29. Kapitel

Ein Raumschiff — ein Hyperraumschiff — ist ein ungemein interessantes Ding. Natürlich müßte man über ausgedehnte Kenntnisse der Wellenmechanik und mehrdimensionalen Geometrie verfügen, um zu verstehen, was das Schiff antreibt — eine Bildung, die ich nicht besitze und wohl auch nie erlangen werde (obwohl es mich selbst heute noch reizen könnte mich mit diesen Gebieten zu beschäftigen). Raketen — kein Problem; darüber hatte uns Newton schon einiges verraten. Antigrav — ein Rätsel, bis Forward des Weges kam; jetzt gibt es sie überall. Wie aber schafft es ein Schiff von etwa hunderttausend Tonnen Masse (das eröffnete mir der Kapitän), auf beinahe achtzehnhundertfache Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, ohne daß dabei die Suppe schwappt oder irgend jemand aufgeweckt wird?

Ich habe keine Ahnung. Das Schiff besaß jedenfalls die größten Shipstone-Energieträger, die ich je gesehen hatte — Tim Flaherty (zweiter Stellvertretender Ingenieur) klärte mich allerdings auf, daß sie etwa zur Hälfte jedes Sprunges ausgeklinkt werden, wonach dann die Reise ausschließlich mit „parasitärer“

Energie vollendet wird (Wärme aus dem Schiff Kochdünste, Servomechanismen etc.)

Das klingt mir sehr nach einer Übertretung des Gesetzes der Erhaltung aller Energien. Ich wurde zum regelmäßigen Baden und nach der Maxime erzogen daß einem nie etwas geschenkt würde; in diesem Sinne äußerte ich mich gegenüber Tim Flaherty. Er begann sich etwas aufzuregen und versicherte mir, daßja gerade das Gesetz der Bewahrung der Energie dazu führe, daß alles so laufe — wie eine Drahtseilbahn:

Was man hinaufschickte, kam auch wieder herunter.

Ich weiß nicht recht. Es gibt da draußen keine Kabel; eine Drahtseilbahn kann es also nicht sein. Aber es funktioniert.

Die Navigation des Schiffes ist womöglich noch verwirrender. Nur nennt man das nicht Navigation und auch nicht Astrogation, sondern „Kosmonautik“.

Und da fühlt sich Freitag schon wieder in die Wüste geschickt, denn der Ingenieur-Offizier eröffnete mir daß die Offiziere auf der Brücke (eigentlich ist es keine Brücke), die Kosmonautik betreiben, eigentlich nur zur Kosmetik da sind, denn sie hatten im Grunde keine reale Aufgabe; die Arbeit wird voll und ganz durch den Computer erledigt — woraufhin Mr. Lopez der Zweite Offizier, mir versicherte, das Schiff habe Ingenieur-Offiziere nur, weil die Gewerkschaft darauf bestehe, in Wirklichkeit erledige auch hier der Computer alles allein.

Da mir für beide Gebiete die mathematischen Kenntnisse fehlen, hatte ich bei den Vorträgen der Herren Offiziere das Gefühl, sie sprächen eine fremde Sprache.

Eines habe ich allerdings gelernt: Noch in Las Vegas dachte ich, jeder große Rundflug liefe auf der Route Erde, Proxima, Outpost, Fiddler’s Green, Forest, Botany Bay, Halcyon, Midway, Sternenreich und zurück zur Erde, denn so stand es auf den Postern mit den Stellenausschreibungen. Falsch! Jede Reise wird auf die Bedürfnisse zugeschnitten. Normalerweise werden sämtliche neun Planeten angeflogen doch im Grunde steht nur fest, daß beim Ablauf derReise die Erde am einen Ende steht und das Sternenreich, das beinahe hundert Lichtjahre entfernt liegt (98,7+), am anderen. Die sieben Zwischenstationen lassen sich nach Wahl auf den Hin- oder Rückflug legen. Es gibt jedoch eine Regel, die bestimmt, wie sie angeordnet werden. Auf dem Hinweg muß die Entfernung zur Erde jeweils größer werden, und auf dem Rückweg muß sie sich vermindern. Das ist nicht annähernd so kompliziert, wie es sich anhört; es besagt nicht mehr und nicht weniger, als daß das Schiff auf dem Flug keine Etappen fliegt, die es nach rückwärts führen — auf gleiche Weise würde man einen Einkaufsmarsch planen, der durch viele Geschäfte geht.

Trotzdem bleibt genügend Flexibilität. Die neun Sterne, die Sonnen dieser Planeten, liegen ziemlich dicht an einer geraden Linie. Schauen Sie sich die Skizze mit dem Zentauren und dem Wolf an. Wie Sie sehen, liegen diese Sterne aus Erdsicht entweder an der Vorderseite des Zentauren oder dicht dabei im Wolf. (Ich weiß, der Wolf sieht nicht gerade gut aus aber der Zentaur stochert schon seit vielen tausend Jahren an ihm herum. Außerdem habe ich noch nie einen Wolf gesehen — einen vierbeinigen, meine ich — und besser kann ich nicht zeichnen. — Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich auch noch keinen Zentauren zu Gesicht bekommen.)Erdhimmel — in der Nachbarschaft von Centaurus und Lupus Rektaszension in Stunden und Minuten (1 h = 15 Bogengrad)

So gruppieren sich diese Sterne am irdischen Nachthimmel. Der Betrachter muß sich schon so weit südlich befinden wie Florida oder Hongkong, um sie überhaupt auszumachen, und selbst dann ist nur Alpha Centauri mit bloßem Auge zu erkennen.

Alpha Centauri (Rigel Kentaurus) leuchtet dafür ziemlich stark; er ist der dritthellste Stern am irdischen Himmel. Eigentlich sind es drei Sterne, ein hellstrahlender, ein Zwilling der Sonne, ein zweiter Stern der nicht ganz so hell leuchtet und mit ihm um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreist, und ein ferner matter, kleiner Begleiter, der sich in etwa einem Fünf-zehntel Lichtjahr Entfernung um beide schwingt. Vor Jahren war Alpha Centauri als „Proxima“ bekannt.

