Das Essen war köstlich. Kalte Platten mit Pickles, Käsesorten, Brot, Marmelade verschiedener Art, Nüssen Radieschen, Schalotten, Sellerie und dergleichen rahmten einen großen Suppentopf über einer offenen Flamme. In Griffweite standen Teller mit buttertriefendem Knoblauchbrot. Georges zelebrierte das Austeilen der Suppe mit der Würde eines Oberkellners. Ich setzte mich, und Ian band mir eine große Serviette um den Hals. „Nun hau tüchtig rein!“ sagte er.
Ich kostete die Suppe. „Das tue ich!“ rief ich und fügte hinzu: „Janet, diese Köstlichkeit hast du sicher schon gestern den ganzen Tag auf dem Feuer gehabt!“
„Falsch!“ antwortete Ian. „Georges’ Großmutter hat ihm die Suppe testamentarisch vermacht.“
„Das ist übertrieben“, widersprach Georges. „Meine geliebte Mutter, möge Gott ihr Trost spenden setzte diese Suppe in dem Jahr an, in dem ich geboren wurde. Meine ältere Schwester rechnete stets damit sie zu erben, aber dann heiratete sie unter ihrer Würde — einen Britisch-Kanadier —, und so ging sie auf mich über. Ich habe mich bemüht, die Tradition aufrechtzuerhalten. Allerdings meine ich, daß Geschmack und Bukett besser waren, als meine Mutter sich noch darum kümmerte.“
„Ich verstehe nichts von solchen Dingen“, antwortete ich. „Ich weiß nur, daß diese Suppe noch keine Dose gesehen hat.“
„Ich habe sie letzte Woche begonnen“, sagte Janet.„Dann aber übernahm Georges das Ruder und päppelte sie hoch. Er versteht mehr von Suppen als ich.“
„Ich verstehe sie lediglich zu essen, und ich hoffe daß der Topf noch recht viel hergibt.“
„Wir können jederzeit noch eine Maus hineintun“ versicherte mir Georges.
„Hat’s was Neues in den Nachrichten gegeben?“ fragte Janet.
„Was ist mit deiner Vorschrift, daß bei den Mahlzeiten nicht über die Außenwelt gesprochen werden soll?“
„Liebling Ian, du solltest besser als jeder andere wissen, daß meine Vorschriften auf andere zugeschnitten sind, nicht aber auf mich. Gib Antwort!“
„Im allgemeinen keine Veränderung. Neue Hinrichtungen sind nicht gemeldet worden. Falls sich der Horde prahlerischer Staatsvernichter weitere hinzugesellt haben sollten, zieht es unsere väterliche Regierung vor, nichts davon zu sagen. Verdammt, wie ich diese Einstellung hasse — ›Papa weiß es schon am besten‹! Papa weiß es eben nicht am besten, sonst steckten wir nicht in dem Chaos, das heute überall herrscht. Im Grunde wissen wir nur, daß die Regierung Zensur ausübt. Was zur Folge hat, daß wir nichts wissen. So etwas weckt in mir den Wunsch, irgend jemand abzuknallen.“
„Ich glaube, solche Sachen hat es schon zur Genüge gegeben. Oder möchtest du dich bei den Engeln des Herrn einschreiben lassen?“
„Wenn du das sagst, solltest du lächeln. Oder möchtest du eins auf dein Zuckerschnäuzchen haben?“
„Denk dran, was passiert ist, als du mich das letz-temal züchtigen wolltest.“
„Deswegen habe ich mich ja auf dein Zuckerschnäuzchen beschränkt.“
„Schätzchen, ich verschreibe dir drei doppelte Drinks oder eine Beruhigungstablette. Tut mir leid wenn du dich aufregst. Mir gefällt das alles auch nicht, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, als weiter abzuwarten.“
„Jan, manchmal bist du beinahe unerträglich vernünftig. Was mich die Wände hochgehen läßt, ist dieses riesige schwarze Loch in den Meldungen … das ohne Erklärung bleibt.“
„Ja?“
„Die multinationalen Firmen. Die Nachrichten haben sich auf die Territorialstaaten beschränkt, über die Firmenmächte ist kein Wort gefallen. Wer jedoch heute einigermaßen bis zehn zählen kann, muß wissen, wo die wahre Macht liegt. Wissen die blutrünstigen Idioten das nicht?“
Sanft sagte Georges: „Mein Freund, vielleicht liegt genau da der Grund, warum die Konzerne bisher nicht als Angriffsziele zur Sprache gekommen sind.“
„Ja, aber …“ Ian unterbrach sich.
„Ian“, sagte ich, „als wir uns kennenlernten, erzähltest du mir, daß es im Grunde keine Möglichkeit gibt, gegen einen Firmenstaat loszuschlagen. Dabei erwähntest du IBM und Rußland.“
„So habe ich das aber nicht ausgedrückt, Marj. Ich sagte, man könne nicht mit militärischer Gewalt gegen einen Multi vorgehen. Bei den alltäglichen Auseinandersetzungen untereinander setzen die Riesen Geld und Bevollmächtigte ein und lassen sich auf Manöver ein, die nicht mit Gewaltanwendung, sondern durchRechtsanwälte und Bankiers ausgefochten werden.
