27

Hauend und stechend kämpften wir eine Gruppe von Soldaten nieder.

»Kaiila! Freunde!« schrie ich mit erhobener Lanze.

»Tatankasa! Cuwignaka!« rief ein Mann.

Das dünne, unregelmäßige, ausgedünnte Oval an Kriegern, etwa hundert Meter lang, öffnete sich und ließ uns ein. Im Innenkreis drängten sich Frauen und Kinder und Kaiila.

Mahpiyasapa und seinen Leutnants war es mit der Hilfe von gebrüllten Befehlen und Signalen ihrer Kriegsstäbe und Pfeifen gelungen, eine neue Kampflinie zu bilden und einen Abwehrkreis zu formen.

Wir zogen unsere Kaiila herum und ließen uns in die Formation eingliedern.

Zwischen uns landeten Pfeile hochfliegender Kinyanpi.

Hier und dort stellten Gelbmesser und Soldaten in kurzen, heftigen Scharmützeln unsere Verteidigungskraft auf die Probe.

»Niemand flieht, ehe Mahpiyasapa das Zeichen gibt!« rief ein Mann.

»Wir müssen durchhalten, bis es dunkel wird«, bemerkte ein anderer.

»Und dann müssen wir, die Frauen und Kinder abschirmend, durch die gegnerischen Linien brechen, soweit das möglich ist.«

»Es wird eine bedeckte Nacht«, meinte jemand. »Die Kinyanpi werden uns kaum folgen können.«

»Bald ist es dunkel«, sagte eine Stimme hoffnungsvoll.

Hci lenkte seine Kaiila aus der Kampflinie und verhielt sie neben Cuwignakas Tier.

»Ich hatte nicht geglaubt, daß du zurückkommen würdest«, sagte er.

»Ich bin ein Kaiila«, antwortete Cuwignaka.

Hci kehrte an seinen Posten zurück.

»Ich glaube, wir können die Stellung bis zur Nacht halten«, sagte ich zu Cuwignaka.

»Ich bin deiner Meinung. Wenn nicht, gibt es hier ein Blutbad.«

Plötzlich hörten wir das Klappern von Rasseln und das Dröhnen kleiner Handtrommeln. Die Gelbmesser öffneten ihre Linien. Die Soldaten zogen sich ebenfalls ein Stück zurück. In dem nun gebildeten Korridor erschienen Tänzer: Ihre Körper waren bemalt, sie hatten sich Zweige um Hand- und Fußgelenke gebunden. Sie sangen, stampften, drehten sich schlurfend im Kreis.

»Gelbmesser«, sagte ein Mann angstvoll.

»Sie machen Medizin«, flüsterte ein anderer.

Die Masken, die sie trugen, waren groß, beinahe so breit wie ihre Schultern. Durch die Mundlöcher der Masken vermochte ich die mit gelben Streifen bemalten Gesichter zu erkennen. Die Masken waren ebenfalls bemalt. Sie bestanden aus Holz und Leder.

»Sie rufen Medizinhelfer!« sagte ein Mann erschrocken.

Für den roten Wilden sind solche Masken nicht einfach nur Masken, sondern besitzen eine angsteinflößende Macht. Nach der Überlieferung ihrer Völker konnten die auf solchen Masken festgehaltenen Visionen direkt aus der Medizinwelt stammen.

Unbehaglich rutschten Männer auf dem Rücken ihrer Kaiila hin und her. Ein oder zwei Tiere wichen bereits aus der Linie.

»Haltet eure Plätze!« rief Mahpiyasapa. »Wir haben keine Angst vor Holz und Leder!«

Ich lächelte vor mich hin. Mahpiyasapas Bemerkung klang mir sehr nach Ketzerei. Andererseits war es in diesem Moment bestimmt nicht in seinem Interesse, die Gültigkeit der Gelbmesser-Medizin herauszustreichen.

»Es ist eine falsche Medizin!« rief Mahpiyasapa. »Wir haben keine Angst vor Holz und Leder!«

Wieder lächelte ich vor mich hin. Mahpiyasapa hatte eine angemessene Unterscheidung getroffen, indem er unterstellte, daß es falsche und echte Medizin gebe, wobei die Medizin der Kaiila vermutlich die echte sein sollte und die der Gelbmesser unwirksam. Besser hätte man wohl zwischen schwächerer und stärkerer Medizin unterschieden. Der rote Wilde bezweifelt im allgemeinen nicht, daß auch der Feind über Medizin verfügt; dabei hofft er natürlich, daß seine Medizin sich als die stärkere erweisen wird. Sollte die Medizin der Gelbmesser dagegen eine absolut falsche Medizin sein – was gab es dann noch zu befürchten?

Der wahre Test für die stärkere Medizin schien mir letztlich im Erfolg zu liegen, im Sieg.

»Habt keine Angst!« rief Mahpiyasapa. »Die Medizin der Gelbmesser ist eine falsche Medizin!«

»Was sind das für Medizinwesen, die da auf den Masken dargestellt werden?« fragte ein Mann.