Dann machte sich jemand die Mühe, die Entfernung zu dem „unwichtigen“ dritten Begleiter zu messen — und stellte fest, daß er um eine Winzigkeit näherstand. In der Folge wurde der Titel „Proxima“ oder „Nächster“ auf diesen „nutzlosen“ Himmelskörper übertragen. Als wir schließlich auf dem dritten Planeten von Alpha Centauri A (dem Zwilling unserer Sonne) eine Kolonie errichteten, nannten die Kolonisten ihren Planeten „Proxima“.

Mit der Zeit starben die Astronomen aus, die den Namen auf den mattleuchtenden dritten Stern übertragen wollten, und die Kolonisten setzten sich durch.

Was nur gut war, denn der schwache Stern steht zwar heute noch um Haaresbreite näher zu uns, wird sich bald aber weiter entfernt haben als seine beiden Begleiter — halten Sie nur mal für ein paar Jahrtausende den Atem an. Da er mit seinen Begleitern „ballistisch verbunden“ ist, bleibt er im Durchschnitt auf derselben Entfernung von der Erde wie die beiden anderen im Trio.Rektaszension in Stunden und Minuten Schauen Sie sich die zweite Zeichnung an, mit der Rektaszension oben und den Lichtjahren rechts verlaufend.

Ich war wohl die einzige Person unter vielen hundert Passagieren, die nicht wußte, daß auf diesem Flug unser erster Aufenthalt nicht Proxima sein würde. Mr. Lopez (der mir die Brücke zeigte) musterte mich wie ein zurückgebliebenes Kind, das sich wieder einmal danebenbenommen hat. (Was aber nicht weiter von Belang war, da er sich für mein Gehirn am wenigsten interessierte.) Ich wagte ihm nicht zu erklären, daß ich praktisch im letzten Augenblick an Bord geschafft worden war; damit hätte ich meine Tarnung preisgegeben. Außerdem wird von Miß Neureich nicht erwartet, daß sie Köpfchen hat.

Normalerweise macht das Schiff sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückreise bei Proxima Station.Mr. Lopez erklärte mir, daß es diesmal kaum Fracht und nur wenige Passagiere für Proxima gegeben habe, jedenfalls nicht genug, um den Halt auf dem Hinflug lohnend zu machen. Fracht und Passagiere mußten daraufhin bis zum Start der Maxwell zurückbleiben, der für nächsten Monat vorgesehen war; diesmal wird die Forward erst auf dem Rückflug bei Proxima vorbeischauen, mit Frachtlieferungen und vielleicht auch Passagieren von den anderen sieben Häfen. Mr. Lopez erläuterte (was ich nicht begriff) daß der Flug durch das All über viele Lichtjahre beinahe nichts kostet — in erster Linie die Verpflegung für die Passagiere —, daß der Halt bei einem Planeten aber schrecklich teuer sei, so daß sich solche Unterbrechungen für die Bilanz schon lohnen müßten.

So also sieht diesmal unsere Reiseroute aus (ich verweise nochmals auf die zweite Zeichnung): Zuerst nach Outpost, dann nach Botany Bay, dann zum Sternenreich, weiter nach Midway, Halcyon, Forest Fiddler’s Green, Proxima (endlich!) und nach Hause zur Erde.

Ich bin darüber nicht unglücklich — im Gegenteil!

Auf diese Weise nämlich werde ich „die wertvollste Fracht der Galaxis“ schon knapp einen Monat nach dem Abwarpen von der Stationärstation los — und der lange Heimflug wird ein herrlicher Touristenausflug.

Toll! Keine Verantwortung. Ausreichend Zeit, sich die Kolonien anzusehen, in Begleitung diensteifriger junger Offiziere, die gut riechen und immer höflich sind. Wenn Freitag (oder Miß Neureich) an diesem Arrangement keinen Spaß mehr haben kann, wird es Zeit, mich ins Krematorium zu schieben, dann wäre ich tot.Jetzt schauen Sie sich mal die dritte Skizze an, bei der die Deklination oben quer eingezeichnet ist und die Lichtjahre senkrecht nach unten. Hier sieht die Wahl der Route ganz vernünftig aus — wenn Sie aber zur zweiten Zeichnung zurückblättern, werden Sie sehen, daß der Flugabschnitt von Botany Bay nach Outpost, wo das Schiff die Photosphäre von Forests Stern zu streifen scheint, in Wirklichkeit viele Lichtjahre daran vorbeiführt. Die Reise kann man im Grunde nur in drei Dimensionen richtig darstellen.

Sie können der Daten der Zeichnungen und aus der nachstehend aufgeführten Tabelle in Ihr Terminal eingeben und daraus ein dreidimensionales Hologramm erstellen lassen; so ergibt alles wirklich Sinn.

Eine solche Darstellung befindet sich auf der Brücke im erstarrten Zustand, so daß man sie sich gründlich ansehen kann. Mr. Lopez, der mir die Zeichnungen anfertigte (mit Ausnahme von Joe Zentaur und dem traurigen Wolf) wies mich darauf hin, daß sich die dreidimensionale Kosmonautik mit einer zweidimensionalen Darstellung schlechterdings nicht verdeutlichen lasse. Ein Hilfsmittel wäre, sich die drei Skizzen als Draufsicht, Seiten- und Vorderansicht vorzustellen, so ähnlich, wie man sich aus den Plänen heraus ein Haus vor Augen führt; dieser Vergleich stimmte sogar ziemlich genau.Südliche Deklination (minus) in Bogengraden Daten zu acht Kolonialplaneten und ihren Sternen Entf.

Lichtj.

NameKatalog Nr.

Spktrl.

Typ Oberfl.

Temp. K

Größe absolu Rektaszens.

