Zweiundzwanzigster November

Heute morgen erlebte ich einen ärgerlichen Zwischenfall. Ich war im Begriff, das Hotel zu verlassen, um zur Bank zu gehen, als der Portier mich anrief, ein Herr Yocum wünsche mich dringend zu sprechen. Ich kannte niemanden dieses Namens, gab aber Bescheid, der Mann möge mich in der Halle erwarten.

Sobald ich im Fahrstuhl herunterkam, erkannte ich Yocum. Er war der schäbige Photograph, der mich vor dem Krankenhaus in Phoenix geknipst hatte. Er tat, als sähe er mich nicht. Unter dem Arm hatte er eine alte lederne Aktenmappe. Als der Page ihn mir zeigte, kam er schnell herüber und trat so dicht an mich heran, daß er mich fast berührte.

»Dr. Cory?« fragte er mit heiserer Stimme.

Er starrte mich an, als hoffe er, mich einzuschüchtern, aber als ich ihn nicht weniger groß ansah, senkte er den Blick.

Ich war überzeugt, er hatte diesen Auftritt sorgfältig geplant, aber ihm fehlte der Mut, ihn durchzuführen. Sein ganzes Auftreten verriet den Mann, der in seinen Gefühlen unsicher und von Furcht beherrscht war. Ich sah genau – er war auf etwas aus, seine Angst war jedoch größer als der Trieb, seinen Plan durchzuführen.

Ich sprach nicht. Ich sah ihn weiter fest an. Es war offensichtlich – er brauchte Geld. Er war seit dem Unfall auf meiner Spur gewesen, hatte im Krankenhaus Aufnahmen gemacht, hatte mir nachspioniert und meinen Haushalt umschlichen. Plötzlich erriet ich, was er wollte. Er hatte Donovan in der Leichenkammer photographiert und die Binden geprüft!

Meine Betroffenheit muß auf meinem Gesicht zu lesen gewesen sein, denn plötzlich fand er seinen Mut wieder und sagte: »Kann ich Sie allein sprechen?«

Wir gingen in die Cocktail-Bar und setzten uns.

»Ich habe in Phoenix eine Aufnahme von Ihnen gemacht«, begann er nervös und öffnete seine Brieftasche. »Hier ist sie.«

Seine Finger, lang, dünn und tabakfleckig, hielten mir das Photo hin. Ich sah es nicht an. Ich wartete stumm. Wieder verlor er die Fassung, und eine Minute herrschte Schweigen.

»Ich lege keinen Wert darauf, das Bild zu kaufen«, sagte ich endlich, und meine Worte gaben ihm das Stichwort.

Er nickte und zog rasch ein anderes Bild hervor.

Dieses zeigte Donovan in der Leichenkammer. Ich konnte nicht umhin, es mir anzusehen. Donovans Gesicht war in meiner Erinnerung verblaßt, und als ich es jetzt sah, versuchte ich diese Züge mit dem Hirn in Verbindung zu bringen, das ich so intim kennengelernt hatte.

Yocum beobachtete mein Interesse mit wachsendem Mut. »Ich wußte, daß es Ihnen gefallen wird«, sagte er mit einem Ausdruck, der mich beunruhigte. »Und hier ist eins, das Sie wirklich interessieren wird!«

Er hatte Donovans Kopf ohne Bandagen photographiert. Die Schädeldecke war aufgehoben, und die Baumwolle, die ich in die Schädelhöhle gestopft hatte, war sichtbar. Als Photograph hatte er gute, klare Arbeit getan!

Einen Augenblick war ich zu erschrocken, um mich zu regen. Dann nahm ich das Bild und legte es, mit der Vorderseite nach unten, auf den Tisch.

»Sie können das Negativ haben«, schlug Yocum ruhig vor.

Als ich mich vorwärts beugte, stand er schnell auf, als hätte er Angst, ich würde ihn schlagen. Es gelang mir, eine gleichgültige Miene beizubehalten.

»Ich brauche es nicht. Was sollte ich damit anfangen?«

Er lächelte, aber mit zitterndem Kinn. Er hatte so lange für diesen Augenblick gelebt. Er brauchte Geld. Und hier schien es tatsächlich greifbar nahe.

Offensichtlich brauchte er es sehr nötig. Sein Anzug glänzte, und die Hemdbrust dazwischen war nur ein gestärktes Chemisette. Wenn er sich bewegte, merkte ich, daß er unter seiner Jacke nackt war.