Gewiß, manchmal bekämpfen sie sich mit Söldnerarmeen, aber sie geben es nicht zu, und es gehört normalerweise auch nicht zu ihrem Repertoire. Die Dummköpfe, die da im Augenblick losschlagen, setzen aber genau die Waffen ein, mit denen ein Multi getroffen werden kann, und zwar entscheidend:
Morde an wichtigen Leuten und Sabotageakte. Dies liegt so klar auf der Hand, daß es mich beunruhigt nichts davon in den Nachrichten zu hören. Ich frage mich unwillkürlich, was da noch alles vorgeht, das nicht über die Sender ausgestrahlt wird.“
Ich schluckte einen großen Brocken Brot hinunter den ich in der himmlischen Suppe eingeweicht hatte dann sagte ich: „Ian, läge es im Bereich des Möglichen, daß diese ganze Show auf das Betreiben eines — oder mehrerer — Multis zurückgeht — durch angeheuerte Strohmänner?“
Ian richtete sich so plötzlich auf, daß seine Suppe überschwappte und er sich das Lätzchen schmutzigmachte. „Marj, du erstaunst mich! Ursprünglich habe ich dich aus Gründen, die nichts mit deinem Gehirn zu tun haben, aus der großen Menge ausgesucht …“
„Ich weiß.“
„…aber du bestehst darauf, dein Köpfchen unter Beweis zu stellen. Dir fiel sofort auf, was an dem Gedanken unserer Firma, künstliche Piloten in den Dienst aufzunehmen, nicht stimmte — ich werde deine Argumente in Vancouver vortragen. Jetzt hast du dir die verrückte Nachrichtenszene angeschaut — und das einzige fehlende Stück im Puzzle richtig eingefügt, so daß das Ganze plötzlich einen Sinn ergibt.“
„Ich weiß nicht recht, ob es einen Sinn ergibt“,antwortete ich. „Den Nachrichten zufolge hat es aber Morde und Sabotageakte auf dem ganzen Planeten und seinen Vororten gegeben, auf Luna und bis hinaus zum Ceres. Dazu sind Hunderte von Leuten erforderlich, vermutlich sogar Tausende. Anschläge und Sabotageakte erfordern Spezialisten, die ausgebildet sein müssen. Selbst wenn man dazu Amateure gewinnen könnte, würden sie doch in sieben von zehn Fällen Mist bauen. Die ganze Sache scheint mir auf Geld hinzuweisen. Viel Geld. Nicht nur auf eine verrückte politische Organisation oder einen religiösen Kult von Irrsinnigen. Wer hat das Geld für eine welt- und systemweite Demonstration dieser Art? Ich weiß es nicht — ich habe nur eine Möglichkeit angesprochen.“
„Ich glaube, du hast das Rätsel gelöst — bis auf die Frage, wer da hinter den Kulissen steht. Marj, was machst du, wenn du dich nicht bei deiner Familie in Neuseeland aufhältst?“
„Ich habe keine Familie in Neuseeland, Ian. Meine Männer und meine Gruppenschwestern haben sich von mir scheiden lassen.“
(Ich war so schockiert wie er.)
Am Tisch trat Schweigen ein. Ian schluckte und sagte leise: „Das tut mir schrecklich leid, Marjorie.“
„Braucht dir nicht leid zu tun, Ian. Ein Fehler wurde richtiggestellt; die Sache ist vorbei. Ich werde nicht nach Neuseeland zurückkehren. Eines Tages würde ich aber gern nach Sydney reisen, um Betty und Freddie zu besuchen.“
„Darüber würden sie sich bestimmt freuen.“
„Das weiß ich. Beide haben mich eingeladen. Ian was unterrichtet Freddie eigentlich? Auf dieses The-ma sind wir gar nicht gekommen.“
„Federico ist ein Kollege von mir, liebe Marjorie“ antwortete Georges. „Ein Glücksumstand, der dazu geführt hat, daß ich heute hier bin.“
„Stimmt genau“, sagte Janet. „Chubby und Georges haben schon in McGill zusammen Gene gespalten, und durch diese Partnerschaft lernte Georges Betty kennen, während Betty ihn mir zuwarf und ich ihn auffing.“
„Daraufhin schlossen Georges und ich eine Vereinbarung“, bestätigte Ian, „da keiner von uns mit Jan allein fertig wurde. Stimmt’s, Georges?“
„Sehr vernünftig gesprochen, mein Bruder. Falls wir beide tatsächlich mit Janet fertigwerden.“
„Vielmehr habe ich Mühe mit euch beiden“, bemerkte Janet. „Ich sollte Marj zur Unterstützung verpflichten. Was meinst du dazu, Marj?“
Ich fand, daß dieses Angebot nicht ernst gemeint sein konnte, und reagierte entsprechend darauf. Die anderen redeten einigermaßen wirres Zeug, um den Schock zu überwinden, den ich ausgelöst hatte. Wir alle wußten das. Aber war es außer mir noch jemandem aufgefallen, daß meine Arbeit plötzlich nicht mehr das Thema war? Ich wußte, was geschehen war — warum aber beschlossen die tieferen Regionen meines Gehirns, das Thema so nachdrücklich abzubiegen? Ich würde doch niemals die Geheimnisse meines Chefs ausplaudern!
