Das Krankenhaus in Phoenix rief dreimal an, ich solle herüberkommen und einige Fragen betreffs Donovans Tod beantworten.
Janice sagte ihnen, ich sei zu stark beschäftigt und würde später kommen.
Auch Schratt rief an. Janice nahm das Telefon mit in ihr Zimmer und sprach lange mit ihm. Im allgemeinen liebt sie keine langen Telefongespräche, also ahnte ich, daß die Lage in Phoenix verwickelt wurde.
Als das Hospital zum viertenmal anrief, entschloß ich mich hinzufahren, ehe sie Verdacht schöpften.
Janice wollte gern mit mir in die Stadt fahren. Schweigend und verschlossen saß sie im Wagen. Es ärgerte mich zu fühlen, daß sie mich aus dem Augenwinkel beobachtete.
Ich faßte den Entschluß, all die angehäuften Fragen zwischen uns so bald wie möglich zu klären. Ich nahm ihre Intensität übel – sie störte mich bei meiner Arbeit. Die Disharmonie im Haushalt mußte ein Ende haben!
Als wir in der Stadt ankamen, wünschte Janice im Wagen zu bleiben. Ich fragte sie nicht, warum sie ihren Sinn so plötzlich geändert oder weshalb sie darauf bestanden hatte, überhaupt mitzukommen. Ich ging ins Krankenhaus.
Am Eingang stand ein dünner, schäbig aussehender Mann mit einer Kamera und machte eine Aufnahme von mir. Das mißfiel mir sehr. Die Schwester am Empfangspult schickte mich direkt zu Dr. Higgins, dem Direktor.
In Higgins' Wartezimmer saß Schratt, verfallen und grün aussehend. Ich nickte ihm zu, aber seine unruhigen Augen schienen mich nicht zu sehen. Als ich auf ihn zuging, um mit ihm zu sprechen, öffnete Higgins eine Tür und rief mich zu sich hinein.
Webster, der Leiter der Luftlinie, war bei ihm. Webster wartete keine Formalitäten ab. »Dr. Cory«, sagte er zu mir, »Schratt erzählte mir, daß Sie die Rettungsexpedition zum Lichtwart hinauf geführt haben.«
»Ja«, erwiderte ich. »Es war das Nächstliegende. Wenn Dr. Schratt in Konapah eine Rettungsmannschaft hätte bilden müssen, wäre er viel später angekommen.«
»Wenn ich recht verstand – Sie sind nicht praktizierender Arzt in diesem Bezirk?« Higgins sprach scharf, aber ich war auf seine Frage vorbereitet.
»Ich bin Doktor der Medizin, Herr Higgins«, antwortete ich ebenso scharf wie er. »Bei einem Unfall hat jeder Arzt seine Pflicht zu erfüllen!«
Ich wandte mich an Webster. Er nickte leichthin, als hätte ich ihn aufgefordert, meine Worte zu bestätigen.
Webster war unsicher. Der Tote war zu bedeutend, als daß man die Sache mit dem gewöhnlichen Bericht hätte erledigen können. Jede Zeitung im ganzen Land würde diesen Unfall aufblasen und ausschlachten. Websters Handlungen in der Nacht des Unfalls würden in allen Einzelheiten diskutiert werden.
Donovan hätte nicht gerettet werden können, wenn sämtliche Spezialisten der Mayo-Klinik an der Stelle des Unfalls schon auf ihn gewartet hätten, und das schien Higgins zu wissen. Doch Webster war zu tadeln, daß ein alter Knacker von Arzt in der Nacht des Unfalls Dienst gehabt hatte und ein unbekannter Mediziner eine schwere Operation an einem der reichsten Männer Amerikas vornehmen mußte.
Es war günstig für mich, daß Webster dringend wünschte, die Tatsachen zu verschleiern und den Zwischenfall so schnell wie möglich abzuschließen. Aber Higgins war auf dem Kriegspfade und wollte Blut sehen. Er rief Schratt herein.
Schratt war zittrig in den Knien. Er sah für den Arzt eines Notlande-Flugplatzes alles andere als repräsentabel aus. Webster blickte ihn mit Mißfallen an, und Higgins wandte sich bei Schratts demoralisierter Erscheinung mit Widerwillen ab.
Er sagte schnell: »Bitte, folgen Sie mir.«
Ich ging neben Webster, vor uns Higgins. Übersehen und als Nachhut hinten gelassen, wurde Schratt immer verzweifelter.
