»Du mußt dich mehr anstrengen, die Gelbmessersprache zu lernen«, sagte Iwoso im Kaiiladialekt zu Bloketu.
»Es fällt mir schwer«, sagte Bloketu. Die beiden Mädchen knieten am Boden; Bloketu kämmte ihrer Herrin das Haar. Beide hielten sich in einem Zelt auf. Wir vermochten sie durch die winzige Öffnung zu beobachten, die wir mit der Messerspitze in die Außenhaut des Zeltes gebohrt hatten.
»Ich habe die Kaiilasprache sehr schnell gelernt«, sagte Iwoso.
»Du wurdest auch schon als Kind gefangen«, antwortete Bloketu. »Du brauchtest zwei Jahre, ehe du ordentlich sprechen konntest.«
»Willst du unverschämt werden, Zofe?« fragte Iwoso.
»Nein, Herrin«, sagte Bloketu hastig.
Um Bloketus rötlichbraunen Hals lag ein perlenbesetztes gelbes Band. Zweifellos gehörte es Iwoso. Sie trug außerdem ein schlichtes Gewand, das einen starken Gegensatz bildete zu dem auserlesenen, weichen, beinahe weißen Tabukleder-Kleid ihrer Herrin.
»Ein schönes Gefühl, dich zu besitzen«, sagte Iwoso.
»Ja, Herrin.«
»Auch wenn du völlig wertlos bist.«
»Ich war die Tochter eines Häuptlings!«
»Selbst Töchter von Kaiilahäuptlingen taugen zu nichts anderem, als Sklaven und Zofen von Gelbmessern zu sein«, sagte Iwoso.
»Ja, Herrin«, bestätigte Bloketu schluchzend.
»Du gehörst mir, ich tue mit dir, was mir gefällt.«
»Ja, Herrin.«
»Dein Vater war ein Verräter«, fuhr Iwoso fort, »und du hast dich ebenfalls verräterisch verhalten. Manchmal sage ich mir, daß es das beste wäre, dich den Überlebenden deines Volkes auszuliefern, damit sie über dich urteilen. Sicher wissen sie, wie sie mit Verrätern umgehen müssen.«
»Bitte nicht!« flehte Bloketu.
»Möchtest du lieber meine Zofe bleiben?« fragte Iwoso amüsiert.
»Ja, Herrin!«
Mit einem langen, schnellen Messerschnitt öffnete ich die Lederwand des Zeltes. Ehe die Mädchen reagieren konnten, waren Cuwignaka und Hci in das Innere gestürmt, packten die Mädchen und drückten sie zu Boden. Dabei hielten sie ihnen den Mund zu.
Ich folgte meinen Freunden in das Zelt und reichte beiden zusammengerollte Kugeln aus Fell und Leder, mit denen die Mädchen geknebelt wurden, ehe wir sie gründlich fesselten.
Dann zog ich zwei lange, speziell vorbereitete Ledersäcke in das Zelt. Iwoso schüttelte heftig den Kopf.
Mit den Füßen voran wurden die Mädchen in die langen, engen, festen Säcke gesteckt, in denen sie sich nur wenig bewegen konnten. Der Sack verfügte über starke Laschen und zwei Griffe, die sich über dem Kopf der Gefangenen zusammenbinden ließen.
Iwoso stieß dumpfe Laute aus, die ihren Zorn verrieten.
»Willst du uns etwa sagen, daß wir damit auf keinen Fall durchkommen?« fragte Hci.
Iwoso nickte lebhaft, und Hci lächelte.
»Du machst dich hübsch in deinem Sklavensack«, sagte er.
Bloketu stieß leise Wimmerlaute aus und versuchte damit Cuwignakas Aufmerksamkeit zu erregen.
Endlich schaute er sie an. »Sei still, Sklavin und Verräterin!« sagte er heftig.
Stöhnend neigte sie den Kopf zurück. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hatte an die Zuneigung appellieren wollen, die er ihr einmal entgegengebracht hatte.
»Geht auf eure Posten!« sagte ich zu Cuwignaka und Hci. »Laßt mir die Kaiila draußen. Wir treffen uns an der vereinbarten Stelle.«
»Der Stamm der Kaiila wird wiederauferstehen«, sagte Hci.
»Unsere Pläne machen Fortschritte«, sagte Cuwignaka.
