25

»Siehst du?« fragte Cuwignaka.

Ich nickte. Vor den Reihen der Gelbmesser, die etwa dreihundert Meter entfernt waren, ritten Reiter mit gefiederten Lanzen auf und ab.

Der Nachmittag ging seinem Ende zu.

»Sie bereiten sich auf einen Angriff vor«, sagte Cuwignaka. »Sie ermahnen die Krieger, Mut zu beweisen.«

»Ja«, antwortete ich. Unterdessen hatte ich meine Position zwischen den Kaiila wieder eingenommen. Zuvor war ich noch einmal zu unseren rückwärtigen Positionen geritten, um zum Abschluß die Aufstellung der Bogenschützen, die Positionierung der Spitzpfähle und die Haltbarkeit der Tarnnetze zu überprüfen. Alles war in Ordnung gewesen. Wäre ich nicht selbst geritten, hätte ich meine Vorschläge Cuwignaka vorgetragen, der sie seinerseits an Hci weitergegeben hätte. Von ihm wären sie an Mahpiyasapa oder Kahintokapa, Mann-dervorausgeht, weitergeleitet worden, der diesen Abschnitt unserer Stellungen befehligte. Kahintokapa aus der Casmu-Bande war Mitglied der angesehenen Gelben Kaiilareiter. Dieses umständliche Vorgehen erschien mir und Cuwignaka angebracht zu sein, vorausgesetzt die Zeit lief uns nicht davon. Weder Mahpiyasapa noch Kahintokapa hätten gern direkte Ratschläge zweier Burschen angenommen, die im Lager so unbedeutend waren wie wir. Andererseits hatte sich Hci als ungemein ehrlich erwiesen, was uns doch überraschte: er hatte seinem Vater und Kahintokapa klargemacht, von wem die Empfehlungen für die Erstverteidigung gegen die Kinyanpi stammten. Daß er meinen Rat überhaupt ernst genommen und danach gehandelt hatte, ihn gegenüber Kahintokapa und Mahpiyasapa sogar als den meinen ausgegeben hatte, war für mich und Cuwignaka überraschend gewesen. Keiner von uns hatte dies von Hci erwartet, der für uns der Inbegriff von Arroganz und Eitelkeit war. Zu unserer Überraschung hatten die Krieger bei unserer Ankunft auch ihre Reihen geöffnet und uns einen vollen Platz in ihrer Mitte zugestanden. Wir waren nicht geflohen. Wir wollten nicht bei den Frauen und Kindern warten. Wir waren mit Schilden und Lanzen zu ihnen gekommen. Daraufhin öffneten sie uns ihre Reihen, damit wir bei ihnen Position beziehen konnten: der eine ein Stammesangehöriger in Frauenkleidung, der andere ein Sklave.

»Ich glaube, sie werden bald kommen«, sagte Cuwignaka.

»Ja«, gab ich zurück.

Hinter unseren Reihen war mir Kahintokapa begegnet. Er hatte mir zum Gruß die flache Hand hingestreckt. Ich hatte die Geste erwidert. Es war beinahe, als wäre ich gar nicht Sklave in diesem Stamm. Er trug seinen Schild in einer Hülle. Vor dem Kampf würde er ihn natürlich wieder herausziehen.

»Wahrscheinlich warten sie auf die Kinyanpi«, meinte Cuwignaka.

»Vermutlich.«

Auf dem Rückritt zur Kampffront hatte ich bei Grunt Station gemacht. Er befand sich unweit der Frauen und Kinder. Zusammen mit einigen Frauen versorgte er Verwundete. Wasnapohdi war bei ihm. Daß wir den Kinyanpi-Angriff abwehren konnten, hatte ihn beflügelt. »Wir können das Lager halten, davon bin ich überzeugt!« hatte er gesagt.

»Ich nehme es an«, hatte ich geantwortet.

»Die Gelbmesser sind ziemlich erfolgreich gewesen«, antwortete er. »Sie haben zahlreiche Kaiila, reichlich andere Beute und Frauen erbeutet. Allerdings haben sie die Überraschung nicht mehr auf ihrer Seite. Ich kenne solche Männer. Sie werden sich bald zurückziehen. Die Beschaffung weiterer Beute wäre nun zu teuer für sie.«

»Noch haben sie sich nicht zurückgezogen«, sagte ich.