Schratt ist so unberechenbar. Ich hatte Angst, er könnte mit der Wahrheit herausplatzen, wenn er gerade einen Anfall von Reue bekam. Er hatte versucht, sein Gewissen unter Alkohol zu setzen, doch wie die meisten starken Trinker tröstete ihn das nicht, sondern verstärkte nur seine verzweifelten Gewissensbisse.
Ich verlangsamte meine Schritte etwas, damit Schratt mich einholen könne. Sein Gang war unsicher, doch ich fürchtete auch, ihn zu stützen, aus Angst, er könne sich einbilden, ich wolle ihm helfen, gerade zu gehen. Sogar solch kleine Geste hätte einen Gefühlsausbruch hervorrufen können.
Higgins führte uns zur Leichenkammer. An der Tür machte Schratt eine tapfere Anstrengung, sich zu beherrschen, riß sich zusammen und hob die Schultern.
Nur die eine Leiche, mit einem Laken bedeckt, lag in dem kleinen gekachelten Raum. Ich wußte, es war Donovans Körper, denn der Stoff fiel am Fußende der Bahre zusammen, wo die Füße eines Menschen ihn natürlicherweise hochgebauscht hätten.
Higgins deckte den Körper auf, und wir starrten alle in Donovans verwesendes Gesicht. Ich fühlte, wie es mir eiskalt über den Rücken lief. An den Bandagen des Kopfes war herumhantiert worden!
Auch Schratt merkte, daß sie jetzt anders gewickelt waren. Er trat zurück, aber sein Ausdruck veränderte sich nicht. Er nahm das Unglück immer fatalistisch entgegen.
»Dr. Schratt stellt in dem Totenschein fest, daß Herr Donovan nach der Amputation beider Beine starb. Sie haben nicht zufällig diese Gliedmaßen mit heruntergebracht, Dr. Cory?« fragte Higgins.
»Falls Sie die Notwendigkeit der Amputation bezweifeln, rate ich, die Beine zu exhumieren. Sie finden sie bei der Leuchtfeuer-Station begraben«, sagte ich kalt und beleidigt.
Webster, der nichts weniger wünschte als eine weitere medizinische Untersuchung, unterbrach rasch.
»Wenn Donovan sofort gestorben wäre, könnten wir uns diese fruchtlosen post mortems sparen.« Er wandte sich zur Tür. »Ich glaube, es hat keinen Sinn, den Fall weiter zu diskutieren. Wir machen Donovan nicht wieder lebendig und können nur Streitfragen entfesseln.« Er ließ Higgins deutlich verstehen, daß er den Fall abzuschließen wünschte, aber Higgins ignorierte den Vorschlag.
»Der Bericht spricht nicht von einer Kopfverletzung«, fuhr Higgins hartnäckig fort.
»Sie fanden sicher auch, daß die Rippen gebrochen sind«, erwiderte ich ruhig, denn ich wußte, auf was er aus war. »Wünschen Sie das gleichfalls festzulegen? Versuchen Sie, mich der Nachlässigkeit zu bezichtigen? Bitte, wessen klagen Sie mich an? Ich habe alles getan, was ich tun konnte.«
Higgins überlegte. Er fühlte Schratts wachsende Panik, doch er wußte nicht, was die Ursache dazu war, und das machte ihn unsicher.
»Lassen Sie uns gehen«, drängte Webster. »Ich fühle mich etwas schlecht ... ich bin nicht gewöhnt an ...«
Er öffnete die Tür der Leichenkammer und atmete die Luft tief ein, als kämpfe er gegen eine Ohnmacht.
Wir gingen hinaus. Ich fühlte den kalten Schweiß auf meiner Stirn und wagte nicht, den Kopf zu heben, aus Furcht, mich zu verraten.
Wir gingen wieder in Higgins Büro.
»Sie täten besser daran, die Ärzte zu wechseln, Herr Webster!« Higgins mußte unbedingt einen Sündenbock schlachten. »Dr. Schratt hat ganz offensichtlich seine Pflicht vernachlässigt. Es war seine Sache, sich sofort an den Schauplatz des Unfalls zu begeben, nicht einfach jemand anderen hinzuschicken! Doch Dr. Schratt war, wenn ich recht verstanden habe ..., nicht dazu fähig ...«
Schratt hob sein schlaffes, gedunsenes Gesicht. Er sah zerknirscht aus.
