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»Wie schön sie ist!« sagte Cuwignaka.

»Ja«, sagte ich.

Die unglaubliche Schönheit der ehemaligen Miß Millicent Aubrey-Welles raubte mir beinahe den Atem. Sie war schlank und lieblich anzuschauen. Sie hatte eine helle Haut und zarte, anrührende Gesichtszüge. Sie war auf das Erlesendste als weiblich zu bezeichnen. Die Sklavenhändler, die sie für den goreanischen Sklavenkragen ausgesucht hatten, verstanden ihr Geschäft. Sie war in die Robe einer Frau der roten Wilden gekleidet – in ein Gewand von barbarischer Pracht. Selbst eine Häuptlingstochter wie Bloketu hätte sie um den strahlenden Schmuck dieses Gewandes beneiden können. Das in der Sonne funkelnde rote Haar war nach der Mode der roten Wilden geflochten. Halsbänder aus Muscheln und Perlen lagen auf dem Oberteil aus weichem Tabukleder; ihre knielangen Hosen zeigten sich prächtig verziert. Die Hände waren ihr zwar auf dem Rücken zusammengebunden, und um den Hals lag das Band, das Cankas Zeichen trug; dies beeinträchtigte ihre Erscheinung aber nicht.

»Cancega«, flüsterte Cuwignaka mir zu.

Ein Mann ritt langsam vorwärts und näherte sich Bäumen, die einige hundert Meter entfernt standen. Solche Baumreihen kennzeichnen im Ödland oft den Lauf von Bächen, die man hier und dort findet. Solche Flüßchen mündeten in diesem Gebiet meistens in den Südlichen Kaiila und führten in der augenblicklichen Jahreszeit natürlich sehr wenig Wasser. Später im Jahr, im Kantasawi-Mond, konnten viele kleine Flüsse sogar ganz austrocknen, und selbst breite Ströme wie der Südliche Kaiila sahen dann mehr wie eine Folge von Pfützen in einem Flußbett aus. Cancega, der kaum mehr als einen Lendenschurz und einen Federschmuck trug, hatte sich am ganzen Körper mit Medizinfarbe beschmiert. In der Hand trug er einen langen gefiederten Medizinstab.

»Die fünf hohen Coups sind bereits errungen«, sagte Cuwignaka.

»Worum handelt es sich dabei?« wollte ich wissen.

»Vor einigen Tagen, sobald die Pte gesichtet waren, wurden junge Männer losgeschickt, mehr als hundert, aus den Banden erwählt; sie sind nach dem Baum geritten.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Es ist ein Rennen«, erklärte Cuwignaka. »Sie stellen sich in einer Reihe auf. Die ersten fünf Männer die Hand, Canhpi, Lanze oder Coupstock gegen den Baum schlagen, erhalten einen hohen Coup zugesprochen.«

»Haben Canka oder Hci an dem Rennen teilgenommen?« fragte ich.

»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Beide haben einen solchen Coup schon früher errungen.«

»Die Gruppe setzt sich in Bewegung«, sagte ich.

»Wir werden sie begleiten«, meinte Cuwignaka.

Und so wanderten wir mit der Gruppe dahin; einige ritten auf Kaiilas, andere waren wie wir zu Fuß, und alle folgten dem bemalten Reiter.

»Cancega scheint ein sehr wichtiger Bursche zu sein«, sagte ich.

»Er ist wichtiger, als du ahnst«, erwiderte Cuwignaka. »Jetzt, während des Festes, untersteht ihm das ganze Lager. Wir hören auf ihn. Wir tun, was er sagt.«

»Dann ist er also zur Zeit praktisch der Häuptling aller Kaiila?«

»Ich glaube, ganz so würde ich es nicht ausdrücken«, sagte Cuwignaka ein wenig abwehrend. »Die Zivilhäuptlinge gehorchen ihm zwar, treten ihm aber nicht wirklich ihre Macht ab.«

»Ich sehe den Unterschied«, sagte ich. »Gibt es keine Situation, in der der Kaiila-Stamm nur einen einzigen Häuptling hat?«

»Manchmal wird ein Kriegshäuptling gewählt«, sagte Cuwignaka. »Gewissermaßen ist der dann der Oberhäuptling.«

»Aber ein Kriegshäuptling kann nicht Zivilhäuptling sein.«

»Nein. Wir halten es für besser, diese Dinge immer zu trennen.«

»Das ist interessant«, sagte ich.

