32. Kapitel

Es war zwei Stunden nach Mitternacht, Schiffszeit.

Der Durchbruch in den Normalraum war plangemäß erfolgt, gegen elf Uhr früh, und die Zahlen hatten so gut ausgesehen, daß man gegen null-siebenzweiundvierzig mit dem Erreichen der Stationären Kreisbahn um Botany Bay rechnete, mehrere Stunden früher als ursprünglich kalkuliert. Mich freute diese Entwicklung weniger, denn nach meiner Einschätzung vergrößerte sich durch einen frühmorgendlichen Abflug der Landungsboote die Gefahr, daß mitten in der Nacht Leute in den Gängen unterwegs waren.

Aber ich hatte keine andere Wahl … Der entscheidende Moment raste auf mich zu, eine zweite Chance würde ich nicht bekommen. Ich überlegte mir meine Pläne noch einmal gründlich, gab Tilly zum Abschied einen Kuß, forderte sie mit erhobenem Finger auf keinen Lärm zu machen, und schloß die Tür der Kabine BB hinter mir.

Ich mußte einen weiten Weg in Richtung Heck zurücklegen und dabei drei Decks tiefer steigen. Zweimal ging ich langsamer, um Nachtwächtern aus dem Weg zu gehen, die ihre Runden machten. Einmal verschwand ich im letzten Augenblick in einem Quergang weil mir ein Passagier entgegenkam. Ich setzte meinen Weg bis zum nächsten abzweigenden Korridor fort und kehrte dann auf die Steuerbordseite zurück. Schließlich erreichte ich den kurzen sackgassenartigen Tunnel zur Passagier-Luftschleuse des Steuerbord-Landungsboots.Und mußte feststellen, daß „Mac“-Pete-Percival dort auf mich wartete.

Lächelnd trat ich auf ihn zu, legte vielsagend einen Finger an die Lippen und versetzte ihm einen kurzen Hieb unter das Ohr.

Vorsichtig ließ ich ihn zu Boden gleiten, schob ihn aus dem Weg und wandte mich dem Kombinationsschloß zu …

… und merkte, daß ich die Kennzeichnungen auf den Tasten kaum zu sehen vermochte, obwohl ich mein gesteigertes Sehvermögen einsetzte. In den Korridoren war lediglich die Nachtbeleuchtung eingeschaltet, und die kurze Sackgasse lag völlig im Dunkeln. Zweimal bekam ich die Kombination nicht hin.

Ich trat einen Schritt zurück und überlegte. Sollte ich zur Kabine zurückkehren und mir eine Taschenlampe holen? Ich hatte dort keine, aber vielleicht besaß Tilly eine Lampe. Wenn nicht, sollte ich dann warten, bis die Tagbeleuchtung eingeschaltet wurde?

Damit wurde aber die Zeit zu knapp; zu der Zeit würde das Schiff bereits zum Leben erwachen. Hatte ich aber eine andere Wahl?

Ich kümmerte mich um Pete — noch immer ohnmächtig, doch mit kräftigem Herzschlag … Dein Glück, Pete! Wäre ich voll ausgelöst gewesen, würdest du jetzt nicht mehr leben. Ich durchsuchte ihn.

Ohne Überraschung zog ich eine Stiftlampe aus seiner Tasche — seine Aufgabe (mich zu verfolgen) mochte den Einsatz einer Lampe erforderlich machen, während Miß Neureich sich mit solchen Kleinigkeiten nicht abgab.

Sekunden später hatte ich die Tür geöffnet.

Ich zerrte Pete über die Schwelle, klappte die Türzu und verriegelte sie, indem ich das Rad in beiden Richtungen kreisen ließ. Dann drehte ich mich um stellte fest, daß Petes Lider zu zucken begannen — und schickte ihn noch einmal ins Reich der Träume.

Was nun kam, war denkbar mühsam. Pete bringt ungefähr fünfundachtzig Kilo Masse auf die Beine was für einen Mann nicht zuviel ist. Aber es sind fünfundzwanzig Kilogramm mehr als ich, außerdem ist er viel größer. Tom hatte mir mitgeteilt, daß die Techniker die künstliche Schwerkraft auf 0.97 g geschaltet hatten, auf den Wert, der für Botany Bay gültig war. In diesem Augenblick wäre mir der freie Fall lieber gewesen oder zumindest ein Antigrav-Gerät da ich Pete nicht dort liegen lassen konnte, weder tot noch lebendig.

Es gelang mir schließlich, ihn halb auf den Rücken zu nehmen, so daß ich sogar noch eine Hand frei hatte; allerdings mußte ich die kleine Lampe wie eine Zigarre in den Mund nehmen, um mich überhaupt orientieren zu können. Das Licht war wirklich eine große Hilfe — doch notfalls hätte ich mich auch so durch die Dunkelheit getastet, ohne den Bewußtlosen.

Auf meinem Weg nahm ich nur einmal eine falsche Biegung, und erreichte endlich den größten Frachtraum — der im schmalen Lichtstrahl meiner kleinen Lampe noch viel größer wirkte. Mit totaler Dunkelheit hatte ich nicht gerechnet; ich war davon ausgegangen, daß das Landungsboot von Mitternacht bis nullsechshundert ebenso im Schein der Nachtbeleuchtung liegen würde wie das Hauptschiff.

