das steht einem Genie nicht!“

„Oh, jetzt bin ich also auch noch ein Genie. Na ganz toll, Chef!“

„Kommen Sie mir nicht so! Sie sind ein Supergenie,haben Ihre volle Leistungsfähigkeit aber bei weitem noch nicht erkannt. Genies und Supergenies schaffen sich im Hinblick auf den Sex wie auf alles andere ihre eigenen Regeln; sie richten sich nicht nach der Hackordnung der ihnen Unterlegenen. Kehren wir zum Thema zurück! Ist es denkbar, daß der Tote gefunden wird?“

„Ich würde hoch dagegen wetten.“

„Hat es Sinn, mit mir darüber zu sprechen?“

„Hm, ich glaube nicht.“

„Dann muß ich das auch nicht wissen und werde davon ausgehen, daß die Tormeys unbedenklich nach Hause zurückkehren können, sobald die Polizei zu dem Schluß kommt, daß sie die Tat nicht nachweisen kann. Zwar ist dazu die Leiche nicht erforderlich doch ist dann die Anklage viel schwerer auf eine sichere Grundlage zu stellen. Würden die Tormeys verhaftet, könnte ein guter Anwalt sie in fünf Minuten wieder herausholen — und ich kann Ihnen versichern, daß Sie einen sehr guten Anwalt haben würden. Sie werden sich außerdem freuen zu erfahren daß Sie den beiden bei der Flucht außer Landes geholfen haben.“

„Ach, wirklich?“

„Sie und Dr. Perreault. Indem Sie Britisch-Kanada als Captain Tormey und Frau verlassen haben, indem sie die Kreditkarten der beiden benutzten und auf ihren Namen Anträge auf Touristenvisas stellten. Sie beide hinterließen eine Spur, die ›beweist‹, daß die Tormeys unmittelbar nach Lieutenant Dickeys Verschwinden aus dem Land flohen. Das klappte so gut daß die Polizei mehrere Tage damit verschwendete die Verdächtigen in der Kalifornischen Konföderationaufzuspüren — ihren Mangel an Erfolg schrieb sie natürlich der Unfähigkeit der konföderierten Kollegen zu. Es überrascht mich allerdings ein wenig, daß die Tormeys nicht bei sich zu Hause verhaftet wurden, da mein Agent keine große Mühe hatte, dort mit ihnen zu sprechen.“

(Mich überrascht es nicht. Wenn ein Bulle erscheint — husch! Hinab ins Loch! Stellt es sich heraus, daß da kein Bulle geklingelt hat und daß der Mann sich Ian gegenüber als einwandfrei ausweisen kann …) „Chef, hat Ihr Winnipeg-Agent meinen Namen genannt? ›Marjorie Baldwin‹, meine ich.“

„Ja. Ohne diesen Namen und ein Bild von Ihnen hätte Mrs. Tormey ihn auf keinen Fall hereingelassen.

Ohne die Tormeys hätten mir wichtige Daten gefehlt die mir halfen, Sie auf Ihrem ziemlich gewundenen Weg aufzuspüren. Wir halfen uns gegenseitig. Die Tormeys halfen Ihnen bei der Flucht; ich verhalf ihnen zur Flucht, nachdem ich — mein Agent vor Ort — ihnen mitgeteilt hatte, daß die Polizei aktiv nach ihnen fahndete. Ein schönes Ende.“

„Wie haben Sie sie herausgeholt?“

„Hm, nein.“ (Wann lerne ich das endlich? Hätte der Chef mir seine Methoden auf die Nase binden wollen wäre er bestimmt darauf zu sprechen gekommen.

„Schon manche Achtlosigkeit hat Schiffe versenkt.“

Das gilt aber nicht in der Umgebung meines Chefs.)

Der Chef verließ seinen Platz hinter dem Tisch — und versetzte mir einen Schock. Normalerweise bewegt er sich nicht oft, und in seinem alten Büro stand das stets gegenwärtige Teeservice in Reichweite am Tisch. Jetzt aber rollte er hervor. Krücken waren nicht mehr zu sehen. Er saß in einem angetriebenen Roll-stuhl. Er steuerte das Gefährt zu einem Sideboard und begann am Teegeschirr herumzufummeln.

Ich stand auf. „Soll ich eingießen?“

„Vielen Dank, Freitag. Ja gern.“ Er drehte sich vom Teetisch fort und kehrte hinter den Schreibtisch zurück. Ich machte weiter, was dazu führte, daß ich ihm den Rücken zuwandte — und genau das brauchte ich im Augenblick.

Es besteht kein Grund, schockiert zu sein, wenn ein Behinderter sich entschließt, die Krücken fortzutun und sich einem Rollstuhl anzuvertrauen — das ist eine ganz nützliche Veränderung. Nur handelte es sich hier um meinen Chef. Wären die Ägypter rings um Gizeh eines Morgens aufgewacht und hätten die Pyramiden herumgedreht und die Sphinx mit einer neuen Nase vorgefunden, wären sie auch nicht schockierter gewesen als ich in diesem Moment. Von einigen Dingen — und Menschen — erwartet man einfach nicht, daß sie sich verändern.

Als ich ihm den Tee serviert hatte — mit warmer Milch und zwei Stücken Zucker — und mir die Tasse zurechtgemacht hatte, setzte ich mich wieder. Ich hatte meine Fassung zurückgewonnen. Der Chef setzt im Dienst stets die neueste Technik ein und stützt sich andererseits auf altmodische Angewohnheiten; ich habe bisher noch nicht erlebt, daß er eine Frau gebeten hat, ihn zu bedienen, doch wenn eine Frau zugegen ist und sich erbietet, den Tee einzugießen, kann man sich darauf verlassen, daß er höflich zustimmt und eine kleine Zeremonie daraus macht.