»Natürlich kann man Kriegshäuptling und Zivilhäuptling sein«, sagte Cuwignaka, »aber nicht gleichzeitig.«

»Ich verstehe.«

»Manchmal macht sich ein Mann in beiden Ämtern gut«, meinte Cuwignaka. »Trotzdem sind sie sehr verschieden.«

Kurze Zeit später wateten alle anderen durch einen schmalen, flachen Fluß. Die Kiesel auf dem Flußbett waren durch das Wasser deutlich zu sehen.

Auf der anderen Seite des Flusses stiegen Cancega und die meisten Berittenen ab.

Cancega begann langsam und schlurfend zu tanzen. Zwei andere in seiner Nähe, die ebenfalls Federschmuck auf dem Kopf trugen, begannen Rasseln zu schütteln und mitzutanzen. Der Tanz galt offenbar einem großen Baum mit weißer Rinde. »Es ist der Baum!« intonierte Cancega immer wieder und schwenkte tanzend den Medizinstab. Seine Helfer ergänzten den Refrain: »Er ist groß und gerade.« Die Umstehenden fielen ab und zu in den Refrain ein.

Winyela beobachtete die Szene.

In der Baumrinde entdeckte ich die Spuren verschiedener Waffen; dort hatten wahrscheinlich die jungen Krieger vor zwei oder drei Tagen zugeschlagen in ihrem Bemühen, die ersten zu sein und die höchsten Coups zu erringen.

»Es ist der Baum!« rief Cancega plötzlich, stürzte zu dem Baum und hieb mit dem Medizinstab dagegen.

»Er ist lang und gerade!« brüllten seine Sekundanten und die meisten anderen, so auch mein Freund Cuwignaka.

Zwei Männer liefen zu Winyela und lösten ihre Fesseln. Sie wurde nach vorn gestoßen.

Eine einseitige Axt mit langem Griff wurde ihr in die Hand geschoben. Es war eine Arbeitsaxt mit abgestumpfter Rückseite, damit man damit Pflöcke und Keile einschlagen konnte. Das Mädchen hatte schwer daran zu schleppen.

»Du hast hier nichts zu suchen«, sagte ein Mann zu Cuwignaka. »Dies ist kein Ort für freie Frauen.«

»Ich bin ein Mann«, sagte Cuwignaka.

Der Fremde zuckte die Achseln.

Ich sah mich um. Tatsächlich waren keine Frauen anwesend – mit Ausnahme der lieblichen Winyela.

Unter Anleitung Cancegas und anderer begann sie mit der Axt gegen den Baumstamm zu schlagen.

Der Baum war fünfundzwanzig bis dreißig Fuß groß, im Grunde kein großes Gewächs. Der Stamm war schlank und pfahlähnlich und hatte einen Durchmesser von höchstens zehn Zoll. Mit einem solchen Werkzeug hätte ein Mann den Baum innerhalb weniger Augenblicke gefällt. Winyela war kein Mann und auch kein Holzfäller. Sie war nichts anderes als eine hübsche Sklavin. Sie hatte die Hände am Axtgriff zu weit auseinandergenommen und holte nicht genügend aus. Cancega und die anderen zeigten viel Geduld mit ihr, obwohl sie eine Sklavin war. Wenigstens bat sie nicht um eine Ruhepause. Ihre Halsbänder und anderen Schmuckstücke klimperten und schimmerten mit jeder Bewegung. Vermutlich hielt sie zum erstenmal in ihrem Leben ein solches Werkzeug in der Hand. Debütantinnen aus Pennsylvanien greifen selten zur Axt; das gleiche gilt natürlich auch für goreanische Sklavinnen.

