41

»Ich glaube, sie werden zur Mittagszeit vorrücken«, sagte Cuwignaka.

Wir schrieben den dritten Tag der Belagerung am Ratsfelsen.

Gestern nachmittag hatten wir Kinyanpi gesichtet. Gestern nacht hatten wir ein großes Feuer entzündet, das weit über die Prärie sichtbar gewesen sein mußte.

»Auf sich allein gestellt«, sagte Hci, »hätten sich die Gelbmesser schon nach dem ersten Tag zurückgezogen. Ich kann mir aber kaum vorstellen, daß die Disziplin der Söldner bei ihnen noch lange wirken kann.«

»Sicher haben sie inzwischen die Unterstützung der Kinyanpi gewonnen«, sagte ich.

»Kinyanpi allein genügen nicht, um sie wieder vor die Barrikaden zu treiben«, sagte Hci.

»Du meinst also, es wird nur noch einen großen Angriff geben?«

»Den entschlossensten von allen«, sagte Hci ernst.

»Und wer würde den führen?«

»Natürlich die Ungeheuer«, sagte ich.

»Es ist beinahe Mittag«, sagte Cuwignaka und blickte zum Himmel auf.

»Ich höre Trommeln, Medizintrommeln. Söldner verlassen das Lager. Sie reiten nach Süden.«

»Interessant«, bemerkte Hci.

»Dort, ein Kinyanpi!« rief Cuwignaka und deutete in die Höhe.

»Sicher ein Kundschafter«, meinte Hci.

»Es tut sich etwas im Gelbmesserlager«, sagte ich.

»Sie kommen.«

»Wer führt sie an?«

»Die Ungeheuer«, sagte ich. »Das Ungeheuer, das ganz vorn geht, heißt Sardak. Dicht bei ihm geht Kog.«

»Sie sehen gefährlich aus«, sagte Cuwignaka.

»Bestimmt kommen sie aus der Medizinwelt«, meinte Hci.

»Sie rechnen damit, daß die Gegner sich ergeben, nur weil sie erscheinen«, sagte Cuwignaka verbittert.

»Sie bluten und sterben wie Menschen«, sagte ich zu Hci.

Ein Mann eilte am Rand des Abgrunds auf uns zu. »Söldner, die sich angeseilt haben, ersteigen die Rückseite des Bergs!« rief er.

»Aha, ein koordinierter Angriff«, sagte Cuwignaka.

»Dann müssen wir bald mit den Kinyanpi rechnen«, meinte ich.

»Es ist aus mit euch!« rief Iwoso. »Ihr seid verloren!«

»Schaut!« rief Hci plötzlich und deutete nach oben.

Auf dem Bergpfad hörten wir das dumpfe Dröhnen der von den Medizinmännern geschlagenen Trommeln. Hinter den Ungeheuern rückten die Gelbmesser vor.

»Schau!« rief Hci.

Am Himmel war ein Tarn aufgetaucht.

Mein Herz machte einen Sprung.

»Wir sind verloren!« rief Hci.

Ringsum schrien Männer auf und warfen die Hände vor die Gesichter.

Wir duckten uns nieder, um nicht von den Turbulenzen der mächtigen Flügelschläge in die Tiefe gerissen zu werden. Und schon war das Monstrum zwischen uns gelandet.

»Das ist Wakanglisapa!« rief Hci. »Wakanglisapa, der Medizintarn!«

Langsam näherte ich mich dem Tier, streckte die Hand aus und berührte seinen Schnabel. Dann nahm ich seinen Kopf in die Hände und ließ meinen Tränen freien Lauf. »Sei gegrüßt, Ubar des Himmels!« sagte ich. »Wir sind endlich wieder zusammen!«

»Im Osten ist eine Wolke aufgetaucht«, meldete ein Mann. »Sie ist klein und schnell.«

»Das sind die Kinyanpi«, sagte ich. »Mein Freund ist ihnen vorausgeflogen.«

Männer schauten sich an.

