25. Kapitel

Las Vegas ist ein Zirkus mit drei Manegen, in dem es leicht fällt, sich einen Kater zuzulegen.

Eine Zeitlang hatte ich Spaß an dem Treiben. Aber wenn man alle Shows gesehen hat, erreicht man einen Punkt, da einem all die Lichter und die Musik und der Lärm und das hektische Durcheinander zuviel werden. Vier Tage waren mehr als genug.

Wir erreichten Vegas gegen zehn Uhr, nachdem wir erst sehr spät losgekommen waren, denn jeder von uns hatte noch geschäftliche Dinge zu erledigen — außer mir mußten alle ihre Arrangements hinsichtlich der Legate aus dem Nachlaß des Chefs treffen, und ich mußte meine Abfindungs-Ziehung bei Master Charge vorlegen. Jedenfalls war das meine Absicht.

Die ich aber schnell wieder aufgab, als Mr. Chambers mich fragte: „Möchten Sie uns einen Auftrag geben Ihre Einkommensteuer auf diesen Betrag abzuführen?“

Einkommensteuer? Was für eine gemeine Vorstellung! Ich traute meinen Ohren nicht. „Was war das Mr. Chambers?“

„Ihre Einkommensteuer in der Konföderation.

Wenn Sie uns beauftragen wollen, die Sache zu erledigen — hier wäre das Formular —, bereiten unsere Experten alles vor, dann bezahlen wir den Betrag ziehen ihn von Ihrem Konto ab, und Sie haben keine weitere Mühe damit. Die Gebühr für diesen Service ist minimal. Sonst müßten Sie die Steuer selbst berechnen und alle Formulare ausfüllen und sich dann zur Bezahlung beim Finanzamt anstellen.“

„Von solcher Steuer war aber nicht die Rede, als ich hier mein Konto eröffnete.“

„Bei der Einzahlungssumme handelte es sich ja auch um den Preis unserer Nationalen Lotterie! Der gehört Ihnen, ohne jeden Abzug — so ist das in einer Demokratie! Freilich streicht die Regierung die Lotteriesteuer gleich bei den Organisatoren ein.“

„Ich verstehe. Wie hoch ist der Anteil der Regierung?“

„Ich bitte Sie, Miß Baldwin, diese Frage sollten Sie an die Regierung richten, nicht an mich. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden; ich fülle das übrige später aus.“

„Gleich. Wie hoch ist die ›minimale Gebühr‹, von der Sie vorhin gesprochen haben? Und wie hoch ist die Steuer?“

Ich verabschiedete mich, ohne meine Goldziehung zu deponieren, und der arme Mr. Chambers war wieder einmal rechtschaffen entrüstet über mich.

Obwohl die Braunen dermaßen von der Inflation ausgehöhlt sind, daß man schon eine gehörige Zahl bündeln muß, um sich einen Big Mäc zu kaufen, finde ich tausend Braune nicht ›minimal‹ — das ist der Gegenwert von mehr als einem Gramm Gold, ein Betrag von 37 Brit-Kan-Dollar. Dazu die übliche achtprozentige Abwicklungsgebühr, da hätte sich Master Charge ein hübsches Sümmchen in die Tasche verdient, als Handlanger der Steuerbehörden der Konföderation.

Ich war nicht einmal davon überzeugt, daß ich nach den verrückten Gesetzen Kaliforniens überhaupt Steuern schuldete — der größte Teil des Geldes war nicht in diesem Land verdient worden, und ichsah ohnehin nicht ein, weshalb Kalifornien Ansprüche auf mein Einkommen haben sollte. Zuerst wollte ich mich mit einem guten Anwalt beraten.

Ich kehrte ins Cabaña Hyatt zurück. Goldie und Anna waren noch unterwegs, Burt war aber bereits zurückgekehrt. Ich erzählte ihm von meinen Erlebnissen, denn ich wußte, daß er in der Abteilung für Logistik und Abrechnung gearbeitet hatte.

„Wir brauchen uns nicht darüber aufzuregen“ sagte er. „Die persönlichen Dienstverträge mit dem Vorsitzenden waren stets ›steuerfrei‹, und im Imperium wurde die Bestechungssumme jedes Jahr neu festgesetzt. Hier hätte Mr. Esposito eine deckende Summe zahlen müssen — das heißt, jetzt ja Miß Wainwright. Frag sie doch danach!“

„Auf keinen Fall!“

„Das dachte ich mir. Sie hätte das Finanzamt verständigen und etwa ausstehende Steuern bezahlen müssen — nach ausreichenden Verhandlungen, du verstehst, was ich meine. Vielleicht will sie sich die Ausgabe aber sparen; ich weiß es nicht. Wie dem auch sei — du hast doch einen Ersatz-Paß, oder?“

„Natürlich! Immer.“

„Dann nimm den! Ich werde das jedenfalls tun.

