31. Kapitel

Während der Flugetappe nach Botany Bay beschäftigte ich mich immer wieder mit diesem Gedanken und versuchte festzustellen, wo ich mich irren mußte.

Mir fiel der klassische Fall von John F. Kennedy ein.

Sein vermeintlicher Mörder war zu schnell getötet (hingerichtet) worden, als daß auch nur eine vorläufige Anhörung stattfinden konnte. Und dann der Zahnarzt, der Huey Long niedergeschossen hatte — und sich selbst wenige Sekunden später tötete. Und zahlreiche weitere Agenten im endlosen Kalten Krieg die eben nur lange genug am Leben geblieben waren um ihre Missionen auszuführen, und die dann anschließend „zufällig“ vor einen schnellfahrenden Wagen liefen.

Das Bild, das aber immer wieder vor meinem inneren Auge erschien, war so alt, daß es beinahe zur Mythologie gehörte: Ein einsamer Strand und ein Piratenkapitän, der das Eingraben des Schatzes überwacht. Das Loch klafft im Boden, die Truhe mit dem kostbaren Gut ist hineingestellt worden — und die Männer, die das Loch gegraben haben, werden erschossen; ihre Körper füllen die Grube mit auf.

Ja, ich bin zu melodramatisch, aber schließlich geht es hier um meinen und nicht um Ihren Leib. Im bekannten Universum weiß jeder, daß der Vater des derzeitigen Ersten Bürgers über unzählige Leichen an die Macht gekommen ist und sein Sohn sich nur deswegen auf dem Thron halten kann, weil er noch rücksichtsloser ist als sein Vater.

Wird er mir danken, daß ich für seine Nachkom-menschaft gesorgt habe? Oder wird er meine Knochen im tiefsten Verlies verscharren?

Mach dir nichts vor, Freitag; zuviel zu wissen ist ein Schwerverbrechen. In der Politik hat diese Maxime noch immer gegolten. Wenn man jemals die Absicht gehabt hätte, dich fair zu behandeln, wärst du jetzt nicht schwanger. Deshalb mußt du damit rechnen, daß man dich auch nicht fair behandeln wird nachdem du das königliche Embryo losgeworden bist.

Was ich tun mußte, lag auf der Hand.

Wie ich es anstellen sollte, war nicht so klar.

Nun schien es mir ganz und gar kein Irrtum mehr zu sein, daß mein Name nicht auf der Liste der Ausflügler nach Outpost gestanden hatte.

Zur Cocktailstunde am nächsten Tag entdeckte ich Jerry und forderte ihn zum Tanzen auf. Es war ein klassischer Walzer, was mein Gesicht dicht genug an das seine heranführte, um ein persönliches Gespräch zu beginnen.

„Die blauen Tabletten funktionieren bestens“, versicherte ich ihm. „Jerry, wer weiß außer Ihnen und mir von dieser Sache?“

„Das ist wirklich seltsam. Ich habe soviel zu tun gehabt, daß ich noch nichts in Ihr Krankenblatt eintragen konnte. Die Notizen liegen in meinem Safe.“

„Ach, und wie steht es mit dem Labortechniker?“

„Der hat soviel zu tun gehabt, daß ich die Tests selbst durchgeführt habe.“

„Na bitte. Glauben Sie, es bestünde die Möglichkeit, daß die Notizen irgendwie verlorengehen? Daß sie beispielsweise verbrennen?“

„An Bord wird nie etwas verbrannt; das ärgert den Zuständigen für die Klimaanlage. Statt dessen zer-kleinern wir Dokumente und führen die Reste einer neuen Nutzung zu. Seien Sie unbesorgt, Sie kleines Mädchen; ihr schändliches Geheimnis ist bei mir in guten Händen.“

„Jerry, Sie sind ein Schatz! Wissen Sie, wenn ich nicht die Zofe dabei hätte, hätte ich das Kind Ihnen anhängen können. Wissen Sie noch — der erste Abend an Bord?“

„So schnell vergesse ich das nicht. Ich hatte einen akuten Anfall von Frustration.“

„Die Zofe ist nicht meine Idee; meine Familie hat sie mir aufgehalst, und sie klebt an mir wie ein Blutegel. Man könnte meinen, die Familie traut mir nicht weil sie mich genau kennt — und das wissen Sie ja nun auch. Fällt Ihnen nichts ein, wie man ihr ein bißchen aus dem Weg gehen könnte? Mir ist ziemlich übermütig, was Sie betrifft, ein Mann, dem man seine Geheimnisse anvertrauen kann.“

„Hmm. Darüber muß ich nachdenken. Meine Kabine kommt nicht in Frage; man müßte an den Räumen von zwei Dutzend anderen Offizieren vorbei und dann noch durch die Messe. Achtung; da kommt Jimmy!“

Ja, natürlich versuchte ich sein Schweigen zu kaufen. Außerdem war ich dankbar und hatte das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Wenn er sich mit meinem unjungfräulichen Körper abgeben wollte (und das wollte er), war ich dazu bereit — und das durchaus in aktiver Rolle; ich war in letzter Zeit doch etwas zu kurz gekommen, und Jerry ist ein attraktiver Mann. Es machte mich nicht verlegen, schwanger zu sein (obwohl die Vorstellung etwas Neues für mich hatte; doch ich wollte meinen Zustand geheimhalten(wenn das überhaupt möglich war — wenn nicht schon eine ganze Horde im Schiff darüber Bescheid wußte), bis ich mir überlegt hatte, was ich tun sollte.