»Bringt einen Sitzgurt und Zügel«, sagte ich. »Und öffnet die Zelte, die unsere Tarns verhüllen. Wir müssen unsere Besucher empfangen.«

Männer eilten fort.

Gestern nacht war auf dem Gipfel des Ratsfelsens ein großes Feuer entzündet worden – das erste von zehn ähnlichen Signalfeuern. Mit ihrer Hilfe waren im Laufe der Nacht, in Gruppen zu zweit oder dritt, unsere Tarns auf den Ratsfelsen geholt worden, ohne daß unsere Gegner etwas bemerkt hätten. Wir verfügten über achtzehn Flugvögel: den Kinyanpi-Tarn, der auf der Ebene zu uns gekommen war, die beiden wilden Tarns, die wir mit der Tarnfalle fangen konnten, und die fünfzehn, die wir bei unserem Überfall erbeuteten. Diese Tarns hatten wir von Zwei Federn aus in das Waniyanpi-Gehege bringen lassen, das von Kürbis befehligt wurde. Dort, bei Tag versteckt und bei Nacht trainiert, in Reichweite des Ratsfelsens, hatten die Tiere unser Signal erwartet.

Ich legte dem großen schwarzen Tarn den Sitzgurt an und befestigte die Zügel.

Das Trommelrasseln auf dem Weg kam näher.

»Die Söldner an der Ostwand sind dem Gipfel nahe«, meldete jemand.

»Wehrt sie ab, so gut es geht!« sagte ich.

Zelte wurden umgestoßen, Tarns kamen in Sicht.

Ich sprang auf den Rücken meines Ubars des Himmels. Man reichte mir meine Waffen.

Canka, Hci und Cuwignaka eilten ebenfalls zu ihren Tarns.

Der Ubar des Himmels wartete mein Zeichen nicht ab, sondern streckte den Hals und stürmte in die Lüfte.

»Ko-ro-ba!« brüllte ich und nannte damit den Namen der Stadt, die auf Gor meine erste Station gewesen war, Ko-ro-ba, die Türme des Morgens.

Der Tarn schrie.

Der Flugwind zerrte an meinem Haar. Die Federn an meiner Temholz-Lanze flatterten wie Flaggen.

Ich hörte andere Tarns hinter mir schreien, vernahm ihren Flügelschlag. Der Ratsfelsen sackte unter mir fort.

Wie ein dunkler Pfeil schnitt der große schwarze Tarn durch den Himmel.

Abrupt drangen wir in die Formation der verblüfften Kinyanpi ein. Mit Widerstand aus der Luft hatten sie nicht gerechnet; überhaupt hatten sie die Initiative des Kampfes behalten wollen.

Meine Lanze schmetterte einen Reiter von seinem Tier. Mit meinem kleinen Schild lenkte ich einen Lanzenstoß ab, während mein Ubar des Himmels über einen Artgenossen herfiel. Dann stieg mein Tier empor. Ringsum und unter uns wirbelten Tarns durcheinander. Einige stießen zusammen und stürzten ab. Ich gab meinem Vogel die Zügel frei. Vier Tarns begannen uns zu folgen. Mein Tarn setzte den Aufstieg fort und durchstieß dabei etliche Wolkenformationen. Tief unter uns folgten Tarns und ihre Reiter und erschienen zwischen den weißen Wolken wie Tiere, die aus Schneebänken hervorsprangen.

»Ist die Sonne dein Ziel?« fragte ich lachend.

War es möglich, daß die raffinierten Luftkampftricks dem eifrigen Gehirn meines riesigen Reittiers noch so gewärtig waren wie vor vielen Jahren? Beherrschte er sie noch mit derselben Genauigkeit, mit derselben kampflustigen Stärke wie in den lange zurückliegenden Tagen, da sie ihm hoch über den Grasebenen von Ko-ro-ba beigebracht worden waren?

Ich versuchte zu Atem zu kommen.

Die gewaltigen Lungen des Tarn weiteten sich aus. Ich spürte die Bewegung des Brustkorbs zwischen meinen Knien. Noch immer gewannen wir an Höhe.