»Ich sehe mich genötigt, Sie zu entlassen«, sagte Webster schnell zu ihm, froh, daß er etwas gefunden hatte, womit er Higgins beruhigen konnte. »Es tut mir leid, Dr. Schratt!«
Webster sah mich forschend an und fügte hinzu: »Da ich einen Arzt haben muß, der in der Nähe des Notlandeplatzes wohnt, würde Dr. Cory vielleicht dieses Amt übernehmen.«
Auf Beifall wartend sah er Higgins an, doch ich war in der Stimmung, alle beide in ihre Schranken zurückzuweisen.
»Ich habe kein Interesse daran«, sagte ich mürrisch und ging zur Tür.
Higgins folgte mir. Seine Haltung änderte sich sofort, als er sah, daß er mir nicht grob kommen durfte. »Dr. Cory«, sagte er in verbindlichem Ton, »Sie müssen schon entschuldigen. Sehen Sie, ich mußte doch eine Untersuchung anstellen ...«
Ich musterte ihn kühl.
»Donovans Familie ist hier. Im Hotel De Anza. Bitte tun Sie mir einen Gefallen. Gehen Sie zu ihnen. Sie würden Sie dringend gerne sprechen.«
»Gut«, sagte ich, griff nach meinem Hut und verließ das Zimmer, ohne mich zu verabschieden.
Ich fühlte mich immer noch unsicher. Higgins hatte sich sonderbar benommen. Wußte er, daß ich Donovans Hirn gestohlen hatte?
Wer hatte unter Donovans Bandagen geblickt?
Ich hörte Schritte hinter mir. Es war Schratt, der ohne aufzusehen an mir vorbeiging, als sei ich schuld an seinem Mißgeschick.
Ich trat aus dem Krankenhaus und ging geradenwegs über den Marktplatz zum Hotel De Anza. Als ich an meinem Wagen vorbeikam, saß Janice nicht darin.
Ich fragte im Hotel nach Herrn Donovan, und der Portier behandelte mich, als sei auch ich ein Millionär.
Ein Page begleitete mich den ganzen Weg hinauf zum vierten Stock. Er vertraute mir mit ehrfurchtbebender Stimme an, die Hotelleitung habe alle Zimmer im vierten Stock geschlossen außer den Appartements, die Howard Donovan und seine Schwester, Chloe Barton, bewohnten.
Aus der Art, wie er Chloe Bartons Namen aussprach, merkte ich, daß sie hübsch sein mußte.
Es war ihr Bruder, der mich empfing – ein Mann von Fünfundvierzig, schwer gebaut und groß, mit der gleichen Schädelform wie sein Vater. Er stand hinter dem Schreibtisch, raschelte noch einen Augenblick in den Papieren, als suche er etwas, und sagte dann plötzlich, mir gerade ins Gesicht sehend: »Ich bin froh, daß Sie gekommen sind, Dr. Cory.«
Howard Donovan fuhr fort, mich durchdringend zu mustern, so daß es mich fast verlegen machte – als sei ich im Kreuzverhör und er der öffentliche Kläger. Sein Geld hatte ihm einen übertriebenen Begriff seiner eigenen Bedeutung gegeben – und eine gehörige Nichtachtung für andere Leute. Er ignorierte meine Verstimmung.
Auf dem Schreibtisch lag seines Vaters abgegriffene, blutbefleckte Brieftasche, eine altmodische Uhr und das kleine Notizbuch – alles, was man bei Donovan senior gefunden hatte.
Howard Donovan sprach fast ohne seine Lippen zu bewegen, als wäre er sogar mit Worten geizig.
»Ich wollte Ihnen danken, Dr. Cory«, sagte er langsam, als würden ihm die Worte aus dem Munde gezogen. »Ich bin überzeugt, Sie haben alles für meinen Vater getan, was getan werden konnte.«
Ich war versucht, nicht zustimmend zu antworten, nur um seine Reaktion darauf zu beobachten. Als ich nichts sagte, schob er seine massige Gestalt sehr behende über den dicken Teppich nach einer Tür. »Ich möchte Sie meiner Schwester vorstellen«, murmelte er. An der Tür blieb er stehen, wandte sich, die Hand auf dem Türknopf, zu mir, klopfte dann ziemlich leise an und rief den Namen seiner Schwester.
Chloe Barton trat ein. Sie war eine dunkelhaarige junge Frau mit weißen Zähnen und geraden Schultern. Sie wußte genau, wie gut sie aussah. Sie begrüßte mich und setzte sich dann nieder, die Hände in graziöser, doch unnatürlicher Pose im Schoß gefaltet.