Nachdem ich dann weiß, wo ich lande, hole ich mein Geld zu mir. Bis dahin ist es auf dem Mond sehr sicher.“

„Äh, Burt, ich bin ziemlich sicher, daß die Wainwright eine Liste sämtlicher zusätzlichen Pässe besitzt. Meinst du, man wird uns bei der Ausreise überprüfen?“

„Na, was soll sein, wenn die Wainwright eine Liste hat? Die wird sie der Konföderation erst ausliefern,wenn sie ihren Anteil ausgehandelt hat, und dazu hat sie bestimmt noch keine Zeit gehabt. Du solltest also nur den üblichen Obulus bezahlen, die Nase in die Luft stecken und durch die Kontrolle marschieren.“

Ich begriff, was er meinte. Die Vorstellung, Steuern zahlen zu müssen, hatte mich dermaßen empört, daß ich eine Zeitlang nicht wie ein Kurier gedacht hatte.

Wir reisten über Dry Lake in den Freistaat Las Vegas ein; die Kapsel hielt eben lange genug, daß die Ausreisestempel der Konföderation angebracht werden konnten. Jeder von uns verwendete einen Ersatzpaß mit dem üblichen Bestechungssümmchen zwischen den Seiten — es gab keinen Ärger. Und keinen Einreisevermerk, da der Freistaat sich mit Einreisekontrollen nicht abgibt; hier ist jeder Reisende willkommen, solange er solvent ist.

Zehn Minuten später schrieben wir uns im DunesHotel ein, wobei wir ähnliche Zimmer erhielten, wie wir sie in San José gehabt hatten, außer daß es sich hier um die „Orgien-Suite“ handelte. Den Grund dafür vermochte ich nicht zu erkennen. Ein Spiegel an der Decke und Aspirin und Alka Seltzer im Bad rechtfertigen diese Bezeichnung nicht; meine Lehrerin in horizontalen Dingen hätte sich ausgeschüttet vor Lachen. Vermutlich verfügten die meisten Gäste, die hier ausgenommen wurden, über keine solche lehrreiche Vorbildung — man hat mir sogar einreden wollen, daß die meisten Leute überhaupt keine formelle Ausbildung durchmachen. Ich habe mich immer wieder gefragt, wer den Leuten das beibringt.

Die Eltern? Ist das strenge Inzest-Tabu nur ein Tabu gegen das Darüber-Sprechen, nicht aber gegen das aktive Handeln? Eines Tages komme ich hoffentlich mal dahinter bisher ist mir aber noch niemand über den Weg gelaufen, den ich danach hätte fragen können. Vielleicht kann Janet mir Aufschluß geben. Eines Tages …

Wir verabredeten uns zum Abendessen, dann suchten Burt und Anna das Foyer und/oder das Kasino auf, während Goldie und ich zum Industrie-Park fuhren. Burt wollte sich Arbeit suchen, hatte aber die Absicht, vorher noch einen draufzumachen. Anna sagte nichts dazu, aber ich nehme an, auch sie wollte von den Fleischtöpfen kosten, ehe sie ihr Leben als diensthabende Großmutter aufnahm. Ich suchte ebenfalls Arbeit, das stimmt — aber vorher mußte ich mir einiges durch den Kopf gehen lassen.

Mit ziemlicher Sicherheit würde ich auswandern.

Der Chef hatte mir das empfohlen, und das genügte mir als Grund. Daneben hatte mich aber die Studie über die Zerfallserscheinungen in den menschlichen Kulturen, die ich für ihn hatte anstellen müssen, auf Dinge aufmerksam werden lassen, die mir schon lange bekannt waren, die ich aber nie analysiert hatte.

Gegenüber den Kulturen, in denen ich gelebt oder die ich durchreist hatte, war ich nie kritisch aufgetreten — Sie müssen sich dazu klarmachen, daß eine Künstliche Person ohnehin stets eine Fremde bleibt, wo immer sie auch ist, wie lange sie auch an einem Ort bleibt. Kein Land konnte jemals ganz das meine sein warum sollte ich mir also den Kopf darüber zerbrechen?

Aber als ich die Frage untersuchte, ging mir auf daß unser alter Planet in schlimmer Verfassung war.

Neuseeland ist ein hübsches Fleckchen Erde, ebenso Britisch-Kanada, aber auch in diesen beiden Ländernzeigten sich ziemlich deutliche Verfallserscheinungen. Doch waren diese beiden noch die besten von allen.

Trotzdem wollte ich nichts überstürzen. Den Planeten zu wechseln, das macht man nicht zweimal im Leben — es sei denn, man ist ungeheuer reich, was auf mich nicht zutraf. Die Unterstützung, die ich erfahren würde, galt für eine Auswanderung — da mußte ich mir wirklich gleich den richtigen Planeten aussuchen denn ein Fehler ließ sich nicht mehr korrigieren.