Canka ritt auf seiner Kaiila herbei. Anscheinend kam er direkt aus dem Lager. Sie blickte zu ihm auf. Er bedeutete ihr weiterzuarbeiten.

Gleich darauf ertönte ein Knacken, und nach einigen weiteren Axthieben brach der Baum knirschend, neigte sich und stürzte schwer zu Boden. Fünf weitere Schläge wurden geführt, die die letzten Holzstränge durchtrennten, dann lag der Stamm am Boden, gehalten von Ästen und Laub.

Die Männer brummten zustimmend. Man nahm Winyela die Axt ab und schleifte sie zurück.

»Was passiert jetzt?« fragte ich Cuwignaka.

»Paß auf.«

Unter Anleitung von Cancega begannen mehrere Männer den umgestürzten Baum von Rinde und Ästen zu befreien. Zwei Gabeln wurden übriggelassen, die eine etwa achtzehn Fuß, die andere dreiundzwanzig Fuß hoch. Hierbei wurde Rücksicht darauf genommen, daß der Stamm später auf der Tanzfläche in ein etwa acht Fuß tiefes Loch gestellt werden sollte, so daß sich die Astgabeln dann zehn und fünfzehn Fuß über dem Boden befänden.

Der schmale Baumstamm, von Rinde befreit, lag glatt und weiß vor uns.

Ein kleines Tongefäß mit Farbe wurde gebracht. Wieder schob man das Mädchen in den Vordergrund.

Sie war es, die Sklavin, die mit der Farbe verkünden mußte, daß der Pfahl Kaiila sei. Bei solchen großflächigen Anstrichen auf Holz wird ein Pinsel aus kurzgeschnittenem eingedrehten Gras verwendet. Die Farbe war Rot, ein Rot, das wahrscheinlich aus zermahlener Erde oder Ton gewonnen worden war. Vielleicht hatte man auch Felsgestein zerdrückt, das Eisenoxid enthielt. Andere Rottöne lassen sich aus gekochten Wurzeln gewinnen.

Unter Anleitung Cancegas, des Medizinhäuptlings im Sommerlager aller Kaiila-Banden, machte sich Winyela gehorsam daran, die rote Farbe aufzutragen. »Er ist Kaiila!« sangen dabei viele Umstehende. Dreimal vollführte Winyela das Ritual mit dem Pinsel, während der Baumstamm auf Böcken liegend, vor ihr gedreht wurde. »Er ist Kaiila!« riefen die Männer im Singsang.

Die drei roten Farbstreifen schimmerten grell auf dem weißen Stamm. Rote Streifen, eins bis fünf an der Zahl, werden üblicherweise von Kaiilakriegern benutzt, um ihre Waffen zu kennzeichnen, vor allem Lanzen und Pfeile. Diesem Grundzeichen wird das persönliche Muster des einzelnen Kriegers hinzugefügt.

Die Kaiila werden übrigens im Ödland allgemein als ›Halsabschneider-Stamm‹ bezeichnet. Den Farbstreifen wird bei Außenstehenden – aber auch bei Kaiila-Angehörigen – diese Bedeutung gegeben. Ich habe allerdings Kaiila kennengelernt, die eine solche Deutung nicht gelten ließen, sondern meine Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkten, daß die Kaiila selbst sich selten als ›Halsabschneider‹ sehen und daß das Symbol für einen durchgeschnittenen Hals auf keinen Fall aus mehr als einem Streifen bestehen dürfte. So ist die wahre Herkunft der umschließenden Bänder wohl im Dunkel der Geschichte verloren.

Die Farbe schimmerte hell auf dem Stamm.

Die drei Farbstreifen waren so angebracht, daß sie sich, wenn der Stamm im Lager aufgerichtet wurde, ziemlich am unteren Ende befinden mußten.

»Er ist Kaiila!« riefen die Männer.

Plötzlich schrie das Mädchen auf.

Ich spannte die Muskeln an.

»Misch dich nicht ein!« sagte Cuwignaka.