Plötzlich verspürte ich das dringende Bedürfnis mich mit dem Chef abzustimmen. War er irgendwie in die seltsamen Ereignisse verwickelt? Und wenn ja auf wessen Seite?
„Noch Suppe, meine Dame?“
„Sie bekommt erst ihren Nachschlag, wenn sie mir meine Frage beantwortet hat.“
„Aber Jan, das hast du doch nicht ernst gemeint.
Georges, wenn ich noch mehr Suppe esse, stopfe ich mich auch weiter mit Knoblauchbrot voll. Und dann werde ich dick. Nein. Führe mich nicht in Versuchung!“
„Noch Suppe?“
„Nun ja … ein bißchen.“
„Ich spreche im Ernst“, ließ Janet nicht locker. „Ich will dich nicht festnageln, da dir das Thema Familie und Kinderkriegen wohl im Moment bis zum Hals steht. Aber wir könnten es probehalber vereinbaren und in einem Jahr dann endgültig darüber abstimmen. Wenn du willst. Bis dahin würde ich dich als Haustier halten — und würde diese beiden Böcke nur mit dir in ein Zimmer lassen, wenn ihr Verhalten mir zusagt.“
„Moment mal!“ protestierte Ian. „Wer hat sie hergeholt? Ich! Marj ist mein Schatz!“
„Wenn man Betty glauben kann, dürfte sie eher Freddies Schatz sein. Du hast sie an Bettys Stelle hierhergebracht. Wie dem auch sein mag, das war gestern, und jetzt ist sie mein Schatz. Wenn einer von euch beiden mit ihr sprechen will, muß er vorher zu mir kommen und sich seine Eintrittskarte von mir abknipsen lassen. Stimmt’s, Marjorie?“
„Wenn du meinst, Janet. Das Ganze ist wirklich nur sehr theoretisch, da ich fort muß. Habt ihr eine großflächige Karte des Grenzgebiets im Haus? Ich meine die Südgrenze.“
„Etwas, das genausogut ist. Du kannst dir so ein Ding auf das Terminal holen. Wenn du einen Printoutbrauchst, nimm das Terminal in meinem Arbeitszimmer — neben meinem Schlafzimmer.“
„Ich möchte die Nachrichten nicht unterbrechen.“
„Das brauchst du auch nicht. Wir können jedes Terminal von den anderen abkoppeln — anders ginge es nicht, da wir ein Haushalt von Individualisten sind.“
„Besonders Jan“, meinte Ian. „Marj, wozu brauchst du eine große Karte der Grenze des Imperiums?“
„Ich würde ja lieber mit der Tunnelbahn nach Hause fahren. Aber das geht nicht. Und da das nicht geht muß ich mir eine andere Möglichkeit überlegen, mein Ziel zu erreichen.“
„Das habe ich mir gleich gedacht. Liebling, ich werde dir die Schuhe wegnehmen müssen. Ist dir nicht klar, daß man dich beim Durchqueren der Grenzzone erschießen kann? Im Augenblick dürfte den Grenzwächtern auf beiden Seiten der Finger ziemlich locker am Abzug sitzen.“
„Äh … dürfte ich mir die Grenze trotzdem mal ansehen?“
„Aber ja doch — wenn du mir versprichst, dich nicht hinüberschleichen zu wollen.“
„Mein Bruder“, sagte Georges leise, „man sollte niemanden, der einem nahesteht, zum Lügen verleiten.“
„Georges hat recht“, bestimmte Jan. „Keine erzwungenen Versprechungen. Mach nur zu, Marj! Ich räume hier ab. Ian, du hast dich soeben als Freiwilliger gemeldet.“
Die nächsten beiden Stunden verbrachte ich am Computerterminal in dem geborgten Zimmer und prägte mir die Grenze als Ganzes ein. Anschließendging ich auf maximale Vergrößerung und studierte gewisse Abschnitte mit jedem Detail. Keine Grenze kann wirklich dichtgemacht werden, und das gilt auch für die waffenstarrenden Mauern, mit denen einige totalitäre Staaten ihre Untergebenen einfrieden.
Normalerweise ergeben sich die besten Möglichkeiten unweit der bewachten Durchgänge; oft bestehen in solchen Zonen eingespielte Schmugglerpfade. Bekannten Wegen wollte ich allerdings nicht folgen.
In erreichbarer Nähe gab es etliche Grenzübergänge: Emerson Junction, Pine Creek, South Junction Gretna, Maida und so weiter. Ich schaute mir auch den Roseau River an, der aber floß in die falsche Richtung — nach Norden in den Red River.
Ostsüdöstlich von Winnipeg liegt der Lake of the Woods, in den eine seltsame Landzunge hineinragt die auf der Karte als Teil des Imperiums eingefärbt war. Dort war kein Hindernis angegeben, das verhindert hätte, an dieser Stelle über die Grenze zu wandern — wenn man mehrere Kilometer Sumpfgebiet in Angriff nehmen wollte. Ich bin kein Supermann und nehme mich daher vor Sümpfen in acht wie jeder andere — trotzdem lockte mich das unbewachte Stück Grenze ein wenig. Ich schlug mir den Gedanken dann aber doch aus dem Kopf, weil das Landstück zwar juristisch zum Imperium gehörte, in der Praxis aber vom eigentlichen Imperium durch eine dreiundzwanzig Kilometer breite Wasserfläche getrennt war. Konnte ich ein Boot stehlen? Ich durfte darauf wetten, daß jedes Boot, das jenen Teil des Sees befuhr, einen Alarmstrahl durchschneiden würde.