Außerdem … Nun ja, wo war Janet?

Der Chef hatte eine Kontaktadresse oder einen Komm-Kode gehabt — nicht ich!

Der Chef hatte einen Verbindungsmann im PolizeiHQ von Winnipeg — nicht ich!

Der Chef verfügte über sein weltumspannendes Pinkerton-Netz — nicht ich!

Ich konnte versuchen, sie von Zeit zu Zeit anzurufen. Ich würde es tun. Ich konnte bei ANZAC und in der Universität von Manitoba zurückfragen, und auch das wollte ich tun. Ich konnte den AucklandKode und die biologische Fakultät an der Universität Sydney im Auge behalten. Ja, das würde ich tun.

Aber wenn das alles nichts fruchtete, was konnte ich darüber hinaus unternehmen? Ich konnte nach Sydney fahren und mit Hilfe meiner schönen Augen versuchen, an Professor Farneses Privatanschrift oder Studienanschrift heranzukommen. Aber das würde nicht billig sein, zumal mir erst kürzlich abrupt zu Bewußtsein gekommen war, daß Reisen, wie ich sie in der Vergangenheit für selbstverständlich gehalten hatte, in der Zukunft problematisch sein würden und vielleicht gar nicht mehr in Frage kamen. Die Fahrtnach Neusüdwales, ehe die Semiballistischen Raketen wieder flogen, würde mich sogar sehr teuer zu stehen kommen. Möglich war es — mit der Tunnelbahn und Schwimmfahrzeugen auf einem Weg, der mich zu drei Vierteln um die Welt führen würde — aber es würde keine einfache und keine preisgünstige Sache sein.

Vielleicht konnte ich mich als Schiffsmädchen verdingen, auf der Route San Francisco — Australien. Das war bestimmt billig und einfach — aber zeitraubend selbst wenn ich mir einen Shipstone-betriebenen Tanker aussuchte, der von Watsonville aus startete. Ein segelbetriebener Frachter … Also, nein.

Vielleicht sollte ich in Sydney einen PinkertonMann einstellen. Wie sahen die Honorarsätze aus?

Konnte ich mir so etwas leisten?

Nicht ganz sechsunddreißig Stunden nach dem Tod unseres Chefs ging mir die Tatsache auf, daß mir der wahre Wert des Gramms bisher nicht zu Bewußtsein gekommen war.

Bedenken Sie — bis jetzt war mein Leben von drei wirtschaftlichen Gegebenheiten bestimmt gewesen:

a) Auf einer Mission hatte ich ausgegeben, was nötig war.

b) In Christchurch verbrauchte ich nicht viel Geld — in erster Linie für Geschenke an die Familie.

c) Auf der Farm, im nächsten Hauptquartier und schließlich im Pajaro Sands hatte ich überhaupt nichts ausgegeben. Essen und Unterkunft waren vertraglich festgelegt. Ich trank und spielte nicht. Wäre ich nicht Anita in die Klauen geraten, hätte ich jetzt ein hübsches Sümmchen beisammen.

Ich hatte ein beschütztes Leben geführt und dabeiden wahren Wert des Geldes nicht abzuschätzen gelernt.

Einfache Rechenaufgaben gelingen mir allerdings auch ohne Terminal. Meinen Anteil an der Rechnung des Cabaña Hyatt hatte ich bar bezahlt. Für die Fahrt in den Freistaat hatte ich meine Kreditkarte genommen, die Kosten aber vermerkt. Ich notierte mir auch den Zimmertarif im Dunes-Hotel und behielt die anderen Kosten im Auge, ob nun auf Karte, Bargeld oder auf Zimmerrechnung.

Sofort wurde mir klar, daß das Wohnen in ErsteKlasse-Hotels mein Gold innerhalb verfügbarer Zeit aufzehren würde, selbst wenn ich keine Ausgaben hatte für Reisen, Kleidung, Luxusgüter, Freunde und Notfälle. Quod erat demonstrandum. Entweder mußte ich mir Arbeit verschaffen oder mich für einen Kolonisationsflug entscheiden.

Mir kam der schlimme Gedanke, daß der Chef mir weitaus mehr gezahlt hatte, als ich wert war. Gewiß ich bin ein guter Kurier, einen besseren gibt es nicht aber wie sieht der Tarif für Kuriere eigentlich aus?

Ich konnte mich natürlich als einfacher Soldat anheuern lassen, was mir schnell die Sergeants-Streifen verschaffen würde (davon war ich überzeugt). Dieser Weg reizte mich aber nicht sonderlich — wahrscheinlich blieb mir dennoch nichts anderes übrig. Eitelkeit gehört nicht zu meinen Fehlern; für die meisten Zivilistenposten war ich ungeeignet, da mache ich mir nichts vor.

