22

»Schaut«, sagte Cuwignaka und deutete nach vorn.

Ein Kaiilareiter näherte sich mit senkrecht gestellter Lanze, an der etliche Federn wehten.

Wir hatten die beiden Kaiila erstiegen, die wir von den Gelbmessern erbeuten konnten. Es war ein angenehmes Gefühl, die Tiere zwischen den Beinen zu spüren. Ich hatte meinen Bogen in die Bogenhülle des von mir getöteten Gelbmesser-Kriegers gesteckt und seine Pfeile in meinen Köcher übernommen. Außerdem hatte ich mir seine Lanze und seinen Schild angeeignet. Cuwignaka hatte seine Lanze an sich genommen und sich darüber hinaus mit einen Schild versehen. Wasnapohdi lief an der linken Flanke meiner Kaiila.

»Ein Kaiila-Krieger«, sagte ich.

»Es ist Hci!« rief Cuwignaka.

Mahpiyasapas Sohn zügelte sein Reittier vor uns. »Zwei Gelbmesser ritten eben in diese Richtung«, sagte er.

»Sie sind nicht weitergekommen«, sagte Cuwignaka.

Hci betrachtete die beiden Toten, die in ziemlicher Entfernung voneinander lagen. »Wer hat sie getötet?« fragte er.

»Du bist allein«, sagte Cuwignaka. »Hattest du die Absicht, die beiden Gelbmesser allein anzugreifen?«

»Ja.«

»Du bist ein mutiger Mann«, sagte Cuwignaka.

»Wie kommt es, daß ihr Kaiila besitzt?« fragte Hci. »Ihre Bemalung und das Geschirr deuten darauf hin, daß sie Gelbmessern gehören.«

»Diese Gelbmesser brauchten sie nicht mehr«, erwiderte Cuwignaka.

»Wie kommt es, daß ein Sklave Waffen trägt?« fragte Hci und musterte mich.

»Ich habe es ihm erlaubt«, antwortete Cuwignaka.

»Wer hat diese Gelbmesser getötet?« fragte Hci.

»Bist du enttäuscht, daß nicht du es warst?« wollte Cuwignaka wissen.

»Nein«, antwortete der junge Krieger. »Es ist egal. Ich habe heute schon viele Coups errungen.«

In diesem Augenblick schien mir, als bewege sich Hcis Schild aus eigenem Antrieb, als besäße er eigenes Leben. Er schien ihn festhalten und dicht an sich pressen zu müssen. Nie zuvor hatte ich so etwas gesehen.

»Wer hat die beiden getötet?« fragte Hci.

»Zwei, die sich auf die Lauer gelegt hatten«, gab Cuwignaka Auskunft. Auch er hatte die Eigenart von Hcis Schild bemerkt. Es sah so aus, als müsse Hci sämtliche Kräfte seines Arms aufbieten, um den Schild in der Gewalt zu behalten. Im nächsten Moment zeigte sich der Schild wieder beruhigt, ganz normal, offenkundig nichts anderes als ein Ledergegenstand, bemalt mit Mustern, verziert mit Federn.

»Isbu?« fragte Hci.

»Der eine war ein Isbu«, antwortete Cuwignaka, »der andere nicht.«

»Kanntest du ihre Namen?«

»Ja.«

»Wer waren sie?«

»›Cuwignaka‹ und ›Tatankasa‹«, antwortete Cuwignaka.

»Es ist ein schlimmer und blutiger Tag für die Kaiila«, sagte Hci. »Spiel hier nicht den Überschlauen.«

»Verzeih mir«, sagte Cuwignaka.

»Du hast dich sogar dazu verstiegen, dir Skalps an den Gürtel zu heften«, bemerkte Hci. »Woher hast du sie?«

»Ich nahm sie einigen Burschen ab, die so herumlagen«, antwortete Cuwignaka gelassen.

»Vergiß nicht, daß du eine Frau bist und nichts weiter – und du Sklave«, sagte Hci und blickte uns nacheinander an.