Ihre Nase, kurz und etwas stumpf, zeigte eine leichte Verdickung des Flügelknorpels, ein sicheres Zeichen, daß sie sich einer Schönheitsoperation unterzogen hatte.
Ich erinnerte mich ihrer Geschichte. Sie war ein dickes, ziemlich häßliches Mädchen mit einer Hakennase gewesen, hatte dreimal rasch hintereinander geheiratet – immer große, brutale Männer. Nach der dritten unglücklichen Ehe, die mit einem Skandal endete, ließ sie sich die Nase umformen und änderte ihren Charakter vollständig. Sie hungerte sich vierzig Pfund weg, und als sie fand, daß sie hübsch geworden war, hüllte sie sich in diese neue Aura wie in einen Mantel, wurde wählerisch mit ihren Freunden und egozentrisch bis zum Zustande geistiger Unausgeglichenheit. Sie gab ihre erotische Zügellosigkeit auf und liebte sich nur noch selbst.
»Wir wollten Ihnen danken, daß Sie unserem armen Vater das Sterben leichter gemacht haben.«
Chloe Barton sprach, als habe sie den Satz studiert. Nicht ein Muskel ihres Gesichtes zuckte. Die durchsichtige Haut blieb blaß. »Wir möchten gern wissen, was er sagte, ehe er starb – welche Botschaft er seinen Kindern hinterließ.«
Howard Donovan war wieder hinter den Schreibtisch getreten und beobachtete mich gespannt. Das Licht vom Fenster fiel hart auf sein Gesicht, während er im Halbdunkel blieb. Chloes Lippen waren in einem erstarrten Lächeln gekrümmt. Ich konnte mir nicht denken, was sie zu hören erwarteten, jedoch es schien ihnen von größter Wichtigkeit zu sein.
»Ich muß Sie enttäuschen«, sagte ich. »Ich erinnere mich nicht.«
Frau Barton schien über meine Worte entsetzt und wandte sich mit ungeheuchelter Bestürzung an Howard Donovan.
»Ich wünschte, er könnte sich erinnern«, sagte sie, als sei es Howards Sache, mich so weit zu bringen.
Howard nickte und sagte zu mir: »Es ist für uns ungeheuer wichtig. Bitte, versuchen Sie doch, sich wenigstens einiger Worte zu erinnern!«
Sie starrten mich wieder an, als wollten sie irgendwelche geheimen Gedanken lesen, die ich verbarg. Ich konnte nur die Achseln zucken.
»Hören Sie zu, Dr. Cory«, beharrte Howard, »Sie sollen es nicht umsonst tun.« Er schien zu denken, ich hielte absichtlich etwas zurück. Mit einer raschen Bewegung griff er nach der blutbefleckten Brieftasche, als wolle er sie mir geben.
»Ich kann Ihnen nichts sagen.« Ich war verstimmt. »Ihr Vater war die ganze Zeit bewußtlos. Was er sagte, hatte keinen Sinn.«
»Sind Sie dessen sicher?« fragte Howard scharf.
Die Szene war peinlich.
»Absolut sicher.« Ich nahm meinen Hut. »Nach einem so außerordentlichen Blutverlust kann man nicht mehr zusammenhängend sprechen.«
Ich ging zur Tür. Chloe rief mir nach: »Wir möchten Sie dafür bezahlen, daß Sie versuchten, das Leben meines Vaters zu retten.«
»Das kostet nichts«, antwortete ich und ging hinaus.
Ihr Betragen war höchst rätselhaft. Offenbar fürchteten sie, der alte Mann hätte mir etwas anvertraut. Ich dachte an Donovan, konnte mich aber an nichts erinnern, was er gesagt hatte.
Ich ging zu meinem Wagen und fuhr weg. Ich wollte heraus aus dieser Stadt – und zwar schnell. So viele Gesichter beobachten, so vieles Stimmen zu hören, im Schnittpunkt so vieler geistiger Strömungen stehen, regte mich zu sehr auf.
Meine Arbeit erforderte Konzentration. Ich tappte im dunklen Tunnel der Forschung und mußte meinen Tastsinn entwickeln. Diese ärgerlichen Störungen waren blendende Lichter im Dunkel, die mich betäubten und verwirrten.
Ich mußte mich zusammennehmen, mich beruhigen, die wild schwingende Membrane meiner Konzentrationskraft anhalten.