Hierhin fühlte ich mich gezogen, etwas anderes aber schob mich dorthin. Ich wollte gar nicht allein auf einen fremden Planeten ziehen. Der Gedanke erfüllte mich mit Angst. Ich hatte meine EnEs-Familie verlo-ren (wenn ich sie jemals richtig gehabt hatte), der Chef war gestorben, und mir war zumute wie einem kleinen verirrten Küken — meine echten Freunde unter den Kollegen waren in alle Winde verstreut, bis auf diese drei die aber ebenfalls eiligst ihren Abgang vorbereiteten — und zu allem Übel hatte ich den Kontakt zu Georges und Janet und Ian verloren.

Obwohl Las Vegas rings um mich pulsierte, fühlte ich mich so einsam wie Robinson Crusoe.

Am liebsten hätte ich es gesehen, wenn Janet und Ian und Georges mit mir ausgewandert wären. Dann würde ich keine Angst haben. Dann konnte ich wieder lächeln.

Außerdem — der Schwarze Tod. Die Pest kehrte zurück.

Ja, ja, ich hatte dem Chef eingeredet, meine mitternächtliche Prognose wäre Unsinn gewesen. Er aber hatte gekontert, seine analytische Abteilung habe dieselbe Voraussage getroffen, in vier Jahren, anstatt in dreien. (Ein kleiner Trost!)

So war ich denn gezwungen, meine eigene Vorhersage ernst zu nehmen. Ich mußte Ian und Janet und Georges warnen.

Ich nahm nicht an, daß ich sie damit in Angst und Schrecken versetzen würde — das ist bei diesen drei Menschen wohl nicht möglich. Aber ich wollte ihnen sagen: „Wenn ihr schon nicht auswandert, solltet ihr wenigstens meine Warnung ernst nehmen und euch von den großen Städten fernhalten. Wenn Schutzimpfungen angeboten werden, müßt ihr mitmachen.

Aber hört auf meine Warnung!“

Der Industrie-Park liegt an der Straße zum Hoover-Damm; hier befindet sich der Arbeitsmarkt. In Las Vegas sind innerhalb der Stadtgrenzen keine AAF gestattet, doch es gibt überall Rollsteige, von denen einer zum Industrie-Park führt. Wenn man dort weiter zum Damm oder nach Boulder City will, kann man sich eines AAF-Pendelverkehrs bedienen. Ich gedachte diese Route zu nehmen, da die Firma Shipstone Death Valley zwischen Ost-Las Vegas und Boulder City als Ladestation einen Streifen Wüste gepachtet hatte. Ich wollte mir das einmal ansehen.

War es möglich, daß der Shipstone-Konzern hinter dem Roten Donnerstag steckte? Einen Grund dafür konnte ich mir nicht denken. Es mußte sich aber um eine Macht handeln, die in einer Nacht den ganzen Globus abzudecken und bis zum Ceres zu wirken verstand. Es gab nicht viele Körperschaften dieses Kalibers. Oder handelte es sich um einen superreichen Mann oder eine Gruppe von Leuten? Auch hier waren die Möglichkeiten beschränkt. Nachdem der Chef tot war, würde ich auf diese Frage wahrscheinlich nie eine Antwort erhalten. Er war es, an dem ich meine Stimmungen ausließ — an den ich mich aber auch wandte, wenn ich etwas nicht begriff. Erst als mir diese Stütze entrissen wurde, ging mir auf, wie sehr ich mich auf ihn verlassen hatte.

Der Arbeitsmarkt ist eine große überdachte Ladenstraße, gesäumt von allen möglichen Geschäften und Büros — von den schicken Niederlassungen des Wall Street Journal bis hin zu Kundschaftern, die ihr Büro in der Tasche haben, sich niemals setzen und selten zu reden aufhören. Überall hängen Schilder, überall wimmeln Leute durcheinander, und die ganze Szene-rie erinnert mich an die Unterstadt von Vicksburg nur daß es hier besser riecht.

Die militärischen und paramilitärischen freien Kompaniefirmen hatten sich am östlichen Ende zusammengeballt. Goldie klapperte sie nacheinander ab, und ich begleitete sie. Sie ließ bei jeder Einheit ihren Namen notieren und gab ihren Lebenslauf ab. In der Stadt hatten wir diese Übersicht kurz drucken lassen, nachdem sie sich bei einem öffentlichen Sekretär eine Postanschrift verschafft und mich veranlaßt hatte, ebenfalls eine solche Post- und Telefonanschrift einzurichten. „Freitag, wenn wir länger als ein oder zwei Tage brauchen, verlasse ich das DunesHotel. Dir ist doch sicher der Zimmerpreis aufgefallen, ja? Ein nettes Hotel, aber man muß praktisch jeden Tag den Preis für das ganze Bett bezahlen. Ich kann mir das nicht leisten. Du vielleicht, aber ich …“

„Ich auch nicht.“

Ich verschaffte mir also eine Art Anschrift und merkte mir vor, Gloria Tomosawa davon zu unterrichten. Die Gebühren entrichtete ich für ein Jahr im voraus — und stellte fest, daß mir dieser Vorgang ein seltsames Gefühl der Sicherheit verschaffte. Es war nicht einmal ein kleiner Schuppen — aber ein Stützpunkt, eine Anschrift, die nicht vom Winde verweht werden konnte.