Er wurde bleich, als er sah, daß ich dastand und lächelte. Seine Augen, rot und hungrig und tief in dem hageren Gesicht eingesunken, starrten mich verzweifelt an.

»Wer gab Ihnen die Erlaubnis, die Leiche zu photographieren?« fragte ich.

Er antwortete nicht, sondern setzte sich wieder, und sagte dann leidenschaftlich: »Donovans Familie würde einen hohen Preis dafür zahlen. Es wird sie interessieren zu erfahren, daß Sie sein Hirn gestohlen haben!«

Ich lehnte mich in meinen Sessel zurück, erschrocken über diesen Ausbruch. Was wußte er über Donovans Hirn?

»Und hier ist noch ein Bild«, sagte er mit Genugtuung. Er fühlte, er hatte mich in die Enge getrieben, und genoß seinen Vorteil.

Er legte das Bild auf den Tisch. Es war nachts durch das Fenster meines Labors aufgenommen worden. Er hatte Blitzlicht benutzt. Das Glasgefäß und die elektrische Apparatur waren deutlich zu sehen. Er hatte das Bild retuschiert und das Hirn markiert.

Yocum seufzte und leckte sich einen Speichelfaden von den Lippen. Als typischer Neurotiker hatte er sich selbst in eine Situation hineinmanövriert, aus der er nicht zurückkonnte, ohne seine Haut zu riskieren.

Was hätte wohl Donovan mit diesem verzweifelten Schafskopf angefangen? Ich war nicht daran gewöhnt, mit Erpressern zu verhandeln, und der Narr konnte mein ganzes Experiment zerstören!

Es hatte keinen Sinn, sich von ihm loszukaufen. Wenn ich mir die Negative aushändigen ließ, ging er mit anderen Abzügen zu Donovans Familie. Er ließ gewiß keinen Winkelzug unversucht. Seine Einfalt steigerte die Gefahr; dieser Typ schreckte vor nichts zurück.

Ich hatte kein Geld.

»Wieviel verlangen Sie für die Negative?« Er grinste und fuhr nervös mit einem schmutzigen Taschentuch an seine Lippen. »Fünftausend Dollar.«

Ich stand auf. Er drückte seine Tasche fest an sich. Seine Augen bettelten. Er hatte jede vorgetäuschte Sicherheit verloren und war nur noch jämmerlich.

»Gut«, sagte ich. »Aber ich habe nicht soviel Geld bei mir. Und einen Scheck werden Sie nicht gern nehmen.«

Wenn ich ihn noch einen Tag hinhielt, konnte ich einen Ausweg finden. Donovan mußte etwas tun, um uns zu retten. Wenn ich nur die Verbindung mit ihm herstellen konnte!

»Sie werden mich um acht Uhr in dem Ontra-Café treffen, Ecke Hollywood und Vine«, sagte er und sah halb mürrisch, halb aufgeregt an mir vorbei. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging fort, den Kopf zwischen die Schultern ziehend.

Zweihundert Meilen entfernt von Washington Junction und meinem Labor fühlte ich mich plötzlich nicht imstande, die Aufgabe zu erfüllen, die mir gestellt worden war. Sie bot jetzt anscheinend unüberwindbare Schwierigkeiten.

Ich setzte mich in einen der weichen Stühle der Halle und versuchte, einen Schlachtplan zu entwerfen. Wenn ich die Augen schloß, fühlte ich das Prickeln der seltsamen Erregung, die jedesmal den Botschaften des Hirns vorausging.

Mein Geist wurde unklar, obwohl ich immer noch meine eigenen Gedanken erkannte – aber sie waren wie hinter einem durchsichtigen Schleier verborgen, von meinem vollen Bewußtsein abgeschnitten.

Ich fühlte einen starken Zwang aufzustehen. Gehorsam erhob ich mich und verließ das Hotel, ging die Straße hinunter, blieb bei den Verkehrssignalen stehen und bewegte mich mechanisch, von Donovans Willen geleitet. Dem mächtigen und zwingenden Impuls, der mich trieb, setzte ich keinen Widerstand entgegen. Donovans Hirn unterlag keinen Schwankungen. Es war neuen Eindrücken verschlossen, von neuen Ideen abgeschnitten, die in endlosem Strom durch den normalen Geist fließen und ihn immer zerstreuen. Donovans Hirn dachte geradeaus auf einen Punkt zu – nur auf einen Punkt. Sein einziger Gedanke setzte mich in Bewegung.

