»Bitte«, sagte Wasnapohdi, »hilf mir!«
Wir halfen ihr dabei, den mächtigen Stier im Gras auf den Bauch zu drehen, indem wir die Beine auswärts zogen. Weibliche Tiere, die leichter waren, wurden im allgemeinen auf der Seite liegend gehäutet und dann gewendet, manchmal mit Hilfe von Kaiila und Seilen, die an den Beinen festgemacht waren.
Wasnapohdi bohrte das Messer in den Nacken und vollführte den ersten Schnitt, von dem aus die Haut allmählich zurückgeschlagen werden sollte, um auf jeder Seite die Schulterteile freizulegen. Danach konnte dann die Haut auf übliche Weise durch die Mitte geschnitten werden.
Die Jäger hatten dem Tier bereits die Leber genommen – eine Delikatesse, die gewöhnlich roh verzehrt wird.
»Wie macht sich Winyela?« fragte ich und schaute auf das Mädchen, das mit gesenktem Kopf abseits im Gras kniete.
»Ihr ist übel«, antwortete Wasnapohdi.
Ich näherte mich dem Mädchen. In ihrer Nähe roch es nicht besonders angenehm.
»Wie geht es dir?« fragte ich.
»Alles in Ordnung«, erwiderte sie. »Nicht mehr lange, dann werde ich weiterhelfen.«
»Du bist eine Frau, Winyela«, sagte Wasnapohdi, die über ihrer Arbeit schwitzte. »Du mußt dies lernen.«
»Ich versuche es gleich noch einmal«, sagte Winyela.
»Dort drüben liegt eine Kuh«, sagte Wasnapohdi, die auf dem Rücken des Tiers kniete und das blutige Messer hob. »Einer von Cankas Pfeilen hat das Tier getötet. Ich lasse sie an dem Tier arbeiten. Sollte sie sich ungeschickt anstellen, kann er sie rücksichtsvoll behandeln, da es sich um sein eigenes Beutestück handelt.«
»Glaubst du, er wird sie rücksichtsvoll behandeln?« fragte ich.
»Nein«, sagte Wasnapohdi und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
»Ich habe keine Angst«, stellte Winyela fest.
»Ach?« machte ich.
»Nein. Was immer ich auch tue, Canka wird mich niemals bestrafen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Er mag mich.«
»Und du ihn?« fragte ich.
»Ich liebe ihn«, sagte sie. »Sehr sogar, mehr als alles andere auf der Welt.«
»Kühne Sklavin!«
»Gleichwohl«, sagte Wasnapohdi ächzend und bewegte das Messer, »solltest du nicht überrascht sein, die Peitsche zu spüren.«
»Das würde mir Canka niemals antun!«
Ich lächelte. Das Mädchen schien noch nicht zu begreifen, was es bedeutete, Sklavin zu sein. Wußte sie nicht, daß sie der absoluten Disziplin unterlag und daß jeder Herr ihr seinen Willen aufzwingen konnte? Die Herrschaft über Sklaven ist keine willkürliche oder unausgegorene Angelegenheit. Sie stellen ein Besitztum dar. Sie dienen. Wenn nicht, werden sie bestraft.
»Vielleicht bin ich zu hübsch, um geschlagen zu werden«, sagte Winyela.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, äußerte Wasnapohdi gereizt.
»Jedenfalls glaube ich, daß Canka mich mag«, sagte Winyela.
»Hilf mir lieber, das geschnittene Fleisch auf das Transportgestell zu legen!« sagte Wasnapohdi.
»Muß ich es dazu berühren?«
»Ja.«
»Das möchte ich lieber nicht.«
»Vielleicht wird Canka dich nicht schlagen«, sagte Wasnapohdi, »aber ich versichere dir, ich hätte keine Skrupel in dieser Richtung. Beeil dich! An die Arbeit, sonst besorge ich mir einen Knochen und gerbe dir die Haut.«
»Wasnapohdi kann manchmal ziemlich vulgär sein«, sagte Winyela zu mir und stand auf.
»Gehorchst du endlich?« fragte Wasnapohdi.
»Ja«, sagte Winyela und hob stolz den Kopf.
Und prompt wurde ihr ein zehn Pfund schwerer blutiger Fleischbrocken in die widerstrebenden Hände geschoben.
»Und später«, befahl Wasnapohdi, »wirst du die Kuh dort drüben zerteilen. Ich zeige dir, wie man das macht.«
»Das brauchst du nicht«, sagte Winyela. »Ich habe schon gesehen, wie es geht.«
Und sie wandte sich um und brachte das Fleisch zum Transportgestell. Ich nahm Wasnapohdi einen anderen Brocken ab und folgte ihr.