Higgins, Webster, Schratt – ich wünschte sie alle aus meinen Gedanken zu bannen, aber sie kamen immer wieder angekrochen.
Als ich ein paar Meilen gefahren war, merkte ich, daß ich Janice vergessen hatte. Ach was – sie hätte eben im Wagen bleiben sollen!
Während ich die gerade Landstraße entlangfuhr und mich auf den Punkt konzentrierte, wo die Straße den Horizont zu durchdringen schien, wußte ich plötzlich, wie ich das Hirn noch genauer beobachten könnte. In der Entspannung, wenn es ruhte, sandte es zehn zyklische Alpha-Wellen aus. Sobald es auf ein Stimulans reagierte, verwandelten sich die Alpha- in Beta-Frequenzen mit zwanzig Fluktuationen in der Sekunde. Wenn ich nun die verstärkte Alpha-Welle durch einen wechselständigen Stromkreis schickte, der seinerseits mit einer elektrischen Birne verbunden war, so würde jeder Wechsel der Frequenz den Stromkreis ändern und die Birne einschalten.
Wenn das Hirn dachte, würde die Birne brennen. War die Birne dunkel, so ruhte das Hirn. Wie einfach!
Ich fuhr nach Hause, so schnell ich konnte, sprang aus dem Wagen und stürzte zur Tür des Laboratoriums – doch ich trat leise ein, um das Hirn nicht zu stören.
Der Enzephalograph zeigte an, daß es schlief.
Schweigend ging ich ans Werk, verband den Verstärker mit dem Auslöser und schloß eine elektrische Birne an den Stromkreis an. Dann schaltete ich den Strom ein und beobachtete die Lampe. Da es Alpha-Frequenzen produzierte, ruhte das Hirn.
Ich pochte an das Glasgefäß, in dem das Organ hing, und es merkte die Störung sofort. Der Enzephalograph registrierte Delta-Wellen, die Alpha-Zyklen wurden ausgestoßen, der Auslöser schaltete sich in den Strom und brachte die Birne zum Leuchten!
Ich starrte auf das Wunder, ich setzte mich hin, um mich daran zu freuen.
Die Lampe ging wieder aus. Das Hirn entspannte sich. Doch als ich aufstand, fühlte es meine Bewegung, und das Licht erschien wieder.
Ich ging hinüber zu meinem Schreibtisch, um die Zeit meiner Entdeckung aufzuzeichnen, als mir eine andere Idee kam. Wenn das Hirn Empfindungen und Wahrnehmungen hatte, so dachte es systematisch. Fraglos wurde es der Störungen von außen her gewahr, sonst hätten sich seine Alpha-Wellen nicht in Beta- oder Delta-Frequenzen umwandeln können. Ganz ohne Zweifel ging ein präziser Denkprozeß in dieser augenlosen, ohrenlosen Materie vor sich.
Vielleicht fühlte es das Licht wie ein Blinder, oder vernahm es Laute wie ein Tauber. Vielleicht produzierte es in seinem dunklen, stummen Dasein Gedanken von ungeheurer Klarheit und Tiefe! Vielleicht – gerade weil es von den Störungen der Sinne abgeschnitten war – konnte es all seine Hirnenergie auf bedeutende Gedanken konzentrieren.
Diese Gedanken mußte ich kennenlernen! Doch wie konnte ich mit dem Hirn in Verbindung treten?
Es war unfähig, zu sprechen und sich zu bewegen, dennoch konnte ich vielleicht sein Denken studieren, etwas von den großen ungelösten Rätseln der Natur kennenlernen. Und das Hirn konnte vielleicht in seiner vollkommenen Einsamkeit die Antworten auf ewige Fragen gefunden haben ...
Ich hörte, daß ein Wagen hielt. Es war Schratt, der Janice nach Hause brachte. Das störte mich natürlich. Der Lärm des Autos, Janices Schritte, das betont leise Öffnen der Haustür verscheuchten meine Gedanken von ihrem schmalen Pfad.
Ich wartete, bis Janice in ihr Zimmer gegangen war, aber ich konnte mich nicht wieder konzentrieren. Ich verließ das Laboratorium und klopfte an ihre Tür.
Janice saß auf ihrem Bett, das Gesicht mir zugewandt, die Hände auf den Knien, vornübergebeugt, als drückten ihre Gedanken sie nieder.