Ich blieb bei der Kalifornischen Handelsbank stehen, die ich schon im Traum gesehen hatte. Ich stieß die Tür auf und ging hinüber zum Kassierer, der, wie er mir als Vision erschienen war, ein gelblich bleiches Gesicht und ein schwarzes Bärtchen hatte. Ich bat um einen Blankoscheck, ging zum Schreibpult und nahm die Feder in die linke Hand. Ich füllte den Barscheck aus – auf fünfzigtausend Dollar – unterschrieb mit dem Namen Roger Hinds – in Donovans Handschrift – und zeichnete sorgfältig ein Pik-As in die obere rechte Ecke.

Nicht eine Sekunde bezweifelte ich, daß der Kassierer mir das Geld geben würde. Er nahm den Scheck – dann blickte er erschrocken auf.

»Herr Hinds?« fragte er.

»In großen Noten«, antwortete ich, seine Frage überhörend.

»Bitte indossieren Sie den Scheck selbst – auf der Rückseite, Herr«, sagte er, um meinen Namen herauszubekommen.

Ich schrieb in meiner eigenen Handschrift: Patrick F. Cory.

Er sah unentschlossen auf das Blatt.

»Bitte große Noten«, hörte ich mich selbst nochmals sagen, als der Mann, eine Entschuldigung murmelnd, verschwand.

Der Polizist an der Tür trat vor, um mich im Auge zu behalten. Ich wußte, daß ich irgendwie seinen Verdacht erregt hatte, aber nicht die kleinste Befürchtung, nicht einmal der Gedanke, eine Ausflucht vorzubereiten, kam mir in den Sinn.

Es war Donovan, der handelte. Ich war absolut ruhig – sollte er sich um alles kümmern!

»Der Direktor wünscht Sie zu sehen, Herr Cory.« Der Mann mit dem Bärtchen war zurückgekommen und führte mich nun in ein kleines Büro.

Hinter einem braunen Pult saß ein kahlköpfiger Mann. Er stand auf, murmelte seinen Namen und fragte: »Herr Hinds?«

»Ich bin Patrick Cory, Dr. med.«, sagte ich, und der Mann drehte den Scheck um und nickte. Er bot mir einen Stuhl an und wartete schweigend, bis die Tür nochmals aufging und ein anderer Mann eintrat.

»Dies ist Herr Mannings, Dr. Cory.«

Der zuletzt Gekommene hatte unmißverständlich das Aussehen eines Privatdetektivs. Wir schüttelten uns die Hände.

»Würden Sie mir gütigst einige Fragen beantworten, Dr. Cory?«

»Ist etwas nicht in Ordnung mit dem Scheck?«

Der Direktor sah auf den Detektiv, beantwortete aber gleichzeitig meine Frage durch Nicken.

»Nein. Wir haben diese Unterschrift mit der Originalunterschrift des Herrn Hinds verglichen. Es ist zweifellos die gleiche. Auch das Zeichen in der Ecke beweist es, das Pik-As. Herr Hinds hatte verlangt, daß nur so gezeichnete Schecks honoriert würden.«

Er sprach schnell, sichtlich bemüht, sich selbst zu überzeugen, daß er nichts Verkehrtes tat.

»Wenn Sie den Scheck selbst ausgestellt haben, müssen Sie Herr Hinds sein und nicht Dr. Cory«, mischte sich der Detektiv in die Unterhaltung.

Statt zu antworten, legte ich meine ärztliche Beglaubigung vor.

»Bin ich verpflichtet, Ihnen über meine Privatangelegenheiten Auskunft zu geben?« fragte ich ruhig.

»Natürlich nicht«, beeilte sich der Direktor zu versichern. »Nur – dieses Konto wurde unter ungewöhnlichen Umständen eröffnet.«

Er wartete, daß ich etwas sagte, aber als ich schweigend sitzen blieb, fuhr er fort: »Wir bekamen eine recht große Summe und einen Scheck von Herrn Hinds, der uns keine Adresse angab – mit der Bitte, ein Konto zu eröffnen. Ein Handelskonto. Zinslos.«

Er betonte die Tatsache, daß er es seltsam fand, eine große Summe so zu deponieren, daß sie keine Zinsen abwarf! Es ging gegen seine geschäftlichen Prinzipien.

»Das war vor fast zwölf Jahren. Nun wird der erste Scheck auf dieses Konto gezogen – und Sie haben ihn gezeichnet. Wenn Sie nicht selbst Herr Hinds sind, wären wir dankbar, eine Auskunft über den Herrn zu bekommen, weil ...«, er lächelte matt, »die Bank doch gerne weiß, welchen Kunden sie dient.«

»Sie meinen, falls das Geld gestohlen ist?« fragte ich.