Dann endlich machten wir kehrt. Wir hatten die Sonne im Rücken.

Die anderen Tarns, weit auseinandergezogen, sich abmühend, schwerfällig die Flügel bewegend, hingen unter uns. Sie waren erschöpft. Sie vermochten den Steigflug nicht fortzusetzen und begannen umzukehren.

Aus der Sonne schlug der mächtige Tarn zu. Wie ich es gelernt hatte, machte ich einen tiefen Atemzug, ehe der Sturzflug begann.

Unsere Gegner hatten keine Chance, so überraschend, so heftig kam unsere Attacke. Nur der vierte Tarnreiter vermochte zu fliehen, indem er in den Wolken verschwand.

Ich folgte ihm unauffällig durch die Wolken und hoffte, daß sein Bericht bei seinen Kampfgenossen Angst und Entsetzen verbreiten würde.

Als ich wieder Sichtkontakt zu den anderen Tarnreitern hatte, erfreute mich der Anblick allerdings weniger. Unsere mutigen Tarnflieger vom Ratsfelsen waren von Kinyanpi umringt, die mindestens eine zehnfache Übermacht besaßen. Das Ergebnis einer solchen Konfrontation schien unausweichlich zu sein, es sei denn, man konnte ein neues Element einbringen, etwas, das die Balance des Kampfes drastisch stören würde.

Daß unsere Männer so lange durchgehalten hatten, ging auf mehrere Faktoren zurück, auf die ich gehofft hatte. Soweit ich wußte, gab es im Ödland nur wenige Stämme, die den Tarn gezähmt hatte. Die Existenz der Kinyanpi war für die Kaiila beinahe etwas Mythisches gewesen, bis die Fliegenden dann auf dramatische Weise über dem Sommerlager erschienen. Dies schien mir darauf hinzudeuten, daß Gruppen dieser Art selten waren. Meiner Auffassung nach entsprachen die Kinyanpi gewissen irdischen Stämmen, die im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert sich als erste das Pferd dienbar machten. Dabei schienen sie allerdings mangels Konkurrenz auf dem Rücken ihrer Tarns noch nicht jene unbedingte Kampfgeschicklichkeit entwickelt zu haben, die sie zuvor mit ihren Kaiila erreicht haben mußten. Meine frisch auf Tarnrücken gesetzten Kaiilakrieger wußten dagegen noch aus jüngster Vergangenheit, wie sie mit Schild und Bogen hantieren mußten.

Eine meiner Erwartungen hatte sich allerdings nicht erfüllt: Das Erscheinen des großen schwarzen Tarn ließ die Kinyanpi nicht vor Entsetzen erstarren und die Flucht ergreifen. Fünf Tarnreiter, Verfolger nach unserem Überfall auf das Gelbmesserlager, hatten sich von dem schwarzen Tier überraschen und einschüchtern lassen. Die unter uns wirbelnden Reiter zeigten dagegen keine Wirkung – wahrscheinlich wegen ihrer großen Zahl oder wegen ihres Anführers oder ihrer Medizin, in die sie großes Vertrauen setzten.

Der riesige Vogel mochte ihnen Unbehagen oder gar Angst einflößen, aber sie zogen sich nicht zurück. Ich mußte sie in Panik versetzen.

Dazu hatte ich mir einen Plan ausgedacht.

Wir rasten von oben mitten in die Horde der Kinyanpi, die schreiend auseinanderstoben. Wir griffen niemanden an. Ich hatte die Waffen in Ruhestellung gebracht. Der Schild hing an meiner Hüfte.

Mein Tarn verharrte flügelschlagend auf der Stelle, während die Kinyanpi sich neu formierten.

Ich deutete nacheinander auf drei Männer, verschränkte die Arme und gab dem Ubar des Himmels einen gesprochenen Befehl. »Einer-Zügel!« Der Vogel stieg empor.

Daß die Kinyanpi überrascht waren, als ich die Zügel losließ, entging mir nicht. Sie hatten hoffentlich begriffen, daß der Tarn allein meiner Stimme gehorcht hatte. Ich schaute nicht zurück, um die Wirkung meines Abgangs nicht zu zerstören. Natürlich hoffte ich, daß die drei Männer mir folgen würden.