»Sei kein Dummkopf!« sagte ich zu dem Mädchen, als wir unsere Lasten abluden. »Laß dir von Wasnapohdi helfen. Sie ist deine Freundin.«
»Ich schaffe das allein«, beharrte Winyela. »Und wenn es mir nicht gut gelingt, ist es auch egal.«
»Dessen solltest du dir nicht zu sicher sein.«
»In Cankas Zelt kann ich tun und lassen, was ich will.«
»Vielleicht sollte man dich daran erinnern, daß du Sklavin bist«, sagte ich.
»Das ist absurd! Ich weiß natürlich, daß ich Sklavin bin!«
»Aber weißt du das auch im Herzen, in deinem innersten Feuer?«
Verwirrt sah sie mich an. »Canka wird mich niemals schlagen«, sagte sie und zog ein Stück Leder über das Fleisch, um es vor den Fliegen zu schützen.
Ich sah mich um. Von hier vermochte ich mindestens ein Dutzend erlegte Tiere auszumachen, die wie dunkle Hügel auf der Ebene lagen. Hier und dort waren Frauen am Werk und verstauten Fleisch auf ihren Transportgestellen.
»Cuwignaka und ich müssen weiterarbeiten«, sagte ich.
»Ich wünsche dir auch alles Gute, Sklave«, sagte sie.
»Ich dir auch, Sklavin.« Und ich kehrte zu Cuwignaka zurück.
»Komm, Winyela!« rief Wasnapohdi. »Das Fleisch muß verstaut werden!«
»Ich komme!« antwortete Winyela.
»Ah, was für ein hübsches Mädchen!« rief Bloketu, die Tochter Watonkas, des Häuptlings der Isanna-Kaiila. »Aber warum trägt sie das Kleid einer Weißen?«
»Vielleicht ist sie eine weiße Sklavin?« fragte Iwoso.
»Sei gegrüßt, Bloketu. Und du ebenfalls, Iwoso«, sagte Cuwignaka grinsend.
»Du hast schon viel Fleisch verarbeitet«, stellte Bloketu anerkennend fest.
»Wir waren schon viermal im Dorf«, sagte Cuwignaka.
Ich stellte fest, daß Bloketu und Iwoso davon angemessen beeindruckt waren.
»Wievielmal wart ihr schon im Dorf?«
»Einmal«, sagte Bloketu.
Dies überraschte mich nicht. Im Verlauf des Nachmittags hatten wir so manchen Jäger zurückkommen und mit ihr plaudern sehen. Bloketu war eine Schönheit – und eine Häuptlingstochter.
»Iwoso arbeitet langsam«, sagte Bloketu.
»Gar nicht!« protestierte Iwoso.
»Du bist faul und umständlich, Bloketu«, sagte Cuwignaka. »Das ist doch allgemein bekannt. Du kokettierst doch lieber mit den Jägern herum, als deine Arbeit zu tun.«
»Oh!« rief Bloketu. Iwoso hatte den Kopf gesenkt und lächelte.
»Es genügt eben nicht, nur schön zu sein«, fuhr Cuwignaka fort.
»Wenigstens hältst du mich für schön«, sagte Bloketu ein wenig besänftigt.
»Das genügt aber nicht«, stellte Cuwignaka fest. »Wenn du meine Frau wärst, würdest du hart arbeiten. Und wenn nicht, würdest du das schnell spüren. O ja, ich würde dich tüchtig rannehmen, außerhalb des Zeltes und drinnen noch mehr.«
»Oh!« rief Bloketu zornig. »Aber ich bin die Tochter eines Häuptlings!«
»Du bist eine Frau.«
»Komm, Iwoso, gute Zofe! Wir wollen gehen. Wir brauchen uns das Gerede dieses dummen Mädchens nicht anzuhören.«
»Du würdest eine ausgezeichnete Sklavin abgeben, Bloketu«, sagte Cuwignaka. »Es wäre wahrscheinlich sehr angenehm, dich in einen Sklavenkragen zu stecken.«
Mit funkelnden Augen schaute Iwoso ihn an. Dann senkte sie wieder den Kopf. Ich verstand diese Reaktion nicht.
»Oh, oh!« rief Bloketu, vor Zorn fast sprachlos.
»Halt!« sagte ich zu Cuwignaka. »Hci kommt.«
Durch das hohe Gras ritt der junge Sleensoldat herbei, Sohn Mahpiyasapas, des Isbu-Häuptlings. »Du bist zu dicht an der Herde«, sagte Hci zu Cuwignaka. Ich war ziemlich sicher, daß das nicht stimmte, und ließ mich dabei von den Bodenerschütterungen, von dem aufwirbelnden Staub und der Richtung der Spuren leiten.
»Hci, man hat mich beleidigt«, wandte sich Bloketu an den jungen Mann und deutete auf Cuwignaka. »Bestraf ihn!«
»Sie?« fragte Hci.