Bemerkungen 40.7OutpostDM-54

5466

G853005,513h53m -44/46 kalt, öde 67.9Botany BayDM-44

9181

G459004,714h12m -44/46 erdähnlich 98.7Sternenreich DM-51

8206

G557005,414h24m -53/43 vermögendes Staatswesen 4.38Proxima Cen. A

AlphaG256004,3514h36m -60/38 älteste Kolonie 57.15ForestDM-48

9494

G555005,114h55m -48/39 neu, primitiv 50.1Fiddler’s Green Nu(2)

Lupi G258004,715h18m -48/08 kein unbeschränkter Zutritt 90.5Midway DM-47

9926

G556006,1 15h20m -47/44

Theokratie 81.45Halcyon DM-49

9653

G553005,7 15h26m -49/47

Kein unbeschränkter Zutritt — Sol — G258004,85 — (zum Vergleich)Als Mr. Lopez mir einen Printout dieser Tabelle aushändigte, wies er mich darauf hin, daß die darauf enthaltenen Daten nur etwa Schulbuchgenauigkeit hätten. Würde man ein Teleskop auf diese Koordinaten ausrichten, fände man wohl den richtigen Stern aber für Forschung und Kosmonautik sind doch etliche zusätzliche Dezimalstellen erforderlich, außerdem ein Ausgleichsfaktor, der die Eigenbewegung jedes Sterns berücksichtigt. Die Sonne von Outpost bewegt sich am wenigsten; sie hält so eben mit dem Verkehr in unserem Teil der Galaxis Schritt. Der Stern von Fiddler’s Green dagegen — (Nu [2] Lupi) besitzt einen Vektor von 138 Kilometern in der Sekunde! — das ist soviel, daß Fiddler’s Green sich um gut anderthalb Milliarden Kilometer verschoben hat, wenn die Forward nach fünf Monaten das System zu einem neuen Zwischenhalt anfliegt. Solche Faktoren können schon Probleme mit sich bringen — nach Mr. Lopez’ Worten kann es einen Kapitän den Posten kosten denn ob ein Schiff Gewinn oder Verlust bringt, hängt davon ab, wie dicht vor den Landehäfen das Schiff aus dem Hyperraum geholt wird, ohne auf ein Hindernis zu stoßen (beispielsweise einen Stern!). Das ist ja, als flöge man ein AAF mit verbundenen Augen!

Ich werde aber nie ein Hyperraum-Schiff lenken und Captain van Kooten wirkt irgendwie solide und zuverlässig. Ich erkundigte mich während des Abendessens bei ihm, und er nickte. „Wir finden unser Ziel schon. Erst einmal mußten wir ein paar Jungs in einem Landungsboot runterschicken, um in einer Bäckerei einzukaufen und mal eben die Wegweiser zu studieren.“

Ich wußte nicht, ob er von mir erwartete, daß ichlachte oder seine Worte ernst nahm. Sicherheitshalber fragte ich, was sie denn in der Bäckerei gekauft hätten. Er wandte sich an die Dame zu seiner Linken und tat, als hätte er meine Frage nicht gehört. (Die Bäckerei an Bord liefert die besten Kuchenstücke, die ich je gegessen habe; man sollte dort ein Vorhängeschloß anbringen!)

Kapitän van Kooten ist ein rücksichtsvoller, väterlich wirkender Mann — trotzdem habe ich keine Mühe, ihn mir während eines Kampfes gegen meuterische Halsabschneider vorzustellen — in einer Hand eine Pistole, in der anderen einen Krummsäbel. Er gibt mir ein Gefühl der Sicherheit für das ganze Schiff.

Shizuko ist nicht die einzige, die mich bewacht. Ich glaube, ich habe vier weitere Wächter identifiziert und wüßte zu gern, ob es alle sind. Vermutlich nicht weil ich mich manchmal umgesehen und keinen von ihnen entdeckt habe — und doch scheint Anweisung zu bestehen, daß zu allen Zeiten jemand in meiner Nähe sein muß.

Ob ich paranoid bin? Es sieht so aus, aber ich bin es nicht. Ich bin Profi und lebe noch, weil ich stets auf ungewöhnliche Faktoren geachtet habe. Dieses Schiff befördert sechshundertundzweiunddreißig Passagiere in der Ersten Klasse, gut sechzig uniformierte Offiziere, dazu uniformierte Besatzungsmitglieder, außerdem Personal wie Reiseleitung, Stewards und Stewardessen und Tanzmeister und Entertainer und dergleichen. Die letztgenannte Gruppe kleidet sich wie Passagiere, doch ihre Angehörigen sind jung und sie lächeln und sorgen dafür, daß die Passagierezufrieden sind.

Die Passagiere … Auf diesem Schiff ist ein Passagier der Ersten Klasse, der unter siebzig ist, die Ausnahme — zum Beispiel ich. Wir haben zwei TeenagerMädchen an Bord, einen Teenager-Jungen, zwei junge Frauen und ein reiches Paar auf Hochzeitsreise. Alle anderen Erste-Klasse-Passagiere sind reif für das Altersheim. Sie sind sehr alt, sehr reich und ungemein ichbezogen — bis auf eine knappe Handvoll, die das Altwerden geschafft haben, ohne zugleich einen Knacks wegzubekommen.

Natürlich kommen meine Bewacher nicht aus dem Kreis dieser klapprigen Greise, ebensowenig aus der Gruppe des ganz jungen Volks. Die Schiffsbesatzung hatte ich schon nach den ersten achtundvierzig Stunden identifiziert und wußte dann, wer Musiker oder Entertainer war und so weiter. Vielleicht hätte ich vermutet, daß einige jüngere Offiziere den Auftrag bekommen hatten, mich zu überwachen, wäre da nicht die Tatsache gewesen, daß sie alle Wachdienst hatten, normalerweise acht von vierundzwanzig Stunden — folglich können sie gar keinen zweiten vollen Job übernehmen. Meine Nase täuscht sich jedoch nie; ich weiß, warum sie mir folgen. Auf der Erde wird mir nicht soviel Aufmerksamkeit zuteil, hier aber herrscht ein akuter Mangel an bettfähigen jungen Frauen — dreißig junge Offiziere auf vier junge unverheiratete Frauen in der Ersten Klasse, abgesehen von Freitag. Unter diesen Umständen hätte eine Frau schon einen sehr schlechten Atem haben müssen, um nicht einen ganzen Rattenschwanz von Verehrern anzulocken.

