Vierter Dezember

Zu gewissen Zeiten lähmt mich das Hirn geradezu. Wenn es früher Befehle gab, so habe ich willig gehorcht. Zuerst mußte ich mich sogar sehr konzentrieren, um zu verstehen, was es wünschte. Sonst hätte meine eigene Persönlichkeit sich dazwischen geschoben. Jetzt kann ich keinen Widerstand leisten.

Ich habe es versucht, ich habe dagegen angekämpft. Vergebens!

Heute befahl es mir, eine Feder zu nehmen und zu schreiben. Janice war im Zimmer, und ich wollte sie nicht sehen lassen, daß ich mich wie die Kreatur eines Hypnotiseurs benahm.

Sie hatte mir gerade mein Abendessen gebracht. Wir sprachen über Sternli und seine seltsame Verehrung für sie, die sie lächelnd verteidigte, als das Hirn sich dazwischendrängte. Ich fühlte, wie meine Zunge steif wurde. Ich war gezwungen aufzustehen und zum Schreibtisch hinüberzugehen. Ich sah mein eigenes Betragen so losgelöst wie ein Fremder, der meterweit von mir entfernt ist. Ich wollte nicht weiter. Jedoch ich bewegte mich völlig mechanisch.

Janice war nie zuvor Zeugin einer Willenskundgebung Donovans gewesen, und sie hatte Angst. Immerhin war sie beherrscht genug, den Arzt vom Dienst nicht zu rufen.

Ich setzte mich an den Schreibtisch und fing an zu schreiben. Janice sprach zu mir, sie war zuerst erstaunt, dann schnell beunruhigt, daß ich nicht antwortete.

In meiner Haltung war nichts Ungewöhnliches – außer dem Ausdruck meines Gesichtes. Während der Perioden telepathischer Verbindung werden meine Augen starr, mein Gesicht verliert jeden Ausdruck und wird leer, wie aus Wachs gemacht.

Janice kannte mich gut genug, um sofort zu wissen, daß ich mich wie in einem hypnotischen Trancezustand benahm.

Ich schrieb auf das Papier: »Cyril Hinds, Nat Fuller.«

Cyril Hinds war der Mörder. Nat Fullers Name erschien zum erstenmal ...

Der Bann brach so schnell, wie er gekommen war. Ich bekam wieder Gewalt über meine Bewegungen.

Janices Gesicht war kalkweiß. In ihren Augen lag abgründiges Entsetzen. »Du hast mit der linken Hand geschrieben«, stammelte sie, »das Hirn ...«

Ich ging zum Tisch zurück und begann zu essen. Ich versuchte mich so gelassen wie möglich zu benehmen ... Aber ich hatte zum erstenmal zu meinem eigenen Entsetzen entdeckt, daß ich unfähig war, dem Befehl des Hirns Widerstand zu leisten.

»Nun, und wenn?« fragte ich. »Du weißt ja, daß das Hirn lebt. Von Zeit zu Zeit sucht es die Verbindung mit mir. Dieser Schritt vorwärts in meinem Experiment wird Geschichte machen! Nachdem das menschliche Hirn während des Lebens des menschlichen Körpers niemals seine volle Entwicklung erreicht, werde ich vielleicht fähig sein, es reifen zu lassen, indem ich es künstlich am Leben erhalte. Dieser telepathische Kontakt ist nur ein Anfang. Hast du nie gehört, daß ein Wissenschaftler, der experimentiert, jede persönliche Gefahr willig auf sich nehmen muß? Die Welt ist vielen Forschern Dank schuldig, die ihre eigenen Meerschweinchen wurden, um zu großen Entdeckungen zu gelangen!«

»Aber es beherrscht dich ... du beherrschst es nicht!« Sie war aufgebracht.

»Da irrst du dich!« antwortete ich, um die Diskussion abzubrechen, die ich vorausgesehen und gefürchtet hatte. Wenn sie nur eine angestellte Sekretärin gewesen wäre, hätte sie nie gewagt, mich herauszufordern. Aber sie war meine Frau.

»Ich unterwerfe mich freiwillig den Befehlen des Hirns und kann damit zu jeder beliebigen Zeit aufhören!«

Janice sah mich an – sie war bleich, ihre großen Augen dunkel. Sie las meine Gedanken und wußte, daß ich log.

»Donovan ist tot!« sagte sie.