»O nein! Wir wissen, von welcher Bank die Noten kamen. Wir stellen das immer fest.« Der Direktor sprach voll Berufsstolz. »Aber Herr Hinds, sehen Sie ...«

»Ich bin Dr. Cory. Wollen Sie jetzt bitte den Scheck auszahlen? Ich habe es eilig.« Ich stand auf.

Auch der Direktor erhob sich – mit unglücklichem Gesicht.

»Sie haben das legale Recht, Dr. Cory, keine Fragen zu beantworten«, sagte der Detektiv, aber in seiner Stimme lag eine versteckte Drohung.

Eine halbe Stunde später trat ich aus der Bank, meine Taschen vollgestopft mit Geld. Ich war müde – wie immer, wenn ich mit dem Hirn verbunden gewesen war. Was sollte ich mit dem Gelde tun? Den Erpresser bezahlen?

Ich kaufte unterwegs eine Aktentasche und tat das Geld hinein. Im Hotel ging ich gleich nach oben, um mich auszuruhen und weitere Befehle abzuwarten.

Janice war in der Stadt. Sie hatte Nachricht hinterlassen, ich möchte sie im Krankenhaus »Zedern vom Libanon« anrufen. Schratt hatte ihr gesagt, wo ich wohnte.

Ich begriff nicht, was das Hirn beabsichtigte. Allem Anschein nach hatte es sich darauf vorbereitet, der Erpressung Yocums zu begegnen – andernfalls hätte es mich nicht zur Bank geschickt. Das Hirn wünschte offenbar, daß ich Yocum bezahle und mir die Negative geben lasse – einen endgültigen Befehl aber hatte ich nicht erhalten.

Ich lag im Hotelzimmer auf meinem Bett und wartete, daß Donovan die Verbindung mit mir aufnahm; dabei empfand ich, daß ich an der Grenze geistiger Gesundheit stand – jenseits dieser Grenze verliert man den festen Boden der Wirklichkeit unter den Füßen.

Ich griff zum Telefon, um Schratt anzurufen, aber ich mußte das Krankenhaus verlangt haben, denn es meldete sich »Zedern vom Libanon«. Da ich bereits verbunden war, fragte ich nach Janice.

Als ich ihre Stimme hörte – fern und voll glücklicher Überraschung – fühlte ich mich plötzlich ruhig. Ich versprach Janice, sie in den nächsten Tagen zu sehen, und hängte schnell wieder ab.

Ich mußte Yocum treffen und dann nach Hause fahren, um meine Forschungen selbst fortzusetzen. Es war nichts zu gewinnen dadurch, daß ich dem Hirn länger fern blieb. Ich wußte jetzt, daß die Entfernung seinen Einfluß nicht verringerte, und nachdem das bewiesen war, war auch der Zweck meiner Reise erfüllt.

Ich sagte dem Portier, ich wolle am nächsten Tage abreisen. Dann öffnete ich die Aktentasche und steckte die Hälfte des Geldes in meine Taschen. Yocum hatte fünftausend Dollar gesagt – vielleicht würde er mehr fordern. Es war mir gleichgültig, wieviel ich ihm bezahlte. Es war nicht mein Geld – und ich wollte es gerne los werden.

Ich hatte nie zuvor soviel Geld in der Hand gehabt, aber es galt mir nicht mehr als Fetzen Papier. Mein Besitzsinn beschränkte sich auf die Instrumente, die ich in meinem Labor gebrauchte. Alles übrige kaufte Janice, wie sie sich auch um alles übrige kümmerte – meine Hemden, meine Schuhe, Anzüge, unser Essen und unser Haus.

Ich hatte fünfzigtausend Dollar in der Tasche, die einem Individuum namens Roger Hinds gehörten. Existierte er überhaupt, oder war dies ein heimliches Konto, das Donovan aus einem mir unbekannten Grunde aufrechterhalten hatte?

Warum schickte mich Donovan nach fünfzigtausend Dollar, wenn der Erpresser doch nur fünf verlangte?

Ich ließ die Aktentasche mit dem Rest des Geldes im Safe des Hotels und ging hinaus.

Ich war neugierig, wie Donovan mit Erpressern umsprang. Er mußte viel Erfahrung gehabt haben! Sein Erfolg war auf Betrug, Drohungen, Bestechungen und faule Geschäfte aufgebaut. Dieser kleine Mann würde ihm keine Schwierigkeiten bieten.