Nachdem ich all diese Gruppierungen sortiert hatte, blieben noch immer einige Männer übrig, für die es keine Erklärung gab. Passagiere der Ersten Klasse?

Ja, sie essen im Ambrosia-Saal. Geschäftsreisende?

Mag sein — aber nach Auskunft des ersten Stellvertretenden Zahlmeisters reisen Geschäftsleute in der Zweiten Klasse, die nicht ganz so luxuriös, aber nicht minder bequem ist und nur die Hälfte kostet.

Zum Beispiel: Wenn Jerry Madsen mich mit seinen Freunden ins Schwarze Loch ausführt, sitzt drüben in der Ecke der einsame Kerl und hält sich an einem Drink fest. Am nächsten Morgen geht Jimmy Lopez mit mir schwimmen; derselbe Kerl ist bereits im Wasser. Im Kartenzimmer spiele ich mit Tom — mein Schatten hat sich auf der anderen Seite zu einer Runde Patience niedergelassen.

Ein- oder zweimal können Zufall sein — doch nach drei Tagen bin ich fest davon überzeugt, daß, sobald ich mich außerhalb der Suite BB aufhalte, einer von vier Männern stets in meiner Nähe ist. Normalerweise läßt der Betreffende den Abstand so groß werden wie es der Zuschnitt der jeweiligen Räumlichkeit gestattet — aber er ist anwesend.

Mr. Sikmaa hat nicht verschwiegen, daß ich „das wertvollste Paket“ beförderte, das jemals von einem Kurier übernommen wurde. Daraus hatte ich aber nicht geschlossen, daß er es für nötig erachtete, mich auch an Bord des Schiffes total überwachen zu lassen.

Glaubte er etwa, jemand würde sich anschleichen und mir das kostbare Ding aus dem Bauchnabel klauen?

Oder sind die Schatten gar nicht von Mr. Sikmaa beauftragt worden? War das Geheimnis verraten, ehe ich die Erde verließ? Mr. Sikmaa schien mir nach Pro-fiart vorsichtig gewesen zu sein — aber wie stand es mit Mosby und seiner eifersüchtigen Sekretärin? Ich weiß es nicht — und ich weiß von den politischen Verhältnissen im Sternenreich zu wenig um mir eine Meinung zu bilden.

Später: Die beiden jungen Frauen gehören ebenfalls zu der Bewachungsmannschaft, die sich um mich kümmert; sie erscheinen aber nur dann in meiner Nähe, wenn die Männer verhindert sind — im Schönheitssalon, im Modegeschäft, in der Frauensauna — und so weiter. Sie belästigen mich nicht; trotzdem bin ich die Sache allmählich leid. Wie froh werde ich sein das lästige Paket endlich los zu sein und diesen großartigen Flug endlich voll genießen zu können! Zum Glück kommt das beste Stück erst nach Verlassen des Sternenreiches. Outpost ist im wahrsten Sinne des Wortes so kalt, daß hier keine Bodenausflüge vorgesehen sind. Botany Bay soll recht annehmbar sein und ich wollte mir diese Welt ansehen, weil ich dorthin vielleicht später auswandern wollte.

Das Sternenreich wurde mir als reich und wunderschön beschrieben, und ich möchte es mir auch als Tourist gern anschauen — aber als künftige Heimat kommt es nicht in Frage. Die Regierung soll recht gut sein, doch sie hat die Form einer absoluten Diktatur wie im Chicago-Imperium, und davon hatte ich erst einmal genug. Aber aus einem noch wichtigeren Grund würde ich nicht um ein Einwanderungsvisum nachsuchen: Ich weiß zuviel. Offiziell weiß ich nichts weil Mr. Sikmaa nie davon gesprochen hat und ich auch keine Fragen gestellt habe — aber ich werde mein Glück nicht auf die Probe stellen, indem ich den An-trag einreiche, dort zu leben.

Midway möchte ich mir ebenfalls anschauen, aber auch hier gedenke ich keine Wurzeln zu schlagen.

Zwei Sonnen am Himmel machen diese Welt zu etwas Besonderem — aber die ganz große Besonderheit liegt in dem Umstand, daß der Exilierte Papst hier residiert, allerdings auf Besuchsvisum. Es stimmt wirklich, daß dort öffentliche Messen abgehalten werden!

Kapitän van Kooten bestätigt das, und Jerry sagt, er habe es mit eigenen Augen gesehen, und auch ich könnte es mir ansehen — kein Eintritt, aber es gehört zum guten Ton, eine Spende für wohltätige Zwecke zu machen.

Ich bin in Versuchung, darauf einzugehen. Es ist eigentlich nicht gefährlich, und vermutlich habe ich in meinem Leben nie wieder Gelegenheit, so etwas zu sehen.

Natürlich überprüfe ich auch Halcyon und Fiddler’s Green. Beide müssen schon ganz besondere Vorzüge zu bieten haben, sonst wäre die Zuwanderung nicht so teuer — doch auch hier werde ich gründlich nach dem Haken Ausschau halten — nach einem Haken, wie er sich schon im Garten Eden bemerkbar machte. Es würde mir widerstreben, Gloria die hohe Eintrittsgebühr abzuverlangen — und dann festzustellen, daß ich dieser Welt nichts abgewinnen konnte.

Forest bietet für den Touristen angeblich keine Vorzüge, keine Annehmlichkeiten — trotzdem will ich mir die Welt gründlich ansehen. Natürlich handelt es sich um die jüngste Kolonie, die über das Blockhüttenstadium noch nicht hinaus ist und hinsichtlich der Versorgung mit Werkzeugen und Instrumenten totalvon der Erde und/oder dem Sternenreich abhängt.

Aber wäre das nicht der richtige Augenblick, einer Kolonie beizutreten und die Freuden des Pionierlebens um so tiefer auszukosten?

Jerry verzieht nur mürrisch das Gesicht. Er fordert mich auf, mir die Welt anzusehen — und selbst zu erfahren, daß das Leben in urzeitlichen Wäldern allgemein zu angenehm dargestellt wird.