»Das verstehe ich nicht«, antwortete er.

»Ich auch nicht«, hatte ich erwidert. Es wollte mir seltsam erscheinen, daß die Gelbmesser nicht abgerückt waren, nachdem sie die Schwierigkeit der Lagereinnahme hatten einsehen müssen. Bei roten Wilden hätte man mit einer solchen Reaktion rechnen müssen.

»Sie verharren kampfbereit?« hatte Grunt gefragt.

»Ja«, hatte ich geantwortet.

»Interessant«, so lautete sein Kommentar.

Als ich mich von Grunt abwandte, war ich noch hundert Meter weiter geritten, um mir die Überreste des Ratszeltes anzusehen. Außer den Verstrebungen war kaum etwas übriggeblieben. Dieser Bau war das Hauptziel des ersten Kinyanpi-Angriffs gewesen. Wie man mir berichtet hatte, waren Hunderte von Pfeilen durch die Lederhäute des Bauwerks gedrungen. Es war zum Schauplatz eines Massakers geworden. Kein Wunder, daß Watonka nicht begierig gewesen war, an der Ratsversammlung teilzunehmen. Ein großes Glück, daß sich Mahpiyasapa und Grunt zur Zeit des Angriffs nicht im Lager aufgehalten hatten. Innerhalb weniger Ehn war die Oberschicht des Kaiila-Stammes, mitsamt ihrer Lebensund Führungserfahrung praktisch ausgelöscht worden. Einer der wenigen überlebenden war Kahintokapa, der sich einen Ausweg durch die Häute gesucht hatte und geflohen war. Gleichzeitig mit dem Luftangriff war eine Sonderabteilung der Gelbmesser mit Stoßrichtung Ratszelt in das Lager eingedrungen, und der Tod der Verwundeten und das Abbrennen des Ratszeltes ging auf ihr Konto. Eine ähnliche Gruppe war gegen die Tanzhalle vorgegangen. Anschließend hatten sich die Sonderabteilungen zurückgezogen. Kurze Zeit später war unter Führung Mahpiyasapas und Kahintokapas der erste Widerstand aufgeflackert. Ich schaute in den geschwärzten Kreis, der von kahlen Schäften gesäumt war. Dort drinnen lagen noch immer Tote, im Boden steckten noch zahllose Pfeile. Für die Kaiila war dies in der Tat ein düsterer, blutiger Tag.

Ganz allgemein gesprochen stimmten mich mehrere Details des Angriffs nachdenklich. Da war zunächst die Allianz, die Zusammenarbeit zwischen Gelbmessern und Kinyanpi, die nicht von Natur aus Verbündete waren. Es wollte mir ungewöhnlich erscheinen, daß die beiden Gruppierungen bei diesem Feldzug ihre Maßnahmen so vorzüglich koordiniert hatten. Eine Zusammenarbeit zwischen fremden Stammesgruppen gab es sonst nur in der gemeinsamen Abwehr weißhäutiger Eindringlinge in das Ödland. Eine andere Besonderheit des Angriffs lag in der Art und Weise seiner Leitung. Sie folgte nicht den normalen, ziemlich eingeengten Schmalspurmethoden, wie sie bei Konflikten zwischen roten Wilden üblich waren. Zum Beispiel der betrügerische Friedensvorstoß, der die Anführer eines ganzen Stammes auf kleinem Raum zusammenführen sollte, um sie mit schrecklichem Ausgang angreifen zu können – so etwas wäre der Intelligenz roter Wilder durchaus zuzutrauen, doch schien es mir nicht zur gewohnten Einstellung zu militärischen Dingen zu passen. Auf jeden Fall war diese Art der Kriegsführung für das Ödland ein wenig überraschend. Sie schien wenig zu tun zu haben mit den hier gepflegten Traditionen von Ehre und Coup-Zählen. Schließlich erschien es mir unvorstellbar, daß der Angriff gegen ein anderes Volk zur Zeit der großen Feste eingeleitet worden war. Dies kommt im Ödland einer Blasphemie gleich, einem Sakrileg. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß die Gelbmesser, die selbst zu den roten Wilden gehörten, sich so etwas hatten ausdenken können. Auch dies schien mir ein Fingerzeig auf eine neue Überführung zu sein, auf die Annahme neuer Taktiken im Ödland. Ich mußte zugeben, daß der Gesamtplan, besonders in Zusammenarbeit mit Watonka, der später seinen Verbündeten überflüssig erschienen war, bestens funktioniert hatte. Daran führte kein Weg vorbei.