Wenn man dann nicht richtig auf den Anruf reagierte, bekam man einen Laserstrahl in den Bug, der rie-sige Lecks reißen mußte. Ich kämpfe nicht gegen Laser; man kann sie nicht bestechen oder becircen — ich gab die Sache auf.
Eben hatte ich das Studium beendet und ließ das Bild der Landkarten noch auf mich wirken, als plötzlich Janets Stimme aus dem Terminal tönte. „Marjorie bitte komm sofort ins Wohnzimmer!“
Ich reagierte schnell.
Ian sprach mit jemandem auf dem Bildschirm. Georges hielt sich abseits, außerhalb des Erfassungsbereiches der Kameralinse. Janet bedeutete mir durch Handzeichen, es ihm nachzumachen. „Polizei“, sagte sie leise. „Ich schlage vor, du gehst sofort ins Loch hinunter! Warte dort ab, dann rufe ich dich an, wenn es vorbei ist.“
„Weiß man, daß ich hier bin?“ fragte ich ebenso gelassen.
„Das ist noch nicht klar geworden.“
„Dann wollen wir mal abwarten. Wenn die Beamten wissen, daß ich hier bin, und mich nicht finden bekommt ihr Ärger.“
„Wir haben keine Angst vor Ärger.“
„Vielen Dank. Aber jetzt hören wir erst einmal zu.“
„Mel“, sagte Ian zu dem Gesicht auf dem Bildschirm, „nun hören Sie endlich auf! Georges ist kein feindlicher Ausländer, das wissen Sie genau. Was diese … ›Miß Baldwin‹ angeht — so haben Sie sie doch genannt — warum suchen Sie ausgerechnet bei uns nach ihr?“
„Sie verließ gestern abend mit Ihnen und Ihrer Frau den Flughafen. Wenn sie nicht mehr bei Ihnen ist, wissen Sie bestimmt, wo sie steckt. Was Georgesangeht, so ist heute jeder Québecer ein feindlicher Ausländer, egal wie lange er schon hier ist oder welchen Klubs er angehört. Und sicher wäre es Ihnen lieber, wenn ein alter Freund ihn abholt als irgendein Streifenbeamter. Jetzt schalten Sie bitte Ihre Luftabwehr aus! Ich bin landebereit.“
„›Alter Freund‹ — das ist ja gelacht! Er versucht mich schon seit der High School ins Bett zu bekommen; ich habe ihn immer wieder abweisen müssen. Er ist ein schleimiger Charakter.“
Ian seufzte. „Mel, jetzt ist wirklich der richtige Zeitpunkt, von Freundschaft zu sprechen. Wenn Georges hier wäre, würde er sich lieber von einem Streifenbeamten verhaften lassen, als unter dem Vorwand von Freundschaft abgeholt zu werden. Also zurück auf Feld Eins! Bitte den Dienstweg.“
„Oh, so soll das also laufen, wie? Na schön! Hier spricht Lieutenant Dickey. Ich bin gekommen, um eine Verhaftung vorzunehmen. Schalten Sie die Luftabwehr aus! Ich lande.“
„Ian Tormey, Hausbesitzer, ich bestätige Ihren Anruf, Lieutenant, halten Sie den Haftbefehl vor die Kamera, damit ich ihn mir anschauen und photographieren kann.“
„Ian, Sie haben ja den Verstand verloren! Wir leben im Notstand; ich brauche keinen Haftbefehl.“
„Ich verstehe nicht, was Sie sagen.“
„Vielleicht verstehen Sie das: Ich stehe im Begriff ihre Luftabwehr kurzzuschließen. Wenn ich dabei irgend etwas in Brand stecke, wäre das allein Ihr Problem.“
Angewidert breitete Ian die Hände aus und betätigte dann einige Kontrollen auf der Tastatur. „Luft-abwehr ausgeschaltet.“ Anschließend drückte er „Unterbrechung“ und wandte sich an uns. „Ihr beiden habt knapp drei Minuten Zeit, ins Loch zu verschwinden. An der Tür kann ich ihn nicht lange zurückhalten.“
„Ich verstecke mich nicht in einem Loch im Boden“, sagte Georges leise. „Ich werde auf meinen Rechten bestehen. Wenn sie mir nicht zugebilligt werden, werde ich später Melvin Dickey verklagen daß er seines Lebens nicht mehr froh wird.“
Ian zuckte die Achseln. „Du bist ein verrückter Kanacke. Aber du bist erwachsen. Marj, meine Liebe geh in Deckung! Es dauert bestimmt nicht lange, ihn loszuwerden, da er im Grunde nicht positiv weiß, ob du hier bist.“
„Äh, wenn nötig, verschwinde ich im Loch. Aber kann ich nicht einfach in Janets Bad abwarten? Vielleicht geht er auch so. Ich schalte dort das Terminal ein und verfolge, was hier läuft. Einverstanden?“
„Marj, du machst Schwierigkeiten!“
„Dann überzeuge Georges, daß er auch mit ins Loch hinunterkommt. Wenn er hierbleibt, werde ich vielleicht gebraucht. Um ihm zu helfen. Um dir zu helfen.“
„Wovon redest du, um alles in der Welt?“
Das wußte ich selbst nicht ganz genau. Jedenfalls entsprach es auf keinen Fall meinem Training, freiwillig ein Spielfeld zu verlassen und in einem Versteck Zuflucht zu suchen. „Ian, dieser Melvin Dickey … ich glaube, er will Georges an den Kragen. Das lag bereits in seiner Stimme. Wenn Georges nicht mit ins Loch hinabwill, dann sollte ich ihn begleiten, um dafür zu sorgen, daß dieser Dickey ihm nicht weh tut.Wer in den Händen der Polizei ist, braucht einen Zeugen auf seiner Seite.“
„Marj, du kannst doch unmöglich verhindern, daß ein …“
Ein dumpfer Gongton erschallte. „Verdammt! Er ist schon an der Tür. Verschwindet aus dem Sichtbereich. Und du verschwindest im Loch!“
Ich verzog mich aus dem Blickfeld, schwamm aber nicht in das Versteck. Hastig begab ich mich in Janets großes Badezimmer, schaltete das Terminal ein und suchte mir dann am Selektorschalter die Wohnzimmerkamera aus. Als ich den Ton lautgestellt hatte kam es mir beinahe so vor, als wäre ich noch am Ort des Geschehens.