Schließlich traf ich bei dem Versteck ein, das ich mir am Vortag ausgeguckt hatte: dem riesigenWestinghouse-Turbogenerator.

Vermutlich sollte der mächtige Brocken mit Gas angetrieben werden, vielleicht auch mit Dampf — auf keinen Fall war er für einen Antrieb durch ShipstoneEnergieträger gedacht. Es gibt so manche überholten technischen Entwicklungen, die in den Kolonien noch eingesetzt werden, die aber dort, wo Shipstones verfügbar sind, keinen Platz mehr haben. Ich weiß nichts darüber, mich interessierte aber auch nicht, wie dieses Ding funktionierte; mein Interesse galt der Tatsache, daß es zur Hälfte einem riesigen, auf der Seite liegenden Kegelstumpf glich — was unter der Schmalseite in der Mitte einen gut einen Meter hohen Freiraum ließ. Groß genug für einen Körper. Den meinen.

Zum Glück stellte sich heraus, daß auch zwei dort unterkamen, denn nun hatte ich ja diesen unwillkommenen Gast am Hals, den ich weder umbringen noch zurücklassen konnte.

Das Versteck bekam sogar einen Anstrich von Gemütlichkeit durch die Glasfaserplane, die von den Technikern über das Monster gespannt worden war ehe es festgezurrt wurde. Zwischen zwei Ziehleinen mußte ich mich darunterwinden und mich dann teuflisch anstrengen, um Pete hinter mir hereinzuzerren. Ich schaffte es. Dabei zog ich mir allerdings einige Hautabschürfungen zu.

Ich schaute noch einmal nach ihm, dann zog ich ihn aus. Wenn ich Glück hatte, kam ich noch ein wenig zum Schlafen — was unmöglich gewesen wäre hätte ich einen meiner Wächter bewußtlos am Eingang zurückgelassen.

Pete trug Hose, Gürtel, Hemd, Unterhose, Socken Mokassin-Schuhe und ein Unterhemd. Ich streifteihm alles herunter. Dann fesselte ich ihm mit dem Hemd die Hände auf dem Rücken zusammen, dann die Füße mit den Hosenbeinen, und Handgelenke und Füße verband ich hinter seinem Rücken mit dem Gürtel. Eine sehr unbequeme Position, die man mir in der Grundausbildung beigebracht hatte als Möglichkeit, Fluchtversuche im Keim zu ersticken.

Als ich ihn knebeln wollte, wozu ich sein Unterhemd benutzen wollte, sagte er leise: „Das ist wirklich überflüssig, Miß Freitag. Ich bin schon seit einiger Zeit wach. Wir sollten uns mal unterhalten.“

Ich erstarrte. „Ich dachte mir gleich, daß Sie bei Bewußtsein waren. Aber ich war bereit, das Spielchen mitzumachen, solange Sie darauf Wert legten. Ich ging davon aus, Sie wüßten, daß ich Ihnen Ihren Schwanz ausreißen und in den Hals stopfen würde wenn Sie mir auch nur den geringsten Ärger machten.“

„Etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht. Ich hatte allerdings nicht erwartet, daß Sie gleich so drastisch vorgehen würden.“

„Warum nicht? Mit Ihrem famosen Ding habe ich ja schon Bekanntschaft gemacht — und zwar nicht eben auf angenehme Weise. Da steht mir ja wohl ein gewisser Bewegungsspielraum zu. Einwände?“

„Miß Freitag, lassen Sie mich mal ein paar Worte sagen?“

„Klar, warum nicht? Aber ein Ton, der mir nicht gefällt, und Ihre Pracht ist ab.“ Ich sorgte dafür, daß er über meine Absichten nicht im Zweifel blieb.

„Oh! Nun mal langsam — bitte! Der Zahlmeister hat uns heute nacht auf Doppelwache geschickt. Ich …“

„›Doppelwache‹? Inwiefern?“

„Normalerweise ist in der Zeit, die Sie in Ihrer Kabine verbringen, nur Tilly — Shizuko — im Dienst.

Wenn Sie dann aufstehen, drückt Sie auf ein Knöpfchen, und das ist für mich das Signal, die Wache aufziehen zu lassen. Der Zahlmeister — vielleicht auch der Kapitän — ist aber ziemlich nervös, was Sie betrifft. Macht sich Sorgen, daß Sie in Botany Bay aus dem Schiff entwischen könnten …“

Ich machte runde Augen. „Du meine Güte! Wie kann nur jemand über meine unschuldige kleine Person so etwas Böses denken!“

„Keine Ahnung“, antwortete er ernst. „Aber warum sind wir hier in diesem Landungsboot?“

„Ich bereite meinen Landausflug vor. Und Sie?“

„Ich auch. Hoffe ich. Miß Freitag, mir war klar wenn Sie in Botany Bay aus dem Schiff wollten, würden Sie es heute nacht während der Mittelwache versuchen. Ich hatte keine Ahnung, wie Sie ins Landungsboot zu gelangen hofften, war aber zuversichtlich, daß es Ihnen gelingen würde — und wie ich sehe haben Sie mein Vertrauen voll und ganz gerechtfertigt.“

„Vielen Dank. Na, zumindest ein wenig. Wer behält das Backbord-Boot im Auge? Oder ist da niemand?“

„Graham. Ein kleiner blonder Bursche. Vielleicht ist er Ihnen schon aufgefallen.“

„Zu oft.“

„Ich entschied mich für diese Seite, weil Sie sich gestern mit Mr. Udell dieses Boot angesehen haben.