»Ja«, sagte ich. »Die Ratsversammlung aller Banden der Kaiila, der Isbu, der Casmu, der Isanna, der Napoktan und der Wismahi, aller Überreste des Kaiila-Volks, wird Ende Canwapegiwi am Ratsfelsen stattfinden.«
Cuwignaka, Hci und ich gaben uns die Hände. Dann verschwanden meine Freunde durch den Schnitt in der Zeltwand.
Ich betrachtete die beiden hübschen Gefangenen, die in ihren Säcken hilflos waren, und begann das Feuer zu schüren. Ich mußte ein Weilchen warten.
Nach einiger Zeit stand ich auf.
Die Mädchen blickten mich angstvoll an, als ich mich neben ihnen niederhockte, ein Lederseil durch die Griffschlaufen über ihren Köpfen zog und beide Säcke auf diese Weise miteinander verband.
Iwoso bewegte heftig den Kopf hin und her und stieß energische Laute aus.
»Du möchtest etwas sagen, nicht wahr, Lady Iwoso?« fragte ich.
Sie nickte nachdrücklich.
»Würdest du mir versprechen, still zu sein«, fragte ich, »wenn ich dir den Knebel abnehme?«
Sie nickte.
»Könnte ich mich in dieser Situation auf dein Wort verlassen?« wollte ich wissen.
Wieder nickte sie.
Meine Hände näherten sich der Fessel. Dann schien ich es mir zu überlegen. »Ich wage den Knebel doch nicht herauszunehmen«, sagte ich. »Du bist eine sehr intelligente und schlaue Frau. Du würdest mich sicher hereinlegen.«
Beruhigend schüttelte sie den Kopf.
Ich betrachtete sie nachdenklich. »Unbequem, nicht wahr?« fragte ich.
Wimmernd nickte sie.
»Die roten Wilden behandeln ihre Frauen manchmal zu streng, nicht wahr?«
Iwoso signalisierte mir Zustimmung.
»Na, vielleicht schadet es doch nichts, wenn ich dir den Knebel ein wenig lockere.«
Iwoso wimmerte dankbar.
Ich löste den Knoten hinter Iwosos Hals, steckte ihr den Finger in den Mund und lockerte den Knebelballen. Als bekäme ich plötzlich Angst, zu großzügig gewesen zu sein, machte ich die Knebelschnur wieder zu, aber nicht mehr so fest wie vorher; außerdem sicherte ich sie mit einem einfachen Knoten, der keiner langen Beanspruchung standhalten konnte.
»Ist es besser so?« fragte ich die Gefangene.
Sie wimmerte mich flehend an, doch ich wandte mich ab und lächelte innerlich. Glaubte sie wirklich, daß eine Frau wie sie, eine wohlgeformte Sklavin, Rücksichtnahme verdiente?
Ich ergriff das Seil, das auf dem Boden lag, verließ das Zelt durch die Rückseite und machte das Leder am Sattelknauf der Kaiila fest, die dort auf mich wartete. Dann kehrte ich ins Zelt zurück, legte eine tarnende Robe an, stieg auf und ritt ohne Eile an. Die beiden Säcke wurden hinter meiner Kaiila aus der Schnittöffnung des Zeltes gezogen.
Ich hörte Iwoso leise verzweifelte Laute ausstoßen. In diesem Moment begann sie wirkliche Angst zu empfinden. Vermutlich machte sie sich zum erstenmal klar, daß wir sie vielleicht tatsächlich aus dem Gelbmesserlager entführen konnten – mit allen Konsequenzen, die das für sie haben würde.
Doch noch hatte ich keine Eile.
Im Schritt lenkte ich meine Kaiila auf den breiten leeren Weg zwischen den Gelbmesser-Zelten. Ich spürte die Spannung in den Seilen, die links und rechts von der Kaiila zu den schleifenden Säcken führten.
Einmal schaute ich zurück. Iwoso wand sich in ihrem engen Behältnis heftig hin und her. Glaubte die sicher gefesselte kleine Dirne wirklich, sie könne freikommen? War ihr nicht klar, daß sie von einem Kaiila-Krieger gefesselt worden war, von Hci? Aber es gab eine einfache Methode, dem Gezappel ein Ende zu machen: Ich erhöhte das Tempo der Kaiila.
Am Ende der Promenade wendete ich mein Tier und galoppierte mitten auf dem breiten Weg durch das Lager. Am anderen Ende machte ich ebenfalls kehrt – in weitem Bogen, um die Seile nicht durcheinanderzubringen.
Inzwischen mußte Iwoso genug Zeit gehabt haben, ihren Knebel zu lockern und auszuspucken.