Ich weiß nicht. Vielleicht kann ich einen begrenzten Aufenthalt arrangieren und mich von diesem oder einem der Schwesternschiffe nach einigen Monaten wieder abholen lassen. Danach wollte ich den Kapitän fragen.

Gestern gab es im Stardust-Theater einen Holo, eine musikalische Komödie mit dem Titel Der Yankee aus Connecticut und Königin Guinevere. Diesen Film wollte ich unbedingt sehen; angeblich war er sehr lustig unterlegt mit wiedergefundener romantischer Musik angefüllt mit prächtigen Pferden und herrlicher Ausstattung. Ich ging meinen Freiern aus dem Weg und verschwand allein im Theater. Oder beinahe allein:

Meinen Bewachern entkam ich natürlich nicht.

Der Diensthabende — ich nannte ihn insgeheim „Nummer 3“, obwohl er in der Passagierliste als „Howard J. Bullfinch, San Diego“ eingetragen war — folgte mir ins Kino und setzte sich dicht hinter mich — was ungewöhnlich war, denn die Leute gingen normalerweise so sehr auf Abstand, wie es der jeweilige Raum zuließ. Vielleicht glaubte er, im Dunkeln meine Spur zu verlieren; ich weiß es nicht. Seine Anwesenheit dicht hinter mir lenkte mich ab. Als die Königin den Yankee an sich band und in ihr Boudoirschleppte, war ich mit anderen Dingen beschäftigt als den Ereignissen im Holotank; vielmehr versuchte ich all die Gerüche, die mir in die Nase stiegen, zu sortieren und analysieren — was in einem voll besetzten Theater keine Kleinigkeit ist.

Als das Stück zu Ende war und die Lichter angingen, erreichte ich den Seitengang zur gleichen Zeit wie mein Bewacher; er ließ mir den Vortritt. Ich dankte ihm lächelnd und ging dann zur vorderen Tür; er folgte mir. Der Ausgang führt auf eine kurze Treppe mit vier Stufen. Ich stolperte und fiel nach hinten, und er fing mich auf.

„Vielen Dank!“ sagte ich. „Dafür spendiere ich Ihnen in der Centaur-Bar einen Drink!“

„Oh! Nicht nötig!“

„Und ob! Sie werden mir erklären, warum Sie mir gefolgt sind, wer ihr Auftraggeber ist und etliche andere Dinge.“

Er zögerte. „Sie müssen sich irren.“

„Ich nie, Mac. Möchten Sie lieber unauffällig mitkommen — oder wollen Sie Ihre Erklärungen dem Kapitän gegenüber abgeben?“

Er setzte ein fragendes Lächeln auf. (Oder war es zynisch?) „Ihre Worte klingen sehr überzeugend auch wenn Sie sich irren. Ich bestehe aber darauf, die Drinks zu bezahlen.“

„Na schön. Soviel sind Sie mir schuldig. Und noch etliches mehr.“

Ich wählte einen Ecktisch, wo andere Gäste unser Gespräch nicht mithören konnten — und somit gewährleistet war, daß ein Abhörgerät alles aufzeichnete. Wie kann man an Bord des Schiffes solchen Einrichtungen aus dem Wege gehen? Es ist unmöglich.Man bediente uns, dann sagte ich beinahe lautlos zu ihm: „Können Sie Lippenlesen?“

„Nicht sehr gut“, erwiderte er ebenso leise.

„Na schön, sprechen wir so leise wie möglich, hoffen wir, daß der allgemeine Krach die Abhörwanze durcheinanderbringt. Mac, sagen Sie mir eins: Haben Sie in letzter Zeit noch andere hilflose Frauen vergewaltigt?“

Er zuckte zusammen. Ich glaube, es gibt niemanden, der einen solchen Tiefschlag ohne sichtliche Reaktion einstecken kann. Aber er machte mir immerhin das Kompliment, mir einen Kopf zuzubilligen, und zeigte mir, daß er ebenfalls denken konnte, denn er antwortete: „Miß Freitag, wie haben Sie mich erkannt?“

„An Ihrem Geruch“, antwortete ich. „Zunächst am Geruch; Sie haben da vorhin zu dicht hinter mir gesessen. Das war ein Fehler. Als wir dann das Theater verließen, zwang ich Sie dazu, etwas zu mir zu sagen.

Und ich stolperte auf der Treppe und brachte Sie dazu, die Arme um mich zu legen. Das genügte. Werden wir hier abgehört?“

„Wahrscheinlich. Aber vielleicht zeichnet das Gerät gerade nicht auf, vielleicht wird es gerade nicht überwacht.“

„Das ist mir zu gefährlich.“ Ich überlegte. Sollten wir Seite an Seite einen Spaziergang über die Promenade machen? Ein mechanisches Ohr hatte dabei sicher Probleme, wenn es nicht ständig nachgestellt wurde, aber die Ausrichtung mochte sich automatisch korrigieren, wenn es einen Impulsfänger bei sich hatte. Vielleicht trug auch ich etwas bei mir, das die Überwachungsgeräte auf mich ausrichtete. In denSwimming-pool? In einem Bad ist die Akustik immer schlecht, was für mich gut war. Aber, verdammt, ich mußte allein mit ihm sein! „Lassen Sie Ihren Drink stehen, kommen Sie mit!“

Ich führte ihn in Kabine BB. Shizuko ließ uns eintreten. Soweit ich feststellen konnte, hatte sie vierundzwanzig Stunden lang Dienst und schlief nur dann, wenn auch ich mich hinlegte. Jedenfalls nahm ich an, daß sie schlief. Ich fragte sie: „Was steht für später auf dem Programm, Shizuko?“

„Die Party beim Zahlmeister, Missy. Neunzehn Uhr.“

„Ach ja. Jetzt gehen Sie mal ein bißchen spazieren!

Kommen Sie in einer Stunde zurück!“

„Zu spät. Dreißig Minuten.“

„Eine Stunde!“

„Ja, Missy“, antwortete sie unterwürfig — doch ich bekam mit, daß sie ihn ansah und er unmerklich mit dem Kopf nickte.