Oder vorgestern, je nachdem, wie man es nimmt.“

„Mir ist egal, wie Sie es nehmen. Pete, was passiert wenn man Sie vermißt?“

„Vielleicht vermißt man mich gar nicht. Joe Stupido — entschuldigen Sie, Joseph Steuben; das andere ist meine Privatbezeichnung für ihn — hat Anweisung mich nach dem Frühstück abzulösen. Wenn ich Joe richtig einschätze, macht er kein Aufhebens davon wenn er mich nicht an der Tür antrifft; er wird sich mit dem Rücken an die Tür setzen und schlafen, bis jemand kommt und die Tür aufmacht. Dann bleibt er auf dem Posten, bis das Boot ablegt — woraufhin er in seine Kabine zurückkehrt und die Augen zumacht bis ich ihn holen komme. Joe ist geduldig, aber nicht besonders helle. Was ich in meine Überlegungen einbezogen habe.“

„Pete, es hört sich ja ganz so an, als hätten Sie das alles geplant.“

„Ich hatte nicht vorgesehen, mir einen wunden Hals und Kopfschmerzen einzufangen. Hätten Sie so lange gewartet, bis ich etwas sagen konnte, hätten Sie mich nicht schleppen müssen.“

„Pete, wenn Sie mich dazu überreden wollen, Sie loszubinden, bellen Sie in den falschen Brunnen.“

„Heißt das nicht ›den falschen Baum anbellen‹?“

„Wie auch immer — jedenfalls sind Sie bei mir falsch, und Sie verbessern Ihre Chancen nicht gerade indem Sie meine Ausdrucksweise korrigieren. Sie stecken in der Klemme, Pete. Nennen Sie mir einen guten Grund, warum ich Sie nicht umbringen und hier liegenlassen sollte! Der Kapitän hat nämlich recht; ich verlasse das Schiff. Sie sind mir dabei nur im Wege.“

„Nun ja … ein Grund wäre, daß man während des Ausladens meine Leiche finden würde. Sofort käme die Suche nach Ihnen in Gang.“

„Dann wäre ich schon viele Kilometer jenseits des Horizonts. Aber weshalb würde man nach mir suchen?

Ich werde an Ihnen keine Fingerabdrücke hinterlassen. Nur ein paar purpurne Druckstellen am Hals.“

„Motiv und Gelegenheit. Botany Bay ist eine ziemlich gesetzestreue Kolonie, Miß Freitag. Vermutlich können Sie sich durchlavieren, wenn Sie nur illegal aus dem Schiff gesprungen und illegal eingewandert sind; da wären Sie nicht die erste. Aber wenn man nach Ihnen wegen Mord fahndet, machen die Planetenbehörden bestimmt keine Ausnahme.“

„Ich werde auf Notwehr plädieren. Immerhin geht es um einen Mann, der mich erwiesenermaßen schon einmal vergewaltigt hat. Um Himmels willen, Pete was soll ich denn bloß mit Ihnen machen? Sie bringen mich in Verlegenheit! Sie wissen genau, daß ich Sie nicht umbringen werde; ich kann niemanden kaltblütig umlegen, nur in einer Zwangslage. Wenn ich Sie aber hier liegenlasse … Mal nachrechnen — fünf und drei sind acht, dann mindestens zwei weitere Stunden, ehe man beim Ausladen hier anlangt — das wären mindestens zehn Stunden — und ich müßte Sie knebeln — und es wird kalt …“

„Und ob es kalt wird! Könnten Sie mir nicht das Hemd um die Schultern legen?“

„Na schön, aber ich brauche es später noch, um Sie zu knebeln.“

„Außerdem ist es nicht nur kalt, sondern Hände und Füße schlafen bereits ein. Miß Freitag, wenn Sie mich zehn Stunden lang so hier liegenlassen, habe ich in beiden Händen und Füßen den Wundbrand und bin die Gliedmaßen los. Hier draußen gibt’s keine Regenerierung. Wenn man mich endlich an einen Ortgeschafft hat, wo so etwas möglich ist, ist an mir Hopfen und Malz verloren. Da wäre es schon freundlicher, mich umzubringen.“

„Verdammt, Sie versuchen an mein Mitleid zu appellieren!“

„Ich weiß nicht recht, ob Sie so etwas überhaupt kennen.“

„Hören Sie!“ gab ich zurück. „Wenn ich Sie losbinde und erlaube, daß Sie sich wieder anziehen, damit Sie wenigstens nicht frieren, lassen Sie sich dann wenigstens wieder fesseln und später auch knebeln, ohne Theater zu machen? Oder muß ich wesentlich energischer zuschlagen als vorhin und Sie bewußtlos machen? Das brächte die Gefahr, daß ich Ihnen das Genick breche. Möglich wäre es. Sie haben gesehen wie ich kämpfe …“

„Gesehen habe ich es nicht; nur die Folgen sind mir bekannt. Habe aber darüber gehört.“

„Dasselbe. Dann wissen Sie also Bescheid. Und Sie wissen auch, warum ich zu solchen Leistungen fähig bin. ›Meine Mutter war ein Reagenzglas …‹“

„›… und mein Vater ein Skalpell‹“, unterbrach er.