Die Helfer hatten der Sklavin die Robe vom Leib gerissen, sie streiften ihr die Armreifen ab, entflochten ihr Haar. Nackt kniete sie vor ihren Herren.

»Was geschieht mit ihr?« fragte ich.

»Paß auf!« sagte Cuwignaka.

Cancega stand vor dem Mädchen und deutete auf den Stamm. Rasseln begannen rhythmisch hinter ihr zu klappern. Ermutigend nickte Cancega der Sklavin zu, die nun den Gesten folgte und zögernd zu tanzen begann.

Ich lächelte.

Es schien mir angemessen, daß die Sklavin ihren Körper lasziv vor dem Stamm bewegte.

»Ah«, sagt Cuwignaka.

»Er ist Kaiila!« brüllten die Männer.

Plötzlich schien eine Veränderung mit Winyela vorzugehen. In dem Maß, wie die Rasseln schneller wurden, bewegte sie sich heftiger, erregter.

Ich schaute zu Canka hinüber, der auf dem Rücken seiner Kaiila saß. Er schaute Winyela zu. Seine Augen funkelten. Er wußte, er war ihr Herr.

»Ist sie im Tanzen ausgebildet?« fragte Cuwignaka.

»Meines Wissens nicht«, antwortete ich.

»Jede Frau beherrscht das instinktiv«, sagte Cuwignaka.

Winyela tanzte ihre Unterwerfung vor dem langen Baum und dadurch vor ihren Herren.

Mit dem Tanz führte Winyela natürlich nicht nur ihre persönliche Situation vor, sondern aus Sicht der Kaiila kam im Symbolismus des Tanzes, in der Medizin des Tanzes darüber hinaus zum Ausdruck, daß die Frauen von Feinden nichts anderes sein konnten als Sklavinnen der Kaiila. Zweifellos kannten die Flieher und die Gelb-Messer und die anderen Völker ähnliche Zeremonien, bei denen ein Mann oder eine Frau aus einer anderen Gruppe diese Symbolrolle übernahm. Für mich stimmte der Symbolismus überein mit einem der tiefgreifenden Themen der organischen Natur, dem Thema der Beherrschung und Unterwerfung. Mit dem Tanz, so wie ich ihn sah, brachte Winyela die Herrlichkeit des Lebens und der natürlichen Ordnung zum Ausdruck.

»Er ist Kaiila!« riefen die Männer.

»Kaiila!« brüllte auch Cuwignaka.

Schließlich wurde Winyela zurückgezerrt. Sie atmete schwer von der Anstrengung des Tanzes. Die Männer klatschten sich beifällig auf die Oberschenkel. Die Musik hörte auf. Winyela hob den Kopf, wurde aber plötzlich nicht mehr beachtet. Ihre Kleidung, ihr Schmuck wurde zu einem Bündel zusammengerollt und in der unteren Astgabel des Stammes festgebunden. Zwei lange Gegenstände, an Schnüren befestigt, wurden in der oberen Astgabel festgemacht. Später, wenn der Baum dann auf der Tanzfläche aufgestellt war, würde man die beiden Gegenstände am Pfahl aufhängen. Beide bestanden aus Leder. Der eine war die Darstellung eines Kailiauk. Der andere zeigte den Umriß eines Mannes mit einem übertrieben großen Phallus. Ich mußte an die Medizin des Stammes und an den großen Tanz denken, der darum herum stattfinden sollte. Die Medizin des Stammes und der Tanz hatten offenbar unmittelbar mit der Jagd, mit Fruchtbarkeit und Mannbarkeit zu tun. Für die roten Wilden ist die Medizinwelt etwas sehr Reales.

»Du kannst aufstehen«, sagte Cuwignaka zu Winyela, die sich erstaunt umsah und zu ihrem Herrn Canka eilte, der sie liebevoll vor sich in den Sattel zog.

Unterdessen hatte man Seile an dem Baumstamm festgemacht. Cancega mit seinem Medizinstab trat an die Spitze einer Prozession, in deren Mitte der Stamm, von etlichen Kaiila gezogen, auf den Weg zum Lager gebracht wurde.

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