Wieder schaute ich auf die Leichen und die Pfeile zwischen den Überresten des Ratszeltes.

Ich war mit dem Anblick alles andere als zufrieden. Endlich wendete ich meine Kaiila.

Anschließend war ich langsam reitend in die vorderen Reihen zurückgekehrt. Auf meinem kurzen Ritt war ich an mehreren Kaiila vorbeigekommen, die unter den Tarnstoffen festgebunden worden waren. Es waren bei weitem nicht genug Reittiere für alle. Ich passierte umfangreiche Fleischvorräte, die die Frauen von Gestellen genommen und unter den Tarnnetzen auf Tüchern gestapelt hatten. Dieses Fleisch war für die Kaiila von größter Bedeutung. Allein vom Fleisch hing es ab, ob der Stamm den Winter gut überstand oder viele Opfer beklagen mußte. Auf meinem Ritt kam ich auch an vielen Sklavinnen vorbei. Unter ihnen, ungefesselt, hatte ich Oiputake entdeckt, an die ich mich gut erinnerte. Sie hatte ich zuvor in einer Sklavinnengruppe erwählt und mit der Bedeutung ihres Daseins bekannt gemacht. Sie hatte uns auf die Tatsache gebracht, daß die im Lager befindlichen Gelbmesser nicht Zivilhäuptlinge, sondern Kriegshäuptlinge waren.

»Herr!« hatte sie gerufen und mir die Arme entgegengestreckt.

»Schweig, Sklavin!« hatte ich gerufen und war weitergeritten. Ich hatte im Augenblick keine Lust, mit ihr zu sprechen. Dafür hielt ich meine Kaiila kurz neben einem blonden Mädchen, das zitternd zu mir aufblickte.

»Wer bist du?« fragte ich.

»Ich bin eine namenlose Sklavin Cotankas von den Wismahi«, sagte sie.

Sie war die Sklavin, die von Gelbmessern als Lockmädchen in das Kampfgetümmel geschickt worden war. Cotanka hatte Glück gehabt. Er war mit dem Leben davongekommen und besaß nun dieses Mädchen. Ich nahm nicht an, daß sie ein leichtes Leben bei ihm haben würde.

Inzwischen ritten keine Gelbmesser mehr vor den Reihen ihrer Stammesgenossen hin und her, das Schütteln der Kampfstäbe hatte aufgehört, ebenso wie der Gesang.

Die Kaiila des Gegners waren zu uns herumgedreht worden.

»Haltet eure Lanzen bereit! Haltet eure Messer bereit!« rief Mahpiyasapa im Singsang und ritt vor unserer Kampflinie entlang. »Ich wünsche euch scharfe Augen. Ich wünsche euch einen schnellen Arm! Ich wünsche euch eine starke Medizin!«

»Bald kommen sie«, sagte Cuwignaka.

»Ja«, stimmte ich ihm zu.

»Worauf warten sie noch?« fragte ein Mann.

»Auf die Kinyanpi«, antwortete jemand.

Ich blickte zu Hci hinüber und bemerkte seinen Schild, der sich wie aus eigenem Antrieb zu bewegen schien, bis er ihn wieder beruhigt hatte. Mir kribbelte es im Nacken, und ich bekam eine Gänsehaut.

Die Bewegung des Schilds war auch von Mahpiyasapa bemerkt worden, der zu Hci ritt.

»Was ist mit deinem Schild?« fragte er.

»Nichts.«

»Bleib zurück«, forderte Mahpiyasapa den anderen auf. »Kämpfe nicht.« Dann ritt er weiter.

Hci aber verließ seinen Posten nicht.

»Vielleicht kommen die Kinyanpi ja gar nicht«, sagte ein Mann.

»Die Kinyanpi!« tönte es in diesem Augenblick von hinten, ein Ruf, der von Mann zu Mann weitergegeben wurde.

Ich schaute mich um.

»Die Kinyanpi«, sagte Cuwignaka, der sich ebenfalls orientierte.