„Miß Freitag, ich hätte es nicht nötig gehabt, mich von Ihnen niederschlagen zu lassen. Sie sind schnell — aber ich bin nicht minder schnell, und meine Arme sind länger. Ich wußte, daß Sie über gesteigerte Reaktionen verfügen, Sie aber wußten das nicht von mir. Ich wäre also im Vorteil gewesen.“

Ich saß im Schneidersitz ihm gegenüber, als er diese erstaunlichen Worte äußerte. Mir war schwindlig und ich fragte mich, ob ich schon wieder brechen müßte. „Pete“, sagte ich beinahe flehend, „Sie würden mich doch nicht anlügen, oder?“

„Mein ganzes Leben lang mußte ich lügen“, antwortete er, „und das gleiche gilt für Sie. Doch …“ Er hielt inne und verdrehte die Handgelenke; die Fesseln zerbrachen. Wissen Sie, wieviel ein verdrehter Hemdsärmel aushält? Mehr als ein Hanfseil gleichen Durchmessers — probieren Sie es mal aus!

„Ich mache mir ungern das Hemd kaputt“, sagte er gelassen. „Aber das Unterhemd dürfte genügen. Die Hosen möchte ich aber lieber heil lassen; vermutlich brauche ich sie noch, ehe ich mir eine neue verschaffen kann. Sie kommen leichter an die Knoten ran; würden Sie sie bitte aufmachen, Miß Freitag?“

„Nennen Sie mich nicht ›Miß Freitag‹, Pete; wir sind beide KP.“ Ich machte mich an den Knoten zu schaffen. „Warum haben Sie mir das nicht längst gesagt?“

„Das wäre wohl geboten gewesen. Aber es kamen andere Dinge dazwischen.“

„Na bitte! Ach, Ihre Füße sind wirklich kalt! Ich reibe sie ein wenig. Damit der Kreislauf wieder in Gang kommt.“

Später schliefen wir eine Weile; zumindest ich machte die Augen zu. Pete schüttelte mich an der Schulter und sagte leise: „Wachen Sie lieber auf! Wir dürften gleich landen. Ein paar Lichter sind angegangen.“

Hinter und unter der Plane der riesigen Maschine unter der wir geschlafen hatten, schimmerte ein vages Licht. Ich gähnte die Erscheinung an. „Mir ist kalt.“

„Na, Sie haben Grund zum Klagen! Dabei haben Sie innen gelegen, wo es wärmer ist. Ich bin ganz durchgefroren.“

„Das haben Sie auch mehr als verdient. Sie Frauen-schänder, Sie sind zu dünn; als Decke taugen Sie nichts. Pete, wir müssen Ihnen ein bißchen Gewicht verschaffen. Was mich daran erinnert, daß wir noch kein Frühstück bekommen haben. Und der Gedanke an Nahrung … ich glaube, ich muß mich mal wieder übergeben.“

„Äh … schieben Sie sich an mir vorbei und kotzen Sie in die Ecke dort hinten. Nicht hierhin, wo wir drin liegen müßten. Und seien Sie dabei leise; vielleicht ist schon jemand hier im Frachtraum.“

„Gefühlloser, gemeiner Kerl! Nur aus diesem Grund verzichte ich aufs Brechen!“ Alles in allem fühlte ich mich ganz gut. Kurz vor Verlassen von Kabine BB hatte ich eine der kleinen blauen Tabletten genommen, deren Wirkung anzuhalten schien. Ein oder zwei Schmetterlinge flatterten in meinem Magen herum, sie schienen aber nicht besonders energisch zu sein — keine Schmetterlinge von der Sorte; die unbedingt wieder heraus wollen. Den Rest der Pillen die Dr. Jerry mir verschrieben hatte, trug ich bei mir.

„Pete, was machen wir jetzt?“

„Das fragen Sie mich? Sie haben doch diesen Ausbruch angezettelt, nicht ich!“

„Ja, aber Sie sind ein großer, kräftiger, maskuliner Typ, der beim Schlafen schnarcht. Ich dachte, Sie würden das Kommando sofort an sich reißen und sich einen klaren Plan zurechtlegen, während ich die Äuglein zu hatte. Sollte ich mich da irren?“

„Nun ja … Freitag, was hatten Sie denn vor? Was wollten Sie tun, wenn Sie nicht auf mich gestoßen wären?“