»Entschuldige, daß ich ohne dich von Phoenix fort mußte«, sagte ich, um das Gespräch einzuleiten, das unser Verhältnis zueinander ein für alle Male klären mußte.
»Schratt hat mich nach Hause gebracht«, antwortete sie nüchtern.
»Darf ich mich setzen?« fragte ich. Monatelang war ich nicht in ihrem Zimmer gewesen.
Sie nickte und fuhr mit derselben ruhigen Stimme fort: »Schratt hat seinen Posten verloren.« Sie sah mich an, als hätte ich dieses Mißgeschick verhindern können.
»Ich weiß. Was konnte ich dagegen tun?« erwiderte ich.
Sie nickte wieder, doch nicht, um meinen Worten zuzustimmen. »Du hast nichts getan, tun ihm zu helfen.«
Einen Augenblick war ich benommen. War das ein Vorwurf von Janice?
»Hat er das gesagt?«
»Er ist verzweifelt«, antwortete sie.
»Wie die meisten Trunkenbolde – er zeigt Anzeichen von Korsakows Psychose, wenn du dich von deiner Studienzeit her an die Symptome erinnerst. Nachlassen der Beobachtungskraft, Unfähigkeit, neue Erfahrungen mit der Wahrnehmungsmasse in Wechselbeziehung zu bringen. Mutmaßungen, rückschreitender Verlust des Gedächtnisses ... kurzum, alkoholische Entzündungen aller Nerven.«
Ihr Gesicht war traurig. »Ich habe ihn eingeladen, bei uns zu wohnen«, sagte sie. »Ich hoffe, du wirst es nicht ablehnen. Er kann das Zimmer hinten hinaus zum Garten haben – da wird er dich nicht stören.«
Ihre Güte kannte keine Grenzen. Wenn ich es erlaubt hätte, würde sie das Haus mit Landstreichern vollgestopft haben!
»Jetzt haben wir ihn zeit seines Lebens auf dem Halse! Nette Sache! Ich muß sein Schweigen kaufen. Er weiß, daß er zuviel weiß, und gedenkt daraus seinen Profit zu ziehen!«
Sie antwortete nicht, aber sie erblaßte, und ihr Mund wurde ganz weiß.
Es war ihr Haus. Sie konnte damit tun und lassen was sie wollte. Sie bezahlte meine Geräte und Experimente. Ich war vollkommen abhängig von ihr, und sie verlor nie ein Wort darüber. Sie hatte vielleicht überhaupt nie daran gedacht.
Aber ich mußte frei sein!
Janice wollte nicht kämpfen. Ihr Gesicht wurde weich, und sie zog sich in eine Schale zurück, in der sie kein rauhes Wort und kein harter Schlag erreichte. Sie gab ihre Persönlichkeit auf und siegte wie immer dadurch, daß sie es ablehnte, sich zu verteidigen.
»Gut«, sagte ich. »Hat dir Schratt auch erzählt, daß Webster mir das Amt angeboten hat? Vielleicht hätte ich es annehmen sollen. Vielleicht tue ich es noch.«
Sie lächelte freundlich und verstehend. Sie wußte, daß meine Arbeit all meine Gedanken und meine Zeit in Anspruch nahm. Selbst die Tatsache unserer Ehe hatte der zersetzenden Herrschaft meiner Arbeit nicht widerstehen können. Sie wußte, daß ich meine Kräfte nicht zersplittern konnte.
Erschöpft saß ich vor ihr. Ich wußte, ich konnte ihr nicht befehlen, mich zu verlassen. Selbst mein Befehl würde keine Überzeugungskraft haben. Und sie würde – hinsiechend durch die heißen Winde und die drückende Wüstenhitze – lieber sterben, als mich verlassen!
Sie hatte sich entschlossen, bei mir zu bleiben, und keine Unfreundlichkeit, keine Nichtachtung konnte sie von mir trennen. Ich hätte sie töten müssen, um mich von ihr frei zu machen.
Und auch das würde nichts nützen. Die Erinnerung an sie würde mich bis zum Ende meiner Tage verfolgen. Mein Leben war auch ihr Leben. Sie würde mich nie loslassen.
Das wußte sie, und die Fruchtlosigkeit meiner Angriffe gab ihr unerschöpfliche Kräfte.
»Also gut, laß Schratt hierbleiben.«
Ich war müde – ich gab auf. Ich hatte keine Lösung herbeigeführt. Sie hatte sich mir nur noch fester verbunden.