Ich ging den Hollywood Boulevard entlang, in Richtung Vine. Es war acht Uhr, und Donovan hatte mir noch nicht gesagt, was ich tun sollte. Als ich bei dem Café anlangte – es war ein großes, dicht besetztes Lokal – wußte ich noch immer nicht, was ich zu Yocum sagen würde. Ein paar Minuten ging ich vor dem Eingang auf und ab, auf eine Botschaft hoffend, aber kein Befehl drang zu mir.

Vielleicht schlief das Hirn? Sollte ich Schratt anrufen und ihn beauftragen, es zu wecken?

»Dr. Cory?« flüsterte eine Stimme hinter mir. Es war Yocum. Er drückte wieder seine Tasche fest an die Brust, und sogar bei dem gelben Licht, das durch die erleuchteten Fenster fiel, sah ich, daß seine Wangen fieberrot waren.

Er führte mich zu einem schäbigen Wagen auf einem Parkplatz direkt hinter dem Café. Er hatte eine kalifornische Nummer mit einer Zahl, die leicht zu merken war.

Er bewegte die Lippen, in lautloser Anstrengung zu sprechen. Ich sah, daß er eine Kehlkopfschwindsucht hatte; die Stimmbänder waren schon angegriffen, und seine Stimme versagte. Doch in seiner Aufregung merkte er gar nicht, daß ich ihn nicht hören konnte.

Ich zog das Geld aus der Tasche, und er ließ seine Mappe fallen, um mit beiden Händen nach den Banknoten zu greifen.

Ich hob die Mappe auf und öffnete sie. Drei Negative waren darin, dazu einige Abzüge, in Zeitungspapier eingewickelt.

Yocum bemühte sich, nicht zu sprechen. Er stieg in seinen Wagen, schlug die Tür zu, kurbelte das Fenster hoch. Er lächelte mich an, seine großen gelben Zähne zeigend, bewegte wieder die Lippen und fuhr davon.

Sobald er fort war, stieg ich in eine Taxe. Donovan hatte sie gerufen; mit aufgeregter Stimme befahl ich dem Chauffeur, den kleinen gelben Wagen zu verfolgen – aber ich verstand wieder einmal nicht, was das Hirn mit dieser Verfolgung bezweckte.

Yocum fuhr seinen Wagen den Boulevard entlang, ohne sich um den übrigen Verkehr zu kümmern. Bremsen knirschten und Wagen rutschten, wo er vorbeikam.

»Der Bursche wird seinen Strafzettel schon kriegen!« rief mir mein Fahrer durchs Fenster zu.

Wir fuhren Laurel Canyon hinauf, aber der gelbe Wagen war verschwunden. Am Kirkwood Drive verließ ich die Taxe, ich hatte Yocum aus den Augen verloren. Dann stieg ich die Stufen hinauf und ging weiter. Ich verfolgte keinen Plan, sondern überließ es einfach Donovan, mir den Weg zu weisen. In einer ungepflasterten Straße, vom Regen tief gefurcht, entdeckte ich Yocums Wagen, der mit offener Tür am Fuß eines kleinen Hügels parkte. Etwa hundert Fuß weiter befand sich eine baufällige Hütte, halb hinter hohen Eukalyptusbäumen verborgen.

Ich ging hinauf und sah durchs Fenster der Hütte. In der Mitte eines schmutzigen Zimmers stand Yocum vor einem Kamin, der mit Müll, altem Papier und weggeworfenen Bildern vollgestopft war. In einer Ecke lag eine alte Matratze mit einer zerrissenen Decke darüber. Das andere Mobiliar bestand aus einem Küchentisch und zwei Stühlen. Die Fenster waren so schmutzig, daß sie wie mit Farbe angestrichen aussahen.

Yocum benahm sich äußerst sonderbar. Er hatte die Banknoten sorgfältig auf dem Fußboden ausgebreitet und die Schuhe ausgezogen; in Strümpfen lief er auf dem Geld herum, bemüht, es nicht in Unordnung zu bringen. Er stelzte umher wie ein Strauß, wobei er die Füße sehr hoch hob. Dann sprang er in die Luft, kam wieder mit gebeugten Knien auf den Boden und balancierte da, die Ellenbogen hoch, die Hände herunterhängend, wie ein Vogel, der seine Flügel schüttelt. Dabei stieß er fortwährend kleine Schreie aus, er kreischte sich selbst etwas zu, und seine Augen glühten in fieberhafter Ekstase.