„Einen großartigen Plan hatte ich nicht. Nach dem Landen muß irgendwo ein Luk aufgemacht werden,entweder ein Passagierausstieg oder ein Frachtluk; egal, was. Sobald irgend etwas aufgeht, werde ich wie eine aufgescheuchte Katze lospreschen und dabei jeden und alles über den Haufen rennen, das mir im Wege ist — und erst anhalten, wenn ich ein gutes Stück vom Schiff entfernt bin. Ich möchte niemandem weh tun, aber ich hoffe nur, daß sich niemand zu große Mühe gibt, mich aufzuhalten — denn ich werde mich nicht aufhalten lassen.“

„Das ist ein guter Plan.“

„Meinen Sie? Eigentlich ist es überhaupt kein Plan sondern lediglich Entschlossenheit. Eine Tür geht auf und ich sause hinaus.“

„Es ist ein guter Plan, weil er keine raffinierten Winkelzüge enthält, die ihn im entscheidenden Augenblick zum Scheitern bringen könnten. Und Sie haben einen großen Vorteil auf Ihrer Seite. Man wird es nicht wagen, Ihnen etwas anzutun.“

„Ich wünschte, ich könnte dessen sicher sein.“

„Wenn Ihnen etwas passiert, dann nur aus Zufall und der Verantwortliche würde an den Daumen aufgehängt. Mindestens. Nachdem ich nun den Rest Ihrer Geschichte kenne, weiß ich, warum meine Anweisungen so streng waren. Freitag, man will Sie nicht tot-oder-lebendig wiederhaben; man braucht Sie bei bester Gesundheit. Man wird Sie lieber entkommen lassen, als Ihnen etwas antun.“

„Dann ist es ja ein Kinderspiel.“

„Darauf sollten Sie sich nicht verlassen. Sie sind zwar eine Wildkatze, doch wissen Sie auch, daß genügend Männer es schaffen, Sie zu packen und niederzudrücken; es wäre nicht das erstemal. Wenn die anderen wissen, daß Sie untergetaucht sind — und dasnehme ich an, denn das Boot hätte die Kreisbahn nach Fahrplan vor einer guten Stunde verlassen sollen …“

„Oh!“ Ich warf einen Blick auf meinen Finger. „Ja wir sollten längst unten sein. Pete, sucht man nach mir?“

„Ich nehme es an. Aber es war sinnlos, Sie zu wekken, ehe das Licht anging. Inzwischen hat man vier Stunden Zeit gehabt, sich zu überzeugen, daß Sie sich nicht auf dem Oberdeck unter den Ausflüglern der Ersten Klasse befinden. Die Auswanderer hat man bestimmt ebenfalls schon ausgemustert. Wenn Sie also hier sind — und nicht oben im großen Schiff — müssen Sie sich in diesem Laderaum befinden. Das ist natürlich sehr vereinfacht dargestellt, denn in einem geschlossenen System wie diesem kann man auf vielfältige Weise Verstecken spielen. Man wird aber die zwei Engpässe im Auge behalten, die Frachttür auf dieser Ebene und die Passagiertür auf dem Deck über uns. Freitag, wenn man genügend Leute einsetzt — und das wird man tun — und wenn diese Handlanger mit Netzen und Klebeseilen und anderen Fanggeräten ausgerüstet sind — und damit müssen wir rechnen —, dann fängt man Sie, ohne Ihnen weh zu tun sobald Sie dieses Boot verlassen.“

„Oh.“ Ich dachte über seine Worte nach. „Pete — wenn es dazu kommt, wird es vorher aber Tote und Verwundete geben. Durchaus möglich, daß ich selbst dabei umkomme — doch für meine Leiche wird auf jeden Fall ein hoher Preis fällig. Vielen Dank, daß Sie mich gewarnt haben.“

„Vielleicht arbeitet man nicht ganz so. Man wird auf jeden Fall viele Wächter aufstellen, was zur Folgehat, daß Sie sich im Hintergrund halten. Die Auswanderer verlassen also das Boot — vermutlich wissen Sie, daß sie dazu das Frachtluk benutzen?“

„Nein.“

„Ja. Sie werden hinausgelassen und einzeln abgehakt. Dann macht man das Frachtluk zu und versprüht hier drinnen ein Schlafmittel. Oder Tränengas das Sie zwingt, aus dem Versteck zu kommen, während Sie sich die Augen wischen.“

„Brrr! Pete, gibt es diese Gase an Bord wirklich?“

„Diese und schlimmere. Hören Sie, der Kapitän dieses Schiffes ist Lichtjahre von Gesetz und Ordnung entfernt und verfügt über eine Handvoll Leute denen er im Notfall wirklich vertrauen kann. In der Vierten Klasse befördert dieses Schiff beinahe auf jeder Reise eine Horde verurteilter Verbrecher, die wirklich jede Chance nützen würden. Natürlich kann er in jedem Segment selektiv mit verschiedenen GasSorten arbeiten. Freitag, Sie werden aber nicht mehr hier sein, wenn das Gas ausströmt.“

„Wie bitte? Reden Sie weiter!“

„Die Auswanderer kommen den Mittelgang dieses Laderaums entlang. Auf diesem Flug sind es beinahe dreihundert; sie waren in ihren Quartieren sicher beengter, als es die Sicherheitsvorschriften erlauben.

Der Auswandereranteil ist auf diesem Flug so groß daß sie sich in der kurzen Zeit sicher noch nicht alle persönlich kennen. Das machen wir uns zunutze.