Ein frecher Hahn stolzierte herein.
In Wirklichkeit war es nicht Dickeys Körper, der klein war, sondern seine Seele. Dickey besaß ein Ego der Größe zwölf in einer Seele von der Größe vier und beides in einem Körper, der beinahe so massig war wie der von Ian. In Begleitung Ians betrat er den Raum, entdeckte Georges und sagte triumphierend:
„Perreault, ich verhafte Sie, weil Sie sich vorsätzlich nicht zur Internierung gemeldet haben, wie es dem Krisenerlaß, Paragraph sechs, entspricht.“
„Ich habe eine solche Anordnung nie erhalten.“
„Ach, Unsinn! Das ist mehrmals in den Nachrichten verbreitet worden.“
„Es ist nicht meine Gewohnheit, mir die Nachrichten anzuschauen. Mir ist kein Gesetz bekannt, das mich dazu verpflichtet. Dürfte ich eine Kopie des Befehls sehen, nach dem Sie mich verhaften wollen?“
„Versuchen Sie nicht den Winkeladvokaten zu spielen, Perreault. Wir haben den nationalen Not-stand, den ich hier zu vertreten habe. Sie können den Erlaß lesen, wenn ich Sie abliefere. Ian, ich ernenne Sie hiermit zum Deputy, mit der Auflage, mir zu helfen. Nehmen Sie diese Dinger …“ — Dickey griff hinter sich und zog ein Paar Handschellen hervor — „und legen Sie sie ihm an! Die Hände hinter dem Rücken!“
Ian bewegte sich nicht. „Mel, Sie sollten sich nicht mehr zum Narren machen, als Sie es ohnehin sind.
Sie haben nicht den geringsten Grund, Georges Handschellen anzulegen.“
„Und ob ich das habe! Wir sind knapp an Leuten und ich führe diese Verhaftung ohne Begleitung durch. Ich kann es mir also nicht leisten, daß unser Freund auf dem Rückflug vielleicht einen Ausbruchsversuch macht. Nun beeilen Sie sich schon und legen Sie ihm die Handschellen an!“
„Richten Sie die Waffe nicht auf mich!“
Ich war bereits keine Zuschauerin mehr. Ich stürmte aus dem Bad, durch zwei Türen, einen langen Flur entlang und ins Wohnzimmer, begleitet von dem seltsam eingefrorenen Gefühl der Bewegung das von der Supermotorik vermittelt wird.
Dickey versuchte mit seiner Waffe drei Leute in Schach zu halten, und zu diesen dreien gehörte auch Janet. Das hätte er nicht tun dürfen. Ich raste auf ihn zu, entriß ihm die Waffe und versetzte ihm einen Handkantenschlag ins Genick. Die Wirbel gaben jenes unangenehme Knirschen von sich, das sie beim Brechen immer erzeugen — ein ganz anderer Laut als das kurze Knacken von Arm- oder Beinknochen.
Ich ließ ihn zu Boden sinken und legte die Waffe neben ihm ab, wobei ich gleichzeitig registrierte, daß es sich um eine Raytheon fünf-null-fünf handelte, dieein Mastodon hätte erlegen können — wozu brauchen Männer mit kleinen Seelen solche großen Waffen?
„Bist du verletzt, Jan?“ fragte ich.
„Nein.“
„Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Ian genau das habe ich vorhin gemeint, als ich sagte vielleicht würde meine Hilfe benötigt. Aber ich hätte gleich hierbleiben sollen. Ich bin beinahe zu spät gekommen.“
„Noch nie habe ich jemanden so schnell handeln sehen!“
„Oh, ich schon“, sagte Georges gelassen.