Vielleicht wird Ihnen das Ausmaß meiner Notlage nicht richtig bewußt; vielleicht sollte ich sie Ihnen noch einmal deutlich aufzeigen. Wenn ich zum Sternenreich reiste, war damit zu rechnen, daß man mich in einem sauberen Operationssaal umbrachte, leise und legal und ordentlich. Wenn Sie nicht glauben daß es solche Dinge gibt, leben wir nicht in derselben Welt, dann wäre es auch sinnlos, daß Sie meine Memoiren weiterlesen. Immer wieder in der Geschichte hat man sich unangenehmer Zeugen entledigt, indem man dafür sorgte, daß sie zu atmen aufhörten — so etwas war stets der gangbare Weg.

Natürlich mochte der Plan in meinem Fall anders aussehen. Alle Anzeichen deuteten aber auf das Gegenteil hin — wenn ich zum Sternenreich reiste.

An Bord bleiben? Ich dachte daran — aber da hallten mir Pete-Macs Worte durch den Kopf: „Wenn wir eintreffen, kommt ein Offizier der Palastgarde an Bord und dann sind Sie sein Problem.“ Anscheinend wollte man nicht einmal darauf warten, daß ich auf den Planeten fuhr und dort die Kranke spielte.

Folglich mußte ich das Schiff verlassen, ehe wir das Sternenreich erreichten — das heißt, auf Botany Bay.

Eine andere Möglichkeit hatte ich nicht.

Ganz einfach. Ich brauchte nur von Bord zu schlendern.

Klar doch! Die Gangway hinab, und dann von unten zum Abschied noch einmal winken.

Wir befinden uns nicht auf einem Ozeanschiff. Die Forward kommt nie näher an die Planeten heran alszur stationären Umlaufbahn — bei Botany Bay sind das etwa 35 000 Kilometer. Das ist eine ziemlich lange Strecke durch dünnes Vakuum. Der einzige Weg an die Oberfläche von Botany Bay führte durch eines der Landungsboote des großen Schiffes — so wie ich es bei Outpost getan hatte.

Freitag, man wird dich nicht an Bord des Bootes gehen lassen! Über Outpost ist dir das noch mit Frechheit gelungen. Nun ist die Gegenseite gewarnt; ein zweitesmal gelingt es dir nicht. Was wird geschehen? Mr. Woo oder ein anderer Offizier wird an der Luftschleuse stehen und die Liste in der Hand halten — eine Liste, auf der dein Name wieder nicht auftaucht. Diesmal aber hat er einen bewaffneten Schiffspolizisten bei sich. Was tust du dann?

Nun ja, ich entwaffne ihn, schlage die beiden mit den Köpfen zusammen, steige über die bewußtlosen Körper und nehme Platz. Zu schaffen wäre das, Freitag; du bist entsprechend ausgebildet und gebaut.

Was passiert dann? Das Landungsboot fliegt nicht programmgemäß ab. Es wartet in der Halterung während eine achtköpfige Abteilung Uniformierter an Bord kommt und dich mit Gewalt und einer Beruhigungsinjektion aus dem Boot holt und in Kabine BB einschließt — wo du bleiben wirst, bis der Offizier der Palastgarde deinen Körper übernimmt.

Dieses Problem ist mit Gewalt nicht zu lösen.

Übrig bleiben: Überredungskünste, Sex Appeal und Bestechung.

Moment mal! Wie steht’s mit Ehrlichkeit?

Wie bitte?

Aber ja doch. Geh auf direktem Wege zum Kapitän. Erzahle ihm, was Mr. Sikmaa dir versprochenhat, stelle ihm dar, wie du hereingelegt worden bist bring Jerry dazu, ihm den Bericht über die Schwangerschaftsuntersuchung zu zeigen, sag ihm, daß du voller Angst beschlossen hast, auf Botany Bay zu warten, bis ein Schiff auf dem Rückweg zur Erde dich abholt. Er ist ein netter Vatertyp; du hast die Bilder seiner Töchter gesehen; er wird dein Problem aus der Welt räumen!

Was würde der Chef davon halten?

Ihm würde auffallen, daß du zur Rechten des Kapitäns sitzt — warum?

Du hast ziemlich kurzfristig eine der besten Kabinen des Schiffes bekommen — warum?

Außerdem wurden sieben weitere Leute in der Nähe untergebracht, Leute, die ihre Zeit damit verbringen, dich im Auge zu behalten — glaubst du etwa, der Kapitän wußte davon nichts?

Jemand hat deinen Namen von der Ausflüglerliste für Outpost gestrichen — wer?