»Ich bin keine Frau«, sagte Cuwignaka ruhig.

»Ihr besitzt nun Kaiila«, fuhr Hci fort. »Das ist gut. Das gibt euch die Chance zu fliehen.«

»Ist das Lager denn schon verloren?« wollte Cuwignaka wissen.

»Nein, wir halten es«, antwortete Hci.

»Dann werden wir auch nicht fliehen«, sagte Cuwignaka.

»Die beiden, die die Gelbmesser töteten – sind sie geflohen?« wollte Hci wissen.

»Ebensowenig wie wir«, sagte Cuwignaka.

»Solltet ihr wieder mit ihnen in Berührung kommen«, sagte Hci, »sagt ihnen, daß sich unsere Streitkräfte in der Nähe des Ratszeltes sammeln sollen.«

Ich hatte schon vermutet, daß sich der Widerstand in jener Gegend formieren würde. Es war der Mittelpunkt des Lagers und lag überdies ein wenig erhöht.

»Ich verstehe«, sagte Cuwignaka.

»Richtest du aus, was ich dir gesagt habe?«

»Du kannst davon ausgehen, daß deine Nachricht schon ausgerichtet ist«, sagte Cuwignaka.

»Gut«, sagte Hci. Dann wendete er seine Kaiila, hielt sie dann aber noch einmal an. »Mahpiyasapa ist zurückgekehrt«, sagte er. »Er und Kahintokapa von den Gelben Kaiilareitern leiten unsere Abwehr. Sorgen macht uns nur die mögliche Rückkehr der Kinyanpi, der Fliegenden.«

»Darf ich etwas sagen?« fragte ich.

»Ja«, sagte Hci.

»Gegen die Fliegenden kann man sich zur Wehr setzen«, führte ich aus. »Watonka und seine Begleiter trugen gelbe Tücher oder Schärpen, um von den Kinyanpi erkannt zu werden. Deine Krieger könnten sich dieses Tricks bedienen. Dann wissen die Kinyanpi nicht mehr, auf wen sie schießen sollen, besonders im Kampfgetümmel. Außerdem solltest du dir überlegen, Bogenschützen in die Anflugbereiche zu entsenden; damit lassen sich die eigenen Reiter schützen. Geschärfte Pflöcke können Tarnangriffe verhindern. Seile, die man zwischen Zelten spannt, behindern Tiefflug-Attacken und versuchte Landungen. Tücher und andere Tarnflächen, selbst wenn man sie nur hier und dort spannt, bilden Verstecke und tarnen, was sich darunter befindet, besonders aus großen Höhen; andere solche Konstruktionen lenken Bogenschützen aus der Luft ab, die kein sicheres Ziel mehr finden.«

»Hast du solche Maßnahmen als wirkungsvoll erlebt?« fragte Hci.

»Ja«, antwortete ich.

»Ich spreche mit Mahpiyasapa«, sagte Hci.

»Grunt ist mein Freund«, fuhr ich fort. »Ist er mit Mahpiyasapa ins Lager zurückgekehrt?«

»Ja, er ist bei uns.«

»Gut.«

»Hci«, sagte Cuwignaka.

»Ja?« fragte Hci.

»Was ist mit Watonka?« erkundigte sich Cuwignaka. »Kämpft er auf Seiten der Gelbmesser?«

»Ich hatte die Absicht, ihn zu töten«, sagte Hci. »Deswegen ritt ich ins Lager der Isanna. Ich fand ihn dort. Er war bereits tot, ebenso wie etliche andere. Ich glaube, sie wurden von den Gelbmessern umgebracht, die man ins Lager gelassen hatte. Sie waren nicht an Pfeilschüssen gestorben, sondern an Messerwunden. Außerdem waren die Gelbmesser verschwunden. Vermutlich geschah es, als der Angriff der Kinyanpi begann. Da brauchte man ihn nicht mehr.«

»Und Bloketu?« fragte Cuwignaka.