Kaum war ich in die Wolken eingedrungen, machte ich meinen kleinen Bogen schußfertig, wobei ich zwei weitere Pfeile in der Hand bereithielt. Ich ergriff die Zügel und zog den Tarn herum. Ringsum wallte die graue Nebelmauer. Wie erhofft flogen die Kinyanpi nacheinander in den Dunst. Drei reiterlose Tarns kehrten schließlich zu der Formation zurück.

Ich steckte den Bogen fort. Nach einer angemessenen Zeit lenkte ich meinen Tarn erneut zwischen die Kinyanpi. Interessanterweise schien der allgemeine Kampf inzwischen nicht weitergegangen zu sein.

Dramatisch deutete ich auf einen Mann. Verzweifelt schüttelte er den Kopf und wendete seinen Tarn. Ich deutete auf einen anderen Kinyanpi, der meine Einladung ebenfalls ablehnte. Einer der Kinyanpi schlug sich mit einem Aufschrei vor die bemalte Brust, und ich deutete auf ihn und anschließend auf zwei weitere. Die drei schauten sich unbehaglich an. Hochmütig wandte ich den Kopf ab. »Einer-Zügel«, sagte ich zum Ubar des Himmels.

Wieder stiegen wir zu den Wolken empor.

Ich lauschte intensiv: Nur der Mann, der sich auf die Brust geschlagen hatte, folgte mir voller Eifer. Mir blieb kaum Zeit, in die Wolke einzudringen, als er sich bereits auf mich stürzte. Den Bogen konnte ich nicht mehr ins Spiel bringen. Seine Lanze fuhr auf mich zu, und ich packte sie und hebelte den Angreifer vom Rücken seines Tarn. Schreiend stürzte der Mann in die Tiefe. Vermutlich würde er zwischen seinen Kampfgefährten hindurchstürzen.

Für die anderen Kinyanpi mußte es so aussehen, als wäre der Mann vom Himmel gefallen, auf geheimnisvolle Weise, wie ein Meteor.

Hoch in den Wolken wartete ich eine angemessene Zeit ab, dann lenkte ich den Ubar des Himmels wieder in die Tiefe und zügelte ihn erneut mitten zwischen den entsetzten Kinyanpi.

Hochmütig und herablassend wies ich sodann auf den Häuptling der Kinyanpi, der von einem Federstabträger begleitet war.

Heftig schüttelte er den Kopf. Mit weit ausholender Geste deutete ich nach Osten, in die Richtung, aus der die Kinyanpi gekommen waren. In hektischer Betriebsamkeit wendete er seinen Tarn, stieß einen Schrei aus und floh, gefolgt von seinen Männern.

»Schnell!« brüllte Cuwignaka, Canka, Hci und den anderen zu. »Zurück zum Ratsfelsen!«

Auf der Ostseite des Ratsfelsengipfels, genau gegenüber dem Ende des gewundenen Weges, hatten sich Söldner festgesetzt, die über die Felswand dorthin geklettert waren. Andere Soldaten, die sich mit Seilen gesichert hatten, hingen noch in der Felswand. Die gesamte Ostflanke des Ratsfelsens schien vor Männern und Seilen zu wimmeln.

Im nächsten Augenblick landeten kreischende Tarns zwischen den Söldnern, die dicht am Abgrund einen ersten Brückenkopf gebildet hatten. Scharfe Krallen taten ihr Werk.

Ich schaute an der Bergklippe hinab auf die Seile mit den Männern, die den Gipfel noch nicht erreicht hatten. »Darum sollen sich Tarnreiter kümmern, die im Sommerlager Frauen und Kinder verloren haben«, sagte ich.

Dann eilte ich, gefolgt von meinen Kämpfern, über den Gipfel des Ratsfelsens. Eine medizinsingende Prozession von Gelbmessern, die langsam den steilen Weg heraufkam, wußte noch nicht, was auf der Oberseite des Berges geschehen war.