Wer besitzt die HyperSpace-Linie? Dreißig Prozent liegen bei Interworld, das seinerseits von verschiedenen Gruppierungen des Shipstone-Konzerns finanziert oder gesteuert wird. Außerdem ist dir aufgefallen, daß elf Prozent drei Banken aus dem Sternenreich gehören — du hast es dir gemerkt, weil auch andere Brocken des Shipstone-Imperiums in den Besitzverhältnissen auf das Sternenreich zurückgehen.

Von dem netten alten Kapitän van Kooten solltest du also nicht zuviel erwarten. Seine Antwort kannst du dir jetzt schon vorstellen: „Ach, ich glaube nicht.

Mr. Sikmaa ist ein guter Freund von mir; ich kenne ihn seit Jahren. Ja, ich habe ihm versprochen, nichts zuzulassen, was Sie in Gefahr bringen könnte, deshalb darf ich sienicht zu wilden, unzivilisierten Planeten hinabfliegen lassen. Aber auf dem Rückflug zeige ich Ihnen alles, was es auf Halcyon zu sehen gibt, das verspreche ich Ihnen. Jetzt seien Sie brav und machen mir bitte keinen Ärger mehr eh?“

Vielleicht glaubte er sogar selbst daran.

Mit ziemlicher Sicherheit weiß er, daß du nicht „Miß Neureich“ bist; wahrscheinlich hat man ihm auch gesagt, da du als Mietmutter unter Vertrag stehst (allerdings wohl nicht, daß ich für die Königsfamilie einstehe, wenn er sich das vielleicht auch denken kann), und er mag annehmen, daß du aus einem legalen und günstigen Vertrag noch mehr herausholen willst. Freitag, du hast nichts Schriftliches in der Hand, um zu beweisen, daß du beschwindelt worden bist. Vom Kapitän kannst du keine Hilfe erwarten, Freitag, du bist auf dich allein gestellt.

Erst drei Tage vor der geplanten Ankunft in Botany Bay raffte ich mich zum Handeln auf. Unterdessen stellte ich tiefschürfende Überlegungen an, aber das meiste führte im Kreis — sinnlose und zeitaufwendige Phantasievorstellungen, was ich tun könnte, wenn es mir nicht gelang, das Schiff in Botany Bay zu verlassen. Etwa so: „Haben Sie gehört, Kapitän! Ich schließe mich in meiner Kabine ein, bis wir das Sternenreich verlassen haben. Wenn Sie die Tür gewaltsam öffnen lassen, um mich dem Offizier der Palastgarde auszuliefern, kann ich Sie nicht daran hindern — aber dann finden Sie hier nur eine Leiche!“

(Lächerlich! Eine Ladung Betäubungsgas durch die Luftzuführung — damit wäre ich schnell auszuschalten.)Oder: „Kapitän, haben Sie schon mal eine Abtreibung mit der Stricknadel erlebt? Sie können gern zuschauen.

Soweit ich weiß, kann das ziemlich blutig werden.“

(Noch lächerlicher. Ich kann zwar über eine Abtreibung reden, aber eine durchführen kann ich nicht.

Obwohl dieser Knubbel in meinem Leib nichts mit mir zu tun hat, ist er trotzdem mein unschuldiger Gast.)

Ich versuchte mit solchen unnützen Überlegungen nicht zuviel Zeit zu vertrödeln, sondern mich auf Untergrundarbeit zu konzentrieren, während ich mir äußerlich nichts anmerken ließ. Als das Büro des Zahlmeisters bekanntmachte, daß es an der Zeit sei sich für die Ausflüge nach Botany Bay einzuschreiben, gehörte ich zu den ersten, die sich meldeten. Ich sah mir alle Möglichkeiten durch, stellte viele Fragen kehrte mit allerlei Broschüren in meine Kabine zurück und schrieb mich bei den besten und teuersten Touren als Teilnehmerin ein, wofür ich bar bezahlte.

Am gleichen Abend plauderte ich während des Essens mit dem Kapitän über die Ausflüge, die ich machen wollte, erkundigte mich zu jedem nach seiner Ansicht und beschwerte mich erneut, daß mein Name von der Outpost-Liste verschwunden war. Ich bat ihn, diesmal nachzuschauen — als habe der Kapitän eines riesigen Linienschiffes nichts Besseres zu tun als Miß Neureich ihre Wünsche zu erfüllen. Soweit ich feststellen konnte, nahm er die Nadelstiche ohne Reaktion hin — jedenfalls sagte er nichts davon, daß ich nicht an Land gehen dürfe. Vielleicht war er aber in der Kunst der Täuschung so erfahren wie ich; ich konnte schon unbewegten Gesichtes lügen, ehe ich die Krippe verlassen hatte.An diesem Abend (nach der Schiffszeit) kehrte ich mit meinen ersten drei Verehrern im Schwarzen Loch ein: Dr. Jerry Madsen, Jaime „Jimmy“ Lopez und Tom Udell. Tom ist Stellvertretender Lademeister und ich hatte bisher nicht recht herausgefunden, was das bedeutete. Ich wußte nur, daß er einen Streifen mehr trug als die anderen beiden. Am ersten Abend an Bord hatte Jimmy mir feierlich eröffnet, Tom sei so etwas wie der Hausmeister in diesem Laden.