Ich wandte mich zu ihm. „Natürlich hast du so etwas schon gesehen. Georges, hilfst du mir, dieses Ding …“ — ich deutete auf den Toten — „fortzuschaffen? Und kannst du ein Polizei-AAF fliegen?“
„Wenn ich muß.“
„Etwa so geht’s mir auch. Lassen wir die Leiche verschwinden. Janet hat mir unten angedeutet, wie die Toten hier beseitigt werden, allerdings ohne mir die Stelle zu zeigen. Ein Loch abseits des Fluchttunnels, nicht wahr? An die Arbeit! Sobald wir das los sind, können Georges und ich abfliegen. Oder Georges bleibt und steht die Sache an Ort und Stelle durch. Aber sind die Leiche und das AAF erst einmal verschwunden, könnt ihr beiden die Ahnungslosen spielen. Beweise gibt es nicht mehr. Ihr habt ihn nie gesehen. Aber wir müssen uns beeilen, ehe er vermißt wird.“
Jan kniete neben dem toten Polizei-Lieutenant auf dem Boden. „Marj, du hast ihn tatsächlich umgebracht!“
„Ja. Er hat mich zur Eile angetrieben. Trotzdem ha-be ich ihn ganz bewußt getötet, denn in einer Auseinandersetzung mit einem Polizeibeamten ist es besser wenn man gleich endgültige Maßnahmen ergreift, als ihn nur zu verwunden. Jan, er hätte seinen Brenner nicht auf dich richten dürfen. Ohne diese Geste hätte ich ihn vielleicht nur entwaffnet, und anschließend nur getötet, wenn ihr der Meinung gewesen wärt, er müsse sterben.“
„Du hast dich wirklich beeilt. Eben noch warst du gar nicht hier, und im nächsten Moment tauchtest du auf, und Mel sank zu Boden. Ob er nach meiner Ansicht sterben mußte? Ich weiß es nicht, aber leid tun wird es mir um ihn nicht. Er ist eine Ratte. War eine Ratte.“
Ian sagte langsam: „Marj, dir scheint nicht klar zu sein, daß das Umbringen eines Polizeibeamten eine schwerwiegende Sache ist. Das einzige Kapitalverbrechen, das in der Britisch-Kanadischen Gesetzgebung noch übriggeblieben ist.“
Wenn Leute so reden, begreife ich sie nicht; ein Polizist ist doch nichts Besonderes. „Ian, in meinen Augen ist es eine schwerwiegende Sache, meinen Freunden eine Waffe unter die Nase zu halten. Janet zu bedrohen halte ich sogar für ein Kapitalverbrechen. Aber es tut mir leid, wenn ich euch verwirrt habe. Zunächst müssen wir eine Leiche und ein AAF verschwinden lassen. Ich kann euch dabei helfen.
Oder verschwinden. Entscheidet euch aber schnell!
Wir wissen nicht, wie bald man nach ihm suchen wird — und nach uns. Nur daß man es irgendwann tun wird.“
Während des Sprechens durchsuchte ich den Toten — er hatte keine Handtasche bei sich, so daß ich dieeinzelnen Taschen durchgehen mußte. Besonders bei der Hose war ich vorsichtig, denn der Ringmuskel hatte sich gelockert, wie es immer bei Sterbenden eintrat. Zum Glück nicht viel — er hatte sich kaum eingenäßt und stank auch noch nicht. Oder wenigstens noch nicht schlimm. Die wichtigen Dinge befanden sich im Jackett: Brieftasche und Kontaktgerät Ausweise, Geld, Kreditkarten, all das mitnehmbare Zeug, das dem modernen Menschen bestätigt, daß er am Leben ist. Ich nahm die Brieftasche und den Raytheon-Brenner; der Rest war unbrauchbar. Ich hob die Handschellen hoch. „Könnt ihr Metall loswerden? Oder muß das dort verschwinden, wo auch die Leiche landet?“
Ian kaute noch immer auf seiner Unterlippe herum.
Georges sagte sanft: „Ian, ich dränge dich, Marjories Hilfe anzunehmen. Offensichtlich ist sie eine Expertin.“
Ian kam zu einer Entscheidung. „Georges, nimm seine Füße!“ Die Männer schleppten den Toten in das große Badezimmer. Ich eilte ihnen voraus und ließ Dickeys Waffe, Handschellen und Brieftasche in meinem Zimmer auf das Bett fallen, und Janet legte schließlich noch seinen Hut dazu. Dann hastete ich ins Badezimmer und begann mich noch im Laufen auszuziehen. Unsere Männer waren mit der Last eben am Ziel eingetroffen. Als der Tote hingelegt wurde sagte Ian: „Marj, du brauchst dich nicht auszuziehen.