»Es ist um euch geschehen!« schrie Iwoso. Auch sie hatte die neueste Entwicklung nicht mitbekommen.

Kaum fünfundzwanzig Fuß unter mir erschienen die ersten Gelbmesser auf dem Weg. Umgeben von tanzenden und trommelschlagenden Medizinmännern, bildeten Sardak und Kog und fünf andere Kurii die Spitze. Bei den Gelbmessern sah ich außerdem Alfred mit einigen Söldnern und einen Gelbmesser-Krieger, in dem ich den dritten der Kriegshäuptlinge erkannte, die im Sommerlager der Kaiila gewesen waren. Soweit ich wußte, hatte er an den bisherigen Angriffen nicht teilgenommen. Nun rechnete er bestimmt mit dem Ende der Belagerung, mit einem klaren Sieg seiner Seite.

Bisher war schon beim Auftauchen der Kurii jeder Widerstand zusammengebrochen.

Auch jetzt zeigte sich die Barrikade am Ende des Weges verlassen.

Etwa sechzig Fuß vor dem Hindernis verharrte die Prozession. Die Trommeln hörten auf zu schlagen. Die Medizinmänner beendeten ihre Tänze und zogen sich zurück.

Gefolgt von den anderen, traten Kog und Sardak vor. Es war still auf dem steilen Weg.

Im nächsten Augenblick war die Barrikade nicht mehr leer. Auf den Balken und Pflöcken war ein riesiger Kur erschienen. Der Wind spielte mit seinem langen Fell.

Die Gelbmesser traten erschrocken einen Schritt zurück. Sie blickten auf Kog und Sardak, die aber wie erstarrt auf dem Weg stehengeblieben waren und von ihrer Begleitung nichts mehr wahrnahmen.

Der auf der Barrikade stehende Kur weitete die Nasenflügel und nahm Witterung.

Sardak trat vor. Er richtete sich zu voller Größe auf.

Das Wesen auf der Barrikade legte die Ohren an, von denen eines halb abgerissen war. Sardak ahmte die Geste nach. Beide Ungeheuer hatten ihre langen Krallen ausgefahren.

Die Gegner sprachen nicht miteinander. Worte waren überflüssig.

Mit geschmeidigen Bewegungen stieg der Kur von der Barrikade und ging auf den anderen zu, bis sie noch etwa zehn Fuß voneinander entfernt waren. Auf allen vieren begannen sie sich zu umkreisen. Ab und zu streckte einer eine Pranke aus oder fauchte, um die Reaktion des anderen zu testen.

Meine Nackenhaare begannen sich zu sträuben.

Plötzlich, wie auf ein unhörbares Kommando, stürzten sie sich aufeinander und begannen zu ringen, zu reißen und zu beißen und verwandelten sich in eine einzige tobende Masse aus Fell und Muskeln.

Dann trennten sie sich und begannen erneut die Umkreisung, ehe eine zweite Attacke folgte, schließlich eine dritte.

Die Medizinmänner der Gelbmesser blickten sich erschrocken an. Blut tropfte auf das Gestein. Diese Ungeheuer konnten also wirklich bluten.

Ich legte einen Pfeil auf die Bogensehne.

Zarendargar, Halb-Ohr, mein Freund, schaffte es schließlich, hinter Sardak zu gelangen. Sardak warf den Kopf in den Nacken, um die empfindliche Stelle zwischen Schädel und Rückgrat zu schließen, doch es war zu spät. Mit einem gewaltigen Biß machte Zarendargar seinem Leben ein Ende, stemmte den riesigen Körper seines Gegners empor und schleuderte ihn in die Tiefe.

Im gleichen Moment jagte ich Kog, dem Begleiter Sardaks, einen Pfeil ins Herz. Er erstarrte und sank zu Boden.