Goldie legte sich an diesem Nachmittag noch nicht fest, schien aber auch nicht enttäuscht zu sein. „Im Augenblick gibt’s keinen Krieg, das ist alles“, sagte sie. „Der Frieden dauert aber selten länger als einen oder zwei Monate. Dann wird schleunigst wieder angeworben — und dann steht mein Name in den Unterlagen. Bis dahin lasse ich mich bei der Stadt ein-schreiben und arbeite aushilfsweise. Einen Vorteil hat das Bettpfannengeschwader: Eine Krankenschwester braucht niemals zu hungern. Die Knappheit in unserem Beruf besteht schon seit gut einem Jahrhundert und wird so schnell nicht verschwinden.“

Der zweite Anwerber, bei dem Goldie vorsprach — Repräsentant von Royers Rechter Truppe, Cäsars Kolonne und den Schnittern des Erfolgs, ausnahmslos erstklassige Kampftruppen, die einen weltweiten Ruf genossen —, wandte sich an mich, nachdem Goldie fertig war: „Und was ist mit Ihnen? Sind Sie ebenfalls ausgebildete Krankenschwester?“

„Nein“, antwortete ich. „Kampfkurier.“

„Dafür besteht kaum Bedarf. Heute bedienen sich die meisten Einheiten der Eilzustellung, wenn ein Terminal nicht genügt.“

Ich reagierte sofort gereizt — eine Reaktion, vor der der Chef mich gewarnt hatte. „Ich bin Spitze“, erwiderte ich. „Ich gehe überallhin — und was ich befördern muß, erreicht sein Ziel auch dann, wenn die Postdienste eingestellt werden. Wie bei der eben beendeten Krise.“

„Das stimmt“, sagte Goldie. „Sie übertreibt nicht.“

„Trotzdem besteht für Ihre Talente kein großer Bedarf. Können Sie sonst noch etwas?“

(Prahlen verboten!) „Auf welche Waffe verstehen Sie sich am besten? Ich stelle mich Ihnen zum Duell entweder unter Wettbewerbsregeln oder bis aufs Blut. Rufen Sie Ihre Witwe an, dann los!“

„Meine Güte, sind Sie aber eine explosive kleine Biene! Sie erinnern mich an einen Foxterrier, den wir mal hatten. Hören Sie, meine Liebe, ich kann mich mit Ihnen auf keine Spielchen einlassen; ich muß die-ses Büro leiten. Jetzt sagen Sie mir die Wahrheit, dann nehme ich Ihren Namen in die Akten.“

„Tut mir leid, Meister, ich sollte nicht so angeben.

Ich bin Elite-Kurier, das stimmt. Wenn ich etwas übernehme, erreicht es den Bestimmungsort, und meine Honorare sind hoch. Oder mein Sold, sollte man mich als Stabsoffizier für Sonderaufgaben gewinnen. Was das übrige angeht, da muß ich natürlich die Beste sein, mit oder ohne Waffen, denn die mir anvertrauten Sachen müssen durch. Wenn Sie wollen können Sie mich als Ausbilder führen — für waffenlose Verteidigung, aber auch für jede Waffe. An Kampfeinsätzen bin ich aber nur interessiert, wenn die Bezahlung wirklich hoch ist. Sonst ziehe ich Kurierdienste vor.“

Er machte sich Notizen. „Na schön. Machen Sie sich keine zu großen Hoffnungen. Die schwierigen Kerle, für die ich hier arbeite, setzen Kuriere höchstens auf dem Schlachtfeld ein …“

„Solche Einsätze übernehme ich auch. Was ich befördere, erreicht sein Ziel.“

„Oder Sie gehen dabei drauf.“ Er grinste. „Eher ist anzunehmen, daß man einen Superhund einsetzt.