Hoffentlich hatte ich ihn nicht zu fest gelassen.
Im Galopp schaute ich zurück. Die Säcke und Seile waren staubbedeckt. Plötzlich gab es hinter mir lautes Geschrei, eine schrille Stimme äußerte Worte, vermutlich in der Gelbmessersprache.
Ich verhielt meine Kaiila. Iwoso hatte wirklich lange genug gebraucht, sich von dem Knebel zu befreien.
Sie hatte sich in ihrem Sack aufgerichtet und beugte sich schreiend vor. Ihre Stimme mußte das Lager wecken.
Um mir eine günstige Ausgangsposition am Ende der breiten Passage zu schaffen, setzte ich meine Kaiila wieder in Bewegung; das sich straffende Seil zerrte Iwoso wieder in eine liegende Stellung. Unentwegt kreischte sie. Ich hielt es für angebracht, die Kaiila zu schneller Gangart anzutreiben, schon um sie davon zu überzeugen, daß ich besorgt sei. Hier und dort kamen Gelbmesser-Krieger aus ihren Zelten.
Am Ende des breiten Weges ließ ich die Kaiila erneut halten. Von hier vermochte ich in die Nacht zu entkommen.
»Bitte sei still, Lady Iwoso!« rief ich nach hinten.
Sie verhielt es wie erwartet für angebracht, meine Empfehlung zu mißachten, so wohlmeinend sie auch gewesen war.
Etliche Männer liefen auf uns zu. Mehr Sorgen machten mir jene, die ich nicht sehen konnte, die vielleicht schon hinter ihren Zelten auf Kaiilarücken sprangen.
Andere Männer und Frauen verharrten in der Nähe ihrer Zelte, als versuchten sie zu ergründen, was geschehen sei. Ich ließ Iwoso noch einige Augenblicke schreien; zu meiner Freude schien sie nicht nur Hilfe herbeirufen zu wollen, sondern längere Ausführungen zu machen. Offensichtlich wollte sie den Gelbmessern etwas Wichtiges mitteilen. Ich beherrschte die Gelbmessersprache nicht, glaubte aber ziemlich sicher zu wissen, wie ihre Botschaft aussah. Es war eine Nachricht, die sie unbedingt loswerden wollte, denn damit hoffte sie das Fundament für ihre spätere Befreiung zu legen.
»Jetzt reicht’s, Lady Iwoso«, sagte ich auf Kaiila zu ihr und warf mit einer vielleicht etwas übertriebenen Geste die Robe zur Seite, die ich getragen hatte. Ich hatte Glück – sie landete auf einem Gelbmesser, der mich von der Seite angreifen wollte, und ließ ihn zu Boden gehen. Ich preßte meiner Kaiila die Hacken in die Flanken und ließ sie losgaloppieren. Ein Gelbmesserkrieger stürzte sich auf Iwosos Sack, erreichte sein Ziel aber nicht mehr und fiel in den Staub. Einige Meter entfernt verhielt ich mein Tier erneut. Im Lager herrschte ein lautes Durcheinander. Ich hörte Wutgeschrei. Männer liefen hin und her. Nun ritt ich weiter in die Nacht. Ich hatte keine Zeit mehr. Ich mußte zwei Frauen abliefern, die eine an Cuwignaka, die andere an Hci.
Mein Ziel war ein erhöhter flacher Stein. Die Übergabe hatten wir mehrmals mit Mira geübt. Normalerweise hätte ich keine Chance gehabt, Gelbmesser-Kaiilas davonzugaloppieren, auf keinen Fall mit einem so geringen Vorsprung und so schweren Lasten.
Ich vernahm Geschrei hinter mir. Die Verfolger waren näher, als mir lieb sein konnte.
Wenige Ehn später erreichte ich den Felsen und trieb die Kaiila den Hang hinauf. Ihre Hufe rutschten, aber dann fand sie Halt und erreichte die Gipfelplattform, die etwa vierzig Fuß höher lag als die umgebende Prärie.
Drei volle Monde standen am Himmel.
Ich stieg ab und zerrte die beiden Sklavensäcke zu mir hoch. Ich löste das lange Seil vom Sattelknopf und zerschnitt es in der Mitte. Einen Teil zog ich durch die Schlaufe von Bloketus Sack, band die Enden zusammen und zog die Schlinge als zwei parallele Doppelschlaufen aufwärts. Die gleiche Vorbereitung traf ich bei Iwosos Sack.