Als Shizuko fort und die Tür verriegelt war, fragte ich leise: „Sind Sie ihr Chef oder ist sie der Ihre?“

„Das wäre ein Streitpunkt“, gestand er. „Vielleicht sollte man uns ›kooperierende unabhängige Agenten‹ nennen.“

„Ich verstehe. Sie arbeitet ziemlich professionell.

Mac, ist Ihnen bekannt, wo in dieser Kabine die Lauschgeräte stecken, oder müssen wir uns eine Methode überlegen, sie auszuschalten? Sind Sie daran interessiert, daß hier Ihre jämmerliche Vergangenheit ausgebreitet und irgendwo auf Band genommen wird? Ich wüßte nicht, daß mich das irgendwie kompromittieren könnte — schließlich war ich damals das unschuldige Opfer dieser Umtriebe —, andererseitssollen Sie sich offen äußern.“

Anstelle einer Antwort hob er den Arm und streckte den Finger aus. Er wies auf eine Stelle über meiner Couch, dann ans Kopfende meines Bettes und in das Badezimmer; schließlich berührte er sein Auge und deutete auf eine Stelle zwischen Wand und Dekke, direkt gegenüber dem Sofa.

Ich nickte. Dann zerrte ich zwei Stühle in die Ecke die am weitesten von der Couch entfernt war, außer Sichtweite des Spionauges, das er mir gezeigt hatte.

Dann schaltete ich das Terminal ein, wählte Musik von einem Band, auf dem der Chor von Salt Lake City zu hören war. Vielleicht konnte ein Spionohr all den Lärm analysieren und unsere Stimmen herausfiltern, aber ich nahm es nicht an.

Wir setzten uns, und ich fuhr fort: „Mac, können Sie mir einen Grund nennen, warum ich Sie nicht auf der Stelle umbringen sollte?“

„Einfach nur so? Ohne mich überhaupt anzuhören?“

„Wozu sollte ich Sie anhören? Sie haben mich vergewaltigt, das wissen Sie, ich weiß es. Aber immerhin höre ich Sie ja schon an. Können Sie sich einen Grund denken, warum Sie nicht sofort wegen Ihres Verbrechens hingerichtet werden sollten?“

„Nun ja, wenn Sie es so formulieren … Nein, ich wüßte keinen Grund.“

Irgendwann platzt mir bei den Männern einmal der Kragen! „Mac, Sie sind ein elender Schuft! Begreifen Sie nicht, daß ich Sie gar nicht umbringen will und nur nach einem vernünftigen Vorwand suche, auf meine Rache zu verzichten? Ohne Ihre Hilfe geht das aber nicht. Wie konnten Sie sich in eine so dreckigeSache verwickeln lassen wie die Vergewaltigung einer hilflosen Frau, der die Augen verbunden wurden?“

Ich blieb reglos sitzen und ließ ihn ein wenig im eigenen Saft schmoren, was er auch gehörig tat. Endlich antwortete er: „Ich könnte sagen, ich steckte schon so tief drin, daß ich mich selbst um Kopf und Kragen gebracht hätte, wenn ich bei der Vergewaltigung nicht mitgemacht hätte.“

„Stimmt das?“ fragte ich verächtlich.

„Es stimmt, ist aber nicht relevant. Miß Freitag, ich habe so gehandelt, weil ich es tun wollte. Weil Sie so sexy sind, daß ein Stylit darüber korrupt werden könnte. Oder Venus zur Lesbierin. Ich versuchte mir einzureden, daß es unumgänglich sei. Aber ich wußte es besser. Na schön, soll ich Sie dabei unterstützen daß es wie Selbstmord aussieht?“

„Nicht nötig!“ (Sexy, daß ich einen Styliten korrumpieren könnte! Aber was war ein Stylit — um alles in der Welt? Ich mußte mich danach erkundigen. Er schien darin einen Superlativ zu sehen.)

Er ließ nicht locker. „Sie kommen nicht so ohne weiteres von Bord. Eine Leiche kann da schon ziemlich peinlich sein.“

„Oh, ich glaube nicht. Sie haben den Auftrag, mich zu bewachen; glauben Sie etwa, mir würde etwas passieren? Andererseits wissen Sie bereits, daß ich Ihnen die Sache durchgehen lassen will. Doch ehe ich Sie von der Angel lasse, möchte ich einige Erklärungen von Ihnen hören. Wie sind Sie dem Feuer entkommen? Als ich Ihren Geruch wahrnahm, war ich sehr erstaunt; ich hatte Sie für tot gehalten.“

„Ich war bei dem Brand gar nicht dabei; ich ergriffschon vorher die Flucht.“

„Ach? Warum?“

„Aus zwei Gründen. Ich beschloß zu verschwinden, sobald ich erfahren hatte, was ich wissen wollte.

In erster Linie aber Ihretwegen.“

„Mac, Sie können nicht erwarten, daß ich zu viele unwahrscheinliche Ausflüchte glauben werde. Was hatten Sie denn in Erfahrung bringen wollen?“

„Ich habe es nie erfahren. Ich wollte wissen, worauf auch die anderen scharf waren: Warum Sie nach L-5 geflogen waren. Ich hörte, wie man Sie ausfragte, und erkannte, daß Sie die Antwort nicht wußten. Also verschwand ich wieder. Schleunigst.“

„Das stimmt. Ich war ein Ablenkungsmanöver — und was weiß eine Brieftaube schon davon, was ein Krieg bedeutet? Die Leute haben nur Zeit verschwendet, als sie mich folterten.“

Ehrlich, er sah mich schockiert an. „Man hat Sie gefoltert?“

„Wollen Sie etwa den Unschuldigen spielen?“ fragte ich mit scharfer Stimme.

„Äh? Nein, nein, ich bin schuldig, und das weiß ich auch. Mein Verbrechen aber ist die Vergewaltigung.