»Keine Ahnung«, antwortete ein anderer unbehaglich.

»Ich habe ein solches Ungeheuer noch nie gesehen«, meinte ein dritter.

»Solche Geschöpfe gibt es sicher nur in der Medizinwelt«, meinte ein vierter.

»Die Medizin der Gelbmesser ist falsch!« rief jemand. »Mahpiyasapa hat recht!«

»Und wenn nicht?«

»Solche Lebewesen gibt es nicht«, sagte ein Mann. »Nicht einmal in der Medizinwelt!«

»Woher aber kam die Vision für solche Masken?« wollte jemand wissen.

»Wenn diese Geschöpfe in der Medizinwelt existierten, würden sie die Gelbmesser nicht begünstigen.«

»Das stimmt«, sagte ein Mann.

»Und was ist, wenn sie es doch tun?« fragte eine Stimme.

»Dann wären wir verloren!« rief der erste Mann.

Ich beugte mich auf dem Kaiilarücken vor. Aus dieser Entfernung vermochte ich die auf den Masken nachgestalteten Gesichter einigermaßen deutlich auszumachen. Sofort begannen sich mir die Nackenhaare zu sträuben. Es waren eindeutig Kurgesichter!

»Haltet eure Position!« bat ich die Männer links und rechts von mir. »Was auch passiert, weicht nicht zurück!«

»Eure Medizin ist falsch!« rief Mahpiyasapa den Gelbmessern zu, obwohl sie ihn zweifellos nicht verstehen konnten. »Wir haben keine Angst davor! Sie besteht nur aus Holz und Leder!«

Ein erschreckender Laut ertönte in den Reihen der Gelbmesser und Söldner. Es war ein langer, heulender Schrei. Auch den Gelbmessern und ihren Verbündeten mußte dieser Laut schrecklich in den Ohren klingen. Es war ein unmißverständlicher Schrei – ich hatte ihn schon auf den Felshängen Torvaldslands vernommen, im Sand der Tahari, in den Dschungeln der Ua.

In diesem Augenblick tauchte in den Reihen des Feindes ein riesiger Kur auf, etwa neun Fuß groß, ungefähr neunhundert Pfund schwer. Das Wesen trug einen riesigen Schild mit einer dazu passenden Lanze – die Ausrüstung eines Menschen. Links und rechts dahinter folgten weitere Artgenossen, ähnlich herausgeputzt.

»Aii!« schrie ein Kaiilakämpfer und wendete sich zur Flucht.

»Haltet die Position!« rief Mahpiyasapa.

Aber schon schrien alle Männer, ihre Kaiila wimmelten durcheinander, schon löste sich die Formation auf. Angst wandelte sich zu Flucht, Flucht zu heillosem Chaos, das Chaos zu sinnloser Töterei. Gelbmesser und Söldner drängten nach. Frauen und Kinder schrien.

»Flieht!« brüllte Mahpiyasapa. »Flieht!«

Männer liefen los. Frauen und Kinder versuchten die Kaiila zu besteigen, die man für sie bereitgestellt hatte.

Ich senkte meine Lanze und richtete sie auf das Herz des riesigen Kur. Es war Sardak, der Anführer des Hinrichtungskommandos von den Stahlwelten. Im nächsten Augenblick schoben sich Söldner zwischen uns, und ich kam nicht mehr an ihn heran. Eine Frau auf einer Kaiila, ein Kind vor sich, galoppierte vorüber.

»Cuwignaka!« rief ich.

»Hier!« kam die Antwort.

Ich sah ihn ein Stück entfernt neben seiner Kaiila stehen. Er hatte seine Lanze fortgeworfen und schob gerade ein zweites Kind hinter das erste auf den Rücken seines Reittiers. »Flieht, kleine Brüder!« rief er und versetzte der Kaiila einen Hieb. Wiehernd hüpfte sie davon.

»Komm!« rief ich ihm zu. »Komm, reite hinter mir!«

Er schüttelte den Kopf. »Es gibt nicht genügend Kaiila!« sagte er.

Ich stieg neben ihm ab. Zwei Kaiila, geritten von Gelbmessern, galoppierten vorüber. Überall herrschte das Chaos. Hier und dort wurde gekämpft. »Auf deine Kaiila, du Dummkopf!« rief Cuwignaka. »Reite fort! Flieh!«

»Schau!« sagte ich.

Hci saß auf seinem Reittier und wirkte starr und stumm. Es sah beinahe aus, als wäre er gelähmt, als könne er sich vor Angst nicht bewegen.

»Paß auf!« brüllte ich. Ich sah, wie ein Gelbmesser seine Kaiila herumwirbeln ließ und die Lanze senkte.

»Paß auf!« rief ich.

Hci wendete sein Tier und erblickte den Mann. Der Gelbmesser, der den Vorteil der Überraschung verloren sah, zog die Zügel seiner Kaiila an, woraufhin das Tier sich beinahe auf die Hinterhand stellte. Als das Tier sich wieder beruhigt hatte, starrte der Mann auf Hci. Hci erwiderte den Blick.

»Vorsicht!« rief ich.