Da er sich allein glaubte, folgte er seinem neurotischen Trauma.

Ich stieß die Tür auf. Yocum erstarrte in seiner Pose, fiel auf die Knie und griff nach dem Geld.

Er wandte sich mir zu, sein Mund stand offen vor Furcht. Er trat hinter den Tisch und preßte das Geld an die Brust. Das zerlumpte Chemisette, das er trug, glitt zur Seite und zeigte seinen knochigen Brustkorb.

»Was wollen Sie?« fragte er rauh. Er hatte die Stimme wiederbekommen.

»Die anderen Negative«, sagte ich, »und den Rest der Abzüge.«

Yocum zog sich beunruhigt in eine Ecke des Raums zurück.

»Ich habe keine anderen Negative«, sagte er mürrisch, aber er musterte mich dabei.

»Weitere fünftausend, wenn Sie mir alles aushändigen, was Sie haben!« sagte ich.

Sein Kinn begann zu zittern. Er lehnte sich an die Wand, um sich zu stützen. »Zehntausend«, sagte er langsam.

»Es gibt also noch andere Negative!« Ich trat dichter an ihn heran, und er wich sofort zurück.

Auf dem Kaminsims lagen Streichhölzer und eine alte Pfeife mit stark zerkautem Mundstück. Ich entzündete ein Hölzchen und warf es in den Kamin. Das Papier und die Photos flammten auf.

Yocum starrte mich an wie versteinert. Er wagte nicht, an mir vorbeizulaufen, obwohl er darauf brannte, herauszukommen.

»Sie können alles für fünf haben«, stammelte er.

Das Feuer, durch das Zelluloid der Photoabzüge genährt, brauste hell auf. Mit dem Fuß stieß ich ein brennendes Bündel Papier auf die Matratze.

Als Yocum vorsprang, um an mir vorbeizukommen, griff ich ihn bei seinem dünnen Hals und zog ihn zur Tür. Das Geld flatterte ihm aus der Hand. Er versuchte nicht, sich zu wehren; gelähmt vor Furcht, fiel er einfach unter meinen Händen zusammen. Wieder war seine Stimme fort, er schrie tonlos mit weitgeöffnetem Munde.

Ich zog ihn aus dem Haus, seine Füße schleiften im Staub nach. Hinter mir hörte ich das Knistern der Flammen, die die alte Hütte verschlangen. Ich ging weiter, Yocum nachzerrend, stopfte ihn in den Wagen, schob mich hinter das Steuer und fuhr ab.

Unten am Kirkwood Drive bog ich nach links und folgte der Straße durch das Tal. Aus der Ferne hörte man Feuersirenen aufbrüllen. Vor der Kreuzung von Laurel und Mulholland Drive mußte ich halten, um die Feuerwehr vorbeizulassen. Dann fuhr ich den Wagen langsam in einen Feldweg.

Yocum rührte sich nicht. Sein knochiger Schädel war auf seine Knie gesunken. Als er endlich das Gesicht hob, sah er aus wie schwer betrunken. »Sie haben das Geld verbrannt«, flüsterte er.

Ich starrte auf das Tal unter mir, auf die Berge hinter Burbank. Plötzlich war ich unsicher. Donovan hatte aufgehört, mir Befehle zu geben, ich war auf mich selbst angewiesen.

»Mein ganzes Leben lang habe ich mir etwas Geld gewünscht!« murmelte er. »Und jetzt haben Sie es verbrannt!«

Seine Verzweiflung überwand seine Angst, und er begann mich anzuklagen: »Sehen Sie mich doch an«, sagte er. »Ich verwese sozusagen.« Er machte seinen schmutzigen Rock auf und zeigte mir seinen fleischlosen Körper. »Ich will nicht sterben. Ich wollte endlich einmal leben – und nun haben Sie mein Geld verbrannt!«

Er erinnerte sich offenbar gar nicht daran, daß er mich erpreßt hatte. Er hatte das Geld in der Hand gehabt, und es ihm wegzunehmen war eben Raub.

Er glitt aus dem Wagen und stand schlotternd an der Kante des Fahrdammes. Er war mit seiner Kunst am Ende. »Ich bin achtunddreißig«, murmelte er, sich zu mir beugend, als beschuldigte er mich mit diesen Worten. »Ich habe seit Jahren keine anständige Mahlzeit gehabt. Ich muß jetzt Geld haben! Ich kann es nicht durch Arbeit verdienen; ich bin krank, und kein Mensch will einen, der hustet und seine Stimme verliert. Man will gesunde, starke Leute – keine wie mich!«

Er starrte mich an. Seine Augen waren farblos.