»Die Verräterin?«

»Ja, Bloketu, die Verräterin!«

»Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist«, sagte Hci.

»Du hast sie nicht unter den Toten gefunden?«

»Nein.«

»Dann müssen die Gelbmesser sie mitgenommen haben.«

»Mag sein«, sagte Hci.

Ich glaube ziemlich sicher zu wissen, was aus der hübschen verratenen Verräterin geworden war. Ich erinnerte mich an das aufgerollte dünne Seil, das ihre Zofe Iwoso an der Hüfte getragen hatte. Wegen ihrer Teilnahme an dem Überfall war Iwoso bei den Gelbmessern jetzt sicher eine wichtige Frau – eine hochstehende Dame, der natürlich eine Zofe zustand.

»Da du nur eine Frau und Sklavin bist«, sagte Hci, »würde ich dir raten zu fliehen, zumal du jetzt eine Kaiila besitzt.«

»Vielen Dank für deinen fürsorglichen Rat«, sagte Cuwignaka. Und wirklich – ich konnte mir vorstellen, daß Hci auf seine Art höflich und rücksichtsvoll gegen uns sein wollte. In seiner Vorstellung war Cuwignaka eben vorwiegend eine Frau – während ich für ihn natürlicherweise ein Versklavter war. Cuwignaka verstand seine Bemerkung also richtig als hilfreichen Rat für uns beide. Wir schienen hier einen neuen Hci vor uns zu haben, der weitaus weniger eitel und arrogant war als der alte.

»Wenn du dich andererseits in die Gegend des Ratszelts begeben möchtest, um dich dort zu den Frauen und Kindern zu kauern, kannst du das gern tun«, fuhr der junge Krieger fort. »Im Augenblick ist der Weg zum Ratszelt noch frei.«

»Vielen Dank«, sagte Cuwignaka.

»Aber bald wird es dort zu Kämpfen kommen.«

»Verstanden«, sagte Cuwignaka.

Hci wendete seine Kaiila und ritt davon.

»Hast du vorhin die Bewegung seines Schildes bemerkt?« fragte Cuwignaka.

»Ja«, antwortete ich, »und ich habe so etwas nie gesehen. Es ist unheimlich.«

»Ich habe Angst«, sagte Cuwignaka.

Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken. Aber ich nahm mich zusammen. Der Himmel war strahlend hell. Flauschige weiße Wolken bewegten sich über uns. Es war ein guter Tag für das Kämpfen.

»Reiten wir zum Ratszelt oder fliehen wir?« fragte ich.

»Diese Frage werden wir entscheiden, wie es sich für einen Angehörigen meines Volkes geziemt«, antwortete Cuwignaka. »Siehst du den einsamen Flieger am Himmel?«

»Ja«, sagte ich.

»Sollte er nach Norden oder Westen fliegen«, sagte er, »reiten wir zum Ratszelt.«

»Und wenn er sich nach Süden oder Osten wendet?«

»Dann reiten wir zum Ratszelt«, sagte Cuwignaka.

»Der Vogel fliegt nach Norden«, bemerkte ich.

»Dann ist die Sache ja entschieden. Zum Ratszelt!«

»Ich hoffe, daß es dazu kommen würde«, sagte ich.

»Ich auch«, sagte Cuwignaka.

»Ein sehr schlauer Flieger.«

Wir rückten unsere Waffen zurecht.

»Reiten wir«, sagte ich.

»Was ist mit denen?« fragte Cuwignaka und deutete mit seiner Lanze auf die drei Sklavinnen, die von den Gelbmessern bewacht worden waren.

»Wir lassen sie hier zurück«, sagte ich zu Cuwignaka. »Es sind ja nur Sklavinnen.«

»Das bin ich auch, Herr«, warf Wasnapohdi ein und schaute zu mir auf.

»Du darfst uns begleiten«, sagte ich.

»Danke, Herr.«

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