Links und rechts von mir waren andere Kaiilakrieger an der Felskante in Stellung gegangen und zeigten sich dem Gegner. Die Gelbmesser begannen sich zurückzuziehen. Der Kriegshäuptling brüllte Befehle; offenbar wollte er seine Krieger zum Angreifen bewegen, aber er blieb dabei ebenso erfolglos wie Alfred, der seine wenigen Söldner um sich scharte.

In diesem Augenblick erschien der Ubar des Himmels hinter uns, eine schwarze Silhouette vor der Helligkeit des Tages. Er ließ die riesigen Flügel schwingen und stieß den Kampfschrei des Tarns aus.

Die Gelbmesser machten kehrt und flohen.

Kaiilakämpfer schwärmten über die Barrikade aus und schwangen Lanzen und Keulen, Schilde und Messer. Auf dem schmalen Pfad entstand Verwirrung. An einem Dutzend Stellen entbrannten Kämpfe.

»Schaut!« rief ich. Am westlichen Horizont stieg eine Staubwolke auf.

»Sie kommen!« rief Cuwignaka begeistert.

»Ja«, sagte ich.

Es mußte sich um die Staubfüße, Sleen und Flieher handeln – Stämme, zu denen wir Reiter geschickt hatten.

Wir waren hier oben auf dem Ratsfelsen der Köder gewesen, der die Gelbmesser und die Söldner in eine Falle locken sollte, eine Falle, die jene anderen Stämme, gemeinsam vorgehend, nun schließen würden. Dies war unbedingt im Interesse aller Beteiligten. Durch ihre Zusammenarbeit mit den weißen Söldnern hatten die Gelbmesser die ›Erinnerung‹ verraten. Der gemeinschaftlichen Erinnerung zufolge hatte vor langer Zeit eine andere Tragödie, die in den Legenden beinahe vergessen war, auf ähnliche Weise begonnen. Das Ödland mußte beschützt werden. Außerdem war ein Sakrileg begangen worden, der Angriff auf ein Sommerlager. Hierfür galt es Rache zu nehmen. Und was noch schlimmer war: Die Kinyanpi waren erstmals in westliche Länder vorgedrungen. Bündnisse wie zwischen den Gelbmessern, weißen Söldnern und Kinyanpi bedrohten die empfindlichen Stammesbeziehungen im Ödland. Sie konnten Gewohnheiten der Pte verändern und Stämme aus ihren gewohnten Jagdgründen vertreiben. Anscheinend hatten die Argumente unserer Gesandten gewirkt. Für den eigentlichen Kampf kam die Hilfe zu spät, doch konnten die Nachrückenden dem demoralisierten Feind die Fluchtwege abschneiden.

Ich sah, wie Alfred von hinten mit einem hölzernen Canhpi niedergeschlagen wurde. Auf dem Weg unter uns lagen die fünf Kurii, die Sardak und Kog begleitet hatten. Sie waren von zahlreichen Pfeilen durchbohrt.

Es würde lange dauern, bis Kaiila oder Gelbmesser solche Wesen wieder für übernatürliche Kreaturen halten würden, für Besucher aus der Medizinwelt.

Iwoso, die an ihren Pfahl gefesselt war, hatte ergeben die Augen geschlossen.

Ich nahm dem Ubar des Himmels den Sitzgurt ab und entfernte die Zügel von seinem Schnabel.

»Du bist frei, guter Freund«, sagte ich und tätschelte den mächtigen Schnabel, den der Tarn mir sanft in die Seite drückte. Der Ubar des Himmels war kein Sklave des Menschen, sondern ein freies Tier der Lüfte.

»Der Weg ist frei«, sagte ich zu Hci.

»Ja«, antwortete er und wandte sich an Iwoso. »Die Gelbmesser sind besiegt«, fuhr er fort. »Sie sind zersprengt. Sie laufen um ihr Leben.«

»Ja, Herr«, sagte sie.

»Für dich gibt es keine Hoffnung auf Rettung mehr, meine gefesselte Gelbmesser-Dirne«, sagte Hci.

»Nein, Herr«, erwiderte sie.

»Du bist allein und gehörst nun den Kaiila.«

»Ja, Herr«, entgegnete sie resigniert.

Загрузка...