»Ein einziges Mal lebte ich gut – als ich Typhus hatte und drei Monate im Krankenhaus war. Ich lag zwar mit zwanzig anderen Jungens, aber es ging mir einfach glänzend! Ständig war jemand da, um mir zu essen zu geben, um nach mir zu sehen. Ich habe immer daran gedacht, wie herrlich es sein muß, in einem Zimmer allein krank zu sein – mit einer Klingel, daß ich einfach nach der Schwester läuten kann, und alles ist still, wenn ich Ruhe haben möchte! Es kann nicht so schlimm sein, in der ersten Klasse zu sterben. Daran habe ich schon jahrelang gedacht.«

Er grinste, seine stockigen Zähne entblößend. Es schien ihm Vergnügen zu machen, mir sein Elend zu erzählen.

»Als Donovan abstürzte, dachte ich, ich hätte das Große Los gewonnen! Der einzige Photograph in Phoenix! Und wieviel habe ich bekommen? Zehn Dollar! Ich hätte mehr verlangen können, aber sie wußten, daß ich Geld brauchte. Und wenn sie wissen, daß man Geld braucht, zahlen sie einem 'nen Nickel für einen Klumpen Gold.«

Er schien Gefallen daran zu finden, daß das Leben so konsequent grausam war.

»Ich photographierte Donovans leeren Schädel, um zu zeigen, wie er umkam. Ich hatte keinen Plan dabei, als ich die Aufnahme machte. Vielleicht nimmt man das Hirn toter Menschen immer heraus – ich hatte keine Ahnung. Dann knipste ich Ihr Haus und Ihre Frau und Ihren Wagen. Eine Aufnahme machte ich durch das Fenster Ihres Laboratoriums, und als ich das Photo vergrößerte, sah ich das Ding in dem Glase schwimmen. Es sah mir aus wie Donovans fehlendes Hirn. Ich zählte zwei und zwei zusammen und wußte, daß Sie auf etwas aus waren. Denn aus Versehen nimmt man ja kein Hirn aus einem Kopf und legt es in ein Goldfischglas.«

Er lachte mir zu, als gefiele ihm sein Scherz.

»Dann bekam ich alles über Sie heraus. Sie hatten nicht viel Geld, als ich Ihnen aber nach hier folgte und Sie aus der Bank kommen sah, stopften Sie viele Banknoten in eine Aktentasche, die Sie erst kauften. Es war nicht sehr geschickt, daß Sie so viel herumschleppten. Ich hatte fünftausend verlangt – ich hätte genauso eine Million sagen können – aber schließlich, was hätte das besser gemacht? Als ich das Geld hatte, verbrannten Sie es!« Er schluchzte, aber er hatte keine Tränen mehr. Sein Mund hing offen, und der Ton erstickte in einem Krächzen.

Nun war ich sicher, daß ich alle übrigen Negative und Abzüge verbrannt hatte. Ich stieg aus dem Wagen – aber er hatte Angst, ich könnte ihn hier mit seinem Wagen im Dreck lassen. Wenn die Hoffnung zu Ende ist, ist die Welt zu Ende.

Vielleicht blieb er sein Leben lang nur darum ein ehrlicher Mann, weil er überzeugt war, daß er, falls die Dinge zu schlecht stünden, einfach unehrlich sein und damit sein Glück machen könnte. Nun war aber auch das nicht gelungen, und er verzweifelte.

»Und meine Kamera haben Sie auch verbrannt!« sagte er. »Eine Graflex. Fünfundsiebzig Dollar aus zweiter Hand. Ich habe ein Jahr lang daran abgezahlt.«

Er kam wieder zur Erde herunter; sein Elend fand seinen Brennpunkt in greifbaren Tatsachen. Er hatte eine Kamera verloren. Die fünftausend Dollar waren nur Traumgeld. Die Kamera war Wirklichkeit.

Er mußte bald sterben. Ich gab ihm noch knapp sechs Monate. Warum sollte er nicht mit Donovans Geld sterben? Ich zog ein Bündel Banknoten aus der Tasche und reichte es ihm. Ich hielt ihm die Noten hin und fühlte keine Hemmung. Donovan hatte nichts dagegen.

Yocum starrte auf das Geld in meiner Hand und wagte nicht, es anzurühren.