Georges und ich bringen ihn durch und beseitigen ihn.“
„Einverstanden“, sagte ich. „Aber ich wasche ihn zuerst ab. Ich weiß, was zu tun ist. Und dazu bin ich lieber nackt, da brauche ich hinterher nur schnell eine Dusche zu nehmen.“Ian blickte mich ratlos an und sagte: „Wozu, er kann doch dreckig bleiben!“
„Von mir aus — aber dann würdet ihr den Bottich und auch den Tunnel zum Versteck erst wieder benutzen wollen, wenn das Wasser ausgetauscht und das Becken saubergeschrubbt worden ist. Ich finde, es ginge schneller, den Leichnam abzuwaschen. Es sei denn …“ In diesem Augenblick betrat Janet den Raum. „Janet, du erwähntest, daß sich dieser Bottich in einen Zwischentank entleeren ließe. Wie lange dauert das? Rein und wieder raus.“
„Etwa eine Stunde. Es ist nur eine kleine Pumpe.“
„Ian, ich kann die Leiche in zehn Minuten sauber haben, wenn ihr sie auszieht und unter die Dusche hebt. Was passiert mit seiner Kleidung? Verschwindet sie im Müllvernichter, oder habt ihr eine andere Möglichkeit, sie zu beseitigen? Muß sie mit durch den Tunnel zum Versteck?“
Nachdem Ian sich zum Mitmachen entschlossen hatte und die anderen mir den Vortritt ließen, kamen die Dinge schnell in Bewegung. Jan zog sich ebenfalls aus und bestand darauf, mir beim Waschen der Leiche zu helfen, während Georges die Kleidung in die Waschmaschine steckte und Ian durch den Wassertunnel tauchte, um Vorbereitungen zu treffen.
Ich wollte mir von Janet nicht helfen lassen, weil ich darauf trainiert bin, meinen Verstand zu beherrschen, etwas, das ich bei ihr nicht annahm. Aber auf jeden Fall ist sie eine widerstandsfähige Person. Sie ließ sich nichts anmerken; nur rümpfte sie einige Male ein wenig die Nase. Und natürlich wurden wir mit ihrer Hilfe viel schneller fertig.
Georges brachte die frischgewaschene, tropfnasseKleidung. Janet steckte sie in einen Plastiksack und drückte die Luft heraus. Ian tauchte im Becken auf und hatte das Ende eines Seils in der Hand. Die Männer machten es unter den Armen des Toten fest; kurze Zeit später war er verschwunden.
Zwanzig Minuten später waren wir sauber und trocken, und von Lieutenant Dickey gab es im ganzen Haus keine Spur mehr. Janet war in „mein“ Zimmer gekommen, während ich aus Dickeys Brieftasche einige Dinge in meinen Geldgurt steckte — in erster Linie Geld, außerdem zwei Kreditkarten — American Express und Maple Leaf.
Janet machte keine dumme Bemerkung über „Leichenfledderei“ oder dergleichen — und ich hätte auch nicht weiter darauf geachtet. In unserer Zeit ist es unmöglich, ohne gültige Kreditkarte oder Bargeld zu arbeiten. Jan verließ das Zimmer und kehrte gleich darauf mit doppelt soviel Geld zurück, wie ich dem Toten abgenommen hatte. Ich nahm es mit den Worten: „Du weißt natürlich, daß ich keine Ahnung habe wann und wie ich es dir zurückzahlen kann.“
„Natürlich weiß ich das. Marj, ich bin wohlhabend.
Meine Großeltern hatten schon viel Geld, und ich kenne nichts anderes. Hör mal, meine Liebe! Vorhin hat ein Mann eine Waffe auf mich gerichtet — und du hast ihn mit bloßen Händen überwältigt. Meine beiden Ehemänner waren anwesend — aber du hast den Angriff durchgeführt.“
„So darfst du die Männer nicht sehen, Jan; sie sind nicht entsprechend ausgebildet.“
„Das war deutlich auszumachen. Eines Tages möchte ich gern mehr darüber erfahren. Besteht die Möglichkeit, daß du nach Québec reist?“
„Eine gute Chance sogar, wenn Georges sich zur Abreise entschließt.“
„Das hatte ich mir gedacht.“ Sie hielt mir noch mehr Geld hin. „Ich habe nicht viel Q-Francs im Haus. Ich gebe dir alles.“
In diesem Augenblick kamen die Männer ins Zimmer. Ich warf einen Blick auf meinen Finger, dann auf die Wand. „Es ist jetzt siebenundvierzig Minuten her seit ich ihn umgebracht habe, er hat also seit mehr oder weniger einer Stunde keinen Kontakt mehr mit seinem Hauptquartier. Georges, ich werde versuchen das Polizei-AAF zu steuern; ich habe hier den richtigen Schlüssel. Es sei denn, du willst mitkommen und den Steuerknüppel übernehmen. Kommst du? Oder willst du den nächsten Verhaftungsversuch abwarten? Wie auch immer, ich verschwinde jetzt.“
„Verschwinden wir doch alle!“ sagte Jan plötzlich.
Ich grinste sie an. „Großartige Idee!“
„Meinst du das wirklich ernst, Janet?“ fragte Ian.
„Ich …“ Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn.
„Es geht ja gar nicht! Die Katzenmutter und ihre Kleinen. Dann Blackie und Dämon und Star und Red.
Das Haus könnten wir wohl schließen. Mit einem Haushalts-Shipstone ist es wintersicher. Aber es würde einen oder zwei Tage Vorbereitungen kosten den Rest unserer Familie unterzubringen. Ich kann die Tiere nicht einfach im Stich lassen. Das bringe ich nicht fertig!“
Darauf gab es keine Antwort, und so hielt ich den Mund. Die schlimmsten Tiefen der Hölle sind für Menschen reserviert, die junge Katzen aussetzen. Der Chef meint, ich wäre sentimental, und damit hat er sicher recht.Wir gingen ins Freie. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und plötzlich wurde mir klar, daß ich diesen Haushalt vor knapp vierundzwanzig Stunden erst betreten hatte — es kam mir wie ein Monat vor. Meine Güte, vor gut einem Tag war ich noch in Neuseeland gewesen — ich konnte es mir kaum vorstellen!