Tom hatte nicht widersprochen. „Du hast ›Möbelpacker‹ vergessen“, fügte er hinzu.

An diesem Abend, weniger als zweiundsiebzig Stunden vor Botany Bay, fand ich ein wenig mehr über die Dinge heraus, die Tom an Bord erledigte.

Das Steuerbord-Landeboot wurde mit Fracht für Botany Bay beladen. „Das Backbord-Boot hatten wir schon am Bohnenstengel befrachtet“, erzählte er.

„Das Steuerbord-Boot brauchten wir aber für Outpost. Für Botany Bay benötigen wir beide, also müssen wir während dieses Abschnittes Fracht herübernehmen.“ Er grinste. „Ziemlich schweißtreibende Sache.“

„Tut dir ganz gut, Tommy; du wirst dick.“

„Sprich für dich selbst, Jaime!“

Ich erkundigte mich, wie das Boot beladen wurde.

„Die Luftschleuse scheint mir ziemlich klein zu sein.“

„Die Fracht geht nicht durch diese Öffnung.

Möchten Sie sich mal ansehen, wie wir das machen?“

Ich verabredete mich mit ihm für den nächsten Vormittag. Und lernte dazu.

Die Laderäume der Forward sind so riesig, daß man sich in ihnen eher verloren vorkommt, als daß Klaustrophobie aufkommen kann. Aber auch die Lade-räume der Beiboote können sich sehen lassen. Einige Frachtstücke, die zum Versand kommen, sind sehr groß, besonders Maschinen. Auf diesem Flug sollte in Botany Bay ein Westinghouse-Turbogenerator ausgeladen werden, der so groß war wie ein Haus. Ich fragte Tom, wie um alles in der Welt man denn dieses Ding vom Fleck bekommen wollte.

Er grinste. „Mit Schwarzer Magie.“ Vier seiner Frachtarbeiter legten ein Netz aus Metalldraht um das Gebilde und befestigen einen koffergroßen Metallkasten daran. Tom inspizierte die Anordnung und sagte: „In Ordnung — gebt Saft drauf!“

Der Führer der Gruppe gehorchte — und das metallene Ungetüm begann zu beben und hob sich um eine Winzigkeit. Ein tragbares Antigrav-Gerät, im Prinzip einem AAF-Antrieb ähnlich, doch nicht in eine Karosserie eingebaut, sondern offen anwendbar …

Mit äußerster Vorsicht wurden Seile und Hebel eingesetzt, um das riesige Frachtstück vorsichtig durch ein großes Luk in den Bauch des SteuerbordBootes zu bugsieren. Tom wies mich darauf hin, daß das riesige Monstrum zwar frei schwebe und von der künstlichen Schwerkraft des Schiffes abgekoppelt sei daß es aber dennoch in der Masse so träge sei wie vorher und einen Menschen so mühelos zermalmen könne, wie wir Menschen sonst ein Insekt zerquetschen. „Die Männer sind aufeinander angewiesen und müssen sich absolut aufeinander verlassen können. Ich bin für alles verantwortlich — aber es würde einem Toten nichts mehr nützen, wenn ich die Schuld auf mich nähme; sie müssen auf sich selbst und auf ihre Kollegen aufpassen.“

Seine eigentliche Aufgabe lag darin, zu überwa-chen, daß jedes Frachtstück planmäßig verladen und festgezurrt wurde, um sich bei ruckhafter Beschleunigung nicht loszureißen, außerdem mußte er darauf achten, daß auf beiden Seiten die riesigen Frachtluken wirklich vakuumdicht verriegelt wurden, sobald ein Ladevorgang abgeschlossen war.

Tom zeigte mir auch die Passagierräumlichkeiten des Bootes.

„In Botany Bay steigen mehr Kolonisten aus als bei jedem anderen Halt“, erklärte er. „Wenn wir weiterfliegen, wird die Dritte Klasse so gut wie leer sein.“

„Sind es ausnahmslos Australier?“ fragte ich.

„O nein. Ein großer Teil kommt von dort, etwa ein Drittel aber nicht. Sie haben jedoch eines gemeinsam; sie sprechen fließend Englisch. Botany Bay ist die einzige Kolonie, die Sprachanforderungen stellt. Man will dafür sorgen, daß auf dem ganzen Planeten nur eine Sprache gesprochen wird.“

Davon hatte ich schon gehört. „Warum?“

„Man meint wohl, daß dadurch die Wahrscheinlichkeit von Kriegen geringer ist. Mag ja sein — aber einige der grausamsten und blutigsten Auseinandersetzungen auf der Erde sind Bürgerkriege gewesen.