Außerdem eine sehr, sehr alte Methode, Freitag, die Odysseus schon gegen Polyphem einsetzte …“

Pete und ich versteckten uns in einer beinahe dunklen Ecke, die von der hohen Seite des Generators undeiner riesigen Kiste gebildet wurde. Die Beleuchtung veränderte sich, und wir hörten das Murmeln zahlreicher Stimmen. „Sie kommen“, flüsterte Pete.

„Denken Sie daran, am besten ist jemand, der zuviel zu tragen hat. An Auswahl wird es nicht fehlen. Unsere Kleidung ist in Ordnung — wir sehen wirklich nicht nach der Ersten Klasse aus. Aber wir müssen etwas tragen. Auswanderer sind stets schwer beladen; das weiß ich zuverlässig.“

„Ich werde versuchen, einer Frau das Kind zu tragen“, sagte ich.

„Ausgezeichnet, wenn Ihnen das gelingt — Psst, sie kommen.“

Die Auswanderer waren wirklich beladen — und das ging auf eine Vorschrift der Fluggesellschaft zurück, die mir ziemlich engstirnig erschien. Ein Auswanderer kann auf den Flug alles mitnehmen, was in die Besenkammern paßt, die in der Dritten Klasse als Kabinen gelten — solange er die Last ohne Hilfe vom Schiff bringen kann; so legte die Gesellschaft den Begriff „Handgepäck“ aus. Alles, was der Reisende darüber hinaus im Laderaum verstauen lassen muß ist kostenpflichtig. Ich weiß, daß die Firma Gewinne ausweisen muß — trotzdem muß mir diese Vorschrift nicht behagen. Heute aber wollten wir sie zu unserem Vorteil nutzen.

Die Leute, die an uns vorbeikamen, schauten nicht in unsere Richtung und schienen sich nicht für uns zu interessieren. Sie schienen mit den Gedanken ganz woanders zu sein und wirkten erschöpft. Es waren viele Kleinkinder zu sehen, von denen die meisten weinten. Die ersten zwei Dutzend hasteten ziemlich schnell vorbei, dann kamen Leute, die zusammen-blieben und langsamer ausschritten — mehr Kinder noch mehr Gepäck. Es wurde Zeit, so zu tun, als gehöre ich zu den „Schafen“.

Aus dem Gewirr menschlicher Gerüche nach Schweiß und Schmutz und Angst und Moschus und beschmutzten Windeln stach plötzlich ein Duft hervor, kristallklar wie das Thema des Goldenen Hahns von Rimski-Korsakow oder ein Leitmotiv im Ring von Wagner — und ich schrie los:

„Janet!“

Eine beleibte Frau auf der anderen Seite der Kolonne drehte sich um, sah mich an, ließ zwei Koffer fallen und griff nach mir. „Marjie!“ Gleich darauf sagte ein bärtiger Mann: „Ich hab’s dir doch gesagt, sie ist an Bord! Ich hab’s dir gesagt!“ Und Ian fügte anklagend hinzu: „Du bist doch tot!“, und ich löste meinen Mund eben lange genug von Janets Lippen, um zu sagen: „Nein, bin ich nicht. Junior-Pilotoffizier Pamela Heresford läßt dich herzlichst grüßen.“

„Diese Schlampe!“ sagte Janet, und Ian beschwichtigte: „Na, na, Janet!“, und Betty musterte mich eingehend und bemerkte: „Ja, sie ist es wirklich! Hallo mein Schatz! Gut siehst du aus! Ehrlich!“ Währenddessen hüpfte Georges außen um uns herum, babbelte unverständliche französische Worte und versuchte mich sanft von Janet loszubekommen.

Natürlich brachten wir auf diese Weise die Marschordnung durcheinander. Andere Leute schwerbeladen, zum Teil auch schimpfend, drängten sich an uns vorbei, zwischen uns hindurch. „Gehen wir weiter!“ sagte ich. „Wir können uns später unterhalten.“ Ich blickte zu dem Versteck zurück, in dem ich mit Pete gewartet hatte; er war verschwunden. Ichmachte mir um ihn keine Sorgen; er ist ein helles Bürschchen.

Janet war gar nicht beleibt, nicht korpulent — sondern nur einige Monate schwanger. Ich griff nach einem ihrer Koffer, doch sie wollte nicht loslassen: „Mit zweien ist man besser im Gleichgewicht.“

So endete ich schließlich als Betreuerin für einen großen Käfig — mit der Katzenmutter. Und für ein großes braunes Papierpaket, das Ian unter dem Arm getragen hatte. „Janet, was hast du mit den jungen Katzen gemacht?“

Die Antwort übernahm Freddie: „Mit meiner Hilfe haben sie ausgezeichnete Stellungen mit guten Zukunftsaussichten auf einer großen Schafstation in Queensland angetreten — sie sollen sich da um die Mäuseplage kümmern. Helen, jetzt sag mir aber, wie es kommt, daß du dich hier in der tiefsten Unterwelt dieses Blecheimers zu den einfachen Leuten gesellst wo du doch erst gestern an der rechten Seite des Herrn und Gebieters über ein großes Linienraumschiff gesehen wurdest?“

„Später, Freddie, sobald wir hier durch sind.“

Er blickte zur Tür. „Ah, ja. Später, bei angenehmem Umtrunk unter Freunden, da werden die Geschichten aufgetischt. Doch zunächst müssen wir an denen da vorbei.“

Zwei bewaffnete Wächter standen links und rechts des Ausgangs. Ich begann mir Mantras aufzusagen während ich mit Freddie sinnlose Bemerkungen tauschte. Beide Polizeioffiziere musterten mich und schienen meine Erscheinung nicht auffällig zu finden.

