Auszüge (17)

Da viele Menschen ihr Leben lang beträchtliche Mengen an männlichen und weiblichen Hormonen produzieren und phänotypisch bisexuell, intersexuell oder unbestimmt sind, werden die Pronomina »er« und »sie« oftmals vermieden oder allenfalls zur Selbstzuordnung verwendet, manchmal je nach Situation wechselnd. Jemand anderem mit einem solchen Pronomen zu bezeichnen, entspricht der Verwendung von »du« statt »Sie« und zeigt Vertrautheit mit der betreffenden Person an

Die am tiefsten verankerten phänotypischen Signale für Geschlechtszugehörigkeit scheinen das Verhältnis zwischen Taille und Hüfte und die Länge der Taille im Verhältnis zum Gesamtkörper zu sein; beides hängt mit den proportional längeren weiblichen Oberschenkelknochen und den breiteren weiblichen Beckenknochen zusammen

wie zum Beispiel Französisch, Türkisch oder Chinesisch. Alternative geschlechtslose Pronomina im Englischen umfassen »it«, »e«, »them«, »one«, »on« und »oon«, doch keines davon konnte

während sich im Deutschen das ehemalige grammatische Maskulinum in Berufsbezeichnungen wie Physiker, Gärtner, Kommissar als geschlechtsneutrale Form durchsetzte

es geht nicht darum, dass es »kein Geschlecht gibt«, sondern darum, dass es sich um ein komplexes, mehrdeutiges Phänomen mit vielen Manifestationen handelt, das zuweilen als voll entfaltete ursulinische Menschheit und bei anderen Gelegenheiten als Riesenschlamassel bezeichnet wird

Zusammenkünfte, die einzig und allein aus geschlechtlich unbestimmten Menschen bestehen, bilden einen neuen sozialen Raum, den manche als zutiefst unangenehm empfinden; typische Kommentare sind »wie eine Nacktheit, die ich nicht für möglich gehalten hätte« oder »man ist nur man selbst, es ist entsetzlich« auslöst. Es handelt sich eindeutig um eine neuartige psychische Belastung, die

es existieren sehr feine Unterscheidungen, einige behaupten etwa, dass Gynandromorphen nicht ganz wie Androgyne aussehen, und auch nicht wie Hermaphroditen oder Eunuchen, und ganz sicher nicht wie Bisexuelle – dass Androgyne und Gebärmänner etwas völlig Unterschiedliches sind – und so weiter. Manche erzählen in diesem Zusammenhang gerne von sich; andere schweigen sich darüber aus. Manche kleiden sich wie ein anderes Geschlecht und mischen auch ansonsten semiotische Geschlechtsanzeiger, um ihre gegenwärtige Gefühlslage zum Ausdruck zu bringen. Völlig überzogene Macho- und Femme-Verhaltensweisen, die zum Phänotyp und den semiotischen Hinweisen passen können oder auch nicht, erzeugen eine Performance-Kunst, die vom Kitschigen bis zum Wunderschönen reicht

da es inzwischen Menschen gibt, die annähernd drei Meter groß sind und welche, die weniger als einen Meter groß sind, stellt das Geschlecht möglicherweise nicht mehr das bedeutsamste Unterscheidungskriterium bei den Menschen dar

bis hin zur Größe von Klammeraffen, eine Modifikation, die von größeren Personen heftig verurteilt wurde, bis Langlebigkeitsstatistiken immer wieder den Zusammenhang zwischen geringer Größe und langer Lebensspanne bestätigten, insbesondere bei geringer Schwerkraft. Ein Sprichwort unter Kleinen lautet »kleiner ist feiner«

Wir haben alle weiblich angefangen und produzieren seit jeher beide Arten von Sexualhormonen. Wir hatten sowohl maskuline als auch feminine Anlagen, aus denen nach einem Lernprozess die für das Geschlecht typischen Verhaltensweisen wurden, obwohl jeder Mensch beiderlei Anlagen in sich trägt. Wir haben einzelne Eigenschaften selektiv verstärkt oder unterdrückt, wodurch wir während des größten Teils unserer Geschichte die Geschlechterrollen verfestigt haben. Aber tief in uns drin waren wir immer beides. Und jetzt, im All, sind wir ganz offen beides. Ob nun sehr groß oder sehr klein – endlich sind wir Menschen

Die Gefühlsstruktur dieser Kultur ließe sich ebenfalls als balkanisiert bezeichnen. Geschlechtertherapie und -ausdifferenzierung waren beide Teile des Langlebigkeitsprojekts, und die Kombination dieser drei Faktoren erzeugte eine neue Gefühlsstruktur, die oft als aufgesplittert, unterteilt, abgeschottet oder Firewall-geschützt bezeichnet wird. Normalerweise gilt die Langlebigkeit als treibende Kraft hinter dieser Entwicklung; zuvor hatte niemand länger als ein Jahrhundert lang (oder gar länger als zwei Jahrhunderte lang) seine Persönlichkeit aufrechterhalten müssen, etwas, das heutzutage oft als existenzielle Krise erlebt wird. Die Überalten verfügen über so viel Erfahrung und haben so viele Phasen durchlebt, so viele Wegbegleiter an den Tod oder einfach an die Zeit verloren, dass die anderen Menschen ihnen fremd geworden sind. Raumer, die so riesige Distanzen überwinden und bei ihren Versuchen der eigenen Optimierung oft besonders kühn sind, leben meist isoliert, in einem solipsistischen Narrativ oder einer Darbietung, die nur für sie bestimmt ist

Menschen im All leben eine Art Nichtbindung. Oft heißt es, dass man nicht zu viel von der anderen Person mitbekommen und keine zu intensive Beziehung herstellen sollte, wenn man sie über lange Zeit aufrechterhalten möchte, da sie ansonsten ausbrennt. Stellt man sich auf lange Zeitläufte ein, dann verteilt man sich selbst auf ein Netzwerk von Bekanntschaften und neuen Freunden und zieht weiter, sobald

bekanntermaßen wird Liebe in verschiedenen Kulturen und in verschiedenen historischen Epochen unterschiedlich definiert. Die »balkanisierte Liebe« bezieht sich auf eine Situation, in der Zuneigung, das Großziehen von Kindern, Sex, Lust, Kohabitation, Familie und Freundschaft allesamt voneinander entkoppelt und als Affektzustände rekonfiguriert worden sind, genau wie die Individuen und Gesellschaften

Sex selbst ist, nachdem er von Fortpflanzung, Liebe, Tabubruch, Religion und anderen biologischen und kulturellen Assoziationen entkoppelt worden ist, für viele Menschen lediglich zu einer körperlichen Funktion von vielen geworden, die man entweder für sich allein oder mit anderen vollzieht und die ebenso angenehm wie Sport und Spiele, Unterhaltungen oder Darmbewegungen sein kann

traditionelle Ehe, Familienehe, Gruppenehe, Polygamie, Polyandrie, Panmixie, Zeitverträge, Horte, Zimmergenossen, sexuelle Freundschaften, Freunde, Pseudogeschwister, Mitreisende, Solisten,

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