»Kaufen Sie sich eine goldene Kamera! Und mieten Sie sich ein Zimmer in einem Sanatorium! Sie müssen etwas für sich tun!«

Er nahm die Scheine und bewegte krampfhaft die Lippen.

Ich ging fort. Ich zog es vor, die Meile hinunter zum Ventura Boulevard zu Fuß zurückzulegen, statt mich durch einen sentimentalen Ausbruch in Verlegenheit bringen zu lassen.

Am Wilson Drive nahm ich eine Taxe, die mich ins Hotel brachte.

Ich rief Schratt an, ehe ich packte, um nach Washington Junction abzureisen – ich wollte ihm sagen, daß ich käme. Die Vermittlung mußte mehrmals anrufen, ehe er sich meldete.

»Ich habe geschlafen«, erklärte er, aber seine Stimme klang hellwach. »Wie geht's denn, Patrick?«

Ich sagte ihm, daß ich am nächsten Tag nach Hause käme. Er zeigte keine Begeisterung; ich hatte den Eindruck, daß meine Rückkehr ihn in Verlegenheit setzte. Ich hatte Angst, daß etwas mit dem Hirn passiert war.

»O nein«, sagte Schratt hastig, »alles in bester Ordnung! Ich habe gerade die elektrische Entladung gemessen – die Leistung steigt rapide – fast bis zu fünftausend Mikro-Volt! Das Hirn hat auch bereits seine doppelte Größe angenommen. Wenn das so weitergeht, brauchen wir einen größeren Glasbehälter. Ich habe genug Hirnasche für das Serum. Sie brauchen keine Sorge zu haben, Patrick!«

Er ließ es sich sehr angelegen sein, meine Ungewißheit zu zerstreuen, forderte mich aber gar nicht auf, zurückzukehren. Er wollte lieber, daß ich in Los Angeles bliebe und dahin ginge, wohin mich das Hirn schickte. Er redete, als führe er das Experiment durch und ich sei nur der Schüler.

»Aber es liegt für mich kein Grund vor, hierzubleiben.« Ich war überrascht, mich in der Defensive zu finden! »Ich habe alles entdeckt, was ich gerne wissen wollte. Es hat keinen Sinn, Tatsachen zu Tode zu hetzen, die ich bereits besitze.«

Schratt wich so geschmeidig aus, als habe er sich das schon im voraus zurechtgelegt. »Aber Sie wissen doch noch immer nicht, weshalb Donovan Sie nach Los Angeles geschickt hat! Denkt das Hirn nun logisch oder nicht? Haben Sie herausgefunden, ob es nach einem vorher ersonnenen Schema handelt? Sind seine Befehle nur ein planloser Ausbruch, ohne Vernunft, oder geht es systematisch nach einem Plan vor? Ich glaube, Sie sind gezwungen festzustellen, ob diese scheinbar übermäßige Zunahme der Zellengewebe den organischen Denkprozeß zerstört oder fördert. Nur dann wissen Sie, ob das Hirn allein den Denkprozeß ausführen kann, oder ob das ganze zentrale Nervensystem notwendig ist.«

Ich wußte keine Antwort. Schratt hatte mich mit Fragen überschwemmt. Sein fieberhaftes Interesse befremdete mich, und ich konnte den Verdacht nicht loswerden, daß er diese Dringlichkeit vorschützte, um mich in Los Angeles festzuhalten.

»Übrigens«, fuhr er fort, »wie geht es Janice? Haben Sie sie gesehen? Sie ist im Krankenhaus ›Zedern vom Libanon‹.«

»Ich habe mit ihr telefoniert«, sagte ich, »aber ich habe sie noch nicht gesehen.«

»Das sollten Sie aber!« sagte er. Diesmal war ehrliche Anteilnahme in seiner Stimme.

»Ich werde es vielleicht noch tun«, antwortete ich. »Doch auch in diesem Falle werde ich morgen zurück sein.«

Er hatte nichts zu erwidern – wir hängten ab.

Es war kurz vor Mitternacht, aber ehe ich zu Bett ging, legte ich einen Notizblock und einen Bleistift in Reichweite. Ich war schläfrig. Der Straßenlärm verschwamm. Im nächsten Zimmer telefonierte jemand, bald aber verlor die Stimme ihre Lebhaftigkeit und die Worte wurden sinnlos.

In dem Halbschlaf, der meinen Geist umnebelte, wiederholte ich einen Namen, den ich schon zuvor irgendwo gehört hatte: Anton Sternli. Der Gedanke lief im Kreise durch mein Halbbewußtsein und folgte mir in den Schlaf.

Загрузка...