»Ja«, sagte ich. Die Fliegenden kamen in zwei Gruppen – zwei dunkle Flecken, der eine aus dem Osten, der andere aus Südosten.

Wir richteten die Blicke auf Mahpiyasapa, der uns das Angriffssignal geben mußte.

Mahpiyasapa, der vor uns ritt, hob und senkte seine Lanze.

Wir glaubten ziemlich sicher zu wissen, wie die Taktik der Kinyanpi diesmal aussehen würde. Sie würden den früheren Fehler eines direkten, tiefen Angriffs nicht wiederholen. Entweder würden sie auf Höhe bleiben und uns mit Pfeilen überschütten, oder die Attacke der Gelbmesser unterstützen. Da wir uns vor einfachen Distanzschüssen ziemlich gut mit unseren Schilden schützen konnten, lag auf der Hand, daß unsere Feinde gemeinsam handeln würden. Wenn wir uns der Gelbmesser erwehrten, konnten wir uns nicht gleichzeitig vor dem Beschuß aus der Luft in acht nehmen. Und wenn wir uns nach oben abschirmten, indem wir die Schilde hoben, lieferten wir uns der Attacke der Gelbmesser aus. Der Gegner vermutete, daß wir seinen Angriff unter den Tarnbespannungen abwarteten. Dies erschwerte den Angriff aus der Luft, überließ den Gelbmessern aber den Schwung der Attacke.

Kaum hatte Mahpiyasapa seine Lanze gesenkt, legten wir alle gelbe Schärpen an. Mit diesem Zeichen hatten sich Watonka, Bloketu, Iwoso und andere als Personen identifiziert, die von den Kinyanpi nicht beschossen werden durften.

Wieder hob und senkte Mahpiyasapa seine Lanze und deutete auf den Feind.

Wie ein einziges Lebewesen stürmte unsere breite Kampflinie auf den Feind zu – Kaiila wieherten, Männer brüllten, Lanzen wurden gesenkt.

Eine volle Ehn, ehe sich der Himmel von den dahinhuschenden Kinyanpi verdunkelte, trafen wir auf den Gegner, der verblüfft durcheinanderwimmelte, dessen Kaiila auf die Hinterhand stiegen.

Der Kampf war kurz; dauerte nur etwa vier oder fünf Ehn, dann galoppierten die Gelbmesser heulend und schreiend davon und überließen uns das Schlachtfeld. Im Salut an Cuwignaka hob ich meine blutige Lanze. Die Kinyanpi hatten sich ebenfalls zurückgezogen. Kaum ein Dutzend Pfeile waren zwischen uns niedergegangen. Und getroffen waren ausschließlich Gelbmesser. Welche Verwirrung mußte die Kinyanpi ergriffen haben angesichts der Vielzahl gelber Signale tief unter ihnen! Gewiß hätten sie sich sagen können, daß die meisten von Kaiila getragen wurden, doch im Flug, in schneller Bewegung, ihrer Ziele ungewiß, hatten sie ihre Pfeile weitgehend zurückbehalten.

»Die kommen nicht zurück!« rief ein Mann lachend.

»Seht, das Signal Mahpiyasapas!« sagte ein anderer. »Kehren wir zu unseren Zelten zurück.«

Wir wendeten unsere Kaiila und ritten langsam und zufrieden, müde, doch still-siegesfroh, zu unserem Lager.

»Seht doch!« rief ein Mann, als wir unsere Ausgangsposition erreicht hatten, und deutete nach hinten.

»Das glaube ich einfach nicht!« rief ein zweiter.

Wir schauten zurück, wo sich in drei- oder vierhundert Metern Entfernung auf einer Anhöhe Reihen von Gelbmessern zeigten.

»Sie haben sich neu formiert«, sagte ich. Die Situation war nicht anders zu deuten, doch hatte ich damit nicht gerechnet. Hier äußerte sich eine Disziplin, wie ich sie von erregten roten Wilden nicht erwartet hatte, und auf keinen Fall so schnell.

»Ich dachte, sie wären fort«, sagte ein Mann.

»Ich auch!« rief ein zweiter.