Bei denen gab es kein Sprachproblem.“

Ich hatte keine Meinung dazu und äußerte mich also nicht. Wir verließen das Boot durch die PassagierLuftschleuse, und Tom schloß die Öffnung hinter uns. Im gleichen Augenblick fiel mir ein, daß ich mein Halstuch verloren hatte. „Tom, haben Sie’s gesehen? In der Kabine der Auswanderer hatte ich es noch.“

„Wir werden es schon finden.“ Er drehte sich um und öffnete die Luftschleuse noch einmal.Das Tuch befand sich dort, wo ich es zwischen zwei Bänken hatte fallen lassen. Ich warf es Tom spielerisch um den Hals, zog sein Gesicht dicht an das meine heran, dankte ihm und ließ dann meine Dankbarkeit so weit ausufern, wie er es wagte — weit genug, aber doch nicht wieder ungehörig weit, da er noch im Dienst war.

Er hatte meinen Dank verdient. Jene Tür verfügte über ein Kombinationsschloß. Und ich kannte jetzt die Kombination. Als ich von meiner Inspektion der Laderäume und des Landebootes zurückkehrte, war es beinahe Mittag. Wie üblich beschäftigte sich Shizuko mit irgend etwas (es kann doch eine Frau nicht total in Anspruch nehmen, dafür zu sorgen, daß eine andere gepflegt auftritt!)

„Ich möchte heute nicht zum Essen gehen“, sagte ich zu ihr. „Ich möchte kurz duschen, mir einen Morgenmantel anziehen und hier essen.“

„Was möchte Missy haben? Ich bestelle.“

„Bestellen Sie für uns beide.“

„Für mich?“

„Für Sie. Ich möchte nicht allein essen. Ich habe nur keine Lust, mich anzuziehen und in den Speisesaal zu gehen. Keine Widerrede; bestellen Sie über den Monitor.“ Ich marschierte zum Badezimmer.

Ich hörte, wie sie mit dem Bestellen begann, doch als ich die Dusche abstellte, stand sie schon wieder mit einem weichen Badetuch bereit, ein kleineres Handtuch um die Hüften gewunden, die perfekte Badesklavin. Als ich trocken war und sie mir in den Bademantel geholfen hatte, klingelte es im Lieferschacht. Sie öffnete die Schublade; währenddessen zog ich einen kleinen Tisch in die Ecke, in der ichmich mit Pete-Mac unterhalten hatte. Shizuko hob die Augenbrauen, sagte aber nichts; sie deckte den Tisch für das Mittagessen und stellte die Speisen darauf.

Ich programmierte das Terminal auf Musik und wählte wieder ein Band mit lautem Gesang: klassischen Rock.

Shizuko hatte nur für eine Person gedeckt. Ich drehte mich zu ihr um, damit sie mich trotz der Musik verstehen konnte. „Tilly, Sie stellen Ihren Teller auch hierher!“

„Was, Missy?“

„Nun hören Sie schon auf, Matilda! Die Farce ist aus. Ich habe alles vorbereitet, damit wir uns gründlich unterhalten können.“

Sie ließ kein Zögern erkennen. „Schön, Miß Freitag.“

„Nennen Sie mich lieber ›Marj‹, damit ich Sie nicht als ›Miß Jackson‹ anreden muß. Oder nennen Sie mich nur ›Freitag‹, was mein richtiger Name ist. Sie und ich müssen mal einiges klarstellen. Übrigens spielen Sie die Zofe wirklich perfekt, aber ab jetzt können Sie sich die Mühe sparen, wenn wir allein sind. Ich kann mich nach dem Baden allein abtrocknen.“

Sie hätte beinahe gelächelt. „Es macht mir aber großen Spaß, für Sie zu sorgen, Miß Freitag. Marj.

Freitag.“

„Also, vielen Dank! Essen wir.“ Ich löffelte ihr Sukiyaki auf den Teller.

Nachdem wir zu kauen begonnen hatten — beim Essen läßt sich wirklich besser reden —, fragte ich:

„Was springt für Sie dabei heraus?“

„Woraus, Marj?“

„Na, bei dem Auftrag, mich nicht aus den Augen zu lassen. Mich im Sternenreich der Palastgarde auszuliefern.“

„Das übliche Honorar. Zahlbar an meinen Chef.

Angeblich soll ich einen zusätzlichen Bonus bekommen, aber das glaube ich erst, wenn ich ihn ausgegeben habe.“

„Ich verstehe. Marjorie, ich verschwinde in Botany Bay. Und Sie werden mir dabei helfen.“

„Nennen Sie mich ›Tilly‹. Ach, ausgerechnet ich soll Ihnen helfen?“

„O ja. Denn ich werde Ihnen wesentlich mehr bezahlen, als Sie sonst erhalten würden.“

„Glauben Sie wirklich, Sie können mich so leicht auf die andere Seite herüberziehen?“

„Ja. Denn Sie haben nur zwei Möglichkeiten.“ Zwischen uns lag ein großer Servierlöffel aus rostfreiem Stahl. Ich griff danach und drückte die Löffelschale zusammen. „Sie können mir helfen. Oder Sie können tot sein. Ziemlich schnell sogar. Wie entscheiden Sie sich?“

Sie griff nach dem verbogenen Löffel. „Marj, Sie brauchen gar nicht so dramatisch zu tun. Wir finden schon eine Möglichkeit.“ Mit den Daumen glättete sie das zerdrückte Metall. „Wo liegt denn das Problem?“

Ich starrte auf den Löffel. „›Deine Mutter war ein Reagenzglas …‹“

„›… und mein Vater ein Skalpell.‹ Der Ihre auch.