Es war beinahe, als sehe Hci den Mann nicht, als schaue er durch ihn hindurch, als seien der greifbare Gegner und die körperlich vorhandene Speerspitze aus scharfer Bronze nur die Symbole von etwas, das er weitaus mehr fürchtete.

Hci zog seine Kaiila nicht herum. Er machte keine Anstalten, sich der Attacke zu erwehren.

Verwirrt und unentschlossen zögerte der Gelbmesser-Krieger. Die Inaktivität seines Gegners kam für ihn so überraschend und war so unnatürlich, so unheimlich, daß er beunruhigt reagierte. Hatte er hier noch einen Menschen vor sich oder etwas anderes, vielleicht einen Gast aus der Medizinwelt, etwas, durch das sein Angriff hindurchgehen würde, ohne etwas zu berühren, etwas, das sich hinter ihm zu Rauch auflösen mochte?

Im nächsten Augenblick stieß Hci einen qualvollen Schrei aus. Sein Schild begann sich zu heben. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als versuche er mit dem Schild zu kämpfen, der sich aber, wie von einem eigenen Willen beseelt, langsam zu heben begann.

Der Gelbmesser richtete seine Lanze aus.

Hci saß starr auf dem Rücken seiner Kaiila, resigniert, ohne jeden Widerstand, reglos, die Arme zu den Monden Gors gestreckt.

»Paß auf!« brüllte ich.

Die Lanze des Gelbmessers traf ihn links unten am Torso, schleuderte ihn von der Kaiila, und schon galoppierte der Gelbmesser mit einem Siegesschrei weiter.

»Sein Schild wollte ihn nicht verteidigen«, sagte Cuwignaka entsetzt. »Sein Schild hat ihn verraten. Ich habe von solchen Dingen erzählen hören! Aber noch nie habe ich es selbst beobachtet – bis jetzt!«

Ein Söldner preschte auf einer Kaiila vorüber. Seine Lanze wirkte schwarz in der Dämmerung.

Ich packte eine herbeistürmende Frau am Handgelenk, ehe sie mir ihr Messer in den Leib stoßen konnte. Aufschreiend ließ sie die Waffe fallen, und ich zerrte sie auf meine Kaiila. Cuwignaka nahm das Kind, das zu der Frau gehörte, und schob den Jungen hinter ihr auf das Reittier.

»Du willst nicht fliehen?« fragte mich Cuwignaka.

»Ich verlasse dieses Feld nicht ohne dich«, sagte ich.

»Los!« brüllte Cuwignaka und versetzte der Kaiila einen energischen Schlag. »Los!« Das Tier trabte in die Dunkelheit, suchte sich einen Weg durch das Gewirr der Menschen.

Über uns, keine zwanzig Fuß entfernt, peitschten Tarnflügel durch die Luft. Staub wirbelte vom Boden hoch. Die Hufe einer passierenden Kaiila stießen mich um. Ich rappelte mich wieder auf und wischte mir den Staub aus den Augen.

»Ich bin hier«, sagte Cuwignaka und packte mich am Arm. »Komm mit.«

»Kinyanpi!« sagte ich. »Sie werden die Außenbereiche des Lagers überwachen und die Felder nach Flüchtlingen absuchen.«

»Deshalb müssen wir im Lager bleiben«, sagte Cuwignaka. So arbeiteten wir uns durch die Schatten vorwärts, fort vom Ort des Todes, manchmal rennend, manchmal geduckt kriechend. Kurze Zeit später hatten wir uns in einem der übriggebliebenen Zelte versteckt. Das Getrappel von Kaiilahufen, das schnell leiser wurde, ließ uns aufhorchen.

»Sie reiten aus dem Lager, um Flüchtlinge zu verfolgen!« sagte ich.

»Hartnäckig sind sie!« sagte Cuwignaka.

»Das ist die Disziplin der Söldner und der Ungeheuer«, antwortete ich.

»Anzunehmen.«

»Wohin willst du?«

»Vielleicht ist er nicht tot«, sagte Cuwignaka.

»Hci?« wollte ich wissen.

»Natürlich!«

»Du schleichst dich zurück?«

»Ja.«

»Ich begleite dich.«

»Das ist nicht nötig!«

»Ich begleite dich!«

»Es ist gefährlich.«

»Für einen wird es gefährlicher sein als für zwei«, widersprach ich.

»Mitakola«, sagte Cuwignaka.

»Mitakola«, antwortete ich. In der Sprache der Kaiila bedeutet dieses Wort »mein Freund«.

Ich hielt es nicht für erforderlich, Cuwignaka mitzuteilen, daß ich mich selbst um Hci hatte kümmern wollen. Ehe wir das Zentrum des Lagers verließen, hatte ich gesehen, wie er sich bewegte.

Verstohlen verließen wir das Zelt. Wir mußten schnell handeln, ehe die Gelbmesser und die Söldner ins Lager zurückkehrten. Danach würde es mit der Disziplin zunächst vorbei sein. Danach würde man sich über die Toten hermachen, um Trophäen zu erbeuten.

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