Das Polizeifahrzeug hockte in Jans Gemüsegarten ein Umstand, der sie zu Ausdrücken veranlaßte, wie ich sie von ihr nicht erwartet hatte. Das Gebilde hatte die übliche gedrungene Austernform einer AntigravMaschine, die nicht für den Verkehr im Weltall bestimmt war, und hatte etwa die Größe unseres Familien-Landwagens in Neuseeland. Nein, dieser Gedanke betrübte mich nicht; Jan und ihre Männer — und Betty und Freddie — hatten in meinem Herzen die Stelle der Davidson-Gruppe eingenommen — Donna e mobile, so bin ich nun mal! Und jetzt hatte ich das dringende Bedürfnis, zum Chef zurückzukehren.
War er eine Vaterfigur für mich? Wahrscheinlich — andererseits interessiere ich mich für die Theorien der Psychiater nicht sonderlich.
„Ich will mir den Kasten mal anschauen, ehe ihr ihn startet“, sagte Ian. „Ihr Amateure könntet euch sonst was antun.“ Er öffnete das Luk und stieg ein.
Gleich darauf erschien er wieder im Freien. „Wenn ihr wollt, bekommt ihr das Ding hoch. Aber hört meine Warnung. Das AAF ist mit Identifikationssender ausgerüstet. Mit ziemlicher Sicherheit besitzt es einen aktiven Erkennungsstrahl, obwohl ich den nicht finden kann. Die Shipstone-Energie ist auf einunddreißig Prozent Leistung herunter, wenn ihr also nach Québec wollt, könnt ihr dieses Transportmittel vergessen. Die Kabine läßt sich dichtmachen, derDruck dürfte aber bei Höhen über zwölftausend Metern nicht zu halten sein. Und jetzt kommt das Schlimmste: das Terminal verlangt bereits nach Lieutenant Dickey.“
„Überhören wir den Anruf?“
„Natürlich, Georges. Aber als Folge der OrtegaProzesse im letzten Jahr sind in die Polizeiwagen Vernichtungs-Sprengladungen eingebaut worden, die ferngesteuert gezündet werden können. Ich habe nach so einem Ding gesucht. Hätte ich es gefunden hätte ich es entschärft. Aber ich konnte nichts entdekken. Das heißt nicht, daß es die Ladung nicht gibt.“
Ich zuckte die Achseln. „Ian, notwendige Risiken haben mich noch nie geschreckt. Nur die andere Sorte versuche ich zu meiden. Trotzdem müssen wir die Blechkiste loswerden. Sie irgendwohin fliegen. Sie abstellen.“
„Nicht so schnell, Marj“, sagte Ian. „Fluggerät aller Art ist mein Leben. Dieser Bursche … Ja! Er besitzt den üblichen Militär-Autopiloten. Wir schicken das Ding einfach auf die Reise! Wohin? Nach Osten? Die Maschine würde abstürzen, ehe sie Québec erreicht — und das müßte die Behörden auf die Vermutung bringen, daß du nach Hause willst, Georges — während du in Wirklichkeit putzmunter in unserem Loch sitzt.“
„Mir gefällt das weniger, Ian. Ich werde mich auf keinen Fall im Loch verstecken. Ich war bereit zu verschwinden, weil Marjorie eine Schutzperson braucht.“
„Da ist eher anzunehmen, daß sie dich beschützt.
Du hast doch selbst gesehen, wie sie unseren Freund aus dem Weg geräumt hat.“
„Schon richtig. Aber ich meinte meinen Schutz nicht nur im Sinne einer Verteidigung.“
„Das klang mir aber nicht so …“
Ich unterbrach das Gespräch: „Ian, reicht die Energie aus, um das AAF nach Süden zum Imperium zu tragen?“
„Ja. Aber es wäre nicht sicher, wenn du dorthin fliegen wolltest.“
„Das habe ich nicht gemeint. Stell einen Südkurs und die größte Höhe ein. Vielleicht schießen eure Grenzwächter die Maschine ab, vielleicht das Imperium. Vielleicht kommt sie auch durch, wird aber mit Fernauslöser in die Luft gesprengt. Oder sie fliegt, bis die Energie aufgebraucht ist, und stürzt dann aus größter Höhe ab. Egal, auf jeden Fall wären wir das Ding los.“
„Gemacht.“ Ian verschwand wieder in der Kabine und machte sich an den Kontrollen zu schaffen. Das Gebilde schwebte empor — er warf sich heraus und ließ sich aus drei oder vier Metern Höhe zu Boden fallen. Ich half ihm hoch. „Alles in Ordnung?“
„Bestens. Seht doch, wie der Kasten abgeht!“ Das Polizeifahrzeug verschwand mit hoher Geschwindigkeit in südlicher Richtung. Plötzlich verließ es die Dämmerungszone und erstrahlte grell im Licht der letzten Sonnenstrahlen. Es schrumpfte und war bald verschwunden.