Deshalb wurde ich auf dieser Mission eingesetzt.

Unterhalten wir uns! Warum wollen Sie das Schiff verlassen? Es geht mir an den Kragen, wenn es Ihnen gelingt.“

„Wenn ich es nicht tue, bin ich tot.“ Ohne etwas zuverschweigen, schilderte ich ihr den Abschluß, den ich getätigt hatte, wie ich plötzlich meine Schwangerschaft entdeckt hatte und warum ich meine Überlebenschancen für gering hielt, wenn ich im Sternenreich von Bord geholt wurde. „Was muß ich also bieten, damit Sie in die andere Richtung schauen? Ich glaube, ich kann Ihren Preis bezahlen.“

„Ich bin aber nicht die einzige, die über Sie wacht.“

„Pete? Mit dem werde ich fertig. Die anderen drei Männer und zwei Frauen können wir getrost vergessen. Wenn ich von Ihnen aktiv unterstützt werde. Sie — Sie und Pete — sind die einzigen Profis. Wer hat die anderen angeworben. Die stellen sich nämlich mehr als ungeschickt an.“

„Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wer mich angeworben hat; es ist alles durch meinen Chef gelaufen. Vielleicht können wir die anderen vergessen — aber das hängt von Ihrem Plan ab.“

„Reden wir zuerst über das Geld!“

„Zuerst über den Plan.“

„Ähh … glauben Sie, Sie können meine Stimme nachmachen?“

Tilly antwortete: „Ähh … glauben Sie, Sie können meine Stimme nachmachen?“

„Noch einmal!“

„›Noch einmal!‹“

Ich seufzte. „In Ordnung, Tilly, Sie können es. Im Täglichen Forward steht, der Austritt aus dem Hyperraum bei Botany Bay sei für morgen vorgesehen, und wenn die Zahlen so gut aussehen wie bei Outpost werden wir übermorgen zur Mittagsstunde die Stationäre Kreisbahn erreichen und die Boote ablegen lassen — in weniger als achtundvierzig Stunden also.Morgen werde ich krank. Bedauerliche Sache. Denn ich hatte mich ja so auf die großartigen Ausflüge auf dem Planeten gefreut. Die genauen zeitlichen Abläufe meines Plans richten sich danach, wie die Landungsboote fliegen, und das kann erst festgelegt werden wenn ich die Sache richtig verstehe, wenn wir in den Normalraum zurücktauchen und man genau vorhersagen kann, wann wir die Stationäre Umlaufbahn erreichen. Wann immer das sein wird — in der Nacht vor dem Abflug der Beiboote, gegen null-einhundert wenn die Korridore leer sind, breche ich auf. Ab dieser Zeit müssen Sie meine Rolle mit übernehmen. Sie lassen niemanden herein; ich bin noch zu krank.

Will mich jemand über Terminal sprechen, sollten Sie darauf achten, daß Sie die Videoaufnahme nicht einschalten — ich tue das grundsätzlich nicht. Soweit Sie damit fertigwerden, spielen Sie mich mit, und wenn es zu schwierig wird, dann schlafe ich eben gerade. Wenn Sie mit meiner Rolle angefangen haben und das Gespräch zu kitzlig wird, nun, dann sind Sie wegen des Fiebers und der eingenommenen Medizin zu durcheinander, um klar zu reden.

Sie bestellen das Frühstück für uns beide — das übliche für Sie, und Tee und Milch-Toast und Saft für die Kranke.“

„Freitag, ich glaube, Sie wollen sich als blinder Passagier in einem Landungsboot davonschleichen. Die Luken zu den Landungsbooten sind aber fest verschlossen, wenn sie nicht benötigt werden. Ich weiß Bescheid.“

„Stimmt. Aber darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Tilly.“

„Na schön. Das soll nicht meine Sorge sein. Okay,ich kann Ihren Rückzug decken. Was sage ich dem Kapitän, wenn Sie weg sind?“

„Der Kapitän steckt also doch mit drin. Ich hatte mir das beinahe gedacht.“

„Er weiß von der Sache. Die Befehle erhalten wir aber vom Zahlmeister.“

„Das erscheint logisch. Nehmen wir einmal an, ich hinterlasse Sie gefesselt und geknebelt … und Sie berichten, ich hätte Sie angefallen und niedergeschlagen. Natürlich kann ich das nicht gewesen sein, weil Sie vom frühen Morgen bis zum Abflug der Boote meine Rolle mitspielen müssen. Aber ich kann dafür sorgen, daß Sie gefesselt und geknebelt werden.

Glaube ich.“

„Das würde mein Alibi auf jeden Fall verbessern.

Aber wer soll der Philanthrop sein?“

„Erinnern Sie sich an den ersten Abend an Bord?