Wahrscheinlich halfen mir das schmutzige Gesicht und das verwuschelte Haar — die Folge dieser Nacht — über die Hürde, denn bis zu diesem Augenblick hatte ich außerhalb der BB-Kabine keinen Auftritt gehabt für den mich Shizuko nicht ausgiebig vorbereitet hatte — wie eine Sklavin, die bei der Auktion die besten Preise erzielen muß.

Wir traten durch das Luk, marschierten eine kurze Rampe hinab und mußten uns vor einem Tisch aufstellen, der unmittelbar draußen stand. Zwei Männer saßen dahinter und beschäftigten sich mit allerlei Papieren. Einer rief: „Frances, Frederick J.! Treten Sie vor!“

„Hier!“ rief Federico, ging um mich herum und näherte sich dem Tisch. Eine Stimme hinter mir rief:

„Da ist sie!“ Ich stellte den Katzenkäfig abrupt hin und sauste auf den Horizont zu.

Vage bekam ich mit, daß es hinter mir laut wurde doch ich achtete nicht weiter darauf. Ich wollte nur möglichst schnell aus der Reichweite von Lähmpistolen und Klebeseilschleudern oder Tränengasmörsern. Schneller als eine Radarkanone oder ein ganz normales Gewehr war ich natürlich nicht — aber wenn Pete recht hatte, brauchte ich mir darum keine Sorgen zu machen. Ich setzte einfach einen Fuß vor den anderen. Rechts von mir tauchte ein Dorf auf, weiter vorn erschienen Bäume. Im Augenblick kamen mir die Bäume verlockender vor, und ich hielt darauf zu.

Ein Blick über die Schulter offenbarte, daß der größte Teil der Verfolger weit abgeschlagen war — was nicht weiter überraschend ist, schaffe ich doch die tausend Meter in zwei Minuten. Zwei aber schienen Schritt halten zu können und verringerten womöglich den Abstand bereits. Ich verlangsamte also meinen Lauf, mit der Absicht, die beiden zu schnap-pen und mit den Köpfen zusammenzustoßen — oder etwas anderes zu unternehmen, sollte es sich als nötig erweisen.

„Laufen Sie weiter!“ rief Pete. „Wir sollen Sie wieder einfangen!“

Ich erhöhte das Tempo wieder. Der andere Verfolger war Shizuko. Meine Freundin Tilly.

Sobald wir die Bäume erreicht hatten und vom Landungsboot aus nicht mehr gesehen werden konnten, blieb ich stehen und übergab mich. Die beiden holten mich ein; Tilly hielt mir den Kopf und wischte mir den Mund — und versuchte mich zu küssen, aber ich drehte den Kopf weg. „Nicht. Ich muß ja einen scheußlichen Mundgeruch haben. Bist du so aus dem Schiff gekommen?“ Sie trug ein enges Wams das sie größer und schlanker erscheinen ließ, viel abendländischer und vor allen Dingen weiblicher, als ich es von meiner früheren „Zofe“ gewöhnt war.

„Nein, in einem förmlichen Kimono mit allem Drum und Dran. Der liegt da hinten irgendwo. Man kann darin nicht laufen.“

„Hört auf mit dem Reden!“ sagte Pete gereizt. „Wir müssen weiter.“ Er griff mir ins Haar und gab mir einen Kuß. „Wer schert sich darum, wie Sie riechen!“ rief er. „Los, weiter!“

Und wir rannten los. Dabei blieben wir im Wald und vergrößerten unseren Abstand zum Landungsboot. Nach kurzer Zeit wurde allerdings offenbar daß Tilly sich den Fuß verknackst hatte und mit jedem Schritt Schmerzen ertragen mußte. Wieder gab Pete die Erklärung. „Als du losranntest, hatte Tilly erst die Hälfte der Gangway aus der Ersten Klasse zurückgelegt. Sie sprang zu Boden und landete unglücklich. Tilly, du bist ein ungeschickter Vogel!“

„Es liegt an den verdammten Nippon-Schuhen, die stützen den Fuß nicht. Pete, nimm das Mädchen und lauf weiter; mir werden die Bullen nichts tun.“

„Auf keinen Fall!“ sagte Pete bestimmt. „Wir drei stecken mit drin und bleiben auch zusammen. Stimmt’s, Miß — stimmt’s Freitag?“

„Himmel, ja! ›Einer für alle, alle für einen!‹ Gehen Sie auf ihre rechte Seite, Pete! Ich stütze sie von hier.“

So kamen wir ziemlich gut voran, nicht sehr schnell, aber immerhin legten wir noch mehr Wald zwischen uns und die Verfolger. Einige Zeit später wollte Pete sie Huckepack nehmen. Ich blieb stehen.