Die führenden Gelbmesserreiter hatten angehalten. Sie schienen unsicher zu sein, wohin ich geritten war. Vielleicht hatten sie eine fremde Spur gekreuzt. Andere Reiter, die aus dem Dorf nachrückten, schlossen sich der Gruppe an.
Ich suchte den Himmel ab. Von Cuwignaka oder Hci war noch nichts zu sehen.
Ich schaute auf Iwoso hinab, die hilflos vor mir lag.
»Dir scheint der Knebel zu fehlen«, sagte ich.
Sie blieb still. Hatte sie mich nicht dazu verleitet, ihr den Knebel zu lockern, und sich damit die Gelegenheit verschafft, das Lager zu alarmieren? Kein Wunder, daß sie stumm blieb, wußte sie doch, daß sie hier und jetzt gegen meinen Zorn nichts ausrichten konnte.
Die Reiter setzten ihren Weg fort und schrien plötzlich auf. Sie hatten den näherkommenden Tarn beinahe im gleichen Moment entdeckt wie ich.
Cuwignaka kam als erster. Vom Sitzgurt seines Reittiers baumelte ein großer Holzhaken.
»Du kannst die Verfolger schon hören«, sagte Iwoso in diesem Augenblick. »Bald sind sie hier. Laß mich frei. Du kannst nicht fliehen.«
Ich hob Bloketu hoch und hielt die Doppelschlaufe mit der rechten Hand bereit.
»Was tust du?« fragte Iwoso.
Ich antwortete nicht und behielt den näherkommenden Tarn im Auge.
»Laß mich frei!« forderte Iwoso. »Du kommst hier niemals weg!«
Urplötzlich schien sich Cuwignakas Tarn auf uns zu stürzen. Er kam mit großem Tempo herbei. Der Holzhaken war nur noch vier oder fünf Fuß von der Felsfläche entfernt. Erstaunt schrie Iwoso auf. Ich warf die Doppelschleife über den Haken. Bloketu wurde fortgerissen und in die Luft geschwenkt.
»Nein, nein!« kreischte Iwoso.
Ich zerrte sie hoch. Mit entsetzt geweiteten Augen starrte sie mich an. Im nächsten Moment hatte ich die Schlaufe ihres Sklavensacks über den Haken an Hcis Tarn geschoben, und ihr Schrei verhallte in der Ferne, so schnell wurde sie fortgezerrt.
Verblüfft starrten die Gelbmesser in den Himmel. Ich hoffte, daß Canka ebenfalls bald auftauchen würde.
Einer der Verfolger deutete auf mich. Ich befand mich noch auf dem hohen Felsen. Zwei oder drei Krieger trieben ihre Tiere an.
Ich machte kehrt. Cankas Kampfvogel fegte herbei, dichtauf gefolgt von meinem Tarn, den er an einem Zügel mitführte. Ich hörte Tarnkrallen über das Gestein scharren, streckte die Hände aus und schob meine Arme in das Netzgeflecht, das am Sitzgurt befestigt war. Der dicht über die Felsfläche dahinhuschende Tarn riß mich von den Füßen und hob mich mit wirbelnden Flügeln in die Luft. Nachdem ich wieder zu Atem gekommen war, kletterte ich am Netz auf den Rücken des Tarn und nahm dort meinen Platz ein. Canka stieß einen Glückwunsch-Schrei aus und schleuderte mir den Zügel zu; ich rollte ihn ein und steckte ihn unter den Sitzgurt. Cuwignaka und Hci waren schon weit vorausgeflogen. Ich beschrieb einen großen Kreis und schaute zurück. Etliche Gelbmesserkrieger hatten inzwischen das kleine Felsplateau erreicht.
Ich zog den Tarn herum, um meinen Freunden zu folgen.
Gewiß, wir hatten eine Kaiila geopfert, aber das war sicher ein geringer Preis für Iwoso.
Ich schaute in den herrlichen Himmel mit seinen Monden und Wolken und stimmte ein Kriegerlied aus Ko-ro-ba an.
Als ich mich nach einiger Zeit umschaute, gewahrte ich einen anderen Umriß am Himmel. Er befand sich zwei- oder dreihundert Meter entfernt, schräg rechts hinter mir. Es war ein großer schwarzer Tarn. Ich zog meinen Reitvogel herum, um dem Tier entgegenzufliegen. Wir umkreisten einander. Dann ließ ich meinen Tarn auf der Prärie landen. Der andere Tarn setzte in der Nähe auf.
»Sei gegrüßt, alter Freund!« sagte ich. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«