Ich kam ziemlich spät, mit einem Verehrer. Sie haben uns Tee und Mandelkuchen vorgesetzt.“

„Dr. Madsen. Sie rechnen mit ihm?“

„Ich glaube schon. Mit Ihrer Hilfe. An jenem Abend war er ziemlich heftig hinter mir her.“

Sie schnaubte durch die Nase. „Ihm hing die Zunge bis auf den Boden heraus!“

„Ja. Und daran hat sich nichts geändert. Morgen werde ich krank; er besucht mich — beruflich selbstverständlich. Sie sind wie üblich dabei. Am Bett-Ende der Kabine haben wir das Licht ausgeschaltet. Wenn Dr. Jerry die ruhigen Nerven hat, die ich ihm zutraue wird er das Gebotene schon annehmen. Und dann macht er auch mit.“ Ich schaute sie offen an. „In Ordnung? Er kommt dann am nächsten Tag zu seinem Vormittagsbesuch — und fesselt Sie. Einfach.“Tilly saß einige Minuten lang reglos da und überlegte. „Nein.“

„Nein?“

„Wir wollen die Sache lieber ganz einfach lassen.

Wir weihen niemanden ein. Niemanden. Es ist nicht unbedingt erforderlich, daß ich gefesselt bin; das würde nur Verdacht erregen. Ich schlage folgende Geschichte vor: Kurz vor Ablegen der Boote kommen Sie zu dem Schluß, daß es Ihnen wieder gut geht. Sie stehen auf, ziehen sich an und verlassen die Kabine.

Sie sagen mir nicht, was Sie vorhaben; ich bin ja nur die arme, dumme Zofe, der so etwas nicht offenbart wird. Vielleicht haben Sie es sich ja auch anders überlegt und wollen die Ausflüge auf den Planeten mitmachen. Egal. Ich habe nicht den Auftrag, Sie an Bord festzuhalten. Meine Verantwortung erstreckt sich darauf, Sie hier in der Kabine zu überwachen. Ich glaube auch nicht, daß es Petes Aufgabe ist, Sie im Schiff festzuhalten. Wenn Sie ausrücken können, geht es vermutlich als einzigem dem Kapitän an den Kragen. Und der ist mir egal.“

„Tilly, ich glaube Sie haben recht, und zwar in jeder Beziehung. Ich hatte angenommen, daß Sie ein Alibi haben wollten. Aber ohne sind Sie besser dran.“

Sie musterte mich und lächelte. „Lassen Sie sich dadurch nicht davon abhalten, Dr. Madsen zu sich ins Bett zu holen. Vergnügen Sie sich. Es gehörte zu meinen Aufgaben, Ihr Bett frei von Männern zu halten — das haben Sie wohl geahnt …“

„Ich dachte es mir“, sagte ich lächelnd.

„Aber jetzt wechsle ich ja die Seite, also gilt das nicht mehr.“ Plötzlich lächelte sie, und ein Grübchen erschien auf ihrer Wange. „Vielleicht sollte ich Dr.Madsen einen Bonus anbieten. Wenn er am nächsten Morgen bei seiner Patientin vorspricht und ich ihm sage, daß es Ihnen wieder gut geht und Sie in die Sauna oder sonstwohin gegangen sind.“

„Einen solchen Bonus sollten Sie ihm nur bieten wenn Sie es ernst meinen, da ich weiß, daß er es ernst meint.“ Ich erschauderte. „Ich bin davon überzeugt.“

„Was ich ins Schaufenster hänge, ist auch zu haben.

Alles klar?“ Sie stand auf, und ich machte es ihr nach.

„Wir haben nur noch nicht darüber gesprochen was ich Ihnen schulde.“

„Ich habe mir darüber meine Gedanken gemacht.

Marj, Sie wissen besser als ich, wie es um Sie bestellt ist. Ich überlasse das Ihnen.“

„Aber Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was Sie bekommen sollten.“

„Ich weiß es nicht. Mein Herr hat es mir nicht gesagt.“

„Stehen Sie denn im Eigentum?“ Bestürzung überkam mich. Bei einer AP war so etwas zu erwarten.

„Nicht mehr. Oder nicht mehr ganz. Ich bin auf zwanzigjährige Verpflichtung verkauft worden. Noch dreizehn Jahre. Dann bin ich frei.“

„Aber … O Gott, Tilly, dann sollten wir Sie auch vom Schiff holen!“

Sie legte mir eine Hand auf den Arm. „Bleiben Sie ruhig! Sie haben meine grauen Gehirnzellen angeregt.

Das ist ja der Grund, warum ich nicht gefesselt sein möchte. Marj, ich stehe nämlich nicht als Leibeigene in der Passagierliste. Folglich kann ich einen Bodenausflug unternehmen, wenn ich dafür bezahlen kann — und das kann ich. Vielleicht sehen wir uns dort unten wieder.“

„Ja!“ Ich küßte sie.

Sie zog mich energisch an sich, und der Kuß entwickelte sich. Sie stöhnte, und ihre Hände tasteten sich unter meinen Morgenmantel.