Hören Sie, Schätzchen, eine Firma kann mit Kurierdiensten, wie Sie sie anbieten, mehr anfangen als eine Militäreinheit. Warum hinterlegen Sie Ihren Namen nicht bei den multinationalen Gesellschaften? Die Großen haben hier ausnahmslos ihre Vertreter. Und sie haben mehr Geld. Viel mehr Geld!“

Ich dankte ihm, und wir gingen. Auf Goldies Drängen schauten wir beim nächsten Postamt vorbei und erstellten Printouts meines Lebenslaufes. Dabei wollte ich beim geforderten Sold etwas nachlassen, inder Gewißheit, daß der Chef mich überbezahlt hatte — doch Goldie wollte davon nichts hören. „Du mußt höher gehen! Darin liegt deine beste Chance. Gruppen, die deine Dienste brauchen, bezahlen dich entweder, ohne mit der Wimper zu zucken — oder sie rufen bei dir zurück und versuchen zu handeln. Aber von vornherein den Preis drücken? Hör mal, meine Liebe, niemand kauft beim Sommerschlußverkauf wenn man sich die besten Kräfte leisten kann.“

Ich schaute bei allen Multis vorbei. Im Grunde rechnete ich von dieser Seite nicht mit Interesse, doch wenn jemand den besten Kurier der Welt haben wollte, konnte er sich ja meine Leistungsübersicht anschauen.

Als die Bürozeit vorüber war, glitten wir zum Hotel zurück, um unsere Verabredung zum Abendessen einzuhalten, und trafen Anna und Burt an, die bereits ein wenig beschwipst waren. Nicht betrunken, nur aufgekratzt und ein wenig zu vorsichtig in ihren Bewegungen.

Burt baute sich dramatisch vor uns auf und deklamierte: „Meine Damen! Seht mich an, bewundert mich! Ich bin ein großer Mann …“

„Du hast ja den Verstand verloren!“

„Das auch, geliebte Freitag. Aber vor dir steht der Mann, der … hoppla! … in Monte Carlo die Sprengung gebankt hat. Ich bin ein Genie, ein echtes, blauäugiges, finan’schelles Genie. Anfassen erlaubt!“

Das hatte ich sowieso vorgehabt, später am Abend.

Jetzt aber stiegen mir Zweifel auf. „Anna, hat Burt die Bank gesprengt?“

„Nein, aber angeschlagen hat er sie auf jeden Fall.“

Sie stieß verhalten auf. „’Tschuldigung. Wir bliebenein Weilchen hier und gingen dann ins Flamingo hinüber, wo wir auf neues Glück hofften. Wir trafen dort knapp vor dem Wettschluß für das dritte Rennen in Santa Anita ein, und Burt setzte einen Superbuck auf die Nase einer kleinen Stute, die den Namen seiner Mutter trägt — ein riskanter Einsatz, der sich aber auszahlte. Die kleine Stute ging als erste ins Ziel.

Draußen vor dem Wettraum steht ein Rad, und Burt häuft seinen Gewinn auf Doppel-Null …“

„Er war betrunken“, stellte Goldie fest.

„Ich bin ein Genie!“

„Beides. Doppel-Null kam, und Burt setzte einen Riesenhaufen auf Schwarz und gewann, er ließ stehen und gewann, wechselte auf Rot hinüber und gewann! — und der Croupier ließ den Aufseher kommen. Burt wollte aufs Ganze gehen, aber der Ober-Croupier setzte das Limit auf fünftausend Scheine.“

„Bauern! Gestapo! Miet-Bullen! In dem ganzen Kasino gibt es keinen einzigen Gentleman-Sportsmann!

Ich beschloß, woanders Kunde zu werden.“

„Und hast alles verloren“, meinte Goldie.

„Goldie, alte Freundin, du erweist mir nicht den angemessenen Respek’!“

„Er hätte wohl alles verloren“, meinte Anna, „aber ich sorgte dafür, daß er den Rat des Ober-Croupiers befolgte. Umgeben von sechs Hilfspolizisten des Kasinos begaben wir uns auf direktem Wege in die Kasinoniederlassung der Lucky Strike-Staatsbank und deponierten alles. Unter anderen Bedingungen hätte ich ihn nicht laufen lassen. Stell dir vor, einen halben Megabuck vom Flamingo ins Dunes Hotel zu transportieren — in bar! Er wäre nicht lebendig über die Straße gekommen.“

„Unmöglich! In Vegas gibt es weniger Gewaltkriminalitä’ als jeder anderen Stadt von Nor’Amerika.

Anna, Schätzchen, du bist eine herrschsüchtige Frau.

Immer mußt du auf mir rumhacken. Ich würde dich nicht mal heiraten, wenn du an der Kreuzung Freemont Street und Main Street auf die Knie fielst und mich darum bätes’. Statt dessen werde ich dir die Schuhe wegnehmen, dich schlagen und dir nur Brotkrumen zu essen geben.“

„Ja, mein Lieber. Deine Schuhe kannst du jetzt aber anziehen, weil du uns allen dreien was zu essen spendierst. Aber keine Krumen, sondern Kaviar und Trüffel.“

„Und Champagner. Aber nicht, weil du mich herumkommandierst. Meine Damen. Freitag, Goldie meine Geliebte — wollt ihr mir helfen, mein finan’schelles Genie zu feiern? Mit tollen Getränken und Fasan und prächtigen Show-Mädchen mit tollen Hüten?“

„Ja“, sagte ich.