„Lauschen wir mal!“

Von Verfolgern war nichts zu hören. Uns umgaben nur die seltsamen Geräusche eines fremden Waldes.

Vogelrufe? Keine Ahnung. Ringsum ein seltsames Gemisch von bekannten und seltsam verfremdeten Dingen — Gras, das eigentlich kein Gras war, Bäume die aus einem anderen geologischen Zeitalter zu stammen schienen, Chlorophyll, das rot durchsetzt zu sein schien — oder hatten wir jetzt Herbst? Wie kalt würde es heute nacht sein? Es erschien mir nicht ratsam, in den nächsten drei Tagen nach Menschen zu suchen, denn erst dann sollte das Schiff weiterfliegen.

Wir konnten diese Zeit notfalls ohne Nahrung oder Getränke überbrücken — aber wenn es nun fror?

„Na schön“, sagte ich. „Huckepack. Aber wir wechseln uns ab.“

„Freitag! Sie können mich doch nicht tragen!“

„Ich habe gestern nacht Pete getragen. Sagen Sie’s ihr, Pete. Glaubst du etwa, ich würde mit einer kleinen japanischen Puppe wie dir nicht fertig?“

„›Japanische Puppe‹ — ha! Ich bin so amerikanisch wie du.“

„Wahrscheinlich noch mehr. Denn ich habe nicht viel amerikanisches Blut. Aber davon später mehr. Steig auf!“

Ich schleppte sie etwa fünfzig Meter weit, dann trug Pete sie zweihundert Meter, und so weiter, denn das stellte sich Pete unter einer gerechten Arbeitsteilung vor. Nach einer mühseligen Stunde erreichten wir einen Weg — eine Fahrrinne durch das Gebüsch Wagenspuren und Hufabdrücke waren deutlich auszumachen. Nach links führte dieser Weg weiter vom Landungsboot und von dem Ort fort, und so bogen wir nach links ab. Shizuko ging inzwischen wieder auf eigenen Füßen, stützte sich aber sehr auf Pete.

Wir erreichten ein Bauernhaus. Vielleicht hätten wir einen weiten Bogen darum herum machen sollen doch zu der Zeit war mir ein Schluck Wasser wichtiger als unsere absolute Sicherheit, außerdem wollte ich Tillys Fußgelenk verbinden, ehe es größer anschwoll als ihr Kopf.

Auf der vorderen Veranda saß in einem Schaukelstuhl eine ältere grauhaarige Frau, sauber gekleidet und strickte. Als wir näherkamen, hob sie den Kopf und winkte uns heran. „Ich bin Mrs. Dundas“, sagte sie. „Sie kommen vom Schiff?“

„Ja“, sagte ich. „Ich heiße Freitag Jones, und dies ist Matilda Jackson und unser Freund Pete.“

„Pete Roberts, Madam.“

„Kommen Sie, setzen Sie sich! Sie alle! Verzeihen Sie, wenn ich nicht aufstehe; mein Rücken ist nicht mehr ganz in Ordnung. Sie sind Flüchtlinge, nichtwahr? Sie sind vom Schiff ausgerückt?“

(Gesteh die bittere Wahrheit ein, aber halte dich bereit, den Kopf einzuziehen.) „Ja.“

„Natürlich. Etwa die Hälfte aller Flüchtlinge landet zuerst bei uns. Nun ja, der heutigen Rundfunksendung zufolge müssen Sie sich mindestens drei Tage lang verstecken. Sie sind uns willkommen; wir haben gern Besuch. Natürlich haben Sie das Recht, sofort die Transit-Kaserne aufzusuchen; die Schiffsbehörden können dort nicht an Sie heran. Man könnte Ihnen aber mit endlosen juristischen Vorstößen das Leben schwer machen. Sie können Ihre Entscheidung nach dem Abendessen fällen. Möchten Sie zunächst mal eine schöne Tasse Tee?“

„Ja!“ sagte ich.

„Gut. Malcolm! Oh, Malcooom!“

„Was ist, Mama?“

„Stell den Kessel auf!“

„Was?“

„Den Wasserkessel!“ Mrs. Dundas fügte, zu Tilly gewandt, hinzu: „Mein Kind, was haben Sie mit Ihrem Fuß gemacht?“

„Ich glaube, ich habe ihn mir verstaucht, Madam.“

„Und ob. Sie — ›Freitag‹ heißen Sie? — sie suchen Malcolm und sagen ihm, er soll unsere größte Küchenschale mit zerhacktem Eis füllen. Und Sie, Sir — Mr. Roberts — Sie können mir aus diesem Stuhl helfen, denn wir brauchen noch ein paar Dinge mehr für den Fuß des armen Kindes. Sobald wir die Schwellung behandelt haben, müssen wir das Gelenk mit einem Stützverband versehen. Und Sie, Matilda, reagieren Sie allergisch auf Aspirin?“

„Nein, Madam!“

„Mama! Der Kessel kocht!“

„Sie — Freitag — kümmern Sie sich mal darum!“

Ich ging den Tee machen — innerlich hätte ich jubilieren mögen.

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