Gleich darauf löste ich mich von ihr und schaute ihr in die Augen. „Ach, so ist das, Tilly.“

„Und ob! Von dem Augenblick an, als ich dich baden mußte.“

An diesem Abend veranstalteten die Auswanderer die in Botany Bay das Schiff verlassen würden, eine kleine Vorstellung für die Passagiere aus der ersten Klasse. Der Kapitän sagte mir, solche Dinge seien schon eine Art Tradition, und die Zuschauer spendeten ein wenig für die Kolonisten, was aber keine Verpflichtung war. Er selbst suchte an diesem Abend den Salon auf — ebenfalls eine Tradition —, und ich landete wieder einmal an seiner Seite. Ich nutzte die Gelegenheit, ihm zu sagen, daß ich mich nicht besonders fühle. Ich fügte hinzu, vielleicht müßte ich meine Reservierungen für die Bodenausflüge zurücknehmen.

Ich verschwieg nicht, daß mich das ärgern würde.

Er antwortete, wenn ich mich nicht gut fühlte sollte ich auf keinen Fall das Risiko eingehen, mich auf einem fremden Planeten zu tummeln — und Botany Bay wäre ohnehin nichts Besonderes, da versäumte ich nicht viel. Die wirklich schönen Welten kämen erst später. Ich solle also ein braves Mädchen sein, sonst müßte er mich wohl in meiner Kabine einschließen, und das wolle ich doch nicht, oder?

Ich sagte ihm, wenn mein Magen sich nicht wieder beruhigte, wäre es nicht nötig, mich einzuschließen.

Der Flug nach Outpost wäre schrecklich gewesen, ichhätte mich die ganze Zeit mies gefühlt und wollte so etwas nicht noch einmal riskieren. Dies alles hatte ich damit vorbereitet, daß ich mein Essen kaum angerührt hatte.

Die kleine Show war amateurhaft aufgezogen, aber ganz lustig — ein paar Solos, aber in erster Linie Gruppengesang: Binde mir das Känguruh, Waltzing Matilda, Botany Bay und als Wiederholung Die Verrückte Jalousie. Ich hatte meinen Spaß, hätte aber der Sache keine besondere Beachtung geschenkt, wenn ich nicht in der zweiten Reihe des Chors einen Mann ausgemacht hätte, der mir irgendwie bekannt vorkam.

Ich betrachtete ihn und dachte: Freitag, bist du zu der Sorte nachlässiger, gleichgültiger Mädchen abgestiegen, die sich nicht mehr erinnern, ob sie mit einem Mann geschlafen haben oder nicht?

Der Fremde erinnerte mich an Professor Federico Farnese. Allerdings trug er einen Vollbart, wohingegen Freddie glattrasiert gewesen war — was nichts beweist, da die inzwischen verstrichene Zeit mehr als ausgereicht hätte, sich ein solches Gewächs zuzulegen und die meisten Männer irgendwann einmal vom Bartfimmel erwischt werden. Der Bart verhinderte aber, daß ich mir durch Augenschein über seine Identität klar wurde. Der Mann sang nie ein Solo; die Stimme konnte ich also nicht identifizieren.

Der Körpergeruch — auf dreißig Meter war das bei Dutzenden von anderen Gerüchen nicht auszumachen.

Ich war in Versuchung, meine Rolle als Lady über Bord zu werfen — aufzustehen, über die Tanzfläche zu gehen und ihn zu umarmen: „Bist du Freddie? Hast du mich nicht im letzten Mai in Auckland mit in deinBettchen genommen?“

Was wäre, wenn er nein sagt?

Ich bin ein Feigling. Schließlich rang ich mich dazu durch, dem Kapitän zu sagen, ich hätte unter den Auswanderern möglicherweise einen alten Bekannten aus Sydney entdeckt, und fragte, wie ich das überprüfen könnte. Daraus folgte, daß ich den Namen „Federico Farnese“ auf ein Programmheft schrieb und der Kapitän dies an den Zahlmeister weitergab, der seinerseits einen seiner Helfer alarmierte. Der Mann verschwand und kehrte nach einiger Zeit mit der Nachricht zurück, daß es unter den Auswanderern etliche italienisch klingende Namen gebe, aber keinen, der „Farnese“ gliche, ob nun italienisch oder nicht.

Ich dankte ihm und dem Zahlmeister und dem Kapitän und fragte mich, ob ich auch nach „Tormey“ und „Perreault“ suchen lassen sollte, kam aber zu dem Schluß, daß das dumm gewesen wäre, denn ich hatte weder Betty noch Janet gesehen, die sich auf keinen Fall Bärte hätten zulegen können. Ich hatte hinter dichtem Haar ein Gesicht ausgemacht — und somit gar nicht richtig gesehen. Hängt man einem Mann einen Bart vor, sieht man nur noch das Gestrüpp.

Ich überlegte mir, daß das Altweibergewäsch über kuriose Macken bei schwangeren Frauen vermutlich voll und ganz stimmte.

Загрузка...