„Ja, ehe du es dir anders überlegst. Anna, hast du eben von einem ›halben Megabuck‹ gesprochen?“

„Burt. Zeig’s ihnen!“

Burt zog ein nagelneues Sparbuch aus der Tasche und ließ uns hineinschauen, während er sich an seiner Weste die Fingernägel polierte und einen selbstzufriedenen Eindruck machte. 504 000,— Bucks. Über eine halbe Million in der einzigen harten Währung Nordamerikas. Ah, etwas über einunddreißig Kilogramm Feingold. Nein, eine solche Summe hätte auch ich nicht über die Straße transportieren wollen — nicht in Gold. Nicht ohne Schubkarre. Die Masse würde etwa der Hälfte meiner Körpermasse entsprechen. Dawar ein Sparbuch viel angenehmer.

Ja, ich wollte mir von Burt Champagner vorsetzen lassen.

So verbrachten wir einen rauschenden Abend im Theater des Stardust Hotels. Burt wußte, wieviel er dem Oberkellner geben mußte, um gute Plätze zu bekommen (vielleicht zahlte er aber auch zuviel, ich weiß es nicht), und wir schlürften Champagner und verzehrten ein wunderschönes Essen, dessen Hauptgang Cornwall-Wildhuhn war, das aber als Taube ausgegeben wurde, und die Mädchen waren jung und hübsch und gutgelaunt und gesund und rochen frisch gewaschen. Außerdem traten männliche Tänzer auf mit ausgestopften Hosen, damit wir Frauen auch etwas zu schauen hatten, nur schaute ich nicht besonders gründlich hin, denn sie rochen nicht richtig, und ich hatte das Gefühl, daß sie sich mehr füreinander interessierten als für Frauen. Das war natürlich ihre Sache, doch im großen und ganzen zog ich die Tänzerinnen vor.

Außerdem trat ein großartiger Zauberer auf, der lebendige Tauben aus der Luft herunterholte, in ähnlicher Weise, wie viele seiner Kollegen Münzen erscheinen lassen. Ich liebe Zauberer und habe keine Ahnung, wie sie ihre Tricks vollführen, und ich verfolge ihre Vorstellung mit weit offenem Mund.

Der Zauberer dieses Abends führte etwas vor, das nur mit dem Teufel zugehen konnte. Zwischendurch ließ er seine hübsche Assistentin durch eine Tänzerin ersetzen. Die Assistentin war nicht gerade übermäßig bekleidet, das andere Mädchen aber trug an einem Ende Schuhe und am anderen einen Hut — und dazwischen nichts anderes als ein Lächeln.Der Zauberer begann ihr Tauben abzunehmen.

Ich traute meinen Augen nicht. Es war nicht genug Platz, außerdem mußte es kitzeln — also konnte es nicht wahr sein!

Aber eines Tages werde ich zurückkehren und mir die Nummer aus einer anderen Perspektive ansehen.

Es kann einfach nicht wahr sein!

Als wir ins Dunes zurückkehrten, wollte sich Goldie in die Foyer-Show setzen, Anna aber strebte ins Bett. Ich erklärte mich einverstanden, Goldie zu begleiten. Burt ließ sich einen Platz reservieren, er wolle Anna nur eben nach oben begleiten und käme gleich zurück.

Aber er tauchte nicht wieder auf. Als wir später hinaufgingen, überraschte es mich nicht, die Tür zum anderen Zimmer verschlossen vorzufinden; vor dem Abendessen hatte ich schon so eine Ahnung gehabt als würde Burt sich meiner Nerven nicht zwei Nächte hintereinander annehmen. Das was Sache der beiden ich hatte keine Ansprüche. Burt hatte mich bestens bedient, als ich es dringend brauchte.

Ich fürchtete schon, Goldie würde sich aufregen aber es schien ihr nichts auszumachen. Wir gingen zu Bett, versuchten kichernd zu ergründen, woher die Tauben kamen, und schliefen ein. Als mich der Schlaf überkam, hatte Goldie bereits leise zu schnarchen begonnen.

Wieder wurde ich von Anna geweckt; diesmal aber wirkte sie nicht nüchtern und ernst, sondern strahlte etwas ganz Besonderes aus. „Guten Morgen, Schätzchen! Pinkelt und putzt euch die Zähne; in zwei Minuten ist das Frühstück da! Burt ist im Bad gerade fertig, also beeilt euch!“ Etwa über der zweiten Tasse Kaffee sagte Burt:

„Nun, meine Liebe!“

„Soll ich?“ fragte Anna.