»Sie müssen doch längst genug Frauen und Kaiila haben«, meinte ein dritter. »Eigentlich hätten sie längst verschwinden müssen.«

»Was immer sie jetzt noch erringen könnten, käme sie teuer zu stehen.«

»Und doch sind sie da«, sagte ein Kämpfer.

»Das sieht den Gelbmessern gar nicht ähnlich«, äußerte ein Kaiilakrieger neben ihm.

»O nein!« bestätigte ein anderer.

Auch ich wunderte mich über die Rückkehr der Gelbmesser auf das Schlachtfeld.

Die Dämmerung hatte begonnen – auch das verwirrte mich. Rote Wilde vermeiden es im allgemeinen, bei Dunkelheit zu kämpfen. Nachts kann man seine Erfahrungen kaum in die Tat umsetzen, außerdem bringt das Fehlen von Uniformen die Gefahr, daß man Freund und Feind verwechselt. Manche Wilden meiden den Nachtkampf auch aus Medizingründen. In diesem Zusammenhang gibt es viele Theorien; ich möchte an dieser Stelle nur zwei erwähnen. Die eine besagt, daß ein bei Nacht Getöteter Probleme haben kann, seinen Weg durch die Schwärze in die Medizinwelt zu finden. Und eine andere basiert auf der Befürchtung, daß ein bei Nacht Gefallener das Portal der Medizinwelt womöglich verschlossen vorfindet. Diese und ähnliche Überzeugungen führen natürlich dazu, daß Auseinandersetzungen selten bei Nacht ausgetragen werden.

»Warum verschwinden sie nicht?« fragte ein Mann.

»Bald ist es dunkel«, fügte sein Freund hinzu.

»Sie müssen eine starke Medizin haben«, meinte eine Stimme.

»Vielleicht«, antwortete jemand angstvoll.

Wieder bemerkte ich, daß Hci Mühe mit seinem Schild hatte, den er gewaltsam an sich drücken mußte.

»Worauf warten sie noch?« gellte die Frage.

»Ihre Reihen öffnen sich!« beobachtete jemand.

»Es kommt etwas hindurch.«

»Ein Sleen«, vermutete ein Mann.

»Nein«, sagte ein zweiter.

»Das Wesen bewegt sich auf allen vieren.«

»Es muß ein Sleen sein.«

»Dazu ist es zu groß.«

»Aii!« rief ein Mann. »Er richtet sich auf! Es geht auf zwei Beinen!«

»Ein Wesen aus der Medizinwelt!« rief ein Mann.

»Es ist der Medizinhelfer der Gelbmesser!« schrie ein anderer.

Beinahe im gleichen Augenblick waren hinter uns bestürzte Rufe zu hören. »Reiter! Reiter!«

Wir rissen unsere Kaiila herum. Im hinteren Teil des Lagers gab es Geschrei; das Getrappel und Wiehern zahlreicher Kaiila war zu hören. In vollem Galopp stießen Reiter in mehreren Reihen gegen das Lager vor, mit wehenden Wimpeln und gesenkten Lanzen.

»Weiße!« rief ein Mann in meiner Nähe.

Ich sah, wie eine Frau niedergeritten wurde und ein Mann einer Lanze der geordnet vorpreschenden Angreifer zum Opfer fiel.

»Weiße!« wurde der Ruf wiederholt.

»Wendet!« befahl Mahpiyasapa. »Kämpft! Verteidigt das Lager!«

Unsere Kampfformation fuhr herum, und Mahpiyasapas Männer galoppierten schrill schreiend unter der Bespannung und zwischen den Zelten hindurch, um sich dem neuen Feind zu stellen. Ich hielt meine Stellung.