»Tot?« entgegnete ich langsam. »Ein Arzt bestimmt den Begriff ›Tod‹ anders als ein Laie. Selbst wenn ein Mann legal für tot erklärt ist, kann sein Hirn fortfahren, elektrische Wellen auszusenden. Manchmal ist ein Mensch für den Arzt schon tot, wenn er noch atmet. Wo beginnt das Leben ... wo endet es? In den Augen der Welt ist Donovan tot – aber das Hirn lebt weiter. Bedeutet das nun, daß Donovan noch lebt?«

»Nein«, sagte sie, »aber er lebt durch dich. Er zwingt dich, für ihn zu handeln!«

»Das ist ein Widerspruch«, sagte ich. »Das hält keiner Analyse stand.« Janice sah mich an. Ihr Gesicht war kleiner geworden und durchsichtig wie chinesische Seide. Sie hatte sich jahrelang um mich gegrämt, und die Überzeugung, daß ich mich in diesem Experiment selbst verloren hatte, durchbrach ihre Selbstbeherrschung. Ich wußte, sie wollte jede ernste Diskussion vermeiden, über was es auch sei, aber ihre Sorge war stärker als ihr Entschluß.

»Donovan ist tot und verbrannt«, sagte sie. »Was du sein lebendes Hirn nennst, ist eine künstliche Mißgeburt, eine gefährliche, krankhafte Erschaffung, die du in einer Versuchsretorte genährt hast.«

»Donovan ist springlebendig!« erwiderte ich. »Er schreibt sogar Botschaften nieder.«

»Du leitest deine Überzeugung von der Wissenschaft ab«, sagte Janice, »die meine kommt vom Glauben.«

»Höre nur auf Schratts Lehren!« höhnte ich. »Du fürchtest dich! Die Furcht bedroht die Integrität der Persönlichkeit – aber für dich und andere ist es ganz gut, Angst zu haben, Furcht vor den Konsequenzen, ist es ganz gut, zaghaft zu sein! Das hemmt eure Handlungsweise anderen gegenüber. Richtet aber nicht meine Aufgabe nach den gemeinen Gesetzen des Lebens! Ich gehe über sie hinaus!«

»Wie weit?« fragte sie.

»Bis ich die Funktion dieses Hirns verstehe, seinen Willen, seine Begierden, seine Motive«, sagte ich. »Ich sammle Tatsachen. Wenn ich die relative Position all der Phänomene kenne, die Donovans Hirn umschließt, könnte ich eine Parallele zu unserm gewöhnlichen Denkprozeß ziehen und manche Fragen klären, die jetzt noch nicht zu beantworten sind. Ich dringe tiefer in die menschliche Bewußtheit ein, als es je ein Mensch getan hat!«

Janice antwortete nicht.

In diesem Augenblick haßte ich sie. Ich haßte ihren erhabenen, losgelösten Ausdruck, mit dem sie einer Stimme lauschte, die ich nicht hören konnte. Sie wurde nicht von ihrer Intelligenz, sondern von ihrer Intuition geleitet. Sie hatte ihr Wissen nicht durch ihre Sinne erworben – es kam von einer anderen Ebene, die sich wissenschaftlich nicht erforschen ließ ...

Meine intellektuelle Kraft beruht auf präzisem Denken. Ich konnte mit Janice nicht streiten – ich war im Nachteil.

Schweigend saßen wir uns gegenüber.

»Es hat viel zuviel Macht über dich«, sagte Janice endlich. »Du kannst ihr nicht mehr widerstehen.«

»Ich kann in jedem beliebigen Augenblick das Experiment abbrechen!«

Ich verteidigte mich – und haßte sie dafür.

»Das kannst du nicht. Ich habe eben selbst gesehen, was geschah!«

Ich stand auf, ging zum Schreibtisch hinüber und nahm die Botschaft zur Hand, die Donovan mir diktiert hatte.

»Ich wünschte, du würdest mich in Ruhe lassen. Es hat keinen Sinn, mit dir zu argumentieren. Ich habe dich nicht gebeten, dich in meine Arbeit einzumischen. Du störst mich – siehst du das nicht?«

Das war deutlich. Ich mußte sie beleidigen, damit sie mich allein ließ.

Sie wandte sich ab und ging, ohne zurückzublicken, aus dem Zimmer.

Ich bin gesund genug, um allein in einem Hotel zu leben, wo sie mich nicht stören kann.

Загрузка...