„Nun mach schon, Schatz!“

„Na schön. Goldie, Freitag — ich hoffe, ihr habt heute früh ein bißchen Zeit für uns, denn wir lieben euch beide und möchten, daß ihr dabei seid. Wir werden heiraten.“

Goldie und ich heuchelten absolutes Erstaunen und gaben unserer großen Freude Ausdruck; wir sprangen auf und küßten alle beide. Die Freude war in meinem Falle echt; die Überraschung war gespielt.

Bei Goldie mochte es umgekehrt sein, das sagte mir eine innere Stimme. Ich behielt meine Vermutungen aber für mich.

Nachdem wir uns für später an der Gretna GreenHochzeitskapelle verabredet hatten, zogen Goldie und ich los, um Blumen zu besorgen — und ich stellte erfreut und erleichtert fest, daß Goldie in Abwesenheit der beiden nicht minder erfreut zu sein schien als vorher. „Die beiden sind genau richtig füreinander“ sagte sie. „Ich war sowieso nie für Annas Vorhaben die Großmutter zu spielen; das wäre einem Selbstmord gleichgekommen.“ Sie fügte hinzu: „Ich hoffe nur, daß du nicht zu enttäuscht bist.“

„Wie bitte?“ fragte ich. „Du meinst mich? Warum sollte ich enttäuscht sein?“

„Er hat vorgestern mit dir geschlafen und letzte Nacht mit ihr. Heute heiratet er sie. Es gibt Frauen die würden sich darüber gehörig aufregen.“

„Um Himmels willen! Warum denn? Ich liebe Burt nicht. Oh, natürlich liebe ich ihn, weil er zu denen gehört, die mir vor einiger Zeit das Leben gerettet ha-ben. Und da habe ich ihm vorgestern nacht zu danken versucht — und er war auch ein gutes Heilmittel für mich. Ich brauchte ihn. Das ist aber kein Grund zu erwarten, daß Burt sich mir jede Nacht zuwendet — oder auch nur eine zweite Nacht.“

„Da hast du völlig recht, Freitag, aber nicht viele Frauen deines Alters können so nüchtern darüber denken.“

„Ach, ich weiß nicht; ich finde, es liegt auf der Hand. Du bist auch nicht gekränkt. Ist doch dasselbe.“

„Was meinst du?“

„Na, genau dasselbe. Vorgestern nacht schlief sie mit dir, gestern mit ihm. Scheint dich nicht weiter aufzuregen.“

„Warum sollte es das?“

„Sollte es auch nicht. Aber die Fälle liegen doch ähnlich.“ (Goldie, Schätzchen, bitte halt mich nicht für einen Dummkopf! Ich habe nicht nur dein Gesicht gesehen, sondern dich auch gerochen.) „Ehrlich gesagt, war ich ein bißchen überrascht. Ich hatte nicht gedacht, daß du dazu neigst. Bei Anna war mir das bekannt — und bei ihr war ich überrascht, daß sie Burt mit ins Bett nahm. Daß sie das tut, wußte ich nicht.

Mit Männern, meine ich. Wußte auch nicht, daß sie schon mal verheiratet war.“

„Oh. Ja, man kann es wohl so sehen. Aber bei uns liegt es etwa so ähnlich wie bei dir und Burt: Anna und ich lieben uns, seit Jahren schon — und manchmal findet das seinen Ausdruck im Bett. Aber wir ›lieben‹ uns nicht im anderen Sinne. Wir beide neigen im Grunde eher zu Männern — egal, was für einen Eindruck du neulich nacht gewonnen hast. Als Anna dirBurt praktisch aus den Armen riß, habe ich innerlich gejubelt, während ich mir gleichzeitig deinetwegen ein bißchen Sorgen machte. Aber nicht zu sehr, denn hinter dir ist ja stets ein ganzes Rudel Männer her während so etwas bei Anna in letzter Zeit selten geworden ist. Ich jubelte also. Ich rechnete natürlich nicht damit, daß es gleich zur Heirat führen würde aber es ist doch toll so! Hier ist die Goldene Orchidee — was kaufen wir?“

„Moment noch!“ Vor dem Blumenladen hielt ich sie am Arm fest. „Goldie — es gibt da einen Menschen der unter Lebensgefahr mit einer Bahre in das Schlafzimmer des Farmgebäudes stürmte. Meinetwegen.“

Goldie schaute mich gereizt an. „Da hat jemand sein Maul zu weit aufgerissen!“

„Ich hätte schon früher die Sprache darauf bringen sollen. Ich liebe dich. Mehr als Burt, denn meine Zuneigung zu dir ist älter. Ihn brauche ich nicht zu heiraten, dich kann ich nicht heiraten. Nur lieben. In Ordnung?“

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