Bei den weißen Angreifern handelte es sich zweifellos um die Kämpfer Alfreds, des Söldnerhauptmanns aus Port Olni. Mit etwa tausend Mann war er in das Ödland eingedrungen; in seinem Treck hatte er siebzehn Kurii mitgeführt, ein Hinrichtungskommando von den Stahlwelten, das es auf Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt, abgesehen hatte, einen Kriegsgeneral der Kurii, ehemals Befehlshaber über den Versorgungskomplex in der goreanischen Arktis, ein Stützpunkt, der für die vorgesehene Kur-Invasion Gors umgerüstet wurde. Dieser Komplex war vernichtet worden. Es gab Beweise für eine Flucht Zarendargars in das Ödland. Im Norden hatten sich Zarendargar und ich einmal als Soldaten gegenübergesessen und gemeinsam Paga getrunken. Meine Reise in das Ödland hatte das Ziel, ihn vor der Gefahr zu warnen, in der er schwebte. Dabei war ich in die Sklaverei der Kaiilakrieger geraten. Ein Wagenzug mit Siedlern, mit dem sich Alfred zusammengetan hatte, war angegriffen worden. Dem nachfolgenden Massaker war Alfred mit dreibis vierhundert berittenen Söldnern in Richtung Südosten entkommen, indem er den größten Teil der ihm Anvertrauten im Stich ließ. Aus dem Südosten, daran mußte ich nun denken, waren die Kailiauk dieses Jahr zu früh eingetroffen. Aus dem Südosten waren auch die Kinyanpi herangeflogen.

Bisher hatte ich vermutet, daß Alfred und seine Leute in die Zivilisation zurückgekehrt waren. Nun aber mußte ich erkennen, daß ich mich geirrt hatte. Irgendwie hatten sie sich mit den Kinyanpi verbündet und waren durch sie und aufgrund eines besonderen Umstands, den ich zu kennen glaubte, mit den Gelbmessern in Berührung gekommen und hatten sie zur Mitarbeit verpflichten können. Urplötzlich taten sich höchst unangenehme Perspektiven auf. Die überraschende Disziplin der Gelbmesser sah ich nun in einem ganz anderen Licht. Ebenso die anscheinend vorhandene Bereitschaft, in der Abenddämmerung zu kämpfen. Erklärlich wurde auch plötzlich ein für das Ödland so untypisches Verhalten wie der betrügerische Friedensvorstoß, das Vorschieben einer Ratsversammlung, die alle führenden Persönlichkeiten der Gelbmesser zusammenführen sollte, und wie das unglaubliche Sakrileg eines Angriffs auf ein Volk, das gerade seine jährlichen Riten abhielt. Diese Dinge deuteten nicht auf Kräfte aus dem Ödland hin, sondern auf Drahtzieher, die hier fremd waren, auf Lenker, die ganz anders dachten. Selbst eine so winzige Tatsache, wie der zuvor erfolgte kleinere Angriff der Kinyanpi wurde mir nun in seiner Bedeutung klar. Es mußte sich wirklich um einen Versuchsballon gehandelt haben, der unsere Abwehr auf die Probe stellte, ehe die in Reserve gehaltene Hauptstreitmacht vorgeschickt wurde. Auch das hierin zum Ausdruck kommende Führungsdenken deutete mir eher auf die Städte hin, auf weiße Soldaten – und nicht auf rote Wilde.

Verzweifelt schaute ich zu den Gelbmessern zurück. Wie erwartet, hatten sie ihren Vorstoß begonnen. Ihre gefiederten Lanzen senkten sich in die Angriffsstellung. Die Kaiila rückten vor und wurden immer schneller. Wenn sie das Lager der Kaiila erreichten, würden sie sich, ohne erschöpft zu sein, im vollen Galopp bewegen. In diesem Moment wogte die Kette der Gelbmesser an dem Geschöpf vorbei, das vorhin aus ihren Reihen hervorgetreten war. Es stand im Gras, umgeben von Kriegern. Es war etwa acht Fuß groß. Es hob die zottigen Arme. Es war ein Kur. Wir würden uns an zwei Fronten wehren müssen.

Hinter mir wurde bereits gekämpft. Ich fuhr herum. Soldaten hackten auf unsere Tarnnetze ein.

»Kinyanpi!« rief jemand. »Sie kommen schon wieder!«

»Das ist das Ende«, dachte ich. »Die Kurii haben gesiegt.« Die Kurii, verbündet mit den Gelbmessern, unterstützt von den Fliegenden, den Kinyanpi, konnten nun systematisch das Ödland erforschen und brauchten bei ihrer Suche nach Zarendargar keine Behinderung mehr zu fürchten – und wenn ihnen ein ganzes Volk, der Kaiila-Stamm, im Weg stand, was machte es, wenn die ganze Nation vernichtet wurde?

Ich hörte das Kriegsgeschrei der Gelbmesser lauter werden.

Dann wendete ich meine Kaiila und ritt in den hinteren Teil des Lagers.

Загрузка...