»Sie!« berichtigte sich Bloketu und kehrte damit zu der im Stamm vorgeschriebenen Anrede für Cuwignaka zurück.
»Was hat sie denn gesagt?« wollte Hci wissen.
»Daß ich faul und umständlich sei!« rief Bloketu. »Und daß sie mich in ihrem Zelt schon an die Arbeit schicken würde.«
»Ach?« fragte Hci. Sein Blick war auf die hübsche Iwoso gerichtet.
»Sie ist nur meine Zofe«, sagte Bloketu.
»Wo ist ihr Kragen?« wollte Hci wissen.
»Ich habe ihr keinen gegeben.«
»Sie ist kein Kind mehr und sollte den Kragen und die Kleidung einer Sklavin tragen.«
Iwoso senkte ärgerlich den Blick.
»Frau der Gelbmesser«, sagte Hci bitter.
Sie schaute zu ihm empor.
»Ein Krieger der Gelben Messer hat mir dies angetan«, sagte der junge Mann und deutete auf die lange, ausgerissene Narbe an seiner linken Kinnseite.
»Da hat er gut getroffen!« sagte Iwoso nachdrücklich.
»Danach lebte er nicht mehr lange«, erwiderte Hci und wandte sich wieder Bloketu zu.
»Töte sie!« verlangte Bloketu und deutete auf Cuwignaka.
»Ich bin Krieger«, sagte Hci. »Ich mische mich nicht in Frauenstreitigkeiten ein.«
»Oh!« rief Bloketu ärgerlich.
Ich lächelte vor mich hin. Nach meiner Auffassung hatte Hci die Angelegenheit richtig geregelt. Es wäre gewiß unter seiner Würde gewesen, in einer solchen Frage mitzureden. Als Sleensoldat hatte er am Tag der Jagd Wichtigeres zu bedenken als die verletzte Eitelkeit einer Frau.
»Die Herde ist zu nahe«, wiederholte Hci. »Ihr müßt alle von hier verschwinden.«
Wir machten Anstalten, seinem Befehl nachzukommen.
»Getrennt«, forderte Hci.
Wieder begannen sich mir die Nackenhaare zu sträuben.
»Dort«, sagte Hci und wies nach Südwesten, »liegt ein erlegter Stier, dreißig Winter alt, ein Bruchhorn.«
»Der bringt weder gutes Fleisch noch gutes Leder«, sagte Bloketu ratlos.
»Kümmere dich darum, Bloketu!« forderte Hci.
»Ja, Hci«, antwortete sie. Bloketu und Iwoso spornten ihre Kaiila an, die die Lastengestelle hinter sich her schleppten. Ich sah zu, wie das Gras hinter den Stangen wieder hochfederte. Schon in wenigen Minuten würde nur noch ein erfahrener Spurensucher, auf abgebrochene Halme achtend, die Richtung des Abmarschs feststellen können.
»Dort drüben«, sagte Hci zu uns und deutete in ostsüdöstliche Richtung, »befindet sich eine Senke. Darin liegt ein anderer toter Stier, nicht mehr als sechs Winter alt, ein Glatthorn.«
»Jawohl, Hci«, sagte Cuwignaka gehorsam. Ein Glatthorn ist ein junges Kailiaukmännchen. Seine Hörner sind vom Alter und von ausgedehnten Kämpfen noch nicht angebrochen. Die Glätte der Hörner ist übrigens keine reine Naturerscheinung. Die Stiere polieren sie selbst, indem sie sie an Hängen und Bäumen schaben. Manchmal treten sie mit den Vorderhufen Erde von den Oberkanten von Uferhängen und benutzen das freigelegte härtere Material als Politurmittel. Dieses Polieren hat anscheinend den Zweck, die Hörner zu reinigen und zu schärfen – was für die gesamte Kailiaukrasse von Vorteil zu sein scheint: die Schärfe der Hörner erhöht die Wirksamkeit des Trägertiers beim Kampf, während die Sauberkeit nach dem Kampf Infektionen verhindert.
»Wenn ihr angekommen seid«, fuhr Hci fort, »werden eure Kaiila müde sein. Ihr bindet die Transportgestelle los und laßt die Tiere grasen. Macht sie ganz in der Nähe eurer Arbeit fest!«
»Ja«, sagte Cuwignaka ärgerlich.
»Und jetzt geht!« befahl Hci und hob den Arm.
»Jawohl, Hci!« sagte Cuwignaka.
Als der junge Sleensoldat fortritt, schwitzte ich am ganzen Leib. »Was sollte denn das bedeuten?« fragte ich.
»Das Fleisch auf unseren Gestellen«, antwortete Cuwignaka, »soll vernichtet werden.« »Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Wir gehen in die Senke«, sagte Cuwignaka. »Na schön, wie du willst«, lenkte ich ein.