Daß man Sie gefoltert hat, wußte ich nicht. Das was sehr dumm von den Leuten, eine Handlungsweise die seit Jahrhunderten überholt ist. Ich bekam nur die direkten Verhöre mit — dann injizierte man Ihnen ein Wahrheitsserum — und Sie erzählten dieselbe Geschichte noch einmal von vorn. Da wurde mir klar daß Sie die Wahrheit sagten, und ich machte, daß ich davonkam.“

„Je mehr Sie mir erzählen, desto mehr Fragen tauchen auf: Für wen haben Sie gearbeitet? Warum ha-ben Sie’s getan? Warum sind Sie abgehauen? Warum ließ man Sie fort? Wem gehörte die Stimme, die Ihnen Anweisungen gab — der ›Major‹? Warum waren die Leute so sehr an dem interessiert, was ich bei mir hatte — sogar so sehr, daß sie einen militärischen Angriff starteten und etliche Menschenleben opferten und mich doch schließlich folterten und mir die rechte Brustwarze abzwickten? Warum das alles?“

„Das haben sie getan?“ (Kein Zweifel, Macs Gesicht war einigermaßen unbeweglich geblieben, bis ich den Schaden an meiner Steuerbord-Milchdrüse erwähnte.

Kann mir mal jemand erklären, wie die Männer denken? Mit Diagrammen und in knappen, klaren Worten?)

„Oh. Vollständige Regenerierung, funktionell wie auch kosmetisch. Ich zeige sie Ihnen — später. Wenn Sie alle meine Fragen vollständig beantwortet haben. Sie können dann vergleichen, ob sie so aussieht wie das alte Ding. Jetzt aber wieder zum Geschäft. Reden Sie!“

Mac behauptete, Doppelagent gewesen zu sein. Er sagte, damals sei er Geheimdienstoffizier in einer paramilitärischen Einheit gewesen, die sich den Muriel Shipstone-Gedächtnis-Laboratorien verdingt hatte.

Als solcher hatte er im Einzeleinsatz die Organisation des Majors unterwandert …

„Moment mal!“ rief ich dazwischen. „Ist er eigentlich bei dem Brand umgekommen? Der sogenannte ›Major‹?“

„Ich bin ziemlich sicher. Vielleicht ist aber Mosby der einzige, der das mit Sicherheit weiß.“

„›Mosby‹? Franklin Mosby? Von Finder Inc.?“

„Ich hoffe, er hat nicht noch Brüder; einer von der Sorte ist schon zuviel. Ja. Aber ›Finder Inc.‹ ist nur ei-ne Fassade; er arbeitet für Shipstone Unbegrenzt Inc.“

„Sie haben doch eben gesagt, Sie arbeiteten auch für Shipstone — die Laborfirma.“

Mac blickte mich überrascht an. „Aber das ganze Durcheinander um den Roten Donnerstag war doch nur ein interner Grabenkampf zwischen den Jungs an der Spitze; das weiß doch jeder!“

Ich seufzte. „Offenbar habe ich ein sehr behütetes Leben geführt. Na schön, Sie arbeiteten also für einen Bereich von Shipstone und waren als Doppelagent zugleich für einen anderen Bereich von Shipstone tätig. Aber warum war ausgerechnet ich der Knochen der zum Zankapfel wurde?“

„Miß Freitag, das weiß ich nicht; das sollte ich ja herausfinden. Man nahm aber an, Sie wären eine Agentin von Eisenbauch Bal …“

„Halt! Wenn Sie jetzt auf den verstorbenen Dr.

Baldwin zu sprechen kommen wollen, verzichten Sie bitte auf den scheußlichen Spitznamen.“

„Tut mir leid. Man dachte, Sie wären eine Agentin von System Enterprises, das heißt, von Dr. Baldwin und Sie bestätigten dies, indem Sie sein Hauptquartier aufsuchten …“

„Noch einmal halt! Gehörten Sie zu der Truppe, die mich vor der Farm angriff?“

„Es freut mich, Ihnen sagen zu können, daß ich nicht dabei war. Sie brachten zwei Männer um, und ein dritter starb später, und von den anderen kam keiner ohne Verletzung davon. Miß Freitag Sie sind eine richtige Wildkatze.“

„Weiter.“

„Eisen … Dr. Baldwin war ein Einzelgänger, ein unberechenbarer Faktor, der nicht zum System ge-hörte. Da der Rote Donnerstag vorbereitet wurde …“

„Was hat der Rote Donnerstag damit zu tun?“

„Na, alles doch! Was immer Sie beförderten, es hatte zumindest Einfluß auf den zeitlichen Ablauf.

Ich glaube, der Überlebensrat — das ist die Seite, für die Mosbys Helfer gearbeitet haben — hatte die Nase voll und legte los, ehe alles vorbereitet war. Vielleicht ist das der Grund, warum die Sache nichts gebracht hat. Die Differenzen wurden später in den Konferenzsälen einigermaßen ausgeräumt. Eine Analyse der Vorfälle habe ich allerdings nicht zu Gesicht bekommen.“

(Und ich auch nicht, und ohnehin war es dafür wohl längst zu spät. Ich sehnte mich nach einigen Stunden an einem Terminal der unbegrenzten Möglichkeiten, wie es mir im Pajaro Sands zur Verfügung gestanden hatte. Welche Direktoren, wenn überhaupt waren im Verlaufe des Roten Donnerstags und der sich daraus ergebenden Ereignisse getötet worden?

Wie hatte sich der Börsenmarkt verhalten? Die wirklich wichtigen Antworten finden wohl nie ihren Weg in die Geschichtsbücher. Der Chef hatte mich auf all jene Dinge angesetzt, die mit der Zeit zu den Antworten geführt hätten — doch er war gestorben, und mein Studium war abrupt unterbrochen worden. Zunächst. Doch eines Tages würde ich meine Neugier befriedigen. Ganz bestimmt!)

„Mac, hat Mosby Sie für diese Arbeit eingestellt?