Er plauderte über andere Dinge, bis wir eine Tasse ausgetrunken hatten. Ich schenkte ihm nach, ohne mir selbst noch etwas zu nehmen; er kam zum Ge-schäft. „Freitag, Sie haben so oft Namen und Kreditkarten gewechselt, daß wir immer um einen Schritt zu spät kamen. Vielleicht hätten wir Ihnen gar nicht bis Vicksburg folgen können, wenn nicht Ihr Weg schon erkennen hätte lassen, wie Ihr Plan aussehen mochte. Obwohl es nicht zu meinen Übungen gehört mich bei einem Agenten einzumischen, egal wie eng sie oder er überwacht wird, hätte ich Sie vielleicht von der Expedition auf dem Fluß abgebracht — denn ich wußte, daß die Schiffe zum Untergang verurteilt waren.“

„Chef, was war das für eine Expedition? Die offiziellen Erklärungen kamen mir gleich sehr merkwürdig vor.“

„Ein Staatsstreich. Sehr ungeschickt eingefädelt.

Das Imperium hat in zwei Wochen drei Vorsitzende gehabt — und der gegenwärtige Titelträger ist nicht besser und dürfte sich auch nicht länger halten. Freitag, eine gut organisierte Tyrannei ist für meine Arbeit eine bessere Grundlage als jede Art der freien Regierung. Eine gut organisierte Tyrannei ist aber etwa so selten wie eine funktionierende Demokratie.

Um auf die Hauptsache zurückzukommen — Sie sind uns in Vicksburg nur deshalb entwischt, weil Sie ohne Zögern gehandelt haben. Ehe unser VicksburgAgent erfuhr, daß Sie sich verpflichtet hatten, waren Sie schon an Bord des Operettendampfers entschwunden. Ich habe mich über ihn sehr geärgert.

Und zwar so sehr, daß ich ihn noch nicht bestraft habe. Ich muß meine Zeit abwarten.“

„Für Disziplinarmaßnahmen besteht kein Anlaß Chef. Ich habe schnell reagiert. Wenn er sich nicht dicht hinter mir gehalten hätte — was mir immer auf-fällt und entsprechend geahndet wird —, hätte er auf keinen Fall mit mir Schritt halten können.“

„Ja, ja, ich kenne Ihre Methoden. Aber Sie können sich wohl vorstellen, daß ich ziemlich verärgert war als mir gemeldet wurde, daß unser Mann in Vicksburg Sie tatsächlich vor Augen hatte — und vierundzwanzig Stunden später melden muß, daß Sie tot sind.“

„Mag sein, mag nicht sein. Vor einiger Zeit rückte mir ein Mann zu dicht auf die Pelle, als ich gerade in Nairobi ankam — er bedrängte mich irgendwie, und da tat er seinen letzten Atemzug. Wenn Sie mich mal wieder beschatten lassen, sollten Sie Ihre Agenten lieber warnen.“

„Normalerweise lasse ich Sie nicht bewachen Freitag. Bei Ihnen ist eine punktuelle Überwachung angebracht. Zum Glück für uns alle sind Sie ja nicht bei den Toten geblieben. Die Terminals meiner Kontaktagenten in Saint Louis werden zwar ausnahmslos von der Regierung überwacht, doch sind sie mir noch zu etwas nütze. Als Sie sich zu melden versuchten dreimal, ohne erwischt zu werden, erfuhr ich sofort davon und schloß, daß Sie dahinterstecken müßten.

Als Sie Fargo erreichten, erhielt ich Gewißheit.“

„Von wem in Fargo? Dem Mann mit den Dokumenten?“

Der Chef tat, als hätte er meine Worte nicht gehört.

„Freitag, ich muß wieder an die Arbeit. Berichten Sie zu Ende! Aber kurz.“

„Jawohl, Sir. Ich verließ das Ausflugsboot, als wir das Imperium erreicht hatten, begab mich nach Saint Louis, stellte fest, daß Ihre Kontakt-Kodes angezapft waren, verschwand, besuchte Fargo, wie Sie bemerkthaben, wechselte sechsundzwanzig Kilometer östlich von Pembina nach Britisch-Kanada hinüber, reiste nach Winnipeg und heute nach Vancouver und Bellingham, dann meldete ich mich hier bei Ihnen.“

„Irgendwelche Probleme?“

„Nein, Sir.“

„Irgendwelche neuen Aspekte, die aus beruflicher Sicht von Interesse wären?“

„Nein, Sir.“

„Dann erstellen Sie nach Belieben einen ausführlichen Bericht zur Analyse durch unsere Fachleute.

Dabei können Sie Tatsachen, die Sie nicht weitergeben dürfen, ohne weiteres für sich behalten. Ich lasse Sie irgendwann in den nächsten zwei oder drei Wochen wieder zu mir kommen. Morgen früh beginnt für Sie der Unterricht. Null-neunhundert.“

„Wie bitte?“

„Knurren Sie nicht so; das ist bei einer jungen Frau nicht sehr angenehm. Freitag, Sie haben bisher zufriedenstellende Arbeit geleistet, aber es wird Zeit daß Sie sich Ihrer wahren Berufung zuwenden. Ihrer wahren Berufung in diesem Stadium, sollte ich eher sagen. Sie sind bedauernswert unwissend. Das werden wir ändern. Morgen um neun Uhr.“

„Ja, Sir.“ (Soso, unwissend? Arroganter alter Schweinehund! Und wie sehr ich mich freute, ihn wiederzusehen! Der Rollstuhl aber machte mir zu schaffen.)

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