Mich hier an Bord zu überwachen, meine ich.“

„Wie? Nein, ich habe nur damals mit Mosby Kontakt gehabt, und das unter falschem Namen. Für den neuen Auftrag wurde ich durch einen Anwerber gewonnen, der für einen Kulturattaché des Sternen-reich-Botschafters in Genf arbeitet. Im Grunde brauche ich mich dieses Auftrags nicht zu schämen. Wir kümmern uns gut um Sie. Sie befinden sich wirklich in den besten Händen.“

„Muß langweilig sein, wenn man die Frau nicht gleich noch ein bißchen schänden kann.“

„Autsch!“

„Was haben Sie für Anweisungen hinsichtlich meiner Person? Und wie viele sind Sie? Sie führen doch das Kommando, oder?“

Er zögerte. „Miß Freitag, Sie fordern mich da auf die Geheimnisse meines Auftraggebers auszuplaudern. In unserem Beruf tun wir das nicht — und das wissen Sie sehr gut.“

„Unsinn! Als Sie vorhin durch die Tür kamen, wußten Sie, Ihr Leben hängt davon ab, daß Sie mir alle meine Fragen beantworten. Denken Sie noch einmal an die Horde, die damals auf Dr. Baldwins Farm über mich herfiel, führen Sie sich vor Augen, was aus den anderen geworden ist. Und dann antworten Sie!“

„Ich habe oft daran zurückgedacht. Ja, ich führe das Kommando — außer vielleicht über Tilly …“

„Wer ist ›Tilly‹?“

„Tut mir leid, Shizuko, meine ich. Das ist ihr Name als Profi. Auf der Universität von Kalifornien hieß sie noch Mathilda Jackson. Wir warteten schon seit beinahe zwei Monaten im Sky High Hotel …“

„›Wir‹ — das ist die Mehrzahl. Nennen Sie mir die Namen. Und zwar die Namen, die hier in der Passagierliste stehen. Und versuchen Sie sich nicht länger mit Ihrer Söldnerehre herauszureden; gleich kommt Shizuko zurück.“

Er nannte mir die Namen — und bereitete mir keineÜberraschungen mehr. Ich hatte meine Bewacher längst enttarnt. Der Chef hätte so etwas nie zugelassen. „Weiter!“

„Wir warteten, und die Dirac warpte ohne uns, und erst vierundzwanzig Stunden vor dem Start der Forward wurden wir plötzlich aufgefordert, mit diesem Schiff zu fliegen. Dann übermittelte man mir FarbHolos von Ihnen, damit wir uns auf unseren Schützling einstellen konnten — und als ich Ihr Bild sah, Miß Freitag, wäre mir beinahe schwarz vor Augen geworden.“

„Waren die Bilder so schlecht? Ich bitte Sie!“

„Wie? — Nein, sie waren ziemlich gut. Aber bedenken Sie, wo ich sie zuletzt gesehen hatte! Ich nahm an Sie wären bei dem Brand umgekommen. Ich äh … nun ja, man könnte wohl sagen, daß ich um Sie getrauert habe. Wenigstens ein bißchen.“

„Ich danke Ihnen. Glaube ich wenigstens. Schön sieben Leute, und Sie geben die Befehle. Dieser Flug ist nicht billig, Mac; wozu brauche ich gleich sieben Bewacher?“

„Ich hatte angenommen, daß Sie mir das sagen könnten. Nicht daß es mich irgend etwas angeht warum Sie diesen Flug angetreten haben. Ich kann Ihnen nur die Anweisungen weitergeben, die ich bekommen habe. Wir müssen Sie in perfektem Zustand im Sternenreich abliefern. Kein gespaltener Fingernagel, kein Kratzer, keine Triefnase. Bei der Ankunft kommt ein Offizier der Palastgarde an Bord, und dann sind Sie sein Problem. Unseren Bonus erhalten wir aber erst, wenn Sie gründlich untersucht worden sind. Dann werden wir bezahlt und kehren nach Hause zurück.“Ich überlegte. Der Bericht paßte zu Mr. Sikmaas Sorge über „das wertvollste Paket, das je ein Kurier befördert hat“ — aber trotzdem stimmte etwas nicht daran. Es ist zwar logisch, wenn man, um ganz sicherzugehen, einen Gürtel noch durch Hosenträger absichert — aber sieben vollbezahlte Leute, die nur dafür sorgen mußten, daß ich nicht die Treppe hinabfiel und mir das Genick brach? Irgendwie kam mir das nicht koscher vor.

„Mac, mir fallen keine weiteren Fragen mehr ein außerdem muß Shizuko — ich meine ›Tilly‹ — jeden Augenblick wieder hier sein. Wir unterhalten uns später weiter.“

„Schön. Miß Freitag, warum nennen Sie mich ›Mac‹?“

„Das ist der einzige Name, mit dem Sie in meiner Gegenwart jemals angesprochen wurden. Als wir uns kennenlernten. Bei der Vergewaltigung, meine ich.

Ich bin einigermaßen sicher, daß Sie nicht ›Howard J.

Bullfinch‹ heißen. Wie soll ich Sie nennen?“

„Oh. Ja, während dieser Mission hieß ich ›Mac‹.

Aber normalerweise nennt man mich ›Pete‹.“

„Sie heißen mit Vornamen ›Peter‹?“

„Äh, nicht genau. Percival. Aber so nennt man mich nicht.“

Ich verkniff mir ein Lachen. „Ich wüßte nicht, warum man diesen Namen unterschlägt, Pete. Es hat schon sehr mutige und ehrenwerte Percivals gegeben.

Ich glaube, da kommt Tilly, die mich jetzt baden und anziehen möchte. Noch eine letzte Bemerkung. Wissen Sie, warum Sie noch atmen, warum Sie nicht tot sind?“

„Nein.“

„Weil Sie mich auf die Toilette gehen ließen. Vielen Dank, daß Sie mich mein kleines Geschäft machen ließen, ehe Sie mich mit den Handschellen am Bett festmachten.“

Er schien sich zu erinnern. „Dafür habe ich eine Rüge einstecken müssen.“

„Ach? Warum denn?“

„Der Major wollte Sie dazu bringen, das Bett naßzumachen. Er dachte, es würde Sie gesprächiger machen.“

„So? Was für ein dämlicher Amateur! Pete, jedenfalls war das der Moment, da ich zu dem Schluß kam daß bei Ihnen Hopfen und Malz noch nicht völlig verloren waren.“

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